Pränataldiagnostik. Eine Form neuer Eugenik?


Seminararbeit, 2013

13 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Definitorische Annaherung an den Begriff der Eugenik
2.1 Alte Eugenik: zwanghaft und gewaltsam
2.2 Neue Eugenik: marktorientiert und liberal

3. Pranataldiagnostik
3.1 MethodenundMaGnahmen derPranataldiagnostik
3.2 Kritik
3.3 Motive fur die Inanspruchnahme der PND
3.4 Potentialitat eines Schwangerschaftsabbruchs
3.5 Gouvernementlitat und Positionen zur Abtreibung

4. Zusammenfassung der Ergebnisse und Fazit

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

lm Rahmen des Referats „Genetische Identitat?" und der Erarbeitung desselben haben sich Problemstellungen und Fragen aufgetan, die in den folgenden Kapiteln eine Losung/Antwort zumindest tangieren. Eine Frage ist diejenige der Abtreibung, die durch eine Schwangerschaft aufgeworfen wird und Probleme von groBtem AusmaB mit sich bringt, denn durch die Pranataldiagnostik kommt es bei schwangeren Frauen oft zu der Entscheidung, das Kind bei einer positiven Diagnose auf etwaige Erbkrankheiten Oder Beeintrachtigungen abtreiben zu lassen. Hierbei ist zu untersuchen, ob es sich um eine Form von neuer Eugenik handelt, weil die Argumentation in einem solchen Falle jener der Eugeniker ahnelt, die Anfang des 20. Jahrhunderts fur „Rassehygiene“ pladierten.

Deshalb wird in dieser Arbeit zunachst die Eugenik als Denkstromung mit ihren wichtigsten Aspekten prasentiert und kritisch betrachtet (Kapitel 2). Sie wird dabei aufgespalten in ihr klassisches Erscheinungsmuster der „alten“ Eugenik und ihre modernes Vorkommen als „neue“ Eugenik (Kapitel 2.1 und 2.2). Danach wird die Pranataldiagnostik ebenfalls prasentiert und ebenso kritisch betrachtet (Kapitel 3.1, 3.2). Weil beispielsweise eine harmlose Untersuchung schon allerlei Konsequenzen nach sich ziehen kann, werden die Motive fur die Inanspruchnahme der Pranataldiagnostik (Kapitel 3.3) beleuchtet. Eben weil eine Konsequenz die Abtreibung sein kann, muss die Potentialitat eines Schwangerschaftsabbruchs (Kapitel 3.4) ergrundet werden. Die „Attraktivitat“ des Abbruchs im Gegensatz zur „Hasslichkeit“ eines Lebens mit einem „geschadigten“ Kind lasst sich beispielsweise kritisieren. Totet man mit seiner Entscheidung ein ungeborenes Kind Oder verhindert man „lediglich“ ein Leben, das von Leid und Ausgrenzung gepragt sein kann? Daruber hinaus wird abgewagt zwischen der Muhe und den Kosten, die die Pflege mit sich bringen kann, sowie der Starke der emotionalen Bindung zum Ungeborenen. Dass es zu dieser Auffassung und der Abwagung „zwischen Leben und Tod“ kommt, ist unter anderem der „genetischen Gouvernementalitat" zuzurechnen, die im vorletzten Kapitel (3.5) Behandlung erfahrt.

Die Forschungsfrage, die den Kern dieser Arbeit darstellt, lautet: Inwiefern kann die Pranataldiagnostik als eugenische Praktik der Gegenwart interpretiert werden?

2. Definitorische Annaherung an den Begriffder Eugenik

1883 kreierte Francis Galton den Begriff der Eugenik (vgl. Mattner 2000, S. 38). Dieser leitet sich ab vom griechischen eugenes, das soviel hei&t wie „wohlgeboren“ Oder „von guter Abstammung" (vgl. ebd.). Galton sprach sich fur eine Theorie aus, nach welcher Talent und charakterliche Merkmale groBtenteils vererbt werden und auBerliche Einflusse eher unwichtig seien (vgl. ebd.). Er stand dafur ein, „[...] to produce a highly gifted race of men by judicious marriages during several consecutive generations" (Galton 1978 1869, S.1). Dies sind also MaBnahmen zur „Verbesserung des Menschen durch Zucht" (vgl. Mattner 2000, S. 39). Nachdem Galtons Idee in Amerika auf fruchtbaren Boden stieB, trat sie dort Anfang des 20. Jahrhunderts eine Volksbewegung los (vgl. Sandel 2008, S. 85). Bekannterweise ubernahmen auch die Nationalsozialisten unter Adolf Hitler das eugenische Gedankengut und es entstanden Programme fur „Rassehygiene“ und Euthanasie (vgl. Sandel 2008, S. 88; vgl. Mattner 2000, S. 38, 70). Nach Jurgen Habermas (2008) hei&t Eugenik bzw. eugenisch ,,die gezielte Einflussnahme auf das organische Substrat eines Menschen, wenn die Manipulation das Ziel verfolgt, korperliche Oder geistige Funktionen Oder Fahigkeiten dieser Person zu 'steigern'" (Habermas, Vorwortzu Sandel 2008, S. 9). Zusammenfassend wird die Eugenik als eine Sammlung von zwanghaften MaBnahmen bezeichnet, die eine „gesunde Menschenrasse" herbeifuhren soil. Ihr ist auBerdem eine Weltansicht inharent, die nach Kriterien der „Lebensfahigkeit“ und Nutzlichkeit unterscheidet.

