Die Reinmar-Walther-Fehde - Zwei minnetheoretische Konzepte in diskursiver Auseinandersetzung


Hausarbeit, 2005

21 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt

1 Ein Wort zum Beginn
1.1 Wissenschaftlicher Disput und Untersuchungsintention
1.2 Die intertextuelle Rekurrenz – Reziproke Verweisung als Funktion der Minne

2 Der dichtungstheoretische Diskurs
2.1 Das Maß der dichterischen Auseinandersetzung mit dem Dichtungsgegenstand
2.2 Die Dichtungsthemata im Minnesang
2.3 Das Verhältnis zwischen Dichter und Dichtungsgegenstand

3. Fazit

4. Literaturverzeichnis

1 Ein Wort zum Beginn

1.1 Wissenschaftlicher Disput und Untersuchungsintention

Ältere Literaturwissenschaftler wie Karl Lachmann, Konrad Burdach oder Carl von Kraus - um nur einige zu nennen - etablierten die philologische Anschauung, am Hof der Babenberger in Wien spielte sich um 1200 eine so genannte Fehde zwischen dem Hofsänger Reinmar und dem vornehmlich reisenden Dichter Walther von der Vogelweide ab.

Zwei von Hause aus grundverschiedene Dichternaturen treten am Wiener Hofe in nächste Berührung. Reinmar geniesst bereits als der Aeltere eine angesehene Stellung daselbst, sein Dichterruhm ist gefestigt, als Walther den höfischen Sang eben erst beginnt. […] Und nichts ist natürlicher, als dass diese Abhängigkeit bei der grundverschiedenen Beanlagung Beider keine dauernde sein konnte, dass Walther die Fesseln der Nachahmung bald abwerfen muste und selbstsgewählte, selbstgeschaffende Bahnen betrat.[1]

Diese den unterschiedlichen Sangvorstellungen beider geschuldete Fehde soll letztlich zu Gunsten des dort etablierten Sängers Reinmar entschieden und mit Walthers Weggang aus Wien komplettiert worden sein.

Die neuere Forschung jedoch distanziert sich von der Konstatierung einer historischen Realität dieses ‚Wiener-Disputes’ zwischen Walther und Reinmar, ja schilt die Fehde an vielen Stellen sogar als philologisch inszeniert.[2] Nicht die jedoch Frage nach der faktisch-historischen Existenz dieser Fehde, sondern vielmehr die Frage nach den offensichtlich differierenden Auffassungen von Minne und Minnesang beider Dichter soll Gegenstand meiner Untersuchung sein. Zu diesem Zwecke werde ich historisch dekontextualisierend beiden Minnesängern eine Vorstellung von einem ‚idealtypischen Gattungskonzept Minnesang’ unterstellen und die für die von der älteren Forschung wohl selbst fingierten ‚Dichter-Fehde’ relevanten Lieder - nicht zuletzt wegen oft eindeutiger intertextueller Verweisungszusammenhänge – zu parallelisieren versuchen. Stark idealisierend also und von einem dichtungstheoretischen Diskurs über Minne und Minnesang zwischen Reinmar und Walther ausgehend sollen vornehmlich die intertextuell reziprok rekurrierenden Lieder beider unter der Fragestellung: ‚Inwiefern lassen sich Differenzen oder Kongruenzen in den idealtypischen Minnekonzepten ausmachen?’, untersucht werden. Ich werde meinen Darstellungen die von Friedrich Maurer konstituierte Walther-Edition[3] zugrunde legen, auch wenn diese die textlichen Divergenzen der verschiedenen Textzeugen - zumindest Walther betreffend - zur Veranschaulichung der Fehde ad libitum zu instrumentalisieren scheint. Diese Vereinfachung - also die Favorisierung einer Art ex post erstellten Leithandschrift und die Ausblendung der textlichen Abweichungen unter den verschiedenen Textzeugen - nehme ich vor, da die von Maurer determinierte Leithandschrift ein meinen Untersuchungsintentionen überaus adäquates Fundament bietet.

