Politische Showbühne. Inszenierung und Kommunikationsmuster von Parteitagen und ihre mediale Berichterstattung


Hausarbeit (Hauptseminar), 2005

20 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


INHALTSVERZEICHNIS

1. Einführung
1.1 Untersuchungsgegenstand und Erkenntnisinteresse
1.2 Forschungsfrage und Struktur der Untersuchung

2. Parteitage - Definitionen und Grundlagen
2.1 Funktionen
2.2 Parteitagsformen
2.3 Strukturelle Organisation

3. Inszenierung von Parteitagen
3.1 Räumliche Komponente
3.2 Zeitliche Komponente
3.3 Optische Komponente

4. Kommunikationsmuster von Parteitagen
4.1 Binnenkommunikation
4.2 Außenkommunikation

5. Parteitagsberichterstattung in den Medien
5.1 Vorberichterstattung
5.2 Parallele und nachgelagerte Berichterstattung

6. SPD-Parteitag Leipzig 1998 – das Urbild für die politische Showbühne
6.1 Modernisiertes Veranstaltungsmanagement
6.2 Telemediatisierung
6.3 Probleme der Funktionsausübung
6.4 Reaktion der Journalisten
6.5 Verhältnis zwischen Politik und Medien

7. Zusammenfassung und Schlussbetrachtung

8. Literaturverzeichnis

1. Einführung

1.1 Untersuchungsgegenstand und Erkenntnisinteresse

In Deutschland gibt es einen Konsens darüber, dass die parlamentarische Demokratie die politischen Parteien als Foren der Meinungs- und Willensbildung benötigt, um dem System Stabilität und Kontinuität zu verleihen (Maunz/Zippelius 1998: S. 78). Art. 21 GG trägt dem Parteiwesen im Rahmen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung die Aufgabe auf, bei der politischen Willensbildung des Volkes mitzuwirken. Dieser Prozess hat entsprechend nach demokratischen Maßgaben zu erfolgen. Bei der Beobachtung von Parteitagen, die den Parteien als höchstes Entscheidungsgremium dienen, drängt sich jedoch der Eindruck auf, als seien die Prinzipien einer demokratischen Streitkultur (ausführlich hierzu Sarcinelli 1990) nur noch teilweise bzw. gar nicht mehr erfüllt. Kommunikationsforscher und Politologen wie Marion G. Müller fragen sich, warum es auf Parteitagen zwischen Parteiführung und Delegierten so „merkwürdig konfliktfrei“ (Müller 2002a: S. 147) zugeht. Die Politikwissenschaft sieht in den Mechanismen der Mediendemokratie (Alemann 2002) die entscheidenden Faktoren für Veränderungen bei den Kommunikationsstrukturen in der Politik, die sich bei der Organisation und Durchführung von Parteitagen widerspiegeln. Offenbar kommt es bei dem Zusammentreffen einer Partei nicht mehr so sehr auf den Dialog an, sondern auf das mediengerechte und inszenierte Zurschaustellen einer innerparteilichen Geschlossenheit, das als Instrument des „impression management“ (Hitzler 2002: S. 38) für höhere Aufmerksamkeitswerte in den Medien und zum Wählerstimmenfang eingesetzt wird.

Diese These wurde durch den jüngsten Parteitag der NRW-CDU Anfang März 2005 bestätigt. Nachdem Landesparteichef Jürgen Rüttgers zu Rockmusik und unter dem Applaus der Delegierten in Bochum in die Parteitagshalle einmarschiert war, verkündete er symbolträchtig: „Die CDU in NRW ist geschlossen wie nie zuvor in ihrer Geschichte.“ (zitiert nach: Bau 2005). Über das CDU-Programm wurde allerdings nicht mehr viel diskutiert, da es schon längst feststand. Vor diesem Hintergrund wird eine Untersuchung interessant, welche Inszenierungs- und Kommunikationsstrategien auf Parteitagen unter dem Eindruck der Mediendemokratie verwendet werden und welche Konsequenzen sich daraus für das Verhältnis zwischen der Parteiführung und den Parteimitgliedern einerseits und zwischen Politikern und Journalisten andererseits ergeben.

