Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Beteiligung deutscher Soldaten am NATO AWACS-Einsatz in der Türkei


Seminararbeit, 2005

25 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Hintergrund und Verfahren

3. Das Urteil

4. Wesentliche Entscheidungsgründe zum AWACS-Beschluss
4.1. Das Somalia-Urteil als Rechtsgrundlage
4.2. Der Parlamentsvorbehalt im Lichte des Grundgesetzes
4.3 Der verfassungsrichterliche Bezug zum AWACS-Einsatz in der Türkei

5. Der Einsatz bewaffneter Streitkräfte im Rahmen des Parlamentsvorbehalts
5.1. Die Abgrenzung von unbewaffneten und bewaffneten Einsätzen
5.1.1. Die Dimension unbewaffneter Einsätze und der Parlamentsvorbehalt
5.1.2. Die Dimension bewaffneter Einsätze und der Parlamentsvorbehalt
5.2. Die verfassungsrichterliche Kriegsabgrenzung zum AWACS-Einsatz

6. Inhalt des AWACS-Überwachungsauftrages und seine Abgrenzung zu den anderen Kriegsparteien
6.1. Der AWACS-Auftrag im parlamentarischen Konfliktfeld

7. Schlusswort

8. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

In vielen Teilen der Welt befinden sich derzeit deutsche Soldaten im Einsatz. Ob in Afghanistan als Sicherheitskräfte in Kabul und Kunduz oder am Horn von Afrika als Überwacher der Seewege im Rahmen des „Kampfes gegen den Terror“, oder als Schutztruppen auf dem Balkan in Bosnien-Herzegowina und im Kosovo. Die Bundeswehr ist weltweit aktiv geworden. Mit dem sogenannten Somalia-Urteil, auch bekannt als „Out of area-Urteil“ vom 12. Juli 1994, hat das Bundesverfassungsgericht der deutschen Politik damit einen weiten verfassungsrechtlichen Rahmen für den Einsatz deutscher Soldaten über die Landes- und Bündnisverteidigung hinaus eröffnet. So war auch nach dem Grundgesetz der Weg frei für eine Vielfalt unterschiedlicher Einsätze der Bundeswehr in den Systemen kollektiver Sicherheit. Dennoch ließ dieses Urteil auch weiter Fragen offen, die die Kompetenzen und Befugnisse von Parlament und Regierung bei der Zustimmung zur Entsendung von deutschen Soldaten in Einsätze regelt. Über ein Jahrzehnt war in der Frage von Auslandseinsätzen der Bundeswehr und dem Zusammenwirken von Bundestag und Bundesregierung in dieser Thematik die Meinung der Bundesverfassungsrichter der einzige Entscheidungsmaßstab.

Auch das in dieser Arbeit zu behandelnde verfassungsrichterliche AWACS-Urteil vom 25. März 2003 änderte neben einer Verfeinerung des Richterspruches von 1994 wenig an den bisher ungeklärten Fragen, war dieses Urteil doch in erster Linie von der außen- und sicherheitspolitischen Krise im Zuge des Irak-Krieges geprägt. In einem Eilverfahren entschieden die Karlsruher Verfassungsrichter für die Bundesregierung, deutsche Soldaten zu einem luftgestützten NATO-Überwachungseinsatz in die Türkei zu entsenden, ohne eine vorherige Zustimmung des Deutschen Bundestages einzuholen. Diese Arbeit setzt sich mit der jüngsten AWACS-Entscheidung auseinander und arbeitet die Hintergründe und Rechtsfragen dieser Urteilsentscheidung heraus. Ferner bezieht sich die Themenstellung der Arbeit im Lichte eines Parlamentsvorbehaltes auf die verschiedenen Einsatzarten der Bundeswehr und eine Abgrenzung zu möglichen Kriegskriterien anhand des AWACS-Einsatzes in der Türkei am Rande des Irak-Krieges. Abschließend findet, bevor die gesamte Thematik auch unter kurzer Berücksichtigung des neuen Parlamentsbeteiligungsgesetzes bewertet wird, eine Überprüfung des eigentlichen AWACS-Auftrages statt, ob dieser im Hinblick des Einsatzes deutscher Soldaten tatsächlich einer Beteiligung des Parlaments bedurft hätte.

