Rassismus in Gruppendiskussionen. Eine empirische Rekonstruktion von kollektiven Orientierungen


Bachelorarbeit, 2018

177 Seiten, Note: 1,0

Anonym


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Rassismus als (alltags)diskursive Praxis
2.1 Die Entstehung von Rassismus und seine Verbreitung
2.2 Rassismus heute
2.2.1 Koloniale Reproduktionen im Afrikadiskurs
2.2.2 Neorassismen - Rassismus ohne Rassen
2.3 Alltagsrassismus
2.3.1 Exkurs: Rechtsextremismus, Rassismus, Auslanderfeindlichkeit
2.3.2 Normalisierung von Rassismus
2.3.3 Abwehrmechanismen gegen Rassismus

3. Die empirische Studie
3.1 Methoden
3.1.1 Erhebung
3.1.2 Aufbereitung
3.1.3 Auswertung
3.1.4 Sample
3.1.5 Methodisches Vorgehen
3.2 Rekonstruktion der Passagen
3.3 Zusammenfassung der Ergebnisse
3.4 Diskussion (inkl. Anwendung auf die Theorie)

4. Zusammenfassung und Ausblick
4.1 Erkenntnisse in Bezug auf die Fragestellung
4.2 Reflexion des Forschungsprozesses
4.3 Ausblick

5. Literaturverzeichnis

6. Abbildungs- und Tabellenverzeichnis

7. Anhang
7.1 Transkript Gruppe „Nacktmull"
7.2 Transkript Gruppe „Sonnenblume"

1. Einleitung

“It is a game of sweet and bitter words that makes it difficult to identify racism” - so beschreibt die Psychologin und Kunstlerin Grada Kilomba (2010, S.94) die Erscheinungsformen des Rassismus. Unter dem Deckmantel von Komplimenten, neugierigen Fragen zur Herkunft Oder Witzen wirken die Ausgrenzungs- und Hierarchisierungsmechanismen, welche Menschen alltaglich zu „Auslander_innen“ machen, obwohl diese seit Generationen in Deutschland leben. Die unter dem Hashtag #metwo ausgeloste mediale Debatte forderte die Alltaglichkeit und Verbreitung dieser “banalen” (Terkessidis 2004, S.10), weil subtilen, Ausgrenzungserfahrungen zutage. Diese verbale Markierung als nicht-zugehorig geht uberwiegend einher mit einer strukturellen und institutionellen Diskriminierung und entscheidet so uber die “symbolische und materielle Ressourcen- und Machtverteilung” in der Bundesrepublik (Broden/Mecheril 2010, S.16).

Rassismus auBert sich vordergrundig in Nazi-Aufmarsche Oder “Auslander raus”- Parolen. Diese sind aber nur “die Spitze des rassistischen Eisberges [...] die ohne Ruckhalt in der Gesellschaft schmelzen musste” (Arndt/Hornscheidt 2009, S.15).Problematisch ist dieser gesellschaftlich verankerte Rassismus gerade deshalb, weil er meist unbewusst und unabsichtlich rassistisches Handeln durch “bittersu&e” (vgl. Kilomba 2010, S.94) Worte und Taten bestatigt und Machtverhaltnisse reproduziert. Daruber hinaus wird durch das Abwehren und Leugnen dieser rassistischen Struktur ein offentlicher Diskurs und die Auseinandersetzung mit der kolonial-rassistischen Geschichte verweigert. Der rassistische Status quo bleibt bestehen.

Die vorliegende Arbeit beschaftigt sich mit den internalisierten, rassistischen Handlungsmustern innerhalb des Alltagsdiskurses. Hierfur wurde dieser Alltagsdiskurs innerhalb von Gruppendiskussionen rekonstruiert, urn darunterliegende Strukturen zutage zu fordern. Entsprechend lautet die Fragestellung wie folgt:

- Wie lassen sich die kollektiven Orientierungen innerhalb der Gruppendiskussionen zum Thema Rassismus beschreiben?

Urn diese Frage zu beantworten, wird im ersten Teil der Arbeit die theoretische Fundierung von Rassismus als alltagsdiskursive Praxis behandelt. Auf Grundlage dessen schlieBt der zweite Abschnitt mit der eigenen Untersuchung an, bei der zwei Gruppendiskussionen in Anlehnung an die Dokumentarische Methode ausgewertet wurden.

Das zweite Kapitel wird zunachst einen Uberblick uber die Entstehung des Rassismus im Zuge der kolonialen Ara geben. Nur unter Berucksichtigung der Entstehungsgeschichte und der Verbreitung von kolonial-rassistischen Ideologien mittels Wissens- und

Reprasentationssysteme durch den eurozentristischen Machtapparat, ist die “moderne” Struktur des Rassismus innerhalb der (deutschen) Gesellschaft zu begreifen. Dementsprechend schlagt das Kapitel die Brucke zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart. Am Beispiel des Afrikadiskurses werde ich in 2.2.1 prototypisch darstellen, wie “der koloniale Blick” in heutigen Massen- und Bildungsmedien und in unserer Sprache fest verankert ist. Es wird deutlich, wie subtil sich die Minderwertigkeit der „Anderen“ in alltaglichen Bildern, Begriffen und Praxis niederschlagt. Die Transformation zu einem “Rassismus ohne Rassen” wird in 2.2.2 besonders am Beispiel des antimuslimischen Rassismus konkretisiert. Das Kapitel 2.3 fokussiert diese Alltaglichkeit und setzt sich mit der strukturellen, institutionellen und individuellen Dimension des rassistischen Alltagsdiskurses auseinander, innerhalb dessen sich die rassistische Struktur als „Normalitat“ herauskristallisiert. Trotz der subtilen Erscheinungsformen innerhalb dieser Normalitat wird die rassistische Wirkung der “symbolische[n] und materielle[n] Ressourcen- und Machtverteilungen” (Broden/Mecheril 2010, S.16) zugunsten der weiBen Mehrheitsgesellschaft entfaltet. Die Notwendigkeit, von Rassismus zu sprechen und nicht von Auslanderfeindlichkeit Oder Rechtsextremismus, wird in dem vorherigen Exkurs unter 2.3.1 dargestellt. Die Nicht-Benennung bzw. Marginalisierung von rassistischen Strukturen verhindert ihre Aufdeckung und breite Auseinandersetzung. Die Problematik der Abwehrmechanismen, zu denen die Nicht-Benennung zahlt, wird im letzten Unterkapitel 2.3.3 skizziert.

Kapitel 3 diskutiert die methodischen Uberlegungen zur Datenerhebung, Materialaufbereitung, Auswertung und die Auswahl des Samples. In Kapitel 3.1.5 wird die konkrete Durchfuhrung des gesamten Forschungsprozesses dargestellt, bevor in Kapitel 3.2 die Rekonstruktion der Passagen folgt. Nach einer Zusammenfassung der Ergebnisse in Kapitel 3.3 wird im darauffolgenden Kapitel der Bezug von der Empirie auf die Theorie erfolgen. AbschlieBend wird der gesamte Forschungsprozess sowie die Reichweite und Grenzen der Ergebnisse dieser Arbeit reflektiert, sowie ein Ausblick gegeben.

Aus Grunden der angemessenen und wertschatzenden Representation aller Menschen wurde in dieser Arbeit auf gendergerechte sowie diskriminierungsfreie Sprache geachtet. Die Bezeichnung von Menschen mit den Begriffen „wei&“ und „Schwarz“ (groB geschrieben) verweisen nicht auf die Hautfarben, sondern auf „gesellschaftspolitische Zugehorigkeiten" (Sow 2001-2013). Der Begriff „Schwarz“ steht neben „People of Color" (PoC) vor allem auch fur eine Selbstbezeichnung (Andt/Hornscheidt 2009, S.189).

2. Rassismus als (alltags)diskursive Praxis

2.1 Die Entstehung von Rassismus und seine Verbreitung

Das Kapitel gibt einen Uberblick uber die historischen Ursprunge des Rassismus, welcher wesentlicher Bestandteil und Triebfeder des Kolonialismus war. Nur unter Berucksichtigung der historischen Entstehungsgeschichte von “Rassen” im Kontext der kolonialen Representations- und Legitimationspolitik ist die Transformation in den modernen Rassismus zu verstehen.

Der zweite Abschnitt soil danach aufzeigen, wie genannte kolonial-rassistische Unterdruckungs- und Ausgrenzungsmechanismen gegenuber konstruierten Nicht-WeiBen in die deutsche Gesellschaft des 21. Jahrhunderts tradiert wurden. Vor allem die subtilen, nicht- bewussten Rassismen, die sich u.a. in Stereotypen und Reprasentationen in Sprache und (Sozialen) Medien, niederschlagen, sind von Relevanz. Sie pragen den heutigen Alltagsdiskurs, der Untersuchungsgegenstand meiner Arbeit ist.

Neben der gewaltvollen Inbesitznahme territorialer Gebiete und der europaischen Fremdherrschaft uber andere Volker seit Ende des 15. Jahrhunderts, waren vor allem auch Wissens- und Reprasentationssysteme Bestandteile des eurozentristischen Machtapparats (vgl. Castro/Varela 2015, S.22; Osterhammel 1995, S.21; Conrad 2012, Hall 2004). In dem binaren System von Kolonialherren und Kolonialisierten lag die okonomische und politische Macht bei den europaischen Kolonialisten. Die Moglichkeit zur Darstellung und somit Representation von sich selbst Oder anderen war stark von dieser politisch-okonomischen Macht abhangig.

In Verbindung mit dem christlichen Fortschrittsgedanken und der Neugierde der Europaer wurde durch die kolonialen „Entdeckungen“ ein enormes „Wissen bzw. Wissenschaften"1 uber andere Volker und Lander geschaffen. Im Wissenschaftszweig Orientalism us beispielsweise, welcher sich im spaten 18. Jahrhundert entwickelte, manifestierten sich die Kenntnisse der europaischen „Orientalisten“ uber indische Praktiken und Sprachen (Castro Varela/Dhawan 2015, S. 97/98). Nach Edward Said, einem Hauptvertreter der postkolonialen Theorie, diente diese literarische Wissensansammlung, verknupft mit der politisch-okonomischen Vormachtstellung der Europaer, einer spezifischen Herrschaftsstrategie uber die kolonisierten Gebiete. Die Reprasentationsmacht lag bei den europaischen Machten, die den „Orient“ - eine Ansammlung von unterschiedlichsten Landern von Agypten uber den Nahen Osten bis nach China - als feminines, irrationales und primitives Gegenstuck zum rationalen, fortschriftlichen, zivilisierten Okzident konstruierten. Auf der einen Seite, so Edward Said, war die gewaltvolle Representation des Orients eine wichtige Komponente fur die positive Selbstreprasentation Europas (vgl. Hofmann 2011, S.33; ebd., 2015, S. 22, S.104). Auf der anderen Seite erleichterte die (Miss)reprasentation die Legitimation und Stabilisierung der Vorherrschaft und die Verwaltung der Kolonien (ebd., S.97). Der Prozess des Different- machens des Anderen zur Definition des Eigenen wird auch „Othering“ genannt und erfolgt mithilfe von „Zuschreibung, Essentialisierung und Reprasentation" (Riegel 2016, S.52).

