Georg Trakl - Leben, Geisteszustand und Gedichtinterpretation 'An die Verstummten'


Seminararbeit, 2004

22 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Georg Trakl als faszinierender und zugleich seltsamer Dichter

2. Georg Trakls Biographie
2.1 Kindheit und näheres Umfeld des jungen Georg Trakls
2.2 Schulbildung und dichterischer Werdegang
2.3 Trakls weitere Ausbildung und sein Berufsleben
2.4 Kriegseintritt und Tod von Georg Trakl

3. Trakls Geisteszustand
3.1 Fehlender Halt in der Familie
3.2 Trakls gestörtes Verhältnis zu Frauen und die Sonderrolle von seiner Schwester Grete
3.3 Schwere Suchtprobleme des jungen Dichters
3.4 Trakls Identitätsproblem

4. Interpretation des Gedichtes „An die Verstummten“

5. Georg Trakl und Georg Heym im Vergleich
5.1 Kurzbiographie von Georg Heym
5.2 Vergleich zwischen Trakl und Heym

6. Georg Trakls tragisches Leben: Zufall oder Schicksal?

1. GEORG TRAKL ALS FASZINIERENDER UND ZUGLEICH SELTSAMER DICHTER

„…Er ist ein lieber Mensch, schweigsam, verschlossen, scheu, ganz innerlich. Sieht stark, kräftig aus, ist aber dabei empfindlich, krank. Hat Hallucinationen, ‚spinnt’ (sagt Schwab). Wenn er hie und da irgendetwas Geheimnisvolles ausdrücken will, hat er eine so gequälte Art des Sprechens, hält die Handflächen offen in die Schulterhöhe, die Fingerspitzen umgebogen, eingekrampft, Kopf etwas schief, Schultern etwas hochgezogen, die Augen fragend auf einen gerichtet.

Er kann z.B. in der Eisenbahn nicht sitzen, nie, das Vis-à-vis eines Menschen verträgt er nicht. Er steht – und wenn er stundenlang fährt – auch in der Nacht – immer am Gang. Er kann nicht telefonieren, kann einfach nicht. Er kann nicht allein sich einem Aufzug anvertrauen. Schwab fährt morgen von Wien weg und hat mir Trakl, den er schon lange kennt, ‚ans Herz’ gelegt. Ich soll mich umsehen um ihn, ihn beeinflussen, dass er keinen Unsinn macht, ihm dies und das suggerieren, aber nicht widersprechen.“[1]

So schreibt der Ingenieur Franz Zeis 1913 über den Expressionisten Georg Trakl. Man sieht an seinem Zitat, dass Trakl ein besonderer Mensch gewesen sein muss. Es ist schließlich nicht alltäglich, dass jemand von sich selbst sagt, er könne keinem Menschen im Zug gegenübersitzen und auch die Körperhaltung, die Zeis beschreibt, zeugt von großen Problemen.

Ich kam zum ersten Mal in der elften Klasse mit Georg Trakl in Berührung. Wir sollten sein Gedicht ‚Verfall’ interpretieren. Schon damals war ich begeistert von Trakls Art und Weise, Bilder und Vorstellungen hervorzurufen. Es machte mir großen Spaß, die einzelnen Verse aufeinander zu beziehen, nach Verknüpfungen zu suchen und sein Werk zu interpretieren. Ich hatte das Gefühl, mich richtig in seine Stimmungen reinversetzen zu können. Deswegen habe ich mich gerne mit seinem Leben und seinem übrigen Werk auseinandergesetzt.

Im Folgenden werde ich zunächst auf Georg Trakls Biographie eingehen. Besonders genau werde ich dabei auf seine Kindheit und sein näheres Umfeld währenddessen eingehen. Sein Studium und seine darauf folgenden Anstellungen werde ich nur kurz darstellen. Der letzte Punkt der Biographie schildert Trakls Kriegserfahrung und seinen Tod. Mein Hauptaugenmerk möchte ich nicht auf exakte Daten legen, sondern eher auf den Menschen Georg Trakl und seine Entwicklung.

Der zweite Teil dieser Hausarbeit behandelt die Probleme, die der Dichter in seinem kurzen Leben hatte und wegen denen er sich für den Freitod entschied. Ich werde über sein schwieriges Verhältnis zu seinen Eltern und zu Frauen eingehen. Als nächstes zeige ich die Konsequenzen Trakls schwerer Drogensucht und sein Identitätsproblem, das ihn in immer größere Verzweiflung trieb.

Anschließend werde ich sein Gedichtes „An die Verstummten“ behandeln. Ich werde mich zwar auf wissenschaftliche Thesen stützen, im Großen und Ganzen werde ich aber meine eigenen Gedanken und Interpretationen zeigen.

Zum Schluss werde ich die beiden Expressionisten Georg Trakl und Georg Heym vergleichen. Ich werde dabei zum einen auf biographische Gemeinsamkeiten und Unterschiede eingehen, des Weiteren werde ich ihre Zielsetzungen im Leben betrachten. Außerdem werde ich die Themenschwerpunkte in ihren Werken vergleichen.

2. BIOGRAFIE

2.1 Kindheit und näheres Umfeld des jungen Georg Trakls

Der Expressionist Georg Trakl wird am dritten Februar 1887 in Salzburg geboren. Sein Vater, der Eisenhändler Tobias und seine Mutter Maria Catharina lebten dort bereits seit acht Jahre und hatten sich dort eine großbürgerliche Existenz aufgebaut. Tobias Trakl, ein Westungar, wird als unproblematischer und fröhlicher Mann beschrieben, der sich durch Fleiß aus dem Kleinbürgertum hochgearbeitet hat und ist stark liberal, weniger national geprägt. Er ist für Georg und seine fünf Geschwister eine „Respektsperson mit beschränkter Autorität“[2], steht ihnen aber trotzdem nahe und bietet ihnen Halt und Orientierung. Georg Trakl bedeutet sein Vater viel, weil dieser jedoch eine bürgerliche Berufslaufbahn eingeschlagen hatte, gegen die sich sein Sohn zeit seines Lebens auflehnt, kann er nie zu einer positiven Identifikationsfigur für ihn werden.

Maria Catharina Trakl steht in keiner herzlichen Beziehung weder zu ihren Kindern, noch zu ihrem Mann. Sie lebt ihr eigenes Leben und kümmert sich lieber um ihre Antiquitätensammlung als um ihre Familie. Das einzige, was sie engagiert überwacht, ist der Klavierunterricht ihrer Kinder. Fritz Trakl, der jüngste Sohn der Familie berichtet über seine Mutter: „Sie war eine kühle, reservierte Frau; sie sorgte wohl für uns, aber es fehlte die Wärme. Sie fühlte sich unverstanden, von ihrem Mann, von ihren Kindern, von der ganzen Welt. Ganz glücklich war sie nur, wenn sie allein mit ihren Sammlungen blieb – sie schloss sich dann tagelang in ihre Zimmer ein.“[3] Georg Trakl selbst hat anscheinend einem Freund gegenüber ausgesagt, er „habe seine Mutter zuweilen so gehasst, dass er sie mit eigenen Händen hätte ermorden können.“[4] Otto Basil bezeichnet die Beziehung Trakls zu seiner Mutter als ‚Hassliebe’. Er vermutet, dass Trakl zuerst Bewunderung für sie empfunden hat, sie später aber nur noch als entfremdet, unnahbar und sogar beängstigend sah.

Neben ihrem Vater haben die Kinder eine weitere Bezugsperson: ihre französische Gouvernante Marie Boring, die die Mutterrolle weitgehend übernimmt. Sie tritt ihre Stellung an, als Georg drei Jahre alt war und lebt ungefähr vierzehn Jahre bei der Familie Trakl. Die Kinder „hingen sehr an ihr“[5].

