Das Management von Wissen

Wissensmanagement im Prozess der strategischen Unternehmensnachfolge von Führungskräften der Sozialwirtschaft


Masterarbeit, 2018

97 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

1. Einleitung
1.1 Ausgangssituation
1.2 Forschungslücke
1.3 Forschungsfrage
1.4 Zielsetzung
1.5 Aufbau der Arbeit

2. Definitorische und konzeptionelle Grundlagen
2.1 Theoretischer Hintergrund: Der demografische Wandel
2.1.1 Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt
2.1.2 Anforderungen an Organisationen der Sozialwirtschaft
2.2 Der Wechsel an der Spitze
2.2.1 Strategische Unternehmensnachfolge in der Sozialwirtschaft
2.2.2 Onboarding im Prozess der strategischen Unternehmensnachfolge
2.3 Wissen: Terminologische Einordnung
2.3.1 Die Entstehung der Wissensgesellschaft
2.3.2 Der Wissensbegriff
2.4 Wissen im Kontext der Unternehmensnachfolge in der Sozialwirtschaft
2.4.1 Wissen als Unternehmensressource
2.4.2 Wissen in der Sozialwirtschaft
2.4.3 Wissensmanagement im Onboarding von Führungskräften der Sozialwirtschaft
2.4.4 Erfolgsfaktoren des Wissensmanagements

3. Forschungsstrategie und Methode der empirischen Studie
3.1 Forschungsdesign
3.1.1 Auswahl des qualitativen Forschungsansatzes
3.1.2 Auswahl der Methode: Das Expert*inneninterview
3.1.3 Auswahl des Auswertungsverfahrens
3.2 Methodisches Vorgehen
3.2.1 Datenerhebung
3.2.2 Datenaufbereitung
3.2.3 Datenauswertungsverfahren

4. Ergebnisse der empirischen Studie
4.1 Wissen als Unternehmensressource
4.2 Wissensmanagement in der Sozialwirtschaft
4.3 Vorbereitung des Wissensmanagements
4.4 Wissensrepräsentation
4.5 Wissensbasis und Wissenslücken
4.6 Wissensgenerierung
4.7 Wissensnutzung
4.8 Wissenstransfer und Wissenskommunikation
4.9 Wissenssender*innen

5. Zusammenfassung der Forschungsergebnisse

6. Fazit

7. Kritische Schlussbetrachtung

8. Ausblick und Zukunftsperspektiven

Literaturverzeichnis

Anhang
Anhang A: Interviewleitfaden
Anhang B: Transkriptions- und Anonymisierungsregeln

Abstract

Während Wissen als Unternehmensressource an Relevanz gewinnt, unterliegen sozialwirtschaft- liche Unternehmen der Herausforderung, mit einer anstehenden Verrentungswelle auf oberster Leitungsebene konfrontiert zu sein. Im Zuge dieser Entwicklungen stellt die Sicherung und Wei- tergabe von Sach- und Erfahrungswissen an nachfolgende Führungskräfte eine wichtige Einfluss- größe dar.

Ziel der Masterarbeit war die Identifikation von Anforderungen, denen sich Unternehmen der So- zialwirtschaft im Rahmen eines Wechsels an der Spitze stellen müssen, um den Verlust von stel- lenrelevantem Wissen zu begrenzen. Darüber hinaus zielt die Forschungsarbeit darauf ab, das Be- wusstsein für die Relevanz von Wissensmanagement im Zuge eines Führungskräftewechsels in sozialwirtschaftlichen Unternehmen zu stärken. Um sich dem definierten Forschungsziel empi- risch zu nähern, liegt der Studie eine explorative Erhebung von zehn leitfadengestützten Ex- pert*inneninterviews zugrunde. Die Untersuchungen wurden als retrospektive Befragungen kon- zipiert. Interviewteilnehmende waren Entscheidungsträger*innen der Sozialwirtschaft, die inner- halb des vergangenen Jahres in eine unternehmensleitende Position gewechselt sind. Grundlage der empirischen Arbeit bildeten Analysen des aktuellen fachlichen Diskurses, gesellschaftlicher und sozioökonomischer Entwicklungen im Sozialwesen sowie relevanter theoretischer Hinter- gründe.

Mittels der durchgeführten inhaltsanalytischen Auswertung, konnte das generierte Expert*innen- wissen anhand von neun soziologischen Kategorien verdichtet und abgebildet werden. Um Wissen im Rahmen vom Onboarding auf der obersten Leitungsebene systematisch und nachhaltig zu ma- nagen, wurden 18 Anforderungen identifiziert, denen sich sozialwirtschaftliche Unternehmen zur Sicherung ihrer betrieblichen Kontinuität ab sofort stellen müssen. Nicht zuletzt deckt die For- schung auf, dass die befragten Entscheidungsträger*innen der Sozialwirtschaft die Bedeutung ei- nes geeigneten Managements von Wissen erkannt haben.

Schlüsselwörter: Wissensmanagement, strategische Unternehmensnachfolge, Nachfolgeplanung, Onboarding, Einarbeitung, Sozialwirtschaft

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Ablaufmodell der strategischen Unternehmensnachfolge

Abbildung 2: Zeichen vs. Daten vs. Informationen

Abbildung 3: Wissenstreppe

Abbildung 4: Wissenslücken reduzieren

Abbildung 5: Effizientes Onboarding dank optimiertem Wissensmanagement

Abbildung 6: Forschungsstrategie der empirischen Studie

Abbildung 7: Interviewstatistik

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1. Einleitung

“ Wenn ich so viel Wissen in der Person verankert habe, das eben nicht struk- turiert abgebildet ist – dass wir dann ein Problem haben, das wissen wir. Also das weiß ich jetzt auch. Habe ich noch keine Lösung zu.“

Zitat einer Führungskraft der Sozialwirtschaft, 2018

1.1 Ausgangssituation

Die moderne Wissensgesellschaft in der wir heute leben, ist durch stetig zunehmende Wissens- bestände und sich rapide weiterentwickelnde Informations- und Kommunikationstechnologien gekennzeichnet (vgl. Heitmann 2013: 190 ff.). Gegenüber vorherigen Gesellschaftsformen, rückt in der Wissensgesellschaft der Mensch mit seinen Fähigkeiten und Werten stärker in den Mittelpunkt (ebd. S.195). Gleichzeitig gewinnen seine Erfahrungen und sein implizites Wissen an Bedeutung (ebd.). Im organisationalen Kontext resultieren daraus sowohl neue Möglichkei- ten, als auch Anforderungen für Unternehmen: Es gilt, die Expertise und das Erfahrungswissen der Organisationsmitglieder zu sichern und auszubauen.

An dieser Stelle entsteht insbesondere für die Branche der Sozialwirtschaft eine Problematik: Wissen gewinnt als Unternehmensressource an Relevanz (vgl. Mescheder/Sallach 2012: 186), während unter Berücksichtigung der rasant voranschreitenden gesellschaftlichen Entwicklun- gen in sozialwirtschaftlichen Unternehmen, mit einem zunehmenden Verlust von Erfahrungs- wissen zu rechnen ist. Grund dafür ist eine bevorstehende Verrentungswelle auf oberster Lei- tungsebene, die das Ausscheiden essentieller Wissensträger*innen zur Folge hat (vgl. Müller et al. 2013: 3).

Angesichts aktueller Gesellschaftsprozesse wird sich diese Problematik weiter zuspitzen: Be- reits in der Vergangenheit mussten in der Arbeitsrealität Ausfälle in der Besetzung von Schlüs- selpositionen stets einkalkuliert werden. Unter der Prämisse des demografischen Wandels, sieht sich die Branche der Sozialwirtschaft zudem gegenwärtig mit dem Problem konfrontiert, bei wachsender Nachfrage ihrer Dienstleistungen, einen Mangel an Nachwuchskräften zu verzeich- nen (vgl. König et al. 2012: 11). Gleichzeitig geht damit ein steigender Wettbewerb personeller Ressourcen einher. Eine neue Herausforderung besteht infolgedessen für Unternehmen der So- zialwirtschaft darin, Vakanzen entgegen der derzeitigen Arbeitsmarktlage erfolgreich nachbe- setzen zu können. Erschwerend kommt hinzu, dass – wurde ein geeignetes, neues Organisati- onsmitglied gefunden – ein Großteil der eingestellten Nachfolgenden das Unternehmen häufig in der Anfangsphase wieder verlässt (vgl. Bradt et al. 2006: 1 ff.). Es zeigt sich, dass den Un- ternehmen nicht nur ein Verlust von Erfahrungswissen bevorsteht, sondern auch die Aufgabe entstehende Lücken durch erfolgreiche Nachbesetzungen zu reduzieren.

