Der Einfluss von Hunden auf die lokale Bevölkerung in Jumilla, Spanien, auf sozio-kultureller, ökonomischer und gesundheitlicher Ebene


Studienarbeit, 2019

32 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhalt

Berichtsteil: Abschnitt 1: Deskriptiver Teil
Akteure und relevante Orte meiner Forschungsübung
Motivation für mein Forschungsthema
Zugang und Kontakt zum Feld
Meine Aufgaben bei C. P. Jumilla
Ergebnisse meiner Feldforschungsübung
1. Ökonomische Ebene: Berufliche und finanzielle Entscheidungen und Möglichkeiten durch Hunde bei verschiedenen Akteuren
2. Sozio-kulturelle Ebene: Soziale Interaktionen und Beziehungen, Konflikte und kulturelle Veranstaltungen durch Hunde in Jumilla
3. Gesundheitliche Ebene: Physiologischer und psychologischer Einfluss von Hunden in Jumilla

Abschnitt 2: Reflektierender Teil

Resümee

Literatur

Anhang

Teil A

Executive Summary

Dieser Projektbericht handelt von einer vierwöchigen Feldforschungsübung, in der spanischen Kleinstadt Jumilla im thematischen Bereich Mensch-Hund-Beziehungen, die von Ende Juli bis Ende August 2017 durchgeführt wurde. Im Rahmen des Moduls „B.Eth.361: Studentisches Praxisprojekt“, wird diese Erfahrung im Folgenden präsentiert und aufbereitet.

Die Mitarbeit bei der lokalen Tierschutzorganisation C. P. Jumilla ermöglichte mir, als Form der teilnehmenden Beobachtung, den Zugang zum Feld. In diesem Bericht wird erklärt, aus welcher Motivation heraus ich mich für dieses Projekt entschied und welche Rolle mein persönlicher Tierschutzhintergrund dabei spielte. Außerdem wird beschrieben, was neben meiner Arbeit mit sogenannten „Angsthunden“ im Tierheim noch zu meinen Aufgaben gehörte. Zudem wird kurz erläutert, wie sich im Laufe meiner Feldforschungsübung die Forschungsfrage „Inwiefern beeinflussen Hunde in Jumilla, Spanien, die lokale Bevölkerung auf ökonomischer, sozio-kultureller und gesundheitlicher Ebene?“ entwickelte. Anhand von diesen drei Bereichen, die ich als „Ebenen“ bezeichne, präsentiere ich einen Teil meiner Forschungsergebnisse und Beobachtungen und erläutere, welche Erkenntnisse ich daraus gezogen habe. Dazu nenne ich ausgewählte Fallbeispiele von meinen Gesprächen oder eigenen Erlebnissen, die meine Schlussfolgerungen unterstützen sollen.

Berichtsteil: Abschnitt 1: Deskriptiver Teil

Im Rahmen des Moduls „B.Eth. 361: Studentisches Praxisprojekt“ organisierte ich in der spanischen Kleinstadt Jumilla eine vierwöchige Feldforschungsübung zum Themenbereich „Mensch-Hund-Beziehungen", die ich vom 23. Juli bis zum 19. August 2017 durchführte. Während des Aufenthalts entwickelte sich meine grob formulierte Frage nach der Anwendbarkeit ethnologischer Methoden für die Untersuchung von Mensch-Hund-Beziehungen zu der spezifischeren Frage danach, inwiefern Hunde soziale Interaktionen, Beziehungen oder Konflikte in Jumilla, Spanien, beeinflussen. Doch durch zusätzliche Erkenntnisse aus anderen Bereichen, die ich ebenfalls für sehr relevant und untrennbar von den sozio-kulturellen Aspekten hielt, entschied ich mich für die offener gestellte Fragestellung „Inwiefern beeinflussen Hunde in Jumilla, Spanien, die lokale Bevölkerung auf sozio-kultureller, ökonomischer und gesundheitlicher Ebene?“.

Im folgenden Abschnitt werde ich zunächst das Feld inklusive der relevanten Akteure und Orte benennen. Anschließend gehe ich auf die Motivation für die Wahl dieses Forschungsthemas sowie den Zugang durch meinen persönlichen Tierschutzhintergrund, meine angewandten Methoden und meine gesammelten Ergebnisse ein.

