Transitional Justice. Der Umgang mit Conflict-Related Sexual Violence gegen Männer


Hausarbeit, 2018

25 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

1. Einleitung

2. CRS(GB)V, TJ und Genderdimensionen
2.1. Die zeitliche Kontingenz von TJ
2.2. Genderdimensionen in TJ-Prozessen

3. Forschungen zu CRSV gegen Männer (und Jungen)

4. Die UN im Umgang mit und der Thematisierung von CRSV gegen Männer

5. Fazit und Ausblick

Literaturverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1. Einleitung

Conflict-Related Sexual (and Gender-Based) Violence (CRS(GB)V) ist seit den 1990er Jahren Gegenstand der Forschung zu Transitional Justice (TJ). Maßgeblich dazu beigetragen haben Frauenrechtsorganisationen, insbesondere in den Post-Konfliktländern Südafrika, Ruanda und Ex-Jugoslawien. Die Verankerung ihrer Forderungen in TJ-Ansätze und Mechanismen ist dabei langwierig und wird - bis heute - von Ignoranz und Widerständen begleitet. Falls CRSGBV überhaupt beachtet wird, ist der Fokus auf Frauen als Opfer vorherrschend. (Schäfer 2013: 17) Möglicherweise mitunter der Tatsache, dass die mit CRS(GB)V gegen Männer häufig verbundene Vorstellung homophober Handlungen und Demütigungen zentrale kulturelle und religiöse Tabus bedienen (ebd.: 53). Obgleich ihr Geschlecht in einer patriarchalen Gesellschaft als eher privilegiert angesehen wird, wird gewalterfahrenen Männern häufig nicht nur die Anteilnahme an ihrem Schicksal verwehrt, sie werden zudem ihrem Schicksal überlassen und mitunter stigmatisiert.[1] Lenz (2002: 36) begründet diesen Unterschied zwischen den Geschlechtern mit der hegemonial organisierten Gesellschaftskultur, welche auf Herrschaft und Kontrolle beruht. Mit diesem hegemonialen Konzept von Männlichkeit werden Verhaltensweisen der Unterwerfung, der Aneignung, des Sich-Erhebens assoziiert. Schwäche, Ohnmacht, Hilflosigkeit, also Gefühlszustände, die mit einem Opfersein verbunden werden, laufen hingegen konträr zu diesem hegemonialen Männerbild (Walter 2002: 7). In dieser Logik stellt der Begriff des männlichen Opfers ein gesellschaftliches Paradoxon dar: Entweder gilt jemand als Opfer oder er ist ein Mann.

Lag der Fokus in den 1990er Jahren zunächst auf der Suche nach Erklärungen für CRS(GB)V, richtet sich seit einigen Jahren das Forschungsinteresse auf Männer, Männlichkeiten sowie die Täterperspektive. Dabei wird immer wieder auch der vorsichtige Versuch unternommen, das dualistische Stereotyp von weiblichen Opfern und männlichen Tätern aufzubrechen, indem zögerlich, Männern ihre Opferschaft zugestanden wird (u.a. Moser & Clark 2001). Die vorliegende Arbeit wird hierüber, insbesondere jedoch über die Art und Weise der Thematisierung von und den Umgang mit CRS(GB)V gegen Männer in TJ-Prozessen, einen Einblick geben. Dazu erfolgt in Kapitel 2 . in einem ersten Schritt die Definition von CRSGBV und CRSV sowie die Beschäftigung mit dem Begriff TJ zunächst etymologisch und in Folge definitorisch. Ein sehr zentrales Element von TJ ist die Annahme, TJ beschreibe im Sinne der Etymologie des Begriffs Transition, eine fixierte Phase, ausgehend von einer gewaltsamen Vergangenheit bzw. Gegenwart, hin zu einer friedvollen, demokratischen Zukunft, als eindeutiges Ende. Aufgezeigt wird, dass eine forcierte Berücksichtigung genderspezifischer Perspektiven in und auf TJ-Prozesse einer solchen Beschränkung zuwider laufen - eine Beschäftigung mit dem Thema bedarf eines weit gefassten Verständnisses von TJ, in welchem auch fixierte Normative eine bedeutsame Rolle spielen (können). Daran anschließend erfolgt in Kapitel 2.2. eine thematisch pointierte Darstellung des eher eindimensionalen Umgangs mit CRS(GB)V. Mit Blick auf die epistemologische Grundannahme, dass Gender[2] nicht nur eine sozio-politische und juristische Kategorie ist, sondern die derzeitige genderspezifische Gestaltung von TJ-Prozessen auch deutlichen Einfluss auf die (zukünftige) diskursive Konstruktion von Männlichkeit und Weiblichkeit hat, werden drei wesentliche Schwierigkeiten dieses eindimensionalen Umgangs vorgestellt. Hierbei spielt auch die Exklusion von CRSV gegen Männer eine zentrale Rolle. Entgegen der dieser Arbeit zugrunde gelegten humanistischen Perspektive, unter welcher alle Menschen ein Recht auf individuelle Unversehrtheit haben und absolut jede Verletzung der Würde eine eigenständige, nicht relativierbare Qualität von Verletzung und Schmerz ist, wird in Kapitel 3. dennoch ein Einblick in die überschaubare Forschungslandschaft zu CRSV gegen Männer gegeben. Dies scheint aus jenem Grund bedeutsam, können Strömungen der Forschung bedingen, wer oder was letztlich gesellschaftspolitische Relevanz besitzt und normative Beachtung findet. In Kapitel 4. wird sich mit dem normativen Umgang der Vereinten Nationen (UN) mit CRS(GB)V gegen Männer beschäftigt. Obwohl jenseits des Normativen die thematische Wahrnehmung auf allen Ebenen steigt und die Bedeutsamkeit und Tragweite des Themas erkannt wird, kann gezeigt werden, dass, trotz aller Bemühungen, sich eine eindimensionalen Themenbetrachtung auch hier wiederspiegelt. Dies gilt es schließend in Kapitel 5. pointiert zu diskutieren.

