Schiedsgerichtsverfahren in der NAFTA


Seminararbeit, 2001

49 Seiten, Note: 12 Punkte


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Teil: Einleitung
A. Vorgeschichte der NAFTA
B. Ziele der NAFTA
C. Der NAFTA-Vertrag
D. Die Parallelabkommen
E. Institutionen

2. Teil: Die Konfliktlösungsmechanismen
I. Der Konfliktlösungsmechanismus von Kapitel 19 NAFTA
A. Artikel 1904
B. Artikel 1903
C. Die Verfahrensregeln von Kapitel 19
D. Ständige Konsultationen
E. Das außerordentliche Überprüfungsverfahren
F. Das Sicherungsverfahren
a) Salvagurda
b) Vergeltungsmaßnahmen
c) Reaktionsmöglichkeiten der Behinderungspartei
G. Zugang zum KLM von Kapitel 19
H. Anerkennung und Vollstreckung der Entscheidung
I. Gesamtbetrachtung
II. Der Konfliktlösungsmechanismus von Kapitel 20 NAFTA
A. Die Freihandelskommission
a) Die Freihandelskommission (Ministerrat)
b) Das Sekretariat
c) Kommitees und Arbeitsgruppen
B. Die Funtion der CLC in der Streitbeilegung - Konsultationen
C. Das Schiedsgericht
D. Das Schiedsverfahren
a) Erster Bericht (Informe preliminar)
b) Abschlußbericht (Determinación final)
E. Vergeltungsmöglichkeiten
a) Reaktionsmöglichkeiten der klagenden Partei
b) Reaktionsmöglichkeiten der beklagten Partei
F. Zugang zum KLM von Kapitel 20
G. Fall: Strafzollverordnung der USA gegen mexikanische Reisigbesen
H. Anerkennung und Vollstreckung der Entscheidung
I. Gesamtbetrachtung
III. Der Konfliktlösungsmechanismus von Kapitel 11 NAFTA
A. Investitionen nach Kapitel 11(A)
a) Inländerbehandlung (Trato Nacional)
b) Behandlung der meistbegünstigten Nation
(Trato de la Nación mas fovorecida)
c) Schutz von Investoren aus Nicht-NAFTA-Staaten
d) weitere Investitionsrechte
B. Die Konfliktlösung nach Kapitel 11 (B)
a) Mögliche Konflikte
b) Die Schiedsklage
c) Anwendbare Schiedsverfahrensregeln
aa) wählbare Verfahrensregeln
bb) obligatorische Ergänzungen
d) Das Schiedsgericht
e) Schiedssprüche
f) Anfechtung
aa) Anfechtung nach den CIADI Verfahrensregeln
bb) Anfechtung nach CIADI/II und UNCITERAL
g) Veröffentlichung des Schiedsspruchs
C. Zugang zum KLM von Kapitel
D. Fall: Metalclad gegen Mexiko
E. Anerkennung und Vollstreckung der Entscheidung
a) Vollstreckung durch nationale Gerichte
b) Vollstreckung über den KLM von Kapitel
F. Gesamtbetrachtung

III. Teil: Schlußbetrachtung
A. Kpitel 11 und 19
B. Kapitel 20
C. Gesamteinschätzung

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Literaturverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1.Teil: Einleitung

A. Vorgeschichte der NAFTA

Auf dem amerikanischen Doppelkontinent wurden (und werden) als internationaler Integrationsschritt Freihandelsübereinkommen geschlossen. Als wichtigstes lateinamerikanisches Beispiel ist der gemeinsame südamerikanische Markt MERCOSUR zu nennen, aber auch die Andengemeinschaft CAN und einige andere. In Nordamerika bestand ein Freihandelsabkommen zwischen Kanada und den USA, daß Canada-USA-Free Trade Agreement (FTA), das als direkter Vorfahre des Nordamerikanischen Freihandesabkommens -North Armerican Free Trade Agreement- (NAFTA) zu betrachten ist.1

Im Zuge der Erfahrungen mit dem FTA gab der damalige Präsident Bush im September 1990 ein neues Wirtschaftshilfeprogramm für Lateinamerika und die Karibik bekannt, die „Initiative für die Amerikas“. Deren Endziel sollte ein Freihandelssystem sein, daß ganz Amerika einigt (Nord-/ Mittel- und Südamerika).2 Innerhalb dieses Projektes hatte das Freihandelsabkommen mit Mexiko den absoluten Vorrang, mit der Vorgabe das FTA nach Süden auszudehnen.3