Für meine Feldforschungsübung wählte ich die teilnehmende Beobachtung als ethnologische Methode, daher arbeitete ich unentgeltlich als Freiwillige bei C. P. Jumilla, einer gemeinnützigen lokalen Organisation im Südosten Spaniens, die sich aktiv für Tierschutzthemen in der näheren Umgebung der Kleinstadt einsetzt. Die Arbeit dieser NGO ist insbesondere auf den Bereich von Hunden ausgerichtet, während Katzen und andere Heimtiere nur dann miteinbezogen werden, wenn die nötigen Ressourcen vorhanden sind. Nutztiere im agrarwirtschaftlichen Sinne sind davon ausgeschlossen. Zwei deutsche Tierschutzvereine unterstützen seit etwa vier Jahren C. P. Jumilla bei ihrer Arbeit, insofern, dass finanzielle Spenden, Nahrungsmittel und andere materielle Güter für die Hunde gesammelt, Wissen ausgetauscht und gemeinsame Kastrations- und Aufklärungsprojekte durchgeführt werden. Außerdem gelang es in den vergangenen Jahren, mithilfe der Zusammenarbeit, viele Hunde nach Deutschland zu vermitteln. Das Tierheim in Jumilla konnte dadurch entlastet werden, sodass sie neue Hunde aufnehmen und versorgen konnten. Durchschnittlich handelt es sich dabei um ca. 50 Hunde, die jährlich von einem der beiden Vereine vermittelt werden. Heute gibt es den beteiligten Organisationen zufolge keine Straßenhunde mehr in Jumilla. Als aktuelle Ursachen für den ständigen Zuwachs weiterer Tierheimhunde werden insbesondere die unkontrollierte Vermehrung von Besitzerhunden genannt, deren Nachkommen ausgesetzt oder auf tierschutzrelevante Art und Weise „entsorgt“ werden, als auch das Aussetzen von Hunden an öffentlichen Orten, das in Andalusien häufig geschieht, wenn Hundehalter*innen in den Urlaub fahren. Warum dieser Hintergrund für meinen Zugang zum Feld relevant ist, werde ich in diesem Abschnitt noch verdeutlichen.

Akteure und relevante Orte meiner Forschungsübung

Die NGO C. P. Jumilla besteht aus einem „Kernteam“, wie ich es nenne, bei dem, der Tierheimleiterin zufolge, zehn aktive Mitglieder regelmäßig Aufgaben übernehmen sowie einem etwas größerem sozialen Netzwerk, das aus zahlreichen inaktiven Mitgliedern, gelegentlichen freiwilligen Helfer*innen oder Unterstützer*innen besteht. Die Aufgaben bei C. P. Jumilla sind vielfältig und erfordern Flexibilität, Spontanität sowie emotionale und körperliche Belastbarkeit. Ihr gemeinsames Ziel ist, bei der Bevölkerung von Jumilla und der Umgebung für mehr Sensibilität und Achtsamkeit zu sorgen. Dies bezieht sich insbesondere auf einen verantwortungsvollen Umgang mit Heimtieren wie Hunden und Katzen. Mithilfe von Öffentlichkeitsarbeit, Schulbildungsaktionen, Kastrationskampagnen, Benefizveranstaltungen und anderen Projekten, soll dies umgesetzt werden. Das Tierheim in Jumilla dient der Aufnahme und Versorgung von halterlosen Hunden, die entweder an öffentlichen Orten aufgefunden oder von deren vorherigen Halter*innen abgegeben werden. Für die aufwändige und zeitintensive Versorgung der Tierheimhunde, die offiziell C. P. Jumilla und nicht der Stadt gehören, sind J. und M. fest angestellt. Ihre Gehälter werden von Geldern der jumillanischen Stadtverwaltung bezahlt und zu einem gewissen Anteil von C. P. Jumilla aufgestockt. Alle restlichen Mitarbeiter*innen bzw. Helfer*innen arbeiten freiwillig und werden nicht finanziell entlohnt. In manchen Fällen werden jedoch Aufwandsentschädigungen oder andere Kosten erstattet, wie beispielsweise Fahrtkosten. Die genaue Zahl der aktiven Mitglieder kann ich nicht bestimmen, da sich die Teilnahmeintensität unregelmäßig verändert. Die wichtigste Ansprechpartnerin ist die Tierheimleiterin I., da sie nicht temporär begrenzt, sondern bereits seit zehn Jahren kontinuierlich an langfristigen Zielen und Projekten arbeitet. Für meine Feldforschungsübung war sie daher eine sehr wichtige Gesprächspartnerin und während meines Aufenthaltes konnte ich in ihrer Privatwohnung unterkommen. Ebenso aufschlussreich waren aber auch meine Gespräche mit den Tierärzten L. und U. und der Mitarbeiterin Ml von L.s Tierarztpraxis, den anderen Mitgliedern des Kernteams, weitere Personen aus dem Tierschutznetzwerk von C. P. Jumilla, Passanten, die ich bei meinen Spaziergängen mit Hunden traf und Anwohner*innen oder Hundehalter*innen denen ich bei Einsätzen begegnete.

Auf die genannten Akteure traf ich an Orten wie dem Tierheim, dem Empfangsraum oder Wartezimmer der Tierarztpraxen, in denen ich viel Zeit zum Beobachten verbrachte oder auch bei privaten Einzel- oder Gruppentreffen in Restaurants und Bars, bei denen die Gespräche hauptsächlich von der Tierschutzarbeit handelten. Täglich hielt ich mich an öffentlichen Plätzen auf, an denen ich Hundehalter*innen und Nicht-Hundehalter*innen beobachten konnte. Dazu gehörte auch die Zone in Jumilla, in der Hundehalter*innen ihre Hunde ausführen und gelegentlich auch ohne Leine laufen lassen (siehe Anhang, Bild 1). Dabei handelt es sich um einen flachen Bereich, mit trockenem Boden, der stückweise von Gräsern und Sträuchern bewachsen ist, die typisch für die andalusische Vegetation sind. Auffällig ist der hohe Anteil an Müll, der an vielen Stellen zu finden ist.

Motivation für mein Forschungsthema

Während meiner aktiven Mitarbeit in einem Göttinger Tierschutzverein wurde ich häufig mit der Aussage von Teammitgliedern konfrontiert, dass der Tierschutz in Jumilla „einzigartig“ und „besonders“, insbesondere für diese Region, sei. Doch was meinten meine Kolleginnen damit?

Zum einen besteht das Alleinstellungsmerkmal von C. P. Jumilla darin, dass bei der Organisation weitestgehend homogen auf den Umgang mit Hunden auf Basis „positiver Verstärkung“ geachtet wird. Dies ist im Hundetraining ein gängiger Begriff, der von aktuellen wissenschaftlichen Lerntheorien herrührt. In Hundetrainings- und Tierschutzkreisen ist gemeint, dass Hunde nicht mithilfe des Hinzufügens von Bestrafung erzogen, sondern über das Aufzeigen und Belohnen des erwünschten Verhaltens trainiert werden. C. P. Jumilla instruiert seine Mitarbeiter*innen dahingehend, arbeitet an Aufklärungsprogrammen für die Öffentlichkeit und kooperiert nur mit Hundetrainer*innen, die auf dieser Grundlage arbeiten. Außerdem werden für die Tierheimhunde in der Regel keine Halsbänder, sondern Brustgeschirre, verwendet, um physische und psychische Folgeschäden bei den Hunden zu vermeiden. Neben dem Effekt von Halsbändern, klärt C. P. Jumilla zudem in unterschiedlichen Kampagnen über die Nebenwirkungen von sogenannten aversiven Methoden, also den Einsatz von Schreckreizen wie das Werfen eines lauten Objektes nach dem Hund oder dem Sprühen mit einer Wasserpistole bei unerwünschtem Verhalten sowie Starkzwangmitteln, wie Stromschockhalsbänder und Kettenwürger – um nur ein paar Beispiele zu nennen - auf. Obwohl solche „Erziehungsmethoden“ auch in Deutschland nur teilweise gesetzlich verboten sind, verstoßen sie vielen Tierschützer*innen zufolge gegen das Tierschutzgesetz. Dennoch gibt es zahlreiche deutsche Tierheime und staatlich geprüfte Hundetrainer*innen, die solche aversiven Methoden anwenden, da sie wissenschaftliche Lerntheorien außer Acht lassen und stattdessen auf „traditionelle“ autoritäre, nur kurzfristig effektive Hundeerziehung bauen, die zu einem hohen Anteil auf „Mythen“ basiert, die sich auf längst widerlegte Dominanz- und Wolfsrudeltheorien aus den 1950 und 1960er Jahren zurückführen lassen. Diese unterschiedlichen „Strömungen“ finden sich aber nicht nur in Deutschland und Spanien, sondern lassen sich durch die sozialen Medien und TV-Formate weltweit beobachten. Dieser Hintergrund ist ein wichtiger Bestandteil für die Motivation des deutschen Tierschutzvereins, für den ich tätig bin, mit C. P. Jumilla langfristig zusammenzuarbeiten.

Ebenso relevant für diese Zusammenarbeit ist, dass im Rest von Andalusien vor allem sogenannte pererras, also Hundetötungsstationen bei denen halterlose Hunde „entsorgt“ werden, die Regel darstellen. Allerding ist die ehemalige perrera in Jumilla seit ungefähr 10 Jahren vollständig stillgelegt (siehe Anhang, Bild 5,6,7 und 8). Zuvor hatte sich eine Gruppe von Tierschützer*innen aus Jumilla zusammengeschlossen und Unterschriften und Spenden gesammelt, um das lokale Tierheim zu bauen. Seit einigen Jahren gibt es keine Straßenhunde in der Stadt, lediglich halterlose Hunde in den Bergen, die sich nur schwer einfangen lassen, in der Regel jedoch nicht in die Stadt kommen. Doch durch unkastrierte Besitzerhunde landen immer wieder Welpen auf der Straße oder Bewohner*innen der Region setzen ihre Hunde aus, die sie zuvor über das Internet aus einer Zucht oder einem Welpenhandel gekauft haben, oder geben diese zur Adoption frei. Trotz der aktuellen Problematik von sogenannten „Welpenschwemmen“ im Frühjahr und Herbst eines Jahres und dem regelmäßigen Zuwachs neuer Tierheimhunde, gilt die Erhaltung des Tierheims durch C. P. Jumilla in für europäische Tierschutzverhältnisse als „besonderer Ausnahmefall“. Die Erzählungen meiner Kolleginnen weckten meine Neugierde und die ersten großen Fragen die sich mir stellten waren zunächst: Was zeichnet die Arbeit von C. P. Jumilla aus, wenn man sich den lokalen Kontext genauer ansieht? Wie kann ich mich in Hinblick auf mein Ethnologiestudium mit dieser Thematik auseinandersetzen? Eignen sich ethnologische Methoden für die Untersuchung von tierschutzrelevanten Zusammenhängen und Dynamiken?

Während Tiere in der Ethnologie gewöhnlich als passiver Bestandteil des menschlichen Lebens betrachtet und in Bezug auf Nutztierhaltung als wirtschaftliche Ressource, Produktionsmittel oder Statussymbol untersucht werden, aber auch relevant für die Erforschung von Totemtieren, Symbolsystemen oder ethnozoologischen Begriffen sind, fordern post-humanistische Ansätze aus den Human-Animal-Studies neue „multi-species“-Konzepte, die die anthropozentrische Perspektive überwinden sollen. So werden Tiere von manchen Forschenden der Human-Animal-Studies als aktiv handelnde Akteure mit einem diskutierbaren Grad an agency untersucht. Anthropozentrismus wird zunehmend in unterschiedlichen Disziplinen thematisiert und kritisiert, sowohl in einem wissenschaftlichen Rahmen als auch im öffentlichen Diskurs und wird von manchen Forschenden mit Theorien zu Herrschaftsverhältnissen in Verbindung gebracht (Chimaira 2011). Dem lassen sich auch Strömungen zuordnen, die gesellschaftliche Mensch-Tier-Verhältnisse aus der queer- und gender-theoretischen Perspektive betrachten (Chimaira 2011). Auch wenn ich in diesem Bericht nicht näher darauf eingehe, verleiten mich diese Entwicklungen zu dem Anspruch, mich mit der Beteiligung der Ethnologie an den Human-Animal-Studies auseinanderzusetzen. Als Ethnologiestudentin verfolge ich das Ziel, mit einer ethnologischen Herangehensweise ein Verständnis für diesen Bereich zu entwickeln. Anhand der teilnehmenden Beobachtung beabsichtige ich, einen Eindruck von den Mensch-Hund-Beziehungen in Jumilla zu gewinnen, um meine Erfahrungen und Erkenntnisse dann in den größeren Bereich der interdisziplinären Human-Animal-Studies einbetten zu können.

