Homosexualität im Alter. Mit Blick auf ausgewählte Wohnformen


Bachelorarbeit, 2014

68 Seiten, Note: 2


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I.Theoretischer Teil

Einleitung

1. Sexuelle Orientierung
1.1 Heterosexualität
1.2 Homosexualität
1.2.1 Lesbische Frauen
1.2.2 Schwule Männer
1.3 Transsexualität
1.4 Bisexualität

2. Historischer Hintergrund – Homosexualität in Deutschland
2.1 Homosexuellenbewegung in Deutschland
2.2 Paragraph 175

3. Pflege und Wohnen im Alter
3.1 Pflege
3.2 Pflegebedürftigkeit
3.3 Pflegeformen
3.4 Institutionalisierte Wohnformen
3.4.1 Pflegeheime
3.4.2 Altenheime
3.4.3 Altenwohnheime
3.5 Alternative Wohnformen
3.5.1 Betreutes Wohnen
3.5.2 Integriertes Wohnen
3.5.3 Mehrgenerationen Wohnen
3.5.4 Pflegewohngruppen
3.5.5 Gemeinschaftliche Wohnformen

4. Ältere und pflegebedürftige Homosexuelle in der Bevölkerung

5. Vorhandene Wohnformen für Homosexuelle 29
5.1 „Villa Anders“ - Mehrgenerationen-Wohnen in Köln
5.2 „Arnold-Overzier-Haus“ - Integratives Wohnen in Köln
5.3 „RuT – Rad und Tat“ - Frauenwohnprojekt in Berlin
5.4 „Lebensort Vielfalt“ - Männerwohnprojekt in Berlin
5.5 „CuraDomo“ - Ambulanter Pflegedienst in Berlin
5.6 „Netzwerk für ambulante Pflege“ - Pflegestation in Berlin
5.7 „Rosa ALTERnative“ - Männerwohngruppe in München

II. Empirischer Teil

6. Forschungsdesign
6.1 Qualitative Interviews
6.2 Experteninterviews
6.3 Transkription
6.4 Zusammenfassende Inhaltsanalyse

7. Forschungsergebnisse
7.1 Bisherige Grenzen von gängigen Pflegeeinrichtungen
und Pflegediensten
7.2 Wohnprojekte und ihre Angebote
7.3 Ziele der Wohnprojekte und Einrichtungen
7.4 Erweiterung des Konzepts von gängigen Pflegeeinrichtungen
7.5 Personelle Rahmenbedingungen
7.6 Abbau von Verfolgungserfahrung
7.7 Gesellschaftliche Entwicklung
7.8 Sozialpolitische Strukturen
7.9 Der Bedarf an alternativen Wohnformen und Einrichtungen

8. Perspektiven der sozialen Arbeit in der Pflege von homosexuellen Menschen

9. Fazit

Literaturverzeichnis/Internetquellen

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Redaktion fiir die Veriiffentlichung entfernt.

Einleitung

Aufgrund des demografischen Wandels gibt es auch zunehmend mehr homosexuelle Menschen, die alt und pflegebedürftig sind. Daher wird auch in naher Zukunft die Altenarbeit mit dieser Zielgruppe immer mehr an Bedeutung gewinnen.

Die Intention, diese Arbeit zu verfassen, liegt in der eigenen Biografie begründet. Ich bin eine homosexuelle Frau und arbeite bereits seit einigen Jahren in einer stationären Pflegeeinrichtung. Diese Kombination hat mich zu der Überlegung gebracht, meine Abschlussarbeit zum „Thema Homosexualität im Alter“ mit Blick auf ausgewählte Wohnformen im pflegerischen Kontext zu schreiben. Da die inhaltliche Thematik für meinen weiteren Berufsweg als Sozialpädagogin hilfreich sein kann und mich das Thema selbst irgendwann betreffen wird, empfinde ich es als eine gute Möglichkeit, mich jetzt schon damit auseinanderzusetzen.

Seit den 60er Jahren findet in Deutschland eine demografische Entwicklung statt, die erheblichen Einfluss auf die Zusammensetzung der Bevölkerung hat. Eine verringerte Säuglingssterblichkeit, verbesserte soziale Lebensbedingungen und der allgemeine medizinische Fortschritt führen zu einem besseren Gesundheitszustand der Bevölkerung und somit zu einer höheren Lebenserwartung (Röttger-Liepmann, 2007, S. 22). Aufgrund der steigenden Lebenserwartung erhöht sich auch die Zahl der pflegebedürftigen Menschen. Je nachdem, welcher Grad der Pflegebedürftigkeit bei einem Menschen zutrifft, werden alternative Wohnformen benötigt.

