Netzwerklogik und Organisationskommunikation als Steuerungs- und Kontrollinstrument in Organisationen der Kultur- und Kreativindustrie


Akademische Arbeit, 2014

75 Seiten


Leseprobe


1. Einleitung

Die Begriffe „creative industries“, „cultural industries“ oder „Kultur- und Kreativwirtschaft“ sind inzwischen ein fester Bestandteil in der wirtschafts- und der kulturpolitischen Diskussi- on über diesen Sektor. Obwohl die Begriffsbezeichnungen sehr unscharf sind und zudem sowohl in vielen europäischen als auch außereuropäischen Ländern unterschiedlich defi- niert werden, stellen sie im wissenschaftlichen Diskurs einen verbreiteten Terminus zur Be- schreibung jener Märkte dar. Auch in der politischen Diskussion gibt es nach wie vor Unei- nigkeit über eine einheitliche Definition und Richtlinien, die die kreativen Branchen eindeutig definieren und einordnen. Die Definition der Kultur- und Kreativindustrie ist das Subjekt einer intensiven Debatte, vor allem im Bezug auf das von der Europäischen Union vorgegebene Rahmenwerk und die Entwicklung von strategischer Ausdifferenzierungen des Begriffes durch UNESCO, EU, aber auch durch die Bundesregierung seit Mitte der 90er Jahre. Trotz der großen Vielfalt an Definitionen und Debatten um den Begriff gibt es nur wenig theore- tisch fundierte Modelle, um Arbeits- und Projektstrukturen in der Kultur- und Kreativwirt- schaft zu beschreiben (vgl. O’Connor, 2000: 15). Aufgrund ihrer stetigen, vor allem wirt- schaftlichen Bedeutungszunahme, rückt die Kultur- und Kreativindustrie immer weiter in den Mittelpunkt der politischen, aber auch wissenschaftlichen und sozialökonomischen Debatte. In Großbritannien formen die „Creative Industries“ einen der wichtigsten Wirtschaftssektoren (vgl. Robinson, 2007). Seit Ende der 80er Jahre entwickeln sich die kreativen Branchen zu einem der wichtigsten Wirtschaftszweige in Deutschland. Der volkswirtschaftliche Beitrag zur Gesamtleistung in Deutschland betrug im Jahr 2012 rund 63 Milliarden Euro (vgl. Bun- desministerium für Wirtschaft und Energie, 2012). Damit ist die Kultur- und Kreativindustrie vergleichbar mit den wichtigen Industriesektoren wie etwa mit der Automobil-, Maschinen- bau- oder der Finanzdienstleistungsbranche (vgl. ebd.). Die rasante Entwicklung der Krea- tivindustrie ist nicht zuletzt durch die Konvergenz von Computertechnik, Unterhaltung und Telekommunikation bedingt, die undifferenzierbar miteinander verschmelzen. Die Struktur der Kultur- und Kreativindustrie transformiert sich jedoch nicht nur aufgrund von neuen Technologien, sondern auch aufgrund von sozioökonomischen Transformationsprozessen, die nicht nur eine Expansion der Kreativindustrie und Erweiterung der Begriffsdefinition, sondern auch strukturelle Veränderungen der Arbeitsweise und -strukturen mitsichbringen. Die Entwicklung weg vom fordistischen Kapitalismus seit Beginn des 19. Jahrhunderts ist der Ursprung postfordistischer Transformationsphänomene wie Flexibilisierung, der Diffusi- on von Arbeit- und Privatleben sowie die Formation einer Netzwerkgesellschaft, die sich in den Strukturen der künstlerisch-kreativen Arbeit wiederfinden (vgl. Manske/Schnell, 2010; Schimank, 2012, Castells, 2001).

Die Diskussion um eine betriebswirtschaftliche Betrachtungsweise von Kultur bringt stets auch eine negative Konnotation mit sich. Kultur und Wirtschaft stehen in einem Spannungs- verhältnis und Kultur als meritorisches Gut lässt sich nur schwer in monetären Werten be- messen. Das Konstrukt Kreativwirtschaft zu fassen und kulturelle und kreative Dienstleis- tungen zu verorten erzeugt Widersprüchlichkeiten, die bereits in der Einordnung und Be- griffsdefinition beginnen. Kulturelle Güter haben durch ihren meritorischen Charakter einen hohen gewünschten öffentlichen Nutzen und deren Kategorisierung ist das Ergebnis eines breiten öffentlichen und politischen Diskurses (vgl. Klein, 2010). Die Werteinschätzung von kulturellen Gütern und damit auch mit ihren Produzenten schwankt demnach konstant zwi- schen einem ökonomischen, sozialen oder ästhetischen Verständnis von Wert und konstru- iert ein doppeltes Profil: „Esta doble naturaleza –cultural y económica– construye el perfil distintivo de las industrias culturales” (Mateu/Borgoglio/Florido, 2009: 9). Aufgrund jener hybriden und teils fragmentarischen Strukturen ist es schwierig, Steuerungs- und Kontrollin- strumente der Kultur- und Kreativindustrie zu definieren. Diese müssen stets im Prozess gesellschaftlicher, sozialer, ökonomischer und technischer Transformationsprozesse be- trachtet werden. Steuerungsinstrumente sind dabei ein mannigfaltiger Begriff. Verschiedene Instrumente wie etwa eine Balanced Scorecard, Reporting oder Berichtswesen in der be- triebswirtschaftlichen Betrachtung können demnach ein Steuerungsinstrument darstellen. Die vorliegende Arbeit versteht Steuerungsinstrumente als Instrument zur Steuerung von Risikofaktoren, die zu Genüge in der Kreativindustrie vorhanden sind (vgl. Tüllner et. al, 2010: 12). Wie die nachfolgende Analyse zeigen wird, sind fehlende formelle Strukturen und ein hohes Maß an sozialer Interaktion in Netzwerken Faktoren sowohl für den Bedarf von Steuerungs- und Kontrollmechanismen als wesentliche Instrumente zur Durchführung, Mes- sung und Kontrolle von Projekten als auch des Managements von Risiken innerhalb dieser Projekte.