2. Hintergrund und Verfahren

Trotz einer eindeutiger Position der Bundesrepublik Deutschland gegen den von den Vereinigten Staaten von Amerika und Großbritannien geführten Irak-Krieg, musste sich auch das Bundesverfassungsgericht mit der Thematik des Irak-Krieges auseinandersetzen. Hintergrund war eine Entscheidung des NATO-Verteidigungsausschusses vom 19. Februar 2003 zugunsten der Türkei.[1] Die türkische Regierung bat darum, unter Anwendung des Artikels 4, NATO-Vertrag, eine militärische Unterstützung gegen einen eventuellen Angriff seitens des Iraks im Zuge des bevorstehenden zweiten Golfkrieges zu erhalten. Die gewährte Unterstützung der NATO umfasste im folgenden auch mehrere AWACS[2] -Aufklärungsflugzeuge, deren Besatzungen sich zum Teil aus Angehörigen der Bundeswehr zusammensetzen. Damit spitzte sich nicht nur ein Streit innerhalb der NATO, sondern auch in Deutschland zu. Die rot-grüne Bundesregierung hatte bereits vor dem Irak-Krieg eine umfangreiche militärische Unterstützung der Türkei mit der Begründung einer möglichen Vorbereitung eines Angriffes auf das Staatsgebiet des Iraks abgelehnt , bewilligte aber eine Unterstützungsleistung im Rahmen eines AWACS-Einsatzes auf Grundlage der Anordnung des NATO-Verteidigungsausschusses. Infolge dieser Kabinettsentscheidung hielt die Bundesregierung im weiteren politischen Prozess eine Zustimmung des Deutschen Bundestages für nicht mehr erforderlich. Sie sah den Auftrag der AWACS-Flugzeuge als rein defensiv an, und war der Ansicht, dass es sich bei der Luftraumüberwachung des türkischen Hoheitsgebietes um reine Routineflüge handele[3]. Insbesondere leisteten die AWACS-Flugzeuge keinerlei Unterstützung für Einsätze im oder gegen den Irak. Aufgrund dessen entstand ein Streit unter den Fraktionen des Deutschen Bundestages, ob für solche Einsätze eine konstitutive Zustimmung des Parlaments erforderlich sei. Unmittelbar nach Ausbruch des Irak-Krieges versuchte die FDP-Bundestagsfraktion mit einem Entschließungsantrag die Bundesregierung aufzufordern, die parlamentarische Zustimmung für einen solchen Einsatz der Bundeswehr einzuholen.

Die Liberalen argumentierten unter Berufung auf das Somalia-Urteil[4] des Bundesverfassungsgerichts von 1994 damit, dass grundsätzlich in diesem Fall eine Zustimmung des Parlaments erforderlich sei. Sie waren der Meinung, dass es sich bei diesem Einsatz nicht mehr um eine militärischen Routine in Friedenszeiten handelte, sondern dieser eine konkrete militärische Maßnahme im Zusammenhang mit einem bewaffneten Konflikt darstellte. Infolge der parlamentarischen Ablehnung des Antrages, beantragte die FDP-Fraktion im Zuge der einstweiligen Anordnung nach § 32 Abs. 1 BVerfGG, das Bundesverfassungsgericht, die Bundesregierung zur Einholung einer Zustimmung für den AWACS-Einsatz zu verpflichten.

Mit Beschluss des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgericht wurde am 25. März 2003 der Antrag auf eine einstweilige Anordnung gegen die Bundesregierung durch die FDP-Fraktion abgelehnt[5]. In den Medien wurde am folgenden Tag von einer weisen Entscheidung der Verfassungsrichter gesprochen, um Deutschland vor außenpolitischem Schaden zu bewahren[6], indem sie der Regierung weiter eine freie Hand gegeben haben, allein über den Einsatz deutscher Soldaten in NATO-AWACS-Flugzeugen im türkischen Grenzgebiet zum Irak zu entscheiden.

Damit hat das Bundesverfassungsgericht zwar zum damaligen Zeitpunkt die außenpolitische Handlungsfähigkeit der Bundesregierung weitestgehend unterstrichen, aber mit seinem Urteil weiter für verfassungsrechtliche Unklarheit gesorgt. So wurde seit dem Somalia-Urteil von 1994 eine genaue Definition von einsatzspezifischen Fragen und genauen Rechten und Beteiligungsfragen des Deutschen Bundestages weiter offen gelassen[7].