Die Verhandlungen über das Freihandelsabkommen hatten am 5.2.91 begonnen, als sich Kanada entschloß in die seit Sommer 1990 stattfindenden Gespräche zwischen Mexiko und den USA einzutreten. Am 17.2.92 wurde der Vertrag von den Vertretern der drei Staaten unterzeichnet und trat am 1.1.94 in Kraft.4

Schon während der Vertragsverhandlungen gab es Proteste gegen mangelnde Umweltschutzrechte und die unzureichende Sicherung von Arbeiterrechten von Seiten der Umweltschutzverbände, Gewerkschaften und großen Teilen der demokratischen Partei.5 Mit dem Wahlsieg Bill Clintons wurde als Ergebnis der vorausgegangenen Proteste ein Umweltschutzparallelabkommen6 und ein arbeitsrechtliches Parallelabkommen geschlossen. Der diplomatisch feinfühlerige Weg der Parallelabkommen wurde beschritten, weil die mexikanische Seite sich weigerte den Vertragstext neu zu verhandeln.7 Die Zusatzverhandlungen für die Parallelabkommen begannen am 18.3.1993, diese wurden am 14.9.1993 unterzeichnet und traten gemeinsam mit dem NAFTA-Vertrag in Kraft.8

Die NAFTA, die gleich abgekürzte North American Free Trade Area, ist das zweitgrößte Freihandelsgebiet der Welt (hinter dem EWR) mit einer Wirtschaftsleistung von 7,98 Billionen US-$, 384,5 Millionen Einwohnern und einer Fläche von 13,2 Millionen Quadratkilometern.9 Anderen Staaten bzw. Staatengruppen steht unter bestimmten Bedingungen ebenfalls ein Beitritt zur NAFTA offen.10 Chile wurde bereits vom damaligen Präsidenten Bush aufgefordert, als nächstes der NAFTA beizutreten.11 In den USA wurde jedoch zahlreiche Kritik an einem Beitritt Chiles zur NAFTA geübt12 und bisher ist es noch nicht zu konkreten Beitrittsverhandlungen gekommen.

B. Ziele der NAFTA

Die Verwirklichung der Freiheit im Waren-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr ist das Hauptziel der NAFTA. Eine vierte, im Rahmen des europäischen Binnenmarktes bereits verwirklichte Freiheit, die Niederlassungsfreiheit von Personen oder ungehinderte Mobilität der Arbeitskräfte, ist nicht Bestandteil des NAFTA-Vertrages, wird jedoch von mexikanischer Seite nach dem vor kurzem in Mexiko und den USA erfolgten Regierungswechsel verstärkt eingefordert.13

Durch die Errichtung der NAFTA soll das Wirtschaftswachstum gesteigert werden und die Konkurrenzsituation Nordamerikas gegenüber Europa und Asien verbessert werden. Im Falle Mexikos soll vor allem ein verstärkter Kapital und damit Investitionsfluß nach Mexiko erreicht werden.14

C. Der NAFTA-Vertrag

Der NAFTA-Vertrag besteht aus 8 Teilen, 22 Kapiteln (mit insgesamt 295 Artikeln) sowie 8 Anhängen.15 Im NAFTA-Vertrag sind folgende Dinge geregelt: Der Abbau von Handelsbarrieren, die Verbesserung von Investitionsmöglichkeiten, ein angemessener Urheberrechtsschutz und effektive Mechanismen zur Umsetzung des Vertrages und zur Lösung von Streitigkeiten die eventuell bei der Anwendung des Vertrages entstehen.16

Die NAFTA bedient sich zur Lösung von Konflikten nicht eines übergeordneten zwischenstaatlichen Gerichts wie die EU mit dem EuGH, sondern einer Vielzahl verschiedener Mechanismen, der sog. alternativen Konfliktbeilegung ((überwiegend bestehend aus folgenden Mechanismen: Konsultationen (consultas), Vermittlungsgespräche (mediaciones) und Güteverhandlunegn (concilaciones)) sowie Schiedsverfahren (arbitraje).17 Im Rahmen der außergerichtlichen Streitbeilegung wird zunächst auf innerparteiliche Konsultationen (consultas) und damit auf eine Kommunikation zwischen den Streitparteien gesetzt. Sollte dies nicht zu einem Erfolg führen, sieht der NAFTA-Vertrag vor, daß die einzelnen Fälle durch Vermittlungsverfahren (mediación) und Schiedsgerichte (paneles) beigelegt werden sollen.18

