Muckraking. Aufstieg, Niedergang und Ursachen


Seminararbeit, 2004

18 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Der Beginn der Muckraking-Ära
2.1 Ökonomische und technische Voraussetzungen
2.2 Geistesgeschichtliche Voraussetzungen

3. Fallbeispiele
3.1 Ida Tarbell über die Standard Oil Company
3.2 Upton Sinclair über Meatpacking
3.3 Will Irwin über die „American Newspaper“
3.4 Übergreifende Merkmale der Muckraking Fälle

4. Politische Konsequenzen
4.1 Änderungen nach den Muckraking-Fällen
4.2 Funktion des Muckraking bei den Gesetzesänderungen

5. Niedergang des Muckraking
5.1 Die wirtschaftlichen Bedingungen
5.2 Die politischen Bedingungen

6. Langfristige Folgen

7. Fazit

8. Literatur

1. Einleitung

Als Muckraking-Ära oder auch „golden period of public service journalism“[1] wird in den USA die Zeit 1902 und etwa 1912 bezeichnet. Noch heute heißt dort der investigative Journalismus „Muckraking“. Aber warum wird dieser Abschnitt der US-amerikanischen Geschichte so bezeichnet? Welche Auswirkungen hat diese Zeit auf die Gegenwart?

Im Folgenden werden Aufstieg und Niedergang, sowie Ursachen des Muckraking untersucht. Drei bekannte Muckraking-Fälle aus unterschiedlichen Phasen und Bereichen werden exemplarisch vorgestellt und ausgewertet. Andere bekannte Fälle werden bewusst außen vor gelassen[2]. Danach soll die Frage nach den längerfristigen Folgen des Muckraking beantwortet werden. Zum Schluss der Untersuchung wird ein kurzer Vergleich des Muckrakings mit dem Journalismus der Gegenwart erfolgen. Ziel der Untersuchung ist es, einen in sich geschlossenen Überblick über das Phänomen Muckraking zu bieten. Die Untersuchung beschäftigt sich ausschließlich mit den Verhältnissen in den Vereinigten Staaten von Amerika.

Die Literatur über Muckraking ist genauso zahlreich wie unübersichtlich. Die meisten Werke beschäftigen sich mit Muckraking eher als einem Phänomen des Progressive Movement. Dementsprechend schwierig ist die Recherche in vielen Werken, die sich nur knapp mit dem Spezialthema Muckraking auseinandersetzen. Eine gute und relativ knappe Abhandlung findet sich bei Margaret Blanchard[3]. Einen komprimierten aber äußerst informativen Überblick bieten Cook et al[4]. Zwei ältere Werke von Richard Hofstadter stellen Muckraking im Zusammenhang mit dem Progressive Movement dar[5]. Louis Filler ist einer der Spezialisten für Muckraking und Progressivism[6] Als neustes verwendetes Werk ist noch das von Robert Miraldi zu nennen, der am Leben des Muckrakers Charles Edward Russels die Geschichte des Muckrakings umfangreich erklärt[7].

2. Der Beginn der Muckraking-Ära

Die große Zeit des Muckraking in den USA begann Anfang des 20. Jahrhunderts. Damals wurde auch der zunächst abwertend gebrauchte Begriff geprägt. Im Englischen bedeutet „ to rake the muck“ soviel wie „im Mist stochern“. Präsident Theodore Roosevelt (1858-1919) sprach in einer Rede in Anspielung auf den Roman “Pilgrim's Progress” vom Enthüllungsjournalisten als: “the man who could look no way but downward with the muck-rake in his hands; who would neither look up nor regard the crown he was offered, but continued to rake to himself the filth on the floor.”[8] Anlass für diese zornige Äußerung war die von David Graham Phillips 1906 veröffentlichte Artikelserie „The Treason in the Senate“, in der der Journalist Republikanern und Demokraten vorwarf, allein den Interessen der Reichen zu dienen. In diesem Artikel wurden 17 Senatoren angegriffen, für Geld verschiedene Großunternehmen bevorzugt zu haben[9]. Roosevelt konnte mit seiner diffamierenden Äußerung den Aufschwung des investigativen Journalismus’ nicht aufhalten. Im Gegenteil: Er stachelte die die Muckraker mit dieser Kampfansage nur noch an[10]. Der Begriff „Muckraking“ bürgerte sich in der Folgezeit ein, verlor seine negative Konnotation und ist noch heute gebräuchlich. Das US-amerikanische Center for Investigative Reporting hat beispielsweise seine Zeitschrift „Muckraker“ genannt[11]. Das kann als Beweis dafür gelten, dass heute die Bezeichnung „Muckraker“ ein Ehrentitel ist. Synonym wird für Muckraking auch der positiver klingende Begriff: „public service journalism“ gebraucht.