3. Das Urteil

Wie bereits erwähnt, lehnte der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts den Antrag der FDP-Bundestagsfraktion auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen die Bundesregierung ab. Dabei legte das Bundesverfassungsgericht bei der Prüfung der Voraussetzungen im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes, der der FDP-Fraktion nach ihrem bisherigen politischen Weg im Parlament zustand, grundsätzlich einen strengen Maßstab an. Im Falle dieser Prüfung verschärften sich in der Urteilsfindung diese Anforderungen erheblich, da im Rahmen des AWACS-Einsatzes über eine Maßnahme entschieden wurde, die eine signifikante außenpolitische Auswirkung in sich birgte.

In der Urteilsbegründung hieß es, dass bei den Teilen des in die Türkei verlegten NATO-AWACS-Verbandes, an dem deutsche Soldaten in größerer Zahl beteiligt waren, es bei der damals gegenwärtigen geopolitischen Lage nicht auszuschließen war, dass es sich dabei um einen Einsatz handelte, dem der Bundestag hätte zustimmen müssen[8]

Ferner verwiesen die Verfassungsrichter auf ein bis heute noch nicht anhängiges Hauptsacheverfahren. Darin sollte geklärt werden, inwieweit der konstitutive Parlamentsvorbehalt im Wehrverfassungsrecht noch ausreichend sei und nicht eher einer genaueren Anpassung der politischen Realitäten bedürfe. Konkret führte das Gericht dabei aus: „Unter den heutigen politischen Bedingungen, in denen Kriege nicht mehr förmlich erklärt werden, steht eine sukzessive Verstrickung in bewaffnete Auseinandersetzungen dem offiziellen Kriegseintritt gleich. Deshalb unterliege grundsätzlich jeder Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte der konstitutiven parlamentarischen Mitwirkung.“[9] Im Hinblick auf den konkreten Einsatz sah es das Bundesverfassungsgericht unter Berücksichtigung des Somalia-Urteils weiter als klärungsbedürftig an, wann „ein Einsatz bewaffneter Streitkräfte“[10] anzunehmen sei, insbesondere wann deutsche Soldaten "in bewaffnete Unternehmungen einbezogen"[11] sind und damit selber zu einer kriegsführenden Partei werden[12]

Spezifisch wurde so die Frage eingeschlossen, inwieweit der Einsatz in integrierten NATO-Verbänden zu einem den Parlamentsvorbehalt auslösenden bewaffneten Einsatz wird, wenn diese Verbände den Luftraum eines Bündnismitglieds überwachen, dessen Staatsgebiet unmittelbar an einen kriegsbefangenen Territorium angrenzt oder wenn sich die Überwachung darüber hinaus auf das Territorium eines an dem bewaffneten Konflikt beteiligten Staates erstreckt.[13] Im Zuge der tatsächlichen Entwicklung der geopolitischen Lage ließ sich auch nach dem Ermessen der Bundesregierung und dem damaligen Erkenntnisstand des Gerichts eine unmittelbare Einbeziehung in Kampfhandlungen nicht beweisen, womit eine offensichtliche Begründung des Antrages der FDP-Fraktion nicht gegeben war.

Die die Entscheidung tragenden Erwägungen finden sich weiter in der Folgenabwägung. Hier verwies das Bundesverfassungsgericht zunächst auf das hohe Gewicht des konstitutiven Parlamentsvorbehalts, in dem die hohe Bedeutung der Bundeswehr als „Parlamentsheer“ zum tragen kommt und so bewaffnete Missionen ohne Zustimmung des Parlaments tief in die Rechte des selbigen eingreifen.[14]

Dieser Tatsache gegenübergestellt, sah das Gericht die hohe außenpolitische Verantwortung der Bundesregierung mit ihrem Kernbereich eigener Entscheidungsfreiheit.[15] Weiter konkretisiert wurde, soweit ein Parlamentsvorbehalt nicht eingreife, stünde allein der Bundesregierung die außenpolitische Entscheidung zu, in welchem Umfang die Bundesrepublik Deutschland sich an der Ausführung des Beschlusses des Verteidigungsplanungsausschusses der NATO vom 19. Februar 2003 beteilige. Falls sich die Regierung um eine de facto nicht erforderliche Zustimmung des Bundestages bemühen müsste oder zur Vermeidung einer Zustimmung die deutschen AWACS-Besatzungsmitglieder aus den Flugzeugen abberufen müsste, stelle dies wiederum einen eklatanten Eingriff in die außen- und sicherheitspolitische Verantwortung der Exekutiven dar.[16]

