Mit mehr Kraft zum Erfolg. Krafttraining im Schulsport


Examensarbeit, 2009

44 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2 Problemstellung

3 Kraft: Allgemeine und spezielle Grundlagen
3.1 Definition und Charakteristik
3.2 Erscheinungsformen der Kraft
3.2.1 Maximalkraft
3.2.2 Kraftausdauer
3.2.3 Schnellkraft
3.3 Zur Bedeutung des Krafttrainings als Trainingsziel im Schulsport
3.3.1 Die Bedeutung des Krafttrainings im Schulsport für die Leistungsfähigkeit
3.3.2 Die Bedeutung eines Krafttrainings zur Prävention von bewegungsmangelinduzierten Erkrankungen
3.3.3 Chancen und Risiken des Krafttrainings im Kindesalter

4 Mit mehr Kraft zum Erfolg
4.1 Beschreibung der Lerngruppe
4.2 Beschreibung der Kontrollgruppe
4.3 Beschreibung der Lernvoraussetzungen für die Unterrichtseinheit
4.4 Verlauf der Unterrichtseinheit
4.5 Didaktische Überlegungen zur Unterrichtseinheit
4.6 Lernziele der Einheit
4.7 Methodische Überlegungen zur Unterrichtseinheit

5 Eine exemplarische Unterrichtsstunde
5.1 Wie und wozu trainieren wir unseren gesamten Körper?
5.1.1 Beschreibung der Lernvoraussetzungen für die Unterrichtsstunde
5.1.2 Didaktische Überlegungen zur Unterrichtsstunde
5.1.3 Methodische Überlegungen zur Unterrichtsstunde
5.1.4 Reflexion der gehaltenen Unterrichtsstunde

6 Auswertung der Testergebnisse
6.1 Eingangstest
6.2 Ausgangstest
6.3 Diskussion der Ergebnisse und Rückschlüsse auf den Unterrichtserfolg unter Einbeziehung der Problemstellung

7 Reflexion der Einheit und Fazit

8. Literatur

9 Anhang. 36
9.1 Trainingstagebuch
9.2 Erarbeitete Regeln zum Krafttraining
9.3 Beschreibungen der Übungen in der exemplarischen Unterrichtsstunde
9.4 Ergebnisse des Ein- und Ausgangstests

1. Einleitung

Das Thema „Krafttraining im Kindes- und Jugendalter“ hat in den letzten Jahren zunehmend das Interesse der Wissenschaft und der Öffentlichkeit auf sich gezogen und an Popularität gewonnen.1 Im Gegensatz zum Krafttraining bei Erwachsenen war das Krafttraining mit Jüngeren, besonders mit Kindern unter 14 Jahren, noch immer nicht ausreichend erforscht. Da nur allgemeine Vermutungen und Theorien im Hinblick auf eine mögliche Überbeanspruchung oder sogar Gefährdung der Kinder, aber keine fundierten und aussagekräftigen Untersuchungen vorlagen, wurde das Krafttraining bisher nicht in den allgemeinen Breitensport mit Kindern und Jugendlichen integriert.

Im Gegensatz zu den USA, die bei diesem Thema eine Vorreiterrolle einnehmen, ist in Deutschland bei einigen Trainern, Lehrern, Medizinern und Sportlern mangels Sachkenntnis sowohl der biologischen und biomechanischen Grundlagen als auch moderner praktischer Methoden des Muskeltrainings bis zum jetzigen Zeitpunkt eine insgesamt ablehnende Haltung gegenüber dem Krafttraining mit Kindern zu beobachten. Diese ist einerseits durch die Angst vor eventuellen Schäden begründet, die ein Krafttraining am noch nicht ausgewachsenen Körper auslösen könnte.2 Die Zurückhaltung resultiert andererseits daraus, dass bei Kindern im Gegensatz zum Erwachsenen bisher keine Muskelmassenzunahme (Hypertrophie) nach­gewiesen werden konnte und somit die Grundlage für Kraftzuwächse zu fehlen scheint.

Die Lehrpläne in Hessen sehen als wichtiges Lernziel für die Klassen 1-4, 5-10 und 11-13 die Ausbildung der physischen Grundeigenschaften vor.3 Leider wird dabei die Kraft nur nebenbei erwähnt. Es fehlt eine detaillierte Sachbeschreibung und eine Nennung konkreter Methoden und Inhalte, wie es bei anderen Teilen des Sportunterrichts der Fall ist. Die verschiedenen Formen des Krafttrainings finden keine adäquate Berücksichtigung. Es entsteht so der Eindruck, als ob Kraft eine nebensächliche Rolle im Sportunterricht spielt.

Allgemein herrscht im Schulsport Verunsicherung, nicht nur über die generelle Frage eines Einsatzes von Krafttraining, sondern auch darüber, was die Differenzierung von „richtigen“ und „falschen“ Übungen angeht. Gleichzeitig leiden aber laut Weineck4 bis zu 65 %, laut Siewers5 sogar bis zu 80% der deutschen Grundschüler an Haltungsschwächen. Diese sind zu einem großen Teil muskulär begünstigt und werden häufig durch Bewegungsmangel und die fehlende Entwicklung von grundlegenden konditionellen Fähigkeiten hervorgerufen.

„Die Schwäche der Muskulatur bedeutet eine reduzierte Funktionsfähigkeit der gesamten Muskulatur, auf lange Sicht auch eine Überbelastung des passiven Bewegungsapparates (Knochen, Gelenke); eine gezielte Förderung der Muskelentwicklung erscheint deshalb zwingend notwendig.“ 6

Offensichtlich können diese Schwächen nicht alleine durch die im Sportunterricht der Schule durchgeführten Spiel- und Ausdauer­komponenten behoben werden.7 Deshalb ist ein unter­stützendes, dem Reifungsprozess der Kinder angepasstes Krafttraining für die allgemeine Entwicklung des Körpers und speziell zur Prävention von Haltungsschäden von großer Bedeutung.8

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass ein Krafttraining mit Kindern und Jugendlichen für deren Entwicklung enorm wichtig ist, da die Körperkraft zum einen die tragende Säule in der Leistungsoptimierung bildet und zum anderen der Förderung und Erhaltung der Gesundheit dient.

Aus den genannten Gründen erscheint es daher zwingend notwendig, das Krafttraining als festen Bestandteil in den Schulsport zu integrieren.

Mit der vorliegenden Arbeit soll ein Beitrag zu dieser Thematik geleistet werden, indem die Effekte eines sechswöchigen Krafttrainings mit Schülern einer siebten Realschulklasse unter­sucht werden.

2 Problemstellung

Anstoß für diese Untersuchung war meine Beobachtung zu Beginn des Schuljahres im Sportunterricht. Einen Monat nach Beginn des Schuljahres sollten an unserer Schule die Bundesjugendspiele stattfinden. Daher wurden die Disziplinen Sprint, Weitsprung und Weitwurf geübt. Fast alle Schüler erzielten dabei nur schwache bis durchschnittliche Ergebnisse. Hierbei hatte ich erstmals die Vermutung, dass die Schüler neben technischen Schwierigkeiten auch ein erhebliches Kraftdefizit besitzen. Um meine Vermutung zu bestätigen, habe ich nach den Bundesjugendspielen verschiedene Spiele und Übungen (z.B. Schubkarrenrennen, verschiedene Halteübungen, sich an einer Stange hochziehen, auf einen hohen Kasten klettern usw.) im Sportunterricht durchgeführt. Dabei wurde ersichtlich, dass die meisten Schüler nicht in der Lage waren, ihr eigenes Körpergewicht zu tragen bzw. zu heben. Dies waren für mich eindeutige Beweise für ein erhebliches vorhandenes Kraftdefizit.

Ich hatte in meiner Planung zu Beginn des Schuljahres vor, mit dem Turnen als Unterrichts­einheit zu beginnen. Da im Turnen die Kraft die grundlegende Voraussetzung für das Erlernen aller Übungen ist, wäre es angesichts des aktuellen Leistungsstands der Lerngruppe unsinnig gewesen, mit dem Turnen zu beginnen. Da die Lerngruppe ein erhebliches Kraft­defizit aufwies und die Kraft für das Turnen elementar ist, erschien mir ein vorgeschaltetes Krafttraining unabdingbar.

Um einen eindeutigen Kraftanstieg zu registrieren, habe ich mich entschieden, den Klimmzug in den Mittelpunkt dieser Untersuchung zu stellen. Der Klimmzug ist keine technisch besonders anspruchsvolle Bewegung und kann aufgrund des geringen Materialbedarfs mit Leichtigkeit überall durchgeführt werden. Um eine zweckmäßige Verbindung zwischen der Kraft und dem Turnen herzustellen, habe ich den Auf-, Um- und Felgaufschwung am Reck in den Fokus genommen. Beim Auf-, Um- und Felgaufschwung am Reck muss der Turnende in der Lage sein, sein eigenes Körpergewicht aus dem Stand hochzuhieven. Dieser Vorgang kommt einem Klimmzug gleich, da auch hierbei das Körpergewicht an einer Stange hoch­gezogen werden muss. Daraus lässt sich ableiten, dass der Turnende mindestens in der Lage sein muss, einen Klimmzug zu bewältigen. Erst dann hat man die nötige Kraft, um die technischen Fertigkeiten des Auf-, Um- und Felgaufschwunges am Reck überhaupt zu erlernen. Daher konzentriert sich diese Untersuchung auf die von den Kindern benötigte Kraft, um überhaupt in der Lage zu sein, den Auf-, Um- und Felgaufschwung am Reck zu erlernen.

Daraus ergab sich die Frage, ob ein Krafttraining der oberen und unteren Extremitäten und der Rumpfmuskulatur bei Kindern einen entsprechenden Kraftzuwachs induziert, und wie sich dieser Zuwachs auf die Ausführung eines Klimmzuges, im Hinblick auf den Auf-, Um- und Felgaufschwung am Reck, auswirkt.

Wenn sich die Kraftfähigkeiten der Individuen einer Gruppe, die ein Krafttraining durchgeführt hat, signifikant verbessern, könnte man davon ausgehen, dass das zusätzliche Krafttraining tatsächlich die entsprechenden Effekte zeigt. In diesem Fall wäre bewiesen, dass Sport­lehrerinnen und Sportlehrer verstärkt Krafttrainingseinheiten in ihren Sportunterricht integrieren müssen, damit die Schüler physisch in der Lage sind, die von ihnen im Fach Sport verlangten Anforderungen erfüllen zu können.

Diese Arbeit beginnt zunächst mit der Definition und den Erscheinungsformen der Kraft sowie deren Bedeutung für den Sportunterricht und den (Schul-) Alltag.

Anschließend wird die durchgeführte Unterrichtseinheit dargestellt, wobei im darauf folgenden Kapitel eine Unterrichtsstunde exemplarisch beschrieben wird.

Durch das Heranziehen der gesammelten Daten aus dem Ein- und Ausgangstest wird unter Berücksichtigung der Problemstellung die Unterrichtseinheit reflektiert und bewertet.

Wenn in dieser Arbeit von Krafttraining gesprochen wird, so muss dieses deutlich vom amerikanischen ‚Power Lifting’ differenziert werden, bei welchem das Heben maximaler Lasten, beispielsweise mit Scheibenhanteln, eine zentrale Rolle spielt.9 Krafttraining mit Kindern hat die Verbesserung von Kraftfähigkeiten (Maximalkraft, Schnellkraft, Kraft­ausdauer) zum Ziel.10 Es erfolgten nur Übungen mit dem eigenen Körpergewicht, da hiermit ausreichende Reize im Kindes- und Jugendalter gesetzt werden können.11

3 Kraft: Allgemeine und spezielle Grundlagen

3.1 Definition und Charakteristik

In einer eher allgemeinen Definition wird Kraft als die Grundeigenschaft des Menschen angesehen, mit der er eine Masse bewegt wird. Dies kann der eigene Körper, ein Sportgerät oder irgendetwas anderes sein. Kraft beschreibt in diesem Sinne die Fähigkeit des mensch­lichen Bewegungsapparats, einen Widerstand zu überwinden oder diesem durch Muskel­einsatz entgegenzuwirken.

Kraft ist somit die Grundvoraussetzung für das Ausführen von Bewegungen jeglicher Art und Weise, vom Heben der Fernbedienung bis zum Stemmen von Hanteln.

Die Kraft wird in drei Hauptformen untergliedert, die im Folgenden beschrieben werden.

3.2 Erscheinungsformen der Kraft

Kraft wird von zahlreichen Autoren in ihrem Erscheinungswesen drei Hauptformen zugeordnet, der Maximalkraft, der Schnellkraft und der Kraftausdauer. Schmidtbleicher12 erklärt diese Unterteilung nach wie vor als gültig, ordnet diese jedoch nicht gleichrangig auf einer Ebene ein. Er betrachtet vielmehr die Maximalkraft als die Basisfähigkeit für Schnellkraft und Kraftausdauer. Das bedeutet, dass der Ausprägungsgrad der beiden Fähigkeiten Schnell­kraft und Kraftausdauer wesentlich von der Maximalkraft abhängt. Daraus ergibt sich für das Training der Grundsatz, dass eine Verbesserung der Maximalkraft erfahrungsgemäß auch eine Verbesserung der Schnellkraft- und Kraftausdauerleistungen zur Folge hat.

3.2.1 Maximalkraft

„Die Maximalkraft ist die höchste Kraft, die das Nerv-Muskelsystem bei maximaler willkürlicher Kontraktion auszuüben vermag.“ 13 Manche Autoren unterscheiden zusätzlich zwischen statischer (isometrischer) und dynamischer Maximalkraft. Statische Maximalkraft tritt auf bei maximaler Kontraktion gegen einen unüberwindlichen Widerstand.14 Dynamische Maximalkraft ist die höchste Kraft, die das Nerv-Muskel-System bei einer willkürlichen Kontraktion innerhalb eines Bewegungsablaufs realisieren kann. Die statische Maximalkraft ist in der Sportpraxis beispielsweise beim Tauziehen zweier gleich starker Mannschaften von Bedeutung. Die dynamische Maximalkraft findet sich dagegen beispielsweise in den Reiß- oder Stoßbewegungen beim Gewichtheben wieder. Diese in der Trainingspraxis sicherlich sinnvolle Unterscheidung ist aber letztlich wissenschaftlich nicht haltbar, da die aufgewendete Kraft immer vom Widerstand abhängt: „Mit steigender Last nehmen die dynamischen Kraftmaxima-Werte zu, um sich beim Einer-Wiederholungsmaximum fast der isometrischen Maximalkraft anzugleichen.“ 15 Und schließlich übersteigt die exzentrische Maximalkraft auch die isometrische Maximalkraft.

Die Maximalkraft ist von den folgenden muskulären Komponenten abhängig:

- physiologischer Muskelquerschnitt (Muskelmasse)
- Muskelfaserzusammensetzung und -ausprägung
- Neuronale Einflussgrößen

Die neuronalen Faktoren werden häufig unter der intermuskulären Koordination (Koordination zwischen den Muskeln, die bei einer Bewegung zusammenarbeiten) und der intramuskulären Koordination oder Aktivierungsfähigkeit subsummiert.

Aus der Auflistung der Einflussgrößen ergibt sich, dass durch eine Verbesserung der inter- und der intramuskulären Koordination eine Kraftzunahme auch ohne Querschnitts- und Massen­zunahme der Muskeln möglich ist.16 Bleiben die übrigen Komponenten unverändert, so reicht die Verbesserung einer Einflussgröße aus, um die Maximalkraft zu erhöhen.

Eine wichtige abgeleitete Größe ist die relative Maximal­kraft. Sie ist die höchstmögliche Kraft, die ein Sportler im Verhältnis zu seinem Körpergewicht entwickeln kann. Sie kann auf zwei Wegen beeinflusst werden: Durch Zu- oder Abnahme des Körpergewichts oder durch Zu- oder Abnahme der Maximalkraft. Beide Faktoren können auch gleichzeitig eintreten.17

3.2.2 Kraftausdauer

„Als Kraftausdauer bezeichnet man die Fähigkeit des neuromuskulären Systems, eine möglichst hohe Impulssumme (Kraftstoßsumme) in einer gegebenen Zeit gegen höhere Lasten zu produzieren“. 18

Die Kraftausdauer wird hauptsächlich von zwei Faktoren bestimmt, nämlich von der Größe der einzelnen Impulse sowie der Fähigkeit, deren ermüdungsbedingte Reduktion möglichst gering zu halten. Die erste Komponente, die Größe der Impulse, wird hauptsächlich von der Maximal­kraft als Basisfähigkeit der Kraftausdauer beeinflusst. Je näher die bei den einzelnen Kraft­stößen aufgebrachte Kraft am Maximalkraftniveau liegt, desto größer ist der Einfluss der Maximalkraft auf die Kraftausdauer.

Kraftausdauertraining strebt im Wesentlichen anaerobe Adaptionen an. Deshalb müssen im Training Belastungen von über 50% der individuellen Maximalkraft und von bis zu 2 Minuten Dauer gewählt werden.

3.2.3 Schnellkraft

Schmidtbleicher 1980 und Bührle 1985 verstehen unter Schnellkraft „das Vermögen, große Kraftwerte pro Zeiteinheit zu realisieren, wobei Schnellkraft als Quotient aus dem Maximalkraftwert und der Zeit, die erforderlich ist, diesen Wert zu erreichen, definiert wird“. 19

Bei dem Testdesign dieser Untersuchung wird die Schnellkraft jedoch nicht erfasst und aus diesem Grunde auch nicht näher definiert.

3.3 Zur Bedeutung des Krafttrainings als Trainingsziel im Schulsport

Im Wesentlichen lassen sich zwei wichtige Aufgaben innerhalb des gesamten pädagogischen Prozesses im Schulsport festhalten. Neben der Steigerung der motorischen Leistungsfähigkeit steht die Förderung der gesunden Entwicklung der Schüler im Vordergrund.

3.3.1 Die Bedeutung des Krafttrainings im Schulsport für die Leistungsfähigkeit

Um erfolgreich und vielseitig Sport treiben zu können, benötigen die Schüler Mindest­ausprägungen in allen Kraftfähigkeiten am kompletten Muskelkorsett. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die Tatsache, dass im Sportunterricht keine Spezialisierung der Ausprägung von Kraftfähigkeiten gefragt ist. Zudem besteht eine enge wechselseitige Beziehung zwischen der Kraft im Rahmen der jeweiligen Leistungsstruktur als konditionelle Fähigkeit und anderen konditionellen Fähigkeiten wie Ausdauer, Schnelligkeit und der sportlichen Technik.

In der Praxis wurde hierzu festgestellt, dass Schüler „beim Erlernen von Bewegungsfertigkeiten scheitern, weil ihnen die notwendige Kraft fehlt“. 20

In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob es sinnvoll ist, einen Schüler beispielsweise so lange erfolglos den Auf-, Um- und Felgaufschwung am Reck üben zu lassen, bis er aufgrund der mühsamen Versuche seine Rumpf- und Armmuskulatur ausreichend gekräftigt hat, um einen erneuten Versuch erfolgreich zu bestehen. Stattdessen scheint es wohl sinnvoller zu sein, vor einer solchen Übung ein Krafttraining für die (beteiligte) Muskulatur durchzuführen, um ihm die negative Erfahrung der Fehlversuche zu ersparen.

Es ist nachgewiesenermaßen bereits in jungen Jahren möglich, das Kraftniveau durch ein systematisches Training sehr schnell zu steigern. In Studien konnten nicht nur gewaltige Zuwächse in den Trainingsphasen erzielt werden. Sogar in trainingsfreien Phasen blieb das Niveau erhöht und steigerte sich entwicklungsbedingt in gleichem Maße wie in der Kontrollgruppe weiter, so dass bei einem erneuten Training ein Übertrag im Gegensatz zur Kontrollgruppe vorhanden war.

In diesem Kontext ist noch einmal darauf hinzuweisen, dass die Kraftfähigkeiten eine hohe Generalität und Übertragbarkeit aufweisen. Im oben beschriebenen Beispiel wurde dies durch die Tatsache deutlich, dass die Ausführung des Auf-, Um- und Felgaufschwungs in hohem Maße mit der Maximalkraft der Armbeugemuskulatur sowie der Bauchmuskulatur korreliert.

Auch die sportmotorischen Fähigkeiten setzen ein bestimmtes Kraftniveau voraus, so dass auch bei motorischen Beanspruchungen ein vorgeschaltetes Krafttraining dazu führen kann, Fehlversuche zu vermeiden.21

3.3.2 Die Bedeutung eines Krafttrainings zur Prävention von bewegungsmangel­induzierten Erkrankungen

Eine weitere Notwendigkeit, ein Krafttraining im Kindes- und Jugendalter durchzuführen, ergibt sich aus der Tatsache, dass je nach Statistik bereits über 65% der Schüler starke Defizite in der Haltemuskulatur aufweisen und faktisch haltungsschwach sind.22

Somit scheint der Schulsport momentan nicht in der Lage zu sein, die Rumpf und Extremitäten­muskulatur im Sportunterricht kompensatorisch zum allgemeinen Bewegungsmangel aufzu­trainieren. Deutlich wird dies, wenn man sich vor Augen führt, dass es innerhalb der ersten beiden Schuljahre zu einem Anstieg der Haltungsschwächen auf 70% kommt und zeitgleich der Anteil von adipösen Kindern auf über 20 % zunimmt. Der Anstieg der Fettleibigkeit führt indessen wiederum zu einem Absinken der sportmotorischen Leistungsfähigkeit. Besonders betroffen sind die Bereiche, die die Kraft, die Schnelligkeit sowie die allgemeine Ausdauer beanspruchen.23

Haltungsschäden sind besonders häufig bei Mädchen festzustellen. Dies liegt weniger an genetischen Dispositionen oder einer schlechteren Trainierbarkeit des weiblichen Geschlechts als vielmehr an der frühzeitigen Aufgabe jeglicher sportähnlicher, muskelbeanspruchender Freizeittätigkeiten. Die Gründe hierfür sind im Wesentlichen soziogenetischer Natur. Dies impliziert eine hohe Priorität von systematischen Kräftigungsübungen im Mädchensport in der Schule.

Die durch den Mangel an Bewegung entstehende Inaktivitätsatrophie mit strukturellen und funktionellen Veränderungen führt weiter zu einer muskulären Insuffizienz, die allein durch Bewegungsmangel verursacht ist.

Diese Aspekte weisen zwingend darauf hin, dass ein systematisches und gezieltes Krafttraining mit der Zielsetzung der Prävention von Haltungsschäden bzw. der Verbesserung von bereits bestehenden Defiziten unbedingt erforderlich ist. Zumal Haltungsschäden eine ganze Kette von weiteren Gesundheitsschäden auslösen können. Diese können unter Umständen eine sehr lange Latenz aufweisen, deren Anfänge bis in die Kindheit reichen können.

Somit sollte die mögliche positive Kreuzadaptation eines Krafttrainings im Schulalter auch in Richtung späterer Lebensphasen orientiert sein. Ein systematisch durchgeführtes Krafttraining hat somit eine hohe Bedeutung für die Erhaltung und Förderung der Gesundheit in allen Abschnitten der Ontogenese.

3.3.3 Chancen und Risiken des Krafttrainings im Kindes alter

Ein wesentlicher Kritikpunkt, der die Sportlehrerinnen und Sportlehrer in den letzten Jahren vom Krafttraining im Sportunterricht abgehalten hat, sind die potentiellen Risiken. Angeführt werden beispielsweise Fehlbelastungen der Wirbelsäule und des gesamten passiven Bewegungs­apparates sowie muskuläre Dysbalancen durch einseitig beanspruchende Übungen.24 Lange wurde das Thema kontrovers diskutiert. In jüngster Zeit aber haben die Studien, die ein Krafttraining befürworten, ein deutliches Übergewicht erhalten. Dabei wird allerdings immer die Notwendigkeit einer kindgerechten Ausführung betont. Darunter verstehen beispielsweise Umbach & Fach25, „auf die Besonderheiten des Wachstums- und Reifungsprozesses methodisch Rücksicht zu nehmen, bzw. diesen zu unterstützen“. Dieses Prinzip der physiologischen Reizsetzung wird in der Literatur häufig hervorgehoben.

„Reklamationen aus orthopädischer Sicht haben ihre Berechtigung zweifellos insofern, als Fehlbelastungen durch unzureichende Schulung der korrekten Übungsausführung, durch eine unsachgemäße oder einseitige Auswahl der Trainingsinhalte oder durch übertriebene Zusatzlasten unbedingt auszuschließen sind.“ 26

Es ist an dieser Stelle festzuhalten, dass die in diesem Zitat erwähnten Prinzipien beim Krafttraining für Jugendliche, Erwachsene oder Senioren genauso von Bedeutung sind.

Die potenziell schädigenden Auswirkungen bei unphysiologischer Übungsausführung sind noch nicht in Langzeitstudien untersucht worden. Wie jede körperliche Belastung kann ein Krafttraining allerdings nicht pauschal als ungefährlich bezeichnet werden.27 Dass es grund­sätzlich in Folge von Überbe­anspruchungen und Fehlbelastungen zu Schäden kommen kann, zeigt sich nicht nur im Leistungssport, wobei aber eine Differenzierung des auslösenden Faktors (zu intensives sportart­spezifisches Training, ungünstige Technik, falsches Kraft­training, ungünstige konstitutionelle Veranlagung etc.) schwer fällt.

Dadurch, dass die endgültige Verknöcherung des Skelettsystems erst zwischen dem 17. und 20. Lebensjahr abgeschlossen ist, weist der passive Bewegungsapparat im Vergleich zum Erwachsenen nur eine reduzierte Belastbarkeit auf. Der kindliche Knochenbau ist zwar aufgrund des geringeren Kalkgehalts elastischer, dafür aber weniger druck- und biegefest. Dies wird vereinzelt noch als eine mögliche Kontraindikation für Kraft­training mit Kindern betrachtet. Eine differenzierte Betrachtung des Themas sollte allerdings auch die Tatsache beachten, dass durch Krafttraining langfristig die Knochendichte erhöht wird.

„ [ ... ] über Zug- und Druckbeanspruchungen des Knochens durch muskuläre Betätigung lassen sich formative Reize und damit Adaptations­erscheinungen auslösen, die u.a. in der Knochen­struktur (dickere Kortikalis, breitere Knochenausrichtung der Spongiosabälkchen nach den Zug-Drucklinien) und in der höheren Zugfestigkeit des Bindegewebes deutlich werden.“ 28

Natürlich können Fehlbelastungen oder einmalig übergroße Krafteinwirkungen im Kindes- und Jugendalter leicht zu Schädigungen des passiven Bewegungsapparates führen und einseitige Überforderung zu muskulären Dysbalancen. Solche Belastungen sollten deshalb bei Kindern unbedingt vermieden werden. Allerdings wird häufig vergessen, dass dies zu den ganz allgemeinen Prinzipien gehört, die grundsätzlich für das Krafttraining jeder Altersgruppe bzw. allgemein für sportliches Training gelten.

Gerade muskuläre Dysbalancen können bei einer entsprechend ausgewogenen Übungsauswahl viel besser vermieden oder langfristig sogar korrigiert werden als beim sportartspezifischen Training, bei dem diese Ausgewogenheit der Beanspruchung häufig nicht zu erzielen ist.

Die Sportlehrerinnen und Sportlehrer müssen dazu aber auch die funktionelle Anatomie des kind­lichen Bewegungsapparates und weitere Kriterien der richtigen Übungsauswahl und -durch­führung kennen. Schließlich ist ein großer Gefahrenpunkt in der unphysiologischen Aus­führung von Übungen zu finden. Der ausführlichen Vermittlung und dem Erlernen der technisch sauberen Ausführung der Übungen ist deshalb besonders viel Zeit und Aufmerksam­keit zu widmen. Eine Erhöhung der Belastungsintensität sollte erst dann erfolgen, wenn der richtige Bewegungsablauf sicher beherrscht wird. Eine andere wichtige Voraussetzung für ein Krafttraining ist ein gewisses Maß an Disziplin, ohne die ein sicheres Training nicht gegeben ist.29

Es bleibt festzuhalten, dass nach heutigem Stand der Wissenschaft keine Beweise dafür existieren, dass sich Kinder beim Krafttraining im Vergleich mit Jugendlichen oder Erwachse­nen häufiger verletzen.30 Aufgrund der Tatsache, dass die Empfindlichkeit des Gewebes sich proportional zur Wachstumsgeschwindigkeit verhält, sind Kinder und Jugendliche einer gegenüber Erwachsenen erhöhten Gefahr von Überlastungsschäden durch unphysiologische Trainingsreize ausgesetzt.31 Das Knorpelgewebe bzw. die noch nicht verknöcherten Wachstumsfugen weisen eine erhöhte Gefährdung gegenüber starken Druck- und Scherkräften auf. Diese Faktoren sollten immer beachtet werden, zumal die Belastungsverträglichkeit des Bewegungs­apparates bei kalendarisch und biologisch gleichaltrigen Kindern sehr unterschiedlich sein kann. Dementsprechend ist das Prinzip, Krafttraining grundsätzlich nur mit dem eigenen Körpergewicht durchzuführen und keinesfalls Zusatzlasten zu benutzen, willkürlich und trainingsmethodisch völlig ungeeignet.32

[...]


1 Vgl. Flanagan et al. 2002, S. 340

2 Vgl. Siewers 2001, S. 55

3 Vgl. Lehrpläne Hessen für Grund-, Haupt- und Realschulen und Gymnasium

4 Vgl. Weineck 2003, S. 373

5 Vgl. Siewers 2001, S. 55

6 Ehlenz et al. 1995 S. 73

7 Vgl. Siewers 2001, S. 55

8 Vgl. Weineck 2003, S. 374, 376

9 Vgl. Siewers 2001, S. 55

10 Ebd.

11 Vgl. Steinmann, 2004, S. 71

12 Vgl. Schmidtbleicher in Fritsch 2003, S. 16 - 17

13 Harre 1979 in Letzelter 1983, S. 130

14 Vgl. Weineck 2003, S. 238

15 Vgl. Röthig 2003, S. 303

16 Vgl. Ehlenz et al. 1995, S. 74

17 Vgl. Letzelter 1983, S. 131

18 Fritsch 2003, S. 20

19 Martin et al. 2001, S. 107

20 Steinmann 2004, S. 21

21 Vgl. Reader Schmidtbleicher 2004, S. 12

22 Vgl. Weineck 2003, S. 373

23 Vgl. Weineck 2003, S. 374

24 Vgl. Weineck 2003, S. 377

25 Vgl. Umbach & Fach 1990, S. 354

26 Schmidtbleicher in Fritsch 2003, S. 27

27 Vgl. Guy & Micheli, 2001, S. 29-36

28 Weineck, 2003, S. 377

29 Vgl. Siewers 2001, S. 58

30 Vgl. Blimkie 1993, in Siewers 2001, S. 58

31 Vgl. Siewers 2001, S. 56

32 Vgl. Schmidtbleicher in Fritsch 2003, S. 27

Ende der Leseprobe aus 44 Seiten

Details

Titel
Mit mehr Kraft zum Erfolg. Krafttraining im Schulsport
Hochschule
Studienseminar Frankfurt für Grund-, Haupt-, Real- und Förderschulen  (Staatliches Schulamt)
Veranstaltung
Referendariat
Note
1,3
Autor
Jahr
2009
Seiten
44
Katalognummer
V460943
ISBN (eBook)
9783668914797
ISBN (Buch)
9783668914803
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Kraft, Schule, Sportunterricht, Klimmzug, Krafttraining
Arbeit zitieren
Amarjit Mudhar (Autor:in), 2009, Mit mehr Kraft zum Erfolg. Krafttraining im Schulsport, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/460943

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