Für Georg spielt außerdem seine Schwester Margarete, genannt Grete, die fünf Jahre jünger war als er, eine äußerst wichtige Rolle. Sie ist seine liebste Spielgefährtin, er bewundert sie für ihr Klavierspiel und verteidigt sie, so oft er kann. Die jüngere Schwester wird sein ganzes Leben einen besonderen Stellenwert in seinem Leben einnehmen.

Im Großen und Ganzen kann man sagen, dass die Kinder keine strenge Erziehung erdulden müssen, sondern man eher liberal mit ihnen umgeht und ihnen viele Freiräume lässt. Dennoch findet ihre Kindheit in keiner besonders stabilen Umgebung statt, es gibt keine liebevolle Beziehung zu den Eltern. Sie sind ständig dem Gefühl ausgesetzt, nicht verstanden zu werden. Bestimmt wurde der Grundstein für viele Probleme, die sich im späteren Leben der Traklkinder ergeben, schon in der Kindheit gelegt.

Das Kind Georg Trakl wird als ebenso „fröhlich, wild und gesund“[6] wie seine Geschwister geschildert. Eine Schwester von ihm meint später, er hätte eine sehr robuste Natur gehabt, hätte sich immer ‚ausgelassen’ und ‚derb’ verhalten und besonderen Spaß daran gehabt, seine beiden älteren Schwestern zu kneifen und zu stoßen. Der Anthropograph Theodor Spoerri beschreibt das Aussehen des Kindes als ‚plump’ und ‚aufgedunsen’, sein Gesicht als ‚dick’, ‚verquollen’ und eher ‚mädchenhaft’. Bezeichnend für Georg sind seine häufigen und heftigen Stimmungswechsel. Er ist einerseits sehr leicht gekränkt und reagiert schnell verletzt, andererseits nimmt er keine Rücksicht auf die Gefühle anderer, sondern benimmt sich kühl, aggressiv, trotzig und teilweise auch sonderbar, es ist zum Beispiel bekannt, dass er sich mehrere Male vor Pferde geworfen hat, mit der Absicht, diese zum Stehen zu bringen.

Während seiner Schulzeit ist Georg Trakl ein sehr unbeliebter Klassenkamerad und gilt bei seinen Mitschülern als Sonderling. Häufig muss er Hänseleien erdulden, wird ‚dick’, ‚fett’, ‚Dickerling’ und Ähnliches geheißen. Aber wahrscheinlich hat sich das mit der Zeit gegeben, denn später äußert sich ein Klassenkamerad über ihn: „In der Einstellung zur Welt, in der geistigen Entwicklung, war Trakl den Gleichaltrigen überlegen, und das wurde auch allseits respektier. Er ist viel vifer gewesen als wir alle und uns weit voraus.“[7] Trakl liegt nichts daran, Freundschaften zu seinen Klassenkameraden aufzubauen, er duldet sie, mehr aber auch nicht. Zu seinen Lehrer hat er ebenfalls kein gutes Verhältnis. Sie beschreiben ihn als schwierigen Schüler, der ständig auf der Suche nach etwas war, wogegen er sich auflehnen kann. Er will immer im Gegensatz zu allem Gewöhnlichen und vor allem zur bürgerlichen Gesellschaft leben. Oft sieht man ihn über etwas nachdenken, wobei sein Blick dann meist ‚suchend’ oder ‚verloren’ wirkt.