Besonders die im 19. Jahrhundert etablierten Rassentheorien waren konstitutiver Bestandteil der eurozentristischen Wissens- und Reprasentationssysteme uber die „Eingeborenen“ der Kolonien und diente der Legitimation der europaischen Vorherrschaft. Das Interesse an der Verschiedenartigkeit der Menschen beschaftigte im 17. und 18. Jahrhundert Anthropologen, Arzte, Biologen und Philosophen in ganz Europa. Im Mittelpunkt der Debatte urn die Abstammungslehre im 18. Jahrhundert, in der sich u.a. Gelehrte wie Johann Friedrich Blumenbach, Herder und Kant beteiligten , stand auch die Frage nach dem „fehlenden Glied", dem Ubergangsbereich zwischen Mensch und Tierwelt, in der hierarchischen Ordnung der „gro&en Kette der Lebewesen" (Bitterli 1991, S.339f; TiBberger2017, S.27; Arndt 2013, S.50). Dieser Idee eines Weltgefuges, in der jedes Lebewesen einen statischen, von Gott zugesprochenen Platz einnahm, wurde von den meisten Gelehrten geteilt. Neben anatomischen Untersuchungen z.B. an Schadeln, waren Reiseberichte grundlegend fur die Theorien, welche neben vielversprechenden Ansatzen auch (sehr abstruse) Spekulationen und MutmaBungen uber Klassifikationen enthielten, wie die „systema natura" von Linne (Bitterli 1991, S. 354)

Insgesamt zeichnete sich sowohl bei Kolonialbeamten in Ubersee, als auch bei manchen Gelehrten in Europa eine Verstrickung von rational-wissenschaftlichen und biblischen Erklarungs- und Deutungsversuchen uber die Abstammung und die dunkle Haut der Afrikaner_innen ab. Diese wurde beispielsweise als Zeichen „diabolischer Ankunft" gewertet Oder als Brandmarkung Kains, die er nach dem Brudermord von Gott erhalten hatte (Ebd., S. 340). Genahrt wurden diese Deutungsversuche durch Vorurteile wie die ausschweifende Sexualitat und die „Gbtzenverehrung“.

Gleichzeitig pragte die Zeit der Aufklarung die Uberzeugung einer Entsprechung von Korper und Seele: Wohlproportioniertheit und Schonheit entsprachen der Tugendhaftigkeit und Sittlichkeit, was sich am europaischen Idealtypus maB. So wurde dem N* eine „ausschweifender Sinneslust" aufgrund der groBen Lippen, „Stumpfheit“ wegen der Nase und „Misstrauen“ und „Verschlagenheit“ aufgrund der dunklen Augen zugeschrieben (ebd., S. 358)

Als Trager und Manifestation von Kultur kam der Sprache eine tragende Rolle bei der Konstruktion kolonialer Gesellschaften als dem unzivilisierten und unterentwickelten Anderen im Gegensatz zum uberlegenen Europa zu. Die Abwertung und Verachtung fur die Menschen und Gesellschaften Afrikas schlug sich dementsprechend auch in deren sprachlichen Bezeichnungen wieder. Anstatt bestehende europaische Begriffe auf die Gesellschaften Afrikas anzuwenden wurden neue Begriffe eingefuhrt, welche bereits negativ konnotiertwaren Oder in der Tier- und Pflanzenwelt ihren Ursprung haben (Arndt 2009, S. 18). Begriffe wie Stamme, ,,Mulatte“ „Naturreligionen“, „Busch(manner)“ verkorpern die Verortung Afrikas in der Natur jenseits kultureller Praxis und „Zivilisation“ (Arndt 2009, Ziai 2013, S.16). Im Vergleich zum „wilden, barbarischen, primitiven (unterentwickelten) Afrikaner" reprasentierte sich Europa also dichotomisch dazu als „rational, zivilisiert, aufgeklart und fortschrittlich" (ebd., S.32; Ziai 2013, S.16).

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Abbildung 1: „The White man s burden (Apologies to Kipling), Karikatur von Victor Gillam im Judge magazine (Judge 1899)

Sinnbild fur dieses dichotome Verhaltnis zwischen Kolonialisierten und Kolonialmachten ist das Motiv des „White man’s burden", das aus einem gleichnamigen Gedicht des Autors Rudyard Kipling stammt, in dem er die Vereinigten Staaten zur kolonialen Expansion auffordert (Melber 1992, S.15). Die dargestellte Karikatur (Abb.4) symbolisiert „Die Traglast des weiBen Mannes" in der Gestalt des britischen John Bull links und des amerikanischen Uncle Sam rechts in der Abbildung 1 auf dem steinigen Weg zur Zivilisation wahrend des Kolonialismus. Auf ihren Schultern tragen die beiden Reprasentanten stereotyp dargestellte People of Color (PoC). Das Symbol des „White man’s burden" impliziert die Unfahigkeit der Kolonialisierten, ihre Angelegenheiten selbst in die Hand zu nehmen. Durch ihre moralische Uberlegenheit fuhlten sich die Europaer verpflichtet, Glaube und Fortschritt in die unterentwickelten kolonialisierten Gesellschaften zu bringen, sodass der Kolonialismus als „letztendlich fur beide Seiten segensreiche Unternehmung" (Ziai 2013, S.16) propagiert wurde.

Nicht nur dass die Ausbeutung und Vorherrschaft der Gesellschaften in Afrika, Amerika und Asien mithilfe des wissenschaftlichen Rassismus legitimiert wurde; das Motiv des „White man's burden" wurde gleichzeitig zum euphemistischen Sinnbild fur die Enteignung, Versklavung und Ermordung Millionen Menschen aufgrund politischem und okonomischen Machtstreben, wahrend in Europa Aufklarung und Humanismus gepredigt wurden. Rommelspacher (ebd., S.22f) konstatiert, dass es sich hierbei urn einen „Grundwiderspruch der Moderne" handelt: einerseits wurde im Zuge von franzosischer Revolution, Aufklarung, Sakularisierung und der Deklarierung der universellen Menschenrechte ein gesellschaftlicher Umbruch, eine moderne, neue Ordnung propagiert, andererseits wurden alte Hierarchien unter dem Deckmantel der „Naturgegebenheit“ und Wissenschaftlichkeit fortgefuhrt. Diese Naturalisierung zeigte sich sowohl im modernen Antisemitismus, der sich mit der Umdeutung von religiosen Differenzen zu genetischen Unterschieden begrundet, sowie auch in der Geschlechterhierarchie. „So wurde der Glaube an die von Gott bestimmte soziale Ordnung der Menschen durch die von der ,,Natur“ gegebenen Hierarchien abgelost - nun jedoch mit dem Gestus der Rationalitat und Wahrheit (Foucault 1978) ausgestattet" (Rommelspacher 2002, S.24). Umso problematischer ist diese Naturalisierung, da sie dauerhaft festgeschrieben und „deshalb eine Strategie der Representation [ist], die dazu da ist, ,,Differenz“ festzuschreiben, und sie so fur immer zu sichem“ [Hervorhebung v. Verf.] (Hall 2004, S.130f).

Angelehnt an Hall (2004) lasst sich Rassismus also als ,,soziale Praxis" charakterisieren, durch die bestimmte Menschengruppen feste (Charakter)Eigenschaften im Zuge der Rassifizierung zugeschrieben bekommen, welche als Legitimation von gesellschaftlichen Hierarchien gelten (vgl. auch Rommelspacher 2009, S.28).

2.2 Rassismus heute

Ein blondes amerikanisches, gut gekleidetes Madchen fragt ein schwarzes Madchen auf einem Werbeplakat/Reklame eines bekannten Seifen-herstellers: Why doesn’t your Mamma wash you with Fairy soap? Circa 20 Jahre spater wird eine Lotion von Dove beworben, indem

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Abbildung 2: “Why doesn’t your Mamma wash you with fairy soap? (N.K. Fairbank 1898)

eine schwarze Frau durch das Ausziehen ihres hautfarbenen T-shirts zur WeiBen wird (Astor 2017). Der Spot wurde vielfach als rassistisch kritisiert, weil er an koloniale Stereotypen des schwarzen, dreckigen Subjekts erinnert. “Dirtiness and wildness are closely linked with aspects of what white society has repressed - sexuality and aggression - and consequently projected onto 'Others'” beschreibt Grada Kilomba die Abwehr der schwarzen Haut und der krausen “wilden” Haare der Schwarzen, welche fur primitivity, disorder, uncivilization standen (Pajaczkowska/Young 1992, S.201 zit. n. Kilomba 2010, S.72; vgl. auch Hall 2004, S. 125f). Die Schonheit steht hier exemplarisch fur einen kulturellen Bereich, der durch die weiBe Vorherrschaft global geformt wurde und wird. Besonders problematisch ist in diesem Zusammenhang die Internalisierung von weiBen Schonheitsidealen in uberwiegend nicht- weiBen Gesellschaften wie in Afrika, wo das Bleachen der Haut eine weit verbreitete Praxis seit den 1950ern ist2 (Blay 2011).

Dieses Kapitel hinterfragt, inwieweiteurozentristische Reprasentationen von Schwarzen, bzw. Gesellschaften und Menschen in Afrika, gesellschaftliche Bereiche durchzieht. Rund 50 Jahre nach Ende des Kolonialismus dauern im Zuge der beschleunigten Globalisierung politische und okonomische Hierarchisierungs- und Abhangigkeitsverhaltnisse zwischen dem globalen Suden und Norden an, welche u.a. dazu beitragen, dass rassistische Grundhaltungen aufrechterhalten wurden und werden. Die Darstellung von Gesellschaften und Menschen Afrikas als primitiv, barbarisch und unterentwickelt im Gegensatz zum zivilisierten und fortschrittlichen und moralisch uberlegenen WeiBen Europaer spielt hierbei eine entscheidende Rolle. Durch (Schul)bucher, Literatur, Volkerschauen, Museen und die Massenmedien ziehen sich kontinuierlich die (immer gleichen) Stereotype und zementieren Stereotype, welche an die nachste Generation weitergegeben werden. Urn rassistische Diskriminierungen von heute zu verstehen, mussen diese Bilder analysiertwerden. Im ersten Teil nehme ich ausschlieBlich exemplarisch Bezug auf den deutschen Afrikadiskurs, wohingegen der zweite Teil sich mit dem „Rassismus ohne Rassen", besonders mit dem antiislamischen Rassismus, auseinandersetzt.

2.2.1 Koloniale Reproduktionen im Afrikadiskurs

Im offentlichen Afrikadiskurs spielen Massen- und Bildungsmedien eine tragende Rolle, da sie den Kontinent reprasentieren und die deutsche Gesellschaft in ihrer Meinungsbildung beeinflussen. Abbildung 3 illustriert beispielsweise, dass die Afrikaberichterstattung deutscher Zeitungen zu 48% von den negativen 5 K- Themen: Krisen, Katastrophen, Krankheit, Kriminalitat und Krieg dominiert wird (Tatah 2014, S.59; Mukke 2009; Kreutler/Fengler 2014). Verantwortlich fur diesen Afropessimismus in den Berichterstattungen, der zudem ein undifferenziertes Bild des Kontinents entwirft, sei nach Mukke (2004, 2009) das extreme Desinteresse der Bundesrepublik an Afrika. Der Journalist nennt das Fehlen fachlicher Vorkenntnisse der Afrikakorrespondent_innen und die GroBe ihrer zustandigen Berichtsgebiete (ein_e Journalist_in ist durchschnittlich fur 33 afrikanische Lander zustandig) als mogliche Grunde fur die wenig kompetente Berichterstattung bzw. das Zuruckgreifen auf stereotype Bilder mangels eigener Urteilsbildung (Mukke 2004, S.279 - 286).

