Transformationsprozesse als spieltheoretisches Modell am Beispiel Polens


Hausarbeit (Hauptseminar), 2004

16 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhalt

Einleitung

1. Demokratische Transformation durch Verhandlungen
1.1. Strategien, Präferenzen und Spieler
1.2. Transformationsspiele

2. Polnische Transformation in zwei Phasen
2.1. Phase I: Selbstbeschränkende Konfrontation
2.2. Phase II: Verhandlungen am „Runden Tisch“

3. Schluss

Bibliographie

Einleitung

Etwa ein Drittel der heute existierenden Demokratien sind durch Transformationsprozesse aus autoritären Regimes hervorgegangen, die in den letzten drei Jahrzehnten stattgefunden haben. Hierbei lassen sich drei Phasen unterscheiden[1]: eine erste Phase ab Mitte der siebziger Jahre in Süd-Europa mit Spanien, Portugal und Griechenland; eine zweite Phase in den achtziger Jahren mit Brasilien, Uruguay und Chile sowie eine dritte Phase in Verbindung mit dem Zerfall der Sowjetunion ab Ende der achtziger Jahre und Anfang der neunziger Jahre. Von dieser dritten Phase waren vor allem Mitglieder des Warschauer Pakts in Mittel- und Ost-Europa betroffen, aber auch einige Länder in Afrika und Asien.

In dieser Hausarbeit soll in einem spieltheoretischen Modell der Transformationsprozess in Polen dargestellt werden. Polen stellt in diesem Zusammenhang – im Vergleich zu anderen Staaten des ehemaligen Ostblocks – eine Besonderheit dar, da der Transformationsprozess in Polen bereits im Jahre 1980 begann, fünf Jahre vor Gorbatschows Machtantritt und lange vor dessen Beginn der Politik von Glasnost (Transparenz) und Perestrojka (Umgestaltung). Diese erste Phase der Transformation scheiterte jedoch, und es dauerte bis 1989 bis Verhandlungen zur Reform des politischen und wirtschaftlichen Systems Polens wiederaufgenommen werden konnten. Diese zweite Phase führte schließlich zur Einführung von freien Wahlen und eines marktwirtschaftlichen Systems, und letztendlich zum Zusammenbruch der ehemals regierenden Kommunistischen Partei. Somit war Polen zwar Vorreiter des Umbruchs im Ostblock, aber die erfolgreiche Transformation hin zur Demokratie wurde zu einem späteren Zeitpunkt vollzogen, als dies in einigen anderen osteuropäischen Staaten der Fall war.

In dem hier beschriebenen Modell wird diese Besonderheit Polens in zwei Spielen mit denselben Spielern und Strategien, jedoch mit unterschiedlichen Präferenzen seitens eines Spielers dargestellt. Anhand dieser zwei Spiele und den dazugehörigen Ausgangssituationen sollen die Gründe für das Scheitern der ersten Phase bzw. das Gelingen der zweiten Phase von Reformbemühungen veranschaulicht werden.

In diesem spieltheoretischen Modell wird der Grund für das Gelingen bzw. Misslingen einer demokratischen Transformation in Entscheidungen und Strategien von Akteuren gesehen und nicht in den sozioökonomischen Rahmenbedingungen. Diese geben zwar den Impuls für einen Umsturz und bilden den Hintergrund vor dem die Akteure interagieren, jedoch nicht die Voraussetzung für eine erfolgreiche bzw. nicht-erfolgreiche Transformation hin zur Demokratie. Im Folgenden wird nicht argumentiert, dass im Falle der ersten Phase Polen in sozioökonomischer Sicht in irgendeiner Weise nicht „bereit“ gewesen wäre für eine Demokratisierung, sondern dass die strategischen Präferenzen der relevanten Teilnehmer zu einem Spiel geführt hatten, das keine sichere Lösung anbot. Der Ausgang des Prozesses wird also durch eine Serie von Drohungen, Erwartungen, Entscheidungen, Fehleinschätzungen und Interaktionen von Spielern mit entgegengesetzten und gleichzeitig interdependenten Interessen bestimmt.[2] In unserem Fall die Kommunistische Partei - offiziell die Polnische Vereinigte Arbeiterpartei (PZPR) – auf der einen Seite und auf der anderen die Gewerkschaftsbewegung Solidarność (Solidarität), die aus dem Inter-Streik-Komitee hervorgegangen war.