Die Erarbeitung dieser Arbeit erfolgt zum einen unter einer feministischen Perspektive, welcher es um das Aufzeigen und die kritische Analyse von Ungleichheit, Ungerechtigkeit und gesellschaftlichen und politischen Macht- und Herrschaftsverhältnissen geht (Wisotzki 2011: 282ff.). Zum anderen postuliert Campbell (2007: 420), dass der genderspezifische Charakter von TJ auch in der Konstitution von Verbrechen liegt. In Anlehnung an Pierre Bourdieu konstatiert sie, dass das Eintreten in ein bestimmtes Feld sozialer Praxis eine taktische Akzeptanz der diesem Feld eigenen fundamentalen Gesetze impliziert. In diesem Sinne können spezifische Menschenrechtsverletzungen nur gemäß der internen Normen und Logiken des Menschenrechtsdiskurses angemahnt werden. Entsprechend bearbeitet TJ alle aufkommenden Schwierigkeiten über einen Rekurs auf interne Regeln, Normen und Konventionen, sie beruft sich nicht auf eine Logik jenseits eines normativen Rahmens - und kann dies auch gar nicht. In der vorliegenden Arbeit wird postuliert, dass der beobachtbare Selektionsrahmen zutiefst androzentrisch ist.

2. CRS(GB)V, TJ und Genderdimensionen

Der Begriff CRSGBV umfasst sowohl körperliche, als auch psychische Gewalt, wirtschaftliche Ausbeutung sowie jedwede Formen von Unterdrückung und verfolgt mitunter die Ziele, Geschlechterhierarchien, Machtverhältnisse zwischen Männern, Homophobie oder auch militarisierte Maskulinitätskonzepte zu stärken (Hamber 2007: 375ff.). CRSV ist ein Teilaspekt von körperlicher Gewalt, welcher direkt oder indirekt (zeitlich, geographisch oder kausal) mit einem Konflikt verbunden ist, wobei sexuelle Handlungen aus taktischen oder strategischen Machtinteressen ausgeübt werden (Schäfer 2013: 12).

Gleichwohl es an anderer Stelle systematisch aufgearbeitet werden sollte, wird unter CRSV an dieser Stelle nicht das akzeptierte Zugeständnis einer sekundären Viktimisierung von Männern in Folge der Politisierung des weiblichen Körpers durch CRSV gegen weibliche, oder auch männliche Familienmitglieder subsumiert, es sei denn, es wird explizit benannt (u.a. Eifler & Seifert 2009). Unter CRSV gegen Männer und Jungen werden eher Akte gegen die Würde und das Leben subsumiert, wie orale und anale Penetration, mit und ohne Gegenstände, genitale Gewalt, Zwangssterilisation, wie Kastration, sexuelle Sklaverei, erzwungene sexuelle Aktivität mit anderen Menschen, Tieren oder Leichen und andere Formen CRSV vergleichbarer Schwere (Chynoweth, Freccero & Touquet 2007: 90). Da die Diskussion über CRSGBV und CRSV in TJ-Prozessen zumeist englischsprachig geführt wird, werden die englischen Begriffe und ihre Abkürzungen auch an dieser Stelle verwendet.

