Architettura Razionale. Staatsarchitektur im Italien Mussolinis


Hausarbeit, 2005

25 Seiten, Note: 1


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis:

Einleitung

1. Verschiedene Funktionen der Architektur
1.1. Funktionen der Architektur im Allgemeinen
1.2. Funktionen der Architektur in totalitären Systemen

2. Kunstpolitik in Italien Mussolinis

3. Entstehung der Architettura Razionale

4. Aufstieg der Architettura Razionale
4.1. Die ersten rationalistischen Ausstellungen
4.2. Terragnis „Novocomum“

5. Blütezeit der Architettura Razionale
5.1. „II. nationale Ausstellung rationaler Architektur“
5.2. Die Eroberung der Auftrage
5.2.1. Städtebau: Sabaudia (1933-1934)
5.2.2.Utilitärbau: Florentiner Hauptbahnhof (1932-1935)

6. Niederlage der Architettura Razionale

7. Resümee

Literaturverzeichnis

Bildnachweis

Einleitung

„Il fascismo é una casa di vetro.“

Benito Mussolini

Ich habe als erste Wörter in dieser Arbeit die Worte von Benito Mussolini, der in seiner Zeit den Faschismus als ein Glashaus definiert hat, nicht umsonst ausgewählt, denn niemand hatte zuvor ein totalitäres System so schön und stilvoll beschrieben.

Nach der Machtübernahme der Faschisten am 30. Oktober 1922 hatten sich alle kulturellen Richtungen am Aufbau des „Mythos Mussolini“ zu beteiligen, und die Architektur sollte dabei eine von den wichtigsten Stellen einnehmen. Im Gegensatz zum faschistischen Deutschland vollzog Mussolini in der Kultur keine Gleichschaltung. Unterschiedliche künstlerische und intellektuelle Strömungen wurden vielmehr mit Mittel einer äußerst geschickten, die bestehenden Polarisierung sorgfältig nutzenden, integrativen Konsensstrategie für die Schaffung einer faschistischen Kultur gewonnen. Ein so wohltuender politischer Grund ermöglichte die Gründung sehr vielfältiger, und manchmal sogar kontrastierenden Stilrichtungen. Eine von diesen Richtungen war die Architettura Razionale, der das Thema der vorliegenden Arbeit gewidmet ist.

Um die Rolle der Architettura Razionale im Aufbau des neuen Italiens zu untersuchen, versuche ich im Rahmen dieser Arbeit folgende Fragen zu beantworten: welche Gründe und Voraussetzungen zur Entstehung der rationalistischen Architektur gab es im faschistischen Italien, wie verlief die Entwicklung der Bewegung und welche wichtigen Figuren waren dabei beteiligt? Am Beispiel einigen architektonischen Werke versuche ich die stilistischen und konstruktiven Merkmale der Architettura Razionale zu untersuchen. Der letzte Teil meiner Arbeit werde ich den Vorzüge und Schwachstellen der Architettura Razionale für die Eignung als faschistische Staatsarchitektur aufzeigen. Um die Komplexität der Fragestellung nach der faschistischen Kunst zu beleuchten, soll erstmal die ideologische Funktion der Architektur in einem totalitären System definiert werden.

Über die Relevanz des Themas für die kunstwissenschaftliche Forschung sprechen zahlreiche Ausgaben, die sich mit der modernen Architektur in Europa insgesamt und mit dem italienischen Razionalismo insbesondere beschäftigen. Das Thema, wie sich mittels Architektur ein totalitäres System ausprägt, ist also ziemlich aktuell.

1. Verschiedene Funktionen der Architektur

1.1. Funktionen der Architektur im Algemeinen

Jedes architektonisches Objekt ist eng mit dem gesellschaftlichen Leben verbunden und führt die entsprechenden Funktionen aus.[1] Die Funktionen der Architektur kann man in zwei Bereichen unterteilen. Dem ersten Bereich entspricht der primäre Sinn der architektonischen Objekte, der darin entsteht, dass sie in einer bestimmten Weise funktionieren. Die architektonischen Objekte werden benutzt, bewohnt oder zu anderen bestimmten Zwecken verwendet. Das heißt, dass architektonische Objekte eine utilitäre Funktion ausüben, somit werden sie im Rahmen einer Gesellschaft als instrumentell und nützlich verstanden.

