Das Anselmianische Argument für die Existenz Gottes


Seminararbeit, 1997

16 Seiten, Note: gut +


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Zur Scholastik und der anselmianischen Methode
1.1. Zum Proslogion

2. Rekonstruktion des Gottesbeweises
2.1. Gaunilos Antwort
2.2. Anselms Antwort auf Gaunilos Einwände

3. Die Kommentare Mackies und Stegmüllers und eigene Stellungnahme

Schlußbemerkung

Literaturverzeichnis

Einleitung

Mit grosser Selbstverständlichkeit wird der Gottesbeweis von Anselm von Canterbury als ontologischer Gottesbeweis bezeichnet. Dabei hat erst Immanuel Kant dem Argument diesen Namen verliehen.[1] Nun stellt sich die Frage, ob Kant diese begriffliche Bestimmung mit Berechtigung vollzogen hat. In dem Begriff ontologisch ist das griechische Wort on (seiend) enthalten. Da Anselm das Seien von Gott als unwiderlegbar zu beweisen versucht und nach seiner Überzeugung auch geschafft hat, ist die Bezeichnung ontologischer Gottesbeweis meiner Meinung nach durchaus verständlich. Das Seien von Gott ist wohl der zentrale Gedanke des Beweises, wobei z.B. der Ursprung des Universums, der für andere Gottesbeweise von Bedeutung ist, für Anselm überhaupt keine Rolle spielt.

Auch wenn man bei der aristotelischen Vorstellung vom “unbewegten Beweger”[2] vielleicht von einem Gottesbeweis sprechen kann, so gilt das anselmianische Argument als erster historischer Beweis. Er wurde seit seiner Erscheinung im 11. Jahrhundert sehr oft diskutiert, erörtert aber auch widerlegt. Angefangen hat die Diskussion mit der sogenannten Anselm-Gaunilo Kontroverse: Der Mönch Gaunilo von Marmoutiers versuchte kurz nach der Veröffentlichung des Beweises, diesen zu widerlegen, woraufhin Anselm prompt Stellung nahm und seinerseits versuchte, den Einwand Gaunilos zu widerlegen.[3]

Die historische Debatte ging dann weiter über Thomas von Aquin, Rene Descartes, Immanuel Kant, G. F. Hegel bis ins 20. Jahrhundert, wo der Beweis von Alvin Platinga, J. L. Mackie oder Wolfgang Stegmüller wiederaufgenommen wurde.[4]

Ich möchte mich bei der Besprechung des Beweises allerdings vorwiegend auf die Stellungnahmen Mackies und Stegmüllers konzentrieren, denn eine ausführliche Beachtung der Kommentare Hegels oder Kants würde den Rahmen einer Proseminar-Arbeit sprengen. Zunächst einmal möchte ich den Beweishergang festhalten und sodann die Argumente für und gegen ihn darstellen. Am Ende werde ich mich dann mithilfe einer eigenen Stellungnahme für oder gegen den Beweis entscheiden. Rein rationale bzw. logische Gründe sollen für meine Annahme oder Ablehnung des Beweises entscheidend sein.

1. Zur Scholastik und der anselmianischen Methode

Bevor ich näher auf den Gottesbeweis von Anselm eingehen werde, möchte ich noch kurz den philosophischen Hintergrund skizzieren, der für Anselms Vorgehensweise von einiger Bedeutung sein dürfte.

Die Philosophie des Mittelalters hatte ihren Ursprung in den Klosterschulen des Klerus,war also nicht unbedingt eine öffentliche Angelegenheit. Daher wird sie auch mit dem Terminus Scholastik bezeichnet, was nichts anderes als Schullehre bedeutet.

Die scholastische Methode will durch den Gebrauch von Vernunft und Logik Einsicht gewinnen in Offenbahrungswahrheiten und Glaubensinhalte.[5] Der berühmte, von Augustin eingeführte Satz “credo ut intelligam” ist charakteristisch für Anselms Philosophie: Als Basis dient immer der Glaube, welcher aber mithilfe der Vernunft erklärt werden soll.[6] Anselm,der diese Methode perfektionierte, wird heutzutage auch gerne als der Vater der Scholastik bezeichnet.[7]

Anselm beruft sich bewußt nicht auf die Bibel oder christliche Autoritäten, er möchte vielmehr alleine mit der Vernunft beweisen, daß Gott existiert und daß das Nicht-Sein Gottes nicht gedacht werden kann. Die Tatsache, daß Anselm also nicht nur einen Beweis für die Existenz Gottes erbringen möchte, sondern auch die Denkunmöglichkeit des Atheismus aufzeigen will, ist erstaunlich. Ziel ist demnach nicht nur eine Begründung des eigenen Glaubens, sondern auch eine Widerlegung der Ungläubigen.

1.1. Zum Proslogion

Der anselmianische Gottesbeweis befindet sich in den Kapiteln II-IV des Proslogion, welches Anselm im Jahre 1078 veröffentlichte.[8] Das Proslogion ist das berühmteste Werk von Anselm und verhalf ihm dazu, in allen Geschichten der Philosophie Erwähnung zu finden.[9] Man könnte sogar behaupten, daß keine andere philosophische Schrift des Mittelalters eine derart große Aufmerksamkeit erhalten hat.[10]

“Proslogion” bedeutet soviel wie “Anrede” oder “Ansprache”. Zweifellos handelt es sich um eine Anrede an Gott, denn das gesamte Proslogion enthält unzählige direkte Ansprachen Anselms an Gott, wie z.B. : “Dein Antlitz suche ich, Dein Antlitz, Herr, begehre ich.” Oder etwa : “So gib mir nun, o Herr, der Du dem Glauben auch die Einsicht verleihst, gib mir, so weit Du es als zuträglich weißt, die Erkenntnis des Verstandes, daß Du bist, wie wir glauben, und daß Du das bist, was wir glauben.”[11] Dennoch sollte man aufgrund des Gebetscharackters einiger Passagen des Proslogions , vor allem des 1. Kapitels, nicht darauf schließen, daß man es vorwiegend mit einer mysthischen Gottesanbetung zu tun hat. Die Gottesansprache Anselms darf nur als Hintergrundaspekt seines Werkes, als eine Art Stilmittel; angesehen werden und muß wegen der scholastischen Prägung Anselms im Kontext ihrer Zeit gesehen werden. Wenn man nämlich genauer die Kernstellen des Proslogion, die Kapitel 2-4, betrachtet, dann bemerkt man, daß die Vernunft bei Anselm absolute Priorität hat. Gerade die Aussprache “gib mir (...) die Erkenntnis des Verstandes”[12] verdeutlicht meiner Meinung nach den hohen Anspruch an die Vernunft, den Anselm sich selbst als Grundlage für seine Argumentation schafft. Anselm möchte seinem Beweis sozusagen einen rationalen Charakter verleihen, denn die Einsicht steht für Anselm deutlich höher als der Glaube.[13]

2. Rekonstruktion des Gottesbeweises

Der Titel für das 2. Kapitel des Proslogion verweist auf den Inhalt des Kapitels: “Gott ist wirklich”. Dieser Satz ist als Hinweis darauf zu verstehen, daß nun der Gottesbeweis geleistet wird.

Als Basis für seinen Beweishergang definiert Anselm Gott als “etwas, worüber hinaus Größeres nicht gedacht werden kann.”[14] Diese Definition ist überhaupt schon die zentrale Stelle von Anselms Beweis. Sie dient als Ausgangspunkt für die gesamte folgende Argumentation.

Da Anselm die Intention hat, Atheisten von der Existenz Gottes zu überzeugen, fingiert er einen atheistischen Gegner. Dieser Gegner ist der Tor, der nach Psalm 13 “in seinem Herzen spricht : es ist kein Gott.”[15]

Anselm behauptet nun, daß auch der Tor den Ausdruck “etwas, worüber hinaus Größeres nicht gedacht werden kann” versteht, und zwar im Sinne von sprachlichem Verstehen.[16] Daraus folgt nach Anselm, daß dieses Etwas auch im Verstand oder Bewußtsein des Toren als Bewußtseinsgegenstand existiert, obwohl der Tor dessen Existenz weiterhin bestreitet.[17]

Um den Unterschied der Existenz von Etwas im Bewußtsein eines Menschen und der Existenz in der Wirklichkeit zu illustrieren, verwendet Anselm das Beispiel eines Malers: Das Bild sei zunächst einmal als Bewußtseinsgegenstand im Denken des Malers, bevor es, nachdem der Maler es gemalt habe, in Wirklichkeit existiere.[18] Für Anselm ist die Situation des Malers als Analogie zu der des Toren zu verstehen. Demnach gäbe der Tor zu, daß “etwas, worüber hinaus Größeres nicht gedacht werden kann” tatsächlich in seinem Bewußtsein existiere.[19]

Im Folgenden behauptet Anselm aber, der Tor mache einen Fehler, wenn er “etwas, worüber hinaus Größeres nicht gedacht werden kann” lediglich als einen Bewußtseinsgegenstand denke und nicht als real-existierendes Etwas akzeptiere. Weil nämlich “etwas, worüber hinaus Größeres nicht gedacht werden kann” auch als in Wirklichkeit seiend vorgestellt werden könne, müsse die Existenz notwendig mitgedacht werden, da Existenz zu Größe bzw. Vollkommenheit beitrage.[20] Diese Prämisse(daß Existenz in Wirklichkeit die rein gedankliche Existenz an Größe übertrifft) erlaubt es Anselm, dem Tor einen Denkfehler aufzuzeigen. Befinde sich nämlich diese Etwas nur im Bewußtsein des Menschen (wie es der Tor behauptet), so sei es etwas, worüber hinaus Größeres gedacht werden kann, was nach Anselm widersprüchlich sei.[21]

Aufgrund dieses Widerspruches ist für Anselm der Beweis für die Existenz Gottes in der Wirklichkeit vollbracht.[22]

Nun war es aber nicht nur Anselms Ziel, einen einwandfreien Gottesbeweis zu erbringen, sondern auch die Denkunmöglichkeit des Atheismus zu beweisen. Aufbauend auf dem Gerüst des Gottesbeweises, versucht er dann gleich anschliessend im 3. Kapitel des Proslogion, den Atheismus zu widerlegen. Schon als Überschrift des Kapitels wählt er die signifikante Aussage “Gottes Nicht-Sein ist undenkbar”. Genauso wie bei der Konstruktion seines Gottesbeweises, versucht Anselm, die Widersprüchlichkeit des atheistischen Gedankens, daß Gottes Nicht-Sein denkbar sei, zu unterstreichen. Anselm glaubt an die Denkmöglichkeit einer real-existierenden Wirklichkeit,deren Nicht-Sein undenkbar sei, und was wiederum zu der Größe dieser Wirklichkeit beitrage.[23] Daher dürfe “etwas, worüber hinaus Größeres nicht gedacht werden kann” nicht als nicht seiend vorgestellt werden, denn ansonsten wäre es eben nicht mehr “etwas, worüber hinaus Größeres nicht gedacht werden kann”.[24] Anselm ist der Auffassung, daß er damit endgültig die Denkunmöglichkeit des Atheismus bewiesen habe.

Im 4. Kapitel faßt Anselm noch einmal zusammen, was er in den beiden vorherigen Kapiteln mühsam zu beweisen geglaubt hat: wer die Definition von Gott richtig verstehe, der erkenne, daß Gott so sei,”daß er nicht einmal in Gedanken als nicht-seiend gesetzt werden kann”.[25]

[...]


[1] Vgl. F.S. Schmitt: Einführung. In: Anselm von Canterbury: Proslogion. Stuttgart-Bad Cannstat 1962, S. 13.

[2] Vgl. Aristoteles, Met. XII7, 1072b14- b31.

[3] Hierbei ist zu beachten, daß Anselm anordnete, die Gaunilo- Debatte unbedingt seinem Proslogion beizufügen. Er schien also seine Argumente für stärker gehalten zu haben als die des Gaunilo (Vgl. hierzu Kurt Flasch: Einleitung. In: Kann Gottes Nicht-Sein gedacht werden ? Hrsg. von Burkhard Mojsisch. Kempten/Allgäu, 1989, S. 10.

[4] Vgl. J. L. Mackie: Das Wunder des Theismus (The miracle of theism. Oxford, 1982.) übers. von R. Ginters. Stuttgart, 1985. S. 68

[5] Vgl. Ernst von Aster: Die Geschichte der Philosophie. Stuttgart, 1980, S. 136f..

[6] Vgl. ders. S. 140.

[7] Anselm is “considered the father of scholasticism.” In: The Software Toolworks Multimedia Encyclopedia(CD-Rom) 1992 Edition

[8] Es ist bemerkenswert, daß Anselm seine Schrift zunächst “Der Glaube auf der Suche nach Verständnis” nannte, und ohne Verfassernamen veröffentlichte. Erst später, veranlaßt vor allem durch den Erzbischof Lyon Hugo, fügte Anselm der Schrift seinen Namen hinzu und nannte sie schliesslich “Proslogion”. Vgl. Anselm von Canterbury: Leben, Lehre, Werke. Hrsg von Rudolf Allers. Wien, 1936. S. 353f.

[9] Vgl. Kommentar von R. Allers. In: ders. S. 351.

[10] “Perhaps no other medieval writing has received as much philosophical attention as Anselm`s Proslogion.” In: The Software Toolworks Multimedia Encyclopedia-1992 Edition.

[11] Proslogion, c.1, S. 353 und c.2, S. 356.

[12] Proslogion, c.2, S.356

[13] Vgl. Kurt Flasch, S. 11.

[14] Anselms Wechsel von einer unbestimmten Beschreibung(etwas, worüber hinaus Größeres nicht gedacht werden kann”) zu einer bestimmten Beschreibung(“das, worüber hinaus Größeres nicht gedacht werden kann”) ist für den Beweis von keiner tiefergehenden Bedeutung. Ich werde mich bei der Rekonstruktion des Beweises auf die erste Variante beschränken.Auch Mackie und Stegmüller sehen in diesem Wechsel keinen gravierenden Fehler. Vgl. Mackie, S. 83 und Wolfgang Stegmüller: Hauptströmungen der Gegenwartsphilosophie. Band IV.Stuttgart, 1989. S. 357.

[15] Proslogion, S.356

[16] “Aber selbst dieser Tor versteht meine Worte, wenn ich sage: etwas, worüber hinaus Größeres nicht gedacht werden kann.” In: Proslogion. c.2 , S. 357.

[17] “Und was er versteht, ist in seinem Erkennen, auch wenn er nicht versteht, daß es dieses Etwas wirklich gibt.” Ebenda.

[18] “Wenn ein Maler sich ein Bild audenkt, so hat er dieses in seinem Denken, aber er kann es nicht als daseiend erkennen, da er es noch nicht gemacht hat. Hat er es aber gemalt, so hat er es sowohl in seinem Denken als auch erkennt er, daß das von ihm gemacht (wirklich da) sei. Ebenda.

[19] “Also wird auch der Tor davon überzeugt sein, daß es wenigstens in seinem Denken etwas gebe, worüber hinaus Größeres nicht gedacht werden kann; denn er versteht, was er hört, und alles, was verstanden wird, ist im Verstande.” Ebenda.

[20] “Aber das, worüber hinaus Größeres nicht gedacht werden kann, kann nicht nur im Denken sein. Ist es nämlich nur in unserem Denken, so kann man sich es auch als wirklich seiend vorstellen; das aber ist mehr (als bloß in Gedanken wirklich sein). Ebenda.

[21] “Wenn also das, worüber hinaus Größeres nicht gedacht werden kann, nur im Denken ist, so ist eben das, worüber hinaus Größeres nicht gedacht werden kann, etwas, worüber hinaus etwas Größeres denkbar ist. Dies ist aber offensichtlich unmölich.” Ebenda.

[22] “Daher ist zweifellos etwas, worüber hinaus Größeres nicht gedacht werden kann, sowohl dem Denken als der Sache nach wirklich. Ebenda.

[23] “Es ist eine Wirklichkeit denkbar, deren Nicht-Sein undenkbar ist, und das ist noch mehr, als daß etwas als nicht-seiend gedacht werden kann.” In: Proslogion, c.3, S. 357.

[24] “Wenn das Nichtsein dessen, worüber hinaus Größeres nicht gedacht werden kann, gedacht werden kann, so ist das, worüber hinaus Größeres nicht gedacht werden kann, nicht das, worüber hinaus Größeres nicht gedacht werden kann, und das ist ein Widerspruch.” In: Proslogion, c.3, S. 357f..

[25] Proslogion, c.4, S.359

Ende der Leseprobe aus 16 Seiten

Details

Titel
Das Anselmianische Argument für die Existenz Gottes
Hochschule
Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen  (Philosophisches Institut)
Veranstaltung
GOTTESBEWEISE. DIE DISKUSSION VON ANSELM VON CANTERBURY UND THOMAS VON AQUIN ÜBER DESCARTES ZUR GEGENWART
Note
gut +
Autor
Jahr
1997
Seiten
16
Katalognummer
V46883
ISBN (eBook)
9783638439695
ISBN (Buch)
9783640351015
Dateigröße
493 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Anselmianische, Argument, Existenz, Gottes, GOTTESBEWEISE, DISKUSSION, ANSELM, CANTERBURY, THOMAS, AQUIN, DESCARTES, GEGENWART
Arbeit zitieren
Elmar Korte (Autor:in), 1997, Das Anselmianische Argument für die Existenz Gottes, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/46883

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