Die vorliegende Arbeit geht der Frage nach, inwiefern Organisationskommunikation und die Bildung von (Projekt)-Netzwerken als Steuerungsinstrumente dienen und inwiefern diese ebenfalls als Kontrollinstrumente betrachtet werden können. Dabei soll die vorliegende Ar- beit zum Verständnis beitragen, wie sich Organisationen der Kultur- und Kreativindustrie aus Netzwerken und Kommunikation konstituieren und wie jene Netzwerklogik und Organisati- onskommunikation als Steuerungs- und Kontrollinstrument zusammenarbeiten bzw. sich gegenseitig ergänzen. Organisationskommunikation wird dabei aus der kommunikationswis- senschaftlich-orientierten CCO-Perspektive1 verstanden, die besagt, dass Organisationen durch „fortwährende Kommunikationsprozesse und –praktiken ins Leben gerufen werden“ (Schoeneborn, 2013: 97). Durch Kommunikation und Sprachgebrauch entsteht eine Konstituierung der Organisation durch eine sprachlich gegebene Wirklichkeit (vgl. ebd.: 98). Durch die Vielzahl der verschiedenen gesellschaftlichen Transformationsprozesse hat das vorlie- gende Thema auch in der sozioökonomischen Betrachtungsweise eine hohe Relevanz. Die Verbindung zwischen Netzwerklogik und Organisationskommunikation in Bezug auf die Kul- tur- und Kreativindustrie zeugt von hoher Relevanz, da zwar in der wissenschaftlichen Dis- kussion ein Vorhandensein beider Faktoren beschrieben, sie jedoch nur für eine weiterfüh- rende wissenschaftliche Debatte bisher nur unzureichend in einen Zusammenhang gesetzt werden.

Um das zu untersuchen, soll zunächst eine theoretische Analyse erfolgen, in der einerseits die Strukturen der Kultur- und Kreativindustrie vorgestellt, andererseits gesellschaftliche Mechanismen und Transformationsprozesse im Hinblick auf die Strukturen, die Arbeitspra- xis und Netzwerklogik der Kreativindustrie erfolgen. Bei dem Entwurf eines theoretischen Rahmens sollen vor allem wissenschaftliche Arbeiten von etwa Söndermann (2006, 2007), Lange (2009, 2011), Lange et. al (2009, 2011) zur deutschsprachigen Diskussion sowie Hartley (2005), Potts (2008) DeFillippi et. al (2007) als Grundlage dienen. Ferner sollen the- oretische Arbeiten von Adorno (1979) die Kreativindustrie als Ergebnis sozioökonomischer Transformationsprozesse und der damit verbundenen kritischen Betrachtungsperspektive der Frankfurter Schule beschreiben. Es besteht dabei der Anspruch, ein im theoretischen Kontext differenziertes Bild über die Kultur- und Kreativindustrie zum weiteren Verständnis der Kontroll- und Steuerungsinstrumente zu entwerfen. Dementsprechend soll in Kapitel 2 eine grundsätzliche Definition des kultur- und kreativwirtschaftlichen sowohl Begriffes aus der deutschsprachigen Debatte (2.1), als auch aus der angelsächsischen Perspektive (2.2) erfolgen. Dabei sollen vor allem verschiedene wissenschaftliche Perspektiven und Ansätze vorgestellt werden, die eine Begriffsdefinition der Kultur- und Kreativindustrie vornehmen (2.1.1). Jene Diskussion unterschiedlicher Definitionsansätze bildet die Grundlage, um die hybriden Beschäftigungsstrukturen und die Arbeitspraxis in Kapitel 2.1.2 zu beschreiben. Erst ein detailliertes Verständnis von der Komplexität des Marktes und der Branche der Kre- ativindustrie macht eine weiterführende Analyse der Beschäftigungs- und Arbeitsstrukturen möglich, die unter dem Einfluss sozioökonomischer Transformationsprozesse stehen, die in Kapitel 2.2.2 beschrieben werden und gleichermaßen auf die deutsche und angelsächsische Begriffsdefinition bezogen werden. In jenem Kapitel soll demnach der Entwicklungsprozess der Kultur- und Kreativindustrie und der wissenschaftliche Diskurs der Opposition von Kunst und Ökonomie thematisiert werden. Ziel dieser Arbeit ist es nicht, den Ökonomisierungsdis- kurs von Kultur zu betrachten, dennoch spielt dieser vor allem um die kulturkritische Per- spektive der Frankfurter Schule eine tragende Rolle, da Kunst und Kultur in der Kategorie des „meritorischen Gutes“, wie bereits weiter oben beschrieben, eingeordnet werden müssen. Eine gesellschaftstheoretische Analyse von Netzwerken und die Bezugnahme von Netzwerkstrukturen auf die Kultur- und Kreativindustrie erfolgt in Kapitel 3 und 3.1 unter Be- zugnahme wissenschaftlicher Arbeiten von Castells (2001, 2005), Powell (1990), McRobbie (2002) sowie Lazzarato (1996). Des Weiteren wird in Kapitel 3.2 die Netzwerklogik der Kul- tur- und Kreativindustrie auf die sozialtheoretische Theorie Bourdieus und sein Konzept von Habitus, Feld und Kapital bezogen, um die Auswirkung sowie die ökonomische Bedeutung von Netzwerken auf die Strukturen der Kreativindustrie weiter theoretisch zu beziehen. In Kapitel 3.3 wird eine Zusammenführung der bereits beschriebenen theoretischen Grundlage erfolgen, um dann anschließend in Kapitel 4 auf den in der Fragestellung bereits eingeleite- ten Aspekt von Organisationskommunikation und Kommunikation als konstituierenden Fak- tor von Organisationen einzugehen. Nachdem Organisationen in Punkt 4.1 als soziales In- teraktionssystem beschrieben werden, soll im Kapitel unter zu Hilfenahme der Theorie der „organizational communication“ Taylors (1993, 2004) untersucht werden, inwiefern sich Or- ganisationen durch Kommunikation und Sprache konstituieren. Abschließend soll die theo- retische Grundlage in Kapitel 5 auf die Ergebnisse von exemplarisch geführten Interviews bezogen und weiter verdeutlicht werden. Aufgrund der eingeschränkten Kapazität der vor- liegenden Abschlussarbeit wurde dementsprechend keine repräsentative Anzahl von Inter- views geführt. Dies soll jedoch auch nicht primär der Anspruch der nachfolgenden Analyse sein. Die exemplarische Untersuchung des empirisch erhobenen Materials soll dementspre- chend die theoretische Grundlage weiter verfestigen und bereits beschriebene Aspekte bei- spielhaft ausführen. Nach einer Erläuterung der Vorgehensweise und Methodenverwendung in Kapitel 5.1 und 5.2 sowie einer Beschreibung des Leitfadens (5.2.1) und der Durchfüh- rung, Bearbeitung und Auswertung des Materials (5.2.2), erfolgt im weiteren Verlauf eine Ergebnisdarstellung und Bezugnahme auf die Kultur- und Kreativindustrie (5.3). Was die exemplarisch geführten Interviews zur Beantwortung der eingangs gestellten Frage beitra- gen, wird in den Kapiteln 5.3.1, 5.3.2 und 5.3.3 thematisiert. Auch hier wird der Fokus auf die Strukturen und Arbeitsabläufe in der Kreativindustrie (5.3.1), die Bildung von Netzwerken als Strukturgeber und Organisations- und Kontrollinstrument (5.3.2) sowie Kommunikation als Bedingung für die Existenz kultureller Organisationen (5.3.3) gelegt. Eine Zusammen- fassung und Bewertung der Ergebnisse und eine kritische Auseinandersetzung mit dem im Vorfeld beschriebenen theoretischen Kontext erfolgt abschließend in Kapitel 6.

