Die Perikope der Tempelreinigung (Exegese Mt 21,12-17). Eine historisch-kritische Analyse


Hausarbeit, 2005

26 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe


Inhalt:

1. Einleitung:
1.1. Wirkungsgeschichtliche Reflexion
1.2. Abgrenzung der Perikope

2. Strukturanalyse:
2.1. Textlinguistische Fragestellungen
2.2. Formkritik

1. Einleitung:

1.1. Wirkungsgeschichtliche Reflexion

Die sogenannte „Tempelreinigung“ Jesu finden wir in allen vier kanonischen Evangelien.

Das Besondere dieser Perikope ist der kurzfristige Gewaltausbruch Jesu im Jerusalemer Tempel, der von allen vier Autoren in wenigen kurzen Versen[1] beschrieben wird. Der historische Jesus, welcher in den restlichen Erzählungen der kanonischen Evangelien als Prediger, Heiler und Wundertäter beschrieben wird, übt im Tempel von Jerusalem Gewalt aus.

Diese Exegese befasst sich mit der Perikope der Tempelreinigung bei Matthäus und den damit verbundenen Fragen:

- Was ist das Besondere an der Darstellung des Geschehens bei Matthäus?
- Wie wollte Matthäus den historischen Jesus darstellen?
- Beschreibt Matthäus in seinem Evangelium weitere, ähnliche Äußerungen?
- Gegen wen oder was richtete sich der Gewaltausbruch Jesu und
- was wollte Jesus mit seiner Aktion im und gegen den Tempel erreichen?

Ulrich Luz liefert hierzu die Erklärung[2], über den Sinn und die Absichten Jesu Aktion gegen den Tempel gäbe es heute nach wie vor heftige Diskussionen, da sich zwei Ansichten gegenüberständen. „1. Die einen halten die Tempelaustreibung für eine politische Aktion von größerem Ausmaß, die dann von den Evangelisten heruntergespielt worden wäre. 2. Die anderen rechnen mit einer prophetischen Zeichenhandlung Jesu, deren Sinn wiederum verschieden gedeutet wird.“ Die erste These, so Luz, besagt, Jesu Gewaltausbruch ziele darauf, sich weltliche Macht und somit ein weltliches Königreich anzueignen[3]. Sie wurde erstmalig von Hermann Samuel Reimarus aufgestellt und „seither immer wieder von Außenseitern der Forschung vertreten, unter denen in unserem Jahrhundert Karl Kautsky, Robert Eisler und S.G.F. Brandon besonders genannt seien.“[4] Die Vertreter der zweiten These lehnen diese erste These ab mit der Begründung, sie entspreche nicht dem Jesusbild der vier kanonischen Evangelien. Wäre der wahre, historische Jesus ein nach weltlicher Macht strebender Eroberer gewesen, so würde dies bedeuten, dass alle vier Evangelisten in ihren Evangelien die Identität des historischen Jesus völlig verschleiert und umgeformt hätten. Da ich diese erste These ebenfalls für sehr überspitzt halte, stimme ich der zweiten These, die Tempelreinigung als eine „prophetische Zeichenhandlung“ zu verstehen, zu.

Wirkungsgeschichtlich wurde die Perikope der Tempelreinigung in der Vergangenheit missionarisch ausgelegt. Jesus werde zu den Menschen kommen, um ihnen zu helfen und sie vom Bösen zu befreien. So haben Ambrosius und später auch Luther die Tempelreinigung mit Hilfe von 1Kor 3,16 so verstanden, dass der Tempel symbolisch für den einzelnen Menschen steht, aus denen die Händler symbolisch für die bösen Geister ausgetrieben werden. Hierzu zitiert Luz Luthers Adventspostille von 1522[5]: „Christus kommt vom Ölberg, dem Ort der Gnade, ‚nicht ..., um den Menschen zu schrecken, zu treiben oder zu unterdrücken, sondern um ihm zu helfen, seine Last zu tragen und auf sich zu nehmen’. Es gibt keinen anderen Anfang der Frömmigkeit, ‚als dass dein König zu dir komme und fange an dir an ... Du suchst nicht ihn, er sucht dich’.“[6]

Die letzte Frage, die sich hierzu stellt, ist die Frage nach der Historizität der Tempelreinigung. Hat sie tatsächlich stattgefunden? In wie weit lassen sich die Ereignisse im Tempel rekonstruieren?

