Der überwachte Patient. Sind Health-Apps ein neues Panopticon?


Hausarbeit, 2018

20 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Gliederung

1. Einleitung

2. Operationalisierung der Begriffe
2.1 Operationalisierung des Panopticons
2.2 Die Begriffe E-Health, mHealth und Health-Apps

3. Analyse von Parallelen des Überwachungsbilds von Foucault und Health-Apps

4. Fazit

„ In der hierarchisierten Überwachung der Disziplinen ist die Macht keine Sache, die man innehat, kein Eigentum, das man überträgt; sondern eine Maschinerie, die funktioniert.“ ( Michel Foucault: Überwachung und Strafen 1977, S. 229)

1. Einleitung

Das Konzept des Panopticons ist vielfach als Metapher für Überwachung in Gebrauch. Befürworter und Kritiker diskutieren seit Foucaults Interpretation Benthams Anordnung die Chancen und Grenzen dieser Überwachungsarchitektur für moderne Überwachungsapparate. Gleichzeitig verändert die Digitalisierung nicht nur das Leben und Arbeiten der Menschen, sondern auch unser Gesundheitssystem. Überwachung und Datenschutz spielen eine zunehmend große Rolle für eine durchweg risikoarme Behandlung von Patienten1. Mit digitalen Überwachungsmethoden lässt sich aktuellen Problemen der Forschung, Diagnose und Behandlung entgegenkommen. Zudem ist die Nachfrage nach Health-Apps stetig steigend2 und sie rücken für Investoren in ein immer größeres wirtschaftliches Interesse. Gerade gesundheitsbezogene Daten werden von Patienten als besonders sensibel betrachtet. Die folgende Arbeit möchte die Beschaffenheit dieser Überwachungsmuster von Gesundheitsdaten analysieren, in einen medientheoretischen Kontext einordnen und kritisch reflektieren. Die Analyse erfolgt beispielhaft anhand des Panopticons nach Foucault und der Health-App „mySugr“, deren Überwachungsstrukturen miteinander verglichen und analysiert werden. Dabei behandelt die Arbeit konkret die Frage, ob das Bild des foucaultschen Panopticons für die Beschreibung der Mechanismen einer Health-App Relevanz besitzt. Können Health-Apps als foucaultsches Überwachungsdispositiv betrachtet werden, oder überwiegen die Unterschiede über den Gemeinsamkeiten? Der Vergleich des Panopticons mit einer Health-App bietet sich besonders an, da das Panopticon ursprünglich auch zur medizinischen Überwachung in Betracht gezogen wurde. Zur Umsetzung des Vergleichs gliedert die Arbeit die medientheoretischen Überlegungen in acht Teilaspekte, anhand derer die Struktur der Health- App „mySugr“ mit der des Panopticons verglichen wird. Anschließend beantwortet sie die Frage nach den Chancen und Grenzen dieses Vergleiches. Diese Arbeit beleuchtet lediglich eine medientheoretische Seite. Wirtschaftliche, rechtliche oder medizinische Aspekte, sowie die historische Ebene können deshalb nicht tiefgehend analysiert werden.

2. Operationalisierung der Begriffe

Im folgenden Abschnitt sollen zunächst die zu bearbeitenden Begriffe operationalisiert werden. Anschließend erfolgt eine Abgrenzung der Untersuchungsgegenstände zu verwandten Termini.

2.1 Operationalisierung des Panopticons

Das Panopticon ist eine theoretische, architektonische Anordnung, erdacht von Jeremy Bentham. Hierbei handelt es sich um ein kreisförmiges Gebäude mit Zellen am Rand und einem Wachturm in der Mitte. Die Zellen sind nach außen und innen hin offen, sodass der Beobachter im Turm die Insassen selbst sieht, jedoch nicht gesehen wird, da die Fenster des Wachturms verspiegelt sind. In Benthams ursprünglicher Version kann der Überwacher über Röhren aus Stahl mit den Insassen kommunizieren. Natürliches Licht fällt von außen in die Zellen und gewährleistet die Sichtbarkeit der Insassen. Angedacht war diese Konstellation zu vielfältigen Nutzungsmöglichkeiten, wie beispielsweise als „Besserungsanstalten, Fabriken, Arbeitshäuser, Armenhäuser, Lazarette, Manufakturen, Hospitäler, Irrenanstalten und Schulen“ 3 Bentham schätzte besonders die Wirtschaftlichkeit dieses Baus, da er von der Disziplinierung der Insassen allein aufgrund der architektonischen Anordnung ausging. Die Insassen wüssten nie, ob sie gerade beobachtet werden oder nicht. Das macht die ökonomischen Kosten für diese Form der Überwachung gering und damit das Panopticon effizient.

