Der Begriff der Satire und der Ironie in Thomas Manns 'Betrachtungen eines Unpolitischen'


Hausarbeit (Hauptseminar), 2004

24 Seiten, Note: 1


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Der Bruderzwist

3. Ironie und Satire als Begriffe in der Literaturwissenschaft

4. Nietzsche als Quelle für Thomas Mann

5. Ironie und Satire in den „Betrachtungen“
5.1 Gute Satire - Falsche Satire
5.2 Ironie und Radikalismus
5.3 Die „Mittlerstellung“ von Ironie

6. Zusammenfassung und Resümee

Bibliographie

1. Einleitung

Keiner hat bislang so umfassend wie Helmut Koopmann dargelegt, dass Thomas Manns Gesamtwerk im Bruderzwist seine größte Inspiration ge- funden hat. Thomas Mann brauchte seinen Bruder als Antipoden, um sich in Abgrenzung zu ihm selbst zu definieren; sein Werk ist Ausdruck dessen. Die „Betrachtungen eines Unpolitischen“ sind auf dem Höhepunkt dieser Konfrontation entstanden.1

Die Auseinandersetzung mit den Begriffen der Satire und der Ironie in den „Betrachtungen“ ist daher nur im Kontext des Bruderzwistes zu verstehen. Das scheinbare Paar „Satire und Ironie“ ist als harter Kontrast formuliert, es spiegelt die gegensätzliche Kunstauffassung der Brüder Mann wider.

Wenn Thomas Mann in den „Betrachtungen eines Unpolitischen“ von Satire und Ironie spricht, dann hat er auch hier, wie in den vorangehenden Kapi- teln, die Auseinandersetzung mit dem „Zivilisationsliteraten“ vor Augen, die Kontroverse mit seinem Bruder Heinrich Mann. Während er im Kapitel über „Ästhetizismus und Politik“ noch zwischen einer richtigen und einer falschen Satire - nämlich der radikalen, gesellschaftskritischen Satire - un- terscheidet, grenzt er im letzten Kapitel Radikalismus und Ironie gegenein- ander ab:

„Das ist ein Gegensatz und ein Entweder-Oder. Der geistige Mensch hat die Wahl (soweit er die Wahl hat), entweder Ironiker oder Radikalist zu sein; ein Drittes ist anständigerweise nicht möglich.“2

Die Definition einiger zentraler Begriffe muss für das Verständnis von Thomas Manns Vorstellung von Ironie geklärt werden: Konservativismus, Erotik und die Mittlerstellung der Ironie zwischen Leben und Geist. Gegenpole dazu sind der Radikalismus, die gesellschaftskritische Satire, der Nihilismus und nicht zuletzt der Zivilistationsliterat, in dem sich der Konflikt mit Heinrich Mann wohl am augenscheinlichsten herauskristallisiert.

Thomas Mann entwirft zwei gegensätzliche, unvereinbare Geisteshaltungen: Den Radikalismus und die Ironie. Beide sind gekennzeichnet durch ein unterschiedliches Verhältnis zu den beiden Polen Geist und Leben.

Beeinflusst ist Thomas Manns Begrifflichkeit von Ironie vor allem von Friedrich Nietzsche und der romantischen Ironie, wie noch aufgezeigt werden soll.

Zwei Thesen sollen schließlich in der vorliegenden Arbeit überprüft werden:

1. Thomas Manns Ironie-Begriff ist eine Abgrenzung zur Kunstauf- fassung von Heinrich Mann.
2. Thomas Manns Ironie-Begriff ist im Wesentlichen beeinflusst von Friedrich Nietzsche und der romantischen Ironie.

Grundlegende Literatur zu Thomas Mann und auch zu den „Betrachtungen eines Unpolitschen“ haben Helmut Koopmann3 und Hermann Kurzke4 verfasst. In seiner jüngsten Arbeit hat Koopmann außerdem den Einfluss des Bruderzwistes auf das Werk Thomas Manns herausgearbeitet.5 Wertvolle Hinweise zu den Quellen der „Betrachtungen“ liefert wiederum Kurzke6, der darüber hinaus noch einmal gesondert die Spuren Nietzsches7 in Manns Essay herausgearbeitet hat.

Die Verbindung zur romantischen Ironie stellt Baal Müller8 in den Mittel- punkt seiner Arbeit, auch Ulrich Karthaus9 hat zu diesem Thema gearbeitet.