Folgt man dem aktuellen Diskurs, gewinnt die Sicherung einer Unternehmensnachfolge zur Wahrung der Zukunftsfähigkeit eines Unternehmens an Bedeutung. Für Unternehmen der So- zialwirtschaft bedeutet dies die Notwendigkeit, effektive Strategien zu entwickeln, um zentrale Schlüsselpositionen des Top-Managements nach zu besetzen und sie langfristig im Unterneh- men zu halten (Müller et al. 2016: 16). Konnte eine Vakanz erfolgreich besetzt werden, gelten insbesondere die ersten 100 Tage für den weiteren Verlauf der Amtszeit der Nachfolgenden als entscheidend (vgl. Walter 2014: 120). Vor diesem Hintergrund stellt ein geeignetes Onboarding einen besonderen Erfolgsfaktor für den Wechsel an der Spitze dar. Indem es effektive Einar- beitungs- und Unterstützungskonzepte bereithält, zielt es auf der einen Seite darauf ab, die Zu- friedenheit der Nachfolgenden zu erhöhen und ihre Bindung an das Unternehmen zu stärken (vgl. Aygen 2015: 162 f.; Verhoeven 2016: 109 f.). Als neue Organisationsmitglieder besitzen Nachfolgende (verglichen mit ihren Stellenvorgänger*innen) zunächst ein eingeschränktes Leistungsniveau (vgl. Bonnie 2017; Weiand 2011: 9). Auf der anderen Seite dient ein geeigne- tes Onboarding dazu, den Produktivitätsverlust möglichst gering zu halten, der im Zuge eines Wechsels an der Spitze entsteht.

Resümierend besteht für Unternehmen der Sozialwirtschaft ein konkreter Handlungsbedarf: Zur Sicherung ihrer betrieblichen Kontinuitäten gilt es, Wissen im Rahmen von Onboarding auf der obersten Leitungsebene systematisch und nachhaltig zu managen.

Doch welche Bedeutung wird dem Management von Wissen in der Sozialwirtschaft aktuell beigemessen? Wie viel Erfahrungswissen geht bei einem Wechsel an der Spitze verloren? Und wie gehen sozialwirtschaftliche Unternehmen mit diesem (potenziellen) Wissensverlust um? Welche Maßnahmen werden genutzt, um den Wissensverlust zu verhindern? Und was kann getan werden, um Wissensverluste weiter einzugrenzen?

1.2 Forschungslücke

Nachdem die Frage eines geeigneten Managements von Wissen seit Beginn des 21. Jahrhun- derts im wirtschaftlichen Kontext vermehrt diskutiert wird, existieren im deutschsprachigen Raum heute zahlreiche Modelle zu der Thematik (vgl. u.a. Davenport/Prusak 1999; Herbst 2000; Amelingmeyer 2004; North 2005; Kreitel 2008). Doch im Gegensatz zu der aktuellen gesellschaftlichen Entwicklung, die Unternehmen der Sozialwirtschaft vor akute Herausforderungen stellt und den Anspruch an innovative Lösungsmöglichkeiten erhöht, findet das Thema „Wissensmanagement in der Sozialwirtschaft“ im wissenschaftlichen Diskurs bis- lang kaum Berücksichtigung. Eine Ausnahme stellt das Werk von Kreidenweis und Steincke dar, die mit ihrer Publikation aus dem Jahr 2006 erstmalig die branchenabhängige Relevanz von „Wissensmanagement in Sozialen Organisationen“ aufzeigen. Umfassende Literatur- recherchen zeigen, dass darüber hinaus nur vereinzelt auf Forschungsarbeiten in Form von aka- demischen Abschlussarbeiten zurückgegriffen werden kann1.

Eine Eruierung des Forschungsfeldes zum Thema Onboarding von Führungskräften in der So- zialwirtschaft zeichnet ein ähnlich fragmentiertes Bild. Wird Onboarding als Teil der strategi- schen Nachfolgeplanung begriffen, findet es in einigen Fachartikeln Berücksichtigung. Erste empirische Ergebnisse liefert dazu 2013 die bundesweite Studie „Nachfolgeplanung auf Lei- tungsebene in der Gesundheits- und Sozialwirtschaft“ (Müller et al. 2013b), die 2016 im Rah- men einer Publikation2 der contec GmbH konzeptionell weiterentwickelt wird – obgleich die Onboarding-Thematik nie im Fokus der Studien steht.

Hinsichtlich der Themenkombination von Wissensmanagement im Zuge des Onboardings von Führungskräften in der Sozialwirtschaft können dem fachlichen Diskurs erste Stimmen ent- nommen werden, die dem Thema eine aktuelle Bedeutung zuschreiben. So fördern das Bun- desministerium für Arbeit und Soziales und der Europäische Sozialfonds mit dem Programm „rückenwind – Für die Beschäftigten und Unternehmen in der Sozialwirtschaft“ derzeit ein- zelne Praxisprojekte3, die sich mit der beschriebenen Thematik beschäftigen. Auf eine empiri- sche Datenbasis kann dabei jedoch nicht zurückgegriffen werden, sodass sich an dieser Stelle eine Forschungslücke abzeichnet.

1.3 Forschungsfrage

Unter Berücksichtigung der dargestellten Forschungslücke sowie der thematischen Relevanz, liegt dieser empirischen Arbeit die folgende Fragestellung zugrunde:

Mit welchen Anforderungen sind Unternehmen der Sozialwirtschaft im Rah- men eines Wechsels an der Spitze konfrontiert, um einen Verlust von stellenre- levantem Wissen zu begrenzen?

Um Antworten auf die Forschungsfrage geben zu können und gleichzeitig ein tieferes Verständ- nis für die skizzierte Thematik zu schaffen, gilt es aktuelle Stimmungsbilder von nachfolgenden Führungskräften zu generieren. Diesbezüglich werden Interviews mit Entscheidungsträger*in- nen der Sozialwirtschaft geführt, die im Zeitraum des vergangenen Jahres eine neue Position im Top-Management antraten. Um die Interviewteilnehmer*innen anzuregen, die Anfangszeit des Stellenwechsels zu reflektieren und ihr Expert*innenwissen aus ihrer Rolle der nachfolgen- den Führungskraft heraus zu teilen, wird die Erhebung als eine retrospektive Befragung konzi- piert.4

1.4 Zielsetzung

Die empirische Erhebung zielt darauf ab, die Aufmerksamkeit und das Verständnis bezüglich der Rolle von Wissensmanagement bei einem Führungskräftewechsel in Unternehmen der So- zialwirtschaft zu erhöhen. Ziel dieser Arbeit ist es zu analysieren, in welcher Form die Siche- rung und Weitergabe von Wissen im Einarbeitungsprozess von Führungskräften der Sozialwirt- schaft abläuft. Erste Erkenntnisse zum Status Quo soll die qualitative Datenerhebung liefern. Auf Basis der empirischen Befunde werden Anforderungen identifiziert, mit denen sozialwirt- schaftliche Unternehmen – denen perspektivisch ein Wechsel an der Spitze bevorsteht – kon- frontiert sind.

Die identifizierten Anforderungen sollen dabei weniger als ein allgemeingültiger Handlungs- rahmen, sondern vielmehr als eine handlungsleitende Orientierung für die spezifische Ziel- gruppe verstanden werden. Dies ist einerseits auf die gewählte Methode zurückzuführen, die eine Generalisierung der Ergebnisse auf das erhobene Datenmaterial begrenzt. Andererseits wird dieser Arbeit die forschungsleitende Annahme zugrunde gelegt, dass alle Prozesse – ob in der freien Wirtschaft, der Sozialwirtschaft oder in großen Organisationen bzw. kleinen Unter- nehmen – letztlich von den involvierten Menschen und ihren individuellen Handlungen abhän- gen. Somit zeichnet sich jeder Nachfolgeprozess durch seine Individualität bzw. Subjektivität aus.

1.5 Aufbau der Arbeit

Nachdem die Ausgangssituation und Forschungslücke sowie die daraus entwickelte For- schungsfrage und Zielsetzung der empirischen Studie einleitend dargestellt wurden, zielt das zweite Kapitel darauf ab, ein gemeinsames Verständnis über definitorische und konzeptionelle Grundlagen zu schaffen. Zunächst wird vertiefend auf gegenwärtige gesellschaftliche und so- zioökonomische Wandlungsprozesse und deren Bedeutung für die Entwicklung der Sozialwirt- schaft eingegangen. Anschließend folgt eine Darstellung von Konzepten zur strategischen Un- ternehmensnachfolge und der damit verbundenen Einarbeitung neuer Führungskräfte: Es wird skizziert, wie eine strategische Unternehmensnachfolge abläuft und im Rahmen dessen das On- boarding erfolgt. Zur Vervollständigung des theoretischen Rahmens wird der Wissensbegriff terminologisch eingeordnet, um schließlich das Wissensmanagement und dessen Erfolgsfakto- ren in den branchenbezogenen Kontext strategischer Unternehmensnachfolgen einzubetten.