Des Weiteren unterscheidet man zwischen positiver und negativer Eugenik (Mattner 2000, S. 39). Positive Eugenik zeigt sich durch Eingriffe mit dem Ziel, positive Erbanlagen hervorzuheben, was mittels der Unterstutzung der Fortpflanzung von Menschen mit entsprechend gesundem bzw. positivem Erbgut geschehen soil (vgl. ebd.). Negative Eugenik besagt hingegen, dass die „Auswirkungen negativer Erbanlagen" zwecks Abhaltung der Fortpflanzung von Menschen mit entsprechend unerwunschter Erbmasse verhindertwerden sollen (vgl. Mattner2000, S. 39).

2.1 Alte Eugenik: zwanghaft und gewaltsam

Die alte Eugenik kennzeichnet sich durch die Ambition, ,,die genetische Ausstattung der menschlichen Rasse [...] verbessern [zu wollen]" (Sandel 2008, S. 85). Alte negative Eugenik somit zeigte sich in den Gesetzen zur Zwangssterilisierung, im Massenmord und Genozid sowie in der Asylierung von Geistigbeeintrachtigten (Geistigbehinderten)1

(vgl. Sandel 2008, S. 88f.; vgl. Mattner 2000, S. 51). Alte positive Eugenik war beispielsweise wahrnehmbar in den Wettbewerben, wo erbgesunde Familien ausgezeichnet wurden, Oder in sogenannten „Eugenikkursen, in denen privilegierte junge Amerikaner an ihre reproduktiven Pflichten erinnert wurden" (Sandel 2008, S. 87). Die zeitliche Grenze zwischen neuer und alter Eugenik ist nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges zu ziehen, also mit dem Niedergang des Nationalsozialistischen Regimes, in welchem die Eugenik - in Form der „Rassehygiene“ und Euthanasie - ihre pragendsten und grausamste Gestalten annahm (vgl. Sandel 2008, S. 89 /Mattner 2000, S. 57ff.).

2.2 Neue Eugenik: marktublich und liberal

„lm Zeitalter des Genoms erlebt die Sprache der Eugenik ein Comeback, nicht nur unter Kritikern, sondern auch unter Befurwortern der Optimierung" (Sandel 2008, S. 96). Eugenische MaBnahmen, die in jungerer Zeit zu beobachten sind, werden unterteilt in eine marktubliche Eugenik, die sogenannte „Eugenik des freien Marktes" und in die „Liberale Eugenik" (vgl. ebd., S. 90, 96).

Beispiele der„Eugenik des freien Marktes" sind nach Michael J. Sandel in der jungeren Geschichte zu beobachten. Diese eugenische MaBnahme ist zwanglos, das hei&t sie stellt es den Menschen frei, ob sie daran teilnehmen mochten Oder nicht, allerdings geschieht dies mit Hilfe von (finanziellen) Anreizen (vgl. ebd., S. 90f.). Unter anderem fallt der Ei- und Samenzellenmarkt, unter die „Eugenik des freien Marktes" (vgl. ebd., S. 93). Bei der kunstlichen Befruchtung werden Gameten2 mit gewunschten genetischen Eigenschaften ausgesucht. Die Ergebnisse sind weniger abschatzbar als bei der Methode des Klonens Oder der Praimplantationsdiagnostik, jedoch treffen sich hier alte Eugenik und neues Konsumverhalten (vgl. ebd.). Es werden beispielsweise Anzeigen geschaltet, in denen man nach Eizellen einer erfolgreichen, gut aussehenden und sportlichen Frau sucht und dafur 50 000 Dollar bietet (vgl. ebd.). Eine Samenbank, die 1999 ihre Geschaftstatigkeit einstellte, wurde vom eugenisch gesinnten Robert Graham gegrundet und sollte dafur sorgen, dass hochintelligente Kinder gezeugt werden (vgl. Sandel 2008, S. 94). Das Vorhaben war es, Samenzellen von Nobelpreistragern anzuschaffen und an Spender-suchende Frauen abzugeben (vgl. ebd.). Dahingegen ist „die „Califomia Cryobank, eine der fuhrenden Samenbanken weltweit, ein gewinnorientiertes Unternehmen. Es verfolgt keinen eugenischen Auftrag" (ebd., S. 94, Hervorheb. im Original). Nichtsdestotrotz sind die MaBstabe hier ebenso hoch wie jene Grahams (vgl. ebd., S. 95). Es werden gezielt „hochrangige“ Spender gesucht, zum Beispiel durch Annoncen in Hochschulzeitungen. Die Nobelpreis-Samenbank mit ihrem eugenischem Ziel ist dabei ebenso beunruhigend wie die Cryobank, selbst wenn sie sich an den Wunschen der Kunden orientiert. Denn wo die Menschheit „verbessert“ werden soil, sind die Verhaltensweisen ebenso eugenisch wie beim Erfullen von Kundennachfragen, das Kinder zu einem Erzeugnis nach Wunsch herabwurdigt (vgl. Sandel 2008, S. 95f.).

„Eine einflussreiche Schule anglo-amerikanischer politischer Philosophie ruft nach einer 'liberalen Eugenik' [...]“ (Sandel 2008, S. 96). Hierbei sollen - im Gegensatz zur „Eugenik des freien Marktes" - die Autonomie des Kindes unangetastet bleiben und staatliche Eingriffe ausbleiben (vgl. ebd.). Nach Jurgen Habermas (2001) erkennt die liberale Eugenik „eine Grenze zwischen therapeutischen und verbessernden Eingriffen nicht an [und uberlasst] die Auswahl der Ziele merkmalsverandernder Eingriffe den individuellen Marktteilnehmern [...]“ (Habermas 2001, S. 38f.).

Im Folgenden wird die Pranataldiagnostik sowie ihre Methoden und MaBnahmen dargestellt.

3. Pranataldiagnostik

3.1 Methoden und Maftnahmen der Pranataldiagnostik

Das Haupteinsatzgebiet pradiktiver Gentests ist zur Zeit der vorgeburtlichen Voraussage, der Pranataldiagnostik (PND) zuzuordnen (vgl. Lemke 2004, S. 19). PND verstehen Rolf Becker und Achim Buhl (2009) als einen Bereich der ,,'Pranatalen Medizin', welche die Erkennung, Behandlung und auch Vorbeugung von Erkrankungen des Menschen vor seiner Geburt zum Ziel hat" (Becker/Buhl 2009, S. 97). Hierbei unterscheidet man zwischen invasiven Methoden mit der Notwendigkeit eines Eingriffs in den Korper der Schwangeren und nicht-invasiven Methoden, die keinerlei physisches Eindringen verlangen (vgl. Mattner 2000, S. 132). Bei der invasiven PND wird ,,[...] Gewebe Oder Flussigkeit entnommen [...], urn Informationen uber das ungeborene Kind zu erhalten" (Becker/Buhl 2009, S. 99). Allerdings wird im Alltag der medizinischen Praxis meist auf nicht-invasive MaBnahmen zuruckgegriffen (vgl. Becker/Buhl 2009, S. 99). Ultraschalluntersuchungen (nicht-invasiv) gehoren mittlerweile zu den Standardprozeduren; Weitere oft angewandte, jedoch invasive MaBnahmen der PND sind beispielsweise Blutuntersuchungen, darunter die Chorionzottenbiopsie (Entnahme von Mutterkuchen-Gewebe durch die Bauchdecke), die Amniozentese (Fruchtwasserentnahme) und die Cordiozentese (Abstrich von Blut aus der Nabelschnurvene des Ungeborenen) (vgl. ebd., S. 99, 110ff.).

[...]


1 Um jegliche Stigmatisierungen zu vermeiden und da hier lediglich die korperliche Funktionsstorung/Schadigung gemeint ist, sollen in dieser Arbeit mit Hinweis auf das soziale Modell der ..Disability Studies" die Begriffe ..Behinderung", „behindert“ etc. durch ..Beeintrachtigung", ..beeintrachtigt" etc. ersetzt werden . Ein weiterer Grund ist die Tatsache, dass mit dem Begriff der ..Behinderung" haufig das gesellschaftliche konstruierte, den Menschen zugeschriebene und negativ konnotierte Bild eines Menschen vermittelt wird (vgl. Waldschmidt 2005, S. 9ff.).

2 Gameten sind ,,haploide Fortpflanzungszellen, die paarweise miteinanderzu einer diploiden Zygote verschmelzen", also eine Befruchtung herbeifuhren (Freudig, Doris/Sauermost, Rolf (2001): Gameten. In: Lexikon derBiologie, Bd. 6/15, S. 149. Heidelberg: Spektrum, Akademischer Verlag.).

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Details

Titel
Pränataldiagnostik. Eine Form neuer Eugenik?
Hochschule
Universität Trier
Veranstaltung
Identitätstheorien und Soziale Arbeit. Von Diagnosen und Konstruktionen im beruflichen Alltag
Note
1,0
Autor
Jahr
2013
Seiten
13
Katalognummer
V468595
ISBN (eBook)
9783668930438
ISBN (Buch)
9783668930445
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Pränataldiagnostik, Eugenik, Foucault, Gouvernementalität
Arbeit zitieren
Simon Scheffler (Autor:in), 2013, Pränataldiagnostik. Eine Form neuer Eugenik?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/468595

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