Laut dem Duden (2018: 1) bezeichnet eine Transition einen Übergang oder das Übergehen und beschreibt ganz allgemein den Prozess eines Wechsels von einem Zustand in einen anderen. Der Begriff Justice dagegen kann sowohl als das Recht, als auch die Gerechtigkeit übersetzt werden und der Versuch beide Begriffe in Einklang zu bringen, bedingt eine Beschäftigung mit einem hoch komplexen philosophischen Konzept (Werle & Vormbaum 2018: 5), welches seine Auflösung an dieser Stelle nicht finden wird.[3] Da der Begriff TJ folglich auf der einen Seite die Umschreibung einer bestimmten politischen Situation und auf der anderen Seite dieses höchst komplexe philosophische Konzept mit verschiedenen Deutungsmöglichkeiten verbindet, verwundert es nicht, dass es zahlreiche, zum Teil recht unterschiedliche Interpretationsansätze gibt, mitunter die Bedeutung von TJ sogar in Gänze in Frage gestellt wird (Ohlin 2007: 51: "No one is exactly sure what it means.").

2.1. Die zeitliche Kontingenz von TJ

Insbesondere im Zuge seines Aufkommens, wie auch zum Teil dieser Tage, geht der Begriff TJ im klassischen, ursprünglichen Gedanken eng mit einer Art toolkit bzw. toolbox (Turgis 2010: 19), einer sodann begrenzten Anzahl an juristischen Aufarbeitungsoptionen einher,[4] die einem Staat zur Aufarbeitung erlebten Unrechts unter einem diktatorischen Vorgängerregimes zur Verfügung stehen und darauf abzielen, den Aufbau eines neuen demokratischen Staats zu flankieren (Werle & Vormbaum 2018: 6f.). Die Autoren bekräftigen jedoch, dass "niemand [...] ernsthaft behaupten [würde], die fünf Optionen allein würden ausreichen, um den Übergang von einer Diktatur zur Demokratie zu bewältigen." (ebd. 13; Hervorheb. im Original). Mittlerweile gibt es zunehmend Stimmen, die sich für eine Erweiterung des klassischen Ansatzes aussprechen. So versteht bspw. das International Center for Transitional Justice (ICTJ 2018: 1) unter TJ eine Vielzahl von juristischen sowie nicht-juristischen Maßnahmen und als weitere Option schlagen sie unter anderem institutionelle Reformen vor. Hierbei geht es vor allem um Reformen des Sicherheitsapparats, um die Überprüfung und Restrukturierung sämtlicher staatlicher Institutionen. Der Fokus liegt weniger auf der Vergangenheitsbewältigung, als vielmehr auf der Schaffung struktureller Voraussetzungen für die Verhinderung zukünftiger Menschenrechtsverletzungen. Auch der UN-Generalsekretär und ihm folgend der Rat der Europäischen Union (EU) subsumieren unter TJ die gesamte Bandbreite von Prozessen und Mechanismen im Zusammenhang mit den Anstrengungen mit einer von systematischen Menschenrechtsverletzungen bestimmten Vergangenheit abzuschließen (Werle & Vormbaum 2018: 10). Hierfür bildeten und bilden sich noch heute institutionelle Verfahren und Praktiken aus, mit denen Prozesse der Wiedergutmachung für historisches Unrecht einerseits auf juristischem Wege initiiert und durchgeführt werden, und andererseits auf Formen sozialer Anerkennung bezogen sind (Hitzel-Cassagnes & Martinsen 2014: 8). In den Worten von Buckley-Zistel & Zolkos (2012: 2) ist:

"[...], TJ [...] at one and the same time oriented towards the past, present, and the future. As a past-oriented practice, it addresses wrongs that have been committed during a conflict; as a present-oriented practice, it establishes a new ethical and institutional framework of post-authoritarian and/ or politics for interpreting the past and, through this, it seeks to prevent the future occurrence of gross injustices and violence."