2. Definition der Kultur- und Kreativwirtschaft

Um die in der Einleitung umrissene Forschungsfrage und Problematik zu verstehen und eine weitere Analysegrundlage zu schaffen, muss zunächst die Kultur-und Kreativindustrie in Deutschland, aber auch in deren Unterscheidung von den Cultural and Creative Industries in der angelsächsischen Literatur abgegrenzt werden. Da beide, Kultur- und Kreativwirtschaft, und Culture and Creative Industries eine Netzwerklogik im Arbeitsverhalten für sich bean- spruchen, sollen beide beschrieben werden und zweckdienlich für die darauffolgende Ana- lyse und Beschreibung von Netzwerken und Organisationskommunikation sein. Der Ur- sprung der Verwendung des Begriffs liegt in der britischen Literatur Mitte der 1990er Jahre (vgl. Manke/Merkel, 2009: 98, Hesmondhalgh/Pratt 2005; Pratt, 2005) und wurde erstmals in Deutschland aufgrund der Erhebung empirischer Daten der Kultur- und Kreativindustrie auf den kulturellen Sektor übertragen (vgl. Söndermann/Fesel, 2007: 11). In Deutschland erfährt eine einschlägige Definition des Begriffs der Kultur- und Kreativindustrie ab 2000 einen er- heblichen Bedeutungszuwachs (vgl. ebd.). Kultur- und Kreativindustrie umfassen dabei „den erwerbswirtschaftlichen Sektor und damit alle Unternehmen und Selbständigen, die kulturel- le Güter und Dienstleistungen produzieren, vermarkten, verbreiten und damit handeln“ (Lange/von Streit/Hesse, 2009: 1). Infolgedessen unterscheidet sich der Begriff der Kultur- und Kreativindustrie von dem der Creative Industries, da letzterer eine holistischere Per- spektive einnimmt und die Software- und Werbewirtschaft mit in eine Definition einschließt (vgl. ebd.). Zunächst soll der Begriff der Kultur- und Kreativwirtschaft anhand der vorliegen- den Literatur beschrieben und abgegrenzt werden. Hierbei soll in Punkt 2.1.2 ebenfalls auf die wirtschaftliche Entwicklung und der damit einhergehenden ökonomischen Bedeutung in Deutschland eingegangen werden. In Punkt 2.1.3 werden die Beschäftigungsmerkmale der Kultur- und Kreativindustrie beschrieben. Anschließend folgt im nächsten Abschnitt eine Beschreibung der angelsächsischen Perspektive der Cultural and Creative Industries, die sich der deutschen Begriffsdefinition zwar ähneln, jedoch begrifflich, wie bereits weiter oben beschrieben, breiter aufgestellt sind und eine holistischere Branchenperspektive einnehmen. Im Vergleich, ist das deutsche System weitaus paternalistischer, welches für einen beson- deren Schutz der Kultur- und Kreativindustrie als gesellschaftlich affirmative Branche sorgen soll (vgl. Manske/Schnell, 2010). Söndermann (2007) bezeichnet die Creative Industries ferner als ‚„größere Schwester“ der Kulturwirtschaft“ (ebd.: 64) und markiert diese als einen Ausgangspunkt in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung. Dementsprechend soll im letzten Punkt des vorliegenden Kapitels die Entwicklung des politischen Diskurses in Groß- britannien dargestellt werden, da dieser ebenso für die deutsche Begriffsdefinition einen wichtigen Impulsgeber darstellt.

2.1 Die Kultur-und Kreativwirtschaft in Deutschland

Bis heute gibt es im globalen wissenschaftlichen Diskurs und in der kulturpolitischen Dis- kussion keine einschlägige Definition der Kultur- und Kreativwirtschaft und ihrer Branchen und Teilmärkte (vgl. Pratt, 1997:4; Söndermann, 2006; Manske/Merkel, 2009; Lange/Hesse/von Streit, 2009, Lange, 2011). Häufig ist mit dem Versuch der Begriffsdefinition eine analytische Beliebigkeit verbunden, die es erschwert, eine einheitliche Definitions- grundlage für weitere Überlegungen zu finden. Zwar erfährt der Sektor der Kreativwirtschaft durch seine zunehmende wirtschaftliche Stärke eine immer größere Aufmerksamkeit, jedoch wird das teilweise sehr heterogene Erwerbsfeld der Kultur- und Kreativwirtschaft meist zu „einem Sammelsurium, einer amorphen Masse kulturwirtschaftlicher Dienstleistungen ge- bündelt“ (Manske/Merkel, 2009: 101). Auch in der globalen Diskussion werden die Kultur und Kreativwirtschaft als ein Konzept angesehen, das sich in einem stetigen Entwicklungs- prozess befindet und durch wirtschaftliche Faktoren determiniert ist, wie ein Bericht der UN- ESCO zur Kultur- und Kreativindustrie in Buenos Aires, Argentinien zeigt:

„Lo primero que hay que decir es que no existe una única definición de Economía Creativa. Es un concepto en construcción y en permanente debate que se superpo- ne y amplía al de Economía Cultural. (Mateu/Borgoglio/Florido, 2009: 10).

Seit dem Jahr 2008 gibt es für die deutsche Kreativwirtschaft eine einheitliche Definition, nach der sich die Kultur- und Kreativindustrie aus folgenden Bestandteilen zusammensetzt:

„Kultur- und Kreativunternehmen (...) welche überwiegend erwerbswirtschaftlich orientiert sind [befassen] [und] sich mit der Schaffung, Produktion, Verteilung und/oder der medialen Verbreitung von kulturellen/kreativen Gütern und Dienstleistungen [be- fassen]. „(...) Der wirtschaftlich verbindende Kern jeder kultur- und kreativwirtschaftli- chen Aktivitäten ist der schöpferische Akt von künstlerischen, literarischen, kulturel- len, musischen, architektonischen oder kreativen Inhalten, Werken, Produkten, Pro- duktionen und Dienstleistungen.“ (BMWi, 2009: 3).

