Volker Braun: Das Eigentum und Marlboro is red. Red is Marlboro


Hausarbeit (Hauptseminar), 2005

13 Seiten, Note: 1


Leseprobe


Inhalt

1 Einleitung

2 Interpretation
2.1 „Das Eigentum“
2.2 “Marlboro is Red. Red is Marlboro”

3 „Marlboro is Red. Red is Marlboro“ als Fortsetzung von „Das Eigentum“?

4 Schlussbemerkung

5 Quellen- und Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Die sozialistische Diktatur der Nachkriegszeit, die politische Wende 1989, die Wiedervereinigung 1990 und die Verarbeitung der Erfahrungen (und Ideologien) bis heute haben in Ost und West immer wieder zu Missverständnissen und Streitereien geführt. Höhepunkt all dessen war wohl der Literaturstreit, ausgelöst durch Rezensionen zu Christa Wolfs „Was bleibt“ in der „Zeit“ und der „FAZ“ 1990. Hier ging es schlussendlich nicht mehr um die Frage nach Mut und Ästhetik bezogen auf Christa Wolf, sondern vielmehr um eine allgemeine deutsch-deutsche Diskussion rund um den Wert der Literatur(en) nach 1949.

Zur gleichen Zeit erschien Volker Brauns Gedicht „Das Eigentum“ unter dem Titel „Nachruf“ im Neuen Deutschland, dem Propagandaorgan der SED. Nur ein Jahr später, 1991, veröffentlichte er „Marlboro is Red. Red is Marlboro“. Beide Gedichte geben die Situation wieder, in der sich der preisgekrönte Dichter aus Dresden sieht, in der er sein Land sieht – wenn auch aus zwei historischen Momenten: vor und nach der Wiedervereinigung. Oder, wie es Volker Braun in „Das Eigentum“ sagt, nach dem „Krallen“ seines Landes.

Inwiefern die beiden Braun-Gedichte aufeinander aufbauen und damit „Marlboro“ als Fortsetzung von „Das Eigentum“ anzusehen ist, soll im Rahmen der Interpretation untersucht werden.

2 Interpretation

2.1 „Das Eigentum“

Das Eigentum von 1990 enthält diverse Aspekte, die erst durch entsprechende Kenntnis der Kontroversen dieses Jahres und der Ideologie Brauns zu verstehen sind: Braun arbeitet mit der Form der Collage, indem er Zitate in sein Werk einbaut.

Zuerst einmal, hervorgehoben durch die konsequente Großschreibung, die Kontrafaktur „KRIEG DEN HÜTTEN FRIEDE DEN PALÄSTEN“ nach Büchners „Friede den Hütten! Krieg den Palästen!“, einem Zitat aus dem Hessischen Landbote. Der Aufruf zur Revolution der Bauern erfährt hier eine Umkehrung: den Mächtigen sei der Friede gewährt, dem „kleinen Mann“ droht Krieg. Während Büchners Ausruf eindeutig das sozialistische Ideal bedient, beschreibt Braun, was er in dem sich zutragenden politischen Umsturz sieht: den Verlust seines Ideals vom Sozialismus, der Idee der Gleichheit der Menschen, hin zu einer von Geld regierten Welt inmitten des Kapitalismus.

Diesen Kapitalismus benennt er mit dem Synonym „Westen“. Und der Westen ist genau der Ort, wohin „[s]ein Land geht“. Aber trotzig stellt Braun fest, er ist „noch“ da. Er hat sich nicht aus dem Staub gemacht, vielleicht wie einige seiner Schriftstellerkollegen, vielleicht auch einfach wie viele seiner Landsleute. Und dennoch stellt er fest, dass er selbst am Untergang seines Landes beteiligt war: „Ich selber habe ihm den Tritt versetzt“.

Zwar wurde Brauns Tätigkeit als Schriftsteller von den zuständigen Organen der DDR, auch der Staatssicherheit, kritisch beäugt, dennoch schaffte er es immer wieder, seine kritischen Schriften zu veröffentlichen. Brauns Kritik richtete sich dabei nicht gegen die Idee des Sozialismus als vielmehr gegen diese Form der Realität, wie er sie in seinem Land erlebte. Er erarbeitete sich eine eigene Utopie und brachte Kritik gegenüber dem Stillstand im real existierenden Sozialismus der DDR in seinen Texten unter. Daher erscheint der Selbstvorwurf der Schuld krotesk: er wollte keine Wiedervereinigung in dem Sinne, wie sie nun passiert. Er wollte lediglich eine Veränderung der Situation, er wollte mit seiner Kritik dem Stillstand entgegenwirken. Aber im Eiger des Gefechts wird sein ganzes Land vom ‚Anti-Kapitalismus’ übernommen, und er sieht sich in der Schuld, weil er an der Kritik beteiligt war.