Um sich der definierten Forschungsfrage empirisch zu nähern, gilt es im dritten Kapitel ein geeignetes Forschungsdesign zu konstruieren und das methodische Vorgehen zu begründen. Im vierten Kapitel folgt eine Darstellung wesentlicher empirischer Ergebnisse, die sowohl Ge- meinsamkeiten und Unterschiede als auch Auffälligkeiten zwischen den Aussagen der befrag- ten Führungskräfte herausstellen. Durch den Vergleich von Theorie und Praxis können an- schließend Herausforderungen abgeleitet werden, denen sich Unternehmen der Sozialwirtschaft stellen müssen. Die Kernergebnisse der Datenerhebung werden im darauffolgenden fünften Ka- pitel zusammengefasst.

Im sechsten Kapitel wird die Forschungsfrage im Zuge einer resümierenden Analyse essentiel- ler Forschungsergebnisse beantwortet. Mit der Darstellung von studienbezogenen Einschrän- kungen bildet eine kritische Reflexion in Kapitel sieben das Ende der empirischen Arbeit. Ab- schließend werden in einem Ausblick erste Möglichkeiten aufgezeigt, um sozialwirtschaftliche Unternehmen bei dem Umgang mit Wissensmanagement zu unterstützen.

2. Definitorische und konzeptionelle Grundlagen

Um später analysieren zu können, welche Anforderungen sich bezüglich des Managements von Wissen bei einem Wechsel an der Spitze für Führungskräfte der Sozialwirtschaft stellen, gilt es vorab mittels definitorischer und konzeptioneller Grundlagen ein Verständnis der zugrundelie- genden Prozesse zu schaffen. Ziel dieses Kapitels ist daher, zunächst die Beschreibung gesell- schaftlicher Entwicklungen aus der eine Handlungsnotwendigkeit für Organisationen5 der So- zialwirtschaft folgt (Kapitel 2.1). Um den aktuellen Herausforderungen zu begegnen und die Zukunftsfähigkeit sozialwirtschaftlicher Organisationen zu sichern, folgt die Darstellung von Konzepten zur strategischen Unternehmensnachfolge und der damit verbundenen Einarbeitung neuer Führungskräfte (Kapitel 2.2). Anschließend wird der Wissensbegriff terminologisch ein- geordnet (Kapitel 2.3), um zuletzt das Management von Wissen – ausgehend von der For- schungsfrage – in den Kontext der strategischen Unternehmensnachfolge von Führungskräften in der Sozialwirtschaft einzubetten (Kapitel 2.4).

2.1 Theoretischer Hintergrund: Der demografische Wandel

Da die gesellschaftlichen Veränderungen keinen Forschungsschwerpunkt dieser Arbeit – son- dern vielmehr eine hinreichende Bedingung für die Entwicklung später aufgezeigter Nachfol- gestrategien – darstellen, werden sie im Folgenden nur grundrissartig beschrieben. Basierend auf den Auswirkungen des demografischen Wandels, die in Kapitel 2.1.1 dargestellt werden, gilt es im Anschluss einige Besonderheiten der sozialwirtschaftlichen Branche wie den Fach- und Führungskräftemangel zu skizzieren (Kapitel 2.1.2).

2.1.1 Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt

„Weniger, älter und bunter“ (Bertelsmann Stiftung 2008: 31) – das sind Prognosen zukünftiger Bevölkerungsentwicklungen, die den demografischen Wandel6 zu einem Megatrend des 21. Jahrhunderts (Schröder 2017) – und zu einer besonderen Herausforderung für die deutsche Wirtschaft und Gesellschaft machen (vgl. Hradil 2012). Indem die Bevölkerungszahl rückläufig ist, hat der demografische Wandel eine Reduktion des Erwerbspotenzials zufolge (Statistisches Bundesamt 2015). So wird nach Berechnungen des statistischen Bundesamtes, die Kohorte der Menschen im erwerbsfähigen Alter7 bereits in den nächsten zehn Jahren um vier Prozentpunkte sinken, während der Anteil der Menschen im Rentenalter8 um fünf Prozentpunkte steigen wird. Weiterhin werden potenzielle Nachwuchskräfte im Jahr 2028 deutlich unterrepräsentiert sein9, sodass mehr Erwerbspersonen den Arbeitsmarkt verlassen, als personelle Ressourcen nachrü- cken. Aus der Reduktion des Erwerbspotenzials resultiert ein verändertes Angebot-Nachfrage- Verhältnis, was eine Transformation vom Arbeitnehmer*innen- zum Arbeitgeber*innenmarkt zur Folge hat (Holste 2012: 8).

Gleichzeitig resultiert aus dem fortlaufenden demografischen Wandel eine Veränderung der Altersstruktur, sodass der Altersmedian den Vorausberechnungen zufolge von derzeit knapp 46 Jahren in einer Dekade auf über 47 Jahre steigen wird (Statistisches Bundesamt 2015).

Zur Darstellung weiterer Auswirkungen der gesellschaftlichen Entwicklung auf den Arbeits- markt ist es sinnvoll, Kohorten entsprechend unterschiedlicher altersabhängiger Berufsphasen zu bilden. Um damit einhergehende Unterschiedlichkeiten darzustellen, wird der Generationen- begriff zur Beschreibung verschiedener Alterskohorten verwendet. Dies zielt weniger darauf ab, den unterschiedlichen Generationen, sondern vielmehr den einzelnen Altersgruppen spezi- fische Merkmale zuzuschreiben (vgl. Schröder 2018: 469 ff.).

Während in der Fachliteratur häufig zwischen fünf Idealtypen unterschieden wird10, ist unter Berücksichtigung des Forschungskonstrukts dieser empirischen Arbeit vor allem die nähere Betrachtung der Baby Boomer Generation (Jahrgang 1956 bis 1965) sowie der Generation X (Jahrgang 1966 bis 1980) von Relevanz. Die Generation der Baby Boomer deckt eine Alters- spanne von 62 bis 53 Jahren ab und befindet sich bereits im letzten Drittel ihres Berufslebens (vgl. Klaffke 2014: 12). Aufgrund ihrer langjährigen Berufserfahrung werden Positionen mit höherer Verantwortung – wie zum Beispiel Führungspositionen – derzeit primär durch Baby Boomer bekleidet. Der nachfolgenden Generation gehören aktuell Erwerbsfähige im Alter von 38 bis 53 Jahren an. Die Generation X befindet sich in einer Berufsphase, in der sie sich im Berufsleben bereits etabliert und teilweise Führungspositionen übernommen hat (ebd.). Es ist zu berücksichtigen, dass den verschiedenen Generationen in der einschlägigen Forschungsliteratur partiell ein anderes Führungsverständnis zugeschrieben wird: Führungs- kräfte der Generation Baby Boomer charakterisieren sich primär durch eine weisungsgebende, kontrollierende Führungsrolle, während sich die Generation X stärker zu einer transparenten und partnerschaftlichen Führungskultur hin entwickelt (vgl. Mörstedt 2010).

Blickt man auf die bevorstehende Entwicklung der Generationenverteilung, so ist sicher, dass die Baby Boomer Generation innerhalb der nächsten zehn Jahre sukzessive in den Ruhestand gehen wird. Für den Arbeitsmarkt bedeutet dies einen Generationenwechsel auf der Führungs- ebene. Welche Herausforderungen sich infolgedessen für die Sozialwirtschaft stellen, wird im folgenden Kapitel näher erläutert.

2.1.2 Anforderungen an Organisationen der Sozialwirtschaft

Bevor auf die Anforderungen eingegangen wird, die sich angesichts des beschriebenen gesell- schaftlichen und erwerbsstrukturellen Wandels speziell für die Sozialwirtschaft stellen, gilt es ein grundlegendes Begriffsverständnis zu schaffen. Die Terminologie Sozialwirtschaft zeichnet sich in der wissenschaftlichen Literatur durch ihre Komplexität und Mehrdeutigkeit aus, sodass sie keiner eindeutigen Definition folgt. Die ihr zugeordneten zentralen Tätigkeitsfelder umfas- sen von der Alten-, Pflege- und Gesundheitshilfe über die Eingliederungshilfe, die Kinder-, Jugend- und Familienhilfe bis hin zur Bildung und Qualifizierung. (vgl. Horcher 2014, 320 ff.). Weitere Arbeitsfelder können die Migrations-, Wohnungslosen- und Straffälligenhilfe sowie allgemeine soziale Leistungsangebote sein (ebd.).