Foucault griff das Bild des Panopticons als symbolische Darstellung seines Machtbegriffes auf. Dieser ist relational und dynamisch, nicht statisch und hierarchisch. Machtstrukturen stellen für Foucault ein komplexes Beziehungsgeflecht dar. Dieses dient stets dazu, die Position der Machthaber in der Gesellschaft zu stärken. Das Panopticon ist laut Foucault ein Machtsymbol für die Art, wie die herrschende Klasse ihren Machterhalt sicherstellt. Hierbei handelt es sich um eine perfidere Machstruktur als jene der Feudalgesellschaft des Mittelalters, welche die physische Gewalt zweckrationalisierte und von extern auf niedere Stände ausübte. In unserer modernen Gesellschaft wird diese Gewalt internalisiert. Somit tritt Überwachung an die Stelle körperlicher Gewalt. Dabei weiß der Mensch nicht, wann und wo diese Überwachung stattfinden wird. Das bewirkt, bei richtiger Umsetzung der panoptischen Struktur, die Selbstzensur des Individuums. Die Macht erfährt damit eine Art Verselbstständigung, sie „wird zu einer Maschine“ 4. Die Überwachung des menschlichen Körpers dient somit dem Strukturerhalt des sozialen Körpers, der Gesellschaft.

2.2 Die Begriffe E-Health, mHealth und Health-Apps

Die Definition von E-Health der World-Health-Organization (WHO) ist die „Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnologien für die Gesundheit.“5 Damit beschreiben E- Health-Maßnahmen digitale Medien zur „Prävention, akuten Hilfe, Gesundheitsförderung und Information im weiten Sinne“ 6. So könnte beispielsweise auch eine Sport-App unter die Definition einer E-Health-Maßnahme nach der WHO fallen, insofern diese gesundheitsfördernd ist. Die Definition des Bundesgesundheitsministeriums dagegen ist etwas enger gefasst. Das versteht unter E-Health „Anwendungen […], die für die Behandlung und Betreuung von Patienten die Möglichkeiten nutzen, die moderne Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) bieten.“ 7 Das Bundesgesundheitsministerium sieht den Schwerpunkt von E-Health in einem institutionalisierten Arzt-Patienten-Verhältnis. Gemeinsam haben beide Definitionen den Schwerpunkt auf der Nutzung digitaler Technologien zur Information und Kommunikation. Auch schließen beide Definitionen die psychische und körperliche Gesundheit mit ein. Die folgende Arbeit richtet sich nach der Definition des Ministeriums und untersucht die Aspekte von E-Health, die sich auf die intraprofessionelle Kommunikation zwischen Arzt und Patient beschränkt, nicht die Kommunikation unter Medizinern mit anderen Institutionen, wie der Krankenkasse. Formen der Selbstdiagnose über telemedizinische Programme werden ebenfalls ausgeklammert.

Eine Untergruppe der E-Health Anwendungen sind die sogenannten Mobile-Health-Produkte und Anwendungen, auch mHealth genannt. Darunter versteht die WHO „Eine Komponente von E-Health, welche die Bereitstellung von gesundheitsbezogenen Services über mobile Technologien, wie Smartphones, Tablets und digitalen Assistenten beinhaltet“8. mHealth ist also die Anwendung von E-Health im Bereich der mobilen Endgeräte. In der folgenden Arbeit werden lediglich Angebote von Smartphones von Relevanz sein, nicht die Nutzung über Tablets oder Computer. Dabei wird ein Beispiel untersucht, welches der Aufklärung, Prävention, Behandlung und Verwaltung von Kommunikation dient. Gegenstand der Untersuchung ist ein Gesundheitsprodukt, keine Lifestyle- oder Fitness-App. Gesundheitsprodukte werden definiert als Apps, die von Medizinern angeboten oder in der Kooperation mit Medizinern entwickelt werden und dem medizinischen Gebrauch dienen. Außerdem sind diese als Medizinprodukt CE-zertifiziert und kostenlos. Die Daten werden von Patienten selbst erhoben, nicht von einem externen Gerät, wie ein Pulsmesser. Die App ist in deutscher Sprache erhältlich. Nicht untersucht wird ebenfalls die medizinische Wirksamkeit dieser Apps und deren Effizienz für die Behandlung. Es besteht außerdem kein Schwerpunkt auf den Nutzungsmöglichkeiten von Big Data für die Forschung, beispielsweise der Datensammlung medizinischer Institute zu Forschungszwecken oder die Vernetzung von Krankenhäusern zu einer optimierten Behandlung.

Unter Berücksichtigung dieser Kriterien wird die App „mySugr“ zur Untersuchung ausgewählt. Es handelt sich um eine App zum Diabetesmanagement für Typ 1 und Typ 2 Diabetiker. Entwickelt wurde die App von einem Wiener Startup-Unternehmen. 2012 erfolgte der Zusammenschluss mit der Pharmafirma „Roche“. Mit, nach eigenen Angaben, rund einer Millionen Nutzern gehört sie zu den meist genutzten Gesundheits-Apps auf dem Markt9. Die App ist als Medizinprodukt zugelassen und wurde von Medizinern und Diabetesberatern, sowie Betroffenen entwickelt. Die Finanzierung der App erfolgt über Premium Accounts. „mySugr“ bietet ein Diabetestagebuch, das der Arzt auf Wunsch einsehen kann. Es besteht eine zusätzliche Verknüpfungsmöglichkeit mit einem Blutzuckermessgerät. Die Patienten erhalten einen Überblick über ihren Blutzucker, ihre Kalorienaufnahme und -verbrauch, ihre Aktivitäten und ihre verabreichten Insulindosen. Außerdem können sie sich Übersichten, „Reports“ erstellen und dem Hausarzt oder Diabetesberater vorlegen. In der Premiumversion besteht die Kontaktmöglichkeit zu Diabetesberatern. Diese kostet 9,99€ monatlich.

