Entpolitisierung als Programm ?


Hausarbeit, 2001

25 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Fragestellung: Entpolitisierung als Programm ?

2 Funktion der Politikberichterstattung und Strukturierung des Begriffes „Entpolitisierung“

3 Entpolitisierungstendenzen in Deutschland : Ein Analysenvergleich
3.1 Programmanalyse der ARD/ZDF-Medienkommission seit
3.1.1 Methodik
3.1.2 Quantitative Entwicklung
3.1.3 Inhaltlich-thematische Entwicklung
3.1.4 Ergebnis
3.2 Längsschnittstudie von Bruns und Marcinkowski
3.2.1 Methodik
3.2.2 Quantitative Entwicklung
3.2.3 Inhaltlich-thematische Entwicklung
3.2.4 Ergebnis
3.3 Kontinuierliche Fernsehprogrammanalyse der GöfaK* seit
3.3.1 Methodik
3.3.2 Inhaltlich-thematische Entwicklung:
3.3.2.1 Fernsehpublizistik
3.3.2.2 Nachrichtensendungen
3.3.2.3 Hauptnachrichtensendungen 1999
3.3.3 Ergebnis

4 Formal-gestalterische Betrachtung: Infotainment

5 Fazit

6 Anhang

7 Literaturverzeichnis

1. Fragestellung: Entpolitisierung als Programm ?

Diese Frage wurde so erstmals 1985 von Udo Michael Krüger[1] gestellt, als den öffentlich–rechtlichen Fernsehanstalten durch zwei von APF (Aktuell Presse-Fernsehen) in Hamburg ausgestrahlte Nachrichtensendungen eine private Konkurrenz im Bereich aktueller Informationssendungen erwuchs. Seit Einführung des dualen Systems hat sich die deutsche Fernsehlandschaft stark verändert. Durch einen härteren Konkurrenzkampf um Einschaltquoten und eine zunehmende Kommerzialisierung haben sich besonders im Hinblick auf die politische Berichterstattung weitreichende Konsequenzen ergeben. In der Diskussion um Entpolitisierungstendenzen im Fernsehen gehen die Meinungen jedoch weit auseinander. Bruns und Marcinkowski kamen in ihrer 1997 veröffentlichten Längsschnittstudie „Politische Information im Fernsehen“ zu dem Ergebnis, dass von einer Entpolitisierung auf programmstruktureller Ebene „keine Rede sein kann“[2] und dass Nachrichtensendungen politischer geworden seien. Seit der Veröffentlichung des von der Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten in Auftrag gegebenen Forschungsberichtes „Fernsehen in Deutschland 1998 – 1999“ von Hans-Jürgen Weiss und Joachim Trebbe im Dezember letzten Jahres , die eine zunehmende Unterhaltungsorientierung und eine Reduktion der Politikanteile in den Fernseh-Vollprogrammen, sowohl bei den privaten als auch bei den öffentlich-rechtlichen Sendern, feststellten, hat diese Debatte an Intensität und Schärfe zugenommen. So forderte Wolfgang Thierse in der ZEIT „Information darf nicht zu Infotainment verkommen„[3] und wirft den privaten Sendern Defizite in der politischen Berichterstattung und übertriebene Unterhaltungsfokussierung vor. RTL-Geschäftsführer Gerhard Zeiler streitet eine solche Entwicklung ab und behauptet „Tatsache ist: Wir haben mehr Nachrichten denn je.“[4]

Im Folgenden soll nun die Entwicklung der Programmstrukturen seit Einführung des dualen Systems 1984 anhand von drei Studien eingehender betrachtet werden. Zunächst soll allerdings geklärt werden, wie sich „Entpolitisierung“ zum Zweck der Messung strukturieren lässt und welche Bedeutung und Funktion „Politik“ im Fernsehen hat, um einerseits den Begriff näher einzugrenzen und andererseits die Tragweite der Debatte aufzuzeigen.

2. Funktion der Politikberichterstattung und Strukturierung des Begriffes „Entpolitisierung“

Die politischen Funktionen des Fernsehens leiten sich aus den Fernsehurteilen des Bundesverfassungsgerichtes ab, Fernsehen soll den Bürger mit Information versorgen, durch Herstellung von Öffentlichkeit zu Meinungsbildung beitragen und politische Machtträger kontrollieren und kritisieren. Die Programminhalte sollen zur Erfüllung dieser Funktion beitragen. Die politische Funktion wird von Informationssendungen wahrgenommen, diese stehen deshalb auch im Zentrum des Forschungsinteresses. Unter „Entpolitisierung“ versteht man einen Rückgang politischer Berichterstattung, der sich in dreifacher Hinsicht unterscheiden lässt. Quantitative Betrachtungen untersuchen die Veränderungen des Anteils von Informationssendungen am Gesamtprogramm unabhängig von Inhalten, weswegen die Ergebnisse solcher Untersuchungen stark von der jeweiligen Definition des Begriffes „Informationssendung“ abhängig sind. Inhaltlich-thematische Untersuchungen betrachten qualitative Veränderungen innerhalb der Sendungen, meist anhand der Themen- und Akteursstruktur, und formale Untersuchungen analysieren die eingesetzten Gestaltungsmittel.