Um von einer Definition auszugehen, die einerseits den komplexen Organisations- und Trä- gerstrukturen (Bieker 2011: 13 f.) und andererseits den vielseitigen Tätigkeitsfeldern der Sozi- alwirtschaft gerecht wird, ist für diese wissenschaftliche Arbeit jenes Begriffsverständnis am geeignetsten, das einen ganzheitlichen Ansatz verfolgt. So wird der weiteren Ausarbeitung eine Definition zugrunde gelegt, nach welcher Unternehmen der Sozialwirtschaft als Organisationen begriffen werden, die „sich wohlfahrtsdienlich der Versorgung (care) in materiellen, sozialen, gesundheitlichen und pflegerischen Belangen“ (Wendt, 2016: 2) widmen.11

Gesamtgesellschaftlich betrachtet, gewinnt der sozioökonomische Stellenwert der Sozialwirt- schaft in Deutschland mit den steigenden Versorgungsbedarfen der alternden Bevölkerung zu- nehmend an Bedeutung. Der wirtschaftliche Bedeutungszuwachs im Sozialwesen lässt sich jedoch nicht transparent darstellen: Hinsichtlich ihrer Komplexität wird die Sozialwirtschaft als eine Querschnittsbranche klassifiziert, weshalb keine branchenspezifischen Kennzahlen in amt- lichen Statistiken erfasst werden (vgl. Handrich, 2013: 1). Trotz fehlender Benchmarks besteht in der Fachliteratur ein Konsens darüber, dass sich der zuvor beschriebene demografische Wan- del besonders in den Beschäftigungsstrukturen der Sozialwirtschaft bemerkbar macht: Perspek- tivisch wird das Beschäftigungspotenzial der Sozialwirtschaft steigen, sodass ein Anstieg der Erwerbstätigen in Sozialberufen „im Zuge der wachsenden Nachfrage nach Pflege- und Betreu- ungsdiensten“ (BMAS 2013) erwartbar ist. Indem das veränderte Verhältnis von Angebot und Nachfrage den Wettbewerb um geeignetes Personal auf dem Arbeitsmarkt verschärft, ist ein Mangel personeller Ressourcen in der Sozialwirtschaft kein Zukunftsszenario, sondern bereits heute Realität (König et al. 2012: 11). Dieser Umstand, der dauerhaft unerreichten Sättigung des Stellenangebots auf dem Arbeitsmarkt, wird als Fachkräftemangel bezeichnet (Vollmer 2015: 11). Einer empirischen Untersuchung der Universität St. Gallen, der Beuth Hochschule für Technik Berlin sowie dem Beratungsunternehmen akquinet GmbH zufolge, sind bereits im Jahr 2012 über 80% der befragten Organisationen im Sozialwesen direkt vom Fachkräfteman- gel betroffen (König et al. 2012: 11); fast die Hälfte aller sozialwirtschaftlichen Unternehmen haben Schwierigkeiten bei der adäquaten Besetzung von Personalvakanzen wie Top-Manage- ment-Positionen (Müller et al. 2013: 9 f.). Als Folge des demografischen Wandels, ist der Fach- kräftemangel damit eine entscheidende Einflussgröße für den Veränderungsbedarf sozialwirt- schaftlicher Unternehmen, um ihre betriebliche Kontinuität zu sichern (vgl. Buestrich/Wohl- fahrt 2008).

Weiterhin werden die aktuellen Herausforderungen angesichts der anstehenden Verrentungs- welle zugespitzt, die aufgrund der brancheninhärenten Altersstruktur bis 2020 primär auf Vor- stands- und Geschäftsführungsebene erwartet wird (Müller et al. 2013: 3). Unter Berücksichti- gung des zuvor beschriebenen Generationenwechsels auf Führungsebene (siehe Kapitel 2.1.1) drohen Organisationen der Sozialwirtschaft besondere unternehmerische Risiken, indem die „Aufbaugeneration der Gesundheits- und Sozialwirtschaft“ (Müller et al. 2016: 6) abtritt. Ihre zentralen Schlüsselpositionen effizient nachzubesetzen, wird für betroffene Organisationen in- folgedessen unerlässlich. Auf Grundlage der beschriebenen Entwicklungsstränge sowie den da- raus resultierenden Anforderungen für die Sozialwirtschaft, wird im folgenden Kapitel die Un- ternehmensnachfolge als essenzielle Strategie skizziert, um schließlich einen mit dem Wechsel von Schlüsselpositionen einhergehenden Wissensverlust strategisch begegnen zu können.12

2.2 Der Wechsel an der Spitze

Wie im vorherigen Kapitel gezeigt wurde, stellt die Sicherung einer geeigneten Unternehmens- nachfolge – vor dem Hintergrund demografischer Veränderungen – eine hinreichende Bedin- gung für die Zukunftsfähigkeit sozialwirtschaftlicher Unternehmen dar. Was sich genau hinter dem Konzept der strategischen Unternehmensnachfolge verbirgt, wird im Folgenden erörtert (Kapitel 2.2.1). Weiterhin zielt das Kapitel darauf ab, ein allgemeines Verständnis über das Onboarding einer neuen Führungskraft, als Teilprozess der Unternehmensnachfolge zu schaf- fen (Kapitel 2.2.2). Ferner gilt es vor dem Hintergrund der Forschungsfrage, die theoretischen Grundlagen eines Wechsels an der Spitze zu beschreiben, die der Weitergabe von Wissen zu- grunde liegen, um schließlich den Wissenserhalt in sozialwirtschaftlichen Organisationen si- cherstellen zu können.

2.2.1 Strategische Unternehmensnachfolge in der Sozialwirtschaft

Entsprechend des jeweiligen Kontextes, in dem die strategische Unternehmensnachfolge steht, finden sich im organisationswissenschaftlichen Sprachgebrauch nicht nur unterschiedliche Ver- wendungen der Thematik, sondern auch eine Vielzahl artverwandter Begrifflichkeiten wieder (vgl. Wegmann/Wiesehahn 2015: 18 f.)13. Um in dieser Forschungsarbeit von einem einheitli- chen Verständnis der strategischen Unternehmensnachfolge auszugehen, wird der Begriff nach- folgend als ein Führungskräftewechsel auf der Ebene des Top-Managements definiert (vgl. Breyer 2016: 31; Becker 2013: 610), während sich dieser ausschließlich auf den Kontext sozi- alwirtschaftlicher Unternehmen bezieht14. Das Wort strategisch verweist dabei auf eine struk- turierte und systematisch auf jedes Unternehmen zugeschnittene Prozessplanung (vgl. Breyer 2016: 31), die ein wichtiges Kriterium der Unternehmensnachfolge darstellt (vgl. Müller et al. 2016: 57 ff.). Die Verantwortung, eine strategische Unternehmensnachfolge zu implementie- ren, liegt primär in der Vorstands- und Geschäftsführungsebene, während dem Personalwesen in deren Rolle als Fachexpert*innen eine wichtige Unterstützungs- und Informationsfunktion zukommt (Müller et al. 2016: 75 ff.).

Weiterhin besteht die Notwendigkeit, die Definition einer strategischen Unternehmensnach- folge vom Fachbegriff der Nachfolgeplanung abzugrenzen: Der Terminus beschreibt die langfristige Planung, geeignete Nachfolgende zu suchen, zu identifizieren und auf die Vakanz vorzubereiten (vgl. Garman/Glawe 2004: 120; Becker 2013: 610) und kann lediglich einen Teil des gesamten Prozesses abbilden.

Angesichts der Herausforderung, geeignetes Personal zu finden, gehört „insbesondere das Thema der strategischen Nachfolgesicherung“ (Müller et al. 2016: 5) zu den bedeutendsten strategischen Problemen in der Sozialwirtschaft. Infolgedessen stellt es eine unerlässliche Maß- nahme dar, um auf aktuelle demografische bzw. sozioökonomische Entwicklungen zu reagie- ren. Wie die Empirie zeigt, mangelt es in der Sozialwirtschaft häufig an entsprechenden Pro- zessen der Zukunftssicherung. Entgegen dem Befund, dass etwa 40 Prozent der Branche Schwierigkeiten hat, geeigneten Nachwuchs zu finden, geben lediglich ein Drittel der befragten Unternehmen an, über eine strategische Regelung der Nachfolge zu verfügen (Müller et al. 2013: 9 f.). So schreibt eine Vielzahl sozialwirtschaftlicher Unternehmen einer Nachfolgerege- lung – trotz akuter Handlungsnotwenigkeit – nach wie vor zu wenig Bedeutung zu oder erkennt ihre Notwendigkeit erst zu spät (ebd.).