Verschiedene zusammenlaufende Entwicklungen ermöglichten das Aufkommen des Muckraking als kraftvoller und folgenreicher Bewegung. Diese Ursachen lassen sich in zwei Gruppen aufteilen. Zum einen bereiteten ökonomische und technische Veränderungen dem Muckraking das Feld, zum andern bildete eine Veränderung der geistigen Grundhaltung vieler Amerikaner die Basis, auf der diese neue Form des Journalismus gedeihen und zur Blüte kommen konnte[12].

2.1 Ökonomische und technische Voraussetzungen

Die Veränderungen, die der Muckraking-Zeit auf dem Zeitungs- und Zeitschriftenmarkt zwischen 1870 und 1900 vorausgingen, waren eine wesentliche Voraussetzung für eine Verbreitung des investigativen Journalismus’. Starkes Wachstum, eine prosperierende Wirtschaft und technischer Fortschritt in der der Druck- und Logistikbranche bereiteten dem Bedeutungsgewinn der Zeitungen und Zeitschriften den Weg.

Die Reichweite der Tageszeitungen stieg von 6,5 auf 19,8 Prozent der US-amerikanischen Bevölkerung[13]. Der kräftige Anstieg der verkauften Auflage bei vielen Magazinen ermöglichte die Finanzierung aufwendiger Recherchetätigkeiten vom Muckrakern. Die Inhalte der Zeitungen und Zeitschriften änderten sich in dieser Zeit bedingt durch ein sich wandelndes Interesse der Leser erheblich. Die Ansprüche und Erwartungen der Leser änderten sich, weil breite Schichten der Bevölkerung zu Lesern geworden waren. Zunehmend waren die Zeitungskunden aus der Mittelschicht an so genannten hard news statt soft news interessiert, also an der Vermittlung von Zahlen, Daten und Fakten. Diese hard news sollten sie mit Informationen versorgen, die für das Leben wichtig waren. Zuvor hatten eher feuilletonistische Inhalte im Vordergrund gestanden, die nur eine kleine besonders interessierte Oberschicht erreicht hatten. Die weniger kunst- und kultursinnige Masse der Leser war stattdessen eher an praktischen Informationen interessiert. So rückten prosaische Tatsachenberichte ins Zentrum der Betrachtungen und lösten den vormals literarischem Schreibstil ab – die Grundlage für den Murckraking-Journalismus.

Die Anzahl der Zeitungstitel stieg bis 1916 auf einen absoluten Höchststand, der bis heute infolge der Medienkonzentration nicht mehr erreicht wurde. 2461 verschiedene Tageszeitungen gab es in den USA auf dem Höhepunkt der publizistischen Vielfalt. Die Entwicklung dorthin hatte bereits Ende des 19. Jahrhunderts eingesetzt. Im gleichen Zeitraum stieg die Anzahl der Zeitschriften von 1200 auf 5500[14]. In 20 Millionen Haushalten wurden Zeitschriften gelesen, bei einer Bevölkerung von etwa 90 Millionen eine stattliche Zahl[15].

Die verbesserte Drucktechnik ermöglichte die billigere Produktion der Druckwerke, die damit für die Mehrheit der Menschen bezahlbar wurden. Die Verbreitung der überregionalen Zeitungen und Zeitschriften wurde durch einfachere und billigere Logistik im verbesserten Postsystem ermöglicht. Auch hierdurch sanken die Kosten für die Druckschriften erheblich.

Die zunehmende Konkurrenz zwischen Zeitungsketten, bedingt durch die hohe Zahl an publizistischen Einheiten, verstärkte die Absicht, die Leser mit exklusiven Geschichten zu locken[16]. Aufsehen erregende Muckraking-Stories, über mehrere Ausgaben verteilt, waren so ein gutes Werbemittel, um die verkaufte Auflage zu steigern. Damit begann auch ein Werben der Zeitungsverlage um die erfolgreichen und zum Teil amerikaweit bekannten Vertreter des Muckrakings. Unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten blieb Muckraking aber ein Risikogeschäft, denn oftmals entpuppte sich erst nach aufwändiger Recherche ein Thema als nicht skandalträchtig genug, um darüber zu schreiben.