Die bestimmte Gestalt der architektonischen Objekte, ihre Anordnung und Anzahl vermitteln auch eine bestimmte Auffassung ihrer Funktion. Daraus folgt, dass außer rein praktischer Funktion den architektonischen Objekten auch eine soziale Funktion zugeschrieben wird. Abhängig von den kulturellen Werten, von dem Geschmack und von den politischen Umständen in einer Gesellschaft wird der soziale Gebrauchswert der architektonischen Objekte bewertet und ihre Inhalte bestimmt. Folglich erfüllen architektonische Objekte ihre sekundäre, symbolische Funktion.

Die Arbeit des Architekten ist von der utilitären und von der symbolischen Funktionen der Architektur in gleichermaßen beeinflusst. Die architektonischen Objekte unterliegen dem gesellschaftlichen Wandel, materiellen Veränderungen und ideologischen Bedürfnissen einer Gesellschaft. Dies weist darauf hin, dass die Veränderung der symbolischen Funktion auf die Form und Ausgestaltung der Architektur zurück wirkt. Somit spiegelt die Architektur den kulturellen, materiellen und politischen Zustand der Gesellschaft wieder.

1.2. Funktionen der Architektur in totalitären Systemen

Da die Architektur im Vergleich zu den anderen bildenden Künste einen viel höheren Öffentlichkeitsgrad aufweist, wird ihr in einem totalitären Staatssystem eine bedeutendste Rolle zugeschrieben. Keines der totalitären Systeme des 20. Jahrhunderts, sei es Nationalsozialismus, Stalinismus oder Faschismus, unterschätzte die Bedeutung der Architektur für die Machtdarstellung. Sie alle sorgten sich sehr aktiv und umfassend um die Architektur, denn kein anderer Bereich der Kunst ist in der Lage, die gesellschaftliche Wirklichkeit so anschaulich zu gestalten und zu prägen. Somit erfüllt Architektur eine bedeutende symbolisch-propagandistische Funktion als Ideologieträger.[2]

Die Idee des totalitären Systems, das Individuum dem totalen Willen des Staates zu unterwerfen, wirkt sich stark auf der Arbeit des Architekten aus. Sie fordert von ihm vor allem eine klare politische Position, er muss sich bewusst sein, dass jedes erschaffenes architektonisches Objekt dem allgemeinen ideologischen Ganzen angepasst sein muss.[3] Nur durch die Zugehörigkeit zu den bestimmten Werten und ideologischen Konzepten kann das Objekt seine soziale Bedeutung und ästhetische Schönheit gewinnen. So wird die schöpferische Kraft des Architekten zum politischen Instrument und das Ergebnis seiner Arbeit wird zum erzieherischen Mittel für die Massen. Die Kontrolle und die Intervention von der Seite des Staates werden in diesem Fall zur Selbstverständlichkeit, denn die Bauwerke im totalitären System erfüllen nicht nur eine praktische und erzieherische Funktion, sie gehören zu den architektonischen Manifestationen von Macht, Geltungs- und Prestigebedürfnissen.

2. Kunstpolitik in Italien Mussolinis

Den Anfang einer neuen Ära, die mit dem Regiment des Faschismus in Italien eingesetzt war, wurde durch die ganze Reihe vermeintlich radikaler Neuerungen in der Alltagskultur begleitet. Mit dem Konzept der „Romanisierung“, die der Rückkehr zu den Tugenden und Traditionen der römischen Antike proklamierte und dem italienischen Volkscharakter symbolisieren, sicherten sich die neuen Machthaber den Anspruch auf die Schaffung einer neuen Gesellschaft und einer neuen Kultur.[4] Das Ziel, eine faschistische Kunst zu erschaffen, die in der Lage sein sollte, die Errungenschaften der neuen, autoritären Staatsform würdig zu unterstützen und zu illustrieren, definierte Mussolini sehr früh. Schon im Jahr 1920, vor dem Marsch auf Rom, hatte Mussolini dem kulturellen Rückgriff auf die Antike in seiner Rede in Triest deutlich gemacht:

„Roma è il nostro punto di partenza e di riferimento, è il nostro simbolo, o se si vuole, il nostro Mito. Noi sognamo l’Italia romana, cioè saggia e forte, disciplinata e imperiale. Molto di quel che fu lo spirito immortale di Roma risorge nel Fascismo: romano è il Littorio, romana è la nostra organizzazione di combattimento, romano è il nostro orgoglio e il nostro coraggio: ‘civis romanus sum.’ Bisogna, ora, che la storia di domani, quella che noi vogliamo assiduamente creare, non sia il contrasto o la parodia della storia di ieri.“[5]

1925 wurde ein Institut für römische Studien gegründet, das der Erforschung und Pflege der Kenntnis der römischen Antike dienen sollte, und der römisch-klassische Architekturstil sollte sich fortan zunehmend als Staatsbaukunst etablieren.