Die Frage, ob in der deutschen Fernsehlandschaft eine Entwicklung hin zu einer Entpolitisierung der Programme stattfindet, ist deswegen von zentraler Bedeutung, weil dadurch die Gefahr besteht, dass das Fernsehen als reichweitenstärkstes Massenmedium seine demokratischen Funktionen nicht mehr erfüllen kann. Dies hätte negative Auswirkungen auf den demokratischen Meinungsbildungsprozess zur Folge, schlimmstenfalls könnte der politische Diskurs in der Öffentlichkeit zum Erliegen kommen und eine depolitisierte Gesellschaft[5] entstehen.

3. Entpolitisierungstendenzen in Deutschland: Ein Analysenvergleich

Im Folgenden werden drei Studien näher betrachtet, die der Entpolitisierungsdiskussion entscheidende Impulse gegeben haben und die stellvertretend die verschiedenen Standpunkte und Einschätzungen innerhalb der Fernsehforschung zu dieser Debatte repräsentieren. Zuerst wird die Programmanalyse der ARD/ZDF-Medienkommission von Udo Michael Krüger vorgestellt, die seit 1985 kontinuierlich jedes Jahr Programmstrukturanalysen veröffentlicht und somit die älteste deutsche Fernsehlangzeitstudie ist. Danach werden zwei Studien untersucht, die zu gegensätzlichen Ergebnissen kommen und die zwei Extrempole in der Entpolitisierungsdebatte markieren. Bruns und Marcinkowski lehnen die Entpolitisierungsthese ab und stellen in ihrer Studie eine Zunahme von Politik im Fernsehen fest, während Weiss und Trebbe in ihrem aktuellen Forschungsbericht eine generelle Marginalisierung politischer Berichterstattung bei allen Sendern, in besonderem Maße bei den Privaten, beklagen und den öffentlichen Diskurs und die demokratische Meinungsbildung in Gefahr sehen. Da die Vergleichbarkeit der Studien durch unterschiedliche Methoden der Messung, verschiedene Untersuchungszeiträume und unterschiedliche Definitionen von Informationssendungen stark eingeschränkt ist, werden sie getrennt behandelt. Die Studien untersuchen schwerpunktmäßig vor allem quantitative und inhaltlich-thematische Veränderungen der Programme, deshalb werde ich auf formale Aspekte später gesondert eingehen.

3.1 Die Programmanalyse der ARD/ZDF-Medienkommission

3.1.1 Methodik/ Erhebungszeitraum

Seit 1985 führt Udo Michael Krüger im Auftrag der öffentlich-rechtlichen Sender kontinuierlich Programmstrukturanalysen auf Basis einer Untersuchung von vier über das jeweilige Jahr verteilten Stichprobenwochen über die Programme der fünf größten Fernsehsender, ARD, ZDF, RTL, SAT1 und Pro7 durch. Zusätzlich werden in den Media Perspektiven regelmäßig Untersuchungen auf Basis dieser Analyse veröffentlicht. Krüger verwendet einen eher weiten Informationsbegriff der neben klassischen Informationssendungen auch Ende der 90er neu hinzugekommene Formate im Grenzbereich zwischen Information und Unterhaltung, zum Beispiel Reality TV[6] und nichtpolitische Angebote wie „Streit um drei“ (ZDF) oder „Max“ (Pro Sieben), enthält.

3.1.2 Quantitative Betrachtung

Betrachtet man den Anteil der Kategorie „Information/Bildung“ seit Einführung des dualen Systems muss man ausgehend von Krügers Programmanalyse eine positive Bilanz ziehen[7]. Tendenziell steigt der Informationsanteil aller Programme seit Mitte der 90er Jahre kontinuierlich an, die öffentlich-rechtlichen Programme erreichen 1999 sogar den höchsten Wert in dieser Kategorie seit Bestehen der Programmanalyse. Dies bedeutet jedoch nicht, dass mit dem Informationszuwachs auch ein Mehr an Politik einhergehen muss. Aufgrund der weiten Fassung des Informationsbegriffes bei Krüger ist die von ihm festgestellte Zunahme des Informationsangebotes[8] in Bezug auf die Entwicklung politischer Berichterstattung wenig aussagekräftig.