Das Wohnen ist für alle Menschen ein zentraler Handlungs- und Erlebnisbereich. Besonders für ältere Menschen, da sich ihr Handeln überwiegend in der eigenen Häuslichkeit abspielt. Die Lebensqualität der Senior/Innen wird durch das jeweilige Wohnumfeld beeinflusst. Aufgrund des demografischen Wandels gewinnt die Frage nach Betreuung, Versorgung und Wohnen für älterer Menschen immer mehr an Wichtigkeit (Schulz, 2007, S. 8).

Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit der Thematik alternativer Wohnformen für homosexuelle Männer und Frauen im pflegerischen Kontext. Die Frage, die untersucht werden soll, lautet: „Was sind die Besonderheiten der ausgewählten Wohnformen im pflegerischen Kontext für ältere Homosexuelle?“.

Um diese Frage beantworten zu können, ist zunächst zu klären, ob bereits Einrichtungen beziehungsweise Wohnformen für diese Zielgruppe bestehen.

Darüber hinaus stellt sich die Frage, warum es erforderlich ist, Wohnformen für ältere homosexuelle Frauen und Männer zu schaffen. Drittens soll erörtert werden, worin die Schwierigkeiten bestehen, Wohnformen für diese Zielgruppe zu gründen.

Der theoretische Teil der Arbeit beschäftigt sich im ersten Kapitel mit den Begrifflichkeiten der sexuellen Orientierung. Was sind Hetero-, Homo- und Bisexualität? Wer wird als lesbische Frauen, schwule Männer, transsexuelle oder bisexuelle Menschen bezeichnet? Die Klärung der Begrifflichkeiten ist für eine klare Differenzierung erforderlich.

Im zweiten Kapitel wird ein historischer Einblick gegeben, wie schwierig es für homosexuelle Menschen war, sich in die Gesellschaft zu integrieren und welchen radikalen Maßnahmen, z.B. Verlust des Arbeitsplatzes, Ausgrenzung, Verhaftungen etc. sie im Nationalsozialismus ausgesetzt waren. Dies soll verdeutlichen, weshalb es den älteren homosexuellen Menschen so schwer fällt, sich in Einrichtungen zu „outen“ und die Gefahr hoch ist, im Alter aufgrund der sexuellen Orientierung ausgegrenzt und diskriminiert zu werden.

Im dritten Kapitel stehen die Aspekte der Pflege und des Wohnens im Alter im Vordergrund. Als erstes werden die Begriffe der Pflege und Pflegebedürftigkeit kurz vorgestellt und definiert. Im nächsten Abschnitt wird ein kleiner Einblick in die Pflegeformen gegeben, die aufgrund des Schweregrads der Pflegebedürftigkeit genutzt werden können.

Welche Wohnformen existieren derzeit für homosexuelle pflegebedürftige Menschen in Deutschland? Hierfür ist zu klären, welche herkömmlichen Wohnformen bereits bestehen und welche Konzepte sie verfolgen. Denn für pflegebedürftige Menschen, die auf Unterstützung angewiesen sind, ist es erforderlich Wohnformen anzubieten, die sich an ihren Wünschen und Bedürfnissen orientieren. Je nach Schwere der Pflegebedürftigkeit, kann eine adäquate Betreuung in Form von häuslicher Pflege, ambulanter Pflege, teilstationäre oder stationäre Altenhilfe stattfinden.

Die stationäre oder teilstationäre Altenhilfe wird den institutionalisierten Wohnformen zugeordnet. Sie werden für Menschen angeboten, die sich nicht mehr selbstständig versorgen können oder deren Angehörige sich die Versorgung nicht mehr leisten und zutrauen können. Dazu gehören z.B. Pflegeheime, Altenheime oder Altenwohnheime. Für Menschen, die sich nicht für eine Heimunterbringung entscheiden wollen, werden Wohnformen wie z.B. Betreutes Wohnen, integratives Wohnen, Mehrgenerationenwohnen, gemeinschaftliches Wohnen oder Pflegewohngruppen angeboten.

Im vierten Kapitel soll nachvollzogen werden, wie viele Menschen in der BRD von Pflegebedürftigkeit betroffen sind. Der zweite Schritt befasst sich mit dem Anteil älterer und pflegebedürftiger lesbischer Frauen und schwuler Männer in der Gesamtbevölkerung. Dies wird aufgrund der schlechten Datenlage weitestgehend spekulativ sein. Das nachfolgende Kapitel stellt die vorhandenen Wohnformen für ältere homosexuelle Frauen und Männer vor, die zur Zeit in Deutschland bestehen beziehungsweise gegründet werden.

Im empirischen Teil wird nun die Frage untersucht: „Was sind die Besonderheiten der ausgewählten Wohnformen im pflegerischen Kontext für homosexuelle Menschen?“ Um dieser Frage nachgehen zu können, wurden zunächst einige Experten/Innen aus den Einrichtungen ausgewählt, die für ein Interview in Frage kommen würden beziehungsweise zur Verfügung stehen. Diese Interviews sollen per qualitativem Interview durchgeführt werden. Im Anschluss werden die Interviews ausgewertet und die Forschungsergebnisse zu konzeptionellen Strukturen, personellen Rahmenbedingungen, gesellschaftlichen Entwicklungen und sozialpolitischen Strukturen vorgestellt.

Im letzten Kapitel wird versucht, die Perspektiven der sozialen Arbeit mit Hinblick auf pflegebedürftige homosexuelle Menschen zu veranschaulichen. Abschließend wird ein Fazit über gewonnene Erkenntnisse, aufgekommene und unbeantwortete Fragen gezogen und eine Einschätzung zum Bedarf alternativer Wohnangebote für ältere pflegebedürftige lesbische Frauen und schwule Männer abgegeben.

1. Sexuelle Orientierung

Das folgende Kapitel befasst sich mit den verschiedenen sexuellen Orientierungen und damit, was mit der Hetero-, Homo-, Bi-, und Transsexualität in Verbindung gebracht wird. Zunächst soll aber geklärt werden, was unter sexueller Orientierung verstanden wird. Damit soll verdeutlicht werden, wie vielfältig unsere Gesellschaft und die damit einhergehenden Lebensweisen sind.

Zucker formuliert sexuelle Orientierung , wie folgt: „The term sexual orientation is defined by a person's relative responsiveness to sexual stimuli.“ Weiter führt er aus: „The most salient dimension of sexual orientation is probably the sex of the person to whom one is attracted sexually. This stimulus class is obviously how one defines a person's sexual orientation as heterosexual, bisexual or homosexual“ (Zucker zit. in Eckloff, 2003, S. 22f) .

Demnach bezieht sich die sexuelle Orientierung auf die Selbst-Identifikation, das heißt, ob sich jemand als homo-, hetero- oder bisexuell bezeichnet, welche sexuellen Fantasien und Wünsche eine Person hegt und auslebt und von welchem Geschlecht sich eine Person angezogen fühlt. Dies kann sowohl auf gegen-, gleichgeschlechtliche oder auf beide Geschlechter gerichtet sein. Die sexuelle Orientierung ist variabel und kann sich im Laufe einer biografischen Entwicklung verändern (Hill, 2013, S. 71).

Daraus lässt sich schlussfolgern, dass es eine sehr enge Sichtweise ist, Menschen nur danach zu beurteilen, was sie mit ihren Geschlechtsorganen machen, und ihnen folglich ein entweder „normales“ oder „abweichendes“ Verhalten zuzuschreiben. Denn es ist durchaus möglich, dass Menschen vielfältige Beziehungen zum anderen Geschlecht oder zum gleichen Geschlecht haben können. Beispielsweise gibt es Menschen, die versuchen ihre homosexuelle Neigung zu verbergen und heterosexuell leben. Dieses Verhalten wird mit dem Begriff „Not- Heterosexualität“ (BZgA, 2004, S. 19) umschrieben. Im Umkehrschluss gibt es Menschen, die beispielsweise in einer Zwangsgemeinschaft, wie in einem Gefängnis, in der nur Männer oder nur Frauen leben, Homosexualität praktizierten. Analog wird dies mit dem Terminus „Not-Homosexualität“ bezeichnet (BZgA, 2004, S. 19).

Die Aussage der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung unterstreicht noch einmal die bereits beschriebenen fließenden Übergänge sexueller Orientierung: „Die Welt ist also nicht einfach aufzuteilen in Homo- und Heterosexuelle. Wir wissen, dass viele Menschen zu homosexuellem Verhalten fähig sind, auch wenn sie grundsätzlich eine heterosexuelle Orientierung haben, oder aber sie verhalten sich heterosexuell bei grundlegender homosexuellen Orientierung. Und: Nicht jeder Mensch, der als Jugendlicher oder auch Erwachsener einen Menschen gleichen Geschlechts begehrt, muss auch dauerhaft homosexuell sein“ (BZgA, 2004, S. 19).