1.2. Abgrenzung der Perikope:

Bei Luz findet sich der Hinweis, Mt 21,1-17 würde „in neuerer Zeit [...] als eine einzige Perikope“ betrachtet werden. Ich finde jedoch, die Tempelreinigung müsse vom Einzug Jesu in Jerusalem getrennt gelesen werden, da aus dem Text nicht hervorgeht, dass Jesus allein mit dem Anliegen den Tempel zu reinigen nach Jerusalem kam. Ich deute aus Mt 21,1-17, Jesus kam als Pilger zum Passafest nach Jerusalem. Er ging in den Tempel um zu lehren und fand auf dem Vorhof der Heiden Händler von Opfertieren und Geldwechsler vor. In seiner Wut über die Vermarktung des Kultes und die überhöhten Preise der Opfertiere, die es den Armen im Volk noch nicht einmal ermöglichten eine Taube für das Passaopfer zu kaufen, verlor Jesus für einen kurzen Moment die Beherrschung[7]. Ich glaube nicht, dass die Tempelreinigung eine geplante Aktion war, sondern halte sie eher für eine spontane Reaktion. Deshalb werde ich die Perikope der Tempelreinigung bei Matthäus von Kapitel 21,12-17 eingrenzen. Sie lässt Jesus in der Einleitung den Tempel betreten, beschreibt sein aggressives Handeln im Tempel sowie die darauf folgenden Reaktionen der Hohenpriester und endet damit, dass Jesus den Tempel und die Stadt wieder verlässt.

2. Strukturanalyse:

2.1 Textlinguistische Fragestellungen

Die Perikope der Tempelreinigung lässt sich bei Matthäus grob in vier Szenen unterteilen. Sie beginnt in V 21,12a mit einer knappen Einleitung „Und Jesus ging in den Tempel hinein“. In der ersten Szene zeigt sich Jesus von einer, an ihm bisher unbekannten, aggressiven Seite. In V12b vertreibt er alle Verkäufer und Käufer und stößt die Tische der Geldwechsler sowie die Ständer der Taubenhändler um. In der zweiten Szene spricht Jesus zu den noch Anwesenden im Tempel. Er stellt in V13a fest, dass in der Schrift geschrieben steht, „Mein Haus soll ein Bethaus heißen“ und verweist damit auf Jes 56,7. Im Anschluss daran beschuldigt er in V13b die Anwesenden, aus eben diesem Haus eine Räuberhöhle gemacht zu haben, womit er auf Jer 7,11 verweist. In der dritten Szene ist von der vorangegangenen Aggressivität Jesu nichts mehr zu erkennen. Wie bereits in einigen vorherigen Erzählungen[8], heilt Jesus in V14 Lahme und Blinde. Allerdings tut er dies im Tempel, was für seine Gegner eine Provokation ist.

Jesu Patienten sind zwar nicht unrein, sodass sie sich nur in den Eckräumen des Tempels hätten aufhalten dürfen,[9] jedoch hat Jesus sie im Tempel geheilt und somit „ein Zeichen gesetzt, dass die Sammlung des Gottesvolkes der kommenden Zeit begonnen hat.“[10] Damit provoziert Jesus die in den kanonischen Schriften mehrfach gestellte Frage nach der Vollmacht[11] seines Handelns. Die Reaktion auf das provokative Verhalten Jesu erfolgt in der vierten Szene. Jesu Wundertaten bleiben nicht ungesehen. Die Kinder im Tempel huldigen ihn in V15 mit „Hosianna“-Rufen[12], und Jesu Gegner entrüsten sich in V16a über seine Taten und darüber, dass er sich huldigen lässt. In V16b antwortet Jesus den Priestern darauf nicht nur mit einem Zitat aus Ps 8,3. „Aus dem Munde der Unmündigen und Säuglinge hast Du dir Lob bereitet“, sondern leitet dieses auch noch durch eine rhetorische Frage: „Ja! Habt ihr nie gelesen“ ein. Somit stößt Jesus seine Gegner vor den Kopf, indem er ihnen zu verstehen gibt, sie würden ihre eigene Schrift nicht kennen, und falls doch, dann würden sie diese anscheinend nicht richtig verstehen. Danach lässt er die Hohenpriester in V17 einfach stehen und verlässt in Szene 5 die Stadt, um die Nacht in Betanien zu verbringen.

