Körpersprache und Physiognomik in Heinrich v. Kleists Erzählung Verlobung in St. Domingo


Seminararbeit, 1996

16 Seiten, Note: 2 +


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Geschichte der Physiognomik

3. Warum Gesten und Gebärden bei Kleist?

4.Gesten und Mimik in der „Verlobung in St. Domingo“
4.1. Das „Hände an den Kopf halten“
4.2. Ohnmachten
4.3. Bewußte Täuschungen
4.4. Das Gesicht
4.5. Senken des Kopfes
4.6. Gesichtsfarben und Erröten
4.7. Die Hand

5. Zusammenfassung

6. Literatur

1. Einleitung

Ist es nicht jedem einmal widerfahren? - das Erröten in einer peinlichen Situation, oder das „zu Boden schauen“ bei einer Lüge.

Im Werk Heinrich von Kleists begegnet man immer wieder solchen Gebärden und Ausdrücken der Körpersprache. Typische Verhaltensweisen Kleist´scher Charaktere sind zum Beispiel das Wechseln der Gesichtsfarbe, das Fassen und Küssen von Händen, oder das „in Ohnmacht fallen“.

Kleist arbeitet in seinen Schriften oft mit gemischten Gefühlen, wie Liebe und Schrecken, so wie es in den klassischen Dramen üblich war. Nur spitzt Kleist diese gemischten Gefühle so extrem zu, daß die Sprache nicht mehr alles, was er sagen will, ausdrücken kann, in den Hintergrund tritt und die Körpersprache für sie einspringt. „Die Sprache kann die entscheidenden Vorgänge nicht fassen.“[1] Dies schreibt Skronski über die Kerkerszene im „Prinzen von Homburg“. Dieser Satz kann auch auf zahlreiche andere Werke Kleists übertragen werden.

Weiterhin sind die Personen bei Kleist, gerade in der „Verlobung in St. Domingo“, sehr mißtrauisch gegeneinander, was sie dazu veranlaßt, den Körper des Gegenübers zu deuten. Diese Tatsache führt in den Bereich der Physiognomik ein. Physiognomik ist „Ausdruck, Form, Gestalt des menschlichen Körpers, besonders des Gesichtes, von denen aus auf innere Eigenschaften geschlossen werden kann.“[2]

Ob so etwas überhaupt möglich ist, darüber herrscht bei den Gelehrten Uneinigkeit. Gerhard Neumann schreibt in seinem Artikel „Rede, damit ich dich sehe“, daß einst Lavater voll von der Physiognomik überzeugt war, ja sie sogar zur eigenständigen Wissenschaft erheben wollte. Lichtenberg dagegen war absolut von der Unmöglichkeit dieses Gesichterdeutens überzeugt, so daß ein richtiger Streit zwischen beiden entstand.[3]

2. Geschichte der Physiognomik

Die Geschichte der Physiognomik ist schon viel älter, als der in 1.1. beschriebene Streit zwischen Lichtenberg und Lavater.

Vor etwa 2 000 Jahren sagte Cicero, der größte Redner Roms, daß man sich über die Fähigkeiten eines Mannes ein Urteil bilden könne, wenn man sein Gesicht deutet. „Der Gesichtsausdruck“, bemerkte er, „ist das Porträt seines Geistes, die Augen sind seine Denunzianten.“[4]

Erste Arbeiten auf diesem Gebiet erstellte Aristoteles. Er verglich Gesichtszüge mit mit dem Aussehen von Tieren und übertrug daraufhin Wesenszüge des Tieres auf die jeweilige Person.

Hippokrates benutzte das menschliche Gesicht für ärztliche Diagnosen, ebenso taten dies auch andere Mediziner, wie etwa die beiden Griechen Adamantius und Meletius.[5]

In Europa wurde im Mittelalter die Kunst des Gesichterdeutens von Astrologen ausgeübt, die Gesichtszüge und Sternbilder miteinander in Beziehung setzten.[6]

Von diesem Ansatz kam Giovanni Battista Della Porta wieder ab, und er begann, die Beobachtung und Physiologie beim Gesichterdeuten in den Vordergrund zu stellen. Er meinte, daß Charakter und Gesichtszüge vom Temperament und nicht von den Sternen herrühren.[7]

Das allgemeine Interesse an der Physiognomik hielt weiterhin an und erfuhr in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts durch den Schweitzer Pastor und Arzt Johann Caspar Lavater neuen Auftrieb. [...] Im Laufe der Jahre trug Lavater eine große Datenmenge zum Thema Gesicht zusammen und schrieb zwischen 1775 und 1778 die richtungsweisende Arbeit Von der Physiognomik, die sich zu einem Bestseller entwickelte und schließlich in viele Sprachen übersetzt wurde. Sie war von großer Bedeutung, weil sie das Wissen der Öffentlichkeit über Physiognomik und das allgemeine Interesse daran förderte.[8]

Die Deutung der Körpersprache, also auch des Verhaltens, ist so alt wie es Lebewesen gibt. Die Kommunikation im Tierreich läuft sowohl inter-, als auch intraarltlich, vornehmlich auf diesem Wege ab. Da der Mensch ein Tier ist, sind diese Zeichen auch im menschlichen Datenaustausch von größter Bedeutung.

