Machtergreifung oder Machtübertragung? - Eine Kontroverse


Hausarbeit (Hauptseminar), 2002

16 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 „Machtergreifung“ und „Machtübertragung“?

3 Die Kontroverse

4 Die Entwicklung Deutschlands und des Nationalsozialismus bis zur „Machtübertragung“ am 30. Januar 1933

5 Die „Machtergreifung“ ab dem 30. Januar 1933

6 Schlussbetrachtungen

7 Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Der 30. Januar 1933 gilt als Wendepunkt der deutschen Geschichte hin zur deutschen Katastrophe. Er war der Tag der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler. Um herauszufiltern, ob es sich bei dieser Ernennung um die Übertragung der Macht an Hitler handelt oder um die Ergreifung der Macht durch Hitler ist es nicht nur notwendig, die Begriffe „Machtübertragung“ und „Machtergreifung“ zu definieren und sie voneinander abzugrenzen. Es müssen sowohl die Argumente der Verfechter einer „Machtübertragung“, als auch die der Verfechter einer „Machtergreifung“ analysiert werden. Um die verschiedenen Argumente einzuordnen, ist es zudem unerlässlich, die wichtigsten Punkte des Weges Deutschlands in den Jahren bis zum 30. Januar 1933 sowie der Entwicklung der nationalsozialistischen Macht von diesem Tag an zu beleuchten. In einer abschließenden Stellungnahme sollen die Frage nach „Machtübertragung“ oder „Machtergreifung“ beantwortet und untermauert werden sowie – fast 70 Jahre später – ein Bezug der Ereignisse zur Gegenwart hergestellt werden.

Dennoch möchte ich gleich zu Beginn meiner Ausführungen folgende These aufstellen: Der 30. Januar 1933 war, ungeachtet seiner Vorgeschichte und seiner Folgen, der Tag der „Machtübertragung“ an Adolf Hitler. Was diesem Tag folgte, muss hingegen als ein Prozess der „Machtergreifung“ bezeichnet werden.

2 „Machtergreifung“ und „Machtübertragung“?

„Machtergreifung“ ist das gezielte Erlangen der Macht späterer Machthaber, unabhängig von der Legalität ihrer Aktionen und unabhängig vom Willen derjenigen, über die die Macht ausgeübt werden soll. Mittel hierfür können Gewalt, illegale Anwendungen oder Abänderungen bestehender Gesetze sein. Die „Machtergreifung“ steht im Gegensatz zu der für eine Demokratie notwendigen Übertragung der Macht gemäß herrschender Gesetze, zum Beispiel durch Wahlen.

Mit „Machtübertragung“ wird die entsprechend der Verfassung legale

Weitergabe der Macht im Zuge eines Machtwechsels bezeichnet. Die unmittelbare Aktivität geht hierbei von demjenigen oder denjenigen aus, die die Befugnis haben, die Macht zu vergeben beziehungsweise weiterzugeben. Die späteren Machthaber nehmen die Macht entgegen.

3 Die Kontroverse

Exemplarisch für die Kontroverse um die Begriffe „Machtergreifung“ und „Machtübertragung“ waren die unterschiedlichen Geschichtsbetrachtungen der BRD sowie der DDR vor der Wiedervereinigung 1990. Während für DDR-Historiker die These von der „Machtübertragung“ während der gesamten Ära des Staates unumstößlich blieb, dominierte in der BRD lange Zeit die These vom totalitären Führerstaat, wonach Hitler die Macht allein und ohne Hilfe ergriffen hat[1]. Eine These der „Machtergreifung“, die auch nach der Wiedervereinigung nicht vollends verschwunden ist. Nur hat sie kaum mehr so absolute Formen. So sprach Karl Dietrich Bracher vom 30. Januar als dem Tag der „Machteroberung des Nationalsozialismus“, dem der Aufbau des „Dritten Reiches“ folgte. Für ihn handelte es sich bei der Ernennung Hitlers zum Kanzler um „die nach der Oktoberrevolution 1917 folgenschwerste totalitäre Machtergreifung“[2] überhaupt.