Zugang und Kontakt zum Feld

Der Handlungsbedarf des spanischen Tierschutzvereines erfordert eine Kooperation mit anderen spanischen und ausländischen Tierschutzvereinen, die bei der Akquise von Spenden und materiellen Hilfsgütern sowie der Vermittlung von Hunden ins In- und Ausland helfen. Vor wenigen Jahren hat sich einer der deutschen Vereine zurückgezogen und unterstützt heute nur geringfügig mit der Vermittlung von Hunden. Daher ist die spanische NGO neben der lokalen Unterstützung von der Zusammenarbeit mit dem verbliebenen deutschen Verein abhängig. In diesem Verein bin ich selbst ehrenamtlich neben meinem Studium tätig und habe durch die Mitarbeit an einem gemeinsamen Kastrationsprojekt in Jumilla den Zugang erhalten. Dadurch entstand der erste Kontakt zu „Expert*innen“ – lokalen Tierärzten und Tierschützer*innen, deren Perspektiven für mein Forschungsthema relevant sind. Durch die Zusammenarbeit mit I., die dringend nach freiwilligen Helfer*innen während des Sommers suchte, eröffnete sich mir die Gelegenheit, bei gestellter Unterkunft und bereits bestehenden Kontakten meine Feldforschungsübung im Themenbereich Mensch-Hund-Beziehungen durchzuführen. Während meiner Planungsphase wurde mir von Kolleginnen und I. erklärt, dass öffentliche Verkehrsmittel in der „eher kleinen und geografisch isolierten Stadt“ stark begrenzt seien. Die Bewohner*innen nutzen daher entweder Autos oder gehen zu Fuß, wenn sie im Zentrum wohnen. Wegen der hohen Kosten eines Mietautos zuzüglich der Kosten einer Flugreise, entschied ich mich für die Anreise mit meinem eigenen Auto, die ich selber finanzierte. Die 2.000-Kilometer-Strecke fuhr ich in 4-Tages-Etappen von Göttingen aus, über Frankreich und an der spanischen Ostküste entlang, vorbei an Barcelona und Valencia. Auf Teilstrecken konnte ich Mitfahrer*innen über eine entsprechende Smartphone-App organisieren, wodurch ich einen großen Teil der Benzinkosten einsparte.

Durch die vorherige Kommunikation über die Whatsapp-Gruppe meines Tierschutzvereins und der C. P. Jumilla-Gruppe gelang der Einstieg reibungslos nach meiner Ankunft in Jumilla. Eine Erklärung, wer ich bin und weshalb ich vor Ort war, war bei den Teammitgliedern nicht notwendig. Die meisten von ihnen gingen davon aus, dass ich als Freiwillige aushelfen sollte. Ich wies daher darauf hin, dass ich nicht nur als freiwillige Mitarbeiterin dort war, sondern gleichzeitig auch eine ethnologische Feldforschungsübung für mein Studium durchführte. Dazu erklärte ich auch jedem grob mein Forschungsthema, worauf ich ausschließlich positive Reaktionen erhielt. Die meisten drückten Interesse und Neugierde aus und erklärten sich bereit, mit mir Interviews zu führen oder sonstige Fragen zu beantworten.

Meine Aufgaben bei C. P. Jumilla

In diesem Abschnitt beschreibe ich meine Aufgaben bei C. P. Jumilla sowie mein Arbeitspensum anhand meines alltäglichen Tagesrhythmus.