1.2 Forschungsfrage und Struktur der Untersuchung

Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit den Fragen, welche organisatorischen, kommunuikativen und gestalterischen Möglichkeiten bei der Inszenierung von Parteitagen angewendet werden, wie die Medien in ihrer Berichterstattung darauf reagieren und welche Entwicklungen in der deutschen Parteitagskultur zu erwarten sind. Damit soll ein Beitrag zur Bewertung des wechselseitigen Abhängigkeitsverhältnisses von Politik und Medien geleistet werden. Zunächst werden Funktion, Form und Organisation von Parteitagen erläutert. Darauf aufbauend erfolgt ein Überblick zu den räumlichen, zeitlichen und optischen Inszenierungstechniken. Ein eigenständiges Kapitel befasst sich mit den unterschiedlichen Kommunikationsformen auf Parteitagen und deren Verschiebungen, bevor eine Analyse der medialen Parteitagsberichtberichterstattung vorgenommen wird. Am Beispiel des SPD-Parteitags Leipzig 1998 werden die Inszenierungsmerkmale konkret dargestellt und das mediale Echo abgebildet. In der Schlussbetrachtung wird ein Ausblick auf die Entwicklung von Parteitagen gegeben.

2. Parteitage – Definitionen und Grundlagen

2.1 Funktionen

Gemäß § 9 Abs. 1 Parteiengesetz bilden Parteitage das oberste Entscheidungsorgan von Parteien, zu vergleichen mit dem Bundestag als wichtigstes Gremium im Parlament (Müller 2000: S. 244). Diese Organfunktion erfährt per Gesetz eine institutionelle Absicherung und ist zudem in den meisten Satzungen der Parteien ausdrücklich niedergeschrieben. Parteitage sollen in erster Linie ein Forum darstellen, in dem die Mitglieder, vertreten durch Delegierte, gegenüber der Parteiführung ihre Interessen artikulieren können (Dittberner 1973a: S. 83). Kaack unterscheidet in seinem politikwissenschaflichen Klassiker im Wesentlichen zwischen fünf Funktionen. Demnach erfüllen Parteitage (a) eine personelle Entscheidungsfunktion; es finden Vorstandswahlen statt, die in der Regel von erheblicher Bedeutung sind. Die (b) sachliche Entscheidungsfunktion beinhaltet Diskussion und Abstimmung über Sachfragen, während die auf Parteitagen eingebrachten Anträge zur politischen Ausrichtung einer Partei der (c) Planungfunktion zuzuordnen sind. Die (d) Werbe- und Wahlkampffunktion liegt vor, wenn Landtags- oder Bundestagswahlen anstehen. Bei der (e) Integrationsfunktion geht es um die Demonstration der innerparteilichen Geschlossenheit, wodurch dem Wähler ein Bild der politischen Kompetenz und Handlungsfähigkeit vermittelt werden soll (Kaack 1971: S. 525 ff.). Wie stark die einzelnen Bereiche von einer Partei gewichtet werden, hängt von deren Größe und Bedeutung ab (Müller 2002: S. 66). Parteitage werden zudem genutzt, um das politische Handeln zu rechtfertigen, die grundsätzliche Linie festzulegen und das Grundsatzprogramm einer kontinuierlichen Überarbeitung zu unterziehen (Kaack 1964: S. 85). Auf das besondere Potenzial von Parteitagen als Instrument der Selbstdarstellung einer Partei wies Schuster schon in den 1950er Jahren hin (Schuster 1957). Aufgrund ihres institutionell-organisatorischen Charakters sind Parteitage im Grundgerüst der deutschen Demokratie nicht mehr wegzudenken, erst durch sie erhalten Parteien die „unerlässliche demokratische Weihe“ (Steiner 1970: S. 7).