2.2 Geistesgeschichtliche Voraussetzungen

Das Progressive Movement in den Vereinigten Staaten zwischen etwa 1900 und 1917 ging Hand in Hand mit der Muckraking-Ära. Dabei handelte es sich um eine politisch-soziale Reformbewegung mit dem Ziel, die amerikanischen Traditionen an die moderne Industriegesellschaft anzupassen. Der Kampf gegen korrupte Verflechtungen von politischer, wirtschaftlicher und sozialer Macht bildete den Kern des politischen Programms. Die Gedanken der Bewegung wurden von den Muckrakern journalistisch bearbeitet und durch publizistische Kampagnen in die Öffentlichkeit getragen.

Die Bereitschaft zum Protest gegen die herrschenden Bedingungen in den USA hatte sich in den Jahrzehnten zuvor langsam aufgebaut und brach mit dem Progressive Movement los. Weite Teile der Mittelschicht hatten sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts geistig von der Staatsführung entfernt und vielfach auch tatsächlich an Einfluss auf die Regierungen auf lokaler und nationaler Ebene verloren. Viele US-Amerikaner der Mittelschicht stellten einen ernst zu nehmenden Einfluss der Reichen auf die Regierung und das Wirtschaftssystem fest. „It was the story of ‛the people’ being overwhelmed by ‛the interests’[17]. Zugleich sorgte eine starke Einwanderung in den Städten für eine Verdrängung der bisher einflussreichen Mittelschicht. Hinzu kam ab 1897 eine steigende Inflation, die die Angst und Verärgerung der Mittelschicht mit ihren Bürojobs und kleinen Unternehmen hervorrief. Cook et al. fassen diese Entwicklung zutreffend zusammen: „Squeezed from the top and bottom, white collar workers, professionals, and small business people sought expression for their discontent.”[18]

[...]


[1] MacDougall, Reporting, S. 227.

[2] Zu nennen wären hier als weitere Beispiele die Artikelserie in der „Cosmopolitan“ über die wettbewerbshinderlichen Praktiken der International Harvester Company (1905), „World’s Work“ Berichte über Korruption in der Versicherungsbranche (1905/6) oder der von „Hamptons’s“ aufgedeckte Skandal über die Versuche von General Electric, die Wasserkraft zu monopolisieren (1909).

[3] Vgl. Blanchard, Sparks.

[4] Vgl. Cook, Journalism.

[5] Vgl. Hofstadter, Reform und Hofstadter, Movement,

[6] Exemplarisch sei ein Werk von ihm genannt: vgl. Filler, Muckraking.

[7] Vgl. Miraldi, Pen.

[8] Vgl. http://www.theodoreroosevelt.org/TR%20Web%20Book/TR_CD_to_HTML394.html (31.5.2004)

[9] Vgl. Miraldi, Pen, S. 137.

[10] Vgl. Blanchard, Sparks, S. 58.

[11] Vgl. Redelfs, Recherche, 232.

[12] Besonders gut arbeiten Cook et. al. diese Ursachen heraus: vgl. Cook, Journalism, S. 35-36.

[13] Vgl. McClung Lee, Newspaper, S. 718-23.

[14] Vgl. Cook, Journalism, S. 36.

[15] Vgl. Regier, Era, S. 57.

[16] Vgl. Cook, Journalism, S. 35.

[17] Miraldi, Pen, S. 108.

[18] Cook, Journalism, S. 35.

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Muckraking. Aufstieg, Niedergang und Ursachen
Hochschule
Johannes Gutenberg-Universität Mainz  (Institut für Publizistik)
Veranstaltung
Pressefreiheit im internationalen Vergleich
Note
1,0
Autor
Jahr
2004
Seiten
18
Katalognummer
V47324
ISBN (eBook)
9783638442954
Dateigröße
495 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Die Hausarbeit ist nach der Korrektur des Dozenten nachbearbeitet worden, Rechtschreibfehler sind getilgt. "Eine hervorragende Arbeit! Die Darstellung zur Ära des "Muckraking"-Journalismus in der amerikanischen Geschichte ist gut strukturiert und kenntnisreich." (Korrektor der Hausarbeit)
Schlagworte
Muckraking, Pressefreiheit, Vergleich
Arbeit zitieren
Philipp Heinz (Autor:in), 2004, Muckraking. Aufstieg, Niedergang und Ursachen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/47324

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Muckraking. Aufstieg, Niedergang und Ursachen



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden