Die Zukunft der Europäischen Währungsunion

Reformoptionen und ihre ökonomische Bewertung


Masterarbeit, 2018

70 Seiten, Note: 2,0

Anonym


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

1. Einleitung

2. Aktuelles wirtschaftspolitisches Krisenmanagement in der Europäischen Union
2.1. Der permanente Krisenmechanismus ESM
2.2. Bewertung des ESM

3. Alternative Instrumente zur Bewältigung der Staatsschuldenkrise in Europa
3.1. Verbesserung der Finanzmarktstabilität im Euroraum
3.1.1. Einführung von Euro-Staatsanleihen
3.1.2. Effiziente Gestaltung von Staatspapieren und Schuldenrestrukturierung
3.1.3. Etablierung eines Europäischen Finanzministers
3.2. Die Idee einer Europäischen Arbeitslosenversicherung
3.2.1. Anreizprobleme einer gemeinsamen Arbeitslosenversicherung
3.2.2. Position der deutschen Regierung
3.3. Einführung eines Insolvenzverfahren für Mitgliedsstaaten
3.3.1. Insolvenzordnung ohne Regelbindung
3.3.2. Insolvenzordnung mit Regelbindung

4. Fazit

Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Aktivierungsprozess ESM

Abbildung 2: Arbeitslosenquote in % der Erwerbstätigen in ausgewählten EU-Ländern

Abbildung 3: Staatsverschuldung in der EU und Eurozone in Relation zum BIP

Abbildung 4: Wachstum des EU-BIP (gegenüber dem Vorjahr)

Abbildung 5: Rolle des Banken- und Finanzsystems

Abbildung 6: Bilanz eines SBBS-Emittenten

Abbildung 7: Interaktion der EALV mit nat. ALV

Abbildung 8: Staatsverschuldung der EU-19-Länder

Abbildung 9: Staatsverschuldung in Griechenland von 2008 bis 2018

1. Einleitung

„Das Europa, wie wir es kennen, ist zu schwach, zu langsam, zu ineffizient, aber allein Europa kann uns eine Handlungsfähigkeit in der Welt geben angesichts der großen Herausforderungen dieser Zeit“, vgl. Noll (2018). Dieses Zitat des französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron unterstreicht eindrucksvoll die Dringlichkeit zu Reformen in Europa. Während das Staatsoberhaupt Frankreichs tiefgreifende Reformen fordert und die Einsetzung eines europäischen Finanzministers, der über ein milliardenschweres EU-Budget verfügt, beabsichtigt, präferiert die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel moderate Reformmaßnahmen zur Bewältigung der europäischen Staatsschuldenkrise. Selten stand die europäische Gemeinschaft vor derart umfangreichen Problemen. Diverse Krisenherde offenbaren eine mangelnde Funktionsfähigkeit der EU. Anspruch und Wirklichkeit klaffen auseinander. Europa muss aktiv bei der Vereinfachung von Entscheidungsprozessen beitragen. Gleichzeitig muss zur Stärkung des Solidaritätsprinzips ein neues Wir-Gefühl gefunden werden. Bürger in Europa sehen keine glaubhafte und vertrauenerweckende Union. Dieser enorme Vertrauensverlust bietet ausreichend Nährboden für den Nationalismus und Rechtspopulismus. Zahlreiche europäische Parteien aus dem rechten Flügel erstarken. Deshalb muss Europa mehr leisten können als die Nationalstaaten. Es muss seinen Bürgern Schutz bieten, vgl. The European (2017). Attraktive Zukunftsprojekte, die die Herausforderungen der Digitalisierung und des technologischen Fortschritts als Chance erkennen, können eine neue Begeisterung bei den Menschen in Europa entfachen. Außerdem hat sich gezeigt, dass viele Volkswirtschaften protektionistische Neigungen verfolgen. Europa muss dabei helfen, Nachteile der Globalisierung einzugrenzen, um die Öffentlichkeit an den Mehrwert einer offenen Welthandelsordnung zu erinnern.

Insbesondere in Zeiten des Terrorismus braucht es einen nachhaltigen Schutz vor Bedrohungen von außen. Aufgrund zahlreicher Meinungsdifferenzen erscheint die EU im Krisenfall nicht handlungsfähig. Längst hat Europa seine Rolle als wichtiger Bündnispartner der USA verloren. Hinzu kommt die Ankündigung des US-Präsidenten Donald Trump, die EU in einen Handelskrieg zu verwickeln. Transatlantische Handelsbeziehungen verlieren an Bedeutung. Vielmehr fokussiert sich die USA auf eine andere aufstrebende Wirtschaftsmacht: China. Das erweckt den Eindruck, dass China der EU als dynamische und zukunftsfähige Volkswirtschaft sukzessive den Rang abläuft. Enorme Rückstände in den Bereichen Digitalisierung, Künstliche Intelligenz und weiterer Zukunftstechnologien werden offenbart, vgl. Mitteldeutsches Journal (2018). Investitionen in Forschung und Bildung sind notwendig, um nicht den Anschluss zu verlieren.

Auch in Sicherheitsfragen muss sich die Europäische Gemeinschaft kritischen Fragen stellen. Der Aufbau einer Verteidigungsunion verläuft sehr schleppend. Zwar gibt es einige Ideen zur militärischen Stärkung des Euroraums, mangelnde Kooperation in der Rüstungspolitik und politischer Widerstand zahlreicher Euroländer gegen eine militärische Integration erschweren jedoch die Stärkung der EU in sicherheitspolitischen Fragen. Ebenso stellt die Flüchtlingskrise Europa vor große Herausforderungen. Die Uneinigkeit bei der Asyl- und Flüchtlingspolitik führt zum Aufstieg der Rechtspopulisten, da sich viele EU-Bürger missverstanden und vernachlässigt fühlen. Viele Migranten verbinden mit Europa ein gewisses Wohlstandsversprechen und hoffen auf einen sozialen Aufstieg. Daher muss die EU nicht nur im Interesse der Lösung der Flüchtlingskrise, sondern auch im Interesse der Menschen in Europa Rahmenbedingungen etablieren, die das Risiko des sozialen Abstiegs begrenzen. Die Ertüchtigung der sozialen Marktwirtschaft leistet einen entscheidenden Beitrag. Fühlen sich Menschen in Europa sozial ausreichend abgesichert, ist eine wachsende Loyalität der Menschen gegenüber Europa zu erwarten. Hinsichtlich der Flüchtlingsproblematik müssen zudem Anforderungen an die Entwicklungshilfen präzise formuliert werden. Ferner ist ein gemeinsamer Standpunkt bei Rückführungsabkommen zu finden. Für eine nachhaltige Bewältigung der Flüchtlingskrise ist eine Bekämpfung der Fluchtursachen notwendig. Das kann Europa nur vereint leisten, vgl. Welt (2017). Das angespannte Verhältnis zu Russland und der Türkei birgt weiteres Konfliktpotential.