Schon 1955 argumentierte Bracher in seinen Veröffentlichungen über die Auflösung der Weimarer Republik, die „Machtergreifung“ sei das Endergebnis eines längeren Prozesses gewesen, der bereits 1930 begann – mit dem Regierungsantritt Heinrich Brünings. Dass dieser über keine Mehrheit im Reichstag verfügte, hätte – so Bracher – zu einer „Phase des Machtverlustes“ geführt. Aus dem Verlust der Macht wiederum sei ein „Machtvakuum“ entstanden. Denn Brünings Nachfolger, die Kanzler Franz von Papen und Kurt von Schleicher, waren nicht mehr in der Lage,

ohne den Notstandsartikel der Weimarer Reichsverfassung zu regieren.

Ihre Macht lag in den Händen des Reichspräsidenten – Paul von Hindenburg. Tatsächlich erst am 30. Januar 1933 sei diese Phase des „Machtvakuums“ durchbrochen worden, durch die „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten.

Große Ähnlichkeit hat Brachers Phasen-Modell mit der Bonapartismus-Theorie von Karl Marx und Friedrich Engels, mit der einige kritisch-marxistische Faschismusforscher eine „Machtergreifung“ zu erklären versuchen. Für sie war die Phase des „Machtvakuums“ von einem Gleichgewicht der Klassenkräfte gekennzeichnet. In dieser Situation habe die Bourgeoisie zu Gunsten der Exekutive auf die Ausübung der politischen Macht verzichtet, um „ihre soziale Gewalt, d.h. die Verfügung über die Produktionsmittel zu behalten“.[3]

Nicht als „Machtergreifung“ sondern als „Machterschleichung[4] “ bezeichnet der Historiker Guido Knopp den Machtwechsel zu Hitler. Knopp stellt die Faszination Hitlers auf die Massen in den Mittelpunkt seiner Betrachtungen und versucht so, Hitlers Aufstieg zu erklären: „Hitlers Macht bestand aus seinem ganz persönlichen brutalen Willen und vor allem aus der angestauten kraftvollen Dynamik, die nur er entfesselt hatte.[5] “ Der Unmut über die miserable Lage der Republik bildete, Knopp zufolge, dafür natürlich eine ideale Plattform: „Die Gefühle, die er ansprach, mußte (sic!) er nicht schaffen, denn es gab sie schon.[6] “ Hitler nutzte diesen Unmut laut Knopp erfolgreich bei seinem „Intrigenspiel“ um einen altersmüden Präsidenten. Nicht zwangsläufig allerdings. Die Machteliten von Weimar, analysiert Knopp, wären durchaus stark genug gewesen, sich Hitler entgegenzustellen. Nicht an der Möglichkeit, am Willen hätte es gefehlt: „Doch kaum einer wollte mehr so richtig. Man nahm Hitler hin wie ein Verhängnis.[7]

Eine ganze Reihe von Autoren geht sogar noch weiter. Begriffe wie

„Machtergreifung“, „Machteroberung“ oder „Machterschleichung“

halten sie für halbherzig, für nicht mutig genug. Historiker wie Rainer

Zitelmann oder Horst Möller bezeichnen die Ereignisse, die in der Ernennung Hitlers zum Kanzler kulminierten, und die Ernennung selbst als „Revolution“.
Zwar sieht auch Zitelmann die begünstigenden äußeren Umstände der Weimarer Republik, die Wirtschaftskrise, den allgemeinen Zusammenbruch des Systems. Jedoch spielen diese Faktoren bei ihm eine untergeordnete Rolle. Zitelmann huldigt den Ausstieg Hitlers zum Massenführer durch dessen politische Ziele: Es war „Hitlers revolutionäres Programm, das ihn zum Massenführer werden ließ.[8] “ Zitelmann wendet sich dabei allerdings ab von der klassischen Definition einer „Revolution“. Für ihn kann eine „Revolution“ – gemäß Ernst Nolte – auch schon ein Vorgang nicht normaler, tiefgreifender und meist von Gewalttätigkeit begleiteten Veränderungen sein. Der Forscher Horst Möller, ebenfalls Verfechter der Revolutions-Theorie, stellte 1983 fest, dass bei den Ereignissen des Jahres 1933 dennoch viele der für eine Revolution typischen Merkmale festzustellen waren: „Ideologisierung“, „Polarisierung“, „Politisierung“ und die „symbolhafte Einbeziehung von Volksmassen[9] “ wie sie am 30. Januar 1933 zum Beispiel im Fackelzug deutlich geworden wären.

