Die Ausreisebewegung - eine Form widerständigen Verhaltens


Hausarbeit, 1998

20 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I Einleitung

II Darstellung
1. Der Ausreiseantrag
1.1. Rechtliche und historische Entwicklung
1.2. Antrag auf Entlassung aus der Staatsbürgerschaft
2. Die Ausreisesituation von 1962 bis 1989
2.1. Die 60er und 70er Jahre
2.2. Situationswandel der 80er Jahre
3. Haltungen zum Ausreiseantrag
3.1. Motivstruktur der Antragsteller
3.2. Kirche
3.3. Sachbearbeiter
3.4. SED
4. Die Ausreisebewegung als Form widerständigen Verhaltens
4.1. Beispiele widerständigen Verhaltens
4.2. Rückverbindungen
4.3. Einordnung

III Fazit
Literaturverzeichnis
Materialteil

I Einleitung

„Mein Name ist Manfred Krug, ich bin Schauspieler und Sänger. Infolge der Scheidung meiner Eltern bin ich als Dreizehnjähriger aus Westdeutschland in die DDR gekommen, wo ich seither lebe. Ich bin verheiratet und habe drei Kinder.

[...] Wie bekannt, verfaßten nach der Biermann Ausweisung 12 Schriftsteller einen Protest, den auch ich unterschrieb. Nachdem ich nicht bereit war, diese Unterschrift zurückzuziehen, hat sich mein Leben schlagartig verändert.

[...] Nach reiflichem Bedenken beantrage ich für meine Familie und mich die Ausreise aus der DDR in die BRD, wo meine Mutter und mein Bruder leben.“[1]

Ebenso wie Manfred Krug haben viele Tausende in der DDR einen Ausreiseantrag gestellt, um in den Westen Deutschlands ausreisen zu können.

Auf den ersten Blick erscheint die Ausreisebewegung nicht das zu sein, was einem bei dem Schlagwort Widerstand in den Sinn kommt. Da denkt man eher an kritische Stimmen wie Wolf Biermann oder Menschen im Untergrund, die versuchen, durch spektakuläre Aktionen die Macht des Staates zu beeinträchtigen. In dieser Arbeit möchte ich der Frage nachgehen, ob die Ausreisebewegung eine Form widerständigen Verhaltens war.

Zunächst möchte ich die rechtlichen und historischen Fakten des Ausreiseantrages in der DDR klären, um dann das Verfahren darzustellen. Davon ausgehend zeige ich die Entwicklung der Ausreisesituation in den 60er, 70er und 80er Jahren auf, um dann die Haltung verschiedener gesellschaftlicher Gruppen zur Ausreise darzustellen. Hier interessiert vor allem die Motivstruktur der Antragsteller, die Haltung der Kirchen zu diesem Komplex, die Situation der Sachbearbeiter und letztlich die Aufnahme der Ausreiseproblematik durch die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED) selbst. Danach werde ich zwei exemplarische Beispiele für die Zusammenschlüsse Ausreisewilliger in der DDR anführen und in einem weiteren Schritt die besondere Bedeutung der Rückverbindungen für die Ausreiseproblematik darlegen. Letztlich werde ich die Ausreisebewegung in den Kontext zweier Theorien über widerständiges Verhalten stellen und überprüfen, ob sie dem gerecht wird.

Die Ausreisebewegung scheint ein Thema zu sein, das noch nicht übermäßigen Niederschlag in der Forschungsliteratur gefunden hat. Die Publikationen, die das Ausreiseverfahren darstellen und erläutern und vor allem auf die rechtlichen Grundlagen beziehen, sind meist aus den 70er Jahren. Hingegen zeichnen sich die neueren Forschungsbeiträge ab 1990 durch größeres Augenmerk für das Ausmaß der gesamten Ausreisebewegung bis zu ihrem Ende hin aus. Viel Wert wird dabei auf den zahlenmäßigen Vergleich der Ausreisebewegung mit der Fluchtbewegung aus der DDR gelegt. Eine hiervon abweichende Studie von Bernd Eisenfeld versucht die Ausreisebewegung in den Kontext der Widerstandstheorien zu stellen und beleuchtet sehr gut die verschiedenen Wahrnehmungen der Bewegung, sowie ihre unterschiedliche Ausprägungen durch die drei Jahrzehnte ihres Bestehens.