Beim Lesen der Perikope fallen zwei deutliche Spannungsbögen auf. Der erste erstreckt sich von V12-13. Jesus betritt den Tempel und übt Gewalt aus. Die Spannung erreicht mit V13 ihren Höhepunkt. Jesus erklärt sein Handeln und beschuldigt die Anwesenden, das Haus seines Vaters zu einer Räuberhöhle gemacht zu haben. Der Leser, der nun eine actionreiche Auseinandersetzung Jesu mit den Anwesenden erwartet, wird enttäuscht. Mit V14 folgt ein Einschnitt. Die Spannung, die bis eben noch ihren Höhepunkt hatte, bricht abrupt ab, und es bietet sich dem Leser eine neue, vollkommen ruhige Szene. Jesus heilt Lahme und Blinde im Tempel. Erst in V15 baut sich die Spannung von neuem auf. Da wird nun berichtet, dass den Hohenpriestern und Schriftgelehrten das wohltätige Handeln Jesu und die Hosianna-Rufe der Kinder missfallen. Sie gehen zu ihm und sprechen Jesus an. Wieder erreicht die Spannung in der Antwort Jesu ihren Höhepunkt. Die Situation ist zum Zerreißen angespannt. Wieder erwartet der Leser eine Antwort auf Jesu Handeln und Sprechen, doch er bekommt keine. Matthäus lässt die Gegner schweigen und stellt die Situation so dar, als hätte Jesus damit gerechnet keine Antwort zu erhalten. Er dreht sich um, verlässt den Tempel und schließlich auch die Stadt.

Das Besondere an der Perikope bei Matthäus gegenüber Markus und Lukas ist das von Matthäus verwendete Sondergut in VV14-16. Jesus heilt im Tempel Lahme und Blinde. Er wird von den dort anwesenden Kindern mit Hosianna-Rufen gehuldigt, wie bereits zuvor beim Einzug in Jerusalem und er rechtfertigt sein Handeln und die Huldigungen der Kinder mit Ps 8,3. Dieses Sondergut dient Matthäus dazu, sein Jesusbild darzustellen. Matthäus übernimmt die Darstellung der Tempelreinigung von Markus, weil sie ihm wichtig war. Er hat bei Markus gehört oder gelesen, dass Jesus im Tempel gesprochen und gehandelt hat, doch das deckt sich nicht mit seinem messianischen Jesusbild. Er will Jesus in seinem Evangelium als Helfer der Notleidenden, Heiler und Vergebner der Sünden hervorheben. Deshalb lässt er ihn im Tempel heilen und die Kinder dafür „Hosianna dem Sohn Davids“ rufen. Sie bezeugen, dass er der Davidssohn ist und erkennen ihn als Messiaskönig an. Die Hohenpriester und Schriftgelehrten, die ihn eigentlich als erste erkennen müssten, tun dies nicht. Sie entrüsten sich über seine Heilungen und erst recht darüber, dass er gehuldigt wird und sich huldigen läst. Matthäus verleiht seinem Sondergut zum Ende noch eine kleine Pointe, indem er Jesus mit Ps 8,3 antworten läst. Damit sagt Jesus zum einen, dass bereits in der Schrift geschrieben steht, die Kinder seien die wahren Repräsentanten Israels, und zum anderen wirft Jesus den Hohenpriestern und Schriftgelehrten durch die vorangestellte rhetorische Frage „Ja! Habt ihr nie gelesen“[13] vor, dieses nicht zu verstehen oder verstehen zu wollen.

Die mt Perikope der Tempelreinigung ist im Präteritum geschrieben. Nur in den wörtlichen Reden Jesu und der Hohenpriester und Schriftgelehrten verwendet Matthäus das Präsens. Der Erzählstil ist ein recht einfacher. Matthäus reiht Handlungsabläufe durch Konjunktionen (10-mal „und“ als Satzanfang oder Satzverbindungen) aneinander. Er beschreibt ausführlich den Gewaltausbruch Jesu gegen die Sachgegenstände, dass er sowohl Verkäufer und Käufer hinaus trieb und anschließend sein Handeln mit einem Mischzitat aus Jes 56,7 und Jer 7,11 begründet. Die Reaktion der Verkäufer und Käufer werden nicht erwähnt. Es ist schwer vorstellbar, das diese sich einfach haben hinaustreiben lassen. Jesus hatte den Verkäufern ihr Geschäft kaputt gemacht und die Käufer daran gehindert ihr Opfer zu erwerben. Auch der Einschub, Jesus habe Lahme und Blinde geheilt und sei dafür gehuldigt worden, ist längst nicht so ausführlich wie die anderen Wundergeschichten[14] von Matthäus. Es ist anzunehmen, dass Matthäus dieses Sondergut in erster Linie eingefügt hat, um das Zitat von Ps 8,3 einbringen zu können.