Auch Unterrichtsmaterialien zu Afrika zeichnen immer noch ein einseitiges, homogenes Bild mit dem Fokus auf Mangel, Armut und Hilflosigkeit und negieren dabei, dass „Afrika“ 54 verschiedene Lander reprasentiert. ..Africa’s mythical monolithic identity” (Aina 2014, S.27) fuhrt nicht nur zur Abwertung und dem Absprechen von Individualist und Veranderung, sondern auch zu einer Erhohung des eigenen (europaischen/deutschen) Selbstwertgefuhls und der eigenen komplexen Lebensvielfalt (Aronson 2008, S. 163; vgl. Zick, Kupper, Hovermann 2011, S. 34; Ziai 2013, S. 15, Marmer 2013, S.27). Die eurozentristische (oft verharmlosende) Erzahlweise und das Fehlen einer afrikanischen Geschichte vor der Kolonialisierung, der Gebrauch kolonialer Afrikaterminologie, die dichotome Representation Afrikas zu Deutschland und die Referenz auf das Modernitatsnarrativ deuten nach Marmer (2012) auf das Fortbestehen des wissenschaftlichen Rassismus hin (vgl. auch Dulko/Namgalies 2014).

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Abbildung 3: Ergebnisse der Inhaltsanalyse deutscher Zeitungen im Fruhjahr 2013 von Kreutler/Fengler: Hauptthemen der untersuchten Zeitungen (Tatah 2014, S. 59)

Diese Bilder haben konkreten Einfluss auf die Afrikabilder von Schuler_innen, wenn die Lehrkraft unreflektiert kolonial - rassistisches „Wissen“ weitergibt. Die Studie IMAFREDU (Image of Africa; Marmer/Marmer/Hitowi/Sow 2011) weist z.B. darauf hin, dass die Infantilisierung und Viktimisierung z.B. durch die Darstellung von hungernden Kindern bei den Lesern Mitleid, (Ekel) und Uberlegenheitsgefuhle auslost und Afrodeutsche die Bilder als demutigend und unangenehm empfinden (Marmer 2013, S. 27). Die Studie ergab auch, dass die Afrikabilder der Schuler_innen, die hauptsachlich den beiden Positionen „Afropessimismus“ und „Afroromantismus“ zuzuordnen sind, sich mit den Beschreibungen in den Schulbuchern decken. Besonders im Kontext von Bildungsinstitutionen sind stereotype Darstellungen problematisch, da sie als staatliches Lehrmaterial legitimiert sind (ebd., S.27; vgl. auch Poenicke 2001) „Afroromantismus“ fasst im Gegensatz zu „Afropessimismus“ Afrikabilder zusammen, wie sie besonders in Filmen wie „Das Traumschiff, ,,Jenseits von Afrika“, Oder in ,,Die weiBe Massai" verkorpert werden. Gepragt sind diese Bilder durch Naturverbundenheit, Unberuhrtheit und Exotik. (Marmer 2013, S.27, Baer 2006).

Schlussendlich stellen Afropessimismus bzw. Damonisierung und Afroromantismus Oder Exotisierung zwei Seiten der gleichen Medaille dar, die sich zuruckfuhren lassen auf die Unterentwicklung, die Unzivilisiertheit, und das „Wilde“ des Schwarzen Subjekts, das nur durch Entwicklungshilfe „gezahmt“ werden kann, so Seukwa (2009).

Die moderne Versinnbildlichung des 'White man’s burden' wird in Film, Literatur und Entwicklungshilfe mit dem Motiv des 'White saviors', welches kontinuierlich die Glorifizierung der WeiBen als Helden und die Abwertung PoC als Opfer reproduziert, angeprangert. Nach Hughey (2014) ist der white savior ,,a white messianic character [who] saves a lower or working class, usually urban or isolated, nonwhite character from a sad fate“(2014, S.1), wie es u.a. in den Filmen “The Blind Side” mit Sandra Bullock, “Last Samurai” mit Tom Cruise “Avatar” Oder auch in “12 years a slave” der Fall ist.

Sprechende und handelnde Afrikaner_innen sind in auch in deutschen Spielfilmen die Minderheit. Afrika bleibt „Spielwiese fur Europaer, die im Urwald Oder in der Wuste ihre Konflikte austragen Oder sich mit .lebensbedrohlicher Natur' auseinandersetzen mussen", resumiert der Regisseur Baer (2006, S.159).

Besonders die Entwicklungshilfe, die u.a. dem Vorwurf der Fortfuhrung des Kolonialismus ausgesetzt ist (Chasse 2016) bedient die kolonialen Klischees die unter dem Begriff des „White Saviors" zusammengefasst werden. Hilfsorganisationen gestalten z.B. Spendenplakate, urn Solidarity und Mitleid zu erzeugen und reproduzieren dabei selbst kolonial -rassistische Darstellungen v.a. im Rahmen eines “modern primitivism” (Grada Kilomba in Kiesel/Philipp 2012, 15:24 min) beispielhaft in Abb. 4 dargestellt.

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Abbildung 4: Spendenplakat von Care: Schicken Sie Zukunft! (Kiesel/Phillipp 2007)

Durch die Verschmelzung des fast nackten, glucklichen Kindes mit der weiten unberuhrten Savanne und mit Kinderspielzeug aus den 40ern/50ern in der Hand wird Naturlichkeit und Zufriedenheit suggeriert. Dabei steht die Darstellung fur Ruckstandigkeit und Ursprunglichkeit, welche verknupft mit dem Slogan „Schicken Sie Zukunft" Hilflosigkeit auf der Seite des Schwarzen Objekts und Handlungsmacht auf der Seite des weiBen Adressaten impliziert (Philipp/Kiesel 2007,2011; Ziai 2013, S.19; Bechaus-Gerst 2013).

Auch die Bildsprache von Fotos der Freiwilligen im Ausland tragen oft die implizite Botschaft: Sie selbst sind die Helden der Geschichte, die einen ganzen Kontinent retten (vgl. z.B. #helpAfrica) und die Schwarzen nur (eine namenlose Masse aus) Nebendarstellern, welche unterlegen und infantilisiert wirken. So lautet auch die Kritik der Studierendengruppe SAIH, die das Verhalten von Freiwilligen in Afrika durch Videos parodisiert (siehe Abb 3, vgl. SAIH 2017).

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Abbildung 5: Ausschnitt aus dem Video „How to Get More Likes on Social Media (SAIH 2017)

Ziel ist u.a. die Sensibilisierung dafur, wie der Drang zur Selbstdarstellung auf z.B. Instagram nicht nur die Privatsphare und Wurde der abgebildeten Menschen verletzen kann, sondern auch koloniale Reprasentationsmuster des White saviors verbreitet und rassistische Darstellungen zementiert (Aronson 2017, vgl. auch Cole 2012).

Problematisch an diesen immer wiederkehrenden Reprasentationen in Medien, Film und Literatur ist „die Gefahr der einzelnen Geschichte", so die nigerianische Autorin Adichie (2009), die damit auf die Festschreibung von Menschen auf ein einziges Merkmal aufmerksam macht. Wenn Menschen als arm (obdachlos, auslandisch, behindert usw.) stigmatisiert werden, neige man dazu, nur dieses Merkmal zu sehen und auszublenden, dass diese Menschen auch andere Fahigkeiten und Kompetenzen haben. Eine Geschichte von mehreren Perspektiven zu beleuchten, das fordern auch u.a. Vertreter der postkolonialen Theorien. So sollen z.B. die totgeschwiegenen Geschichten von den Befreiungskampfen Schwarzer wahrend der Sklaverei genauso reprasentiert und in die dominanten Diskurse eingeschrieben werden (Castro Varela/Dhawan 2015, S.160-162, S.188).

Des Weiteren transportieren Begriffe und Sprichworter kolonialen Ursprungs rassistische Konzepte. Angesichts des Einflusses von Sprache auf Denken und Fuhlen (Quelle) trifft Arndt und Hornscheidts Bezeichnung von Sprache ,,als Macht und- potentielles Gewaltmittel" (2009, S.7) zu. Je nachdem wie Personen oderGruppen in der Sprache (nicht-)reprasentiert werden, konnen sie ausgegrenzt, herabgesetzt Oder zur Norm erklart werden. Bei Gebrauch von kolonialen Bezeichnungen wurden rassistische Konzepte wiederbelebt und weitertransportiert. Arndt (2009, S.18) verweist beispielsweise auf den Begriff „Hauptling“, der als immer noch gangigen Titel fur Herrscher afrikanischer und indigenen Bevolkerung Amerikas gebraucht wird, die Begriffe N*, „Schwarzafrika“ Oder „Rasse“ (ebd., S.185-197). Der koloniale Blick ist so tief in unserer Gesellschaft, in der Sprache, den Massen- und Bildungsmedien verwurzelt, dass kolonial-rassistische Konzepte oft unbewusst reproduziert werden (Frieters - Reermann/ Bergmuller 2014, S.4).

2.2.2 Neorassismen - Rassismus ohne Rassen

Obwohl wissenschaftlich langst widerlegt, sind Denk- und Handlungsmuster des Konstrukts Rasse noch gegenwartig in Deutschland (ebd, 2015, o.S.). Aufgrund der offiziellen Reglementierungen und gesetzlichen Sanktionierung von offenen rassistischen Vorurteilen seit Mitte des 20. Jahrhunderts (Zick/Kupper 2008, S.112; Broden/Mecheril 2010, S.15) auBern sich die Ressentiments jedoch mehrheitlich subtil, was sich z.B. in der Nichtakzeptanz von Minderheiten in der Mehrheitsgesellschaft, in der Auffassung einer Unvereinbarkeit der Kulturen Oder in derWahrung traditionellerWertegegenuber der Fremdgruppe (Zick& Kupper 2008, S. 115; Balibar 1990) zeigt.

Theorien wie „Rassismus ohne Rassen" Oder ,,Kultureller Rassismus" gehen von einer Ablosung des Rassebegriffs durch den „Kultur“- Begriff aus. Die Verschiebung auf Kultur gestalte sich als zweifelsfrei, wenn kulturelle Identitat als unveranderliches Merkmal einer Menschengruppe gedacht wurde, in der Art einer vererbbaren Eigenschaft, so Kalpaka/Rathzel (1986, S.35/36). Im Prozess der Rassifizierung werden Eigenschaften naturalisiert, also in die ,,Rasse“ dieser vorher bestimmten Menschengruppe eingeschrieben, welche als Legitimation von gesellschaftlichen Hierarchien gelten (ebd., S.33; Rommelspacher 2009, S.28). Rassismus hat also nichts damit zu tun, ob es sich bei der ausgegrenzten Gruppe urn eine Rasse im biologischen Sinn handelt.

Dieser Rassifizierungsprozess lasst sich bei den Anhangern des Islams beobachten, welche immer mehr zum Feindbild des Westens gemacht worden sind. Laut der Historikerin Yasemin Shooman (2014) wirkt unter dem Deckmantel moderner Begriffe (Auslanderfeindlichkeit, Kultureller Rassismus) das soziale und politische Konzept der Ungleichheit der Menschen aufgrund der Hautfarbe fort. Im Grunde habe eine Verschmelzung von ethnischen und kulturell-religiosen Zuschreibungen stattgefunden, so Shooman (S. 66-68): „Dies zeigt sich beispielsweise in der synonymen Verwendung der Bezeichnungen "Turke", "Araber", "Migrant" und "Muslim", wie sie im medialen, politischen und auch wissenschaftlichen Diskurs existiert. [...] Damit wird das Muslim-sein als Aquivalent zu einer Ethnie konzipiert - und als Antagonismus zum Deutsch-Sein“ (S.67). Obwohl der Glaube eine Komponente unter vielen darstellt, die die Identitat eines Menschen ausmachen kann, erscheint „der Islam" oft als das Charakteristikum, das alle anderen Wesenszuge uberschattet und zudem Denken und Fuhlen jeden Muslim und jeder Muslimin bedingt (Shooman, 2014, S.64).

Das Verhaltnis von Deutschland zum „lslam“ ist fur viele Deutsche mehrheitlich gepragt von einer Dichotomie, bei der sich die stereotypisierten Kategorisierungen „Wir Deutsche" und „der Islam" gegenuberstehen. Zu diesem Ergebnis kommt u.a. die Studie „Deutschland Postmigrantisch" bei der exkludierende Stereotype abgefragt wurden. Foroutan, Canan, Arnold, Schwarze, Beigang und Kalkum (2014) stellen fest, dass „bei alien Aussagen mehr als ein Viertel der Bevolkerung eine eher aus- bzw. abgrenzende Haltung gegenuber Musliminnen und Muslimen einnimmt." (S.31)

Die Verschiebung der Wahrnehmung von ethnischer Fremdheit auf religiose Differenz lasst sich im Wandel des (medialen) Bildes der muslimischen Frau herausarbeiten. Ab 2001 taucht „die muslimische Frau" in politischen und medialen Diskursen vermehrt im Zusammenhang mit den Schlagworten „Kopftuch(zwang)“, „Unterdruckung und Opfer “, „Emanzipation“ auf (Halm 2006, S.21). Die Bildsprache suggeriert, dass es sich bei muslimischen Frauen urn gesichtslose, traurige Gestalten handelt, denen per se Rechte aberkannt werden und die dem mitleidigen Blick des Lesers ausgesetzt sind (u.a. Shooman 2014, S.84). Obwohl auch mediale Berichte von selbstbewussten, erfolgreichen und emanzipierten Musliminnen existieren, manifestieren sich vor allem die taglich wiederholten medialen Stereotype des Mehrheits-Diskurses und verselbstandigen sich zu normativen Vorurteilen (Aronson et al. 2008, S.449f).

2.3 Alltagsrassismus

They see you and the first thing that crosses their mind is to check: „Where is she from?" They just walk iin your direction and ask, without even knowing you. [...] in a bus, at a party, on the street, a dinner or even at the supermarket (Kilomba 2010, S. 64).

,,Woher kommen Sie?" - Dieser vermeintlich freundlichen und interessierten Frage auf phanotypische Differenz, den „fremdklingenden“ Nachnamen Oder das Kopftuch einer Frau sind viele PoC‘s und Schwarze (Deutsche) alltaglich und konstant ausgesetzt und entpuppt sich nach Rommelspacher (2002, S.16) als symbolische Grenzziehung3 zwischen „Wir“ und „lhr“ - den (weiBen) Normdeutschen und den anderen, die als nicht wirklich deutsch gelten, auch wenn diese seit Generationen in Deutschland ihren Lebensmittelpunkt haben. Besonders deutlich werde dies, wenn ein akzentfreies „Dusseldorf‘ als Antwort nicht akzeptiert wird, sondern erst der Verweis auf Vorfahren aus einem anderen Land den Gegenuber in seiner Fremdheitsvermutung bestatigen. Bei den Betroffenen hinterlasse diese Situation das Gefuhl der Erschutterung, der Ausgrenzung und des Nicht-dazugehorens, die Erinnerung, dass jemand mit einer dunkleren Hautfarbe nicht deutsch sein kann (Terkessidis 2004, S.180/208; Kilomba 2010, S.64, Broden 2007, S.22). Die von Rommelspacher als „ldentifikationsritual“ bezeichnete Situation enttarne sich, wenn ,,das Interesse an der anderen Person meistsehrschnell erlischt, wenn Informationen im gewunschten Sinn gegeben worden sind - ihre Funktion ist erfullt und die Ordnung wiederhergestellt" (Rommelspacher 2002, S.16).

Es sind Fragen nach der vermeintlich fremden Herkunft, die Benutzung kolonialer- rassistischer Begriffe, Komplimente Oder unbewusst wertende Blicke gegenuber Menschen mit phanotypischer Differenz: in seiner Alltaglichkeit und Kontinuierlichkeit auBert sich Rassismus nicht in schlagernden Neonazis.

In Nordamerika tauchte der Begriff “everyday racism” in den 1980ern auf und impliziert,, racist practice, meaning racism as common societal behavior", welches sich in subtilen (coded) Formen genauso wie z.B. “ingrained in institutional practice (appointing friends of friends for aposition, as a result of which the workplace remains white)” niederschlagen (Essed 2006, S. 447). Spatestens seit der medialen Debatte urn #metwo (twitter.com, 2018) wird deutlich, wie viele Menschen in Deutschland von alltaglichen Spruchen, Fragen, Anfeindungen betroffen sind, von „banalen“ (Terkessidis 2004, S.10) weil subtilen Ausgrenzungserlebnissen. Durch ihre Alltaglichkeit und Kontinuierlichkeit werden Menschen erst zu „Fremden“ Oder „Auslandern“, gemacht, obwohl diese in Deutschland geboren sind Oder ihren Lebensmittelpunkt dort haben (Sow 2018, S. 126, Kilomba; vgl. auch Leiprecht 2001). ..Everyday racism is not a singular act in itself, but the accumulation of small inequities” (Essed 2006, S.448) in gesellschaftlichen Bereichen des Alltags, z.B. innerhalb des Bildung- und Beschaftigungssystem, der Polizei, der Rechtsprechung, der Representation in den Medien und der politischen Partizipation (Gomolla 2008).

Siegfried Jager pladierte als einer der ersten dafur, den Rassismus in der Mitte unseres Alltags anzuerkennen und nicht zu marginalisieren. 1992 ging er zum ersten Mai in Nordrheinwestfalen der Frage nach alltaglichen Denk- und Handlungsformen innerhalb der Bevolkerung nach und stellte fest, dass alle 37 Gesprache in einen rassistischen Diskurs verstrickt sind (Butterwegge/Jager 1993, S. S.246, Jager 1992).

Themen wie „Unbehagen an der Asylpolitik und am Asylmissbrauch", sowie Belastigungen und Kriminalitat, umfassen die negativen Aussagen zu „Fremden“ in den durchgefuhrten Interviews. Zudem bestatigt Jager, dass haufige „negativ besetzte genetische Aussagen pur“ zu auBerlichen Merkmalen und dessen Zuschreibungen vorkommen, welche sich in die Grundeinstellung der Interviewten uber Andersartigkeit der Fremden einreihen (ebd., S. 236). Besonders der Begriff „Asylant“ schien stark negativ konnotiert zu sein und lost bei den Interviewten rassistische Zuschreibungen aus (z.B. Betteln, Schmarotzen, Einbruch, Undankbarkeit). Besondere Ablehnung erfahren vor allem die Gruppen, welche vermeintlich den deutschen Wohlstand bedrohen, weshalb DDR-Deutsche/Ostdeutsche, gleichgesetzt mit ,,den Asylanten", noch vor den Gastarbeiter_innen abgelehnt und verurteilt werden.

Die rassistischen Vorurteile haben seitdem an nichts eingebuBt, allerdings auBern sie sich aufgrund der offiziellen Achtung ab der Mitte des 20. Jahrhunderts in anderen Spielarten (Broden/Mecheril 2010, S.15). Das dichotome Verhaltnis zwischen „wir“ und „die“ steht sinnbildlich fur die Homogenisierung und Abgrenzung zur anderen Gruppe. (Decker, Kiess Brahler2016; Foroutan, Canan, Arnold, Schwarze, Beigang & Kalkum 2014, S.7)

Die Verbalisierung von inneren Einstellungen und Vorurteilen gegenuber anderen in Interaktionen ist dabei oft nur der Vorlaufer struktureller Oder institutioneller Diskriminierung. Wenn PoC beispielsweise gelobt werden, dass sie gut deutsch sprechen (vgl. Abb. 4), dann entspricht dieses „Kompliment“ der Annahme, dass Menschen, die nicht dem Normdeutschen Bild entsprechen, nicht deutsch sein konnen, die Sprache also nicht gut beherrschen konnen, ungeachtet der Tatsache, dass in Deutschland auch deutsche PoC seit mehreren Generationen leben. Es sind die vermeintlich netten Worte, die den Gegenuber kontinuierlich zu einem Auslander, einer Auslanderin stigmatisieren.

Abbildung 6: Twitter-Post (anonymisiert)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Auf meine Bewerbung hin "Ich rufe nur an, weil ich mal wissen wollte, wie ihre Deutsch- Kenntnisse sind" Ich: "Haben Sie meinen Lebenslauf nicht gelesen? Ich wurde hier geboren, bin hier zur Schule gegangen" Er: "Ihr Name ist aber auslandisch." #metwo

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 7: Twitter-Post (anonymisiert)

Die verbale Grenzziehung geht zudem oft einher mit einer institutionellen (vgl. Abb. 7): Wenn Lehrer_innen Kindern unterschatzen, ihnen aufgrund zugeschriebener schlechter Deutschkenntnisse keine Gymnasialempfehlung aussprechen, Probleme kulturalisiertwerden bzw. wenn Mehrsprachigkeit immer noch als Defizit der Familie - trotz des Paradigmenwechsels anstatt als Kompetenz und Zugewinn an deutschen Schulen gewertet wird „werden Bildungskarrieren gehemmt Oder gar gestoppt" und gefordert wird im Umkehrschluss die Reproduktion der (weiBen) Elite (Gomolla 2005; Furstenau/Gomolla 2009) Gleichzeitig vermitteln Lehrer_innnen durch ihre Vorbildfunktion den Schuler_innen, dass solch diskriminierendes Verhalten geduldet und akzeptiert wird, also als Erlaubnis sich genauso zu verhalten (vgl. Jennessen/Kastirke/Kotthaus 2013).

Neben der Wohnungssuche istvor allem derZugang zum Arbeitsleben durch Diskriminierung erschwert. Studien der Antidiskriminierungsstelle des Bundes weisen u.a. darauf hin, dass muslimische Migranten und besonders Migrantinnen auf dem Arbeitsmarkt benachteiligt werden (Peucker 2010, S.23). Die institutionelle Diskriminierung durch Schule und auf dem Arbeitsmarkt bedeutet dementsprechend „weniger Zugang zu Ressourcen und weniger Chancen zur Teilhabe an der Gesellschaft" (Rommelspacher 2009, S.29).