2.2 Schulbildung und dichterischer Werdegang

Nach dem Besuch einer Übungsschule, geht Trakl ab 1897 auf das Gymnasium. Er kann sich für wenig begeistern und lässt den Unterricht über sich ergehen und hat dementsprechend schlechte Leistungen. Nur der Literaturunterricht hat es ihm angetan. Nach und nach lernt er Autoren wie Dostojewsky, Hölderlin, Hofmannsthal, Baudelaire, Rimbaud und Verlaine kennen und lieben. Besonders interessiert ist er auch an Ibsen und Nietzsche, die damals als schädlich für die Jugend galten. Angeregt durch diese Vorbilder, beginnt er etwa im Alter von sechzehn Jahren zu dichten. Zu jener Zeit gründet er mit Freunden den Dichterzirkel Apollo, den sie später in Minerva umbenennen. Die Jugendlichen treffen sich regelmäßig in Weinstuben und Cafés und lesen aus eigenen Werken vor, die meistens ihre Verachtung für das Bürgertum zum Ausdruck bringen. Die jungen Dichten machen es sich zum Ziel, ihre Umgebung zu provozieren, auf der einen Seite durch ihre Literatur, aber auch durch übermäßigen Drogenkonsum und Bordellbesuche. Für Trakl selbst bleibt immer seine Dichtkunst das Hauptventil, um seinem Unmut Luft zu machen. Er wird als „der fruchtbarste und sonderlichste“[8] der Jugendlichen beschrieben.

2.3 Trakls weitere Ausbildung und sein Berufsleben

Weil Georg Trakl im Jahr 1905 bereits zum zweiten Mal nicht versetzt wird, muss er das Gymnasium aufgrund seiner ungenügenden Leistungen verlassen. Er entschließt sich daraufhin, eine Apothekerlehre zu beginnen. Seine schon damals bestehende Drogensucht hat ihm sicherlich seine Entscheidung erleichtert, da ihm die Arbeit in einer Apotheke Zugang zu den verschiedensten Medikamenten und Drogen verschaffte. Zu dieser Zeit findet man ihn immer wieder im Straßengraben liegend auf, betäubt von Chloroform. Zusätzlich zu den Drogen ist er ein starker Raucher und trinkt Alkohol in großen Mengen. Trotz seiner Zügellosigkeit was Genussmittel betrifft, gilt Trakl bei seinem Apothekermeister als sehr fleißig und verrichtet seine Aufgaben zuverlässig und pünktlich.

[...]


[1] Kirschner, Mechthild: „Die Metaphorisierung des vegetativen Lebensbereiches in der frühen Lyrik Else Lasker-Schülers und Georg Trakls“, Verlag Peter Lang GmbH, Frankfurt am Main 1990, S. 168, [KM]

[2] Sass, Christa: „Georg Trakl“, J.B. Metzlersche Verlagsbuchhandlung und Carl Ernst Poeschel Verlag GmbH in Stuttgart 1974, S. 28 [SC]

[3] Kirschner, Mechthild: „Die Metaphorisierung des vegetativen Lebensbereiches in der frühen Lyrik Else Lasker-Schülers und Georg Trakls“, Verlag Peter Lang GmbH, Frankfurt am Main 1990, S. 162 [KM]

[4] KM, S. 162

[5] Weichselbaum, Hans: „Georg Trakl“, Otto Müller Verlag, Salzburg 1994, S. 30 [WH]

[6] Basil, Otto: „Trakl“, Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg, 1965, S. 36 [BO]

[7] BO, S. 45

[8] BO, S. 47

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Georg Trakl - Leben, Geisteszustand und Gedichtinterpretation 'An die Verstummten'
Hochschule
Universität Augsburg  (Universität Augsburg)
Veranstaltung
Proseminar: 'Expressionistische Lyrik in vergleichender Perspektive'
Note
1,7
Autor
Jahr
2004
Seiten
22
Katalognummer
V46260
ISBN (eBook)
9783638434935
Dateigröße
502 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Zuerst gehe ich auf Trakls Biographie und sein kindheitliches Umfeld ein, dann beschreibe ich seinen Geisteszustand näher (gestörte Beziehung zu Frauen, Suchtproblem, Identitätsproblem). Anschließend interpretiere ich das Gedicht "An die Verstummten", zum Abschluss vergleiche ich Georg Trakl noch mit Georg Heym.
Schlagworte
Georg, Trakl, Leben, Geisteszustand, Gedichtinterpretation, Verstummten, Proseminar, Lyrik, Perspektive“
Arbeit zitieren
Anja Gutmair (Autor:in), 2004, Georg Trakl - Leben, Geisteszustand und Gedichtinterpretation 'An die Verstummten', München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/46260

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