1.2 Die intertextuelle Rekurrenz – Reziproke Verweisung als Funktion der Minne

Die möglicherweise zu Unrecht von älteren Philologen wie Karl Lachmann oder später Konrad Burdach stilisierte oder fingierte Fehde zwischen Reinmar und Walther basiert – und dies scheint unbestreitbar – auf konkreten Verweisungszusammenhängen zwischen einzelnen Liedern Reinmars und Walthers.

So scheint der Bezug Walthers Lied Gegenmatt[4] auf Reinmars Lieder Der Ostertag und Matt „[…] über jeden Zweifel erhaben […]“[5]:

Selbst extreme Gegner der These, es habe eine echte ’Fehde’ zwischen Walther und Reinmar gegeben[…], räumen ein , daß Walthers Ein Mann verbuitet ein spil ane pfliht sich nur in Relationierung zur Lyrik Reinmars adäquat beschreiben lässt.[6]

Ähnlich verhält es sich mit Reinmars Preislied und Walthers Preislied:

Ein eindeutiger Bezug zwischen MF 165,10 und L 56,14 manifestiert sich in dem Motiv der niuwen maere, das in beiden Liedern den Auftakt bildet.[7]

Und schließlich ist noch die unumstittene intertextuelle Rekurrenz Walthers Drohung auf Reinmars Stirbet si, so bin ich tot zu nennen. Folgende adversative Gegenüberstellung exemplifiziert die wechselseitige Verweisung:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Auch wenn man nicht „[…] den germanistischen Klischee-Vorstellungen eines sich in Wien abspielenden, zeitlich und programmatisch fixierten Ereignisses […]“[10] folgen mag - dass Walther und Reinmar zumindest einige Lieder voneinander kannten und davon ausgehend auf diese gegenseitig Bezug nahmen, kann nicht geleugnet werden. Somit ist gesichert, dass einerseits eine Art dichterischer Dialog zwischen beiden Sängern stattfand und dass andererseits die dichtungstheoretische Funktion der Intertextualität im Minnesang von beiden durchaus gebilligt wurde. Meine Idealisierung, Walther und Reinmar im dichtungstheoretischen Diskurs zu betrachten, ist so abwegig also nicht.

2 Der dichtungstheoretische Diskurs

2.1 Das Maß der dichterischen Auseinandersetzung mit dem Dichtungsgegenstand

Ein man verbiutet ane pfliht

Ein spil, des im doch nieman wol gefolgen mac[11]

Redet Walther in seinem Lied Gegenmatt von einem „spil“, so kann nur ein konzipiertes und festgesetzten oder festzusetzenden Normen unterworfenes System gemeint sein. Doch von welchem „spil“ ist die Rede?

Der Bezug von Walthers Gegenmatt auf Reinmars Matt und Der Ostertag ist offensichtlich. Reinmar, der seinen Dichtungsgegenstand - eine fingierte oder eventuell gar historisch greifbar Dame - als „osterliche[n] tac“[12] tituliert, wird von Walther für diese hyperbolisierende Stilisierung aus der Perspektive des Gegenspielers mit den Worten „bezzer waere miner frowen senfter gruoz […]“[13] gescholten. Der Anlass Walthers intertextueller Bezugnahme[14] ist offensichtlich dichtungstheoretischer Natur. Walther klagt Reinmar „[…] der grundsätzlichen Maßlosigkeit als Minnesänger an […]“[15]. Das „spil“ das Reinmar zu „verbiute[n]“ droht, enttarnt sich als System Minnesang, welches Gesetzmäßigkeiten unterliegt oder zumindest unterliegen soll.[16]

[...]


[1] Konrad Burdach: Reinmar der Alte und Walther von der Vogelweide. Zweite berichtigte Auflage mit ergänzenden Aufsätzen über die altdeutsche Lyrik. Halle: Niemeyer 1928. S. 10-11.