3.1.3 Inhaltlich-thematische Betrachtung

Nach einer Untersuchung der Informationsangebote in der Hauptsendezeit von 19:00 bis 23:00 Uhr 1995 stellt Krüger Tendenzen zur Entpolitisierung im nichttagesaktuellen Informationsangebot der privaten Sender durch Themen- und Akteursstrukur[9] fest. So verwenden RTL und Pro7 im Untersuchungszeitraum drei Viertel ihres Informationsangebotes für Boulevard-, Alltags und Unterhaltungsthemen. Leider werden auch hier die Ergebnisse durch die ungenügende Eingrenzung der Kategorie „Informationssendungen“ weitgehend vorherbestimmt. Ein weit gefasster Informationsbegriff führt zwar in einer quantitativen Betrachtung zu einem hohen Informationsanteil am Gesamtprogramm, durch Miteinbeziehung von Sendungen mit Unterhaltungs- und Boulevardschwerpunkt wie „Wie bitte?“, „RTL-Kinotipp“ (beide RTL) und „Bitte melde Dich“ (SAT1) aber gleichzeitig zu einem geringen Anteil politischer Berichterstattung und politischer Akteure innerhalb der Kategorie „Information“. Weiterhin werden noch die Sendetitelvielfalt, die Parteienrepräsentanz, die Relevanzebene der Themen und die durchschnittliche Beitragsdauer als Indikatoren für Entpolitisierung untersucht. Auch hier stellt Krüger ein erhebliches Defizit der privaten gegenüber den öffentlich-rechtlichen Sendern fest. Fraglich bleibt bei dieser Untersuchung allerdings, warum Krüger die Nachrichtensendungen ausschließt und nur das nichttagesaktuelle Informationsangebot betrachtet. Es mag zwar stimmen, dass so das den einzelnen Sendern zugrundeliegende Informationsverständnis[10] deutlicher zum Ausdruck komme, da die Nachrichten stark von externen Ereignissen vorgegeben sind und sich weniger stark voneinander unterscheiden. Ein Vergleich der beiden Systeme führt dann aber zu Verzerrungen und bewertet die Unterschiede zwischen privaten und öffentlich-rechtlichen Sendern zu hoch, da das wichtigste Sendungsformat bezüglich Information, die Hauptnachrichtensendung, nicht berücksichtigt wird.

Bei einem Vergleich der Nachrichtenangebote von ARD, ZDF, RTL und SAT1 1996[11] stellt Krüger wiederum umfassende politische und gesellschaftlich relevante Berichterstattung bei den öffentlich-rechtlichen Sendern und eine stärkere Gewichtung nicht politischer Themen bei den Privatsendern fest[12]. Auch in seinen jüngsten Auswertungen[13] stellt Krüger programmstrukturell keine größeren Veränderungen bezüglich der politischer Berichterstattung bei den öffentlich-rechtlichen Sendern fest, auch wenn diese sich im Bereich der Boulevardmagazine den Privaten angleichen. Insgesamt betrachtet haben sich nach Krüger die Informationsangebote 1999 stärker in den nicht-politischen Bereich ausdifferenziert.

[...]


* Göttinger Institut für angewandte Kommunikationsforschung

[1] Media Perspektiven (1/85)

[2] Bruns (1997) S.289

[3] Die Zeit (39/2000)

[4] Zeiler, Gerhard. In: epd-Interview (04/2001)

[5] Ross, Dieter (1998) S.154

[6] Krüger, Media Perspektiven (8/96) S. 419

[7] siehe Anhang 1

[8] Krüger, Media Perspektiven (7/2000) S.295

[9] Krüger, Media Perspektiven (7/96) S.365

[10] Media Perspektiven (7/96) S.362

[11] Media Perspektiven (5/97) S.265

[12] siehe Anhang 2

[13] Media Perspektiven (7/ 2000) S.293

Ende der Leseprobe aus 25 Seiten

Details

Titel
Entpolitisierung als Programm ?
Hochschule
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg  (Lehrstuhl für Kommunikations- und Politikwissenschaft)
Veranstaltung
Seminar Medien und Politik
Note
1,7
Autor
Jahr
2001
Seiten
25
Katalognummer
V4787
ISBN (eBook)
9783638129275
ISBN (Buch)
9783638638746
Dateigröße
968 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Seminar Medien und Politik - Theorien und Studien zur Politikdarstellung und -wahrnehmung im Fernsehen und deren Auswirkungen auf die politischen Einstellungen und das Wahlverhalten 1.514 KB
Schlagworte
Entpolitisierung, Politikbericherstattung
Arbeit zitieren
Dipl.-Kfm. Robert Bayerlein (Autor:in), 2001, Entpolitisierung als Programm ?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/4787

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