Für die möglicherweise auftretenden Konflikte sind im NAFTAVertrag drei Konfliktlösungsmechanismen enthalten:

a) Kapitel 20: Dient der Lösung von Streitigkeiten, die in keinem anderen Kapitel oder Nebenübereinkommen geregelt sind, in der Regel Anwendungs- und Interpretationsschwierigkeiten des NAFTA-Vertrages selbst.19
b) Kapitel 19: Zur Lösung von Konflikten im Bereich illegaler Handelspraktiken im Bereich Subventionen und Dumping.20
c) Kapitel 11b: Zur Lösung von Streitigkeiten im Bereich ausländischer Investitionen.21

Daneben gibt es drei weitere Vermittlungsverfahren, die den KLM aus Kapitel 20 ergänzen bzw. ersetzen: Der Art. 513 für zollrechtliche Vorgänge, der Artikel 723 für sanitäre Maßregeln und der Art. 914 für Streitigkeiten über normierte Industriestandarts.22

D. Die Parallelabkommen

Neben dem eigentlichen NAFTA-Vertrag existieren noch zwei Parallelabkommen zur NAFTA (acuerdos paralelos), die nicht im eigentlichen Vertrag enthalten sind. Zum einen ein umweltrechtliches Übereinkommen (Acuerdo de Cooperación Ambiental de América del Norte, ACAAN), zum anderen ein arbeitsrechtliches Parallelabkommen (Acuerdo de Cooperación Laboral de América del Norte, ACLAN).23 Das ACAAN enthält einen besonderen KLM für das Aufeinandertreffen handels- und umweltrechtlicher Streitigkeiten. Das ACLAN einen KLM für individualarbeitsrechtliche Streitigkeiten.24

An beiden Übereinkommen wird allerdings massive Kritik geübt, da sich die Vertragsstaaten letztlich nur verpflichtet haben, ihre eigenen Umweltschutz- und Arbeitsrechte einzuhalten.25

E. Institutionen

Im Rahmen der NAFTA wurde die sog. Freihandelskommission mit Sitz in Washington, DC, USA gegründet.26 Zur administrativen Unterstützung der Kommission wurde ein Sekretariat mit drei nationalen Sektionen errichtet, die in den jeweiligen Hauptstädten, also Washington DC, Ottawa und Mexiko-Stadt ansässig sind.27 Weiterhin ist in jedem Parallelabkommen die Errichtung weiterer Organe vorgesehen28, so z.B. im Rahmen des ACAAN ein Sekretariat mit Sitz in Montreal, Kanada29 und im Rahmen des ACLAN eines mit Sitz ist in Dallas, USA.30

2. Teil: Die Konfliktlösungsmechanismen

I. Der Konfliktlösungsmechanismus von Kapitel 19 NAFTA

Das Kapitel 19 enthält einen Konfliktlösungsmechanismus 31 (im folgenden KLM genannt) zur Beilegung von wettbewerbsrechtlichen Streitigkeiten, die im Zusammenhang mit Dumpingverkäufen ins Ausland und Subventionen, die den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen, entstehen können.32

Um unlauteren Wettbewerb zu verhindern, wurden in den Vertragsstaaten Antidumping- und Ausgleichszollgesetze (leyes antidumping y medias compensatorias) geschaffen33 (im folgenden AD- und AZ-Gesetze genannt).

Dumping ist der Verkauf einer Ware im Ausland zu einem geringeren Preis, als auf dem Heimatmarkt des Produzenten zu zahlen wäre.34 Dadurch könnte ein Hersteller versuchen einen Mitbewerber systematisch zu schaden und aus dem Markt zu drängen.35 Um den schädlichen Auswirkungen des Dumpings entgegenzuwirken, wurden in den Mitgliedsstaaten AD-Gesetze erlassen und dadurch Importgüter mit Schutzzöllen bis zu einer bestimmten Höhe zu belegen, um so den Preis dieser Güter auf dem Markt zu erhöhen.36

Die AZ-Gesetze richten sich gegen Subventionen (Darlehen, diskriminierende Steuervorschriften etc.), die durch Begünstigung bestimmter Betriebe oder Produktionszweige den Wettbewerb verfälschen.37 Die AZ-Gesetze dienen dazu, staatliche Ausgleichszölle auf Importwaren zu erheben um so die durch „unfaire“ Subventionen günstigeren Kosten der Ware des exportierenden Herstellers zu kompensieren.38