[2] Vgl. Ricarda Bauschke: Spiegelungen der sog. Reinmar-Walther “Fehde“ in der Würzburger Handschrift E. In: Würzburg, der Große Löwenhof und die deutsche Literatur des Spätmittelalters. Hrsg. von Horst Brunner. Wiesbaden: Reichert 2004 (= Imagines medii aevi 17). S. 227-250. Vgl. auch Günther Schweikle: Die Fehde zwischen Walther von der Vogelweide und Reinmar dem Alten. Ein Beispiel germanistischer Legendenbildung. In ders.: Minnesang in neuer Sicht. Stuttgart: Metzler 1994. S. 364-389.

[3] Vgl. Friedrich Maurer: Die Lieder Walthers von der Vogelweide. 2. Bändchen: Die Liebeslieder. Tübingen: Niemeyer 1969. Auch Reinmar soll aus dieser Edition zitiert werden. F. Maurer folgt dabei – ohne editorischen Zusatz – der Ausgabe von M. F. von 1940 (Des Minnesangs Frühling. Nach Karl Lachmann, Moriz Haupt und Friedrich Vogt. Neu bearb. von Carl von Kraus. Leipzig: Hirzel 1940.). Walther und Reinmar sollen im Folgenden nach den Liednummern bei Maurer zitiert werden. Die Liednummern Reinmars Lieder folgen dabei der Zählung von Carl von Kraus. (Vgl. Die Lieder Reinmars des Alten lll. Hrsg. von Carl von Kraus. München 1919.) Zusätzlich werden Stropen- und Zeilenangaben gesetzt. Bsp.: Reinmar: 13. 1. 1-7. (= M. F. 170. 1-7) oder Walther: 38. 1. 1-9. (= L. 111. 23-31).

[4] Ich verwende zur Bezugnahme auf Lieder Walthers oder Reinmars die von Friedrich Maurer – durchaus plausiblen und thematisch signifikanten – Titelzugaben. Vgl. Friedrich Maurer: Die Lieder Walthers von der Vogelweide. 2. Bändchen: Die Liebeslieder. Tübingen: 1969 Niemeyer.

[5] Sabine Obermaier: Von Nachtigallen und Handwerkern. “Dichtung über Dichtung“ in Minnesang und Sangspruchdichtung. Tübingen: Niemeyer 1995. S. 78.

[6] Ricarda Bauschke: Die ’Reinmar-Lieder’ Walthers von Vogelweide. Literarische Kommunikation als Form der Selbstinszenierung. Heidelberg: 1999 (= GRM-Beiheft 15). S.73.

[7] Obermaier 1995: S 80.

[8] Reinmar: 24. 3. 8. (S. 85)

[9] Walther: 60. 4. 6. (S. 86)

[10] Schweikle 1994: S. 387.

[11] Walther: 38. 1. 1-2. (S. 49)

[12] Reinmar: 13. 3. 5. (S. 47)

[13] Walther: 38. 1. 8. (S. 49)

[14] Die Bezugnahme wird durch Walthers indirektes Zitat „si si sin osterlicher tac.“ (Walther: 38. 1. 4.) deutlich.

[15] Bauschke 1999: S 67.

[16] Natürlich ist die Rekurrenz des Spieles auf die Mattsetzung von Reinmar (Vgl. Reinmar: 14. 1. 9.) offensichtlich; ich erachte allerdings das Spiel als das Spiel des Minnesangs selbst (Vgl. auch Bauschke 1999.: S. 66.).

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
Die Reinmar-Walther-Fehde - Zwei minnetheoretische Konzepte in diskursiver Auseinandersetzung
Hochschule
Friedrich-Schiller-Universität Jena  (Institut für germanistische Literaturwissenschaft)
Veranstaltung
Die Reinmar-Walther-Fehde
Note
1,0
Autor
Jahr
2005
Seiten
21
Katalognummer
V47295
ISBN (eBook)
9783638442725
ISBN (Buch)
9783638791311
Dateigröße
519 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Reinmar-Walther-Fehde, Zwei, Konzepte, Auseinandersetzung, Reinmar-Walther-Fehde
Arbeit zitieren
Michael Steinmetz (Autor:in), 2005, Die Reinmar-Walther-Fehde - Zwei minnetheoretische Konzepte in diskursiver Auseinandersetzung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/47295

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