3. Warum Gesten und Gebärden bei Kleist?

Skronski verweist in diesem Zusammenhang auf die sogenannte Kantkrise, die in Kleists Denken Zweifel ausräumt und sein es langsam umkehrt.

Kernpunkt ist der nun bewußt empfundene Zusammenbruch der Vernunftswelt. Sie stürzt zusammen, da sich die vorausgesetzte Harmonie zwischen Denken und Sein als Trug erweist. „Wenn alle Menschen statt der Augen grüne Gläser hätten“, schreibt er am 22. März 1801 an Wilhelmine v. Zenge, „so würden sie urteilen müssen, die Gegenstände, welche sie dadurch erblicken, sind grün - und nie würden sie entscheiden können, ob ihr Auge ihnen die Dinge zeit, wie sie sind, oder ob es nicht etwas zu ihnen hinzutut, was nicht ihnen, sondern dem Auge gehört. So ist es mit dem Verstande. Wir können nicht entscheiden, ob das, was wir Wahrheit nennen, wahrhaft ist, oder ob es uns nur so scheint.“

Was bei Kant positiv als Besinnung der Vernunft auf ihre eigenen Bedingungen und Grenzen gemeint ist, erhält bei Kleist eine einseitig negative Ausrichtung. Er überträgt die Erkenntniskritik auf das Sein der Dinge, und so steht bei ihm am Ende der Gedankenkette nicht der Verzicht auf Aussagen über das „Ding an sich“, sondern die Orientierungslosigkeit der Menschen in einem vieldeutigen Dasein. An dieser Stelle besinnt sich Kleist auf eine fraglose, unreflektierte Tiefenschicht, in der es die für die Verstandeswelt verlorene Harmonie doch noch gibt. Sie wird greifbar im Gefühl, und damit ist dem Menschen dann doch bis zu einem gewissen Grad ein Leitstab in aller Orientierungslosigkeit gegeben.

Dies ist in groben Zügen das Menschenbild, das Kleist aus der Kantkrise mitbringt.[9]

Kleist will dieses Menschenbild in seinen Werken darstellen und benutzt dazu alle sich bietenden Ausdrucksmittel. Die Gebärde springt immer dann ein, wenn die Sprache versagt. Die Geste spiegelt somit das Innere der Person wieder.[10]

Ein weiterer Grund für seinen so häufigen Gebrauch von Gebärden ist auch sein eigenes Problem mit dem Umgang mit Menschen. Kleist kam bei längerem Reden ins Stottern, wurde rot oder schaute zu Boden. Dieses eigene „nicht kommunizieren können“ übertrug er dann auf seine Figuren.

Diese Arbeit versucht nun, unter Einbeziehung von Werken aus der Humanethologie, Kleists Erzählung „Die Verlobung in St. Domingo“, im Hinblick auf Körpersprache, Gebärden und Physiognomik zu untersuchen.

[...]


[1] Skronski, S. 20

[2] Duden Universalwörterbuch, S. 1148, 3. Spalte

[3] vgl. Neumann, S.70

[4] Landau, S. 123

[5] vgl. Landau, S. 124f.

[6] Landau, S. 125

[7] vgl. Landau, S. 126

[8] Landau, S. 126f.

[9] Skronski, S. 18f.

[10] vgl. Skronski, S. 19

Ende der Leseprobe aus 16 Seiten

Details

Titel
Körpersprache und Physiognomik in Heinrich v. Kleists Erzählung Verlobung in St. Domingo
Hochschule
Bayerische Julius-Maximilians-Universität Würzburg  (Philosophie II)
Veranstaltung
Heinrich v. Kleist - Erzählungen
Note
2 +
Autor
Jahr
1996
Seiten
16
Katalognummer
V4837
ISBN (eBook)
9783638129558
Dateigröße
552 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Körpersprache, Physiognomik, Heinrich, Kleists, Erzählung, Verlobung, Domingo, Heinrich, Kleist, Erzählungen
Arbeit zitieren
Jörn Meiners (Autor:in), 1996, Körpersprache und Physiognomik in Heinrich v. Kleists Erzählung Verlobung in St. Domingo, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/4837

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