Während meines Aufenthaltes hatten viele Jumillaner*innen Sommerferien, weshalb auch viele der Teammitglieder zur Zeit meines Aufenthaltes nicht vor Ort waren. Wegen der saisonal bedingten Unterbesetzung übernahm ich unterschiedliche Aufgaben, die mir in der Regel ad-hoc zugewiesen wurden. Dazu gehörte unter anderem, Hunde vom Tierheim aus zum Tierarzt, zu Pflegestellen, Adoptanten oder einem Hundetrainer zu fahren sowie den avisos – also Meldungen – nachzugehen, bei denen ich entweder in Begleitung oder alleine zu Koordinaten fuhr, an denen Anwohner*innen oder Passanten freilaufende Hunde gesichtet hatten. Je nach Fall musste entweder ein Hund angelockt und eingefangen oder ein Gespräch mit den Anwesenden vor Ort geführt werden. Oft galt es dabei herauszufinden, welche Informationen über den Hund oder dessen Halter*in bekannt waren. Sowohl in meiner aktiven als auch passiv begleitenden und zuhörenden Position, konnte ich stets eine positive Resonanz seitens der anwesenden Personen auf die protectora vernehmen. Dieser Begriff bedeutet übersetzt „Beschützerin“, in diesem Kontext ist damit aber die Tierschutzorganisation C. P. Jumilla gemeint. Der Begriff protectora wurde von den meisten meiner Gesprächspartner*innen verwendet. Aus den Fragen, nach Informationen zum Hund, entwickelten sich häufig Gespräche über andere Hundehalter*innen in der Nachbarschaft, aktuelle Tierschutzthemen oder die eigenen Hunde. Nicht selten kritisierten meine Gesprächspartner*innen bei diesen Einsätzen die „Mentalität“ in Jumilla, Hunde auszusetzen oder zu misshandeln. Dabei wurde von vielen Personen Mitleid mit den Hunden und gleichzeitig Dankbarkeit an die protectora ausgedrückt.

Eine weitere Aufgabe für C. P. Jumilla war, Fotos und Videos von Hunden des Tierheims, bei Pflegestellen oder bei Hundehalter*innen zur Vermittlungshilfe aufzunehmen. Etwa alle zwei bis drei Tage arbeitete ich mit Angsthunden im Tierheim, um die Vermittlungschancen zu erhöhen, da diese Art von Hunden ohne entsprechendes Training nicht dazu fähig sind, sich in ein Leben außerhalb des Tierheims einzufügen. Nicht unerheblich bei der Arbeit im Tierheim waren die gewöhnungsbedürftigen Bedingungen, wie etwa die immense Lautstärke des beinahe durchgängigen Gebells der ca. 80 Hunde, das der Tierheimmitarbeiter J. nur mit einem Ohrenlärmschutz langfristig aushielt, oder der penetrante Geruch der Hundeausscheidungen.

Mein Tagesrhythmus sah folgendermaßen aus: Morgendliches Aufstehen zwischen 7 und 9 Uhr, vor dem Frühstück und Duschen die Versorgung der drei bis fünf Hunde in I.s Wohnung – dazu gehörte ein kurzer Spaziergang, die Fütterung und die Medikamentengabe. Nach dem Frühstück fuhr ich je nach Absprache mit I. entweder ins Tierheim, zu Tierarztterminen oder nahm mir Zeit für PC-Arbeit, um meine Feldforschungsübung weiter zu bearbeiten. Täglich von 9 Uhr bis 14 Uhr waren entweder Mc. oder J. im Tierheim. Von 14 bis 17 Uhr ist es im Sommer in Jumilla in der Regel so heiß, dass sich kaum jemand außerhalb des Hauses aufhält. Stattdessen wird eine Mittagspause gemacht, was für die meisten Mittagessen oder Mittagsschlaf bedeutet. Zu dieser Zeit hielt ich mich daher in der Regel auch in der Wohnung auf, um zu essen, Schlaf nachzuholen oder am PC zu arbeiten oder erledigte in der Zeit Einkäufe in einem Supermarkt. Ab 17 Uhr ging ich entweder Aufgaben nach, die mir von I. oder J. übertragen wurden, fuhr wieder ins Tierheim, das in der Zeit von 17 bis 20.30 Uhr geöffnet hat, oder zu einer anderen Welpen- und Katzenunterkunft, um dort selbstständig oder in Begleitung zu arbeiten. Ab 20 Uhr kehrte ich meistens zurück in meine Unterkunft und arbeitete an meiner Feldforschungsmitschrift bis mindestens 24 Uhr oder später - mit kurzen Pausen zum Essen oder für die Versorgung der drei bis fünf Hunde.

Neben der Arbeit bei C. P. Jumilla gab es auch private Aufgaben für I., wie die bereits erwähnte Versorgung ihrer eigenen Hunde sowie Einkäufe, Autofahrten und sonstige Besorgungen. Weil sie die Tierheimleiterin ist und sich ihr Privatleben nicht von ihrer Tierschutzarbeit trennen lässt, stand jede private Aufgabe auch in Verbindung mit C. P. Jumilla, da sie zum einen die gewonnene Zeit für die Tierschutzarbeit nutzen konnte und zum anderen ein paar der Hunde in ihrer Wohnung der Organisation gehören.

Die genaue Anzahl meiner Arbeitsstunden kann ich nur schätzen; in der Regel kam ich ungefähr auf zwölf Stunden am Tag, in denen ich im Rahmen der teilnehmenden Beobachtung für C. P. Jumilla arbeitete oder meine Ergebnisse und Beobachtungen schriftlich festhielt. Durch die hohe Arbeitsbelastung kamen Freizeitaktivitäten mit lokalen Kontakten nur in Ausnahmefällen in Frage. Dabei handelte es sich aber letztendlich immer um forschungsrelevante Aktivitäten wie gemeinsames Abendessen, Spazierengehen oder einem Ausflug an einen Badefluss, an dem man auf Hundehalter*innen aus Jumilla traf. Diese „Freizeitaktivitäten“ boten mir nämlich immer weitere Gesprächs- und Beobachtungsmöglichkeiten für meine Feldforschungsübung oder ermöglichten mir einen neuen Kontakt.

Ergebnisse meiner Feldforschungsübung

Dieser Abschnitt handelt von Forschungsergebnissen, die durch eigene Beobachtungen, Erlebnisse und Gespräche entstanden sind. Um für eine übersichtliche Struktur zu sorgen, teile ich meine Ergebnisse in verschiedene „Ebenen“ ein, die miteinander in Beziehung stehen und deren Grenzen fließend sein können. In Hinblick auf Hunde beziehe ich mich nicht auf Akteure mit agency, also eigenem Handlungsvermögen, wie dies aktuell in den Human-Animal-Studies im Diskurs steht, sondern beschreibe die Wirkung der passiven Anwesenheit oder Existenz von Hunden auf das Leben der jumillanischen Bevölkerung auf ökonomischer, sozio-kultureller und gesundheitlicher Ebene. Mit Blick auf die Akteure unterschiedlicher Größenordnungen (Individuen, Haushalte, Familien, soziale Netzwerke und andere Akteure wie Polizei oder Stadtverwaltung) entschied ich mich für die Vorstellung meiner Ergebnisse mit diesen Schwerpunkten, um im Rahmen des Projektberichtes zu bleiben.

1. Ökonomische Ebene: Berufliche und finanzielle Entscheidungen und Möglichkeiten durch Hunde bei verschiedenen Akteuren

Den Aussagen vieler Gesprächspartner*innen zufolge beeinflussen die Hundehaltung, die Arbeit mit Hunden oder ihre bloße Anwesenheit in Jumilla, finanzielle und berufliche Entscheidungen oder Möglichkeiten verschiedener Akteure. Dazu gehören Individuen, Familien, Haushalte, die Tierschutzorganisation, aber auch die Stadt(verwaltung) Jumilla und sogar die Polizei. Es lassen sich ein soziales Netzwerk und eine Community erkennen, durch die sich berufliche Möglichkeiten ergeben oder unterschiedliche Ressourcen miteinander geteilt werden.

[...]

Ende der Leseprobe aus 32 Seiten

Details

Titel
Der Einfluss von Hunden auf die lokale Bevölkerung in Jumilla, Spanien, auf sozio-kultureller, ökonomischer und gesundheitlicher Ebene
Hochschule
Georg-August-Universität Göttingen  (Ethnologisches Institut)
Veranstaltung
Studentisches Praxisprojekt
Note
1,3
Autor
Jahr
2019
Seiten
32
Katalognummer
V468879
ISBN (eBook)
9783668985834
ISBN (Buch)
9783668985841
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Im Anhang befinden sich Fotos, die ich während meines Forschungsaufenthaltes aufgenommen habe.
Schlagworte
Ethnologie, Feldforschung, Mensch-Tier-Beziehungen, Human-Animal-Studies, Forschungsübung, Studentisches Praxisprojekt, Hunde, Spanien, Andalusien, Hundehaltung, Tierschutz, Jumilla, transdisziplinär
Arbeit zitieren
Marie Thomalla Arellano (Autor:in), 2019, Der Einfluss von Hunden auf die lokale Bevölkerung in Jumilla, Spanien, auf sozio-kultureller, ökonomischer und gesundheitlicher Ebene, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/468879

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