Unabhängig von den monumentalen Visionen Mussolinis von der römischen Antike, fehlte dem Bereich der eigentlichen Architektur eine Formel für die faschistische Staatsbaukunst. Es sollte Neues geschaffen werden, die arte fascista sollte traditionalistisch und modern zugleich sein, sie sollte mit der Vergangenheit verbunden sein und in die Zukunft schauen. Wie aber diese neue arte fascista aussehen sollte, wurde weiter nicht präzisiert. Dementsprechend unterschiedlich fiel auch die Interpretation dieser Aufforderung, einen Weg zwischen Traditionalismus und Modernismus zu suchen, aus. Ganz unterschiedliche künstlerische Strömungen, von den äußersten Traditionalisten bis zu Avantgardisten, bekamen daher eine Möglichkeit, im Kampf um den Staatsstil gleichzeitig aufzutreten.[6] Alle architektonischen Richtungen ohne Ausnahmen waren systemkonform, und wenn es auch zu den Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Gruppierrungen kam, ging es nicht um den Antifaschismus, sondern um die beste Art, dem Faschismus architektonischen Ausdruck zu geben.[7]

Sehr hilfreich für das Regime war die Kontrolle der Architekten durch den so genannte „Sindacato fascista degli artisti“, der im Rahmen des korporativen Systems und über ein hierarchisches System von Ausstellungen und Preisen einerseits die Absurdität der Kunst auf Kommando und lächerliches Pathos verhinderte, andererseits die eindeutige Entscheidung für eine stilistische Tendenz ausschloss. Diesem Syndikat waren alle regionalen, lokalen und

sogar nationalen Ausstellungen unterstellt, wer kein Mitglied des Syndikats war, konnte in den Ausstellungen nicht teilnehmen.[8]

Um die soziale Definition der Aufgaben der Architekten zu unterstützen, wurden 1926 unter den Auspizien des Duce zwei nationale Ideenwettbewerbe durchgeführt. Die Aufgaben der Wettbewerbe bestanden in der Projektierung einer neuen Bäder- und Sportanlage in Rom und dem Entwurf der Inneneinrichtung für das herrschaftliche Haus einer italienischen Botschaft. Die besonders erfolgreichen Projekte wurden durch die Preise und Förderungsmittel ausgezeichnet.[9] Diese Ideenwettbewerbe, die sich vor allem an die jüngere Architektengeneration richteten, sollten insbesondere „die Kreation eines Stils fördern, die dem erneuerten, faschistischen Italien entspreche“.[10] Die Beurteilung der Wettbewerbsprojekte war der Jury übertragen. Sie sollte überprüfen in welchem Maße die Projekte der Idee des gesuchten faschistischen Stils entsprechen.

3. Entstehung der Architettura Razionale

Als Antwort auf die Macht und dem Einfluss des Akademismus in Architekturlehre und polytechnischer Ausbildung, gründeten sieben junge Architekten in Mailand die italienische Bewegung Architettura Razionale.[11] Die jungen Architekturabsolventen - Luigi Figini, Guido Frette, Sebastiano Larco, Gino Pollini, Ubaldo Castagnola, Carlo Enrico Rava und Giuseppe Terragni - schlossen sich 1926 im „Gruppo 7“ zusammen. 1927 schied Castagnola aus der Gruppe aus und sein Platz besetzte Adalberto Libera.

Die klassischen und zwanghaften Ausdrucksformen, die in Italien nach dem Ende des Ersten Weltkrieges auftraten, waren der Ausgangspunkt für die Entwicklung der italienischen rationalistischen Architektur. Die Rationalisten entschlossen sich für den Weg, der zu alternativen architektonischen Lösungen führen sollte. Sie strebten nach einer neuen rationaleren Synthese zwischen den nationalen Werten des italienischen Klassizismus und der Idee der Maschinenkultur, aber den größten Wert legten sie auf die neue Interpretation der Tradition. Ihre Ideen und Ziele fassten sie in den vier Schriften, die zwischen Dezember 1926

und Mai 1927 in der Kulturzeitschrift La Rasegna Italiana veröffentlicht wurden, zusammen. In der ersten Schrift des berühmten Manifests der Gruppo 7 „Architettura“ hatten die jungen Architekten den neuen Geist in der Architektur proklamiert.[12] Die Forderungen nach strikter Funktionalität und Rationalität des Bauwerks standen im Vordergrund ihrer Überlegungen. Die moderne Baukunst sollte die von der Industriegesellschaft angebotenen neuen technisch-materiellen Möglichkeiten ausnutzen. Der dekorative Stil der Römischen und Mailändischen Schulen wurde vom Gruppo 7 stark kritisiert. Hingegen sollte die Anlehnung an die europäische Avantgarde, an ihre Erkenntnisse und Ergebnisse in Überreinstimmung mit den Traditionen und Werten der italienischen Kunst die Entwicklung des rationalen Stils befördern. Die neuen einfachen Formen, der ruhige Rhythmus von offenen und geschlossenen Ebenen, Alternieren von Licht und Schatten sollten die eigentlichen Raumwerte schaffen. Durch die Perfektionierung der Einfachheit sollten die neuen architektonischen Typen entstehen. Die Schaffung von funktionalen Wohn-, Arbeits- und Erholungsräumen, die serienmäßig produziert werden sollten, gehörte zur Hauptidee des Gruppo 7. Durch den Verzicht auf die Individualität zugunsten des Kollektiven und das Verschmelzen aller Stilrichtungen zu einer einzigen würde eine wirklich nationale Architektur entstehen, die sich von dem alten, formal-dekorativen Stil radikal unterscheiden musste.

[...]


[1] Vgl. Eco, Umberto: Einführung in die Semiotik, München 1972, S.295ff.

[2] Vgl. Busek, Erhard: Zwischen Mythos und Moderne. Zum Verhältnis zwischen Kunst und Diktatur. In: Tabor, Jan: Kunst und Diktatur. Architektur, Bildhauerei und Malerei in Österreich, Deutschland, Italien und Sowjetunion 1922-1956, Bd. I, Baden 1994, S.10-13.

[3] Vgl. Golomschtok, Igor: Führer, Helden und Märtyrer. Das Wesen der Kunst im Totalitarismus. In: Tabor, Jan: Kunst und Diktatur. Architektur, Bildhauerei und Malerei in Österreich, Deutschland, Italien und Sowjetunion 1922-1956, Bd. I, Baden 1994, S.42f.

[4] Vgl. Estermann-Juchler, Margrit: Faschistische Staatsbaukunst. Zur ideologischen Funktion der öffentlichen Architektur im faschistischen Italien. Köln, Wien 1982, S.19-26.

[5] Mussolini, B., zit. nach Esternamm-Juchler, M.: Faschistische Staatsbaukunst, S.51.

[6] Vgl. Estermann-Juchler, M.: Faschistische Staatsbaukunst, S.50ff.

[7] Vgl. Ghirardo, Diane: Politik und Architektur im faschistischen Italien, in: Germer, Stefan, Preiß, Achim (Hg.): Giuseppe Terragni 1904-1943. München 1985, S. 39.

[8] Ebenda, S.37-43.

[9] Hoffend, Andrea: Zwischen Kultur-Achse und Kulturkampf. Frankfurt a.M. u.a. 1998, S.36.

[10] Vgl. Estermann-Juchler, M.: Faschistische Staatsbaukunst, S.69.

[11] Vgl. Pfammatter, Ulrich: Moderne und Macht. „Razionalismo“: Italienische Architekten 1927-1942. Braunschweig, Wiesbaden 1996, S.13-20.

[12] Ebenda, S.164ff.

Ende der Leseprobe aus 25 Seiten

Details

Titel
Architettura Razionale. Staatsarchitektur im Italien Mussolinis
Hochschule
Carl von Ossietzky Universität Oldenburg  (Kunstgeschichte)
Veranstaltung
Architektur in Europa 1918 bis 1939 - Zwischen Tradition und Avantgarde.
Note
1
Autor
Jahr
2005
Seiten
25
Katalognummer
V46667
ISBN (eBook)
9783638438100
ISBN (Buch)
9783638659024
Dateigröße
1588 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Architettura, Razionale, Staatsarchitektur, Italien, Mussolinis, Architektur, Europa, Zwischen, Tradition, Avantgarde
Arbeit zitieren
Lana Novikova (Autor:in), 2005, Architettura Razionale. Staatsarchitektur im Italien Mussolinis, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/46667

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