Im Gegensatz zur vom Bundesministerium verfassten Definition, die sich ausschließlich auf den privatwirtschaftlichen Sektor bezieht, wird in der wissenschaftlichen Diskussion gemein- hin zwischen kulturellem und ökonomischem Wert der Kultur- und Kreativwirtschaft und ihrer Produkte und Dienstleistungen unterschieden (vgl. Pratt, 1997:4).2 Um einen Definitionsan- satz zu finden, um jene Problemstellung konzeptionell diskutieren zu können, sollen an die- ser Stelle unterschiedliche Diskursstränge und Theorieausrichtungen zusammengeführt werden. Im Folgenden werden daher ausgewählte Definitionsansätze von Michael Sönder- mann und Bastian Lange sowie von Söndermann/ Fesel und Lange/ von Streit/ Hesse, vor- gestellt, die einen differenzierteren Blick auf die Kultur- und Kreativindustrie zulassen.3

2.1.1 Wissenschaftliche Perspektiven und Ansätze der Kultur- und Krea- tivwirtschaft in Deutschland

Der Kulturstatistiker Michael Söndermann unterscheidet zwischen Kreativwirtschaft im enge- ren und im weiteren Sinne: „culture in a wide sense“ (Söndermann/Fesel, 2007:16) – die Kulturwirtschaft – bildet den Kern der Kreativwirtschaft. Künstlerische und kulturelle Produk- te verbinden sich anhand von technischen Neuerungen, Innovationen und wissenschaftli- cher Kreativität (vgl. Söndermann, 2007b: 64). Dabei werden „kulturwirtschaftliche Teilbran- chen [werden] durch weitere marktwirtschaftliche Bereiche wie z.B. Werbung, Multimedia, Software- oder Games-Industrien zu einem größeren marktwirtschaftlichen Kreativkomplex zusammengefasst“ (ebd.) 4. Demnach ist die Kulturwirtschaft nach dem Verständnis Söndermanns ein „offenes System“ (ebd.), das sich insbesondere aus Kleinst- und Mikroun- ternehmen und Freiberuflern zusammensetzt. Vor allem technische Neuerungen und neue Kommunikationsmöglichkeiten unterstützen diesen Prozess, der „ (...) von der individuellen künstlerischen Idee und Originärproduktion über die angewandten Künste und dem Kultur- handel mit populärer Kultur bis hin zur massenmedialen Verbreitung von Kulturgütern“ (ebd.) reicht.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1: Kern- und Teilbranchen der Kultur- und Kreativindustrie. Quelle: Söndermann, 2007b: 65, Darstel- lung: eigene Darstellung

Die Kultur- und Kreativindustrie bildet dementsprechend ein Gerüst aus verschiedensten Branchen und Wirtschaftszweigen. Ein weiteres wichtiges Merkmal der Kultur- und Kreativ- industrie, welches sich aus der Definition Söndermanns ergibt, ist, dass sie dementspre- chend als Querschnittsbranche zu verstehen ist, wodurch sie sich grundlegend von anderen homogenen Wirtschaftszweigen, beispielsweise der Automobilindustrie oder dem Handels- sektor, unterscheiden. Wie das obige Zitat Söndermanns und Abbildung 1 zeigen, ist das kulturelle Segment ein Konglomerat unterschiedlichster Wirtschaftszweige aus dem Dienstleistungs- und Handelssektor und eng mit der IT- und Medienbranche verknüpft (vgl. Söndermann, 2007b: 64). Die Anerkennung des kulturellen Sektors ist nicht zuletzt auch durch dessen größere wirtschaftlichere Bedeutung stark gewachsen. Wie die Zahlen in der Einleitung der vorliegenden Arbeit verdeutlichen, haben sich die Kultur- und Kreativindustrie zu einem etablierten industriellen Sektor entwickelt, der eine bedeutende ökonomische Ni- sche besetzt. Beispielsweise Kulturvereine, Galerien oder auch Agenturen mit Kultur- schwerpunkt erfahren eine größere Anerkennung als wirtschaftlicher und kultureller Mittel- punkt der Gesellschaft (vgl. Söndermann/Fesel, 2007: 13). Einher geht dieser Trend mit der zunehmenden Technisierung der Kommunikationswege, der die Bildung von fragmentierten und tendenziell regional aufgestellten Kleinst- und Mikrounternehmen weiter unterstützt, wie Söndermann/Fesel weiter verdeutlichen: „(.) the creative industries are a strongly ‚frag- mented industry’ which is mainly active in national or regional markets (.)“ (ebd.: 23). Diese „fragmented industry“ wird durch Söndermann in drei verschiedene Ebenen aufgeschlüsselt. Zur ersten Schicht gehören die Mikrounternehmen und Einmannbetriebe. Die zweite Schicht besteht aus klein- und mittelständischen Unternehmen, „medium sized enterprises“ (ebd.: 24, 2007a: 10), die eine wirtschaftliche und wertschöpfende Basis bilden. Die dritte Schicht bilden die „majors“ (ebd.), die sich anhand globaler Geschäfts- und Servicestrategien klar von den mikro- und mittelständischen Unternehmen in Größe, Struktur und Marktanteil un- terscheiden. Angesiedelt sind jene Kleinst-, Mittel- und Großunternehmen im marktwirt- schaftlichen bzw. privaten Bereich des Kultursektors, da sie in einem Beziehungsgeflecht zu anderen Teilsektoren und Funktionsfeldern des Kultur- und Kreativsektors stehen und eine wirtschaftliche bzw. profitorientierte Ausrichtung haben (vgl. Söndermann, 2007a: 7).

Modellhaft kann jene Verbindung durch das aus dem ersten Schweizer Kulturwirtschaftsbe- richt stammende „Drei-Sektoren-Modell“ verdeutlicht werden, dessen Unterscheidung nach einem dreiteiligen Strukturmodell in öffentlichen, intermediären und privaten Sektor nahezu allumfassend auf die Kultur- und Kreativindustrie Europas übertragen werden kann; wobei die übrigen Teilsektoren des öffentlichen und intermediären Bereiches Non-Profit und bil- dungspolitische Aktivitäten umfassen, die kein primär wirtschafts- und profitorientiertes Ziel verfolgen.5

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 2.: Die drei Teilbereiche der Kultur- und Kreativindustrie. Quelle: Söndermann, 2007: 7, zitiert nach: Erster Kulturwirtschaftsbericht Schweiz, 2003, Züricher Hochschule der Künste. Darstellung: eigene Darstellung.

Neben einer fragmentierten und offenen Struktur, stetig wachsender wirtschaftlicher Bedeu- tung und der Zusammensetzung aus einem Konglomerat verschiedenster Wirtschaftszweige identifizieren Söndermann und Fesel weitere strukturelle Merkmale. Der Markt der Kultur- und Kreativwirtschaft ist vor allem durch eine Vielzahl an kulturellen Akteuren geprägt, die in verschiedenen Marktsegmenten angesiedelt sind und auf dem Beschaffungs- sowie auf dem Absatzmarkt6 agieren (ebd.: 24).

Aufgrund der Komplexität des Marktes ist es lediglich möglich, einen nur sehr unzureichen- den Überblick über Angebot und Nachfrage zu gewinnen. Keiner der Markakteure besitzt aufgrund jener fragmentarisch angelegten Struktur eine preisbestimmende Marktmacht. Daher stellt es eine große organisatorische und finanzielle Aufwendung dar, den Markt und alle relevanten Marktteilnehmer zu überblicken (vgl. ebd.). Des Weiteren ist die Kultur- und Kreativindustrie geprägt durch ein ubiquitäres finanzielles Risiko (vgl. ebd.: 25, vgl. hier auch von Streit, 2009: 18). Kulturelle Betriebe wie etwa Museen und Theater stehen meist zwi- schen kulturellem Bildungsauftrag und einer konsequenten Besucherorientierung. Doch ebenfalls global agierende „Majors“ der Kultur- und Kreativindustrie sind größtenteils hohen und risikobehafteten Investitionen bei extrem variierenden Marktchancen ausgesetzt wie etwa in der Film- und Musikbranche (vgl. Söndermann/Fesel, 2007: 25).