Zur Besetzung personeller Vakanzen wird in der Sozialwirtschaft aufgrund fehlender interner Maßnahmen zur Führungskräfteentwicklung, häufig auf externe Personallösungen zurückge- griffen (vgl. Froelich et al. 2011: 15). Daher werden im Folgenden, ausschließlich von extern kommende Führungskräfte den Forschungsgegenstand der empirischen Studie bilden. Eine weitere Eingrenzung der Thematik erfolgt durch die zeitliche Fokussierung der ersten 100 Ar- beitstage, die in der praxisrelevanten Literatur als besonders erfolgskritisch gelten (vgl. Walter 2011: 191). Beginnend mit einer systematischen Vorbereitung und endend in der (erfolgrei- chen) Einarbeitung des/der Nachfolgenden, bzw. der Verabschiedung des Stellenvorgängers / der Stellenvorgängerin, erstreckt sich die strategische Unternehmensnachfolge über mehrere Phasen. In der nachfolgenden Grafik (Abbildung 1) ist ein mehrstufiges Prozessmodell exemp- larisch abgebildet, welches die hohe Bedeutung der Vorbereitung und Konzeption des gesamten Prozesses der Unternehmensnachfolge verdeutlichen soll15.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Ablaufmodell der strategischen Unternehmensnachfolge (eigene Darstellung, in Anlehnung an Müller et al. 2016: 74)

Die Konzeption und Vorbereitung der strategischen Unternehmensnachfolge, die als erste Phase kategorisiert werden kann, erfolgt auf Grundlage der Erfassung des Nachfolgebedarfes, in Verbindung mit einer Analyse vorhandener Strukturen – beispielsweise der Altersstruktur- analysen (Müller et al. 2016: 72). Da Führungskräfte des Top-Managements stets über funkti- onsrelevantes Wissen verfügen, ist es unerlässlich, dieses bereits im Rahmen der Vorbereitung zu identifizieren und ggf. Maßnahmen zur Wissenssicherung einzuleiten16. In der zweiten Phase gilt es, vorbereitend zur Personalgewinnung zunächst ein Anforderungsprofil zu erstellen, auf dessen Basis eine Stellenanzeige entwickelt werden kann. Der Akquisition potenzieller Nach- folgender folgt in der vierten Phase die Durchführung eines Personalauswahlprozesses, die mit der Entscheidung für einen geeigneten Kandidaten, bzw. eine geeignete Kandidatin abgeschlos- sen wird (ebd.).

An dieser Stelle ist darauf hinzuweisen, dass der Prozess einer strategischen Unternehmens- nachfolge nicht mit Eintritt des/der Nachfolgenden in das Unternehmen endet. Vielmehr be- ginnt anschließend, die für den Erfolg des gesamten Nachfolgeprozesses entscheidende Phase: die Einarbeitung des/der Nachfolgenden (Brenner 2014: 5).

Ob in der Einarbeitungsphase eine Überlappungszeit mit dem/der Stellenvorgänger*in besteht, ist von der spezifischen Unternehmenssituation abhängig und hat maßgeblichen Einfluss auf die Ausgestaltung des Nachfolgeprozesses. Während altersbedingte Unternehmensnachfolgen frühzeitig geplant werden können, muss die Nachfolge in anderen Fällen (beispielsweise auf- grund plötzlicher Krankheit) eher ad hoc umgesetzt werden. So sind unterschiedliche strategi- sche und systematische Vorgehensweisen entsprechend der jeweiligen Ausgangssituation er- forderlich, um geeignete Nachfolgende für das Unternehmen zu finden.

Unter Berücksichtigung des Forschungsrahmens der empirischen Studie – dem Management von Wissensweitergabe in den ersten 100 Tagen aus Sicht der Nachfolgenden – widmet sich das nächste Kapitel der erfolgskritischen Phase der Einarbeitung als einem Teilprozess der stra- tegischen Unternehmensnachfolge.

2.2.2 Onboarding im Prozess der strategischen Unternehmensnachfolge

„Ca. 35% der neu angestellten Manager sind nach 18 Monaten wieder draußen.“ (Walter 2014: 118) Um das Scheitern eines Nachfolgeprozesses zu verhindern, ist die positive Gestaltung der ersten 100 Tage im Job äußerst bedeutend (vgl. ebd.). Hinsichtlich dessen stellt das Onboarding der neuen Führungskraft einen für den Erfolg der strategischen Unternehmensnachfolge rele- vanten Prozessschritt dar.

Der vom englischen „taking on board“ abgeleitete Begriff des Onboardings kann als struktu- rierte und hierarchieübergreifende Integration neuer Mitarbeitender in alle Unternehmensberei- che verstanden werden (vgl. Buchheim/Weiner 2014: 133). Unter Berücksichtigung des For- schungsschwerpunktes, der speziell auf Nachfolgeprozessen in der Top-Management-Ebene liegt, wird in den folgenden Erläuterungen ausschließlich das Onboarding auf obersten Hierar- chieebenen anvisiert. In der arbeitswissenschaftlichen Literatur wird dies auch als Executive Onboarding bezeichnet, dessen primäre Aufgabe die systematische „Integration Leitender An- gestellter (Executives) in das Unternehmen“ (Pepping et al. 2017: 159) ist. Das Executive On- boarding lässt sich sowohl inhaltlich als auch unternehmensstrategisch von einer traditionellen Mitarbeiter*inneneinarbeitung abgrenzen (vgl. Dai et al. 2011: 165 ff.): Während die direkte Führungskraft in regulären Onboarding-Verfahren den entscheidenden „Erfolgsgarant für eine gelungene Integration“ (Pepping et al. 2017: 158) darstellt, können sich Führungskräfte der obersten Leitungsebene nicht auf dauerhafte Hilfestellungen durch den/die Stellenvorgänger*in verlassen17. Hinzu kommt, dass von extern kommende Führungskräfte nicht nur mit der neuen Rolle, sondern ebenfalls mit einer neuen Unternehmenskultur konfrontiert werden (vgl. Kreter 2017: 2 f.). Ihr daraus resultierender Informationsbedarf, setzt einen besonders gut strukturier- ten Einarbeitungs- und Integrationsplan voraus, der idealtypisch durch den/die Stellenvorgän- ger*in, die Gremien sowie ggf. durch weitere Schlüsselpositionen vorbereitet wird (vgl. Walsh et al. 2014: 1 f.). Gleichzeitig sollte der Plan trotz Strukturiertheit flexibel gestaltet sein und dem/der Nachfolgenden genügend Handlungsspielraum geben, um das Unternehmen in all sei- ner Komplexität verstehen zu lernen (Spencer et al.2002: 31 f.)18.

Organisationswissenschaftlichen Studien zufolge, zeichnet sich in Arbeitsrealitäten der Sozial- wirtschaft jedoch ein anderes Bild: Das Onboarding von Führungskräften des Top-Manage- ments stellt hier für Gremien nur selten eine prioritäre Aufgabe dar, weshalb sie nach der akti- ven Personalgewinnungsphase eher eine passive Rolle einnehmen (vgl. Walsh et al. 2014: 1 f.). Infolge dieser äußerst problematischen Konklusion besteht hinsichtlich effizienter Einarbei- tungs- und Eingliederungsprogramme in der Branche akuter Handlungsbedarf.

Resümierend ist eine geeignete strategische Unternehmensnachfolge (inklusive eines systema- tischen Executive Onboardings) für die Zukunftsfähigkeit von Unternehmen der Sozialwirt- schaft unerlässlich. Vor dem Hintergrund des Generationenwechsels, geht mit einem Wechsel an der Spitze gleichzeitig die zentrale Herausforderung einher, das Erfahrungswissen der Auf- baugeneration der Sozialwirtschaft durch die Übertragung an die nächste Generation im Unter- nehmen zu halten (vgl. Müller et al. 2016: 6). Der Faktor Wissen sollte somit im Onboarding von Führungskräften der Sozialwirtschaft einen besonderen Fokus darstellen, weshalb auf die- sen im nächsten Kapitel vertiefend eingegangen wird.

2.3 Wissen: Terminologische Einordnung

Um den Wissensbegriff definitorisch einordnen zu können, gilt es im Folgenden zunächst, re- levante theoretische Grundlagen aufzuzeigen: Bevor verschiedene Wissensterminologien dar- gestellt werden (Kapitel 2.3.2), wird die Entstehung der Wissensgesellschaft skizziert (Kapitel 2.3.1).

2.3.1 Die Entstehung der Wissensgesellschaft

Das Konzept der Wissensgesellschaft wurde maßgeblich durch die Wissenschaftler Lane (196619 ), Drucker (196920 ) und Bell (193721 ) geprägt (vgl. Heitmann 2013: 189). Der Begriff determiniert ein modernes Gesellschaftskonzept, welches durch die gestiegene Relevanz von Wissen für Wirtschaft und Gesellschaft charakterisiert wird (Hebestreit 2013: 31). Das Wissen stellt im Rahmen dieses Konzeptes einen Produktionsfaktor dar, der die „ursprünglichen Pro- duktionsfaktoren“ (Heitmann 2013: 189) der Industriegesellschaft ergänzt und somit einen der Industriegesellschaft folgenden Entwicklungsschritt abbildet (ebd.). Die moderne Wissensge- sellschaft zeichnet sich dadurch aus, dass sie das Individuum, seine Kenntnisse und Fähigkeiten in den Mittelpunkt stellt. Infolgedessen löst sie das zuvor stärker verbreitete Konstrukt der In- formationsgesellschaft ab, das – angetrieben durch Technologien – primär die Informationspro- duktion als ökonomische Ressource in den Mittelpunkt stellt (ebd.).

Die Entstehung der beschriebenen Gesellschaftsformation wird nach North (2005) durch drei reziproke Einflussfaktoren angetrieben: den strukturellen Wandel, die Globalisierung und die Entwicklung neuer Informations- und Kommunikationstechnologien (vgl. North 2005: 13). Der strukturelle Wandel beschreibt die Verschiebungstendenz von kapitalkonzentrierten zu wis- senskonzentrierten Produktionen. Deutlich wird dieser Transformationsprozess, durch die Bil- dung von „Informations- und Wissensmärkten“ (ebd.), die sich durch eine zunehmende Anzahl wissensabhängiger Wirtschaftssektoren auszeichnet (vgl. Heitmann 2013: 190) und in welchen sich die Wettbewerbsposition durch die Wissensproduktivität ableiten lässt (ebd.). Im Zuge dessen verlieren materielle Güter gegenüber immateriellen Gütern an Relevanz: „Muskelkraft wird durch Geisteskraft ersetzt“ (North 2005: 15). Nach dem Wirtschaftswissenschaftler Kon- dratieff gewinnt der Produktionsfaktor Wissen an Bedeutung, weshalb in der heutigen Wissens- gesellschaft nicht mehr Faktoren wie Rohstoffe, Kapital oder Arbeit, sondern primär das Wis- sen eine knappe Ressource darstellen (ebd.). Begünstigt wird der strukturelle Wandel u.a. durch die Globalisierung, die auf der einen Seite wettbewerbsverschärfend und auf der anderen Seite – hinsichtlich globaler Lernprozesse – beschleunigend wirkt. Weiterhin wird die Wandlungs- dynamik durch den Ausbau der Informations- und Kommunikationstechnologien angetrieben, der zu einer Transaktionsbeschleunigung bei gleichzeitiger Kostenreduktion führt (ebd.). Aus dem Zusammenspiel von Globalisierung und neuen Technologien resultiert eine internationale Informationstransparenz, die die „weltweite Steuerung von Geschäftsprozessen“ (North 2005: 13) ermöglicht. Als Triebkraft für die Globalisierung stellen die neuen Informations- und Kom- munikationstechnologien demzufolge eine Ursprungsenergie für den Wandel gesellschaftlicher Strukturen dar, aus dem der Bedeutungszuwachs der Ressource Wissen resultiert.

Charakterisiert wird die Wissensgesellschaft u.a. durch intelligente Güter – also Produkte, de- nen zunehmend mehr Intelligenz inhärent ist (Heitmann 2013: 190 ff.). Dies können einerseits technologische Produkte, wie zum Beispiel der Mikrochip sein, andererseits aber auch Dienst- leistungen, wie Coaching- oder Beratungsangebote (ebd.). Intelligente Organisationen sind ein weiteres Kennzeichen der Gesellschaftsformation. Entgegen industriellen Organisationen, de- nen gemäß dem Fordismus und Taylorismus strikte Arbeitsanleitungen zugrunde liegen, beruht die Handlungsorientierung der Organisationsform einer Wissensgesellschaft in erster Linie auf der Expertise und dem Erfahrungswissen von Organisationsmitgliedern (ebd.). Neben der Ver- änderung von Produkten und Organisationen, ist durch die Zunahme der Wissensarbeit, zudem ein erwerbsstruktureller Wandel erkennbar (Hebestreit 2013: 31), der ein drittes Kennzeichen der Wissensgesellschaft darstellt. Verglichen mit dem im Rahmen von Industriearbeiten ge- nutzten, eher routinehaften Wissen, beschreibt der Begriff Wissensarbeit eine intellektuelle Tä- tigkeit, bei der die Mitarbeitenden ihr Wissen eigenständig zur Wertschöpfung und zur Errei- chung eines Unternehmensziels nutzen (vgl. Willke 2004: 135). Die Besonderheit der Wissens- arbeit liegt darin, das Wissen sowohl das Werkzeug, als auch das Endprodukt der Wissensarbeit darstellt.

Resümierend ist mit der Entstehung der Wissensgesellschaft ein Bedeutungszuwachs des Pro- duktionsfaktors Wissen verbunden. Nachdem die Entwicklung und die damit zusammenhän- genden wichtigsten Kennzeichen beschrieben wurden, gilt es im nächsten Kapitel ein einheit- liches Verständnis über den Wissensbegriff zu schaffen.

2.3.2 Der Wissensbegriff

Sucht man eine Definition von Wissen im Internet, erhält man über 41 Millionen Ergebnisse22. Obwohl, wie im vorherigen Kapitel gezeigt wurde, Wissen eine zentrale Rolle in der heutigen Gesellschaft spielt, ist es bislang nicht gelungen, eine allgemeingültige Definition des Wissens- begriffs zu formulieren. Grund dafür sind zum einen die Vielschichtigkeit des Begriffs, zum anderen die divergenten Betrachtungsperspektiven und Interpretationen unterschiedlicher Fachdisziplinen. Gemein haben die Definitionen im Bereich des Wissensmanagements, dass Wissen weder als absolute Wahrheit noch als statistisches Konstrukt anzusehen ist, sondern vielmehr als eine personengebundene Ressource verstanden wird (Willke 2004: 135). Darüber hinaus lässt sich Wissen von Daten und Informationen klar abgrenzen (vgl. Heitmann 2013: 207f.). Die Begriffe Daten, Informationen und Wissen stehen in einer terminologisch-hierar- chischen Beziehung zueinander (vgl. North 2005: 40), da sie durch die Addition eines zusätz- lichen Merkmals an Komplexität gewinnen (siehe Abbildung 2). Werden einzelne Ziffern oder Zeichen in einer Syntax sinngebend zusammengeführt, so entstehen Daten. Setzt man diese Daten in einen Kontext, so resultieren daraus Informationen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Zeichen vs. Daten vs. Informationen (eigene Darstellung)

Wissen liegt erst dann vor, wenn vorhandene Informationen personenabhängig verarbeitet und vernetzt werden. Der weiteren Ausarbeitung dieser Arbeit liegt, bezogen auf das Forschungs- interesse am Fachbereich des Wissensmanagements, folgenden Definition von Wissen zu- grunde:

„ Wissen bezeichnet die Gesamtheit der Kenntnisse und Fähigkeiten, die Indi- viduen zur Lösung von Problemen einsetzen. Wissen stützt sich auf Daten und Informationen, ist im Gegensatz zu diesen jedoch immer an Personen gebun- den. Daher müssen Daten-, Informations- und Wissensmanagement stets zu- sammenspielen.“ (Probst et al. 2012: 23)

Wissensträger*innen

Neben der Personengebundenheit zeichnet sich Wissen – nach arbeitswissenschaftlichem Ver- ständnis – dadurch aus, dass es dynamisch generiert wird (vgl. Hebestreit 2013: 38; Heitmann 2013: 211). Die Entstehung und Anwendung von Wissen findet primär mittels kognitiver Pro- zesse in den Köpfen von Individuen statt, die als personelle Wissensträger*innen und somit als ein natürlicher, personengebundener Wissensspeicher bezeichnet werden (vgl. Amelingmeyer 2002: 52 ff.). Im organisationalen Kontext kann jedes Organisationsmitglied als ein*e personelle*r Wissensträger*in verstanden werden. Aus dem Zusammenschluss einzelner indi- vidueller Wissensträger*innen können kollektive Wissensträger*innen, beispielsweise in Form von Gruppen, gebildet werden. Die Besonderheit kollektiver Wissensträger*innen liegt darin, dass dort über Wissen verfügt wird, welches nur unter der Bedingung des Zusammenschlusses personeller Wissensträger*innen besteht. In Organisationen entstehen kollektive Wissensträ- ger*innen entsprechend vorhandener Organisationsstrukturen, wie zum Beispiel Abteilungen, Teams oder Netzwerke. Durch sie wird die Einbettung des Wissens in „organisatorische Rou- tinen, Prozesse, Praktiken und Normen“ (Davenport/Prusak 1999: 32) vorgenommen. Materi- elle Wissensträger*innen können als ein weiterer Wissensträgertyp klassifiziert werden, denen vornehmlich eine Speicherfunktion zukommt (vgl. Amelingmeyer 2002: 56 ff.). Das ihnen in- härente Wissen kann nur synthetisch durch Personen erzeugt und materiell (beispielsweise computer- oder produktbasiert) gespeichert, aktualisiert und verarbeitet werden. 23

In der Praxis stehen die einzelnen Wissensträger*innen in ständiger Interaktion zueinander, so- dass Interferenzen zwischen den drei definierten Typen nicht nur möglich, sondern erwartbar sind. Der vorgenommenen Differenzierung liegt die Annahme zugrunde, dass Wissen nur durch Menschen geschaffen, aktualisiert oder bewertet werden kann (vgl. Willke 1996: 285). Diese Annahme ist prinzipiell kritisch zu sehen, da Computer durch technische Interventionen, Ein- fluss auf organisationale Wertschöpfungsprozesse haben können (Goffart 2016: 617). Da die durchgeführten Expert*inneninterviews keinen Hinweis darauf gegeben haben, dass relevante Technologien im Untersuchungsfeld eingesetzt werden, kann die Kritik für die Auswertung der empirischen Studie unberücksichtigt bleiben.

Wissensarten

Wird die Prämisse, dass Wissen stets personenabhängig ist, in den Kontext einer Unterneh- mensnachfolge gesetzt, ist es für einen erfolgreichen Wissenstransfer24 von zentraler Bedeutung zu identifizieren, welches Wissen durch die Neubesetzung der Schlüsselposition verloren gehen kann. Diesbezüglich ist die Definition verschiedener Wissensarten notwendig. Entsprechend der Recherche zur Begriffsdefinition von Wissen, stößt man im Rahmen einer Literaturstudie auf zahlreiche Ansätze die verschiedenen Arten von Wissen auszudifferenzieren. Immer wiederkehrende Unterscheidungen werden zwischen Sach- und Handlungswissen, implizitem und explizitem Wissen sowie individuellem und organisationalem Wissen vorgenommen (vgl. u.a. Kreidenweis/Steincke 2006: 24 ff.; Heitmann: 2013: 214 ff.; Völker et al. 2007: 61 ff.).

Die Differenzierung von Sachwissen und Handlungswissen verweist auf die Unterscheidung von „knowing that“ und „knowing how“ (vgl. Mescheder/Sallach 2012: 13). Demzufolge stel- len beispielsweise die Kenntnisse über eine sozialgesetzliche Vorgabe, Sachwissen dar. Von Handlungswissen kann dann gesprochen werden, wenn die vorhandenen Kenntnisse zur Lö- sung einer Aufgabe zielorientiert genutzt werden. Setzt eine Führungskraft der Sozialwirtschaft auf Basis ihrer Fachkenntnisse Maßnahmen um, um eine Organisation gesetzlichen Neuerun- gen anzupassen, kann dies als Handlungswissen klassifiziert werden (vgl. Hebestreit 2013: 43).

Weiterhin wird eine Unterscheidung von individuellem und kollektivem respektive organisati- onalem Wissen vorgenommen. Die Summe individuellen Wissens bildet das kollektive Wissen, sodass beide Wissensarten personenabhängig sind (Völker et al. 2007: 63). Kollektives Wissen entsteht im Zuge sozialer Konstruktionsprozesse und ist entsprechend kollektiven Wissensträ- ger*innen (s.o.) inhärent. Die Fähigkeiten und Kenntnisse einer einzelnen Person, wie zum Beispiel die kaufmännische Leitung einer sozialwirtschaftlichen Organisation, werden demge- genüber als individuelles Wissen kategorisiert (ebd.). Organisationales Wissen liegt dann vor, wenn der Personenbezug des individuellen und kollektiven Wissens – beispielsweise durch un- ternehmenseigene Abkürzungssysteme – abstrahiert wird (vgl. Mescheder/Sallach 2012: 16).

Indem die Begriffsdichotomie zwischen implizitem und explizitem Wissen auf die Herausfor- derungen und Grenzen des Wissenstransfers verweist (Heitmann 2013: 215), ist diese Differen- zierung zur Beantwortung der Forschungsfrage von besonderer Bedeutung. Explizites Wissen kann schriftlich niedergelegt und problemlos in „systematisierter Form […] artikuliert werden“ (Völker et a. 2007: 61). Als Beispiel dieser Wissensart dient die Abbildung einer Organisati- onsstruktur in Form eines Organigramms. Implizites Wissen – wie zum Beispiel erfahrungsba- siertes Wissen25 – lässt sich hingegen nur sehr schwer explizieren (vgl. ebd.). Mit der These, dass Menschen mehr wissen, als sie zu sagen wissen, beschreibt Polanyi als einer der ersten Wissenschaftler die große Herausforderung, implizites Wissen zu formalisieren (Polanyi 1985: 13 f.). Die Ursache dafür bildet der Hintergrund vorhandener Kenntnisse, der den Individuen selbst häufig gar nicht bekannt ist und aufgrund dessen das Wissen nicht artikuliert werden kann. So kann implizites Wissen beispielsweise intuitives Handlungswissen meinen, zu dessen Aktivierung die Individuen keinen diskursiven Gebrauch ihres Verstandes machen (ebd.).

Folglich bedarf die Weitergabe impliziten Wissens stets sozialer Interaktionen und ist somit im Gegensatz zu explizitem Wissen nur schwer transferierbar (vgl. Heitmann 2013: 215). In der Praxis gelten lediglich 20% des vorhandenen Wissens als sichtbar, während 80% in impliziter Form vorliegen und somit zunächst unsichtbar sind (vgl. Ackermann 2018a: 26).

2.4 Wissen im Kontext der Unternehmensnachfolge in der Sozialwirtschaft

Nachfolgend wird die Bedeutung von Wissen unter Berücksichtigung der Forschungsfrage in den Kontext der strategischen Unternehmensnachfolge von Führungskräften in der Sozialwirt- schaft gesetzt. Diesbezüglich wird zunächst die Rolle von Wissen als Unternehmensressource definiert (Kapitel 2.4.1), bevor eine Einbettung in den sozialwirtschaftlichen Kontext vorge- nommen wird (Kapitel 2.4.2). Darauf aufbauend werden Teilprozesse des Managements von Wissen vorgestellt, die ein effizientes Onboarding von Führungskräften in der Sozialwirtschaft ermöglichen (Kapitel 2.4.3). Anschließend gilt es, konkrete Erfolgsfaktoren des Wissensmana- gements aufzuzeigen (Kapitel 2.4.4).

2.4.1 Wissen als Unternehmensressource

Der in Kapitel 2.4.1 beschriebene Bedeutungszuwachs von Wissen spiegelt sich nicht nur auf der gesamtgesellschaftlichen Ebene, sondern auch im unternehmensbezogenen Kontext wieder. Verdeutlicht werden kann dies durch die Darstellung der Wissenstreppe (siehe Abbildung 3).26

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 3: Wissenstreppe (eigene Darstellung in Anlehnung an North 2005: 32)

(1) Die Generierung von Wissen resultiert dabei aus der kontextspezifischen Verknüpfung und Bewertung von Informationen auf Basis individueller Erfahrungen – weshalb das Wissen aus arbeitswissenschaftlicher Perspektive immer als personenabhängige Ressource zu ver- stehen ist (siehe Kapitel 2.3.2). Die Gesamtheit von Mitarbeiter*innen-, Kunden- und Organisationswissen bildet in diesem Zusammenhang als vorhandenes Wissenskapital das Fundament der Wissenstreppe.
(2) „Wissen wird für Unternehmen jedoch nur dann zu einer wertvollen Ressource“ (Völker et al. 2007: 59), wenn es durch einen Anwendungsbezug und bei vorhandenen motivationalen Anregungen entsprechende Handlungen zur Folge hat (siehe Kapitel 2.4.4.).
(3) Wird das vorhandene Wissen mittels richtigen Handelns zielführend zur Lösung von Prob- lemen eingesetzt, so entstehen Kompetenzen (North 2005: 34).
(4) Zum Erklimmen der letzten „Stufe“ gilt es, das Wissen als Unternehmensressource nach- haltig zu nutzen und somit die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens zu erhöhen: Zeich- nen sich die vorhandenen Kompetenzen der Organisationsmitglieder im organisationalen Kontext durch das Kriterium der Einzigartigkeit aus, können im Zuge dessen Alleinstel- lungsmerkmale begründet werden, die den Unternehmenswert steigern (ebd.).

Die These, dass Wissen im organisationalen Kontext einen Wettbewerbsfaktor – und somit eine wichtige Ressource für Unternehmen – darstellt (vgl. Mescheder/Sallach 2012: 186), wird durch empirische Befunde belegt: eine von der TU Chemnitz durchgeführte Studie zeigt, dass zwischen der bestmöglichen Nutzung von Wissen und der Wettbewerbsfähigkeit von Unter- nehmen eine signifikante Korrelation besteht (Pawlowsky et al. 2011: 19 f.). Resümierend kann festgehalten werden, dass sich der Wert eines Unternehmens in Zeiten der Wissensgesellschaft vom vorhandenen Wissenskapital ableiten lässt. Welche Herausforderungen sich im Zuge des- sen speziell für die Branche der Sozialwirtschaft stellen, wird im nächsten Kapitel näher erläu- tert.

2.4.2 Wissen in der Sozialwirtschaft

In wachsender Konkurrenz um finanzielle und personelle Ressourcen entsteht für wohlfahrts- orientierte Organisationen mit fortlaufenden arbeitsmarktpolitischen Entwicklungen ein erhöh- ter Professionalisierungsdruck (vgl. Müller et al. 2016: 6). Daraus folgend muss sich das Sozi- alwesen zunehmend ökonomischen Fragen stellen und auf relevante betriebswirtschaftliche In- strumente zurückgreifen – was einerseits die Umformung der Branchenstruktur und anderer- seits die Veränderung interner Arbeitsweisen bedingt (vgl. Pawlowsky et al. 2011: 19 f.).

Durch die mehrdimensionale Einbindung sozialwirtschaftlicher Organisationen in politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Strukturen, zeichnet sich dabei das ihnen inhärente kol- lektive Wissen durch einen heterogenen Charakter aus (vgl. Kreidenweis/Steincke 2006: 9). Im Zuge der Angebotskomplexität müssen sozialwirtschaftliche Unternehmen intern das Wissen unterschiedlicher Fachbereiche organisieren – gleichzeitig treten die Unternehmen durch das Anbieten von Beratungsleistungen nach außen selbst als wissensvermittelnde Instanz auf (ebd.). Die Unternehmen sind damit als Organisation selbst Gegenstand wissensbasierter Pro- zesse, „für dessen Fortbestand und Weiterentwicklung ein effizienter Umgang mit Informatio- nen und Wissen bedeutsam ist“ (ebd. S. 19).

[...]


1 u.a.: Masterarbeit von Schmitz, O. (2017): Wissensmanagement in kleineren Organisationen der Sozialen Arbeit – Herausforderungen und Handlungsansätze. Hochschule Niederrhein; Masterarbeit von Wolf-Doettinchem, I. (2015): Wissensmanagementsysteme in sozialen Organisationen Vorteile und Nachteile. Alice Salomon Hochschule Berlin

2 Müller et al. 2016

3 z.B. SeneX – Lebensphasenorientierte Personalpolitik mit dem Fokus auf ältere Mitarbeitende umsetzen – die Früchte langjähriger Erfahrung wertschätzend ernten und weitergeben, HELIKON – Wissenssicherung durch Per- sonal- und Organisationsentwicklung, OPEN NoW! – Verbundprojekt Nord-West für Personal- und Organisati- onsentwicklung

4 Spezifischere methodische Abgrenzungen werden im weiteren Verlauf der Arbeit vorgenommen.

5 Der Organisationsbegriff wird im Rahmen dieser Arbeit vor einem institutionellen Sprachgebrauch und daher synonym zum Unternehmensbegriff verwendet.

6 Zur Bestimmung des demografischen Wandels bilden „die Zu- oder Auswanderung, die Geburtenrate [und] die Sterblichkeit“ drei zentrale Faktoren (vgl. Bundeszentrale für politische Bildung. Dossier: Demografischer Wan- del. Onlinepublikation. Link: https://www.bpb.de/politik/innenpolitik/demografischer-wandel/ [zuletzt aufgerufen am 10.12.2018].

7 20 bis 64-Jährige werden als erwerbsfähig klassifiziert (Statistisches Bundesamt 2015).

8 Menschen, die 65 Jahre oder älter sind, gelten der zugrundeliegenden Statistik zufolge als Rentner*innen (Sta- tistisches Bundesamt 2015).

9 Der Anteil, der unter Zwanzigjährigen, wird im Jahr 2028 auf 18% geschätzt, während Menschen im Rentenalter einen Bevölkerungsanteil von 25% ausmachen werden (Statistisches Bundesamt 2015).

10 In der generationswissenschaftlichen Literatur wird zwischen folgenden fünf Generationen unterschieden: der Nachkriegsgeneration, den Baby Boomern, der Generation X, Y und Z (Klaffke 2014: 10ff.). Der Abgrenzung der Kohorten wird im Rahmen dieser Arbeit das Generationenmodell von Klaffke zugrunde gelegt (ebd.).

11 Indem sich die ausgewählte Definition auf Sozialwirtschaft des deutschsprachigen Raumes bezieht, wurde der Recherche für diesen Forschungsgegenstand vorrangig deutschsprachige Literatur zugrunde gelegt.

12 „Der Wechsel an der Spitze“ ist zugleich Titel der 2016 von Müller et al. erschienenen Publikation. Bei der wiederholten Verwendung des Titels wird nachfolgend auf weitere Verweise verzichtet.

13 In der wissenschaftlichen Literatur werden u.a. Begriffe wie Nachfolgeplanung, Nachfolgesicherung, Unterneh- mernachfolge oder Nachfolge häufig synonym zur strategischen Unternehmensnachfolge verwendet.

14 Da die strategische Nachfolge keinen inhaltlichen Schwerpunkt dieser Arbeit darstellt, wird darauf verzichtet, bestehende Definitionen der Thematik gegenüberzustellen und zu vergleichen.

15 Das Modell ist an einem idealtypischen Nachfolgeprozess angelehnt und soll diesen zwar exemplarisch darstel- len, zielt jedoch aufgrund der Unterschiedlichkeit verschiedener Ausgangssituationen und Abläufe (vgl. Kirby / Lee 2016: 80 f.) nicht auf eine grundsätzliche Generalisierung ab.

16 Das Management von Wissen im Kontext der strategischen Unternehmensnachfolge wird in Kapitel 2.4 detail- liert dargestellt, sodass an dieser Stelle auf dessen nähere Beschreibung verzichtet werden kann.

17 Beispielsweise besteht bei einer unmittelbaren Stellenübergabe zwischen Stellenvorgänger*in und Nachfolgen- der/m keine gemeinsame „Amtszeit“ respektive Überlappungsphase (vgl. Haubrock 2015: 79).

18 Unter Berücksichtigung des Forschungsinteresses wird im Rahmen dieser Arbeit auf die Erarbeitung spezifi- scher Prozessschritte eines idealtypischen Executive-Onboarding-Konzeptes verzichtet. Für weiterführende Infor- mationen zu einzelnen Phasen des Onboardings siehe Brenner 2014.

19 Lane, R. (1966): Knowledgeable Society, In: Sociological Review, S. 649-662.

20 Drucker, P. (1969): The age of discontinutity. Guidelines to our Changing Society. Butterworth-Heinemann.

21 Bell, D. (1973): The coming of post-industrial society. A venture in social forecasting. New York: Basic Books.

22 Suche via Internetsuchmaschine Google. Stand: 05.08.2017

23 Es ist möglich, weitere Klassifizierungen verschiedener Wissensträgertypen – z.B. formelle und informelle Wis- sensträger*innen – vorzunehmen. Da diese für die weitere Ausarbeitung nicht relevant sind, werden sie an dieser Stelle nicht weiter berücksichtigt.

24 Eine detaillierte Prozessbeschreibung von Wissenstransfer erfolgt in Kapitel 2.4.3, weshalb zuvor von einer genaueren Definition abgesehen wird.

25 Erfahrungswissen meint das durch Sinneswahrnehmungen gewonnenen Wissen (vgl. Lehnert 2017: 18).

26 Der folgenden Abbildung liegt die Definition von Wissen gemäß Kapitel 2.4.2 zugrunde.

Ende der Leseprobe aus 97 Seiten

Details

Titel
Das Management von Wissen
Untertitel
Wissensmanagement im Prozess der strategischen Unternehmensnachfolge von Führungskräften der Sozialwirtschaft
Hochschule
Ruhr-Universität Bochum
Note
1,0
Autor
Jahr
2018
Seiten
97
Katalognummer
V463609
ISBN (eBook)
9783668923102
ISBN (Buch)
9783668923119
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Wissensmanagement, Nachfolgeplanung, Führungskräfte, Sozialwissenschaft, Onboarding, Einarbeitung, Wissenstransfer, Wissenssicherung, Wissensverlust
Arbeit zitieren
Annika Vennemann (Autor:in), 2018, Das Management von Wissen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/463609

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