Jeder Vertragsstaat hat sich im NAFTA-Vertrag vorbehalten, bis zum Jahr 2010 sein AD-Recht und ohne zeitliche Beschränkung seine AZ- Gesetze beizubehalten, und auch auf Waren, die aus NAFTA-Staaten eingeführt werden, anzuwenden.39

Die Vertragsstaaten behalten jedoch ihr jeweilige Gesetzgebung40 (es existieren keine supranationalen AD- und AZ-Gesetze41 ) und ihre Zölle gegenüber dem Rest der Welt.42

Die Vertragsstaaten dürfen allerdings ihre jeweiligen AD- und AZGesetze verändern.43

A. Artikel 1904

Der Art. 1904 regelt die Bildung von ad hoc Schiedsgerichten zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit von endgültigen Entscheidungen der Verwaltung die auf AD- und AZ-Gesetzen beruhen.44

Von diesen Entscheidungen sind Kraft Natur der Sache nur Hersteller betroffen, die ihre Waren in den Erlaßstaat der administrativen Entscheidung exportieren.45

Die Initiative zur Einleitung der Überprüfung von administrativen Entscheidungen eines Vertragsstaates, die auf AD- und AZ-Gesetzen beruhen, liegt sowohl bei einem anderen Vertragsstaat als auch - indirekt - bei den betroffenen Bürgern eines Vertragsstaates.46 Bei der Überprüfung haben die Schiedsgerichte nach demjenigen materiellen Recht zu entscheiden, das auch die Verwaltungsgerichte des beklagten Staates anwenden würden.47 Die binationalen

Schiedsgerichte sind befugt, Entscheidungen nationaler Behörden entweder zu bestätigen oder für nichtig zu erklären. Die jeweiligen Behörden sind an die Entscheidungen der Schiedsgerichte gebunden.48

B. Der Artikel 1903

Der Art. 1903 regelt die Bildung von ad hoc Schiedsgerichten zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit von Gesetzesänderungen im Bereich der AD- und AZ-Gesetze.

Die Initiative zur Einleitung einer solchen Überprüfung liegt stets bei einem anderen Vertragsstaat (Beschwerdepartei), nicht jedoch bei Privatpersonen.49

Ein Vertragsstaat, der seine AD- und AZ-Recht verändert, hat alle übrigen Vertragsstaaten davon in Kenntnis zu setzen und Konsultationen anzubieten.50 Sollten die Konsultationen ergebnislos bleiben ist die Sache vor ein Schiedsgericht zu bringen, daß Festzustellen hat, ob die Änderung mit den objektiven Zielen der NAFTA51 unvereinbar ist, bzw. einer früheren auf Art. 1904 beruhenden Entscheidung entgegenläuft.52

Sollte das Schiedsgericht die Gesetzesänderung ablehnen, müssen die streitenden Parteien unverzüglich weitere Konsultationen in Form eines gemeinsamen Ausschusses aufnehmen, um den Streit und die Unvereinbarkeit mit den völkerrechtlichen Verträgen beizulegen. Wenn eine Korrektur der Gesetzgebung nicht erfolgt und auch sonst keine Lösung gefunden wird, kann die Beschwerdepartei

a) zu ähnlichen gesetzgeberischen oder verwaltungstechnischen Mitteln greifen (wie die Änderungspartei)
b) oder den NAFTA Vertrag in Bezug auf die Änderungspartei kündigen53 54

C. Die Verfahrensregeln des Kapitel 19

Die ad hoc eingerichteten Schiedsgerichte müssen ihre Entscheidungen stets mehrheitlich fällen.55 Die Schiedsgerichte nach Kapitel 19 bestehen aus fünf Schiedsrichtern und haben einen binationalen Charakter, da sie nur mit Angehörigen der beiden Streitparteien besetzt sind.56

Jede Streitpartei bestimmt zunächst zwei Schiedsrichter anhand einer Liste von 75 Personen, die zuvor von jedem Vertragsstaat erstellt wurde.57 Die Schiedsrichter müssen Bürger eines der Vertragsstaaten sein.58 Jede Partei darf viermal einen von der Gegenpartei aufgestellten Schiedsrichter ablehnen. Die Parteien müssen sich daraufhin auf einen fünften Schiedsrichter einigen, wenn dies mißlingen sollte, entscheidet das Los.59