Um ein Bild des Begriffs der Ironie und der Satire in den „Betrachtungen eines Unpolitischen“ zu erhalten, soll zunächst der Bruderzwist zwischen Thomas und Heinrich skizziert werden, da er die Rolle als Auslöser für Tho- mas Manns Essay spielt. Anschließend folgt eine kurze Darstellung der Be- griffe Ironie und Satire in der Literaturwissenschaft, damit Thomas Manns Begriffsbildung vor diesem Hintergrund eingeordnet und abgegrenzt werden kann. Dabei wird nur auf die für das Thema der vorliegenden Arbeit rele- vanten Punkte eingegangen. Schließlich soll Friedrich Nietzsche als wichtige Quellen für die „Betrachtungen“ vorgestellt werden, insbesondere für das dialektische Paar Geist und Leben, aber auch für die Betrachtungs- weise der „doppelten Optik“.

Das darauf folgenden Kapitel untersucht mit Schwerpunkt auf den Kapiteln „Ästhetizistische Politik“ sowie „Ironie und Radikalismus“ am Text Tho- mas Manns Begriffsbildung von Satire und Ironie - unter Zuhilfenahme der Sekundärliteratur.

Das abschließende Kapitel soll die gewonnenen Erkenntnisse zusammenführen und zu einem Fazit verbinden.

2. Der Bruderzwist

Der schon lange schwelende Bruderzwist hatte seinen kritischsten Punkt er- reicht: „Sache derer, die früh vertrocknen sollen, ist es, schon zu Anfang ih- rer zwanzig Jahre bewußt und weltgerecht hinzutreten. Ein Schöpfer wird spät Mann“, schrieb Heinrich Mann 1915 im zweiten und später gestri- chenen Satz seines Zola-Essays. Thomas Mann verstand das als Angriff auf seine Person.10 Ringel wendet allerdings ein, dass die Frage offen bleiben müsse.11 Koopmann vermutet, das Heinrich diesen Satz vermutlich nicht di- rekt auf seinen Bruder bezogen hat, da er ja das Schicksal Zolas beschreiben wollte.12 Heinrich jedenfalls wies diesen Vorwurf zwar von sich und bot sei- nem Bruder die Versöhnung an, doch der lehnte ab und antwortete drei Jah- re später mit den „Betrachtungen eines Unpolitischen.“

„Wären die Betrachtungen eines Unpolitischen entstanden ohne die Schrif- ten des Bruders, die Thomas als Provokation empfand?“, fragt Koopmann und gibt gleich darauf die Antwort: „Wohl kaum.“13 Mit diesem Essay habe Thomas Mann den Bruderkrieg in Dimensionen gebracht, „die alles Persön- liche überschritten, bis sich am Ende 'Dichter' und 'Zivilisationsliterat' gegenüberstanden.“14

Doch zunächst zurück zu Heinrich Mann: Besonders in den Passagen über die Verantwortung des Künstlers greift er im Zola-Essay seinen Bruder an.15 Dabei wendet er sich scharf gegen den unpolitischen Ästhetizismus, den er als verantwortungslos ankreidet:

„In Zeiten, die aufgeregt sind und sich darum groß fühlen, gilt es, um seinem Volk vertrauenswürdig zu scheinen, nichts mehr, daß man ihm Meisterwerke geschenkt hat. Man schreie Hoch! Man lasse Stücke aufführen, worin Fahnen geschwenkt werden.“16

Künstler und Politiker jedoch sollten beide das Humane verwirklichen, appelliert Heinrich:

„Literatur und Politik hatten denselben Gegenstand, dasselbe Ziel und mußten einander durchdringen, um nicht beide zu entarten. Geist ist Tat, die für den Menschen geschieht; - und so sei der Politiker Geist, und der Geistige handle!“17

Bereits in seinem Essay „Geist und Tat“ (1910) hatte Heinrich sich selbst positioniert und mit einem Konzept im Sinne einer „littérature engagée“ sein literarisches Programm bestimmt, das im Dienst der Gesellschaftskritik stand. Ringel fasst zusammen: „Die Umgestaltung des Lebens nach der Maßgabe des Geistes ist das Programm, dem sich Heinrich Mann ver- schrieben hat.“18

Die „Betrachtungen eines Unpolitischen“: Schon im Titel seiner Antwort auf „Zola“ entwickelte Thomas Mann eine Gegenposition zu seinem Bruder, bekannte sich „zu jener Haltung, die Heinrich den ästhetizistischen Intellektuellen zum Vorwurf gemacht hatte“, so Ringel.19 Thomas beruft sich auf Nietzsche, wenn er einen Gegensatz „von Musik und Politik, von Deutschtum und Zivilisation“20 feststellt. Musik und Deutschtum repräsentieren hierbei die Kultur, die laut Mann a priori unpolitisch ist, in dem Sinne, dass sie Politik nicht steuert, sondern sie wachsen lässt.