2.2 Parteitagsformen

Parteitage sind eine Mischung aus genuinen, mediatisierten und inszenierten Ereignissen (zur Unterscheidung siehe Kepplinger 2001: S. 126). Sie finden unabhängig von den Medien statt, werden aber aufgrund ihrer nachrichtlichen Relevanz für den Journalismus verändert und in Teilen sogar inszeniert. Zu den traditionellen Parteitagsformen zählen (a) ordentliche Parteitage, die etwa drei bis vier Tage dauern und von der personellen und sachlichen Entscheidungsfunktion dominiert werden. Dagegen stehen bei (b) Wahlparteitagen im Hinblick auf die besondere Bedeutung für den Wahlkampf die Integrations- und Werbefunktion im Vordergrund. Die Tagungsdauer solcher als Event angelegten Veranstaltungen ist auf ein bis zwei Tage begrenzt (Müller 2003: S. 109). Eine neue Form der Versammlungs- und Kommunikationsmöglichkeit bieten (c) virtuelle bzw. Internetparteitage[1], deren Vorteile in der transparenten und entscheidungsnahen Online-Diskussion liegen (Hebecker 2002: S. 244). Im World Wide Web geführte Parteitage kommen Habermas‘ Modell der deliberativen Demokratie sehr nahe, wonach die politische Willens- bzw. Meinungsbildung und Konfliktlösung im Kern auf einer diskursiven Verständigung der Bürger untereinander in der Zivilgesellschaft basiert (Habermas 1996). Internetparteitagen haftet jedoch der entscheidende Makel an, dass die Wahlkampf- und Integrationsfunktion nicht realisiert werden kann, weil symbolische, visuelle und personalisierte Handlungsinstrumente nur ungenügend verfügbar sind (Hebecker 2002: S. 249).

Bereits vor 30 Jahren wurde den klassischen Parteitagen eine zunhemende Dominanz der Wahlwerbefunktion mit einer Tendenz zum Personenkult attestiert, was sich umso stärker bemerkbar macht, wenn eine Partei dem Typ einer Volkspartei entspricht (Müller 2002a: S. 149). Die Herausbildung der Werbefunktion geht zurück auf das ungleiche Verhältnis zwischen Parteiführung und Delegierte, die dem Vorstand bei Verhandlungen unterlegen sind (Dittberner 1973: S. 443 f.). Die Folge ist ein strukturelles Problem bei der Funktions-ausübung, das sich insbesondere auf Bundesparteitagen beobachten lässt. So sollen Parteien gemäß ihres verfassungsrechtlichen Auftrags zwar am politischen Willensbildungsprozess mitwirken. Doch eine offen ausgetragene Diskussion über Sachthemen mit kontroversen Meinungen wird immer seltener, da die Medien Flügelkämpfe als Schwäche interpretieren könnten (Müller 2002a: S. 150). Dieses Dilemma verschärft sich, wenn eine Partei ein Regierungsmandat anstrebt, weil sie sich aus taktischen Gründen zur parteilichen Geschlossenheit als „wahlentscheidende Schlüsselkompetenz“ (Müller 2003: S. 115) zwingen muss.

2.3 Strukturelle Organisation

Das deutsche Mehrparteiensystem schreibt für Parteitage verbindlich einen Zwei-Jahres-Turnus vor. Demzufolge ist mindestens jeder zweite Parteitag eine Veranstaltung, die sich politisch-programmatischen Inhalten widmet und sich von den reinen Wahlparteitagen absetzt (Müller 2000: S. 232). Während der ein- bis viertägigen Dauer, häufig wird ein Sonntag als Termin gewählt, treffen ca. 2000 Teilnehmer (davon 500 Delgierte) zusammen. Die Ortswahl richtet sich oft nach den Landtagswahlen. Für die Organisation sind die permanenten Parteigremien zuständig, die Betreuung obliegt den Mitarbeitern der Bundesgeschäftsstelle und ehrenamtlich tätigen Mitgliedern. Der Grad der Inszenierung ist je nach Partei unterschiedlich, die Festigung der Organisationsstrukturen allerdings losgelöst von den Parteitagen (Müller 2002: S. 68 ff.).