Das NAFTA-Sekretariat hat die Aufgabe, die Schiedsgerichte organisatorisch zu unterstützen.60

D. Ständige Konsultationen

Auf mexikanische Initiative hin, sind die NAFTA-Vertragsstaaten ausdrücklich verpflichtet, ständige Konsultationen über die Entwicklung ihrer jeweiligen AD- und AZ-Gesetze durchzuführen. So soll erreicht werden, daß auch die mexikanische Seite stets über Entwicklungen in diesem Bereich informiert ist und gegebenenfalls. reagieren kann

In Art. 1907 I sind außerdem Beratungen über Probleme bei der Anwendung von AD- und AZ-Gesetzen vorgesehen, sowie weitere Konsultationen in diesem Bereich.

E. Das außerordentliche Überprüfungsverfahren

Wenn eine Partei nach der Verkündung der Entscheidung des Schiedsgerichts (gemäß Art. 1903 und 1904) einen der in Art. 1904 XIII61 genannten Gründe, z.B. Befangenheit eines Schiedsrichters, Abweichung des Schiedsgerichts von den Verfahrensregeln, Überschreitung der Befugnisse etc., anführt, kann sie als weiteren

Verfahrensschritt die Durchführung eines außerordentlichen Überprüfungsverfahrens beantragen. Dazu ist ein spezielles Komitee einzuberufen. Das Abkommen sieht mit dem „Komitee für außerordentliche Anfechtung“ (Comite de Impugnacion Extraordinaria, im folgenden CIE) eine Art Revisionsverfahren gegen die Entscheidungen der ad hoc Schiedsgerichte vor.62

Das CIE wird von drei ehemaligen Berufsrichtern aus den betroffenen Vertragsstaaten gebildet, die aus einer Liste von 15 Teilnehmern ausgewählt werden. Jede Streitpartei bestimmt ein Mitglied, das dritte wird per Losverfahren aus dieser Liste ermittelt.63

Die Entscheidungen des CIE sind für die Parteien im anhängigen Streitfall verbindlich, jedoch nicht darüber hinaus, so daß CIEEntscheidungen keine Präzedenzentscheidungen sind. Weiterhin dürfen sie nicht veröffentlicht werden.64

Bei einer begründeten Anrufung des CIE wird der Schiedsspruch an ein neu zu bildendes Schiedsgericht überwiesen, ansonsten hat die ursprüngliche Entscheidung weiterhin Bestand.65 Das Verfahren vor dem CIE kann beliebig oft wiederholt werden, wenn dazu Anlaß besteht.

F. Das Sicherungsverfahren

a. Salvaguarda

Der Art. 1905 sieht ein Sicherungsverfahren (salvaguarda) zum Schutz der binationalen KLMen nach Kapitel 19 vor.

Mit der „salvaguarda“ soll verhindert werden, daß die NAFTA-Staaten Gesetze erlassen, die den Tatbestand des Art. 1905 I verwirklichen, also eine Zusammensetzung von Schiedsgerichten verhindern, die Entscheidung von Schiedsgerichten mißachten oder die verhindern, daß deren Entscheidungen durchgesetzt werden.66 Unter der salvaguarda ist also eine Art Normenkontrollklage zu verstehen, die ein Vertragsstaat zur Überprüfung der Vereinbarkeit der beanstandeten Gesetze mit dem Art. 1905 I einreichen kann.

Wenn ein Vertragsstaat vom anderen behauptet, dessen Recht würde den Tatbestand des Art. 1905 I verwirklichen, kann er zunächst binationale Konsultationen verlangen.67 Scheitern diese Konsultationen, kann die Beschwerdepartei die Durchführung der „salvaguarda“ verlangen.68 Konkret kann hier die Berufung eines Speziellen Komitees (comite especial para salvaguarda, im folgenden CES) verlangt werden, daß wie das CIE zusammengesetzt ist und in gleicher Weise entscheidet.69 Sollte das CES entscheiden, daß das beanstandete Gesetz den Tatbestand des Art. 1905 I NAFTA verwirklicht, sind erneute Konsultationen vorgesehen.70