II Darstellung

1. Der Ausreiseantrag

1.1. Rechtliche und historische Entwicklung

Die rechtlichen Grundlage für die Ausreise bildete einerseits das Paßgesetz von 1957,[2] welches später durch den § 213 „Ungesetzlicher Grenzübertritt“[3] abgelöst wurde.[4] Diese beiden Paragraphen stellten das ungenehmigte Verlassen der DDR unter Strafe. Weiterhin regelte das Personenstandsgesetz von 1956 und dessen Änderung vom 20.02.1967[5] die Kriterien für den Verlust, bzw. die Entlassung aus der Staatsbürgerschaft der DDR. Analog zu den Erwerbsgründen ergeben sich als Verlustgründe die Entlassung aus der Staatsbürgerschaft, der Widerruf der Verleihung derselben und die Aberkennung.[6] In jedem der Fälle lag die Entscheidung im freien Ermessen des Ministerrates. Strebte man die Entlassung an, so mußte ein Antrag gestellt werden, dem von offizieller Seite stattgegeben werden sollte, wenn eines der drei folgenden Kriterien erfüllt wurde: Das war zunächst einmal die Absicht, den Wohnsitz außerhalb der DDR zu nehmen, falls nicht bereits gegeben. Auch der Tatbestand, eine andere Staatsbürgerschaft zu besitzen oder die Absicht, eine andere anzunehmen galt als Grund für die Entlassung aus der Staatsbürgerschaft. Letztlich noch den Vorbehalt, daß gegen den Antragsteller keine zwingenden Gründe gegen dessen Entlassung vorliegen durften.

Im September 1983 wurden per Verordnung die KSZE-Beschlüsse der Konferenzen von 1975 und 1983 faktisch in DDR-Recht umgesetzt.[7] Von nun an war der Kreis der Antragsteller stark eingegrenzt. Zur Antragstellung berechtigten nur Eheschließung und Familienzusammenführung.[8] Die Ausreisesituation änderte sich bis zu dem Beschluß der Volkskammer im Oktober 1989 nicht, der die ständige Ausreise aus der DDR dadurch erleichterte, daß er die Behörden anwies, sofort auf Verlangen (mit dem Vorbehalt weniger Ausschlußgründe) Reisepässe auszustellen. Mit der vollkommenen Grenzöffnung vom 09.11.1989 war diese Regelung, wie auch der Ausreiseantrag obsolet geworden.

1.2. Antrag auf Entlassung aus der Staatsbürgerschaft

Der „Antrag auf Entlassung aus der Staatsbürgerschaft“ war beim Rat des Kreises in der Abteilung Innere Angelegenheiten einzureichen.[9] Nun wurde zuerst geprüft ob der Antragsteller auch dem Kreis der Berechtigten zuzuordnen war oder nicht. Diesem Kreis rechnete der Gesetzgeber Personengruppen zu, welche nicht von besonderem volkswirtschaftlichem Nutzen für die DDR waren. Dazu zählten Rentner, arbeitsunfähige Invaliden, Kinder mit körperlichen oder geistigen Gebrechen oder chronischen Erkrankungen und Schüler mit erheblichen ErziehungsschwierigkeitenEbenso umfaßte diese Personengruppe aber auch Westdeutsche bis zum 18. Lebensjahr, die in einer DDR-Familie als Pflegekind untergebracht waren.[10]

Gehörte man nun zu einer als Berechtigten anerkannten Gruppe an, so folgte die Prüfung nach generellen Ausschlußgründen für die ständige Ausreise des Antragstellers.[11] Da war zum einen der Ausschlußgrund, der die Ausreisegenehmigung derer verhinderte, die Sicherheitsinteressen der DDR berührten, entweder weil sie als Geheimnisträger eingestuft wurden, oder Kontakt zu Geheimnisträgern hatten. Auch gediente Soldaten und Wehrpflichtige schloß man hierin ein und legte ihnen eine Sperrfrist von 6 bis 15 Jahren auf. Weiterhin wurde ein Ausreiseantrag abgelehnt, wenn es sich um die Zusammenführung eines Antragstellers mit einem Republikflüchtigen handelte. Republikflüchtige waren im Sprachgebrauch der DDR Menschen, die illegal die DDR verlassen hatten. Ebenso durften Schuldner nicht ausreisen, solange ihre Verbindlichkeiten nicht beglichen waren. Ein weiterer Ausschlußgrund war die Annahme, daß die jeweilige Ausreise die Arbeit des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) in irgendeiner Weise behindern könnte. Desweiteren wurde die Ausreise verwehrt, wenn der Antragsteller Verletzungen bei einem vorausgegangenen Fluchtversuch erhalten hatte, oder wenn er antisozialistische oder faschistische Tätowierungen aufwies. Begründet wurde dies damit, daß diese Verletzungen oder Tätowierungen zur Diffamierung der DDR durch die westlichen Medien herangezogen werden könnten. Ein automatischer Ausschluß vom Genehmigungsverfahren erfolgte, wenn die Antragstellung gegen die Rechtsordnung der DDR verstieß. Letztlich existierte noch der Generalvorbehalt, der besagte, daß von der Genehmigung der Ausreise abzusehen sei, wenn durch diese Ausreise bestehende Rechte einzelner DDR-Bürger oder deren Lebensqualität beeinträchtigt würden. Mit diesem Generalvorbehalt wurde der Willkür Tür und Tor geöffnet.

Innerhalb von 10 Tagen ab der Antragstellung mußte von der zuständigen Behörde eine „Meinungsäußerung“ des MfS eingeholt werden, nach der entschieden wurde.[12] Die Antragsbearbeitung erfolgte in einem Zeitraum von ein bis fünf Jahren.[13] Eine Beschwerde gegen einen negativen Bescheid wurde als gesetzwidrig erachtet.[14]

Abgesehen von den „normalen“ Anträgen konnten von Volkspolizei und MfS noch Sonderanträge gestellt werden. Diese waren gedacht für Menschen, „die durch permanent negatives, renitentes Auftreten eine Ausweisung aus der DDR zu erzwingen suchten oder durch wiederholte Grenzverletzungen bzw. durch provokative Demonstrativhandlungen in Erscheinung traten.“[15] Dies war also eine faktische Ausbürgerung von Oppositionellen und Regimegegnern, wie sie zum Beispiel 1976 Wolf Biermann erfahren hat.

2. Die Ausreisesituation von 1962 bis 1989

2.1. Die 60er und 70er Jahre

Bis auf das Jahr 1962 hatte die DDR sehr hohe Zahlen an legal Ausreisenden zu verzeichnen. In den folgenden beiden Jahren liegen die Ausreisendenzahlen bei ungefähr 30 000 Menschen pro Jahr. Diese Zahlen verringern sich stetig bis zum Jahr 1968 und stabilisieren sich auf Werte zwischen 8000 und 11 000 pro Jahr.[16]

Abweichend zu den 60er Jahren ist in den Siebzigern ein Anstieg der Ausreiseanträge zu verzeichnen, Havemann schätzte sie für 1976 auf ungefähr 120 000.[17] Diese Anträge werden immer mehr mit rechtlichen und politischen Argumenten begründet. Ein Grund hierfür ist wohl die Aufnahme der DDR 1973 in die UNO und die damit verbundene Anerkennung der „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“.[18] Ebenso hat die KSZE-Schlußakte von 1975 viel Begründungsmaterial für Ausreiseanträge geliefert. Sie wurde im Gesetzblatt der DDR veröffentlicht wurde.[19] Diese Verträge gehen einher mit dem Bestreben der DDR, ihre völkerrechtliche Anerkennung voranzutreiben. Hierzu war es nötig geworden, internationale Verträge zu unterzeichnen, um sich als würdigen Vertragspartner darzustellen. Dennoch änderte das alles nichts an der internen Praxis der DDR-Behörden des Ausreiseverfahrens.[20]

[...]