Auf der Seite der Zivilisation sei aber der politische Hass, so Mann:

„Und dies bestimmte die Haltung seines innerdeutschen Anhängers und Propheten, der unter dem Namen des Zivilisationsliteraten durch die Seiten dieses Buches spukt.“21

Unzweifelhaft, dass sich diese Zeilen direkt gegen seinen Bruder wenden.

Der Bezug auf seinen Bruder ist auch an anderen Stellen nicht von der Hand zu weisen.

[...]


1 Vgl. KOOPMANN, Helmut: Thomas Mann - Heinrich Mann. Die ungleichen Brüder. München 2005, S. 270-313.

2 MANN, Thomas: Betrachtungen eines Unpolitischen. Frankfurt 1983. (= Gesammelte Werke. 11), S. 569. Im Folgenden als „BU“ gekennzeichnet.

3 Siehe KOOPMANN, Helmut (Hrsg.): Thomas-Mann-Handbuch. Stuttgart 1995.

4 Siehe KURZKE, Hermann: Thomas Mann. Epoche - Werk - Wirkung. 3. überab. Aufl. Mün- chen 1997.

5 Siehe KOOPMANN 2005.

6 Siehe KURZKE, Hermann: Die Quellen der 'Betrachtungen eines Unpolitischen'. Ein Zwischenbericht. In: HEFTRICH, Eckhard; WYSLING, Hans (Hrsg.): Internationales ThomasMann-Kolloquium 1986. Bern 1987, S. 291-310.

7 Siehe KURZKE, Hermann: Nietzsche in den 'Betrachtungen eines Unpolitischen'. In: GOCKEL, Heinz (Hrsg.): Wagner - Nietzsche - Thomas Mann. Festschrift für Eckhard Heftrich. Frankfurt/M. 1993, S. 184-202.

8 Siehe MÜLLER, Baal: Konservatismus als erotische Idee. Zur Poetik der Differenz in Thomas Manns „Betrachtungen eines Unpolitischen. In: ANDRÉ, Robert; DEUPMANN, Christoph (Hrsg.): Paradoxien der Wiederholung. Bern 2003, S. 119-136.

9 Siehe KARTHAUS, Ulrich: Zu Thomas Manns Ironie. In: Thomas-Mann-Jahrbuch, Jg. 1988,

H. 1, S. 80-98.

10 Vgl. KURZKE 1997, S. 145.

11 Vgl. RINGEL, Stefan: Heinrich Mann. Ein Leben wird besichtigt. Berlin 2002, S. 228.

12 Vgl. KOOPMANN 2005, S. 281.

13 KOOPMANN 2005, S. 289.

14 KOOPMANN 2005, S. 289.

15 Vgl. RINGEL 2002, S. 266.

16 ZOLA, S. 224.

17 ZOLA, S. 212.

18 RINGEL 2002, S. 268.

19 RINGEL 2002, S. 267.

20 BU, S. 31.

21 BU, S. 32.

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Der Begriff der Satire und der Ironie in Thomas Manns 'Betrachtungen eines Unpolitischen'
Hochschule
Philipps-Universität Marburg
Veranstaltung
HS 'Die literarästhetische Kontroverse zwischen Thomas und Heinrich Mann'
Note
1
Autor
Jahr
2004
Seiten
24
Katalognummer
V46227
ISBN (eBook)
9783638434607
ISBN (Buch)
9783638658584
Dateigröße
527 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Begriff, Satire, Ironie, Thomas, Manns, Betrachtungen, Unpolitischen, Kontroverse, Thomas, Heinrich, Mann“
Arbeit zitieren
Lutz Benseler (Autor:in), 2004, Der Begriff der Satire und der Ironie in Thomas Manns 'Betrachtungen eines Unpolitischen', München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/46227

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