Und was von seinem Land übrig bleibt, weiß er ganz genau – nämlich nichts: „Es wirft sich weg und seine magre Zierde.“ Das wenige, was die DDR zu bieten hat, wird genauso geopfert wie das ganze Land gleich mit. Er spricht von der Assimilation einer Geschichte, einer Ideologie, eines ganzen Landes, als wäre alles wertlos. Aber dieses Land wird nicht assimiliert, es trägt selbst dazu bei, dass das passiert, und zwar im „Sommer der Begierde“. Dem Winter als Symbol für den erstarrten DDR-Sozialismus folgt ein Freiheits- und Konsumdrang der Menschen, zu dessen Befriedigung sie die Ideale ihres Landes vergessen und alles dem Neuen opfern. Aber begierig könnte auch die Führung der BRD sein, sich in ihrer wirtschaftlichen und strukturellen Erstarrung dieses kleine Land einzuverleiben, um dem ganzen einen neuen Impuls zu geben.

Im folgenden Vers bedient sich Braun wiederum eines Zitats, diesmal von einem der führenden Köpfe des Literaturstreits, Ulrich Greiner. Dieser bemerkte 1990 in der „Zeit“, dass „Die toten Seelen des Realsozialismus bleiben [sollen], wo der Pfeffer wächst.“[1]. Braun fühlt sich scheinbar persönlich angegriffen und nimmt diesen Ausspruch auf, um zu zeigen, dass er seine Utopie nicht aufgibt. Seltsam mutet die Übernahme dieses Zitats dennoch an, schließlich gehörte er zu den Kritikern des Realsozialismus und war an einer Veränderung stets interessiert, so dass er sich also nicht direkt angesprochen fühlen müsste. Vielleicht ist diese persönliche Empfindlichkeit auf die gesamte Tragweite des Literaturstreits zurückzuführen, in dem ebenfalls Greiner bemerkte, „dass es gerade noch die deutsche Grammatik ist, die prominente Intellektuelle der DDR mit der Kultur der Bundesrepublik verbindet“. Die Adaption könnte eine Sympathiebekundung für die geschasste Christa Wolf (als Synonym für die Gesamtheit der DDR-Literaten) sein, die der DDR nicht den Rücken kehrte und mit ihren Mitteln versuchte, kritisch zu berichten, was nach der Wende oftmals als nicht mutig genug angesehen wurde. Eine persönliche Auseinandersetzung zwischen Braun und Greiner ist also zweifelhaft.

Und dennoch stellt Braun gleich fest, dass sein Text „unverständlich wird“. Sein Gedicht, oder all seine Texte, die er geschrieben hat? An dieser Stelle geht die mögliche Lesart erstmals über eine ‚oberflächliche’ hinaus: nicht nur dieses Gedicht wird unverständlich, wenn man die Geschichte nicht kennt, sondern vielleicht sogar alle seine Texte. Sie verlieren jegliche Daseinsberechtigung ohne den Kontext, der DDR, in dem sie erschienen und deren Missstände sie anprangerten. Braun verliert nicht nur ein ‚verstehendes’ Publikum, sondern seine gesamte Existenz. Eine Schriftstellerlaufbahn ist in dieser Form in der BRD nicht vorgesehen, weil sie keinen Sinn macht.

Auch in der nächsten Zeile versteckt sich „im Rock Konterbande“[2]: zum einen verliert er die Chance auf einen idealen Sozialismus, wie es ihn niemals gab, aber auf der anderen Seite verliert er die Chance auf eine komplette Utopie. Denn auch wenn er ‚seinen’ Sozialismus nicht leben und besitzen konnte, so hatte er doch immer die Hoffnung, an den Verhältnissen etwas ändern zu können. Aber mit dem Ende der DDR und dem Übertritt zur Bundesrepublik ist diese Chance komplett hinfällig. Es ist das Ende einer Utopie.

„Die Hoffnung“ nimmt Braun auch nochmals auf und gibt ihr Mitschuld am Scheitern der Utopie: sie „lag im Weg wie eine Falle.“ Er ist in diese Falle hinein getreten, und schlussendlich hat die Hoffnung zum Scheitern geführt.

Aber schließlich kommt Braun nicht darum herum, auch anderen Schuld zu geben, dass „[s]ein Eigentum“ nun verloren ist. Die „Kralle“ erscheint wie das Greifwerkzeug eines Raubvogels, in Gestalt des Bundesadlers, und raubt, was sie bekommen kann.

Besonders prägnant: plötzlich spricht Braun von „Mein[em] Eigentum“. Er ersetzt den Artikel aus dem Titel mit dem Possessivpronomen und beansprucht damit das Eigentum für sich. Eigentum als sozialistisches Schlagwort hat natürlich in diesem Zusammenhang eine besondere Bedeutung. So steht es eben nicht nur als Volkseigentum im Sinne der Produktions- und Konsumgüter, wie es propagiert wurde. Auch die Literatur war ein Volkseigentum. Der Dichter der DDR agierte als öffentliche Figur, die sich im Sinne des Volkes ausdrückt. Literatur als kollektiver Besitz spielt aber in der (Nach-)Wendezeit keine Rolle mehr, so dass sich Braun seiner Existenz beraubt sieht. Den Wunsch, einem Ideal zu folgen und für dieses einzustehen, äußert er im letzten Vers. Aber wie soll er „alle meinen“, wenn der Rechtfertigungsgrund seiner Arbeit fehlt und er überhaupt nicht mehr ‚alle’ Menschen des vereinten Deutschlands meinen kann ? Mit dieser existentiellen Frage endet das Gedicht. Die Hoffnung auf eine sozialistische Renaissance scheint nicht vorhanden zu sein. Vielmehr formuliert Braun eine rhetorische Frage, er lässt sogar das Fragezeichen weg – als Zeichen der Kapitulation?

2.2 “Marlboro is Red. Red is Marlboro”

Das zweite Gedicht kann ebenfalls als Momentaufnahme einer historischen Situation gelesen werden. 1991 entstanden, spricht es von der unmittelbaren Nachwendezeit, also vom „real existierenden Kapitalismus der BRD“.

Eine Antwort auf die von Philip Morris Ende der 80er Jahre gestellte Frage „What is red?“ gibt Volker Braun im Titel: „Marlboro is red.“ Aber auch: „Red is Marlboro“. Warum diese Umkehrung? Marlboro als Zigarettenmarke war schon zu Zeiten der DDR der Inbegriff des Kapitalismus und des damit verbundenen Wohlstands und der persönlichen Freiheit. Und die Marke Marlboro ist rot – rot wie die Farbe des Sozialismus. Aber nicht mehr der Sozialismus bestimmt nun die Situation, sondern Marlboro. Damit hat sich das Land, in dem einst die Farbe rot für die Verfechter der sozialistischen Idee so viel Hoffnung beinhaltete, einem anderen Ideal, also einer anderen Bedeutung ‚rot’, zugewandt, nämlich dem Kapitalismus.

Ganz im Gegensatz zum prägnanten Titel beginnt das Gedicht beinahe besinnlich: „[…] schlafen, ruhen…“ ist der Wunsch des lyrischen Ichs. Es wirkt erschöpft, wie es „lächelnd wach“ liegt. Nur der Körper ist noch aktiv, während sich der Geist bereits zur Ruhe gelegt hat.

[...]


[1] Greiner, 1990

[2] Raddatz, 2000

Ende der Leseprobe aus 13 Seiten

Details

Titel
Volker Braun: Das Eigentum und Marlboro is red. Red is Marlboro
Hochschule
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
Veranstaltung
Lyrik nach 1945
Note
1
Autor
Jahr
2005
Seiten
13
Katalognummer
V46445
ISBN (eBook)
9783638436366
Dateigröße
493 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Volker, Braun, Eigentum, Marlboro, Lyrik
Arbeit zitieren
Lydia Brandl (Autor:in), 2005, Volker Braun: Das Eigentum und Marlboro is red. Red is Marlboro, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/46445

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