b. Vergeltungsmaßnahmen

Wenn diese Konsultationen noch immer nicht zu einer Streitbeilegung führen, steht es der Beschwerdepartei frei entweder die Wirkung des Art. 1904 gegenüber der Behinderungspartei aufzuheben, und damit dieser die Möglichkeit der Überprüfung ihrer nationalen AD- und AZ- Gesetze nehmen, oder die im Rahmen der NAFTA gewährten Handelsvorteile zugunsten der Behinderungspartei aufheben, soweit dies objektiv angemessen ist.71

c. Reaktionsmöglichkeiten der Behinderungspartei

Wenn es geboten scheint, kann die Behinderungspartei das CES noch einmal anrufen, um feststellen zu lassen,

a) ob die Behinderungspartei die in der Entscheidung des Komitees angesprochenen Probleme behoben oder die Behinderung des Schiedssystems beendet hat, oder

b) ob die Aufhebung von Handelsvorteilen zu exzessiv, also objektiv unangemessen ist.

Ist dies der Fall, ist die Beschwerdepartei dazu verpflichtet, die aufgehobenen Handelsvorteile wieder voll zu gewähren bzw. die Aufhebung angemessen anzupassen.72

Problematisch ist hier jedoch, daß die Entscheidungen des CES nicht verbindlich sind, jedenfalls findet sich im Gegensatz zu den CIE keine ausdrückliche Regelung im NAFTA-Vertrag.

G. Zugang zum KLM des Kapitels 19

Jeder Vertragsstaat kann direkt Konsultationen mit einem anderen Vertragsstaat verlangen oder ein Schiedsgericht gemäß Art. 1903 oder 1904 einberufen.73

Bei dem KLM aus Art. 1903 liegt auch das Initiativrecht zur Einleitung der Überprüfung bei einem anderen Vertragsstaat, niemals bei einem Bürger.

Ein Initiativrecht für Bürger gegenüber ihrem Staat besteht nur für KLMen nach Art. 1904 um endgültige, auf AD- und AZ-Gesetzen beruhende, Verwaltungsentscheidungen überprüfen zu lassen. Bürger sind natürliche oder juristische Personen, die nach dem Recht der Beschwerdepartei partei- und prozeßfähig sind.74

Die Bürger können ihre Regierung zur Aufnahme des Verfahrens auffordern und notfalls durch Verwaltungsgerichte aus ihrem Vertragsstaat zwingen lassen. Dazu müssen sie jedoch „interessierte Personen“ sein, d.h. unmittelbar von der vorausgegangenen Änderung der AD- und AZ-Gesetze betroffen sein, auf denen die Verwaltungsentscheidung beruht, gegen die sie vorgehen wollen.75

Das CIE des Art. 1904 (13) und das CES des Art. 1905 kann nur von der Beschwerdepartei berufen werden. Dabei sind nur die Regierungen der Vertragsstaaten als mögliche Beschwerdepartei vorgesehen.76 Privatpersonen sind dort nicht aufgeführt, sie haben daher auch nicht die Möglichkeit ein CIE oder CES anzurufen, auch kein Initiativrecht gegenüber ihrer Regierung.

Der Vertragsstaat führt die KLMen also in eigenem Namen, aber im Falle des Art. 1904 u.U. im Interesse eines Bürgers durch. Parteien der KLMen sind demzufolge stets die Vertragsstaaten.

Zugang für eine Partei aus einem Drittstaat, etwa aus Europa, besteht nur über eine rechtsfähige Tochtergesellschaft auf dem Gebiet der Beschwerdepartei, die den KLM für sie einleitet und ausführt. Der Zugang von Nicht-NAFTA-Partein zu Kapitel 19 ist ausgeschlossen.77

H. Anerkennung und Vollstreckung der Entscheidung

Die Entscheidungen der Schiedsgerichte nach Kapitel 19 sind verbindlich.78 Ihre Anerkennung und Vollstreckung ist zwar grundsätzlich gewährleistet, jedoch durch die Souveränität der drei Vertragsstaaten begrenzt. Deshalb ist das Vollstreckungsverfahren durch die Salvagurda noch verstärkt worden.