3. Analyse von Parallelen des Überwachungsbilds von Foucault und Health-Apps

Im Hauptteil dieser Arbeit werden verschiedene Aspekte zur Analyse von Gemeinsamkeiten und Grenzen der Überwachung durch das Panopticon und durch Health-Apps dargelegt. Die Gegenüberstellung dieser Überwachungsbilder geschieht durch das Aufstellen von acht Hauptthesen, deren Argumente in den jeweiligen Abschnitten ausgeführt werden. Zunächst wird geprüft, in welchen Aspekten die These auf das Panopticon zutrifft, anschließend auf die Health-App „mySugr“. Anschließend werden die Grenzen dieses Vergleichs herausgearbeitet.

3.1 Die Unsichtbarkeit und Austauschbarkeit der Wächter

These: Sowohl im Panopticon als auch in der Health-App „mySugr“ sind die Wächter unsichtbar und austauschbar.

Ein funktionierendes Panopticon setzt die Unsichtbarkeit der Wächter voraus, denn das Panopticon ist nur effizient, wenn die Menschen nicht sehen, wann sie tatsächlich beobachtet werden. Gleichzeitig glauben sie, gesehen zu werden. Die Machtstruktur ist zwar sichtbar, aber nicht transparent. Übersetzt auf das Panopticon bedeutet das: Wir sehen den Turm, aber wir sehen nicht den Überwacher. Es ist unklar, wer, wann und wie oft überwacht. Die einzige Gewissheit ist die Ubiquität der Überwachung. Dabei können wenige Wächter Macht auf viele Personen ausüben. Diese Intransparenz ist die Grundlage für die Selbstzensur, auf die in späteren Abschnitten genauer eingegangen werden wird. Auch bei Health-Apps ist die Unsichtbarkeit der Wächter gegeben. Die Kommunikation mit dem Arzt verläuft zwar nur auf Wunsch, die Daten werden jedoch an Dritte weitergegeben. Diese neuen Wächter sind genauso unsichtbar wie jene aus dem Panopticon. Offiziell schreibt „mySugr“ keine Daten an Dritte weiterzugeben 10. Tatsächlich arbeitet die App mit dem Amazon Dienstleister „Mixpanel“ 11 zusammen. Dieser wertet die Daten der Patienten zur Marktanalyse aus. Laut „mySugr“ sind die Daten anonymisiert, allerdings nach einem Standard Kodierungsverfahren, das sich leicht entschlüsseln lässt. 12 Es handelt es sich um personenbezogene Daten, die von „mySugr“ erhoben werden und zu deren Eingabe man verpflichtet ist, wenn man die App benutzen möchte. Dazu kommen noch Daten, die der Kunde freiwillig eingibt, um die App angemessen nutzen zu können. Nach eigenen Angaben werden die folgenden Daten erhoben:

[...]


1 Anm.: Obwohl aus Gründen der Lesbarkeit im Text die männliche Form gewählt wurde, beziehen sich die Angaben auf Angehörige aller Geschlechter. Dieses Vorgehen wird beibehalten.

2 Kramer, Ursula et. al.: Digital Health 2017, S.472.

3 Kammerer Dietmar: Bilder der Überwachung 2008, S.111.

4 Foucault, Michel: Das Auge der Macht 2007, S. 262.

5 http://www.who.int/ehealth/en/

6 Bauer et al.: E-Health. Datenschutz und Datensicherheit, 2018, S. 5.

7 https://www.bundesgesundheitsministerium.de/service/begriffe-von-a-z/e/e-health.html

8 http://www.who.int/tb/areas-of-work/digital-health/definitions/en/

9 https://mysugr.com/de/

10 http://assets.mysugr.com/tos/EU/2/de.html

11 https://mobilsicher.de/apps/medizin-app-mysugr-im-test-android-enttaeuschend

12 Ebd.

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Der überwachte Patient. Sind Health-Apps ein neues Panopticon?
Hochschule
Karlsruher Institut für Technologie (KIT)
Note
1,3
Autor
Jahr
2018
Seiten
20
Katalognummer
V478219
ISBN (eBook)
9783668962576
ISBN (Buch)
9783668962583
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Überwachung, Panopticon, Health-Apps, E-health, Foucault, mySugr
Arbeit zitieren
Mona Meixner (Autor:in), 2018, Der überwachte Patient. Sind Health-Apps ein neues Panopticon?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/478219

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