1.1 Heterosexualität

Das griechische Wort „hetereo“ bedeutet „verschieden“ oder „ungleich“ (Bredehorst, 2013, S.24). Ihre sexuelle Orientierung und ihr Begehren ist ausschließlich auf Personen des anderen Geschlechts bezogen; Liebe und Romantik sind hier mit inbegriffen. Die Heterosexualität wird in der Gesellschaft als Norm empfunden. In dem Begriff der Heterosexualität sind also die Assoziationen mit „Normalität“ und einem „Empfinden“ bereits verwoben. Die nachfolgende Definition impliziert folglich die „Unnatürlichkeit“ der Homosexualität, „[...] ihre soziale Natur, ihre konstitutive Abhängigkeit nicht nur von der zweigeschlechtlichen Ordnung, sondern auch von der Produktion von etwas, was als nicht-normale Sexualität, als nicht-normales Empfinden gilt. Das bezeichnet im eigentlichen Sinne, was Carol Hagemann- White als das „Tabusystem Heterosexualität“ (zit. in Hark, 2013, S. 459) bezeichnet hat, nämlich die gesellschaftliche Übereinkunft, weder von der „sozialen Natur“ der Heterosexualität noch von ihrer Abhängigkeit von Homosexualität und von Zweigeschlechtlichkeit zu sprechen. Denn die heterosexuell orientierte Kultur begreift sich selbst als die elementare Form menschlicher Vergemeinschaftungen [...]“ (Hark, 2013, S. 459). Die Heterosexualität wird somit als Norm, als Naturgegebenes bezeichnet und andere Formen der Sexualität werden als Abweichung betrachtet. Die ausschließliche Beziehung zwischen Männern und Frauen wird als Heteronormativität (Bredehorst, 2013, S. 24) bezeichnet. Hierzu ist jedoch anzumerken, dass sich im westlichen Kulturkreis die Erkenntnis durchsetzt, dass die Geschlechterrollen und die sexuelle Identität durchlässig sein können (Bredehorst, 2013, 24).

1.2 Homosexualität

Das griechische Wort „homo“ bedeutet „gleich, gleichartig“ (Bredehorst, 2013, S. 28) und der lateinische Begriff „sexus“ bezeichnet das männliche und weibliche Geschlecht. Zum Einen sind in diesem Zusammenhang Frauen gemeint, die Frauen lieben. Sie werden als „lesbisch/Lesbe“ bezeichnet und zum Anderen Männer, die sich zu Männern hingezogen fühlen, werden als „schwul/Schwuler“ beschrieben. Es handelt sich also um ein gleichgeschlechtliches sexuelles Verhalten, romantisches oder erotisches Begehren zum eigenen Geschlecht. Die Liebe zum gleichen Geschlecht gehört zur Identität von homosexuellen Menschen, sowie es zu der Identität von heterosexuellen Menschen gehört, Personen des anderen Geschlechts zu lieben (Hofmann, 2008, S. 10).

1.2.1 Lesbische Frauen

Mit dem Wort lesbisch werden homosexuelle Frauen bezeichnet. Der Begriff bezeichnet also die gleichgeschlechtliche Orientierung zwischen zwei Frauen, wobei hier nicht die ausschließlich sexuellen Ebene gemeint ist. Die lesbische Lebensweise bezieht sich nicht nur auf die Sexualität, sondern auch auf die emotionale Zuwendung, oder den Wunsch eine partnerschaftliche Beziehung einzugehen und aufzubauen (Bredehorst, 2013, S. 38). „Namensgeberin der lesbischen Liebe ist die Insel Lesbos“ (Bredehorst, 2013, S. 38). Die griechische Dichterin Sappho lebte dort im 6. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung und beschrieb in ihren Gedichten die Liebe zwischen Frauen (Bredhorst, 2013, S. 38).

Das Wort „Lesbe“ wird heute nicht mehr als abwertende Beschreibung bezeichnet und ist sogar in die offizielle Nachrichtensprache eingegangen. In homophoben Kreisen wird der Begriff „Lesbe“ jedoch nach wie vor als Schimpfwort verwendet (Bredehorst, 2013, S. 39).

1.2.2 Schwule Männer

Das Wort „schwul“ beschreibt homosexuelle Männer, die gleichgeschlechtlich orientiert sind, also Männer lieben und begehren. „Schwul sein“ beschreibt ebenso wie „Lesbisch sein“ eine soziale, kulturelle und politische Identität. Dies drückt sich in der Zugehörigkeit zu anderen Schwulen, Gruppen und Initiativen aus (Bredehorst, 2013, S. 52). Das sind Gemeinschaften oder Communities, die aufgrund ihrer gemeinsamen sexuellen Identität die selben Erfahrungen teilen und gemeinsam aktiv werden. Zu diesen Communities gehören zum Beispiel Beratungszentren, Selbsthilfegruppen oder Stammtische für Schwule, das Schwule Museum oder auch ein schwules Volleyball-Team (Bredehorst, 2013, S. 16). Zusammengefasst sind Mitglieder einer schwulen Community also „[...] alle, die sich in irgendeiner Form zusammentun und handeln, um Selbstbewusstsein und Solidarität zu stärken – oder einfach gemeinsam Spaß zu haben“ (Bredehorst, 2013, S. 16). „ Woher der Begriff „schwul“ stammt, ist nicht definitiv geklärt“ (Bredehorst, 2013, S. 52). Es wird vermutet, dass er vom Wort „schwül“ abgeleitet wurde. Das könnte sich auf die „warmen“ Gefühle der homosexuellen Männer, die sie gegenüber ihren Geschlechtsgenossen empfinden, oder auf die Atmosphäre in Schwulenlokalen beziehen (Bredehorst, 2013, S. 52).

1.3 Transsexualität

Transsexuelle Menschen erleben ihr biologisches Geschlecht als falsch und empfinden sich als zugehörig zum anderen Geschlecht (Bredehorst, 2013, S. 60). Kurz gesagt, transsexuelle Menschen fühlen sich im falschen Körper gefangen. Sie fühlen sich vielleicht als Mann, sind aber biologisch gesehen eine Frau. Viele Transsexuelle hegen daher den Wunsch, eine Geschlechtsumwandlung durchführen zu lassen, um ihrem gefühlten Geschlecht auch körperlich zu entsprechen.

„Nach dem deutschen Transsexuellengesetz können sie in diesem Fall ihren Personenstand ändern, also ihr Geschlecht in Geburtsurkunde, Reisepass und anderen Dokumenten ändern lassen“ (Bredehorst, 2013, S. 60) . Für die Änderung der Personendaten war bisher eine operative Geschlechtsumwandlung zwingende Voraussetzung, wodurch sich Transgender, die ohne Operation in ihrem gefühlten Geschlecht leben wollen, zu einem schweren körperlichen Eingriff gedrängt fühlten (Bredehorst, 2013, S. 60). Anfang 2011 wurde dieser Passus als verfassungswidrig anerkannt, weil er gegen das Recht auf Menschenwürde und körperliche Unversehrtheit verstoße. „Die Richter_innen erklärten: Die Dauerhaftigkeit und Irreversibilität des empfundenen Geschlechts lasse sich daran messen, wie konsequent der Transsexuelle in seinem empfundenen Geschlecht lebt und sich in ihm angekommen fühlt“ (zit. in Bredehorst, 2013, S. 60).

Ein transsexueller Mensch kann sowohl heterosexuell, schwul, lesbisch oder bisexuell sein, das heißt, dass der Begriff nichts über die sexuelle Orientierung dieses Menschen aussagt.

1.4 Bisexualität

Neben der Hetero- und Homosexualität ist Bisexualität die dritte sexuelle Orientierung. Das lateinische Wort für „bi“ bedeutet „zwei, doppelt“ (Bredehorst, 2013, S. 12) und bezieht sich demnach auf die sexuelle Orientierung oder Neigung von Menschen, die sich von beiden Geschlechtern sexuell angezogen fühlen. Die Menschen verspüren eine sexuelle, emotionale und romantische Anziehung zu beiden Geschlechtern. Sie empfinden sowohl Männer als auch Frauen sexuell anziehend und sind fähig, Bindungen zu beiderlei Geschlecht aufzubauen. Dementsprechend können bisexuelle Menschen sowohl zu Männern als auch zu Frauen partnerschaftliche Beziehungen aufbauen. Dadurch, dass bisexuelle Menschen sich nicht für ein Geschlecht entscheiden, wird die monosexuelle Ordnung der westlichen Gesellschaft in Frage gestellt und löst Irritationen aus. Aufgrund der ausgelösten Irritationen sind bisexuelle Menschen Vorurteilen ausgesetzt, sowohl von heterosexueller wie von homosexueller Seite (Bredehorst, 2013, S. 12). Bisexuellen Menschen fällt es demzufolge besonders schwer, zu sich zu stehen (Bredehorst, 2013, S. 12).

2. Historischer Hintergrund – Homosexualität in Deutschland

Das nun folgende Kapitel beschäftigt sich mit der Homosexuellenbewegung in Deutschland von 1897 bis heute. Leider kann bei dieser Darstellung nicht ins Detail gegangen werden, da der Umfang der Arbeit nicht ausreicht. Es ist jedoch erforderlich aufzuzeigen, welche schweren Zeiten die Homosexuellen im Nationalsozialismus aufgrund ihrer sexuellen Orientierung durchlebt haben, und wie lang der Weg für die älteren Schwulen und Lesben bis zur Durchsetzung ihrer Rechte war. Dies soll einen Einblick geben, weshalb es den älteren Schwulen und Lesben heute so schwer fällt, sich in der Gesellschaft und in den herkömmlichen Pflegeeinrichtungen zu öffnen.

2.1 Homosexuellenbewegung in Deutschland

Der Ursprung der Schwulenbewegung geht zurück auf den 15. Mai 1897, als das Wissenschaftlich-humanitäre Komitee (WhK) in Magnus Hirschfelds Berliner Wohnung gegründet wurde (Westphal, Busker, 2005, S. 2). Bereits vor der Gründung des Komitees wurden Anstrengungen zur Aufklärung der Gesellschaft über Homosexualität unternommen, aber erst mit der Arbeit des Komitees konnten diese Bemühungen zusammengeführt und organisiert werden, das heißt, „mit der Arbeit des Komitees wurde die Grundlage für die Emanzipation politischen Handelns von Homosexuellen geschaffen“ (Westphal, Busker, 2005, S. 2). Hierzu sei jedoch gesagt, dass diese Arbeit sich weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit vollzog, da sich die Mehrheit der nicht-homosexuellen Gesellschaft als Gegenpart darstellte (Westphal, Busker, 2005, S. 2).

Der Begriff „Homosexualität“ wurde erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts in Europa als Wort bekannt und als Anlage und Krankheit definiert (Porsch, 2008, S. 66). Aufgrund dieser Definition entstand der „homosexuelle Mensch mit einer bestimmten Lebensgeschichte, die im Zusammenhang mit seinem homosexuellen Verhalten stand. Homosexuelle Menschen hatten nach diesem neuen Verständnis mehr gemeinsam als nur eine wiederkehrende Handlungsweise. Sie waren von nun besonders charakterisierte Individuen, die sich auf Grund dessen zusammenschlossen und einen eigenen Lebensstil ausprägten“ (Porsch, 2008, S. 66). Für die Führung eines individuellen und unabhängigen Lebens als männlicher Homosexueller war die Voraussetzung die Trennung von Familie und Beruf. Die Identität der lesbischen Frau wurde erst im 20. Jahrhundert wahrgenommen (Porsch, 2008, S. 67) und vollzog sich bis dahin eher in nichtöffentlichen Bereichen (Westphal, Busker, 2005,S. 2).

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts entstand trotz der Illegalität eine Homosexuellenkultur in Deutschland, die sich durch die Eröffnung von Lokalen und durch die Veröffentlichung einschlägiger Literatur und Zeitschriften auch für homosexuelle Frauen ausdrückte (Porsch, 2008, S. 67).

Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten und der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler 1933 wurden sowohl weibliche als auch männliche Homosexuelle verfolgt und ihre kulturellen, politischen und sozialen Strukturen zerstört (Westphal, Busker, 2005, S. 2). Der gesamtgesellschaftliche Wandel führte 1969 schließlich zu einer Reform des Sexualstrafrechts, die homosexuelle Handlungen zwischen Männern über 21 Jahren als straffrei anerkannte (Bak, Trinius, Walther, 2008). Im selben Jahr, am 27. Juni 1969, fand eine Razzia in der Schwulenbar Stonewall Inn in der New Yorker Christopher Street statt, die zu einem Aufstand führte. „Der Aufstand weitete sich zu einem Wochenende der Straßenkämpfe zwischen Subkultur und Polizei aus“ (Porsch, 2008, S. 68). Dies wird als Wendepunkt in der Entwicklung der Schwulen- und Lesbenbewegung in den USA betrachtet, und dieser Kampf um Anerkennung, des sich nicht mehr verstecken Wollens, breitete sich international aus. „An den Tag des Aufstands, den 27. Juni, wird heute weltweit mit Stonewall-Paraden und Christopher Street Days erinnert“ (Schwarz, 2006, S. 333).

1970 beschäftige sich die Schwulenbewegung mit dem Gründungsprozess der Grünen Partei. Sie sahen mit der Gründung dieser Partei die Chance, „schwule Interessen offensiv im Parlament zu vertreten“ (Haunss, 2004, S. 196). Zu diesen Interessen zählten die Forderung nach einem Antidiskriminierungsgesetz für die rechtliche Gleichstellung zum Beispiel beim Adoptionsrecht, „Abschaffung der „Rosa Listen“, Wiedergutmachung für schwule KZ- Insassen während des Hitlerfaschismus, Abschaffung der Sexualstrafrechte gegen Schwule und Lesben sowie Päderasten Gehör verschaffen zu können“ (Haunss, 2004, S. 196). In diesem Zusammenhang war die FDP die erste Partei, die in ihr Wahlprogramm „die ersatzlose Streichung des Paragraphen 175 […] aufgenommen hatte“ (Haunss, 2004, S. 197). Ein weiterer Meilenstein der Homosexuellenbewegung ist der Film von Rosa von Praunheim „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt“ der 1971 auf der Berlinale dazu aufruft: „ Werdet stolz auf eure Homosexualität!“ (Bak, Trinius, Walther, 2008). In der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland fand 1972 die erste Schwulen- Demo in Münster statt. Das Alter für straffreien homosexuellen Verkehr wurde 1973 auf 18. Jahre herabgesetzt. 1974 gründete sich das „Lesbische Aktionszentrum“ (LAZ), das ihre Interessen in der Frauenbewegung besser aufgehoben sehen als in der Schwulenbewegung (Haunss, 2004, S. 199). Die ersten Christopher Street Days fanden 1979 in Berlin und Bremen statt (Bak/Trinius/Walther, 2008).

Als 1981 das US-amerikanische Centers for Disease Control (CDC) ihren ersten Bericht über eine unbekannte Krankheit veröffentlichten, die den Zusammenbruch des Immunsystems beschreibt und überwiegend junge schwule Männer betrifft (Schwarz, 2007, S. 341f), „waren sich die Aktivisten und Kommentatoren der Schwulenbewegung uneinig darüber, wie die Auswirkungen der Krankheit und die um sie geführte gesellschaftliche Auseinandersetzung für die Schwulenbewegung einzuschätzen sind“ (Haunss, 2004, S. 204). Um der steigenden Infektionszahl in Deutschland entgegenzuwirken, wurde ein dichtes Netz an Beratungs- und Hilfsangeboten entwickelt. Dabei engagierten sich Schwule, die zuvor gesundheitspolitische Parteiarbeit, insbesondere bei der FDP, betrieben und in den Jahren zwischen 1983 und 1986 bei der Gründung der ersten Selbsthilfegruppen und der Gründung des Dachverbands „Deutsche Aids Hilfe e.V.“ mitgewirkt und vorangetrieben haben (Hauss, 2004, S. 206). Von 1985 bis 1987 gründeten sich eine Vielzahl lokaler Selbsthilfegruppen für die Betreuung von HIV-Infizierten und an Aids erkrankten Menschen. Parallel wurde 1987 die erste Selbsthilfegruppe für HIV-positive Schwule gegründet, um sich mit anderen Betroffenen über psychosoziale und körperliche Merkmale auszutauschen (Haunss, 2004, S. 206f).

Auch wenn die Emanzipationsbewegung der Homosexuellen einige Rückschläge erleiden musste, wurde das Engagement, der Schwulen und Lesben, für ihr Recht einzutreten, belohnt. Denn die Gesellschaft ist nicht nur offener im Bezug auf alternative Lebensformen geworden, sondern 1994 „wurde die letzte Sonderregel im Sexualstrafrecht gegenüber Homosexuellen vollständig aufgehoben“ (Rahe, 2010, S. 5). Nach der Abschaffung des Paragraphen 175 sind homosexuelle Lebenspraxen zunehmend weniger von direkter Diskriminierung betroffen (Haunss, 2004, S. 200).

Nachdem eine Zusammenarbeit aufgrund von Uneinigkeit bisher nicht zustande gekommen ist, kommt es 1999 zu einer Umbenennung des „Schwulenverbands in Deutschland“ (SVD) in „Lesben- und Schwulenverband in Deutschland“ (LSVD), um so gemeinsam in einer Organisation zusammenzuarbeiten (Haunss, 2004, S. 199).

Des weiteren können homosexuelle Paare seit dem Jahr 2001 Lebenspartnerschaften eingehen; sie sind mittlerweile rechtlich in vielen Bereichen mit heterosexuellen Ehepartnern gleichgestellt und seit 2006 werden sie durch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) vor Diskriminierung, z.B. am Arbeitsplatz, aufgrund ihrer sexuellen Identität geschützt (Bak, Trinius, Walther, 2008).

Auch wenn viele Erfolge in der Homosexuellenbewegung zu verzeichnen sind, bestehen nach wie vor Benachteiligungen im Adoptionsrecht. Der Schutz der sexuellen Identität soll neben dem Antidiskriminierungsgesetz im Grundgesetz festgeschrieben werden. Es sollen weiterhin die Bedürfnisse von Transsexuellen verstärkt berücksichtigt, und die Rechte der Homosexuellen sollen weltweit geachtet werden. Es gibt immer noch 80 Staaten in denen Homosexualität unter Strafe steht, wobei in sieben Staaten homosexuelle Handlungen mit dem Tod bestraft werden (Bak, Trinius, Walther, 2008).

2.2 Paragraph 175

Dieser Paragraph bestand seit 1871 in Deutschland und war im Strafgesetzbuch verankert. Er verbot homosexuelle Handlungen unter Männern. Zu dieser Zeit war das Spektrum der Handlungen noch eingeschränkt. Eine strafrechtliche Verfolgung homosexueller Frauen gab es dagegen nicht (Rahe, 2010, S. 4).