Vor dem Hintergrund des thematischen Schwerpunkts der vorliegenden Arbeit ist darauf hinzuweisen, dass neben den zahlreichen politischen Problemfeldern Europa weiterhin an tiefgreifenden wirtschaftlichen Problemen krankt. Eine große Anzahl an Jugendlichen in Südeuropa ist weiterhin arbeitslos. Griechenland und Italien provozieren durch fragwürdige wirtschaftspolitische Entscheidungen weitere Krisen. Speziell die italienische Regierung bringt die EU in Bedrängnis. Vorhaben, die massive Wachstumsschwäche durch eine Erhöhung der öffentlichen Verschuldung zu bekämpfen, wirken kontraproduktiv. Im Koalitionsvertrag verankerte Steuersenkungen und Ausgabenerhöhungen vergrößern die Unsicherheit der Investoren und Anleger an den Kapitalmärkten und stellen die Schuldentragfähigkeit Italiens in Frage. Es kommt zur Kapitalflucht und die Zinssätze für italienische Anleihen steigen sprunghaft. Diese Entwicklung intensiviert das Problem des geringen Wachstumspotentials. Durch die Ankündigung der staatlichen Verschuldung missachtet Italien geltende fiskalpolitische Regeln und die Maastricht-Kriterien für Defizitquote und Schuldenstand verlieren erneut an Glaubwürdigkeit. Ferner führt eine sehr teure und ineffiziente Staatsverwaltung zu einer Verschärfung der italienischen Krisensituation. Im Gegensatz zu Italien erfüllt die griechische Regierung ihre Verpflichtungen aus dem Reformprogramm. Neue Schulden werden nicht aufgenommen. Der griechische Staatshaushalt erwirtschaftet einen Primärüberschuss. Die Tatsache, dass der Primärüberschuss auf ein striktes Sparprogramm und hohe Steuern zurückzuführen ist, verdeutlicht die Einschränkungen der griechischen Unternehmen und privaten Konsumenten. Deshalb wird das Wachstum gebremst und die Arbeitslosigkeit geht nur geringfügig zurück. Ein weiteres Problem ist der sehr hohe Anteil an armen Menschen in Griechenland. Es fehlt an lebensnotwendigen Ressourcen. Die Krise ist noch nicht überstanden, vgl. Zeit Online (2018).

In der Vergangenheit haben moderate Wachstumsdaten in Europa die Dringlichkeit zu Reformen reduziert. Dennoch ist die Staatsschuldenkrise längst nicht überwunden. Die vorliegende Arbeit erläutert konkret, welche Problemfelder existieren und bewertet diverse Reformvorschläge zur Verbesserung der wirtschaftlichen Situation in Europa. Kapitel 2 gibt zunächst eine Übersicht über die Einführung des permanenten Krisenbewältigungsmechanismus ESM. Nach einer detaillierten Beschreibung der Funktionsweise des ESM erfolgt eine Bewertung des Krisenmechanismus hinsichtlich potentieller Fehlanreize. Im Hauptteil der Arbeit werden einige der prominentesten Reformvorschläge zur Lösung der europäischen Verschuldungskrise vorgestellt und bewertet. Kapitel 3.1. umfasst Reformoptionen, die in erster Linie eine Erhöhung der Finanzmarktstabilität in Europa beabsichtigen. Primär beschäftigt sich der Verfasser dieser Arbeit mit der Einführung eines neuen, risikoneutralen Vermögenswertes und der Überarbeitung der einheitlichen Anleihebedingungen. Abschließend wird die Etablierung eines europäischen Finanzministers evaluiert. Kapitel 3.2. untersucht ausgewählte Arbeiten, die sich mit der Idee einer gemeinsamen europäischen Arbeitslosenversicherung auseinandersetzen. Es wird erklärt, welche Bestandteile einer solchen Versicherung zur praktischen Umsetzung notwendig sind und inwieweit moralisches Risikoverhalten reduziert werden kann. Ebenso wird die Position der deutschen Bundesregierung kurz beschrieben. Da es aktuell noch keinen funktionsfähigen Maßnahmenkatalog zum Umgang mit reformunwilligen und zahlungsunfähigen EWU-Staaten gibt, analysiert Kapitel 3.3. den Mehrwert einer möglichen Insolvenzordnung in Europa. Dabei wird die Einführung eines Insolvenzverfahren mit und ohne Regelbindung betrachtet. Zuletzt werden in Kapitel 4 die wichtigsten Ergebnisse aus der Untersuchung der eben genannten Reformoptionen zusammengeführt. So soll eine abschließende Bewertung erfolgen, welche Reformen zur Bewältigung der europäischen Krisensituation als sinnvoll und nachthaltig einzuordnen sind.

2. Aktuelles wirtschaftspolitisches Krisenmanagement in der Europäischen Union

2.1. Der permanente Krisenmechanismus ESM

Auf einer Sitzung Ende Oktober 2010 hat der Europäische Rat mit seinem Beschluss zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus die Grundlage für eine dauerhafte Krisenbewältigung der hohen Staatsverschuldung in Europa geschaffen. Speziell vor dem Hintergrund der griechischen Verschuldungskrise sollte damit ein wirksames Signal im Hinblick auf die Stabilisierung und Stärkung des Euros gesendet werden, um die verbreitete Unsicherheit sowohl auf den Finanzmärkten als auch bei den Menschen in Europa zu reduzieren. Der ESM ist eine internationale Finanzinstitution mit Sitz in Luxemburg und legitimiert durch einen völkerrechtlichen Vertrag zwischen den EU-Mitgliedsländern. Eine detaillierte Erläuterung zur Rechtsgrundlage des ESM findet sich im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV). Artikel 136 erklärt, wie die Implementierung des ESM durch die Mitgliedsstaaten zustande kommt. Seit 2013 löst er die temporären Kredithilfen wie bspw. die Europäische Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF) ab und gewährt unter bestimmten Voraussetzungen Finanzhilfen für die Mitgliedsstaaten der EWU. Es ist zu betonen, dass auch die temporären Krisenmechanismen über 2013 hinaus bestehen bleiben, bis alle ausstehenden Forderungen zurückgezahlt wurden, vgl. EZB (2011, S.80). Der ESM umfasst ein Gesamtvolumen von ca. 700 Milliarden Euro, welches sich in 80 Milliarden Euro eingezahltes Kapital und 620 Milliarden Euro abrufbares Kapital aufteilt1, vgl. Bundesministerium der Finanzen (2011). Eine detaillierte Darstellung der Funktionsweise des ESM ist Gegenstand des nachfolgenden Kapitels.

Mit der Einführung des ESM können EU-Mitgliedsstaaten im Wesentlichen auf zwei Ausprägungen von Finanzhilfen zurückgreifen. In der Regel erfolgt die Unterstützung in Form von Krediten, während in Ausnahmefällen zusätzlich die Möglichkeit besteht, Staatspapiere des betroffenen Krisenlandes direkt am Primärmarkt zu kaufen. Ein derartiger Direktkauf von Anleihen ist aber nur bei der Umsetzung eines strengen wirtschaftlichen Reformprogramms vorgesehen. Ferner verfügt der ESM über weitere, alternative Instrumente zur Krisenbewältigung. Dazu zählen vorsorgliche Finanzhilfen durch die Bereitstellung von Kreditlinien, Instrumente zur Bankenrekapitalisierung sowie die Intervention am Sekundärmarkt, vgl. Bundesministerium der Finanzen (2011). Gewährt der ESM eine Hilfeleistung durch Kreditzahlung, so dienen als Bewertungsmaßstab für die Zinsen (fest oder variabel) die geltenden Regeln des Internationalen Währungsfonds (IWF). Die EZB (2011, S.78) verweist darauf, dass diese Kreditzinsen derart ausgestaltet sind, dass das Risiko des Moral Hazard seitens der Mitgliedsländer minimiert wird. Daher müssen die zu leistenden Zinszahlungen für einen Kredit des ESM größer sein als die Verpflichtungen, die bei einer traditionellen Finanzierung über die Kapitalmärkte entstehen, welche den betroffenen Ländern aufgrund ihres Krisenstatus grundsätzlich nicht zur Verfügung steht. Der ESM wirkt also als eine Art Liquiditätsbrücke, die den hochverschuldeten EU-Staaten langfristig die Rückkehr zur eigenständigen Finanzierung über die internationalen Kapitalmärkte ermöglichen soll.

Die Auszahlung der dargestellten Kredite ist an die Existenz mehrerer Voraussetzungen geknüpft. Für die Inanspruchnahme von Finanzhilfen durch den ESM müssen vier Bedingungen erfüllt sein. Wird die Stabilität der EWU als Ganzes durch die Krisensituation in einem Mitgliedsstaat ernsthaft bedroht und erfordert dies die Intervention des ESM als Ultima Ratio zur Krisenabwehr, ist eine erste Bedingung gegeben. Unerwartete externe Schocks können ebenfalls ein Einschreiten des ESM auslösen, da auch bei einer strengen haushaltspolitischen Überwachung eine vollständige Beseitigung des Krisenrisikos unmöglich ist. Eine weitere, wichtige Bedingung ist die Bereitschaft zu tiefgreifenden und nachhaltigen Reformen. Das Fachwissen der EZB hilft dem ESM bei der Ausgestaltung eines effektiven, makroökonomischen Anpassungsprogramms, um einen langfristig tragfähigen Staatshaushalt zu gewährleisten, vgl. EZB (2011). Nach Ansicht des Sachverständigenrates (2017, S.51f.) ist diese Reformbereitschaft essentiell für die Nachhaltigkeit der finanziellen Hilfen und verhindert, dass der ESM faktisch als Transfersystem missbraucht wird. Die Bewertung des ESM hinsichtlich potentieller Fehlanreize und Schwächen in der praktischen Umsetzung erfolgt im nächsten Kapitel. Agiert der ESM nun als Ultima Ratio und signalisiert der betroffene Krisenstaat eine glaubhafte Reformbereitschaft, erfolgt die Schuldentragfähigkeitsanalyse durch die EU-Kommission, den IWF sowie durch die EZB.

Die Analyse der Schuldentragfähigkeit nimmt eine zentrale Rolle ein und entscheidet zudem über die Art und Weise der Beteiligung des privaten Sektors. Ob die öffentliche Verschuldung eines Mitgliedslandes tatsächlich tragfähig ist, wird vor dem Hintergrund der drei zentralen Grundsätze des IWF für Kredithilfen beurteilt. Zuerst muss die realistische Möglichkeit gegeben sein, das staatliche Haushaltsdefizit ohne politisch unzumutbare Maßnahmen abbauen zu können. Ferner muss die vollständige Finanzierung des Anpassungsprogramms gewährleistet sein. Da der IWF nur einen Teil der Finanzierung übernimmt, werden weitere Finanzierungsquellen benötigt. Ist die Staatsverschuldung nach Einschätzung der Expertengremien (s.o.) tragfähig, so begünstigt die finanzielle Unterstützung durch den IWF im Idealfall eine freiwillige Beteiligung des privaten Sektors bei der Refinanzierung des Staatshaushaltes. Führt das vereinbarte makroökonomische Reformprogramm realistischerweise allerdings nicht zu einem akzeptablen Niveau der Staatsverschuldung, ist eine verpflichtende Beteiligung des Privatsektors zwingend erforderlich. Der ESM zahlt in diesem Fall nur dann Liquiditätshilfen aus, falls die privaten Gläubiger eine ausreichende Unterstützung beim Abbau der öffentlichen Verschuldung erkennen lassen. Der dritte Grundsatz beinhaltet die bevorrechtigte Gläubigerstellung des IWF, für die es zwar keine rechtliche Grundlage gibt, jedoch allgemein als wichtiges Signal für einen glaubhaften Schuldenabbau des begünstigten Landes interpretiert wird, vgl. EZB (2011, S.84ff.). Diese Grundsätze sollen dabei helfen, das Risiko für die Tragfähigkeit der Schulden einzuschätzen, um eine angemessene Hilfe beim Schuldenabbau zu leisten.

Die letzte Voraussetzung für eine erfolgreiche Aktivierung von ESM-Hilfen ist die einstimmige Entscheidung durch die Organe des ESM. Dazu zählen der Gouverneursrat, welcher sich aus den Finanzministern der EWU zusammensetzt, das Direktorium, dessen Mitglieder wiederum vom Gouverneursrat gewählt werden und der geschäftsführende Direktor. Die Stimmrechte der einzelnen ESM-Mitglieder sind nicht gleichgewichtet, sondern abhängig von den jeweiligen Kapitalanteilen. Versäumt ein Mitgliedsland die Zahlungsverpflichtungen gegenüber dem ESM, verliert es sein Stimmrecht. Wie zu Beginn von Kapitel 2 erläutert, verfügt der ESM über ein Gesamtvolumen von ca. 700 Milliarden Euro. Die Höhe des eingezahlten Kapitals beträgt ungefähr 80 Milliarden Euro. Ein fester Verteilungsschlüssel bestimmt, wieviel Kapital die Staaten in den ESM einzahlen. Grundsätzlich erfolgt die Einzahlung über einen Zeitraum von 5 Jahren und ist durch verbindliche Obergrenzen beschränkt. Deutschland trägt einen Anteil von 27,1%, vgl. Statista (2011a). Dies entspricht einer Bareinzahlung von 21,7 Milliarden Euro, vgl. Statista (2011b). Neben den regelmäßigen Kapitaleinzahlungen verfügt der ESM über weiteres Kapital, um im Bedarfsfall mit Garantien zu helfen. Welchen Prozess ein hilfesuchendes Mitgliedsland bis zur Aktivierung des ESM durchläuft, wird durch Abbildung 1 dargestellt.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Aktivierungsprozess ESM

Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Bundesministerium der Finanzen (2011)

Die Auszahlung von Liquiditätshilfen durch den ESM geschieht nicht automatisch, sondern infolge einer offiziellen Mitteilung des betroffenen Krisenlandes an die verantwortlichen Gremien (s. Abbildung 1). Ist diese Meldung erfolgreich eingegangen, bewerten die Organe des ESM die tatsächliche Krisensituation, um die Gefahr für die Stabilität des gesamten Währungsgebietes einzuschätzen. Bei der Analyse werden die bereits erörterten Voraussetzungen geprüft, die für eine erfolgreiche Auszahlung von Kredithilfen erforderlich sind. Die anschließende Evaluation soll Art und Umfang der Finanzhilfen beschreiben, die notwendig sind, um den betroffenen Krisenstaat die Rückkehr zur eigenständigen Finanzierung an den internationalen Kapitalmärkten zu ermöglichen. Im Rahmen der Schuldentragfähigkeitsanalyse, die für die Evaluation der Kredithilfen entscheidend ist, wird zudem über eine mögliche Beteiligung des Privatsektors diskutiert. Es folgen die Verhandlungen über die Ausgestaltung eines makroökonomischen Maßnahmenpakets ohne dessen Umsetzung kein Anspruch auf monetäre Hilfen geltend gemacht werden kann. Die EU-Kommission unterbreitet einen Vorschlag für ein solches Reformprogramm an den EU-Rat, während der ESM-Verwaltungsrat die Bedingungen für die Finanzhilfen beschließt. Die Einzelheiten des Anpassungsprogramms werden durch das Memorandum of Understanding (MoU) definiert. Abschließend erfolgt die Unterzeichnung der Verträge und der ESM wird aktiv.

2.2. Bewertung des ESM

In diesem Kapitel geht es um die kritische Würdigung des ESM in seiner Funktion als permanenter Krisenbewältigungsmechanismus. Da die vorliegende Arbeit den Fokus auf die Analyse von möglichen Reformoptionen in der EWU legt, ist es sinnvoll, zunächst die Stärken und Schwächen der bereits existierenden Instrumente zur Krisenbekämpfung zu bewerten. Es stellt sich also die Frage, wie effektiv und effizient die Ausgestaltung des ESM vor dem Hintergrund potentieller Reformvorschläge in der Praxis ist.

Ein zentraler Kritikpunkt beschreibt das Problem des „Moral Hazard“ durch die begünstigten Krisenländer. In diesem Zusammenhang wird die Auszahlung von Hilfspaketen durch den ESM als faktische Aushebelung der No-Bail-Out-Klausel2 und damit als Vergemeinschaftung von Risiken interpretiert. Eine zunehmende Politisierung des ESM wird befürchtet, was seine unabhängige Kontrollfunktion erschwert. Verfolgt ein Mitgliedsstaat nun eine problematische Geld- und Fiskalpolitik, die auch negative Folgen auf die Währungsgemeinschaft als Ganzes entfaltet, verfügt die EU über keine glaubhaften Maßnahmen zur Sanktionierung, vgl. Matthes (2015, S.422f.).

Der Wissenschaftliche Beirat des Bundesfinanzministerium (2012, S.15) identifiziert ebenfalls das Problem einer unglaubwürdigen Drohung bei Fehlverhalten. Da der tatsächliche Staatsbankrott eines EWU-Mitgliedes zu extremen Kosten für die Geberländer führen würde, werden Sanktionen zwar angekündigt, aber de facto nicht umgesetzt. In der Wissenschaft wird dieses Phänomen als Zeitinkonsistenzproblem der Politik bezeichnet. Das hat zur Folge, dass die Problematik des Moral Hazard Verhalten nicht nachhaltig eingegrenzt wird. Berücksichtigt man aber die Funktionsweise des ESM, können einige dieser Kritikpunkte entkräftet werden. Ein Mitgliedsland erhält nur dann Liquiditätshilfen durch den ESM, wenn es den Reformvertrag (Memorandum of Understanding) unterzeichnet und sich damit an strenge wirtschaftspolitische Auflagen bindet. Matthes (2015, S.423) spricht von einem „partiellen Souveränitätsverlust“, den die begünstigen Länder infolge der haushaltspolitischen Überwachung durch die europäischen Institutionen sowie den IWF erleiden. Das schafft große Anreize für Politiker, eine solide Fiskalpolitik zu betreiben, um etwaige Hilfsprogramme und die damit verbundene dauerhafte Überprüfung der eigenen Wirtschaftspolitik möglichst zu vermeiden. Das Prinzip der Konditionalität wird gestärkt. Ferner betont die EZB (2011), dass die Implementierung des ESM nicht mit einer leichtsinnigen Inanspruchnahme von Hilfskrediten gleichzusetzen ist, sondern die Anreize für eine solide öffentliche Haushaltsführung stärkt. Somit ist gewährleistet, dass der ESM seine Rolle als Liquiditätsbrücke (vgl. Kapitel 2.1.1.) erfüllt und eine eigenständige Finanzierung über die Kapitalmärkte nicht ersetzt. Dennoch hat die Vergangenheit gezeigt, dass die Zinsen für Notkredite gesenkt und die Rückzahlungsfristen bspw. für Griechenland und Portugal verlängert wurden, was in der Öffentlichkeit als Schuldenschnitt kritisiert wurde. Matthes (2015, S.425) argumentiert, dass diese Kritik aus mathematisch-theoretischer Sicht zwar nicht zu leugnen ist, die originäre Aufgabe des ESM aber missachtet, da die Geberländer durch die Gewährleistung von Hilfskrediten keine Gewinne erzielen möchten. Vielmehr geht es darum, keine Verluste zu erleiden.

Ein Missbrauch des ESM als Transfersystem kann durch eine explizite Beteiligung der privaten Gläubiger vermieden werden, um die Überwälzung der Kosten einer Krise auf die Steuerzahler in den betroffenen Ländern zu verhindern. Für eine derartige Beteiligung spielt auch die Schuldentragfähigkeit eine entscheidende Rolle. Nur wenn ein Krisenstaat trotz intensiver Anstrengungen unter der Last der öffentlichen Verschuldung im Extremfall zusammenzubrechen droht, ist eine solche Umschuldungsmaßnahme zu rechtfertigen, vgl. Deutsche Bundesbank (2016, S.46). Eine verbindliche Mitarbeit der privaten Gläubiger wird allerdings zum einen durch die Tatsache erschwert, dass über deren Beteiligung in einem politischen Prozess entschieden wird, welcher anfällig für eine externe Beeinflussung ist. Zum anderen lassen sich die Auswirkungen einer verpflichtenden Unterstützung der privaten Geldgeber auf die Stabilität der Finanzmärkte nur schwer einschätzen, vgl. Bundesministerium der Finanzen (2012, S.16-17). Ein weiteres Argument gegen die Angst vor zu hohen Haftungsrisiken für solvente Länder und deren Steuerzahler ist die Existenz von verbindlichen Obergrenzen für Kapitalbeteiligungen am ESM.

Zuletzt stellt sich die Frage, inwieweit die aktuelle Ausgestaltung des ESM reformunwillige Länder in ihrer Position gegenüber der Währungsgemeinschaft beeinflusst. Durch die Existenz des ESM werden Drohungen, Strukturreformen nicht durchzuführen und damit die Stabilität des europäischen Währungsraumes zu gefährden, erschwert. Das Volumen des ESM ermöglicht die Eindämmung von etwaigen Ansteckungseffekten und schwächt somit die Position von unkooperativen Mitgliedsländern, vgl. Matthes (2015, S.423). Dennoch stellt die mangelhafte Umsetzung von Strukturreformen die EWU vor große Schwierigkeiten und offenbart Reformierungsbedarf, vgl. Zorell (2018, S.77). Eine detaillierte Untersuchung und Bewertung der wichtigsten Reformvorschläge für eine erfolgreiche Zukunft der EWU erfolgt in Kapitel 3.

Abbildung 2 zeigt, dass zwar auf dem Arbeitsmarkt in den Krisenländern erste Erfolge erzielt werden, was sich in einem Rückgang der Arbeitslosenquote äußert, die Verschuldung der EU-Mitgliedsländer aber weiterhin sehr hoch ist (vgl. Abbildung 3). Im Jahr 2013 wurden die temporären Krisenmechanismen durch den ESM abgelöst und dienen daher als Vergleichswert zur Arbeitslosenquote im Jahr 2017. Die ausgewählten Länder stehen dabei repräsentativ für die Krisenregionen in Europa. Es fällt auf, dass die portugiesische Arbeitslosenquote beinahe halbiert werden konnte. Ob sich dieses Ergebnis mit einer erfolgreichen Reformpolitik am Arbeitsmarkt erklären lässt oder aber auf andere Faktoren wie bspw. ein gesundes Wirtschaftswachstum in der gesamten Eurozone zurückzuführen ist, lässt die vorliegende Abbildung nicht erkennen3. Griechenland bleibt weiterhin ein extremes Negativbeispiel, doch auch hier ist ein Rückgang der Arbeitslosenquote von 27,48% auf 21,45% zu erkennen. Am besten schneidet Irland mit einer Arbeitslosenquote von 6,73% ab.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Arbeitslosenquote in % der Erwerbstätigen in ausgewählten EU-Ländern

Quelle: Eigene Darstellung, Daten von Statista (2018a-e)

Abbildung 3 illustriert die Höhe der Verschuldung in Relation zum BIP. Die hohe Verschuldung in der EU und Eurozone erstreckt sich sowohl auf den privaten als auch öffentlichen Sektor sowie auf die Verbindlichkeiten gegenüber dem Ausland. Es fällt auf, dass die Staatsverschuldung bis 2017 sehr hoch geblieben ist (81,6% bzw. 86,7%) und den Richtwert der Maastricht-Verträge für eine maximale Staatsverschuldung in % des BIP i. H. v. 60% weit übersteigt. Somit ist die Euro-Zone weiterhin anfällig für negative Schocks, was die Notwendigkeit der Einführung von weiteren Krisenmechanismen verdeutlicht.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 3: Staatsverschuldung in der EU und Eurozone in Relation zum BIP

Quelle: Eigene Darstellung, Daten von Statista (2018f)

3. Alternative Instrumente zur Bewältigung der Staatsschuldenkrise in Europa

Die vorangegangenen Ausführungen in Kapitel 2 haben gezeigt, dass mit der Einführung des ESM längst nicht alle Herausforderungen im Rahmen der europäischen Staatsschuldenkrise bewältigt werden können. Auch wenn aktuelle makroökonomische Fundamentaldaten ein moderates Wachstum in Europa erkennen lassen (vgl. Abbildung 4), stellen vor allem die strukturellen Defizite insbesondere in den südlichen Peripheriestaaten die europäische Gemeinschaft vor große Schwierigkeiten. Ferner ist der Grad der Verschuldung des privaten Sektors weiterhin sehr hoch. Ebenso haben fragwürdige fiskalpolitische Entscheidungen auf nationaler Ebene zu einem Anstieg der Auslandsverschuldung beigetragen. Enorme Leistungsbilanzdefizite und makroökonomische Ungleichgewichte prägen den Charakter des europäischen Wirtschaftsraumes, vgl. Matthes et al. (2016, S.13).

Im Hauptteil dieser Arbeit werden nun die wichtigsten Reformvorschläge zur Lösung der Verschuldungskrise in Europa vorgestellt, die von zahlreichen Ökonomen, Politikern und auch Vertretern europäischer Institutionen in den Fokus der öffentlichen Diskussion gestellt werden. Zu den prominentesten Reformvorschlägen zählen neben einer effizienteren Gestaltung von Staatsanleihen zur Schuldenrestrukturierung und der Einführung von sicheren europäischen Anleihen die Idee einer europäischen Arbeitslosenversicherung sowie die Implementierung eines Insolvenzverfahren für Mitgliedsstaaten.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 4: Wachstum des EU-BIP (gegenüber dem Vorjahr)

Quelle: Eigene Darstellung, Daten von Statista (2018g)

3.1. Verbesserung der Finanzmarktstabilität im Euroraum

3.1.1. Einführung von Euro-Staatsanleihen

Eine erfolgreiche Bewältigung der europäischen Krisensituation erfordert das Aufbrechen der engen Verbindung zwischen Staaten und Banken. Insbesondere die Fehlentwicklungen des europäischen Banken- und Finanzsystems verursachen eine Verfestigung der Krise. Abbildung 5 gibt einen Überblick über die einzelnen Komponenten, die sich negativ auf die Verbindung zwischen Banken und Nichtbanken auswirken. Vor dem Hintergrund erfolgreicher Reformvorschläge zur nachhaltigen Bekämpfung der Verschuldungskrise in Europa braucht es ein stabiles Beziehungsnetzwerk zwischen Banken und Nichtbanken.

Die in der Abbildung dargestellten Risikofaktoren müssen eingedämmt werden. Erste Erfolge wurden bereits erzielt. Im Rahmen eines umfassenden Reformprogramms wurden die Eigenkapitalanforderungen an Banken erhöht (Regelwerk Basel III, Solvency II). Infolgedessen sind die Eigenkapitalquoten einiger systemrelevanter Banken in der EWU gestiegen. Zusätzlich wurden die Banken- und Finanzsektoren in den Krisenregionen (Spanien, Griechenland, Portugal und Irland) durch europäische Hilfsmaßnahmen reformiert und teilweise rekapitalisiert, vgl. Matthes et al. (2016, S.28f.).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 5: Rolle des Banken- und Finanzsystems

Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Matthes et al. (2016, S.15)

Banken halten große Mengen an Staatsanleihen zur Einnahmensicherung und für das Liquiditätsmanagement. Staatspapiere dienen in erster Linie als Sicherheit für Refinanzierungsgeschäfte mit der EZB oder als Transaktionsposition für Pensionsgeschäfte am Geldmarkt. Begünstigt wird die hohe Nachfrage nach Staatsanleihen durch die regulatorische Privilegierung. Unabhängig von der Ausfallwahrscheinlichkeit der jeweiligen Anleihe ist der Erwerb von Staatspapieren ohne Eigenkapitalunterlegung durchführbar. Hinzu kommt, dass vom Staat ausgegebene Wertpapiere liquider als Pfandbriefe eingeschätzt werden. Die Qualität der Staatsanleihen beeinflusst die Refinanzierungsmöglichkeiten am Geldmarkt. Erwartet die Bank nun ein gewisses Gefahrenpotential für die eigene Refinanzierungsposition, erhöht sich die Nachfrage nach sicheren Anleihen (bspw. aus Deutschland). Kapitalflucht in „sichere Häfen“ verursacht eine Fragmentierung der Geldmärkte. Wertverluste der Staatsanleihen induzieren Bilanzverluste bei den Banken. In der Folge impliziert die Ratingherabstufung des Staates einen ähnlichen Ratingverlust bei nationalen Unternehmensanleihen und Pfandbriefen. In Zahlungsnot geratene Staaten signalisieren zukünftige Steuererhöhungen, was zu einem Rückgang der Unternehmens- und Bankgewinne führt. Aufgrund der verringerten Rentabilität wird die Kreditwürdigkeit des betroffenen Staates negativ beeinflusst. Banken verändern ihre Ausfallerwartungen bei Krediten und reduzieren das Kreditangebot. Während der Eurokrise hat sich somit die Refinanzierungsposition von Banken und Nichtbanken enorm verschlechtert. Da aktuell nur eine geringere Verbesserung der beschriebenen Situation zu erkennen ist, bedroht der Teufelskreis aus Banken- und Staatskrise weiterhin die Stabilität der wirtschaftlichen Entwicklung in Europa, vgl. Demary und Matthes (2017, S.7ff.).

Durch die Etablierung einer gemeinsamen Bankenunion sollen die Euroländer vor potentiellen Bankenrisiken geschützt werden. Ebenso bedeutsam ist der Schutz des Bankensystems vor zu hoher staatlicher Verschuldung. Ein Ausbau der Verlustaufnahmekapazitäten und die Reduktion von Investitionsrisiken ist notwendig. Der Wissenschaftliche Beirat des Bundesfinanzministeriums (BMF) sieht einen großen Bedarf bei der Änderung der derzeitigen Rahmenbedingungen. Primär wird die regulatorische Bevorzugung von Staatsanleihen kritisiert. Um das Phänomen des Home-Bias zu reduzieren, müssen die Eigenkapitalanforderungen ausgebaut werden. Die enge Verflechtung von Banken und Staaten kann nur aufgebrochen werden, wenn die Präferenz für heimische Wertanlagen minimiert wird. Künftige Kredite an Staaten sollen deshalb mit Eigenkapital unterlegt werden, vgl. Bundesministerium der Finanzen (2017, S.1f.).

Im Fokus der öffentlichen Diskussion zur adäquaten Therapie des Staaten-Banken-Nexus steht jedoch ein anderer Vorschlag. Durch die Einführung von sogenannten Sovereign Bond-Backed Securities (SBBS) soll eine Stabilisierung des europäischen Währungsgebietes gewährleistet sein. Es handelt sich dabei um Wertpapiere mit unterschiedlichem Senioritätsgrad, die durch ein diversifiziertes Portfolio aus europäischen Staatsanleihen unterlegt sind. SBBS basieren auf privatrechtlichen Verträgen. Damit sei eine Gemeinschaftshaftung ausgeschlossen, da jede Regierung für die Bedienung der eigenen Schuldverpflichtungen verantwortlich ist.

Grundlage für diesen Reformvorschlag bildet die Arbeit von Markus Brunnermeier und seinen Kollegen zur Konstruktion einer sicheren europäischen Anleihe, kurz ESBies (European Safe Bonds). Brunnermeier et al. (2017, S.182f.) definieren ESBies als vorrangigen Anspruch auf ein diversifiziertes Portfolio von europäischen Staatspapieren zu deren Gestaltung eine öffentliche oder private Zweckgesellschaft ein diversifiziertes Portfolio von Staatsanleihen des Euroraums kauft. Gewichtet ist dieses Portfolio nach dem durchschnittlichen BIP der EWU-Mitgliedsländer. Alternativ kann eine Gewichtung nach den Kapitalbeiträgen bei der EZB erfolgen. Für die Anleger bedeutet eine präzise Formulierung der Gewichtung Transparenz und Vorhersehbarkeit. Ferner vermeidet ein solcher Gewichtungsschlüssel Fehlanreize der Regierungen bei der Ausgabe von Schuldtiteln. Länder mit sehr hoher Verschuldung müssen proportional mehr von ihren Schuldverpflichtungen auf dem freien Markt platzieren, kauft die Zweckgesellschaft nur einen bestimmten Bruchteil der ausstehenden Schuldtitel der Regierung des betroffenen Landes zum Marktpreis. Abbildung 6 gibt einen Überblick über die Bilanz eines potentiellen SBBS-Emittenten.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 6: Bilanz eines SBBS-Emittenten

Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Brunnermeier et al. (2017, S.183)

Das diversifizierte Portfolio von Staatsanleihen wird finanziert durch die Emission zweier SBBS-Arten: ESBies und EJBies (European Junior Bonds). ESBies kennzeichnen sich durch Seniorität gegenüber EJBies. Der kombinierte Wert von ESBies und EJBies entspricht der Summe der Nennwerte der nationalen Staatsanleihen gegen die ESBies und EJBies ausgegeben werden.

Gesichert sind SBBS durch standardisierte Vermögenswerte (Staatsanleihen), die an liquiden Sekundärmärkten gehandelt werden. Essentiell für die Sicherheit der ESBies sind dabei Tranchierung und Diversifizierung. Inhaber der nachrangigen Anleihe tragen Verluste, die durch den Ausfall von Staatsanleihen entstehen. Ist der Puffer der EJBies aufgebraucht, werden Verluste auch durch die ESBies getragen. Umfasst die Junior-Anleihe 30% und die Senior-Anleihe 70% des zugrundeliegenden Nennwerts, erreichen ESBies nach Ansicht von Markus Brunnermeier und seinen Kollegen erwartete Verlustquoten, die mit den Quoten deutscher Bundesanleihen vergleichbar sind. Infolgedessen gelten ESBies als Standardpapiere mit geringem Risiko und damit als sichere Anleihe, vgl. Brunnermeier et al. (2017, S.182-183). Den Berechnungen von Brunnermeier et al. (2017, S.212f.) folgend, sind ESBies auch bei sehr ungünstigen Rahmenbedingungen widerstandsfähig und erhöhen das Angebot an sicheren Euro-Anlagen. ESBies durchbrechen daher den Teufelskreis aus Staats- und Bankenkrise. Banken halten ESBies und nicht übermäßig viele inländische Staatsanleihen, d.h. Zahlungsschwierigkeiten des Heimatlandes verschlechtern nicht die Refinanzierungsposition am Geldmarkt. Voraussetzung ist eine ausreichende Wertunabhängigkeit der Senior-Bonds vom Zustand der nationalen Staatsfinanzen. So kann die Bankenunabhängigkeit von den Steuereinnahmen der Nationalstaaten gestärkt werden, vgl. Demary und Matthes (2017, S.8f.).

Für eine erfolgreiche Etablierung von ESBies braucht es die Unterstützung durch die Politik. Der regulatorische Rahmen muss angepasst und gemeinsame Standards definiert werden. Dann kann eine sukzessive Emission von SBBS beginnen. Durch die Verbriefung von Staatsanleihen und die Tranchierung in einen Senior- und Junior-Bond wird ein sicheres und diversifiziertes Portfolio von europäischen Anleihen erzeugt. Zwar gelten Staatsanleihen als sichere Anleihe, die europäische Verschuldungskrise hat jedoch gezeigt, dass es zu einem enormen Wertverlust bei Staatsanleihen kommen kann. Überdies trägt die Herabstufung von Staaten in Krisenzeiten dazu bei, das Volumen an sicheren Vermögensanlagen zu minimieren. Kapitalflucht von Krisenstaaten in „sichere Häfen“ soll bei erfolgreicher Einführung von ESBies/SBBS im Krisenfall nicht mehr auftreten. Im Fall von Griechenland wäre der Verlust von den Besitzern der Junior-Tranche getragen worden. Infolgedessen ist die griechische Refinanzierungsposition am Geldmarkt durch Absicherung der Senior-Bonds weiterhin gestärkt. Kapitalfluchtrisiko und Geldmarktfragmentierung kann reduziert werden, vgl. Demary und Matthes (2017, S.9). Zusätzlich ermöglichen SBBS einen erleichterten Ausstieg der EZB aus dem Quantitative Easing und führen zu einer geldpolitischen Normalisierung. Kommt es zu einem Austritt der EZB aus den Programmen zum massiven Erwerb von Staatsanleihen, kann dies zu negativen Rückwirkungen an den Anleihemärkten führen. SBBS beschränken derartige Risikofaktoren, da die EZB einen gewissen Teil der Staatsanleihen an die SBBS-Agentur verkaufen kann. Damit entbindet sich die EZB von nationalen Staatsanleihen ohne Verzerrungen auf den Märkten zu provozieren, vgl. Demary und Matthes (2017, S.12).

Gleichzeitig betonen die Befürworter von ESBies das Nichtvorhandensein einer Gemeinschaftshaftung, werden die einzelnen Anleihen der Mitgliedsstaaten am Markt platziert, vgl. Bundesministerium der Finanzen (2017, S.3). Jedes EWU-Land ist eigenverantwortlich für die Bedienung der jeweils eigenen Staatspapiere. Ein Teil der Staatsanleihen wird am Primärmarkt ausgeben und auf Sekundärmärkten frei handelbar. Somit bleibt die finanzpolitische Disziplin der Kapitalmärkte gewährleistet. Durch die Bündelung von Staatsanleihen aus allen EWU-Ländern zu einem neuen Finanzinstrument wird also eine Diversifizierung der Bankenportfolios erwartet. Hinzu kommt das Interesse der Anleger für Vermögenswerte in Euroländern ohne ein Triple-A-Rating.

Originäres Ziel der Etablierung einer neuen risikolosen Anlageklasse, ist eine Erhöhung der Finanzmarktstabilität in Europa. Durch die Konstruktion einer sicheren Anleihe in Form von ESBies soll die Marktdisziplin gestärkt und eine Haftungsgemeinschaft ausgeschlossen werden. Nationale Anleihen gelten als nicht mehr risikofrei. Die Nachfrage nach ESBies steigt und führt somit zu einer Schwächung des Home-Bias-Phänomen. Somit halten Banken weniger heimische Staatspapiere. Nationale Anleihen sind weiterhin verfügbar, sind aber von neu definierten Eigenkapitalanforderungen betroffen. Der Umfang der Eigenkapitalunterlegung hängt vom Banken-Rating ab. Hintergrund ist eine Beendigung der regulatorischen Bevorzugung von Staatsanleihen. Trotz allem bleiben berechtigte Zweifel. Setzen sich ESBies zu marktkonformen Konditionen tatsächlich durch? Kündigt sich eine Krise an und kann diese nur abgewendet werden, kauft der ESM oder die EZB große Volumen an den risikoreichen Junior-Bonds (EJBies), erfolgt faktisch eine Gemeinschaftshaftung, vgl. Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (2017, S.3f.). Während zahlreiche Ökonomen und Politiker den eben dargestellten Vorschlag unterstützen, zweifelt der Wissenschaftliche Beirat beim BMF an der erfolgsversprechenden Einführung von ESBies. Zu verweisen ist auf den Umstand, dass es bisher kein Angebot an SBBS durch private Institutionen gibt. Die mangelnde Attraktivität begründet sich durch die regulatorische Sonderstellung von Staatsanleihen. Während SBBS mit einer Kapitalunterlegung verknüpft sind, sind Staatspapiere von einer Eigenkapitalunterlegung befreit. Entscheidend ist, ob die Senior-Tranche tatsächlich als sicher und risikofrei gilt. Nur bei einem AAA-Rating ist eine ausreichende Nachfrage nach Senior-SBBS zu erwarten. Zu betonen ist außerdem, dass Investoren beim Kauf bspw. einer deutschen Anleihe einen Anspruch gegen den deutschen Souverän besitzen. Kauft der Investor hingegen eine Senior-Tranche, dann verfügt der Anleger über einen Anspruch gegen den SBBS-Emittenten, welcher wiederum Ansprüche gegen alle Staaten im Euroraum geltend machen kann. Der Ruf der emittierenden Institution beeinflusst folglich die Risikobewertung der privaten Investoren. Analog entscheiden Ratingagenturen, ob Senior-Bonds ein AAA-Rating erhalten und damit als sicher gelten. Die Ratingagentur wird bei ihrer Bewertung aber sehr vorsichtig vorgehen, da es sich bei SBBS-Senior-Bonds um eine neue, unbekannte Anlageklasse handelt. Berücksichtig wird auch die Tatsache, dass ein Anspruch gegen den SBBS-Emittenten und nicht gegen einen staatlichen Souverän besteht. Deshalb kann es zu politischem Druck von außen kommen, den Senior-Tranchen ein AAA-Rating zu garantieren.

Die Durchführbarkeit des SBBS-Geschäftsmodells scheint ebenso fragwürdig. Generiert ein privater SBBS-Emittent ausreichend Einnahmen aus den Zinszahlungen der nationalen Regierungen für das erworbene Staatspapierportfolio, um damit Zinszahlungen für die am Markt verkauften SBBS-Tranchen leisten zu können, sind erfolgsversprechende Voraussetzungen gegeben. Nicht zu unterschätzen sind zudem Kapital-/Arbeits- und Verwaltungskosten. Speziell die sehr hohen Zinszahlungen für die Junior-Tranche können zu einer zu hohen Belastung für den SBBS-Emittenten werden, übersteigen die Zinszahlungen die Erträge, die sich aus der Zinsdifferenz zwischen Senior-SBBS-Tranche und durchschnittlichem Zinssatz der Staatspapierportfolios berechnen. Im Hinblick auf das derzeitige Niedrigzinsumfeld kann der Zinsspread zu niedrig ausfallen. Entscheidend ist erneut eine Entprivilegierung von Staatsanleihen, vgl. Demary und Matthes (2017, S.12f.). Analog fehlt es an Großkreditgrenzen. Selbst unter Berücksichtigung der privaten Anleger, die keinen Restriktionen unterliegen, mangelt es an einer ausreichenden Nachfrage nach SBBS. Nur bei einem Abbau der regulatorischen Privilegierung offenbart der Markt, ob es eine hinreichende Nachfrage gibt. Gleichzeitig darf nicht der Fehler gemacht werden, die Attraktivität von SBBS durch institutionelle Privilegien künstlich zu erhöhen. Ähnliche Probleme, die durch die Sonderbehandlung von Staatspapieren auftreten, sind die Folge, vgl. Bundesministerium der Finanzen (2017, S.3-4).

[...]


1 Durch den Beitritt Litauens im Februar 2015 ist das Gesamtvolumen leicht angestiegen.

2 Diese Klausel verbietet die Haftung eines EU-Mitgliedslandes für die Schulden und Verbindlichkeiten anderer Mitgliedsstaaten.

3 Zur weiteren Erläuterung vgl. Wagner (2017).

Ende der Leseprobe aus 70 Seiten

Details

Titel
Die Zukunft der Europäischen Währungsunion
Untertitel
Reformoptionen und ihre ökonomische Bewertung
Hochschule
Bayerische Julius-Maximilians-Universität Würzburg  (Lehrstuhl für Finanzwissenschaft)
Note
2,0
Jahr
2018
Seiten
70
Katalognummer
V463559
ISBN (eBook)
9783668923065
ISBN (Buch)
9783668923072
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Währungsunion, EWU, Europa, Geldpolitik, Volkswirtschaftslehre, Reformoptionen
Arbeit zitieren
Anonym, 2018, Die Zukunft der Europäischen Währungsunion, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/463559

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