Diese Ausführung macht deutlich, dass die Bundesregierung in der Situation einer außenpolitischen Zuspitzung nur zwei Möglichkeiten hatte. Einerseits wäre sie gezwungen gewesen, eine mit großen Aufwand verbundene zeitkritische politische parlamentarische Zustimmung zu erwirken. Oder aber andererseits wäre die Regierung bündnispolitische Risiken eingegangen, die durch den Abzug deutscher Soldaten aus dem AWACS-Verband einhergegangen wären und dessen Funktionsfähigkeit beeinträchtigt hätten.[17]

Die Verfassungsrichter konnten so die für den Erlass der einstweiligen Anordnung notwendigen Überwiegungen der Rechte des Bundestages nicht feststellen. Damit stärkten sie abschließend die Stellung der Bundesregierung in einer zentralen Begründung. Sie haben ihr zugestanden, dass die ungeschmälerte außenpolitische Handlungsfähigkeit der Bundesregierung auch im gesamtstaatlichen Interesse an der außen- und sicherheitspolitischen Verlässlichkeit Deutschlands bei der Abwägung ein besonderes Gewicht hat.[18]

[...]


[1] NATO Update: NATO deploy defensive assistance to Turkey”,vom 19. Februar 2003, http://www.nato.int/docu/update/2003/02-february/e0219a.htm (zuletzt besucht am 12.6.2005).

[2] Unter dem Begriff AWACS versteht man das Airborne Early Warning and Control System. Im einzelnen verbirgt sich dahinter ein luftgestütztes Warn- und Überwachungssystem zur Früherkennung von Flugzeugen oder anderen fliegenden Objekten, welches Kontroll- und Führungsfunktionen sowie eine Feuerleitung von Jagdflugzeugen innehat.

[3] So die Ausführungen von Bundeskanzler Gerhard Schröder in seiner Rede vor dem Deutschen Bundestag am 19.März 2003. Entnommen aus dem stenographischen Protokoll des Parlaments, http://www.bundestag.de/bic/plenarprotokolle/pp/2003/15043 (zuletzt besucht am 12.6.2005).

[4] BVerfGE 90, 286, 381 ff.

[5] Bundesverfassungsgericht, 2 BvQ 18/03, Beschluss des Zweiten Senats vom 25. März 2003, http://www.bverfg.de/entscheidungen/qs20030325_2bvq001803.html (zuletzt besucht am 25. Mai 2005). Die in der Folge zitierten Absätze beziehen sich auf die Internet-Version.

[6] Die Welt, „Überholter Parlamentsvorbehalt“, http://www.welt.de/data/2003/03/27/58809.html, (zuletzt besucht am 28.5.2005).

[7] D. Wiefelspütz, „Der Einsatz der Streitkräfte und die konstitutive Beteiligung des Deutschen Bundestages“, NZWehrr 4 (2003), S. 133, S. 133.

[8] BVerfG, 2 BvQ 18/03, Absatz 32.

[9] BVerfG, 2 BvQ 18/03, Absatz 33.

[10] BVerfGE 90, 286, 383f.

[11] BVerfGE 90, 286, 384.

[12] BVerfG, 2 BvQ 18/03, Absatz 35.

[13] BVerfG, 2 BvQ 18/03, Absatz 34.

[14] BVerfG, 2 BvQ 18/03, Absatz 38.

[15] BVerfG, 2 BvQ 18/03, Absatz 39.

[16] BVerfG, 2 BvQ 18/03, Absatz 39.

[17] BVerfG, 2 BvQ 18/03, Absatz 40.

[18] BVerfG, 2 BvQ 18/03, Absatz 41.

Ende der Leseprobe aus 25 Seiten

Details

Titel
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Beteiligung deutscher Soldaten am NATO AWACS-Einsatz in der Türkei
Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München  (Juristische Fakultät - Institut für Internationales Recht -)
Veranstaltung
Aktuelle Entscheidungen nationaler Höchstgerichte zum Völkerrecht: Bundesverfassungsgericht, US Supreme Court u.a.
Note
1,7
Autor
Jahr
2005
Seiten
25
Katalognummer
V47203
ISBN (eBook)
9783638442008
Dateigröße
531 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Entscheidung, Bundesverfassungsgerichts, Beteiligung, Soldaten, NATO, AWACS-Einsatz, Türkei, Aktuelle, Entscheidungen, Höchstgerichte, Völkerrecht, Bundesverfassungsgericht, Supreme, Court
Arbeit zitieren
Oliver Rolofs (Autor:in), 2005, Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Beteiligung deutscher Soldaten am NATO AWACS-Einsatz in der Türkei, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/47203

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