Implizierte TJ im ursprünglichen Sinne eine fixierte Phase des Übergangs von einer gewaltsamen oder repressiven Vergangenheit, hin zu einer friedvollen, demokratischen Zukunft als eindeutiges Ende (Nagy 2008: 280), wird diese Dichotomie von vor und nach Krieg, Krise und Gewalt Valji (2007: 12) folgend, insbesondere für CRSGBV in Frage gestellt. Auch Turshen, Meintjes & Pillay (2001: 3ff.) postulieren, dass Genderanalysen eine Unterscheidung von vorher und nachher unterhöhlen. Zum einen wird sichtbar, dass die in Krisenzeiten erfahrene strukturelle Gewalt, nach Repression oder gewaltsamen Konflikten bestehen bleibt. Zum anderen endet für viele Frauen und Männer das Erleben direkter, physischer Gewalt nicht mit der Unterzeichnung eines Friedensabkommens oder eines Waffenstillstandes. Stattdessen setzt sich die Gewalt in einer Reihe von Variationen, meist im privaten Bereich von Heim und Familie fort. Obgleich die Annahme, es gäbe einen schlichten Übergang von Gewalt zu Frieden, ein sehr zentrales Element von TJ ist, wird diese in Folge nicht geteilt, sondern TJ wird sodann als ein immer währender, zyklischer Prozess verstanden.

Ein solcher Blick auf eine Wiedergutmachungspolitik, die auf gesellschaftliche Integration, Versöhnung und Anerkennung bezogen ist, muss dabei auch im Kontext von rechtlichen Bewältigungsformen betrachtet werden, die konkrete zivil- und strafrechtliche Folgen in den Blick nehmen. Der Rückgriff auf rechtliche Formen der Konfliktbewältigung erfolgt dabei oftmals nicht innerhalb der jeweiligen nationalen, sondern zunehmend über andere nationale Rechts- und Gerichtssysteme und/oder trans- und internationalen Gerichtsbarkeiten (Hitzel-Cassagnes & Martinsen 2014: 8).

2.2. Genderdimensionen in TJ-Prozessen

Zu Beginn der TJ-Praxis sowie der TJ-Forschung blieben die Genderdimensionen zunächst unberücksichtigt und erst nach und nach mehrten sich Analysen, welche die Kategorie Gender als Analysedimension aufgriffen. Der Fokus lag bzw. liegt primär auf den Versuchen, die Exklusion bzw. die unzureichende Inklusion von Frauen in (inter-)nationalen TJ-Prozessen zu identifizieren und kritisch zu evaluieren. Nur so ist nachvollziehbar, dass obgleich der Grundsatzentscheidungen des ICTY und des International Criminal Tribunal for Rwanda (ICTR), CRSGBV als Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Genozid in TJ-Prozessen zu berücksichtigen, die Verfolgung von CRSGBV gegen Frauen die Ausnahme bleibt und überlebende männliche Opfer häufig von Programmen und Projekten ausgeschlossen werden (u.a. Ní Aoláin 2011). Bis dato bezeichnete auch die Genfer Konvention von 1949 CRSV als Angriff auf die Würde der Frau, scheiterte jedoch daran, CRSV als schwerwiegende Verletzung der Konvention zu definieren. Das Zusatzprotokoll der Genfer Konvention von 1977 wiederholte diese Definition (Buckley-Zistel & Zolkos 2011: 141f.). In diesem Sinne wurde bzw. wird der Umgang mit Gender insofern meist synonym mit der sozialen Kategorie Frau verstanden, als dass das zentrale Anliegen im Herausarbeiten der systematischen Privilegierung und Universalisierung männlicher Perspektiven einerseits und der oft als minderwertig, irrelevant und unsichtbar wahrgenommenen weiblichen Perspektive andererseits liegt (Buckley-Zistel & Zolkos 2011: 136; Hitzel-Cassagnes & Martinsen 2014: 9).

Liberale Institutionen forderten bzw. fordern daher zunehmend Politiken und Praktiken des Gender Mainstreamings[5] in TJ-Prozessen zu beachten (Gericke & Mühlhäuser 2011: 91). Schenkten die ersten Kommissionen in Lateinamerika und die Nürnberger Prozesse genderspezifischen Versionen von Wahrheit noch keine besondere Aufmerksamkeit, schlossen die Kommissionen für Guatemala, Südafrika, Peru sowie das ICTR, das International Criminal Tribunal for the former Yugoslavia (ICTY) und der International Criminal Court (ICC) Genderaspekte in ihre Analysen bereits ein, gleichwohl sie keinen entsprechenden Auftrag besaßen (Nesiah 2006: 7f.; Delpla, 2014: 179; Werle & Vormbaum 2018: 283f., 185f., 289f.).