Nach der kurzen Einführung zum Gegenstand dieser Untersuchung, möchte ich kurz die Vorgehensweise in dieser Arbeit skizzieren. Das erste Kapitel enthält eine allgemeine Einführung zur Formalisierung strategischer Akteure eines Transformationsprozesses in einem spieltheoretischen Ansatz. Es wird untersucht welche Spieler in Transformationsprozessen eine Rolle spiele, welche Präferenzen sie haben und welche Strategien sie verfolgen. Hierbei entwickeln wir abstrakte Beispiele von Transformationenprozessen, um eine Typologie zu erstellen und die Eignung des Instruments der Spieltheorie zur Präzisierung und Verdeutlichung solcher Prozesse zu demonstrieren.

Im zweiten Kapitel soll die politische und soziale Situation Polens zum Zeitpunkt der Beiden Phasen der Transformation erläutert werden. Diese Zeit, die durch ein generelles Versagen der Kommunistischen Partei gekennzeichnet war, das Versprechen eines besseren Lebens im Sozialismus einzulösen. Unter anderem führten Preiserhöhungen, Lebensmittelknappheit und politische Unterdrückung zur Erosion der Legitimität der KP. Dies führt zu landesweiten Arbeiterunruhen und Streiks von Werftarbeitern. In dieser Situation avanciert die Solidarität zur stärksten Opposition und stellt den alleinigen Machtanspruch der PZPR in Frage. Anschließend widmen wir uns der Umsetzung der politischen Geschehnisse in einem spieltheoretischen Modell mit zwei Spielern. Hierbei sollen anhand von Auszahlungsmatrices die Ausgänge der beiden polnischen Spiele veranschaulicht werden..

Im Anschluss darauf folgt im Schlussteil eine kurze Bewertung des Instruments der Spieltheorie im Zusammenhang mit Transformationsprozessen, insbesondere im Fall Polens.

1. Demokratische Transformation durch Verhandlungen

Um die Transformation eines autoritären Regimes hin zur Demokratie in einem politischen Spiel abzubilden, müssen zunächst die vorhandenen Strategien, Präferenzen und die in Frage kommenden Spieler definiert werden. Das hier modellierte Spiel bezieht sich auf eine ganz bestimmte Phase der Transformation, nämlich die Phase des Übergangs von einem Regime ins nächste. Diese Zwischenphase stellt nicht den endgültigen Ausgang der Transformation dar, sondern ist als Zwischenspiel zu verstehen, in dem die Regeln für das endgültige Spiel verhandelt werden. Ein Scheitern dieses Spiels führt zum Rückfall in ein autoritäres Regime oder schlimmstenfalls zu einem Bürgerkrieg. Diese Phase der Transformation zeichnet sich durch eine besondere Flexibilität und Unvorhersehbarkeit aus, die in gefestigten autoritären Regime bzw. gefestigten Demokratien aufgrund ihrer institutionalisierten politischen Verfahrensweisen fehlt.

1.1. Strategien, Präferenzen und Spieler

Da es sich bei einer Transformation um die Veränderung des politischen Systems, erscheint es sinnvoll die Strategien der Spieler als ihren Willen bzw. ihre Bereitschaft zur Veränderung des autoritären Regimes zu definieren. Hierbei kann man folgende Strategien mit unterschiedlichem Grad an Veränderung unterscheiden. Erstens, eine Strategie des Status quo (Sq) mit Beibehaltung des autoritären Regimes und ohne bürgerliche Freiheiten, d.h. überhaupt keine Veränderung. Zweitens, eine Strategie von moderaten Reformen (Re) mit beschränkten demokratischen Partizipationsmöglichkeiten und schließlich eine Strategie des Umsturzes (Um), die zur Abschaffung des autoritären Regimes und zur Einführung eines demokratischen Systems mit freien Wahlen führen soll. Natürlich verfolgen die Spieler auch weitere Interessen, es ist anzunehmen, dass sie des weiteren nationalistische, religiöse oder ideologische Präferenzen haben. Es wird hier jedoch angenommen, dass diese Interessen in dieser speziellen Phase noch nicht zum tragen kommen, da Kategorien wie links, rechts, nationalistisch, christlich, liberal usw. eher im darauffolgenden politischen Spiel, dessen Spielregeln hier verhandelt werden, an Relevanz gewinnen. „The key question for explaining the actor’s decisions in a transition process is their strategic preferences for a greater or lesser degree of discontinuity with the existing regime.“[3]