[1] Krug, Manfred: Antrag auf Ausreise aus der DDR in die BRD. 20. April 1977. in: Judt, Matthias (Hg.): DDR- Geschichte in Dokumenten. S. 339/340

[2] Büro des Ministerrates (Hg.): Gesetzblatt der DDR. I. Nr.13.10 1966. S. 87-93; M1

[3] Ministerium der Justiz (Hg.): Strafgesetzbuch der Deutschen Demokratischen Republik. S. 79/80; M2

[4] Rosenthal, Walter: Das neue Strafrecht der »DDR«. S. 88

[5] Büro des Ministerrates (Hg.): Gesetzblatt der DDR I.. Nr. 13. 13.10.1966. S. 83-86; M3

[6] Brunner, Georg: Einführung in das Recht der DDR. S. 93/94

[7] Sekretariat des Ministerrates (Hg.): Gesetzblatt der DDR I. Nr. 26. 27.09.1983. S. 254-256; M4

[8] Eisenfeld, Bernd: Die Ausreisebewgung-eine Erscheinungsform widerständigen Verhaltens. S. 193ff

[9] Fricke, Karl Wilhelm: Opposition und Widerstand in der DDR. S. 165

[10] Eisenfeld, Bernd: Die Ausreisebewegung-eine Erscheinungsform widerständigen Verhaltens. S. 193

[11] Eisenfeld, Bernd: Die Ausreisebewegung-eine Erscheinungsform widerständigen Verhaltens. S. 194/195

[12] Eisenfeld, Bernd: Die Ausreisebewegung-eine Erscheinungsform widerständigen Verhaltens. S. 196

[13] Wendt, Hartmut: Die deutsch-deutschen Wanderungen-Bilanz einer 40jährigen Geschichte von Flucht und Aus- reise. S. 392

[14] Eisenfeld, Bernd: Die Ausreisebewegung-eine Erscheinungsform widerständigen Verhaltens. S. 195

[15] Eisenfeld, Bernd: Die Ausreisebewegung-eine Erscheinungsform widerständigen Verhaltens. S. 196/197

[16] Tabelle 2. Übersiedler aus der DDR in die Bundesrepublik Deutschland bis Juni 1990. in: Wendt, Hartmut: Die deutsch-deutschen Wanderungen-Bilanz einer 40jährigen Geschichte von Flucht und Ausreise. S. 390; M5

[17] Havemann zum Wahlsystem in der DDR. in: DA, 9 (1976) II. S. 1126

[18] Fricke, Karl Wilhelm: Opposition und Widerstand in der DDR. S. 162

[19] Fricke, Karl Wilhelm: Opposition und Widerstand in der DDR. S. 162

[20] Fricke, Karl Wilhelm: Zwischen Resignation und Selbstbehauptung. S. 1138 und Eisenfeld, Bernd: Die Ausreisebewegung-eine Erscheinungsform widerständigen Verhaltens. S. 211

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Die Ausreisebewegung - eine Form widerständigen Verhaltens
Hochschule
Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg  (Geschichte)
Veranstaltung
Opposition und Widerstand in der DDR
Note
2,0
Autor
Jahr
1998
Seiten
20
Katalognummer
V4616
ISBN (eBook)
9783638128315
Dateigröße
542 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
DDR, Widerstand, Ausreise
Arbeit zitieren
Thomas Grömling (Autor:in), 1998, Die Ausreisebewegung - eine Form widerständigen Verhaltens, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/4616

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