Lange/von Streit und Hesse (2009) und Lange/Kalandides/ Stöber und Wellmann (2009) knüpfen an dem Verständnis Söndermanns an, verfolgen jedoch eine intrinsische Perspekti- ve der Kultur- und Kreativindustrie, bei der vor allem die Perspektive auf innere Strukturen und Prozesse zur Betrachtung und Definition dienen. Für Lange/Kalandides/Stöber und Wellmann (2009) muss der Begriff der Kultur- und Kreativwirtschaft neu bewertet werden, da die Kultur- und Kreativindustrie nicht nur als eine kreativ bewertete Ökonomien definiert werden kann, sondern ebenfalls das grundsätzliche Verhältnis zwischen Kultur und Ökono- mie in der heutigen Gesellschaft definiert (ebd.: 19). Der kulturelle Markt ist gekennzeichnet durch eine stete Weiterentwicklung, neue Arbeits- und Markformen entwickeln sich anhand sich ständig verändernden Strukturen und wechselnder Akteure (vgl. ebd.). Kreativität spielt in der Begriffsdefinition eine tragende Rolle. Sie äußert sich in verschiedenen Sphären der kulturellen Produktion, ist an verschiedenen Schnittstellen der Kultur- und Kreativindustrie situiert und definiert sich ferner über soziale Interaktion in Netzwerken (vgl. Potts et. al., 2011:3). Lange/ von Streit und Hesse (2009) legen die Produktion von künstlerischen, kultu- rellen oder literarischen Inhalten als den „verbindenden Kern jeder kultur- und kreativwirt- schaftlichen Aktivität“ (Lange/von Streit/Hesse, 2009: 2) fest. Kreativität wird damit zum Ur- sprung und schöpferischen Kern von Produktion in der Kultur- und Kreativindustrie. Die Kul- tur- und Kreativwirtschaft wird begrifflich stärker eingegrenzt, da beispielsweise Film- und Musikwirtschaft nicht primär zum produzierenden Kern der Kulturwirtschaft gehören, jedoch unter dem Begriff der Kreativwirtschaft als „Branchenkomplex“ (ebd.) zusammengefasst werden können. Im Gegensatz zu Söndermann, der beispielsweise die Werbe- und Soft- wareindustrie zwar nicht in den Kern- jedoch in den weiteren Bereich mit aufnimmt, zählen Lange, von Streit und Hesse Bereiche, diejenigen Branchen, die keinen „ästhetischen Kern“ (ebd.) produzieren als nicht-zugehörig zur Kultur- und Kreativindustrie. Kreativität und Äs- thetik bilden demnach den definitorischen Kern der Begriffsbestimmung. Zwischen „pri- mären“ Kulturberufen, die sich vorrangig mit der künstlerischen Produktion befassen und „sekundären“ Kulturberufen, die sich stärker mit ökonomisch-kulturellen Tätigkeiten befas- sen, unterscheidet auch Betzelt (2006). Deutlich wird an dieser Stelle die Hybridität von Kul- tur und Ökonomie, jedoch gleichermaßen der Konflikt, der bei dem Versuch einer stringen- ten Abgrenzung sichtbar wird (vgl. Betzelt, 2006: 34).

Anne von Streit konsolidiert jene Begriffsdefinition weiter, jedoch aus einer von Außen be- trachtenden Perspektive, die sich mit der breiter gefassten Begriffsdefinition Söndermanns überschneidet. Weitere Kennzeichen der Kulturbranche sind demnach eine „kurze Halb- wertszeit von marktrelevantem Wissen, ein hoher Innovationsdruck“ und ein „geringer Insti- tutionalisierungsgrad“ (von Streit, 2009: 22). Den kulturellen Markt weiter betrachtend, be- schreibt Lange (2009) diesen eingebettet in eine „ressortübergreifende Struktur“ (ebd.: 52), die sich mit dem Begriff der Querschnittsbranche Söndermanns deckt und eine „grundsätz- lich veränderte Gestaltung von Arbeit sowie Arbeitsprozessen, Produkten und Werken“ (ebd.) verlangt. Die eigentlichen Gegenpole Kultur und Ökonomie führen nach Lange zu einer grundsätzlichen Neuordnung des kulturellen Marktes, der sich jedoch durch das Vor- handensein von Kreativität und kreativen Prozessen durch „geringe raum-zeitliche Stabilität sowie Regeln“ (ebd., vgl. hier auch McRobbie, 2009) auszeichnet, die in „clubähnlichen Gemeinschaften“ (ebd.) und „Netzwerkökonomien“7 (Kocyba/Voswinkel, 2008: 42) ausge- handelt werden. Durch jene besonderen Strukturen agieren Akteure der Kultur- und Krea- tivwirtschaft in einem sehr „informellen Innovationsfeld“ (Lange, 2009: 53). Dieses Innovati- onsumfeld ist durch lokale und regionale Milieus gekennzeichnet, jedoch andererseits orts- ungebundener und international vernetzter als dies in anderen Wirtschaftsbereichen der Fall ist (vgl. ebd.: 54). Die Kultur- und Kreativwirtschaft ist damit eine durch informelle Strukturen geprägte, vielschichtige Branche, die in den verschiedensten Ebenen der kulturellen Pro- duktion aktiv ist und einen Markt für die Produktion und das Angebot symbolischer Güter bietet. Jene instabile und ressortübergreifende Strukturen fordern eine hohe Transformati- onsbereitschaft, Kooperationen, Projektorientierung und hybride und gut vernetzte Arbeits- und Projektstrukturen (vgl. ebd. 57, vgl. hier auch Kovacs/Mustered, 2009).