Nachdem wir die zur Verfügung stehenden Strategien definiert haben, stellt sich die Frage welche Spieler in dieser Phase eine Rolle spielen könnten. Die oben vorgestellten Strategien stehen – nach dem Grad der geforderten Veränderung – in folgender Reihenfolge Um - Re - Sq und ergeben sechs verschiedene Kombinationsmöglichkeiten, die in diesem Fall als sechs verschiedenen Spieler interpretiert werden. In Abbildung 1 sind die Spieler und ihre Präferenzen dargestellt.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1: Strategien, Präferenzen und Akteure[4]

Umsturz (Um), Status quo (Sq), moderate Reformen (Re)

Die Akteure könne wie folgt beschrieben werden:

1. Die radikale Opposition (oder „Revolutionäre“) steht für eine komplette Überwindung des autoritären Regimes. Sie akzeptiert keine moderaten Reformen, die die weitere Vorherrschaft der aktuellen Machthaber bedeutet, ihr ist eine weitere Konfrontation mit den Herrschern lieber als eine Einigung.
2. Moderate Oppositionelle wollen auch einen Umsturz, aber bevor sie auf Konfrontationskurs gehen, ist ihnen eine Einigung mit den Machthabern lieber. Meistens ein Sammelbecken verschiedener Oppositionsgruppen, die darauf hoffen, dass eine graduelle Öffnung des Systems letztendlich zu dessen Überwindung führen kann. Hierzu zählt die polnische Gewerkschaftsbewegung Solidarność.
3. Radikale Softliner drängen auf eine Reform des Systems von Innen und drohen den Hardlinern damit, zur Opposition überzulaufen, falls keine Reformen initiiert werden.
4. Moderate Softliner wollen das autoritäre Regime in etwas geänderter Form aufrechterhalten, erhoffen sich aber durch moderate Reformen eine Stabilisierung und ein Gewinn an Legitimität für das Regime. Ihnen ist jedoch der Status quo lieber als ein Umsturz.
5. Moderate Hardliner wollen auf jeden Fall das autoritäre Regime beibehalten, sind aber – falls dies zur Erhaltung des Systems beiträgt – bereit, begrenzte Reformen zu akzeptieren.
6. Radikale Hardliner wollen um jeden Preis das Regime beibehalten und sind nicht bereit irgendwelche Reformen durchzuführen. Lieber als Reformen wäre ihnen eine direkte Konfrontation.[5]

Es ist offensichtlich, dass die beiden Spieler „radikale Opposition“ bzw. „radikale Hardliner“ zwei Extreme darstellen, da sie – in unterschiedlicher Reihenfolge - die zwei extremen Strategien Sq und Um gegenüber der Zwischenstufe Re bevorzugen. Es gibt verschiedene Erklärungen für dieses Verhalten in einem rationalen Strategiespiel, dies würde jedoch den Rahmen dieser Hausarbeit sprengen. „The second best alternative for maximalists tends to be “death”, which obviously discards any negotiation and exchange with other actors.“[6] Und da diese Arbeit sich mit demokratischen Transformationen als Ergebnis von Verhandlungen beschäftigt, können wir diese zwei Positionen getrost außer Acht lassen.

[...]


[1] J.M. Colomer (1991): “Transitions by agreement: Modelling the Spanish way”, in: American Political Science Review 85 (4), S. 1283.

[2] J.M. Colomer u. M. Pascual (1994): “The Polish Games of Transition”, in: Communist and Post-Communist Studies 27 (3), S. 276.

[3] J.M. Colomer (2000): Strategic Transitions – Game Theory and Democratization , Baltimore u.a.: John Hopkins University Press, S. 33.

[4] J.M. Colomer (2000): Strategic Transitions – Game Theory and Democratization , Baltimore u.a.: John Hopkins University Press, S. 37.

[5] Ebd., S. 38ff.

[6] J.M. Colomer (2000): Strategic Transitions – Game Theory and Democratization , Baltimore u.a.: John Hopkins University Press, S. 46.

Ende der Leseprobe aus 16 Seiten

Details

Titel
Transformationsprozesse als spieltheoretisches Modell am Beispiel Polens
Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München  (Geschwister-School-Institut für Politische Wissenschaft)
Veranstaltung
Angewandte Spieltheorie
Note
2,0
Autor
Jahr
2004
Seiten
16
Katalognummer
V46473
ISBN (eBook)
9783638436649
Dateigröße
576 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Transformationsprozesse, Modell, Beispiel, Polens, Angewandte, Spieltheorie
Arbeit zitieren
Malik Malocho (Autor:in), 2004, Transformationsprozesse als spieltheoretisches Modell am Beispiel Polens, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/46473

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