3. Inszenierung von Parteitagen

3.1 Räumliche Komponente

Alle deutschen Parteitage sind mehr oder weniger geprägt von der hierarchisch-konfrontativen Sitzordnung. Oben auf dem Podium sitzen die Mitglieder der Parteiführung, dann folgen die Delegierten unten an langen, hintereinander gestellten Tischreihen. Hinter den Delegierten nehmen TV-Kamerleute, Fotografen und Journalisten Platz. Atmosphärisch ähneln Parteitage einer Vereinssitzung oder Aktionärsversammlung. In langen Reden erläutern die Parteioberen dem Plenum ihre politische Leitlinie, unterstützt durch unverzichbare Auftritte der Partei-Prominenz. Um die räumliche Distanz in den meist großen Hallen, in denen Parteitage stattfinden, zwischen Podium und Forum zu überbrücken, hat sich in allen Parteien nach US-amerikanischen Vorbild der Einsatz von Großbildschirmen etabliert (Müller 2002: S. 72 f.). Die Gestaltung des Podiums erweckt den Eindruck, dass den Parteitagsplanern vor allem an einer Fokussierung auf die Parteiprominenz gelegen ist.

3.2 Zeitliche Komponente

Bis auf das Dreikönigstreffen der FDP sind Parteitage nicht an einen bestimmten Termin im Jahr gebunden. Insofern gibt es auch für die berichtenden Journalisten kein ritualisierten Stichtag. Je häufiger das Ereignis Parteitag in Form eines Landes- oder Bundesparteitag in Erscheinung tritt, umso geringer ist der mediale Beachtungswert. Die Parteien befinden sich untereinander in einem scharfen Wettbewerb mit dem Ziel, die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen. Je länger sich eine Partei mit guten Nachrichten in den Medien als Gesprächsthema hält, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass dies vom Wähler mit Sympathiebekundungen honoriert wird. Die Wahlforschung hat dazu schlüssige Belege liefern können (Brosda 1999: S. 207).

[...]


[1] Der erste Internetparteitag der CDU fand im November 2000 statt. URL: http://www.heise.de/newsticker/meldung/13213 (Stand: 02.03.2005, 17 Uhr)

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Details

Titel
Politische Showbühne. Inszenierung und Kommunikationsmuster von Parteitagen und ihre mediale Berichterstattung
Hochschule
Technische Universität Dortmund  (Institut für Politikwissenschaft)
Veranstaltung
Parteiendemokratie
Note
1,0
Autor
Jahr
2005
Seiten
20
Katalognummer
V47094
ISBN (eBook)
9783638441216
Dateigröße
536 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Es handelt sich um eine Analyse, welche organisatorischen, kommunuikativen und gestalterischen Möglichkeiten bei der Inszenierung von Parteitagen angewendet werden, wie die Medien in ihrer Berichterstattung darauf reagieren und welche Entwicklungen in der deutschen Parteitagskultur zu erwarten sind.
Schlagworte
Parteitage, Showbühnen, Beitrag, Inszenierungs-, Kommunikationsstrategien, Parteiorgans, Paragraph, Absatz, Parteiengesetz, Berücksichtigung, Berichterstattung, Parteiendemokratie
Arbeit zitieren
Dipl.-Journ. Michael Schulte (Autor:in), 2005, Politische Showbühne. Inszenierung und Kommunikationsmuster von Parteitagen und ihre mediale Berichterstattung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/47094

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