2.1.2 Beschäftigungsstrukturen und Arbeitspraxis (in) der Kultur- und Kreativindustrie

„Creative Industries are often based on ‘communities of practice’ [Lave 1991], i.e. groups or networks of professionals who cooperate, exchange views and ideas, and inform each other about trends of professional, political, and practical concern.” (Lange, 2011: 198)

Das einführende Zitat zeigt, dass die Kultur- und Kreativindustrie ein Konglomerat verschie- denster „Arbeitsgemeinschaften“ darstellt, die durch Interaktion ein Branchensegment bil- den. Die Beschäftigungsstrukturen der Kultur- und Kreativindustrie resultieren folglich aus jener in dem vorliegenden Zitat und in Kapitel 2.1.1 bereits genannten strukturellen Merkma- le. Ein weiterer Motor der Produktion zur Schaffung kultureller Produkte ist die Kreativität. Sie bildet den Antrieb für den Innovationsprozess und den Antrieb der kulturellen und öko- nomischen Entwicklung und stellt die Quelle der eigentlichen Wertgenerierung dar (vgl. Potts et al. 2011: 5). Kreativität ist nach Lange (2009) als eine „spontane, individuell ausge- richtete Handlung zu betrachten, die Innovationen produziert“, jedoch „nicht kontrollieren und demzufolge auch nicht strategisch in Wert setzen lässt“ (ebd.: 10). Nach jener ökonomi- schen Betrachtungsweise von Kreativität ist es offensichtlich, dass diese nicht nur in der Kultur- und Kreativindustrie eine wichtige Ressource für die Produktion von Gütern bildet, sondern auch maßgeblich an verschiedenen Innovationsprozessen in anderen Branchen beteiligt ist. Amabile (1996) beschreibt Kreativität „produced by individuals and teams of individuals“ als „primary source for innovation within the organisation“ (ebd.: 8). Jedoch formt Kreativität in der kulturellen Produktion vornehmlich immaterieller Güter und Dienst- leistungen und somit den Grundstein für jegliche weitere Entwicklung. Bilton und Leary (2002) definieren Kreativität auch als „ ‚symbolic goods’ (ideas, experiences, images) where value is primarily dependent upon the play of symbolic meanings“ (ebd.: 50). An dieser Stel- le wird die tragende Rolle von Kreativität sowie die Immaterialität von kulturellen Gütern und Dienstleistungen als symbolische Güter deutlich, zu deren Endergebnis ebenfalls der Kon- sument im erheblichen Ausmaß beiträgt. Gerade unabhängige Künstler spielen eine wichti- ge Rolle als Innovatoren und Multiplikatoren in jenem kreativen Fertigungsprozess und im kreativen Markt (vgl. ebd., vgl. hier auch Lange 2011, Lange et. al. 2009, McRobbie, 2009).

Ein weiteres wichtiges Merkmal der Arbeitspraxis der Kultur- und Kreativindustrie bilden jene Künstler und Akteure, die symbolische und immaterielle Güter produzieren (vgl. Lange et. al, 2009: 22). Die projektorientierte und von kreativen Prozessen durchdrungene Arbeitsweise fordert ein hohes Maß an sozialer Verbindlichkeit und der Netzwerkinteraktion. Es herrscht eine starke soziale Einbindung in jene Netzwerke. Anhand dieser Beschäftigungsstrukturen hat sich ein neuer Unternehmertypus gebildet, der mit jenen instabilen Strukturen und sym- bolischer Güterproduktion umzugehen weiß und verschiedenste Formen von Kapital in sich vereint (vgl. hier Bourdieu, 1983). Kulturschaffende sind keine klassischen Künstler mehr, sondern „selbstständige Kulturdienstleister“ (Betzelt, 2006). Lange (2007) führt den Begriff eines sich neu gebildeten unternehmerischen Akteurs, des „Cultureentrepreneurs“ ein. Erstmals wurde jeder Personentyp, der in kommunikativen Sub-Systemen und flexiblen Netzwerken agiert, von Davies und Ford beschrieben (vgl, Lange, 2011: 198 nach Da- vies/Ford, 1998). Der Cultureentrepreneur verbindet kulturelle, ökonomische und innovative Komponenten und Ansprüche, die der neu formierte kulturelle Markt an das Individuum stellt. Ähnliche Beobachtungen des „kulturellen Unternehmers“ beschreibt ebenfalls McRobbie (2002), nachdem Cultureentrepreneurs: „have to do the work of the structures by themselves, they have to create their own structures and one model which is readily availa- ble in a post-industrial economy is that of the artist, writer or the creative individual” (ebd.). Jene „Schnittstellenakteure“, wie sie Lange (2011, 2009) auch definiert, üben ihre meist kleinteilige und individuelle Produktion „in flexiblen Projektnetzen“ aus und „operieren in Übergangsbereichen zwischen Dienstleistungserbringung und Kunstproduktion und müssen nicht zuletzt aufgrund der Prekarität ihrer Lebenslagen immer wieder innovative Lösungen generieren, um als junge Mikrounternehmer Sichtbarkeit und Aufmerksamkeit in Marktkon- texten auf sich zu ziehen“ (Lange/von Streit/Hesse, 2009:9). Kunst- und Kulturschaffende sind – um das vorliegende Zitat weiter auszuführen – eingebunden in eine sich stetig wan- delnde Marktsituation, vor dessen Hintergrund ein konstanter Entscheidungs- und Bewer- tungsprozess verläuft, der innovative Lösungsansätze fordert und so jene „cultural econo- my“ (DeFillipi/Grabher/Jones, 2007: 513, vgl. 513 f.) formt. Mit der neuen definitorischen Grundlage des Cultureentrepreneurs etabliert sich eine neue Form des Selbstmanagements mit einem Anspruch an Werte wie Selbstverwirklichung, Individualität und Autonomie (vgl. Lange, 2009: 9).

Die Grenze zwischen Kulturberufen, die sich vordergründig mit freier künstlerischer Produk- tion befassen und andererseits marktbezogenen Tätigkeiten, verschwimmen. Es formiert sich eine klare Divergenz zwischen traditionellen Kulturinstitutionen und dem kulturschaf- fenden Individuum, das seine Tätigkeiten im Markt anders etablieren muss. Der Wandel der Beschäftigungsstrukturen und Arbeitspraxis artikuliert dementsprechend neue Erwartungs- haltungen an das Individuum, das sich an schnell ändernde Projektstrukturen und an einen hohen Innovationsdruck durch Flexibilität, Transformationsbereitschaft und ökonomische Nischenbesetzung anpassen muss (vgl. Lange/Kalandides/Stöber/Wellmann, 2009: 20ff). Bei dieser instabilen und sich schnell transformierenden Arbeitspraxis spielen Netzwerke eine fundamentale Rolle. Netzwerke sollen im folgenden Kapitel der vorliegenden Arbeit aufgrund ihrer Bedeutung für die tägliche Arbeitspraxis und als Strukturgeber und Kontrol- linstrument ausführlich in Bezug auf die Kultur- und Kreativindustrie beschrieben werden.