Besonders in der Perikope der Tempelreinigung sind die für Matthäus typischen Paarungen stark vertreten. In V12 trieb Jesus „alle Verkäufer und Käufer“ aus dem Tempel und stieß „die Tische der Geldwechsler und die Stände der Taubenhändler“ um. In V14 heilt Jesus „Blinde und Lahme“ und in V15 entrüsten sich die „Hohenpriester und Schriftgelehrten“ über „die Wunder [...] und die Kinder“. In V16 erwähnt Jesus daraufhin die „Unmündigen und Säuglinge“. Diese Paarungen haben unter anderem zur Folge, dass Matthäus sehr oft das Wort „Und“ verwendet. Insgesamt 16 mal in der Perikope der Tempelreinigung. Sechsmal benutzt Matthäus das „Und“ als reines Bindeglied zwischen zwei Paarungen, dreimal als Satzanfang und siebenmal als Bindeglied zwischen den einzelnen Satzteilen.

2.2. Formkritik:

Bei der Perikope der Tempelreinigung handelt es sich um einen Bericht über das Wirken Jesu bei seinem letzten Aufenthalt in Jerusalem. Matthäus thematisiert in diesem Bericht den Konflikt zwischen Jesus und den jüdischen Führern. Jesus lehnt die Hohenpriester und Schriftgelehrten ab und ernennt stattdessen die Kleinen des Volkes, die Kinder, die Armen, die Notleidenden und Kranken unabhängig von ihrer Zugehörigkeit zum Judentum zum wahren Gottesvolk. Zudem spricht er den Hohenpriestern und Schriftgelehrten das richtige Schriftverständnis ab. Damit zieht er die Feindschaft der jüdischen Führer auf sich.

[...]


[1] Vgl. Mk 11,15-16; Mt 21,12; Lk 19,45; Joh 2,14-15

[2] Vgl. U. Luz a), S. 185-186

[3] Vgl. U. Luz a), S. 185-186

[4] Vgl. U. Luz a), S. 185-186

[5] = Evangelien-Auslegung II 689.692 in: U. Luz a) S. 193

[6] Vgl. U. Luz a), S.193

[7] Vgl. Kapitel 3.2.

[8] Vgl. Mt 4,23-24; 8,2-3.5-17.28-32; 9,1-8.18-36; 11,5; 12,10-13.22; 17,14-18; 19,1; 20,29-34;

[9] Vgl. H.-M. Döpp S.165

[10] Vgl. U. Luz a), S. 188

[11] Vgl. Mt 7,28-29; 9,6; 21,25-27; Mk 1,22.27; 2,10; 11,27-33; Lk 4,32; 20,1-8; Joh 2,18; 5,19ff;

[12] Vgl. Mt 21,9.17; Mk 11,10; Lk 1,27.32; 2,4.11.29-32; 3,31; 19,38; 20,41-44; 23,3; Joh 1,39; 7,42; 12,13;

[13] Vgl. Mt 21,16

[14] Vgl. Mt 4,23-24; 8,2-3.5-17.28-32; 9,1-8.18-36; 11,5; 12,10-13.22; 17,14-18; 19,1; 20,29-34;

Ende der Leseprobe aus 26 Seiten

Details

Titel
Die Perikope der Tempelreinigung (Exegese Mt 21,12-17). Eine historisch-kritische Analyse
Hochschule
University of Sheffield  (Bergische Universität Wuppertal)
Veranstaltung
Grundwissen des NT
Note
2,3
Autor
Jahr
2005
Seiten
26
Katalognummer
V46904
ISBN (eBook)
9783638439879
ISBN (Buch)
9783638707954
Dateigröße
450 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Historisch kritische Analyse der Perikope der Tempelreinigung bei Mt unter Berücksichtigung seines Sondergutes in VV15-17.
Schlagworte
Perikope, Tempelreinigung, Eine, Analyse, Grundwissen, Exegese, Jesus, Matthäusevangelium, Synopse, Mt 21, Christus, Christ, Christentum, Tempel, Jerusalem
Arbeit zitieren
Bettina Kuß (Autor:in), 2005, Die Perikope der Tempelreinigung (Exegese Mt 21,12-17). Eine historisch-kritische Analyse, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/46904

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