Die Salvagurda79 stellt ein effektives Mittel dar, um nicht nur freiwillige, sondern, falls erforderlich, auch durchsetzbare Befolgung der nach Kapitel 19 getroffenen Entscheidungen zu gewährleisten. Das Verfahren enthält zwar mögliche Sanktionen80, jedoch auch ein nicht zu unterschätzendes Problem: Privatpersonen werden bei der Vollstreckung der Entscheidung nicht angemessen beteiligt, obwohl sie bei einer günstigen Schiedsentscheidung ein größeres Interesse daran haben dürften. Denn nur die Regierungen der drei Vertragsstaaten sind Beschwerdeparteien und haben das Recht das CES anzurufen. So sind Privatpersonen beim Zugang zum KLM des Art. 1904 durch ein Initiativrecht noch angemessen beteiligt, können jedoch die anschließende Vollstreckung der Entscheidung des Schiedsgerichts nicht mehr erzwingen. Es steht vollständig im Ermessen der jeweiligen Regierung, sich für oder gegen die Einberufung des CES zu entscheiden, um zu rügen, daß eine Entscheidung nach Art. 1904 in dem beklagten Vertragsstaat nicht durchgesetzt wird.

Auch wenn eine Regierung die Anerkennung und Vollstreckung einer Entscheidung gegen eine andere Regierung verfolgt, bleibt das gesamte Vollstreckungsverfahren vertraulich. Sogar nach Verkündung des Schiedsspruches können die Vertragsstaaten noch vereinbaren, daß Urteil und andere Details niemals zu veröffentlichen.81 Die Interessen von Bürgern sind also von geheimen Abmachungen der Regierungen untereinander abhängig, die wenig oder gar nichts durch eine Wahrnehmung privater Interessen zu gewinnen haben. Dies dürfte insbesondere in Mexiko zu Problemen führen, wo der Verantwortungsgedanke der Politik/Verwaltung gegenüber der

Bevölkerung sehr schwach ausgeprägt ist und Korruption bis hin zum Präsidenten des Landes nichts ungewöhnliches ist.

I. Gesamtbetrachtung

Der indirekte Zugang von Privatpersonen zu den KLM über den Artikel 1904 - wahrgenommen durch die Regierungen - zu einem internationalen öffentlich-rechtlichen Forum bedeutet für Nordamerika einen bedeutenden Schritt in Richtung eines tatsächlich freien Handels. Jedoch wird durch den nicht vorhandenen Einfluß von Privatpersonen auf die Vollstreckung der Entscheidungen der Schiedsgerichte die Verläßlichkeit von Kapitel 19 in Frage gestellt, da die Unterstützung der Regierung, vor allem in Mexiko, häufig nur schwer zu erlangen sein dürfte.

II. Der Konfliktlösungsmechanismus von Kapitel 20

Das Kapitel 20 enthält den allgemeinen KLM der NAFTA, außerdem sieht es die Einrichtung von Institutionen zur Umsetzung des Übereinkommens vor, der Kommission (Comisión de Libre Comercio) und des Sekretariats (Secretariado). Diese sollen gemeinsam die Verwaltung des Übereinkommens garantieren, sowie Interpretations- und Auslegungsschwierigkeiten des Vertragstextes zwischen den NAFTA-Staaten regeln.82

Der in Kapitel 20 geregelte KLM ist für Konflikte zwischen Vertragsstaaten eingerichtet worden, für die kein KLM in einem anderen Kapitel oder einem Nebenübereinkommen geregelt ist.83 Der KLM von Kapitel 20 ist anwendbar, wenn ein Vertragsstaat Maßnahmen trifft, die mit dem NAFTA-Vertrag unvereinbar sind. Dies ist der Fall, wenn der NAFTA-Vertrag nicht pflichtgemäß angewandt wird, wenn die Maßnahme eines Vertragsstaates den Vereinbarungen des NAFTA-Vertrages entgegenläuft oder dessen Bestimmungen aufhebt.84

[...]


1 Napoles S.491; am 1.1.1989 in Kraft getreten, Details des Abkommens bei Tamames S. 283. Spanisch TLCAN: Tratado de Libre Comercio en América del Norte.

2 Tamames S. 286.

3 Tamames S. 286.

4 Müller S.8, Lauth S.3.

5 Lauth S.10.

6 Hogenboom S.194.

7 Lauth S.10.

8 Lauth S.10.

9 Tamames, S.371, Stand: 1995.

10 Siqueiros S.383f..

11 Orme S.235.

12 Orme S.253ff. .

13 de Maria y Campo in „El Financiero“ vom 6.2.01.

14 Lauth S.6.

15 Ramirez, Kapitel 6 Nr. 63 und 64; die Nomenklatur der Artikel ist dabie folgende: Kapitel 1, Artikel 4 = Artikel 104, Kapitel 15, Artikel 16 = Artikel 1516.

16 Siqueiros S.383.; Details zum Aufbau bei Rojas S.23.

17 Müller S. 2f., vgl. Cruz S.3.

18 Müller S.14.

19 Müller S.57f. .

20 von Bertrab S.68.

21 Ramirez, Kapitel 6 Nr. 62.

22 Müller S. 21; diese KLMen werden im Rahmen dieser Arbeit nicht dargestellt.

23 Ramirez, Kapitel 6 Nr. 63 und 64.

24 Müller S.21; diese KLMen werden im Rahmen dieser Arbeit nicht dargestellt.

25 Ramirez, Kapitel 6 Nr. 63 und 64.

26 Tamames S. 288, Details bei III A a).

27 Art. 2001 I, 2002 III und Annex 2001.2, Details unter II A b).

28 Detail bei Lauth S.11.

29 Ramirez, Kapitel 6 Nr. 63.

30 www. Naalc.org/spanish/publications/1vol3-1.htm.

31 folgende Artikel und Kapitel ohne Vertragsangabe sind solche der NAFTA.

32 www.nafta-sec-alena.org/spanish/home.htm S.4.

33 Tamames S.155 ff. .

34 Napoles S.467.

35 Napoles S.467.

36 Tamames S.155 ff. .

37 Müller S.27f. .

38 Napoles S.481.

39 Huntington S.407; vgl. Pacheco S.177.

40 Tamames S. 285.

41 Huntington S.407.

42 Tamames S. 288.

43 Pacheco S.185.

44 Art. 1904.

45 Müller, S.30.

46 genaueres siehe H.

47 Art. 1904 III.

48 Art. 1904 VIII.

49 genaueres siehe H.

50 Art. 1902 II.

51 bzw. der WTO/GATT

52 Art. 1903 I.

53 Cruz S. 9.

54 eine genaue Darstellung des Verfahrensablaufes mit Fristen etc. Bei: www.nafta- sec-alena.org/spanish/home.htm S.6.

55 Annex 1901.2 IV.

56 Annex 1901.2 IV.

57 Annex 1901-2 IV.

58 Annex 1901-2 V.

59 Details zum Verfahrensablauf s. Cruz S.17.

60 Cruz S.21f.

61 Deteils dort oder bei Cruz S.20.

62 Rojas S. 38.

63 Annex 1904.13 (1).

64 Müller S. 37.

65 Annex 1904.13 (3).

66 Huntington S. 437f.; Details in Art. 1905 (1).

67 Art. 1905 II.

68 Art. 1905 I und II.

69 siehe E.

70 Art. 1905 VII.

71 Art. 1905 VIII.

72 Art. 1905 X.

73 Art. 1904 V.

74 Art. 1904 V.

75 Rule 33 (1) der 1904-Regeln, vergleiche Cruz S.100; was unter „Betroffenheit“ zu verstehen ist, bestimmt sich nach dem nationalen Recht der Änderungspatrei der Gesetze.

76 Art. 1904 (13),rule 3; Art. 1905 (2), rule 3.

77 Napoles S.465.

78 Art. 1904.

79 Siehe F.

80 siehe F b).

81 Annex 1903.2 (5).

82 Lavon S.54.

83 Art. 2004.

84 Cruz S.2.

Ende der Leseprobe aus 49 Seiten

Details

Titel
Schiedsgerichtsverfahren in der NAFTA
Hochschule
Georg-August-Universität Göttingen  (IPR-Lehrstuhl)
Veranstaltung
Vertragsgestaltung national und international
Note
12 Punkte
Autor
Jahr
2001
Seiten
49
Katalognummer
V47096
ISBN (eBook)
9783638441230
Dateigröße
648 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Die Seminararbeit stellt die im NAFTA-Vertrag enthaltenen Schiedsgerichtsverfahren (Kap. 11, 19 und 20) verbal und grafisch dar. Dabei wird der Zugang zu diesen und deren Verfahrensablauf dargestellt. Beispielsfälle dienen zum besseren Verständnis. 36 Seiten Seminararbeit plus 13 Präsentationsfolien
Schlagworte
Schiedsgerichtsverfahren, NAFTA, Vertragsgestaltung
Arbeit zitieren
Ulf Jahn (Autor:in), 2001, Schiedsgerichtsverfahren in der NAFTA, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/47096

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