Aufgrund komplexer und vager Organisationsstrukturen und eines schwer einsehbaren Marktes, lassen sich kreative Prozesse und –Kontexte kaum oder nur sehr schwer bewerten und messen (vgl. Lange 2009, Lange/Kalandides/Stöber/Wellmann 2009, von Streit/Lange 2013, Musterd/Kovacs 2013). Marktteilnehmer der Kultur- und Kreativindustrie beharren auf Autonomie und Selbstbestimmung auf der einen, bilden jedoch ebenfalls den Teil eines mo- saikartig angelegten Netzwerkes, das sich zu einem großen Branchensegment zusammen- setzt. Eine Evaluation erfolgt nicht anhand valider und transparenter Mess- und Kontrollin- strumente, sondern ist auf spezifische, sozial-fundierte Kontrollmechanismen angewiesen, die sich in kommunikativen Netzwerken wiederfinden. Kooiman (1993) liefert an dieser Stel- le den gewinnbringenden Ansatz der Governance 8 um den veränderten Führungsanspruch aufgrund gesellschaftlicher Veränderungen zu beschreiben und betrachtet „governance as societal, with public as well as private ‚governors’ participating“ (Kooiman, 2003: 231). Governance ermöglicht dementsprechend die Analyse verschiedener Wechselbeziehungen in einem komplexen Handlungs- und Kommunikationsfeld (siehe hierzu auch Lange, 2011: 16). Erweitert wird dieser Begriff durch Lange (2009, 2011, 2013), der den durch Kooiman initiierten Unterbegriff der „Self-Governance“ auf die Strukturen der Kultur – und Kreativwirt- schaft bezieht:

„The concept of governance (.) refers to forms of management or practices that are non-hierarchical, decentralised and organised within networks of different actors (.) networks are of special importance in the creative industries because ideas, proto- types, initial and unfinished products are first of all negotiated among friends and col- leagues” (Lange, 2013: 301).

An dieser Stelle findet sich erneut die Netzwerklogik der Organisations- und Arbeitsform der Kultur- und Kreativindustrie wieder. Dabei indiziert Self-Governance eine Unterform des Begriffes der Governance, die eine Selbstorganisation oder von Individuen ohne das Ein- greifen von gesellschaftlichen oder staatlichen Regulationsmechanismen beschreibt (vgl. ebd.). Self-Governance beschreibt demnach die Relevanz von Netzwerken als Kontroll- und Führungssystem. Eine ausführlichere Analyse des Zusammenhanges erfolgt in Kapitel drei. Jedoch soll bereits an dieser Stelle jene Korrelation eingeführt und kurz skizziert werden.

2.2 Cultural and Creative Industries

Nach einer umfassenden Analyse des deutschen Diskurses wird nun dieser die angelsäch- sische Perspektive gegenübergestellt werden, um ein umfassendes Bild der Kultur-und Kre- ativindustrie für die nachfolgende Analyse abbilden zu können. Wie bereits im ersten Teil des vorliegenden Kapitels, soll der Begriff der Cultural and Creative Industries definitorisch eingeordnet und anschließend zur deutschen Begriffsdefinition abgegrenzt werden. Im An- schluss wird erörtert, inwiefern sich die Cultural and Creative Industries sowie die Kultur- und Kreativindustrie aufgrund neuer technischer Möglichkeiten und strukturellem gesell- schaftlichem Wandel verändert haben. Hierbei sollen vor allem Konzepte von Hartley (2005), Haseman (2005), Potts (2008), Townley/Beech/McKinlay (2009) und DeFillip- pi/Grabher/Jones (2007) angewendet werden.

2.2.1 Wissenschaftliche Perspektiven und Ansätze der Kultur- und Krea- tivwirtschaft aus angelsächsischer Perspektive

„The idea of the CREATIVE INDUSTRIES seeks to describe the conceptual and practical convergence of the CREATIVE ARTS (individual talent) with Cultural Indus- tries (mass scale), in the context of NEW MEDIA TECHNOLOGY (ICT’s) within a new KNOWLEDGE ECONOMY, for the use of newly INTERACTIVE CITICEN- CONSUMERS” (Hartley, 2005: 5).

Das Zitat Hartleys beschreibt die divergierende Sichtweise der angelsächsischen Begriffsde- finition. Neue Medientechnologien sind gepaart mit einer wissens- und informationsverarbei- tenden Ökonomie, die mit einem interaktiven Konsumenten – der allenfalls sogar durch neue digitale Kommunikationswege selbst Inhalte bestimmen kann – interagiert. An dieser Stelle wird die breitere Aufstellung und Sicht der Cultural and Creative Industries hin zu ei- ner „cultural ecology“ (Haseman, 2005: 158, siehe auch DeFilippi/Grabher/Jones, 2007) deutlich. Das individuelle und künstlerische Genie ist zugunsten eines produzierenden Ge- werbes gewichen, das global-verfügbare, mediale Inhalte innerhalb einer ökonomisch orien- tierten Infrastruktur für den Konsumenten produziert (vgl. ebd.: 159). Potts et. al (2008) be- trachten die Cultural und Creative Industries als ein marktbasiertes, ökonomisches System, das sich durch den wachsenden Dienstleistungssektor immer weiter entwickelt und in die- sen inkorporiert (vgl. ebd.: 167). Die Cultural und Creative Industries werden, anders als in der deutschsprachigen Diskussion, mit verschiedenen Sektoren auf eine Stufe gestellt. Der Begriff der Ökonomie stellt somit kein diffundierendes Element in der Begriffsdefinition dar, sondern wird zum elementaren und zu Grunde liegenden Bestandteil, auf das andere Merkmale aufbauen: „(...) the economic system has become considerably more complex and service-oriented and creative industries have risen and developed into this space (.) CIs are better defined as the set of economic activities in which production and consumption outcomes are predominantly determined by market-like processes” (ebd.: 168, 182). Das vorliegende Zitat bestätigt die veränderte Sichtweise: nicht, schon vorhandene wirtschaftli- che Bereiche diffundieren in die Bereiche der Cultural and Creative Industries, sondern jene diffundieren aufgrund struktureller Veränderungen in ein bereits existierendes wirtschaftli- ches System und füllen sich neu entwickelnde Bereiche aus. O’Connor (2000) als auch Potts et. al (2008) und Hartley (2008) setzen die Cultural and Creative Industries sogar auf- grund ihres Innovationspotenzials als Antriebsmotor für die ökonomische und soziokulturelle Entwicklung der Gesellschaft (vgl. O’Connor, 2000: 20; Potts et. al, 2008: 182, Hartley, 2008: 9). Eine Trennung zwischen ökonomischer und ideell-traditioneller Sichtweise – wie etwa Söndermann, der zwar die Kultur- und Kreativindustrie in eine Kernindustrie, sprich traditionelle Segmente wie Theater oder Museen, einteilt und IT- und Medienunternehmen hinzufügt, jedoch in einem weiter gefassten Kontext jene als Definitionszugehörig beschreibt (vgl. Söndermann, 2007) erfolgt in jener Perspektive nicht. Hartley beschreibt die Cultural and Creative Industries als eine Erweiterung des Fundaments von wirtschaftlich agierenden Unternehmen und Konzernen und bezeichnet diesen Prozess als eine Ausbreitung der öko- nomischen Möglichkeiten. Eine Mischform neuer Strukturen bildet sich, auf der einen Seite stehen Mikrounternehmen, auf der anderen einige der größten Unternehmen weltweit wie die BBC, Time Warner, in Deutschland etwa Axel Springer oder Bertelsmann9 (vgl. Hartley, 2008: 3).