Des Weiteren zahlt die Antidiskriminierungstelle des Bundes das ..Racial Profiling" (Cremer 2013) und das Versagen der Polizei im jahrelangen Aufklarungsprozess urn die rechtsextrem motivierten NSU-Morde zu Beispielen institutioneller Diskriminierung in Deutschland. Die Aufklarung wurde von stereotypen Annahmen geleitet, rechtsextreme Spuren wurden zunachst nicht verfolgt, stattdessen wurden die Opfer und ihre Angehorigen zu Tatern gemacht. In einer Beispiellosigkeit fordert diese als ,,Doner-Morde" bezeichnete Verbrechen zutage, wie Polizei, Verfassungsschutz und Medien in rassistische Diskurse verstrickt waren und wie Opfer und Angehorige diffamiert und diskriminiert wurden.

„Donermorde“ - als ich dieses Wort das erste Mal in den Nachrichten horte, dachte ich: wie sehr kann eine Gesellschaft einen Menschen eigentlich noch verachten? Ich habe mir vorgestellt, wie auch die Mutter der Mordopfer vor dem Fernseher sitzen. Haben diese Frauen einen Doner auf die Welt gebracht? (Idil Baydar im Spiegel 31/2018 S.21)

2.3.1 Exkurs: Rechtsextremismus, Rassismus, Auslanderfeindlichkeit

Mecheril (2007) kritisiert, dass die Bundesregierung zwar der Rassismusbekampfung ,,als gesamtgesellschaftliche Daueraufgabe" den Kampf ansagt, andererseits abertrotz deutlichen rassistischen Motiven Rassismus nicht benannt Oder sogar negiert wird, bzw. mit Rechtsextremismus gleichgesetzt wird.

Auch die „Mitte“ Studien der Autoren Decker, Kiess, die seit 2002 alle zwei Jahre deutsche Staatsburger_innen mit Standardfragebogen zu ihrer politischen Einstellung befragen, vermeiden es, von Rassismus (als eigenstandigem Phanomen) zu sprechen; die Untersuchungsgegenstande werden mit„Ethnozentrismus“, „ldeologie der Ungleichheit" Oder einem „rechtsextremen Vorurteil gegenuber Juden und Muslimen" umrissen. Obwohl Rassismus hier wohl in einem engeren Verstandnis (vgl. Scherschel 2008) als Komponente von Rechtsextremismus begriffen wird, wird erst im Zusammenhang mit den Brandanschlagen auf Migrant_lnnen in den 1990er Jahren - der Entstehungsgrund der Studie - Rassismus erwahnt bzw. als Synonym fur Rechtsextremismus benutzt: „Dieser sichtbare Rassismus warf die Frage auf, wie weit verbreitet und wie stark ausgepragt die rechtsextreme Einstellung in der Bevolkerung ist.“ (Decker, Kiess, Brahler2016, S. 14)

Die „Mitte“, welche „Schutzraum der Demokratie" sein soil, biete „ein groBes antidemokratisches Potential", warnen die Autoren der Studie. (ebd. S.15) Mit dem Begriff „Mitte (der Gesellschaft)" soil signalisiert werden, dass sich rassistische Oder rechtsextreme Gesinnungen auch „mitten unter uns“, in den demokratisch wahlenden, akademischen Kreisen befinden (ebd. S.110) und nicht nur unter ,,sozial depravierten Jugendlichen" (Scherschel 2008, S. 2028). Angesichts der Zentrierung von Rassismus im Hinblick von rechtsextremen Ideologien wurde aber genau der Blick auf die ,,Mitte“, die sich eher durch moderne, latente Rassismen auszeichnet, versperrt, so Brodkorb (2005, S.64 nach Scherschel 2008).

Die Tendenz in der Bundesrepublik „Rassismus“ zu negieren, bzw. nur im Kontext des Nationalsozialismus zu begreifen, ist problematisch (vgl. auch Fechler2003, van Dijk 1993). Folge dieser Tabuisierung ist, dass eine gesellschaftliche Auseinandersetzung mit dem subtilen, alltaglichen Rassismus und seine Bekampfung ausbleibt (vgl. Kapitel 2.3.1). Zudem unterscheiden sich Rassismus und Rechtsextremismus dadurch, dass ersterer ein gesellschaftlich verankertes Phanomen ist, „das Werte Normen und Praxen" (Rommelspacher 2009, S.29) pragt, wohingegen Rechtsextremismus als politische Ideologie fungiert, welche die Hierarchisierung der Nationen bzw. „Volker“ als gegeben betrachtet und auf die Schaffung „ethnisch“ homogenerVolkerabzielt. Einweiteres Merkmal von Rechtsextremismus istzudem die Ablehnung der Demokratie und die Orientierung am Nationalsozialismus. Das rechtsextreme Weltbild beinhaltet also neben diversen -ismen den Rassismus und den Antisemitismus (Jascke 2006; Kiess, Decker, Brahler 2015).

Das hei&t im Umkehrschluss, dass alle Rechtsextremen eine rassistische Orientierung haben, aber nicht alle Rassisten rechtsextrem sind (Rommelspacher 2009, S.29). Wenn also Rechtsextremismus und Rassismus in der Forschung als Aquivalent betrachtetwerden,

[...] wirdnegiert, dass Rechtsextremismus nur die Spitze des rassistischen Eisberges ist, die ohne Ruckhalt in der Gesellschaft schmelzen musste. Rassismus auf Rechtsextremismus zu reduzieren, hei&t, die gefahrliche allgegenwartige und komplexe Verankerung des Rassismus in der bundesdeutschen Gesellschaft zu bagatellisieren. (Arndt/Hornscheidt 2009, S. 15)

Dass Stereotype und Diskriminierungen kein ausschlie&liches Phanomen des Rechtsextremismus sind, sondern strukturell-institutionell sowie in subjektiven Denk- und Handlungsweisen vorhanden ist, fundieren die vorausgegangenen Studien und Erorterungen (vgl. auch Van Dijk 1987, 1993; Jager 1992).

Des Weiteren erfolgt die Messung von Auslanderfeindlichkeit innerhalb der Studie uber stereotypen Aussagen uber Auslander wie die Ausnutzung des Sozialstaates, Arbeitsplatze und Uberfremdung durch Auslander. Der Begriff „Auslanderfeindlichkeit“ fur solche Diskriminierungen ist deshalb irrefuhrend, da mit den Diskriminierungen besonders Turken, Araber, Frauen mit Kopftuch zu kampfen haben und nicht Amerikaner, Franzosen, Englander (Walgenbach 2005, S.377). Zugleich charakterisiert „Feindlichkeit“ nicht die Diskriminierungen, welche die Grenze in „Wir“ und „Die“ in „freundlichem Gestalt" ziehen (Kalpaka/Rathzel 1986, S.32).

Zusammenfassend ist anzumerken, dass die vielfach irrefuhrenden Oder verharmlosende Begriffe auch dazu beitragen, dass Dominanzverhaltnisse nicht angesprochen werden und auf diese Weise konserviert werden (Mecheril 2007, S.14).

2.3.2 Normalisierung von Rassismus

Vor dem Hintergrund dieser Studien lasst sich die eingangs zitierte „(symbolische) Ordnung" erklaren, welche durch die Frage nach der vermeintlichen Herkunft wieder etabliert zu sein scheint. Das Gegenuber bestatigt schlieBlich die Fremdheitsvermutung des Fragenden und wird also symbolisch als Fremde_r, als nicht zugehorig markiert, weil ein „imaginares Wissen uberZugehorigkeit und Identitat" in Deutschland existiert (das uber phanotypische Differenzen ausgehandelt wird) (Mecheril 2007, S.7).

Diese Ausschlussmechanismen, die strukturell - institutionell Oder individuell erfolgen, verweisen Menschen auf ihren Platz, der fur sie vorgesehen ist und durch den die „symbolische und materielle Ressourcen- und Machtverteilung" bestimmt ist (Broden/Mecheril 2010, S.16). Neben dem Zugang zu Bildungs- und Arbeitsressourcen wird mit der der symbolischen Machtverteilung geregelt z.B. welche Bedeutung Menschengruppen in der Gesellschaft haben, welchen Raum sie einnehmen durfen, welche Anliegen gehort werden und wer zum Schweigen gebracht wird, also wer Reprasentationsmacht besitzt (Rommelspacher 2009, S.29).

Wenn die unterdruckten Minderheiten Anspruch an Teilhabe und symbolischer Macht erheben, also soziale Ungleichheit abgeschafft werden soil, regt sich Widerstand. Als z.B. die muslimischen Migrant_lnnen, die sogenannten Gastarbeiter_innen, in die Bundesrepublik gerufen wurden und die neue Unterklasse bildeten, konnten die Einheimischen auf ihren Rucken aufsteigen (ebd). Wenn nun die selbstbewussten, gebildeten Nachfahren dieser Generation in die offentlichen Raume drangen, Teilhabe und Zugang zu Ressourcen fordern, regt sich Widerstand bei der privilegierten Bevolkerung gegen diese „neue“ Konkurrenz. Wahrend Hinterhofmoscheen und Putzfrauen mit Kopftuch geduldet wurden, entzundete sich beim Eindringen in den offentlichen Bereich z.B. beim Moscheebau in der Stadt Oder der Lehrerin mit Kopftuch eine Debatte und verweigert Muslim_innen symbolische Anerkennung und Teilhabe (Shoomann 2014; Foroutan, Canan, Arnold, Schwarze, Beigang & Kalkum 2014, S.74, Broden 2007, S.22).

Diese Struktur in der deutschen Gesellschaft, in der Migranten_innen, PoC, Schwarze Menschen alltaglicher individueller und strukturell-institutioneller Diskriminierung ausgesetzt sind, ist nach Mecheril (2007; vgl. Auch Broden/Mecheril 2010) normalisiert:

Der Ausdruck Normalisierung macht hierbei auf Prozesse der Herstellung dieser Ordnung und das heiRt der Herstellung als legitim geltender Herrschaftsverhaltnisse, also auf die Herstellung institutionalisierter, eine gewisse Dauerhaftigkeit aufweisender, temporar verfestigter, strukturierter, und strukturierender sozialer Verhaltnisse aufmerksam, in der die Moglichkeiten wechselseitiger Einflussnahme (Macht) asymmetrisch verteilt sind. Herrschaftsverhaltnisse, auch rassistische, sind durch eine Art Selbstverstandlichkeit charakterisiert, die sie als gelebte und auf eine verfestigte, vergewohnende Geschichte zuruckblickende Realitat asymmetrischer Beziehungen ein Stuck ,naturlich' erscheinen lassen.“ (Broden/Mecheril 2010, S.18)

Es wurde deutlich, dass Rassismus als Verflechtung von strukturellen, institutionellen und individuellen Ausgrenzungsmechanismen, welche Zugehorigkeit Oder Differenz produzieren, alltaglich ist. Das ,,rassistischen Wissen" (Terkessidis 2010), welches seit dem Kolonialismus besonders durch Massenmedien gesellschaftlich tradiert und internalisiert, beeinflusst, wie wir die Welt wahrnehmen und beurteilen.