Ganz anders die Verfechter der These einer „Machtübertragung“:

Nicht „durch einen revolutionären Akt, sondern völlig legal, den Bestimmungen der Weimarer Republik entsprechend[10] “, kam Hitler nach Auffassung Heinz Pentzlins „an die Spitze des deutschen Staates[11] “. Eine Sichtweise, die er mit Eberhard Jäckel teilt, laut dem „der 1930 eingeleitete Kurs der monarchistischen Restauration“ in die „Unregierbarkeit des Staates“ geführt hatte, sodass eine solche „Machtübertragung“ möglich wurde[12].

Nach Meinung des Forschers Albrecht Tyrells hatte Hitler die Kanzlerschaft nicht nur nicht „ergriffen“ oder „erobert“, sie war ihm regelrecht „ausgeliefert worden, ohne daß (sic!) das bis in die letzten Tage hinein unabwendbar gewesen wäre.“[13] „Ein umfassender Machteroberungsprozeß“ (sic!), so Tyrell, „begann erst jetzt; er dauerte rund 18 Monate.[14]

All diese Historiker, von Bracher bis Tyrell, so unterschiedlich sie die Vergangenheit bewerten, gehen von denselben Fakten über Hitler und den Nationalsozialismus aus. Ihrer Argumentation liegen dieselben Daten und Kenntnisse zu Grunde. Sie haben sie nur verschieden interpretiert.

Abgesehen von ihrem Disput über den 30. Januar 1933 muss man allerdings sagen, dass die Frage „Machtergreifung“ oder „Machtübertragung“, auch in der Fachliteratur, in nicht unbeträchtlichem Maße gar nicht erst gestellt wird. Die Wahl des Vokabulars, um den

30. Januar zu beschreiben, wird oft nicht begründet, scheint in vielen Fällen sogar beliebig getroffen worden zu sein. Die Notwendigkeit,

„Machtergreifung“ und „Machtübertragung“ voneinander zu unterscheiden, wird in der Literatur nicht gleichermaßen erkannt.

[...]


[1] Vgl. Wippermann, Wolfgang: „Umstrittene Vergangenheit“ Fakten und Kontroversen zum Nationalsozialismus; Berlin 1998; S. 61

[2] Bracher, Karl Dietrich: „Nationalsozialismus, Faschismus, Totalitarismus – Die deutsche Diktatur im Macht- und Ideologiefeld des 20. Jahrhunderts“: in Bracher, Karl Dietrich; Funke, Manfred: „Deutschland 1933-1945 Neue Studien zur nationalsozialistischen Herrschaft“; Bonn 1992; S. 569 und 578

[3] Wippermann, Wolfgang: „Umstrittene Vergangenheit. Fakten und Kontroversen zum Nationalsozialismus“, Berlin 1998, S. 13

[4] Knopp, Guido: „Hitler. Eine Bilanz.“; München 1997; S. 17

[5] epd S. 20

[6] epd

[7] epd S. 17

[8] Zitelmann, Rainer: „Hitler. Selbstverständnis eines Revolutionärs.“ Stuttgart 1989; Seite 31

[9] Möller, Horst: „Die nationalsozialistische Machtergreifung – Konterrevolution oder Revolution?“ in: „Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte“ 1/1983, S. 47

[10] Pentzlin, Heinz: „Wie Hitler an die Macht kam“; München 1983; S. 147

[11] epd

[12] Vgl. Jäckel, Eberhard: „Hitlers Herrschaft“ Stuttgart 1986; S. 36

[13] Tyrell, Albrecht: „Auf dem Weg zur Diktatur: Deutschland 1930 bis 1934“; in: Bracher, Karl Dietrich; Funke, Manfred: „Deutschland 1933-1945 Neue Studien zur nationalsozialistischen Herrschaft“; Bonn 1992; S.15

[14] epd

Ende der Leseprobe aus 16 Seiten

Details

Titel
Machtergreifung oder Machtübertragung? - Eine Kontroverse
Hochschule
Freie Universität Berlin  (FU Berlin)
Note
1,0
Autor
Jahr
2002
Seiten
16
Katalognummer
V47684
ISBN (eBook)
9783638445702
Dateigröße
528 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Die Arbeit beschäftigt sich mit der Frage, ob Adolf Hitler seinerzeit die Macht unrechtmäßig ergriff oder aber rechtmäßig übertragen bekam?
Schlagworte
Machtergreifung, Machtübertragung, Eine, Kontroverse
Arbeit zitieren
Ulrike Kassem (Autor:in), 2002, Machtergreifung oder Machtübertragung? - Eine Kontroverse, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/47684

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Machtergreifung oder Machtübertragung? - Eine Kontroverse



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden