Die Europäische Union - auf dem Weg zu einer gemeinsamen Asyl- und Einwanderungspolitik?


Hausarbeit (Hauptseminar), 1998

45 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I Einleitung

II Darstellung
1. Bevölkerungsbewegungen in und nach Westeuropa
1.1. Migrationssituation in Europa am Ende des 20. Jahrhunderts
1.1.1. Phasen der Zuwanderung nach Europa
1.1.2. Wanderungstrends
1.2. Migrationsursachen
1.3. Hauptursachen der Fluchtauslösung innerhalb der Migration
1.4. Zur Definition des Flüchtlings
1.5. Risiken und Chancen der Zuwanderung
1.6. Zukunftsaussichten und Ursachenbekämpfung
2. Verdrängung der Einwanderungs- durch die Asylpolitik in Deutschland
2.1. Asylrecht und Artikel 16 GG
2.1.1. Geschichtliche und rechtliche Tragweite des Artikels 16 GG
2.1.2. Änderung des Artikels 16 GG von 1993
2.1.2.1. Drittstaatregelung
2.1.2.2. Flughafenverfahren
2.2. Die augenblickliche Einwanderungssituation in Deutschland
2.2.1. Aussiedler-Spätaussiedler
2.2.2. Einbürgerung von Ausländern
3. Der Weg zu einer EU-Asylpolitik
3.1. Schengen und Dublin
3.2. Maastricht
3.3. Amsterdam
3.4. Forderungen und Ansätze für eine EU-Asylpolitik
4. Die EU-Einwanderungspolitik
4.1. Die Visapolitik der EU
4.2. Die rechtliche Einwanderungssituation in der EU
4.3. Der Weg zu einem EU-Einwanderungskonzept
4.3.1. Forderungen und Voraussetzungen
4.3.2. Ein mögliches EU-Einwanderungskonzept

III Fazit
Literaturverzeichnis
Materialteil

I Einleitung

Die Asylproblematik hat sich in der öffentlichen und politischen Diskussion zu einem sehr wichtigen Bereich entwickelt und überlagert stark andere zu bewältigende Bereiche, wie zum Beispiel die Einwanderungs- und Ausländerpolitik. Parallel dazu hat sich die Staatstätigkeit der westeuropäischen Staaten im Rahmen der supranationalen Europäischen Union enorm verändert. Der einzelne Staat ist aufgrund der wachsenden Dimension der zu bewältigenden Aufgaben, der Globalisierung von beeinflussenden Faktoren und wegen der Übertragung von Souveränitätsrechten auf die EU nicht mehr allein in der Lage den Problemfeldern Asyl, Einwanderung und Ausländerpolitik zu begegnen.

In dieser Arbeit werde ich untersuchen, inwiefern die Europäische Union in diesen Feldern operiert. Gibt es Felder, die hauptsächlich der Union überlassen worden sind, oder andere Bereiche in denen eher der nationalstaatliche Charakter von Problemlösungen vorherrscht?

Hierzu werde ich zunächst die Migrationsproblematik für die Europäische Union aufzeigen. Wie funktionieren Migrationssysteme, was sind ihre Ursachen, und wie sieht die unmittelbare Entwicklung für die EU aus. Auch die Risiken, ebenso die Chancen von Wanderungsbewegungen, sollen aufgezeigt werden. In einem nächsten Punkt werde ich, beispielhaft für viele Länder der EU, das deutsche Asylrecht in seiner historischen und inhaltlichen Dimension aufzeigen, sowie die Asylgesetzänderung von 1993 erläutern. Darüber hinaus wird die deutsche Einwanderungssituation dargestellt. Weiterhin ist von Interesse, wie die bisherigen Maßnahmen der EU in bezug auf ein europäisches Asylrecht und Asylverfahren aussehen, und welche Aspekte dabei noch nicht verwirklicht wurden. Als letzter Punkt folgt die Darstellung der europäischen Maßnahmen hin zu einem EU-Einwanderungskonzept. Ergänzend hierzu werde ich dann ein bereits entwickeltes und auf die EU anwendbares Einwanderungskonzept darstellen.

II Darstellung

1. Bevölkerungsbewegungen in und nach Westeuropa

1.1. Migrationssituation in Europa am Ende des 20. Jahrhunderts

Um die Aktualität der augenblicklichen Migrationssituation aufzuzeigen, ist es zunächst einmal angebracht, die Migrationssituation darzustellen. Hierbei möchte ich nur Bezug auf die die EU momentan direkt betreffenden Wanderungsströme eingehen, welche nach UNHCR-Kriterien nur 5% der weltweit registrierten Flüchtlingsströme ausmachen.[1]

1.1.1. Phasen der Zuwanderung nach Europa

Seit dem 2. Weltkrieg hat Europa einen entscheidenden Wandel von einem klassischen Auswanderungs- zu einem aktuellen Einwanderungskontinent vollzogen.[2] Hier lassen sich seit 1945 einige Phasen unterscheiden.

Bis Mitte der 50er Jahre herrschte hauptsächlich ein Zuzug von Vertriebenen aus den ehemaligen deutschen Siedlungsgebieten Osteuropas nach Deutschland-West (fast 8 Millionen) und -Ost (3,6 Millionen)[3] vor, sowie im Zuge der beginnenden Entkolonialisierung ein Exodus von weißen Siedlern und Beamten zurück in die westeuropäischen Kolonialstaaten. Später folgten auch Menschen mit schwarzer Hautfarbe. Hier ist allerdings wichtig, daß die meisten entweder den Paß des europäischen Landes, in das sie eingereist sind, bereits besaßen, bzw. als Angehörige dieses Staates galten und somit nicht direkt von einer Einwanderung Fremder gesprochen werden kann.[4]

Ende der 50er Jahre wurden viele ausländische Arbeitskräfte angeworben, um den Arbeitskräftemangel in Nordwesteuropa auszugleichen. Bis auf die Türkei und Nordafrika, waren die meisten Herkunftsländer in Europa, weshalb man hier eher von innereuropäischen Wanderungsbewegungen sprechen kann.[5]

Ab Mitte der 70er Jahre führte der Ölpreisschock in vielen Industriestaaten Europas zu einem Anwerbestopp, der zunächst die Arbeitsmigration beendete. Dennoch war eine Zunahme von Ausländern an der Wohnbevölkerung zu verzeichnen, da der Familiennachzug der ausländischen Arbeitnehmer einsetzte und meist von den europäischen Gastgeberländern geduldet wurde, da man sich eine Konsumsteigerung im Inland versprach.[6] Aufgrund des Anwerbestopps stieg allerdings die Zahl der irregulären Zuwanderer an. Selbst klassische Auswanderungsländer wie Spanien, Italien, Griechenland und Portugal wurden zu Einwanderungsländern.[7]

Seit dem Zusammenbruch des sozialistischen Blocks im Osten Europas 1989/1990, ist eine starke Zuwanderung aus diesen Regionen in den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) zu verzeichnen (Ost-West-Wanderung).[8] Der Grund ist in der Regel die ethnische, religiöse und wirtschaftliche Instabilität dieser Länder. Kamen zwischen 1945 und 1989 rund 12-13 Millionen Menschen in Tauwetterperioden meist aufgrund bilateraler Abkommen aus diesen Ländern in den Westen, so schätzt man das Wanderungspotential heute auf ungefähr 20 Millionen insgesamt.[9] Die massive Zuwanderung von Russen aus den asiatisch-moslemischen Republiken der GUS verursacht einen enormen Einwanderungsdruck auf Europa, da diese oft zu einer Verdrängung der deutschstämmigen Bevölkerung dort führt. Oft bringt dieser Einwanderungsdruck erst viele Rußlanddeutsche dazu, die Option der Ausreise in die Bundesrepublik Deutschland zu wählen. Eine weitere wichtige Wanderungsbewegung in den 90er Jahren stellen die Bürgerkriegsflüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien dar.[10]

1.1.2. Wanderungstrends

Die Ausländersituation in Westeuropa hat sich seit dem 2. Weltkrieg, aber ganz besonders in den letzten 15 Jahren, gravierend verändert. Dies äußert sich in drei verschiedenen Trends.

Zunächst nimmt der ausländische Bevölkerungsanteil in allen Staaten der EU zu. Dieser läßt sich zurückführen auf den höheren Geburtenüberschuß der in Europa lebenden Ausländer aus Drittstaaten. Ebenso hat sich, begünstigt durch schon bestehende Netzwerke der in der EU lebenden Ausländer, der Familiennachzug erhöht, sowie der Anteil der temporären und hochqualifizierten Arbeitskräfte.[11] Dies deutet ganz klar auf die Tendenz des „brain drains“ in den Herkunftsländern hin, der Abwanderung gut ausgebildeter Arbeitskräfte, entgegengesetzt der Anwerbung kaum qualifizierter Arbeitskräfte in den 60er und 70er Jahren.[12] Im gleichen Zeitraum ist aber auch ein Rückgang des Asylbewerberanteils festzustellen, bedingt durch die Asylrechtsverschärfungen in einigen EU-Ländern, wie zum Beispiel 1993 in Deutschland.[13]

Ein weiterer sich abzeichnender Trend ist die Diversifizierung der zugewanderten Nationalitäten.[14] Die Zahl der EU-Bürger in anderen EU-Staaten hat stetig zugenommen, bestimmte Nationalitäten bleiben nicht mehr auf einige wenige EU-Staaten begrenzt. Geographische Wanderungsmuster scheinen aufzubrechen, Nicht-EU-Bürger lassen sich zwar mehrheitlich in den Ländern der Union nieder, mit der sie einst durch die koloniale Herrschaft verbunden waren. Dennoch ist zu bemerken, daß diese Determinante der kulturellen und sprachlichen Nähe aufweicht und sich zum Beispiel viele Marokkaner und Algerier auch in den nördlichen Ländern Europas niederlassen und nicht mehr auf Frankreich und Belgien beschränkt bleiben.[15] Ebenso hat die Zahl der Bürger aus Staaten jenseits der östlichen EU-Grenzen zugenommen, bedingt durch die neue Reisefreiheit in diesen Ländern, nach Ende des Kalten Krieges.

Der letzte dieser drei Trends ist die Tendenz der Zugewanderten zur dauerhaften Niederlassung in den Gastgeberländern der EU.[16] Dies macht die westeuropäischen Länder faktisch zu Einwanderungsländern, trotz aller anderslautenden offiziellen Beteuerungen seitens der nationalstaatlichen Regierungen.[17]

1.2. Migrationsursachen

Die Migrationsbewegungen des ausgehenden 20. Jahrhunderts treten weltweit auf und haben ein bisher unerreichtes Ausmaß angenommen. Bevölkerungsbewegungen werden aber nicht nur durch eine einzige Ursache ausgelöst, sondern durch ein oft komplexes Zusammenspiel verschiedener, sich gegenseitig bedingender Ursachen.[18] Diese werden kategorisiert in Schub- (push) und Sog- faktoren (pull).[19] Als Schubfaktoren bezeichnet man alle im Abwanderungsland wirkenden Faktoren, welche einen Menschen zur Migration bewegen. In Abgrenzung hierzu bezeichnet man als Sogfaktoren alle Ursachen, die im potentiellen Aufnahmeland vorherrschen und auf einen Einwanderer attraktiv wirken. Diese Schub- und Sogfaktoren bilden zusammen Wanderungssysteme, die ihrerseits, untereinander gemischt, die individuelle Motivstruktur des Migranten ausmachen.[20]

Da ist einmal der politische Bereich. Hierbei handelt es sich hauptsächlich um gewalttätig ausgetragene Konflikte zwischen Staaten oder innerhalb eines Staatswesens.[21] Diese (Bürger-) Kriege treten vermehrt seit dem Ende des Kalten Krieges auf.[22] Einerseits, da die verbliebene Großmacht USA allein eine verminderte Bereitschaft zeigt, in solche Konflikte einzugreifen und sich auch genau überlegen muß, wie sie ihre begrenzten Ressourcen einsetzt. Anderseits sind diese Konflikte auch noch teilweise Folgen des Kalten Krieges, in dem die Supermächte Dritte-Welt-Staaten hochrüsteten und sie Stellvertreterkriege ausfechten ließen.[23]

Der soziokulturelle Bereich umfaßt alle Konflikte innerhalb eines Gemeinwesens, bei denen eine Minderheit einer Mehrheit gegenübersteht, und die Politik keinen friedlichen Interessenausgleich herbeizuführen vermag. Hier kann es sich um politische, ethnische oder religiös-laizistische Problemfelder handeln.[24] Somit wirken die große Stabilität und die 50-jährige Tradition der friedlichen Auseinandersetzung von Konflikten in Westeuropa sehr anziehend auf Flüchtlinge.[25]

Weiterhin existieren ökonomische Wanderungsfaktoren. Diese werden als die Wichtigsten angesehen. Oft brauchen die anderen Faktoren die Kombination mit diesem, um erst determinierend zu wirken.[26] Es können Konjunkturschwankungen sein, die Zuwanderer bewegen, ihre Heimat zu verlassen. Ob dies nun die schlechte konjunkturelle Situation im Heimatland ist oder die gute im Westen. Dieser Faktor bezeichnet das Wohlstandsgefälle zwischen Westeuropa und den ärmeren, meist weniger entwickelten Herkunftsländern der Migranten.[27] Der bestimmende Entscheidungsgrund in diesem Feld, ist die Annahme des Flüchtlings, eine Arbeit im Westen zu finden, ein weiterer, wie gut die bereits existierenden Netzwerke schon Ausgewanderter im Ankunftsland sind.[28] Hier hilft die Entwicklung der Globalisierung, die faktisch schon neben dem Weltmarkt für Güter und Finanzströme einen Weltmarkt für Arbeit geschaffen hat, da die Industrieländer von Zeit zu Zeit Arbeitsmigranten importieren.[29]

Auch demographische Ursachen bilden einen Komplex von Wanderungsfaktoren. Vor allem dieser Komplex wird häufig mit dem ökonomischen und ökologischen kombiniert.[30] Hier sind einerseits die hohe Bevölkerungsrate, vor allem die hohe Wachstumsrate im Herkunftsland, und andererseits die meist negative Reproduktionsrate und Überalterung der Gesellschaft in Westeuropa entscheidend.[31] Die Bevölkerungsexplosion allein führt nicht unbedingt zu einer Auswanderung.[32] Allerdings wird die gesellschaftliche Entwicklung dieser Länder durch den großen Schuldendruck gehemmt und kann somit in der Regel die Bevölkerungsexplosion nicht verhindern (Bumerangeffekt).[33]

Der letzte Komplex von Wanderungsfaktoren ist der ökologische. Bezogen auf Umweltkatastrophen, kann dieser auch ohne das Zusammenspiel mit anderen Faktoren determinierend für eine Auswanderung sein.[34] Neben den „natürlichen“ Katastrophen mehren sich die vom Mensch verursachten Umweltzerstörungen und deren Rückwirkungen. Das führt in den allermeisten Fällen zur Ressourcenverknappung.[35]

Letztlich wird die Migration durch den strukturellen Umstand der erleichterten Mobilität begünstigt. Sei es nun das Transportwesen, welches es denn Migranten erlaubt viel leichter und bequemer die Zielländer zu erreichen, oder seien es die Medien und die Telekommunikation, die den Informationsfluß erhöhen und die Bedeutung der Netzwerke zusätzlich stärken.[36]

1.3. Hauptursachen der Fluchtauslösung innerhalb der Migration

Fluchtbewegung heißt, daß der Flüchtling vor einer von ihm als akut empfundenen Bedrohung flieht.[37] Doch meist ist bei Fluchtbewegungen das Prinzip den Wanderungsfaktoren recht ähnlich, da auch hier oft erst eine Mischung aus verschiedenen Fluchtgründen determinierend für eine Flucht wird.[38]

Brennpunkte der Flucht sind in erster Linie Kriegsgebiete; ob dies nun der Machtkampf einer Elite um ihre Privilegien sei oder ein zwischenstaatlicher Konflikt. Beim Blick auf die 3. Welt ist zu beachten, wie die Situation vor Ende des Kalten Krieges war und ob dieser Konflikt nicht durch den Gegensatz der Supermächte hochgerüstet wurde und nach Zerfall der UdSSR das Machtvakuum zum Schlag gegen den einstigen Gegner genutzt wird.[39] Gerade Mittelmächte, wie etwa der Iran oder Irak, sind dem aus hegemonialem Streben in ihrer Region zugeneigt.[40]

Eine Flucht löst ebenso staatliche Repression in jeder Form aus. Je schlimmer diese, desto eher erzeugt sie Fluchtbestrebungen in Teilen der Bevölkerung. Meist endet diese Repression in Folter.[41] Fordern Minderheiten ihre Autonomie oder Eigenstaatlichkeit, löst dies nicht selten Konflikte aus, welche große Fluchtbewegungen in Gang setzen können.

Umweltkatastrophen und ein Bevölkerungswachstum, das die Folgen noch verschärft, können auch Flucht und Migration verursachen. Diese Flüchtlinge tauchen jedoch oft nicht in den Statistiken des UNHCR auf, da sie seltener als andere die Grenzen des Landes überschreiten. Sie flüchten sich eher in andere Landesteile um, sobald die Situation es zuläßt, wieder in ihre Heimat zurückkehren zu können.[42] Die Massenarmut in einem Land kann ebenfalls zur Flucht veranlassen. In diesen Bereich spielt ebenfalls sehr die Bevölkerungsentwicklung hinein.

Auch die Zunahme fundamentalistisch-religiöser Tendenzen kann Fluchtbewegungen auslösen. Hier ist allerdings anzumerken, daß zum Beispiel im Maghreb, gerade die gut ausgebildete Mittel- und Oberschicht migriert und eine intellektuelle Schwächung des Landes („brain drain“) verursacht, und somit die Fluchttendenzen noch zusätzlich verstärkt.[43]

EU und UNHCR haben das Prinzip der Regionalisierung der Flüchtlingsaufnahme in den letzten 15 Jahren zu einer ihrer wichtigsten Prämissen für die Flüchtlingsaufnahme gemacht. Dieses Prinzip geht davon aus, daß Flüchtlinge aufgrund religiöser, ethnischer und kultureller Gemeinsamkeiten viel leichter Aufnahme in Nachbarländern finden.[44] Die sprachliche Barriere sei viel geringer, und die schwierige kulturelle Anpassung, wie sie zum Beispiel für Menschen von außerhalb Westeuropas nötig wäre, würde entfallen oder verringert. Zudem gestaltet sich eine etwaige Rückkehr viel schneller und harmonischer. Aus diesen Gründen verfolgt die EU das Prinzip, Flüchtlinge in der Weltregion aufnehmen zu lassen, aus der sie kommen und unterstützt dies materiell.

1.4. Zur Definition des Flüchtlings

Für den Bereich der Bevölkerungswanderung ist es wichtig, eine Unterscheidung zwischen den Begriffen „Flüchtling“ und „Migrant“ zu treffen. Gerade an diesen beiden Begriffen entscheidet sich, welche Rechte der Zuwanderer in Anspruch nehmen kann; oft sind aber Migrant und Flüchtling auch im juristischen Bereich schwer voneinander zu trennen.[45]

Ein Flüchtling verläßt sein Heimatland aus Furcht vor Verfolgung. Dies kann aufgrund seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten Rasse, Religion, Nationalität, sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung erfolgen. Die Grundlage für das internationale Flüchtlingsregime bildet die Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) von 1951, der nach und nach die meisten Staaten der Erde zugestimmt haben. Das Grundprinzip hierbei ist, daß ein jeder Staat souverän darüber entscheidet, ob er Asyl gewähren möchte oder nicht. Es besteht hierzu keine juristische Verpflichtung. Erfolgreiche Antragsteller werden dann als „anerkannte Flüchtlinge“ vom Antragsland aufgenommen. Einen Sonderfall bilden hier die Kontingentflüchtlinge, denen meist ohne individuelle Prüfung der Fluchtsituation ein Aufenthaltsrecht gewährt wird.[46]

Auch in Bezug auf Migranten ist in den letzten Jahren ein Regime entstanden, welches aber lange nicht so weitreichend und juristisch abgesichert ist wie das für Flüchtlinge. Ziel ist es, international vergleichbare Standards für Migranten zu erreichen.[47] Immer noch gilt Migration als ein absolut souveränes Recht des Staates, welches an fast keinerlei internationalen Bestimmungen gebunden ist.[48] Migranten sind Einwanderer, zuziehende Familienangehörige, Volkszugehörige aus anderen Staaten, Vertragsarbeiter oder illegale Zuwanderer.[49] Mehr und mehr sind Migranten Angehörige der Mittelschicht mit guter Ausbildung, die mit westlichen Idealen in Berührung gekommen sind und auch die Ressourcen besitzen das Heimatland zu verlassen. Sie planen voraus, sind antizipatorische Flüchtlinge, und wägen sehr genau die Pros und Kontras gegeneinander ab.[50]

Illegalen Einwanderer machen einen geringen Teil an der Migrationsbewegung aus, müssen aber westlichen Politikern als Argumentationshilfe zur Darstellung der angeblich bedrohlichen Einwanderungsproblematik dienen. Dies unterstreicht einmal mehr die Behauptung, daß die Migration zu einem der wichtigsten Themen der europäischen Innen- und Sicherheitspolitik geworden ist.[51]

1.5. Risiken und Chancen der Zuwanderung

Die Gefahr der Massenzuwanderung in die EU wegen politischer Krisen in den Herkunftsländern besteht aufgrund der rechtlichen Zuwanderungsbarrieren nicht. Auch die Abwanderungsbarrieren in den Herkunftsländern sind noch zu hoch.[52] Generell werden Zuwanderungen in die EU wohl erheblich zunehmen, dies geschieht aber kontinuierlich und wird auf Dauer wohl aus humanitären und politischen Gründen geduldet werden. Auch die demographische Situation der Aufnahmeländer kann durch Migration verbessert werden und zugleich mehr Konsum und Entlastung der Sozialversicherung bewirken.[53]

Mit der vermehrten Einwanderung in die EU werden auch Risiken verbunden sein. In einzelnen Bereichen des Arbeitsmarktes könnte es zu Verdrängungen kommen, sowie zur Auflösung der tarifvertraglichen Regelsysteme durch vermehrtes Lohndumping, verursacht durch billigere, eingewanderte Arbeitskräfte. Auch die gesamte öffentliche Infrastruktur wird stärker belastet werden und den Abwehrreaktionen der Einheimischen zusätzlichen Zündstoff liefern, was wiederum die innere Sicherheit gefährden kann. Außenpolitisch kann eine Destabilisierung der Nachbarregionen der EU eintreten, was zu vermehrter Zuwanderung führen wird.[54]

Dennoch kann die Zuwanderung auch viele Chancen beinhalten. Zum einen wird der berufliche Aufstieg der Einheimischen durch die Einwandererwellen beschleunigt,[55] da Migranten zumeist ganz unten in der sozialen und beruflichen Hierarchie anfangen. Somit werden sie auch Beschäftigungslücken schließen und Wohlfahrtsgewinne ermöglichen. Durch die günstige demographische Struktur der Einwanderer werden die sozialen Sicherungssysteme entlastet und die kulturelle Vielfalt in den Aufnahmeländern erhöht.[56] Letztlich wird dies auch einen positiven Effekt auf den europäischen Einigungsprozeß haben, da der Druck auf die Mitgliedstaaten so wachsen wird, daß man sich in der EU auf einen Interessenausgleich in der Migrationspolitik einigen werden muß. Welche dieser möglichen Chancen oder Risiken die Oberhand gewinnen werden liegt an der rechtlich-politischen Einbettung des Migrationsprozesses und an dem Interessenausgleich zwischen den Modernisierungsverlierern und Wirtschaftsliberalen.[57]

1.6. Zukunftsaussichten und Ursachenbekämpfung

Die zukünftigen Zuwanderungspotentiale für die EU befinden sich in Ost- und Südosteuropa, sowie in den GUS-Ländern und Nordafrika. Besonders für die osteuropäischen Staaten sind hier zwei Faktoren entscheidend. Erstens, wie der politische Umbau zur Demokratie und zweitens der Umbau zur Marktwirtschaft voranschreitet.[58] Der politische Umbau scheint hier weiter geraten zu sein als der wirtschaftliche. Die Situation scheint in Polen, Ungarn und der Tschechischen Republik recht gut auszusehen, ob aus diesen Ländern jedoch Arbeitskräfte auf den EU-Markt drängen werden, liegt einerseits an der weiteren Entwicklung des Kaufkraftgefälles zwischen diesen Staaten und der EU und auch daran, wie sich die Freizügigkeit des Personenverkehrs mit der Union gestalten wird.[59] Die Nachfragestruktur des Arbeitskräftemangels in gewissen Sparten der EU, wie zum Beispiel dem Pflegewesen, wird hier determinierend wirken.[60] Bei diesen Ländern, wie auch bei Rußland, ist eine kulturelle Präferenz für den deutschsprachigen Raum festzustellen.

In den GUS-Staaten wird der Abwärtstrend der Wirtschaft kaum durch die erhöhte Auswanderung aufgefangen werden können.[61] Wie groß aber die Wanderungsbewegungen aussehen werden, liegt an dem zukünftigen Umgang mit ethnischen und religiösen Minderheiten in diesen Staaten. Auch die ethnische Zuwanderung von Chinesen nach Rußland seit den letzten Jahren könnte den Auswanderungsdruck, vor allem auf die deutschstämmige Minderheit, verstärken.[62]

In Nordafrika werden die rasante Bevölkerungsentwicklung zusammen mit anderen Ursachen zur wohl wichtigsten Kraft der wanderungsauslösenden Faktoren. Auch wird die Wanderungsintensität stark von den legalen Zutrittsmöglichkeiten zum EU-Markt abhängen.[63] Es ist jedoch stark anzunehmen, daß die größte Gruppe unter den Auswandernden die eher westlich geprägte Mittelschicht sein wird, sofern sich der Machtkampf in den Maghreb-Staaten zugunsten der islamischen Fundamentalisten entscheidet oder verbessert.[64]

[...]


[1] Nuscheler, Franz: Internationale Migration. Flucht und Asyl. S. 24

[2] Angenendt, Steffen (Hg.): Migration und Flucht. S. 35

[3] ebd. S. 37

[4] Nuscheler, Franz: Internationale Migration. Flucht und Asyl. S. 48

[5] ebd. S. 48/49

[6] Angenendt, Steffen (Hg.): Migration und Flucht. S. 39/40

[7] Nuscheler, Franz: Internationale Migration. Flucht und Asyl. S. 50

[8] Sassen, Saskia: Migranten, Siedler, Flüchtlinge. S. 126

[9] Schieffer, Martin: Die Zusammenarbeit der EU-Mitgliedstaaten in den Bereichen... S.43

[10] Nuscheler, Franz: Internationale Migration. Flucht und Asyl S. 51

[11] Angenendt, Steffen: Deutsche Migrationspolitik im neuen Europa. S. 19

[12] Angenendt, Steffen (Hg.): Migration und Flucht. S. 41 und Sassen, Saskia: Migranten, Siedler, Flüchtlinge. S. 125

[13] Angenendt, Steffen: Deutsche Migrationspolitik im neuen Europa. S. 20

[14] ebd. S. 19

[15] Angenendt, Steffen: Deutsche Migrationspolitik im neuen Europa. S. 21 und

Sassen, Saskia: Migration, Siedler, Flüchtlinge. S. 155/156

[16] Angenendt, Steffen: Deutsche Migrationspolitik im neuen Europa. S. 19

[17] ebd. S. 22

[18] Schieffer, Martin: Die Zusammenarbeit der EU-Mitgliedstaaten in den Bereichen... S. 28

[19] Angenendt, Steffen: Deutsche Migrationspolitik im neuen Europa. S. 31 und Nuscheler, Franz: Internationale Migration. Flucht und Asyl. S. 32

[20] Angenendt, Steffen: Deutsche Migrationspolitik im neuen Europa. S. 31

[21] ebd. S. 32

[22] ebd. S. 33

[23] Nuscheler, Franz: Internationale Migration. Flucht und Asyl. S. 40

[24] Angenendt, Steffen: Deutsche Migrationspolitik im neuen Europa. S. 34

[25] ebd. S. 35

[26] ebd. S. 35

[27] ebd. S. 37

[28] Nuscheler, Franz: Internationale Migration. Flucht und Asyl. S. 35 und Angenendt, Steffen: Deutsche Migrationspolitik im neuen Europa. S. 37

[29] Nuscheler, Franz: Internationale Migration. Flucht und Asyl. S. 38

[30] Angenendt, Steffen: Deutsche Migrationspolitik im neuen Europa. S. 39

[31] ebd. S. 40 und Schieffer, Martin: Die Zusammenarbeit der EU... S. 38 und M1 und M8 und M10 S. 1

[32] Nuscheler, Franz: Internationale Migration. Flucht und Asyl. S. 37

[33] ebd. S. 37

[34] Angenendt, Steffen: Deutsche Migrationspolitik im neuen Europa. S. 41

[35] ebd. S. 42

[36] Nuscheler, Franz: Internationale Migration. Flucht und Asyl. S. 38

[37] ebd. S. 39

[38] ebd. S. 40

[39] ebd. S. 40

[40] Angenendt, Steffen. Deutsche Migrationspolitik im neuen Europa. S. 32

[41] Nuscheler, Franz: Internationale Migration. Flucht und Asyl. S. 41

[42] Nuscheler, Franz: Internationale Migration. Flucht und Asyl. S. 41

[43] Angenendt, Steffen: Deutsche Migrationspolitik im neuen Europa. S. 32

[44] Schieffer, Martin: Die Zusammenarbeit der EU-Mitgliedstaaten in den Bereichen... S. 30

[45] Angenendt, Steffen: Deutsche Migrationspolitik im neuen Europa. S. 17

[46] Angenendt, Steffen: Deutsche Migrationspolitik im neuen Europa. S. 14-17

[47] ebd. S. 16

[48] ebd. S. 17

[49] ebd. S. 18

[50] Nuscheler, Franz: Internationale Migration. Flucht und Asyl. S. 16

[51] Angenendt, Steffen (Hg.): Migration und Flucht. S. 34

[52] Angenendt, Steffen: Deutsche Migrationspolitik im neuen Europa S. 87

[53] ebd. S. 88

[54] Angenendt, Steffen: Deutsche Migrationspolitik im neuen Europa S. 88

[55] Butterwegge/Jäger (Hg.): Europa gegen den Rest der Welt? S. 35

[56] Rürup, Bert/Sesselmeier, Werner: Die demographische Entwicklung Deutschlands... in: APuZ B 44/1993 S. 9

[57] Angenendt, Steffen: Deutsche Migrationspolitik im neuen Europa S. 89

[58] ebd. S. 43

[59] ebd. S. 50

[60] Angenendt, Steffen: Deutsche Migrationspolitik im neuen Europa. S. 50

[61] ebd. S. 53

[62] ebd. S. 55

[63] ebd. S. 56/57

[64] ebd. S. 59

Ende der Leseprobe aus 45 Seiten

Details

Titel
Die Europäische Union - auf dem Weg zu einer gemeinsamen Asyl- und Einwanderungspolitik?
Hochschule
Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg  (Institut für Politische Wissenschaft)
Veranstaltung
Hauptseminar: Evolution von Staat und Gesellschaft
Note
1,3
Autor
Jahr
1998
Seiten
45
Katalognummer
V4614
ISBN (eBook)
9783638128292
Dateigröße
704 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
EU, Asyl, Einwanderung
Arbeit zitieren
Thomas Grömling (Autor:in), 1998, Die Europäische Union - auf dem Weg zu einer gemeinsamen Asyl- und Einwanderungspolitik?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/4614

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