Die jüngeren Wahrheitskommissionen von Sierra Leone oder Osttimor besaßen dagegen einen ebensolchen Auftrag und erhoben CRSGBV zu kritischen Aspekten ihrer Untersuchungen (Werle & Vormbaum 2018: 181ff., 214ff.). Dabei verwundert es nicht, dass zum einen dem Tatbestand der CRSV gegen Frauen eine besondere Bedeutung beigemessen wurde (Gericke & Mühlhäuser 2011: 91ff.) und zum anderen Vergewaltigungen, eine der häufigsten Formen von CRSV, einen äußerst prominenten Raum einnahmen. In diesem Zusammenhang wurden historisch und geografisch übergreifende Motive für diese Form von CRSV (gegen Frauen) herausgearbeitet, welche von der bloßen sexuellen Erleichterung des Vergewaltigers, über eine forcierte Schwangerschaft, als Teil einer größeren ethnischen Säuberung oder zur Verbreitung von Terror, bis hin zur sekundären Viktimisierung der Partner und zur Destabilisierung von Familienstrukturen reichen. CRSV ist dabei jedoch nicht nur wegen des Angriffs auf die Würde des Opfers entsetzlich und verwerflich, sondern ebenso, weil dem daraus folgenden Schaden eine inhärent genderspezifische Dimension innewohnt. Während CRSV gegen Frauen eine sexuelle Komponente hat, ihr Geschlecht für die gegen sie begangenen Verbrechen also relevant ist, ist CRSV gegen Männer eher weniger sexueller Natur, als vielmehr ein erniedrigender und entmenschlichender Angriff auf ihre Biologie und ihr sozial konstruiertes Geschlecht (Alam 2014: 23; u.a. Seifert 1996).

Um der allgemein verbreiteten Unkenntnis oder Vernachlässigung von sexualisierten Aspekten nach Krieg, Gewalt und Unterdrückung zu begegnen, war diese Korrektur fraglos absolut notwendig und zweifelslos handelt es sich bei der Inklusion von CRSGBV in TJ-Verfahren um eine wichtige Errungenschaft. Gleichwohl werden zunehmend auch einige feministische Stimmen laut, die in dieser eindimensionalen Entwicklung Schwierigkeiten sehen:

Zum einen stellt Valji (2009: 220ff.) die Trennung von CRSGBV in Zeiten des Krieges und des Friedens sowie der Trennung von CRSGBV im öffentlichen und häuslichen Bereich in Frage. In Bezug auf die Selektion der Räume, in denen Verbrechen auftreten müssen, um unter die Verantwortlichkeit von TJ-Rahmen zu fallen, liegt der Fokus auf in der Öffentlichkeit verübten Misshandlungen durch Kombattanten und/oder Kombattantinnen oder Sicherheitskräften an anderen Kombattanten und/oder Kombattantinnen oder der Zivilgesellschaft. Dabei sind insbesondere für Frauen die Erfahrungen im Kontext von Krieg, Gewalt und Unterdrückung auf den vermeintlich sicheren Raum der eigenen Wohnung begrenzt und werden oft von Verwandten und Ehepartnern verübt (Sigsworth & Valji 2012: 120ff.).

Zum anderen merkt Campbell (2004: 329ff.) an, dass es zu einer Überidentifizierung von Frauen mit dem sexuellen Bereich sowie einer Kategorisierung als Opfer kommt. Frauen werden darauf reduziert, Zielscheibe bestimmter Verbrechen zu sein. Durch diese Fixierung ihrer sozialen Position und politischen Identität werden sie als fortwährende Opfer konstruiert: passiv, unterlegen, verletzlich und mit einem Bedarf nach (männlichem) Schutz. Ursächlich hierfür sind nach Kavemann (1995: 13ff.) tief sitzende kulturelle Rollenerwartungen, die eine Verbindung von Weiblichkeit und Aggression schwer zu lassen. Eine solche Verbindung führe zu einer kognitiven Dissonanz[6] und körperlichem Unbehagen, so tief sei das Gegenteil in den Köpfen und Herzen verankert. Welche weitreichenden Folgen das haben kann, wird am Beispiel von Liberia deutlich: Die dortige Wahrheitskommission (TRC) hob bspw. die Notlage von Frauen als Opfer gewaltsamer Angriffe hervor, ohne zu beachten, dass etwa dreißig bis vierzig Prozent aller kämpfenden Truppen des Landes aus Frauen bestanden. Dadurch unterminierte die TRC nicht nur die politische Aktivität sowie die Kompetenz von Frauen, unabhängig politische Entscheidungen treffen zu können, sondern formte sie darüber hinaus zu passiven Opfern (Buckley-Zistel & Zolkos 2011: 143).

[...]


[1] Dieser Aspekt wird in einer Dokumentation des ugandischen Forschungsinstituts Refugee Law Project, der Faculty of Law der Makerere University (2008) mit dem Titel "Gender against Men" schmerzhaft deutlich. Diese Dokumentation porträtiert unter anderem einen Mann, der sexuelle Gewalt erfahren hat und versucht, einer Gesundheitsbehörde von seinen Erlebnissen zu berichten. Diese war jedoch ausschließlich an dem Missbrauch seiner Tochter interessiert.

[2] Der Begriff Gender meint in Folge gesellschaftlich definierte Geschlechterrollen, welche je nach Kultur und Zeit äußerst unterschiedlich ausgeprägt, somit aber auch veränderbar sind. Da es in dieser Arbeit nicht um eine binäre Zuschreibung von Mann-sein und Frau-sein, sondern auch um die Formierung und (Weiter-)Entwicklung des sozialen Geschlechts geht, wird an dem englischen Begriff festgehalten.

[3] Lesenswert erscheint das Tagungsskriptum zu "Recht und Gerechtigkeit - ein Widerspruch?", Tagung vom 01.12.2017 der Ombudsstelle des Kanton Basel-Stadt (2018). Diskursiv und plakativ diskutieren die Philosophin Sanja Dembic, der Jurist und Rechtswissenschaftler Walter Haller, der Soziologe Ueli Mäder, die Ombudsfrau Claudia Kaufmann, der Theologe und Sozialethiker Stephan Feldhaus sowie die Europäische Bürgerbeauftragte Emily O`Reilly ihre mitunter persönlichen Herausforderungen und ihren Umgang mit der Kontingenz zwischen Recht und Gerechtigkeit.

[4] Diese fünf Optionen sind namentlich: Strafverfolgung, Amnestie, Wahrheitskommissionen, Wiedergutmachung sowie die Überprüfung des öffentlichen Rechts (Werle & Vormbaum 2018: 6f.).

[5] Gender Mainstreaming kann als Ansatz einer Gleichstellungspolitik (in dt. etwa: integrierte Gleichstellungsorientierung) gesehen werden. Er zielt ab auf die Einbeziehung von Gleichstellungsdimension in alle Politiken und Maßnahmen einer Gemeinschaft, mit dem Ziel, die Gleichberechtigung der Geschlechter zu fördern und Ungleichheit abzubauen. Erstmals wurde Gender Mainstreaming im Vertrag von Amsterdam (1997) rechtlich verankert und ist auch im Lissabon-Vertrag (2009) fixiert. Ein solcher Ansatz soll in allen Phasen politischer Entscheidungsprozesse zum Tragen kommen. In der politischen Praxis führt er zu verfahrensrechtlichen und institutionellen Anpassungen und bringt den Einsatz neuer Instrumente mit sich, wie z. B. der Analyse des genderspezifischen Einflusses gesetzlicher Maßnahmen (Große Hüttmann & Wehling, 2013: 1).

[6] Kognitionen sind Erkenntnisse des Individuums über die Realität. Einzelne Kognitionen können in einer Beziehung zueinander stehen. Kognitive Dissonanz entsteht, wenn zwei zugleich bei einer Person bestehende Kognitionen einander widersprechen oder ausschließen. Das Erleben dieser Dissonanz führt zum Bestreben der Person, diesen Spannungszustand aufzuheben, indem eine Umgebung aufgesucht wird, in der sich die Dissonanz verringert oder selektiv Informationen gesucht werden, die die Dissonanz aufheben (Maier, 2018: 1).

Ende der Leseprobe aus 25 Seiten

Details

Titel
Transitional Justice. Der Umgang mit Conflict-Related Sexual Violence gegen Männer
Hochschule
Universität Hamburg  (Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften)
Veranstaltung
Alternative Re-Aktionen
Note
1,0
Autor
Jahr
2018
Seiten
25
Katalognummer
V468437
ISBN (eBook)
9783668942011
ISBN (Buch)
9783668942028
Sprache
Deutsch
Schlagworte
transitional, justice, umgang, conflict-related, sexual, violence, männer
Arbeit zitieren
Simone Engels (Autor:in), 2018, Transitional Justice. Der Umgang mit Conflict-Related Sexual Violence gegen Männer, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/468437

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