Die Netzwerklogik, die bereits bei der Begriffsdefinition der Kultur- und Kreativindustrie ele- mentar zum Tragen kommt, wird auch in der angelsächsischen Literatur in ein ökonomisch- agierendes Netzwerksystem eingebettet, die Potts et. al als „economics of networks“ (ebd, 2008: 171) bezeichnen. Netzwerke beeinflussen, steuern und bedingen die kulturwirtschaft- liche Tätigkeit, vermitteln monetäre Werte kultureller Produkte und sind durch die einzelnen Akteure des Marktes auch als Distributionsorgan aktiv. Dabei besteht eine hohe Beteiligung von staatlicher und wissenschaftlicher Seite als Teil jenes Netzwerkes. Im Gegensatz zur deutschen Perspektive wird die Perspektive des Cultureentrepreneurs konsumentenorien- tiert betrachtet. An dieser Stelle ist ebenfalls ein Perspektivwechsel hin zum kulturellen Pro- duzenten einerseits und Konsumenten andererseits erkennbar, auf dessen Konsumhand- lung die Produktion kultureller Güter basiert (vgl. Hartley, 2005: 23). DeFilippi, Grabher und Jones (2007) betrachten die Struktur der Cultural and Creative Industries aufgrund deren Netzwerklogik als projektbasiert in temporär angelegten Arbeitsstrukturen (vgl. ebd.: 514). Erst ein professionelles Netzwerk und eine stabile soziale Infrastruktur ermöglicht jene Ar- beit in temporären Projektstrukturen. Der Antagonismus zwischen einer ökonomischen Per- spektive und künstlerisch-kreativen Perspektive wird an dieser Stelle deutlich. Wie bereits in Kapitel 2.1.1 erläutert, ist Kreativität maßgeblich für Innovationen verantwortlich, kann sich jedoch meist erst in diversen Projektstrukturen und Netzwerken entwickeln. Kreativität wird zu einer Ware, die gegen ökonomisches Kapital eintauschbar gemacht werden muss. Die angelsächsische Diskussion erkennt Reibungspunkte, an denen künstlerische Kreativität und ökonomische Strukturen aufeinandertreffen. Aufgrund der Diversität des Feldes fehlt es jedoch an einer klaren definitorischen Eingrenzung. DeFillippi, Grabher und Jones bezeich- nen dieses auch als „Paradoxes of Creativity“, da jene Paradoxien eine besondere Heraus- forderung an die Kontrolle und Organisation von Kreativität in kulturellen Institutionen stellen (vgl. ebd.: 514). Dementsprechend stellen die Cultural and Creative Industries einen ande- ren Führungsanspruch: „For many, because of the nature of their product, the creative industries raise a different order of managerial and organizational challenges” (Town- ley/Beech/McKinlay, 2009: 940).

[...]


1 „communication constitutes organization“ (vgl. Schoeneborn, 2013: 98).

2 Ziel dieser Arbeit ist es nicht, den Ökonomisierungsdiskurs von Kultur zu betrachten, jedoch spielt dieser vor allem um die kulturkritische Perspektive der Frankfurter Schule eine tragende Rolle, da Kunst und Kultur in der Kategorie des „meritorischen Gutes“, wie bereits weiter oben beschrieben, eingeordnet werden müssen.

3 Auf einen ausführlicheren Theorienvergleich soll an dieser Stelle Aufgrund des Umfangs verzichtet werden, da in der vorliegenden Arbeit vor allem der Anspruch besteht, ein differenziertes Bild über die Kultur- und Kreativin- dustrie zum weiteren Verständnis der Kontroll- und Steuerungsinstrumente zu entwerfen.

4 siehe hierzu ebenfalls Abb. 1.

5 Siehe hierzu Abb. 2.

6 Jeder wirtschaftlich agierende Betrieb ist eingebettet in ein System von Märkten auf denen er sich in verschie- denen Rollen bewegt. Auf dem Beschaffungsmarkt agiert er in der Rolle als „Nachfrager von Arbeitsmitteln, Betriebsmitteln und Werkstoffen“ (Wöhe/Döring, 2010: 381). Dementsprechend betätigt sich der Betrieb auf dem Absatzmarkt als Anbieter von Gütern und vor allem in der Kultur- und Kreativwirtschaft, Dienstleistungen (vgl. ebd.).

7 Der Begriff des Netzwerkes und eine definitorische Grundlage sollen in Kapitel 3 gegeben werden. An dieser Stelle soll er jedoch vorweg im beschreibenden Kontext der Strukturen der Kultur- und Kreativindustrie ange- wandt werden. Netzwerkökonomie kann allgemein gefasst als ein Strukturmerkmal des Postfordismus betrachtet werden. Der Begriff des Netzwerkes geht einher mit verschiedenen Formen der Kooperation und Koordination zwischen Markt und Hierarchie- und Marktbeziehungen bei informellen und von wenig Stabilität geprägten Hand- lungsspielräumen (vgl. Kocyba/Voswinkel, 2008: 45).

8 Der Begriff Governance beschreibt nicht nur die Koordination von Handlungen und des Führens, sondern auch welche unterschiedlichen Formen diesem Handeln im situativen Kontext entspringen und welche Mechanismen auf diese einwirken. Kooiman (2003) führt hierbei verschiedene „Modes of Governance“ ein, die Self- Governance, Go-Governance und die Hierarchische Governance. In der vorliegenden Arbeit soll lediglich die Self-Governance betrachtet und näher im Hinblick auf die Netzwerkstruktur analysiert werden. Eine weitergehende Analyse, die alle drei Formen mit einschließt ist auf die Kultur- und Kreativindustrie anwendbar, soll aber aus Kapazitätsgründen nicht näher erläutert werden. Jenes weitere Potenzial zur Analyse wird ebenfalls im Fazit nochmals aufgegriffen und diskutiert.

9 siehe hierzu Bericht des Institutes für Medien- und Kommunikationspolitik: „Ranking – Die zehn größten deut- schen Medienkonzerne 2013. Verfügbar unter: http://www.mediadb.eu/rankings/deutsche-medienkonzerne- 2013.html. Zuletzt abgerufen am 30.01.2014.

Ende der Leseprobe aus 75 Seiten

Details

Titel
Netzwerklogik und Organisationskommunikation als Steuerungs- und Kontrollinstrument in Organisationen der Kultur- und Kreativindustrie
Autor
Jahr
2014
Seiten
75
Katalognummer
V475198
ISBN (eBook)
9783668959224
ISBN (Buch)
9783668959231
Sprache
Deutsch
Schlagworte
netzwerklogik, organisationskommunikation, steuerungs-, kontrollinstrument, organisationen, kultur-, kreativindustrie
Arbeit zitieren
Juliane Fricke (Autor:in), 2014, Netzwerklogik und Organisationskommunikation als Steuerungs- und Kontrollinstrument in Organisationen der Kultur- und Kreativindustrie, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/475198

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Netzwerklogik und Organisationskommunikation als Steuerungs- und Kontrollinstrument in Organisationen der Kultur- und Kreativindustrie



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden