Strafrecht im afrikanischen Gewohnheitsrecht


Hausarbeit (Hauptseminar), 2005

27 Seiten, Note: 2

Anonym


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Vorstaatliche Gesellschaftsformen
2.1 Jägergesellschaften
2.1.1 Religion und Recht
2.2 Segmentäre Gesellschaften
2.2.1 Hexerei und Magie, Religion und Moral
2.2.2 Kosmologie und Strafrecht
2.3 Protostaaten
2.3.1 Strafrecht

3. Koloniales Einwirken

4. Fazit

Literaturverzeichnis

Erklärung

1. Einleitung

Strafrecht im afrikanischen Gewohnheitsrecht umfasst gleich mehrere Dimensionen. Zum einen stellt sich die Frage, wie Gewohnheitsrecht in Afrika entstanden, verstanden, weiterentwickelt bzw. kolonial beeinflusst und schließlich gelebt wurde (und heute noch wird). Gewohnheitsrecht wird in der Regel mündlich überliefert, seine Geschichte geht über viele Generationen, während es sich durch seine flexible Natur an die sozioökonomischen Gegebenheiten der tragenden Gesellschaft anpassen konnte. Recht als Ausfluss der Kultur der normunterworfenen Menschen spiegelt die spezifischen ökonomischen Lebensumstände und gesellschaftlichen Werthaltungen wider (vgl. Hazdra 1999: 11). Ein Grundverständnis über die traditionellen Gesellschaftsformen Schwarzafrikas und ihre jeweilig unterschiedlichen sozioökonomischen Rahmenbedingungen ist daher eine unverzichtbare Voraussetzung für die weitere Untersuchung des Gewohnheitsrechts und innerhalb diesem des Strafrechts.

Zum anderen impliziert das Strafrecht, zumindest aus europäischer Sicht, eine strenge Organisation von Gerichten. Gewaltenteilung, Straftatbestände, Strafverfahren und Strafvollzug sind per Gesetz geregelt und kodifiziert; zwischen Zivilrecht und Strafrecht (öffentliches Recht) wird ausdrücklich unterschieden. Will man hingegen das traditionelle afrikanische Strafrecht, also Ordnungs- und Konfliktslösungsmechanismen untersuchen, muss die europäische Brille abgelegt und sich auf die Gesellschaftsformen und die Weltanschauung der indigenen afrikanischen Bevölkerung eingelassen werden. Denn überraschenderweise sind viele Stämme egalitär und akephal strukturiert, d.h. führerlos. Das Strafrecht dieser Stämme und das der so genannten kephalen Protostaaten, die bereits gesellschaftlich stratifiziert sind, unterscheidet sich grundsätzlich. Die Weltanschauung traditioneller Ethnien ist meist kosmologisch ausgeprägt und vom Glauben an das Übernatürliche, an Magie und Hexerei durchzogen. Fragt der Europäer nach dem, wie etwas passiert ist, geht er also rational bei der Untersuchung seines Alltags vor, so fragt sich der traditionell herangewachsene Afrikaner häufiger nach dem, warum etwas passiert ist, und zwar: warum gerade ihm (vgl. Hazdra 1999: 165). Er folgt also keiner empirischen, sondern einer finalen, moralischen Kausalität. Hinter unerfreulichen Ereignissen wie etwa einer schlechten Ernte beispielsweise stehen nach der traditionellen Weltsicht nicht Zufall und Wahrscheinlichkeit oder Ursache und Wirkung, sondern eben boshafte Magie, die von Hexen und Zauberern ausgeht. Demzufolge werden (vermeintliche) Tatbestände mit magischem Hintergrund am heftigsten verurteilt. Andererseits werden traditionelle Urteile, vor allem in zentralafrikanischen Völkergruppen, mithilfe von Gottesurteilen (Ordale) gefunden, die aufgrund ihrer Tödlichkeit auch gleichzeitig Strafe sein können.

Es stellt sich in der vorliegenden Hausarbeit die Frage nach folgenden Verhältnissen: 1) Dem Verhältnis zwischen Gesellschaft und Recht, wobei vor allem selbstregulative Ordnungs- und Konfliktslösungsmechanismen der verschiedenen Gesellschaften durchleuchtet werden sollen; 2) dem Verhältnis zwischen kosmologischer Weltanschauung und traditionellem Strafrecht, wobei einerseits ein Blick auf kosmologiebezogene Straftaten und andererseits auf kosmologiebezogene Strafverfahren geworfen werden soll; 3) Das Verhältnis zwischen traditionellem Strafrecht und „modernem“ Kolonialstaatsrecht; und schließlich 4) die Auswirkungen des Rechtspluralismus, nämlich des ausgeprägten rechtlichen Stadt-Land-Gegensatzes auf die indigene afrikanische Bevölkerung.

2. Vorstaatliche Gesellschaftsformen

Die Gesellschaften afrikanischer Urvölker kommen in drei verschiedenen Entwicklungsstufen vor: Es sind die Jägergesellschaften (Jäger und Sammler), die segmentären Gesellschaften (Viehhirten und Ackerbauern) und die Protostaaten. Die zwei ersten Formen sind akephal, was so viel bedeutet wie „führerlos“, und zudem streng egalitär. In der letztgenannten Form hingegen haben sich bereits Zentralinstanzen gebildet; headmen, chiefs und Könige haben sich dann als Führer solcher Gesellschaften etabliert (vgl. Wesel 1985: 35 f.)

Die drei Formen gründen auf jeweils verschiedenen ökonomischen und sozialen Ordnungen, so dass sich aus ihnen auch unterschiedliche Rechtsformen und verschiedene Verhältnisse zu Religion und Magie ausgebildet haben.

2.1 Jägergesellschaften

Bei Jägern und Sammlern handelt es sich stets um Nomaden. Sie betreiben food gathering, ziehen meistens durch Wälder und bauen kein Getreide oder dergleichen an. Sie sind daher an keinen Ort gebunden und werden nie sesshaft, sondern zeichnen sich durch ihre Mobilität aus. Aufgrund dieser bedeutet Besitz für sie meist nur unnötigen Ballast, weshalb auf gegenständliches Eigentum im privaten wie im kollektiven Sinne kaum Wert gelegt wird (vgl. Wesel 1985: 75 ff.).

Sie leben in kleinen lockeren Horden zusammen: Ihre verwandtschaftlichen Verhältnisse sind locker, d.h. es gibt keine Heiratsvorschriften. Trotzdem heiraten sie meist exogam mit anderen Mitgliedern anderer Horden. Inzest wird nur insofern verboten, dass weder Vetter und Cousine noch Geschwister heiraten dürfen. Dabei gilt diese Regel nur für längere Beziehungen und Ehen. Rein sexueller Kontakt ist dabei erlaubt. Außerdem existiert kein Verbot für Inzest zwischen Eltern und Kindern (vgl. Wesel 1985: 145 ff.).

Es gibt keine Art von Häuptlingen, Schamanen oder sonstige Privilegierte; in ihrer zutiefst egalitären Gesellschaft genießt jeder die gleichen Rechte (vgl. Wesel 1985: 150).

Exemplarisch für Jägergesellschaften in Afrika werden hier die Mbuti herangezogen. Mbuti „besiedeln“ die Urwälder um den Fluss Ituri herum, die sich in der heutigen Demokratischen Republik Kongo westlich des Albertsees befinden.

2.1.1 Religion und Recht

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Jägergesellschaften haben meist Naturreligionen entwickelt. Bei den Mbuti ist der Wald ihr Gott. Sie glauben an sein Wohlwollen und seine Gutmütigkeit, weil er ihnen alles gibt, was sie für ihre Zufriedenheit benötigen: genug Nahrung und existentielle Sicherheit. Bei Ereignissen wie Krankheit oder Tod glauben sie, dass der Wald schläft, und wecken ihn daraufhin mit dem molimo -Fest, bei welchem durch Musik und Tanz die Lebensfreude wiederhergestellt werden soll. Sie glauben außerdem an körperlose Geister, die weder gut noch böse sind, mit denen sie jedoch zufällige und belanglose Ereignisse erklären. Beim Stolpern beispielsweise heißt es, ist man mit einem Geist zusammengestoßen. Einen Ahnenkult gibt es nicht, da sie diesseitig und gegenwärtig leben und deswegen auch nicht an ein Leben nach dem Tod glauben (vgl. Wesel 1985: 157 ff.).

Sie glauben von anderen Stämmen, dass es etwas wie Magie gibt, betreiben sie jedoch nicht selbst, weil der Wald ihnen bei ihren Problemen helfen wird (vgl. Wesel 1985: 156). Schließlich ehren sie den Wald nicht aus Furcht, sondern aufgrund des großen Vertrauens, das sie in ihn setzen können. Glauben sie, dass einer von ihnen durch die Magie von Dorfbewohnern gestorben ist, gibt es keine Blutrache. Stattdessen ziehen sie sich in den Wald zurück, wo sie sich sicher fühlen (vgl. Wesel 1985: 162).

Dementsprechend ist auch ihr Rechts- und Moralgefühl ausgeprägt, das mit ihrer Naturreligion zusammenfällt. Recht, Moral und Religion sind quasi deckungsgleich, was bedeutet, dass der Wald nicht nur Gott ist, der strafen kann, sondern auch Gesetz, das die Regeln vorgibt. Zudem wird nicht zwischen Natur und Kultur unterschieden. Die Einmütigkeit der Mbuti gibt wider, was der Wald vorgibt, da sie eins mit ihm sind (vgl. Wesel 1985: 169 f.).

Dass Inzest und Diebstahl von Gegenständen nicht zu rechtlichen oder religiösen Verboten gehören, liegt daran, dass ihre verwandtschaftliche Ordnung locker und Eigentum an sich unbekannt ist. Passiert es dennoch, dass jemand gegen Regeln verstößt, wie etwa Nahrung vorenthält, die in der Tat lebensnotwendig für die Gruppe sein kann und somit als Kollektivgut und die Tat dann als Diebstahl angesehen wird, oder Inzest mit der Cousine begeht, wird er nicht straflos davonkommen. Er wird mit einer Prügelstrafe rechnen müssen, oder mit Missachtung, Beschimpfung und der Drohung der Verstoßung. Diese Maßnahmen sind schon Strafe genug. Denn sie werden zwar nur von wenigen ausgeführt, dafür aber moralisch vom gesamten Kollektiv getragen, und zwar im Namen des Waldes. Ein Ausschluss aus der Gemeinde ist jedoch kaum erträglich. Es findet nach manchmal auch nur einem verstrichenen Tag schon die Aussöhnung statt, indem sich jemand aus der Horde mit Essen zu dem einsam büßenden und durchaus traurigen Täter begibt und ihn wieder zu geselligen Runden einlädt. Vergessen und Verzeihen – ein Konfliktlösungsmechanismus, der bei den harmoniebedürftigen Jägern und Sammlern häufig beobachtet wird. Harmonie und Ruhe sind auch deswegen die oberste Maxime der Mbuti, weil Lärm die Jagd wegen dem aufgescheuchten Vieh quasi unmöglich machen würde. Schließlich glauben sie auch, dass der Wald nichts mehr verabscheut als Lärm (vgl. Wesel 1985: 158 ff.). Kommt es dennoch immer wieder zum Zwist zwischen der Gemeinschaft und einem ihrer Mitglieder, kann es auch zur Fluktuation kommen. Die lockere Zusammensetzung der Horden erlaubt einen fast barrierefreien Wechsel zu einer anderen Horde (vgl. Wesel 1985: 161).

Die Abwesenheit von privatem Eigentum schränkt die Möglichkeit zivilrechtliche Delikte zu begehen (im europäischen Sinne) stark ein. Die vorangegangenen Beispiele machen deutlich, dass Delikte fast nur gegen die Gemeinschaft möglich sind und somit entsprechend strafrechtlich, also im Kollektiv, und vor allem auf ihrem Konsens beruhend geahndet werde.

[...]

Ende der Leseprobe aus 27 Seiten

Details

Titel
Strafrecht im afrikanischen Gewohnheitsrecht
Hochschule
Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen  (Institut für Soziologie)
Veranstaltung
Soziologie der Entwicklungsländer
Note
2
Jahr
2005
Seiten
27
Katalognummer
V46288
ISBN (eBook)
9783638435123
Dateigröße
1069 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Doppelter Zeilenabstand
Schlagworte
Strafrecht, Gewohnheitsrecht, Soziologie, Entwicklungsländer
Arbeit zitieren
Anonym, 2005, Strafrecht im afrikanischen Gewohnheitsrecht, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/46288

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