Semiotik und Wissenschaftstheorie bei Charles Sanders Peirce


Seminararbeit, 1997

18 Seiten, Note: sehr gut


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Grundzüge der Peirceschen Semiotik
2.1 Die triadische Struktur des Zeichens
2.1.1 Der „sign“-Pol der Zeichentrias
2.1.2 Der „objekt“-Pol der Zeichentrias
2.1.3 Der „interpretant“-Pol der Zeichentrias

3. Wissenschaftstheorie – Deduktion, Induktion und Abduktion
3.1 Besonderheiten der Abduktion
3.2 Der Prozeß des Schließens – Verknüpfung von Abduktion, Deduktion und Induktion

4. Semiosis und Abduktion – der unendliche Prozeß der Abduktion

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Schon seit der griechischen Antike gibt es die Lehre von den Zeichen. Auch der Terminus Semiotik wird seitdem verwendet, um diese zu bezeichnen. Die Vorsokratiker, die Sophisten und Platon entwickelten erste semiotische Untersuchungen und Entwürfe, welche von Aristoteles fortgesetzt und systematisiert wurden.[1] Weitere erweiterte Zeichenkonzeptionen finden sich bei den Stoikern, bei den Epikureern, bei Augustinus, bei der mittelalterlichen Scholastik und bei den Philosophen des 17. und 18. Jahrhunderts.[2] Die Zeichenlehre war demnach während der gesamten Philosophiegeschichte Gegenstand philosophischer Untersuchungen. Den Stellenwert einer selbständigen Wissenschaft erlangte die Semiotik dann im 19. Jahrhundert durch den amerikanischen Logiker, Mathematiker, Naturwissenschaftler und Philosophen Charles Sanders Peirce. Peirce, der als Hauptbegründer der modernen Semiotik gilt, war der Überzeugung, daß die Semiotik als Fundamentalwissenschaft Grundlage sei für Logik und Linguistik.[3] Dieser hohe Stellenwert der Semiotik bei Peirce ist leicht einzusehen, wenn man eine grundlegende These seiner Theorie betrachtet: Denken ohne Zeichen sei nicht möglich, alles Denken sei notwendig „Denken in Zeichen“ (C. P.: 5. 251).[4]

Der Universalitätsanspruch der Semiotik war für Peirce aber nicht nur von wissenschaftlicher Bedeutung. Aus folgender autobiographischer Notiz läßt sich entnehmen, daß Peirce auch im alltäglichen Leben von der ständigen Präsenz zeichentheoretischer Erwägungen vereinnahmt war:

It has never been in my power to study anything,- mathematics, ethics, metaphysics, gravitation, thermodynamics, optics, chemistry, comparative anatomy, astronomy, psychology, phonetics, economic, the history of science, whist, men and women, wine, metrology, except as a study of semeiotic. (Hardwick 1977: 85ff.)[5]

Meine Arbeit gliedert sich wie folgt: In einem ersten Teil sollen die Grundzüge der Peirceschen Semiotik vorgestellt werden. Besondere Berücksichtigung finden hierbei die triadische Struktur der Zeichen sowie die Interpretanten -Funktion, die wohl zentralsten und elementarsten Aspekte in der Peirceschen Zeichenkonzeption. Als zweites möchte ich einige logische Betrachtungen von Peirce darstellen. Die Termini Deduktion, Induktion, und Abduktion werden an dieser Stelle behandelt, wobei vor allem die Abduktion im Mittelpunkt der Untersuchung stehen wird. Abschließend versuche ich, in einer Art Synthese die drei logischen Schlußformen in die Peircesche Zeichentheorie einzufassen, um daran die Peircesche Vorstellung einer unendlichen Semiosis zu verdeutlichen.

2. Grundzüge der Peirceschen Semiotik

Im Jahre 1637 hatte Rene Descartes in seiner „Abhandlung über die Methode“ einen für die gesamte neuzeitliche Philosophie prägenden Satz formuliert: Cogito ergo sum (Ich denke, also bin ich.). Descartes war durch seinen methodischen Zweifel zu der Gewißheit gelangt, daß alles Wahrgenommene anzweifelbar sei. Die Instanz des Zweifels jedoch, das denkende Subjekt, muß nach Descartes aus dem Zweifel ausgeklammert werden. Letztendlich sei das Bewußtsein die einzige zuverlässige Quelle menschlicher Erkenntnis.[6]

Den Gegensatz zu dieser Bewußtseinsphilosophie bildet der Peircesche Externalismus. Peirce lehnt eine mögliche Erkenntnisgewißheit durch Introspektion völlig ab.[7] Er geht, wie schon erwähnt, von der These aus, daß alles Denken ein Denken in Zeichen sei. Daraus folgt, daß Denken nicht ein im Bewußtsein isolierter Prozeß ist, der durch Introspektion faßbar gemacht werden kann und dem Zeichen nur als Ausdrucksmittel dienen, sondern ein Vorgang, der nur mithilfe äußerer Fakten bestimmbar ist.[8] Aus der Destruktion der Cartesianischen Bewußtseinsphilosohie ergibt sich also ein konstruktiver Eigenansatz. Die Zeichentätigkeit verdrängt das denkende Subjekt als Fundament von Erkenntnis.[9]

2.1 Die triadische Struktur des Zeichens

Der Begriff der Triade läßt sich zunächst auf die allgemeinste 3-Bezüglichkeit des Zeichens anwenden: Das Zeichen ist eine Representation, das heißt, es steht für etwas. Gleichzeitig steht das Zeichen aber auch zu etwas, nämlich zu seinem Interpretanten.[10] Die Zeichentrias verlangt also ein Zusammenspiel von drei Polen: Zeichenmittel, Objekt und Interpretant. Die einzelnen Pole können nicht unabhängig voneinander existieren, die strenge Bezüglichkeit zueinander ist Bestandteil ihres Wesens. Peirce charakterisiert dieses Abhängigkeitsverhältnis folgendermaßen:

Ein Zeichen oder Repräsentamen ist alles, was in einer solchen Beziehung zu einem Zweiten steht, das sein Objekt genannt wird, daß es fähig ist ein Drittes, das sein Interpretant genannt wird, dahingehend zu bestimmen, in derselben triadischen Relation zu jener Relation auf das Objekt zu stehen, in der es selber steht. Dies bedeutet, daß der Interpretant selbst ein Zeichen ist, der ein Zeichen desselben Objekts bestimmt und so fort ohne Ende.[11]

Es wäre nun falsch, die Dreipoligkeit der Zeichenverknüpfung kausalistisch zu interpretieren, indem man auf einen Ursache-Wirkungszusammenhang zweier dyadischer Beziehungen (Objekt-Zeichen/ Zeichen-Interpretant) verweist. Eine solche Unterteilung gibt es bei Peirce nicht.[12] Er möchte damit auch verhindern, daß Zeichen als für-sich-selbst-stehend (d. h. nur in Bezug auf ihre materielle Beschaffenheit und nicht bezüglich ihrer Objekt-Relevanz) betrachtet werden. Zeichen erfüllen nach Peirce nur ihren Zweck, wenn sie ein Objekt vor-stellen. Die Verbindung zwischen Objekt und Zeichen ergibt aber erst durch ihre Vermittlung durch einen Interpretanten ein sinnvolles Gefüge.[13] Wenn Peirce davon spricht, daß ein Objekt ein Zeichen, und dieses einen Interpretanten „determiniere“, so muß man beachten, daß „to determine“ eher mit dem Wort „motivieren“ übersetzt werden sollte.[14]

Es ist vielleicht etwas verwirrend, einen Pol der Zeichentrias mit dem Begriff „Zeichen“ zu erläutern. Eine allzu oberflächliche Leseart dieses Begriffes verdeckt die Interdependenz der drei Pole. Um Mißverständnissen vorzubeugen, sollte der Zeichen-Pol vorgestellt werden als das Zeichen in seiner materiellen Struktur. Diese Definition sollte beachtet werden, da der Peircesche Zeichenbegriff unbedingt einen Objekt- sowie einen Interpretantenbezug inkludiert.

2.1.1 Der „sign“-Pol der Zeichentrias

Damit Zeichen in der Wahrnehmung rezipierbar werden, benötigen sie eine materielle Beschaffenheit. Peirce erläutert dies an einem einfachen Beispiel: Das Wort „man“ habe die materielle Qualität, „daß es (geschrieben) aus drei Buchstaben besteht, zweidimensional und ohne Relief ist.“[15] In der Regel besteht keine Identität zwischen materieller Struktur des Zeichens und dem bezeichneten Objekt,[16] daher ist die Verbindung zwischen Zeichen und Objekt „unmotiviert“ und „arbiträr“[17].

Eine triadische Struktur ist auch am sign-Pol gegeben. Peirce unterscheidet zwischen Qualizeichen, Sinzeichen (Token) und Legizeichen (Type). Nagl definiert das Qualizeichen als „dasjenige, was an einem „sign“ sinnlich rezipiert werden kann (da es sich um eine Möglichkeit handelt, E. K.), zum Beispiel das violette Licht einer Neonreklame oder der schrille Ton einer Pfeife eines Verkehrspolizisten.“[18] Seinen Namen erhält das Quali-Zeichen dadurch, daß es auf eine Qualität (quality) verweist.[19] Das Sinzeichen hingegen bezeichnet nicht die Möglichkeit sondern die Aktualität eines Begriffes. Hierbei handelt es sich etwa um das reale Vorkommnis eines Wortes in einem Text, die Häufigkeit spielt keine Rolle.[20] Wenn Nagl behauptet, die Silbe sin müße im Sinne von „nur einmal vorkommend“ verstanden werden, so darf dies nicht mißverstanden werden. Ein Sinzeichen kann beliebig häufig vorkommen, ist jedoch an ein hier und jetzt gebunden, das heißt an individuelle Raum- und Zeitkoordinatoren.[21]

Das Legizeichen ist gebunden an ein Zeichensystem, zum Beispiel die deutsche Sprache. In diesem System ist ein Wort (z. B. „Wort“) nur ein einziges Mal enthalten, es handelt sich nicht um ein aktual existierendes Wort, sondern um eine konventionelle Übereinkunft oder Gesetzmäßigkeit[22], die Silbe legi könnte daher auch vom lateinischen „lex“ oder von „legislation“ abgeleitet sein.

[...]


[1] Vgl. Klaus Oehler: Idee und Grundriß der Peirceschen Semiotik. In: Zeitschrift für Semiotik. 1979. S. 9-22, S. 9.

[2] Vgl. ebd., S. 9f.

[3] Vgl. ebd., S. 10.

[4] Für Klaus Oehler ist mit dieser Aussage („all thought is in signs“) der Universalitätsanspruch der Semiotik als der Wissenschaft aller Wissenschaften formuliert. Vgl. dazu: ebd., S. 12.

[5] Zitiert nach: ebd., S. 13.

[6] Vgl. Rene Descartes: Discours de la méthode. Vgl. auch: Ludwig Nagl: Charles Sanders Peirce. (Reihe Campus. Einführungen.) Frankfurt/M., 1992. S. 24.

[7] Vgl. C. P. 5. 265, in: Charles S. Peirce: Schriften 1. Zur Entstehung des Pragmatismus. Hrsg. von Karl-Otto Apel. Frankfurt/M., 1967. S. 186.

[8] Peirce ist der Meinung, daß Denken überhaupt nur durch äußere Tatsachen erkannt werden kann. Vgl. C. P. 5. 251, in: ebd., S. 175.

[9] Vgl. Ludwig Nagl: Charles Sanders Peirce. S. 24ff.

[10] Vgl. Klaus Oehler: Idee und Grundriß der Peirceschen Semiotik. S. 11.

[11] Charles S. Peirce: Phänomen und Logik der Zeichen. Hrsg. und übersetzt von Helmut Pape. Frankfurt/M., 1983. S. 64. Ludwig Nagl zitiert in diesem Zusammenhang eine Textpassage von Peirce, die die Interpretanten-Wirkung noch etwas besser herausstellt: „Es (das Zeichen, E. K.) richtet sich an jemanden, d. h., es erzeugt im Bewußtsein jener Person ein äquivalentes oder vielleicht ein weiterentwickeltes Zeichen. Das Zeichen, welches es erzeugt, nenne ich den Interpretanten des ersten Zeichens.“ (C. P. 2. 228) Zitiert nach: Ludwig Nagl: Charles Sanders Peirce. S. 30.

[12] Vgl. Ludwig Nagl: Charles Sanders Peirce. S. 31.

[13] Vgl. ebd., S. 30f.. Auch für Klaus Oehler ist die gegenseitige Vermittlung der drei Zeichenpole eine wichtige Voraussetzung für eine triadische Relation: „Eine vollkommene triadische Relation ist diejenige, bei welcher keine zwei der drei Korrelate aufeinander bezogen sind ohne Vermittlung des dritten Korrelates. Das trifft auf die Zeichenrelation genau zu: das Zeichen verbindet Objekt und Interpretant, der Interpretant verbindet Zeichen und Objekt, und das Objekt verbindet Zeichen und Interpretant.“ In: Klaus Oehler: Idee und Grundriß der Peirceschen Semiotik. S. 16.

[14] Vgl. Ludwig Nagl: Charles Sanders Peirce. S. 31.

[15] C. P. 5. 287, in: Charles S. Peirce: Schriften 1. S. 200f.

[16] Vgl. Ludwig Nagl: Charles Sanders Peirce. S. 35f.

[17] Vgl. ebd.

[18] Ebd., S. 52.

[19] Vgl. Helmut Pape: Charles Sanders Peirce. In: Tilman Borsche (Hrsg.): Klassiker der Sprachphilosophie. München, 1996. S. 307-324, S. 313.

[20] Vgl. ebd.

[21] Vgl. Ludwig Nagl: Charles Sanders Peirce. S. 52.

[22] Vgl. ebd., vgl. auch: Helmut Pape: Charles Sanders Peirce. S. 313.

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Semiotik und Wissenschaftstheorie bei Charles Sanders Peirce
Hochschule
Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen  (Germanistisches Institut)
Veranstaltung
Zeichentheorie
Note
sehr gut
Autor
Jahr
1997
Seiten
18
Katalognummer
V46884
ISBN (eBook)
9783638439701
ISBN (Buch)
9783640351022
Dateigröße
480 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Semiotik, Wissenschaftstheorie, Charles, Sanders, Peirce, Zeichentheorie
Arbeit zitieren
Elmar Korte (Autor:in), 1997, Semiotik und Wissenschaftstheorie bei Charles Sanders Peirce, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/46884

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