Ahnlich funktioniert die Normalisierung von Rassismus in einer Gesellschaft, in der rassistisches Verhalten unbewusst, latent und alltaglich in gesamtgesellschaftliche Strukturen eingeschrieben ist, wodurch auch Gewohnungseffekte und Abstumpfung eintreten konnen (Mecheril 2007, S. 4; vgl. auch Broden/Mecheril 2010, S.13; Terkessidis 2004, S.10; Scherschel 2008, S.2028). So ist auch die Diskrepanz zwischen der Wahrnehmung von Rassismus vonseiten ethnischerMinderheiten und derMehrheitsgesellschaftzu erklaren (z.B. bei Untersuchungen an deutschen Hochschulen vgl. Gaitanidis und Kirchlechner 1996; Nave- Herz 1994 zit. n. Rommelspacher 2002, S.18). Auch vermeintlich tolerante und sogar antirassistisch engagierte Gruppen sind nicht frei von „rassistischen Effekten", so u.a. die Ergebnisse der Studie..Rassismus widerWillen" von Anja WeiB (2001; vgl. auch Foitzik2007). Das wurde bestatigen, „dass rassistisches symbolisches Kapital Interaktionen auch gegen die Absicht der Handelnden beeinflusst" (ebd, S. 314). Der alltagliche Rassismus ist gerade deshalb so gefahrlich, weil er ohne beabsichtigtes rassistisches Handeln, durch .unschuldige' Worte und Taten, Machtverhaltnisse bestatigt und aufrechterhalt (Broden 2007, S.21) Rassistische Normalitat ist aber nicht nur gekennzeichnet durch Alltaglichkeit fur die Betroffenen, Unbewusstheit und Unsichtbarkeit fur die Mehrheitsgesellschaft; Rassismus knupft auch an Normalitatsvorstellungen an in dem Sinne, dass Mitglieder einer bestimmten (Mehrheits)gruppe sich in ihrem Selbstverstandnis als normal begreifen durfen (Rommelspacher 2002, S.18). Diesen Perspektivenwechsel auf die weiBe Mehrheitsgesellschaft und ihre Privilegien vollziehen die (Critical) Whiteness studies. WeiB- sein als Normalitat auBert sich prototypisch darin, dass sich WeiBe immer als zugehorig bzw. reprasentiert fuhlen. “Everywhere we look, we see our own racial image reflected back to us - in our heroes and heroines, in standards of beauty, in our role-models and teachers, in our textbooks and historical memory, in the media, in religious iconography including the image of god himself” (DiAngelo 2011, S.62). Die Nicht-Benennung von WeiBen, wohingegen andere als schwarz, farbig benannt werden, steht sinnbildlich fur Normalitat (Hill Collins 1996 zit. N. Rommelspacher 2002, S.17), denn nur was Ab-normal erscheint, muss als solches benannt werden. McIntosh (1988) beschreibt, wie weiBe Menschen ihren Standpunkt als objektiv und reprasentativ fur die ganze Menschheit wahrnehmen, wohingegen PoC niemals als ,just people' wahrgenommen werden, sondern immer speziell als Schwarze, Asiaten, usw. - also als Vertreter ihrer jeweiligen „racialized expierences". WeiBe konnen/wollen nicht wahrhaben, dass das WeiBsein an sich auch mit einer bestimmten Weltsicht verknupft ist, dass sie genauso „rassifiziert“ sind (McIntosh 1988; S.59; Hornscheidt2005, S.482).

Wahrend die Normalitat des Rassismus- im Sinne alltaglicher Erfahrungen und im Sinne des als ,gultig' geteilten Wissens - fur sie eine vielfach problematische, restriktive Normalitat bedeutet, kann die rassistische Normalitat fur jene fur die sie nicht zur alltaglichen Herausforderung wird, als Teil von ,unproblematischer' Normalitat in einem Rahmen priviligierter Selbstverstandlichkeit unsichtbar bleiben. (Scharathow 2018, S.178)

2.3.3 Abwehrmechanismen gegen Rassismus

Das Benennen von Rassismen in der deutschen Gesellschaft, wie beispielsweise in der #metwo Debatte fuhrte besonders in den Sozialen Medien zu Abwehrmechanismen. Die Erlebnisse werden als Einzelfalle abgetan, an den rechten Rand gedrangt (vgl. Kapitel 2.3.1) und Betroffene werden mithilfe der Tater-Opfer-Umkehr zum Schweigen gebracht. In diesen Fallen „verlagert sich die Aufmerksamkeit von den konkreten Rassismuserfahrungen weg auf die Vorstellung, beschuldigt zu werden", so Messerschmidt (2010, S.42). „Rassismus selbst erscheint dabei irreal und wird zu einer Bezeichnung fur stets unberechtigte Vorwurfe." In der Form des „victim-blaming“ werden Betroffene fur ubersensibel, empfindlich Oder schuldig erklart (Arndt 2005, S.347). Verweigerungsmuster lassen sich aber auch bei Menschen finden, die es als „graceful, even generous, liberal gesture" empfinden, nicht uber ,,race“ zu sprechen und vorgeben, nur den Menschen und nicht die Hautfarbe zu sehen (Morrison 1992, S.9-10).5

Van Dijk (1993) der die Abwehrmechanismen von Rassismus auf individueller, medialer und politischer Ebene untersucht hat, stellt fest, dass, die folgenden Strategien in ahnlicher Art und Weise „at any social level, and in any social context” zu finden sind. Neben der positiven Selbstreprasentation analysierte er u.a. “denial and counterattack”, “moral blackmail”, “mitigation”, “defence and offence”, “to play down, trivialise or generally to mitigate the seriousness, extent or consequences of one’s negative actions” als Abwehrstrateg ien fur Rassismus (S.116-180).

Gemein ist diesen Haltungen, dass sie das Sprechen und den Diskurs uber Rassismus verhindern. Vor dem Hintergrund von Rassismus als internalisierte, gesellschaftlich verankerte Normalitat der Ungleichheit, welche tagtaglich in alien gesellschaftlichen Bereichen verbal, Oder nonverbal manifestiert wird, bzw. reproduziert wird, ist ein differenzierter Blick auf Rassismus erforderlich. Die Distanzierung von Rassismus und der eigenen rassistischen Verstricktheit, die zur Folge die Aufrechterhaltung des rassistischen Status quo bedingt, wird deshalb in der vorliegenden Arbeit auch als Rassismus betrachtet. Besonders wenn fuhrende Politiker_innen und die Medien das Problem leugnen, bzw. marginalisieren (ahnlich wie beim NSU - Prozess), wird ein offentlicher Diskurs verweigert und folglich findet auch kein Umdenken innerhalb der Bevolkerung statt, so van Dijk (1992, S.96)

Die Anerkennung des gesellschaftlichen Rassismus innerhalb der Mitte ist einerseits deshalb so schwer, weil Rassismus nur im Zusammenhang mit der Ara des Nationalsozialismus gedacht worden ist und mit seiner Beendigung gleichzeitig das Rassismusproblem gelost schien. Die Abspaltung von seiner kolonialen Wurzel und die alleinige Verknupfung mit der Ara des Nationalsozialismus mit dessen Beendigung auch das Kapitel des Rassismus geschlossen schien, hemmt die Anerkennung eines gesellschaftlich verankerten Rassismus (Messerschmidt 2007, 2010). Andererseits: Wenn demokratische Lander Werte wie Freiheit, Gleichheit und Bruderlichkeit predigen und in ihren Gesetzen vertreten, einen gesellschaftlich verankerten Rassismus anerkennen, wurden sie sich in ihren Grundwerten widersprechen. Urn eine positive Selbstreprasentation (Face-keeping) zu wahren, ist es nach van Dijk (1992) einfacher, Rassismus zu leugnen Oder als Einzelfalle zu deklarieren als die eigene Unvollkommenheit/Schwache einzugestehen (vgl. auch Rommelspacher 2002, S.24). Und “If tolerance is promoted as a national myth,[...], it is much more difficult for minority groups to challenge remaining inequalities, to take unified action and to gain credibility and support among the (white) dominant group.” Das Wegreden von Rassismusvorwurfen als Uberempfindlichkeit, Ubertreibung etc. erschwertden Kampf gegen die Machthierarchien also zusatzlich (ebd., S.95).

Das Sprechen uber Rassismus wurde nicht nur eine Desillusionierung des Mythos der toleranten Nation nach sich ziehen, sondern in der Konsequenz eine Auseinandersetzung mit symbolischen und materiellen Ungleichwertigkeiten und Privilegien und derer die sie genie&en, bedeuten (Mecheril 2007, S.14; ) So vertritt die kritische WeiBseinforschung die Annahme, dass die Leugnung von Rassismus einer Leugnung von WeiBsein bzw. dem Schutz vor einer kritischen Reflexion von WeiBsein und der dazugehorigen Privilegien gleichkommt (Arndt 2005, S.347). “Verantwortung fur die Geschichte eigener Privilegiertheit zu ubernehmen, hei&t zunachst, diese Priviligiertheit uberhaupt wahrzunehmen.” (Messerschmidt 2010, S.44).

Gesellschaftliche, politische und kulturelle Formationsprozesse fu&en auf einem historischen Rassialisierungsprozess, bei dem Wei&sein eine hegemoniale Rolle zukommt. Diese Hegemonien konnen nicht einfach nur dadurch uberwunden werden, dass sie negiert oder ignoriert werden. Im Gegenteil: Wenn Wei&sein entnannt wird, werden auch die sozialen Positionen, Privilegien, Hegemonien, Rhetoriken verleugnet, die an WeiRsein gebunden sind, und wird den Ausgrenzungs- und Gewalterfahrungen, die Schwarze und People of Color durch WeiRe real erleben, keine Rechnung getragen. Dadurch wird WeiRsein nicht nur verstarkt, und naturalisiert, zudem bleibt sein Status als “unmarked marker” und “unsichtbar herrschende Normalitat” unerschuttert. (Arndt 2005, S.348).

3. Die empirische Studie

Ausgehend von den theoretischen Abhandlungen der vergangenen Kapitel soil nachfolgend die eigene Studie vorgestellt, durchgefuhrt und mit den bestehenden Theorien verknupft werden.

Das Erfassen von Rassismus im Sinne von internalisierten Denk- und Handlungsmuster ist mithilfe von standardisierten Fragebogen Oder Interviews nur bedingt moglich, da sich die Probanden diesen Strukturen mehrheitlich nicht bewusst sind. Zudem ist durch die in den meisten gesellschaftlichen Milieus vorherrschende Achtung von Rassismus eine Hemmung vorhanden, sich selbst als Rassist_in zu outen. Es ist also eine Methode erforderlich, welche tabuisierte und zugleich unbewusste Strukturen erfasst.

Die dokumentarische Methode - die ich fur mein Vorhaben gewahlt habe - zielt in der Interpretation darauf ab, hinter die soziale Wirklichkeit zu schauen und darunter verborgene Strukturen, Praxen zu erfassen. Bezuglich meines Forschungsfeldes interessiertmich namlich nicht, was gesagt wird, sondern wie sich mit den verbalen Au&erungen rassistische Abwehrmechanismen im Sinne von Strukturen und Handlungspraxen offenbaren. Die Datenerhebung erfolgt mit zwei Gruppendiskussionen, welche den aktuellen Diskurs widerspiegeln sollen.

Da die qualitative Sozialforschung eine adaquate Deskription des Forschungsgegenstandes verlangt, erfolgt in diesem Kapitel zunachst die detaillierte Beschreibung und Begrundung der Datenerhebung, der Materialaufbereitung und der Auswertung, sowie des Samples immer in Bezug auf mein Forschungsinteresse und die Schwachen und Starken der einzelnen Methoden. Das Kapitel danach schildert das Vorgehen bzw. die Durchfuhrung der Studie und widmet sich vor allem der Auswertung anhand mithilfe der Dokumentarischen Methode mit ihren einzelnen Schritten. AnschlieBend wird in Kapitel 3.5 die Diskursorganisation und die Horizonte vorgestellt und im Anschluss daran diskutiert.

3.1 Methoden

Als erstes wird die Methode der Gruppendiskussion beschrieben und auf den gegenstandsangemessenen Einsatz uberpruft. Um optimale - und damit reichhaltige- Untersuchungsergebnisse zu gewahrleisten, wird auch analysiert, welche Faktoren die Qualitat der Gruppendiskussion beeinflussen und welche Handlungsanweisungen dahingehend folgen. Als zweiter Schritt folgt die Aufbereitung der Daten, bei der die Aufzeichnung der verbalen Daten und deren Transkription diskutiert werden, bevor als letzter Punkt das Auswertungsverfahren erlautert wird.

3.1.1 Erhebung

Die Uberlegungen, die zur Entscheidung fur Oder gegen eine bestimmte Methode fuhren, sollten das Forschungsinteresse, also die Fragestellung, betreffen (Loos/Schaffer 2001, S.39). Zum Beispiel eignet sich fur die Erfassung von biographischen Fragen und einer Fokussierung auf individuelle Erfahrungsraume eher das (narrative) Einzelinterview, wohingegen sich die Gruppendiskussion v.a. durch die Erhebung von „kollektiven Phanomenen", d.h. Einstellungen, die sich kollektiv konstituieren, (ebd., S. 9) auszeichnet. Die Entscheidung fur die Gruppendiskussion ist dem Forschungsinteresse geschuldet, welches rassistische Orientierungen des Alltagsdiskurses rekonstruieren mochte. Aufgrund der wechselseitigen Bezugnahme der Teilnehmer_innen konnen sich Gruppengesprache mit Bekannten hochschaukeln und auch unreflektierte Beitrage zu tage bringen, die bei einem Interview mit nur einer Person zensiertworden waren. Diese Beitrage legen dann “alltagliche Sinnstrukturen” offen, weshalb sich diese Methode auch fur die Erhebung von kollektiven Vorurteilen und Ideologien bewahrt hat (Mayring 2002, S.77).

Die Wahl der dokumentarischen Methode als Auswertungsverfahren bedingt die Ausfuhrung der Erhebungsmethode. Da der konjunktive Erfahrungsraum untersucht werden soil, ist der Fokus in der Gruppendiskussion auf Selbstlaufigkeit zu legen, nur so konnen die Teilnehmer_innen “uns zeigen, wo das jeweilige Zentrum, der jeweilige Fokus ihres gemeinsamen Erlebens und damit der Kollektivitat zu suchen ist, von dem her sich dann der Erfahrungsraum der Gruppe, der Kollektivitat am sichersten interpretieren lasst" (Bohnsack 2014, S.43) Die Au&erungen der Teilnehmer_innen flie&en durch den gegenseitigen Bezug und die wechselhafte Steigerung innerhalb des Gesprach ineinander und kristallisieren die kollektive Meinung heraus, welche anschlie&end mit dem rekonstruktiven Verfahren analysiert wird.

Die Gruppendiskussionsleitung

Dementsprechend ist das Ziel der Gruppendiskussionsleitung (GDL) einen Diskurs zu initiieren, d.h. sich an das oberste Gebot der Selbstlaufigkeit zu halten (Bohnsack 2014, S. 226f). Um dies zu gewahrleisten, soil immerdie gesamte Gruppe adressiertwerden und keine Einzelpersonen, genauso findet kein Eingriff in die Verteilung der Redebeitrage statt, auBer es kommt zu einem „Erloschen“ des Diskurses (Bohnsack 2014, S.227). Die demonstrative Vagheit der Fragen und die offene Ausgangsfragestellung seitens der Diskussionsleitung sind angelehnt an die Grundhaltung der Wissenssoziologie und der Phanomenologischen Soziologie und sollen „milieuspezifische Fremdheit und Unkenntnis" demonstrieren. Zudem sollen die Teilnehmer_innen nicht in ihrem Diskussionsverlauf gelenkt werden. Anfangs sollte sich die Forscherin auf immanente Fragen reduzieren, wohin gegen Ende neue Themen aufgeworfen und sogar in der „direkten Phase" Widerspruchlichkeiten direkt aufgegriffen werden konnen, so Loos und Schaffer (2001, S.51f).

Die Offenheit und Selbstlaufigkeit des Verfahrens, welche auf der einen Seite einen Vorteil fur bestimmte Forschungsinteressen der qualitativen Forschung darstellt, tragt auf der anderen Seite auch zu einer gewissen Unkontrollierbarkeit bei. Da die Teilnehmer_innen selbst den Diskussionsverlauf und die Themenwahl bestimmen, ist es die Aufgabe der Diskussionsleiterin an adaquaten Stellen einzugreifen, falls es zu einer extremen Abschweifung des Themas kommt. Jedes Eingreifen erfordert allerdings ein wohluberlegtes Abwagen, da in den naturlichen Diskussionsverlauf eingegriffen wird. Die Rolle der Forscherin im gesamten Forschungsprozess wird explizit in der Reflexion des Forschungsprozesses in Kapitel 4.1 aufgegriffen.

Beschreibung und Begrundung des Impulses

Der Eingangsimpuls fur die Gruppendiskussion ist eine Szene aus der Netflix-Serie „Dear White People" (Simien 2017, 18:14 min.) und zeigt einen Konfliktzwischen einem WeiBen und einem Afroamerikaner auf einer Hausparty innerhalb eines Elite-Campus in den USA. Die Beiden sind befreundet Oder zumindest bekannt und tanzen gemeinsam, nachdem sie in einem Quiz gegen ein anderes Team gewonnen hatten. Ausloser der Diskussion ist das Mitsingen des N*-Wortes des WeiBen in einem Rapsong (Trap N*), worauf der Schwarze ihn bittet, das Wort nicht mitzusingen.

Im Folgenden also der (deutsche) Dialog der sich daraufhin zwischen dem Schwarzen (S), einer Freundin des Schwarzen (F) und dem WeiBen (W) entwickelt. Fur eine bessere Lesbarkeit habe ich die Aussagen von (S) fett gedruckt.

S: Ey Komm schon, Mann, sag das nicht.

W: Komm schon, du weiBt, dass ich das Wort sonst nicht benutze.

S: Jaaa man, Ich weiB (.) grad hab ich aber gehort, dass du‘s gesagt hast.

F: und jetzt macht er‘s nicht mehr und wir haben heute Abend alle etwas gelernt S: hehe (lacht)

Kurze Pause

W: es ist also nicht ok, wenn ich wiederhole, was in dem Song gesagt wird?

S: Alter? Ernsthaft?

W: Ich weiB, tut mir leid- [Pause, Sie tanzen]

W: Aber denkt ihr, ich bin ein Rassist?

F: Keiner sagt du bist ein Rassist.

S: Sag einfach nicht N*, du kannst die Stelle doch auslassen.

W: Ich schatze es fuhlt sich nur komisch an, mich selber zu zensieren S: Uhhh (.) es fuhlte sich komisch an, dich das sagen zu horen. Wie wurdest du dich fuhlen, wenn ich Lieder mitrappe und Sachen schrei wie „WeiBkeks“ (honkey) Oder Draggesicht (cracker)?

W: (lacht) das ware mir sowas von egal.

S: genau! Das ist der Unterschied. Die Tatsache, dass er diregal ist und mir nicht.

Also (.) verstehst du?

Ein Bekannter des WeiBen (B) mischt sich ein: Reggie zettelt einen Streit uber Rassismus an, ich bin schockiert.

W: Kurt, alles gut (.) ich mag es nur nicht als Rassist bezeichnet zu werden.

F: Ich wiederhole: Er hat nie gesagt, dass du ein Rassist bist. Er hat nur gesagt: Sag nicht dieses Wort!

W: Ich bin nicht irgend n redneck! Denkst du das von mir, Reggie?

B: ja Reggie, du bezeichnest deinen Freund als Rassist und bist dann uberrascht, dass ihn das verargert?

S: Ja wir sind Freunde (.) und deshalb soil ich dir fur das Wort N* n Freibrief ausstellen?

W: Ich habe nichts falsch gemacht. Verdammt, das istTeil des Songs, soil ich ihn etwa summen?

S: Ja, N*

B: Komm schon Reggie, nicht dass er seine weiBen Privilegien benutzt, urn Schwarze Kunst zu verfalschen

W: Komm schon Mann, ich hab dich gut behandelt. Du bist auf einer Party in meinem Haus, trinkst meinen Aik und jetzt greifst du mich an? (.) das ist (.) Kann man denn nicht einfach mal SpaB haben?

S: Uhhh tut mir leid, Master! Wir wollten dir nicht den SpaB verderben.

W: Master? Zuruck zur Sklaverei. Bei euch geht’s immer urn die Sklaverei.

S: Okay. Jetzt bezeichne ich dich als Rassisten.

Die Entscheidung fur den Filmausschnitt als Anfangsimpuls ist darin begrundet, dass innerhalb der Filmszene mehrere Fragen bzw. Propositionen im Raum stehen. Ein eindeutiger propositionaler Gehalt wurde die oberste Pramisse der Selbstlaufigkeit und Offenheit einschranken und sollte daher vermieden werden (siehe 3.1.1) Die Gruppe entscheidet also selbst, wie sie die Situation im Film wahrnimmt und daran anknupft.

Auch die „Fragestellung“ danach ist demonstrative vage gehalten und knupft damit an das Prinzip der Selbstlaufigkeit an (Bohnsack 2014, S.226). Sie beinhaltet lediglich die Aufforderung, das Gesehene zu beschreiben.

Des Weiteren wird hier durch die nicht bezeichnende Verwendung des N*-Wortes eine kontroverse Thematik angesprochen, wodurch Abwehrmechanismen wie Leugnen, Relativieren, Verharmlosen etc. zu trage treten konnten. Diese stehen im Mittelpunkt meiner Untersuchung. Wie setzt sich die Gruppe also mit der Szene, mit Rassismus, auseinander und wie verhalt sie sich dazu?

3.1.2 Aufbereitung

Grundsatzlich beinhaltet die Aufbereitung das Festhalten, Aufzeichnen, Aufbereiten und Ordnen von Datenmaterial und fungiert daher als Brucke zwischen der Erhebung des Materials und dessen Auswertung. Das Ereignis der Gruppendiskussion wird so reduziert und abstrahiert, dass es moglich wird, „der Realitat Informationen zu entlocken" (Mayring 2002, S.85), welche als Text die Ausgangslage fur die darauffolgende Auswertung dient. Abhangig vom Darstellungsmittel findet dabei allerdings immer eine Ausblendung von ,,haptischen, atmospharischen und visuellen Dimensionen” statt. Als Forschende muss ich mir daher bewusst sein, dass mit der sequentiellen Reduktion des ursprunglichen Materials durch Aufzeichnung und Transkription bereits in den Arbeitsschritt der Interpretation eingegriffen wird (Loos/Schafer 2001, S. 55). Vor allem die Wahl der Darstellungsmittel und der Protokolliertechniken sollten nach Mayring (2002, S. 85) grundlich diskutiert werden, urn eine gegenstandsadaquate Deskription zu garantieren. Auch sollten die Darstellungsmittel dem Gegenstand angemessen und moglichst vielfaltig sein (ebd., 2002, S. 87). Auf dereinen Seite ware in Bezug auf die Vielfalt der Darstellungsmittel eine audiovisuelle Darstellung ideal, da sowohl verbale, prosodische wie auch nonverbale Au&erungen aufgezeichnet werden konnen. Besonders bei einer kontroversen Diskussion sind subtile nonverbale MeinungsauBerungen, wie z.B. schmunzeln, Augenrollen, Verschrankungen der Arme etc. zu erwarten. Auf der anderen Seite konnten Filmaufnahmen die Teilnehmer_innen verunsichern. Auch mit Blick auf den Umfang meiner Arbeit und den minimalen Mehrwert der Filmaufnahmen nehme ich in Kauf, nur die verbalen Au&erungen mit einem Aufnahmegerat aufzuzeichnen. Bei der wortlichen Transkription richte ich mich nach den Transkriptionsrichtlinien von Bohnsack (2014, S.253) welche neben den verbalen Au&erungen auch Betonungen, Pausen, Lachen und Uberlappungen kennzeichnen.

3.1.3 Auswertung

Die Auswertung erfolgt angelehnt an die Dokumentarische Methode, welche zu den Methoden der rekonstruktiv-qualitativen Sozialforschung zahlt. Rekonstruktive Verfahren zielen darauf ab, unter dem empirischen Material liegende implizite Muster zu analysieren, diese also rekonstruieren. Die wesentlich von Bohnsack etablierte Methode soil Einblicke in “konjunktive[n] Wissensbestande auf der Grundlage von Gemeinsamkeiten der Sozialisationsgeschichte” geben (Weller/Pfaff 2013, S.57), also handlungsleitendes Wissen innerhalb eines Milieus betrachten. Dabei interessiert schlussendlich nicht das was, Oder warum sich die Au&erung bzw. Handlung vollzieht, sondern die Frage nach dem wie, “dem der Praxis zugrundeliegenden Habitus” (Bohnsack 2014, S.18).

In analoger Weise setzt sich auch die moderne Kulturwissenschaften mit dem Kulturbegriff auseinander, den beispielsweise Hansen (2011) als kollektives Muster im Denken, Fuhlen und Handeln beschreibt und den Menschen als Schnittpunktverschiedener Kollektive begreift. Unter dieser Perspektive auf zugrunde liegende Strukturen unter der Oberflache von Verbalisierungen Oder Handlungen des alltaglichen Lebens ist die Dokumentarische Methode fur mich personlich und den Bereich der (lnter/Trans-)kulturellen Bildung, in dem ich mich bewege, reizvoll.

Fur die Anwendung der Dokumentarischen Methode auf die Gruppendiskussion gilt es also kollektive Orientierungsmuster herauszukristallisieren. Teilnehmer_innen eines Gesprachs sind dabei immer zugehorig zu unterschiedlichen Erfahrungsraumen. Diese „Mehrdimensionalitat“ zeigt sich zum Beispiel in geschlechts- Oder generationsspezifischen Erfahrungsraumen innerhalb einer Diskussion (vgl. Przyborski 2004).

Bei der Auswertung der Gruppendiskussion nach Bohnsack

kommt dem Abheben des Interpreten von den einzelnen Redebeitragen auf deren Verschrankung ineinander, auf deren wechselseitiges Vorantreiben und wechselseitige Steigerung die Bedeutung zu, die individuell-intentionalistische Interpretation der EinzelauRerungen zu transzendieren, um zu einer Einstellung auf das Kollektive zu gelangen, zu einer Einstellung auf jenen interaktiven Prozess, als deren Resultat die Gesamtcharakteristik des Falles mit ihrem kollektiven Orientierungsrahmen sich herauskristallisiert. (2014, S.142)

Die einzelnen Au&erungen der Teilnehmer_innen innerhalb des Diskurses aktualisieren in der Art der Bezugnahme, Steigerung und Erganzung gemeinsam also die kollektiven Orientierungsmuster, die es zu erfassen gilt. Die Erforschten bearbeiten mit ihrer eigenen Sprache und in eigenem Symbolsystem thematisch ab, was fur sie innerhalb ihrer Lebenswelt - in „ihrem Relevanzsystem" - wichtig ist (ebd., S.22). Dementsprechend begrundet sich hieraus auch die Regel der Selbstlaufigkeit einer Diskussion. Um diese kollektiven Orientierungsmuster zu erfassen und eine individuelle Interpretation zu verhindern, wirft die Diskursorganisation einen spezifischen Blick auf die wechselseitige Bezugnahme der Personen.

Die Auswertung erfolgt in mehreren Schritten: Nach der Analyse des Diskursverlaufs werden die Passagen fur die Auswertung ausgewahlt. Neben der interaktiven Dichte und den narrativen und metaphorischen Passagen ist eine hohe Beteiligung ein Indikator fur die Relevanz der Themen fur die Gruppe. Diese Stellen - die dramatischen Hohepunkte - verweisen auf Zentren gemeinsamen Erlebens, dokumentieren daher entsprechende Orientierungsmuster und werden bei der Auswertung genauso wie die Passagen, die sich in Bezug auf die Fragestellung eignen, herangezogen.

Auf die formulierende Interpretation, welche die Passage in Ober- und Unterthemen einteilt, folgt die reflektierende Interpretation, inklusive der Diskursanalyse. Diese pruft ob es sich bei der gefundenen Orientierung um eine kollektiv geteilte Oder um eine individuelle handelt, in dem die Art und Weise, wie die Interagierenden den in der Proposition aufgeworfenen Orientierungsgehalt teilen, betrachtet wird. Nach der Proposition folgt eine Validierung und eventuell Ausarbeitungen (Elaborationen) des Sinngehalts, bevor dann mit der letzten Diskursbewegung, der Konklusion, das Thema in dem Einverstandnis, dass niemand mehr etwas dazu zu sagen hat, abgeschlossen wird. Spiegelt die letzte Einheit den Orientierungsgehalt wider, wird dies als Zustimmung gewertet (Przyborski 2004, S.60).

Erst durch fallinterne sowie fallubergreifende Vergleiche mit anderen Gruppendiskussionen konnen mittels Kontrastierung „milieutypische Unterschiede" sichtbar gemacht werden bzw. Gemeinsamkeiten erfasstwerden. Insofern gewinnen nicht nur die Orientierungen an Kontur, die Gegen- Oder Vergleichshorizonte innerhalb der komparativen Analyse sind auch unabdingbar fur die “empirisch-methodisch[e]” Kontrolle (Bohnsack 2014, S.39). Diese Kontrastierung bildet schlieBlich das Fundament fur den letzten Schritt und Ziel der Methode, die Typenbildung, welche entweder durch das empirische Material (sinngenetisch), mit Zuhilfenahme soziodemographischer Dimensionen (soziogenetisch) Oder (relational) erfolgen kann. Bei der Interpretation des empirischen Materials mit der dokumentarischen Methode - und dies gilt fur die meisten qualitativen Forschungen - wird Vailiditat durch die intersubjektive Uberprufbarkeit gewahrleistet. Der Austausch mit anderen z.B. innerhalb einer Forschungswerkstatt ist daher zwingend.

3.1.4 Sample

Die theoretische Pramisse, die der empirischen Untersuchung zugrunde liegt, geht von einer (Re)produktion rassistischer Alltagsdiskurse auch innerhalb der politischen und sozialstrukturellen gesellschaftlichen „Mitte“ aus (siehe Kapitel 2.2.3). Dementsprechend folgte die Auswahl der Gruppen dem ersten Kriterium: Die Teilnehmer_innen sollten mehrheitlich dem Bildungsmilieu zugeordnet sein und keine offen rechtsextremen bzw. rassistischen Orientierungen haben.

Das zweite Kriterium - die Wahl von Realgruppen - ist gemafc der Auswertungsmethode darin begrundet, dass die Teilnehmer_innen durch eine gemeinsamen Erfahrungsraum, eine gemeinsame Lebenswirklichkeit verbunden sein sollten, innerhalb der sich kollektive Orientierungen verbalisieren. DemgemaB entschied ich mich fur zwei Realgruppen aus meinem Umkreis: Eine studentische Theatergruppe und eine Gruppe, die sich einen Gemeinschaftsgarten teilt. Tabelle 8 und 9 zeigen die soziodemographischen Daten.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabbelle 8: Soziodemographische Daten der Gruppe „Nacktmull" (eigene Darstellung)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabbelle 9: Soziodemographische Daten der Gruppe „Sonnenbiume" (eigene Darstellung)

Die gemeinsame Erfahrungsbasis der studentischen Theatergruppe (Gruppe “Nacktmull”) grundet sich auf ihrer Lust am Theaterspielen und Geschichtenerzahlen, auf der Lebenssituation als Studierende Oder Auszubildende und der Wahl eines padagogischen Oder sozialen Berufsweges. Einmal in der Woche trifft sich diese Gruppe zum Theaterspielen und besteht in dieser Konstellation seit Mai 2017.

[...]


1 Die Begriffe „Entdeckung" und „Wissen" stehen in Anfuhrungszeichen, da sie nur innerhalb des kolonialen, eurozentristischen Blicks auf die Kolonien „as a space with no previous history" (Kilomba, 2010, S. 94) als solche aufgefasst werden konnen.

2 Die Studien, auf die sich Blay bezieht, zeigen beispielsweise, dass 75% der Frauen in Lagos (Nigeria), 52% in Dakar (Senegal) und 50% in Bamako (Mali) auf Bleaching-Produkte zuruckgreifen.

3 vgl. auch Terkessidis 2004, S. 9/10.

4 49% sprechen sich gegen das Tragen eines Kopftuches bei Lehrerinnen aus und 42% sind fur eine Einschrankung des Moscheebaus.

5 Vgl. color-blind racism (Essed 2006).

Ende der Leseprobe aus 177 Seiten

Details

Titel
Rassismus in Gruppendiskussionen. Eine empirische Rekonstruktion von kollektiven Orientierungen
Hochschule
Pädagogische Hochschule Weingarten
Note
1,0
Jahr
2018
Seiten
177
Katalognummer
V462465
ISBN (eBook)
9783668927551
ISBN (Buch)
9783668927568
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Rassismus, Dokumentarische Methode, kollektive Orientierungen, Gruppendiskussionen
Arbeit zitieren
Anonym, 2018, Rassismus in Gruppendiskussionen. Eine empirische Rekonstruktion von kollektiven Orientierungen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/462465

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