Der nationalsozialistische Staat behandelte die Verfolgung von homosexuellen Männern und Frauen ungleich (Hauer, 2010, S. 10). Homosexuelle Männer wurden im Nationalsozialismus herabgewürdigt, verachtet, verfolgt und in Konzentrationslagern ermordet. Dagegen basierte die Unterdrückung lesbischer Frauen auf einer lesbenfeindlichen Ideologie und Verschwiegenheit (Beyer, 2010, S. 14). Der Unterschied war, dass lesbische Frauen weniger einer systematischen Verfolgung ausgesetzt waren, ihre Subkultur aber dennoch zerstört wurde. Sie wurden herabgewürdigt, indem ihre Sexualität als unbedeutend angesehen wurde. Generell wurde Frauen ein selbstbestimmtes Leben verunmöglicht, da sie in die Familien zurückverwiesen wurden (Hauer, 2010, S. 10). Im Allgemeinen war der Lebensalltag von Homosexuellen von sozialer Isolation, Diskriminierung und Angst vor Verfolgung geprägt (Rahe, 2010, S. 4).

Nach der Machtergreifung 1933 begann die Verfolgung der Schwulen und die Zerschlagung der homosexuellen Subkulturen. Aufgrund neuer Verordnungen bereits bestehender Gesetze wurden Gaststätten und Zeitschriften von Schwulen und Lesben verboten, Verlage und Organisationen wurden zerstört und das bekannte Institut für Sexualwissenschaft von Magnus-Hirschfeld wurde geschlossen. Die dazugehörige Bibliothek wurde 1933 während der Bücherverbrennung öffentlich in Flammen gesetzt (Dobler, 2010, S. 8).

Mitte 1934 begann die systematische Homosexuellenverfolgung auf gesetzlicher und polizeilicher Grundlage. Im Zuge von Razzien stieg die Zahl der Verhaftungen von Homosexuellen. Unter Drohungen und Gewaltanwendung wurden Homosexuelle erpresst, um an weitere Namen Homosexueller zu gelangen (Rahe, 2010, S. 4).

1935 wurde der Paragraph 175 weiter massiv verschärft, indem angedrohte Strafen erhöht und neue Tatbestände erschaffen wurden, sodass zur Verurteilung bereits eine bloße Berührung genügte (Rahe, 2010, S. 4).

Ab 1940 verschärften sich die Maßnahmen des Paragraphen erneut, und zwar konnten Homosexuelle direkt in Konzentrationslager interniert werden, wenn sie ein zweites Mal nach Paragraph 175 bestraft wurden. Diese mussten als spezielle Kennzeichnung den „rosa Winkel“ tragen, waren Schikanen ihrer Bewacher ausgesetzt und standen in der Häftlingshierarchie ganz unten (Rahe, 2010, S. 5). Ab 1941 trat die Todesstrafe bei homosexuellen Handlungen von Angehörigen der Polizei, der SS und von Wehrmachtsangehörigen ab 1943 in Kraft. Somit fand die Zerschlagung der Homosexuellenbewegung als mögliche äußere Opposition aber auch einer inneren Opposition statt (Dobler, 2010, S. 9).

Auch nach dem zweiten Weltkrieg 1945 endete die Verfolgung von Homosexuellen nicht. Bis 1969 fanden noch rund 64.000 Verurteilungen statt, das heißt, die Polizei ermittelte nicht nur aufgrund von Anzeigen aus der Bevölkerung, sondern führte unter hohem Personalaufwand weiterhin Razzien durch, um Homosexuelle zu verurteilen (Rahe, 2010, S. 5).

Im Jahr 1950 kehrte die DDR zur Fassung der Weimar Republik zurück, den Paragraph 175 abzuschaffen. 1968 wurde die Strafbarkeit von homosexuellen Handlungen unter Erwachsenen in der DDR und 1969 in der BRD aufgehoben. Wobei bis weit nach 1969 bei der Mehrzahl der Ärzte und Psychiater Homosexualität als Deformation bzw. Erkrankung galt und die Weltgesundheitsorganisation erst 1990 entschied, dass Homosexualität nicht mehr in der Liste der Krankheiten zu führen ist. Die vollständige Aufhebung des Paragraphen 175 vollzog sich erst 1994 als eine einheitliche Altersschutzgrenze für Homosexuelle und Heterosexuelle eingeführt wurde (Rahe, 2010, S. 5).

Im Nationalsozialismus wurde gegen hunderttausend Männer polizeilich ermittelt, 50.000 wurden zu Gefängnis- oder Zuchthausstrafen verurteilt, zwischen 5.000 und 10.000 wurden in Konzentrationslagern interniert. Die Todesrate lag etwa bei 60 Prozent. Im Vorfeld eines Ermittlungsverfahrens begangen viele Verdächtige Selbstmord, oder starben aufgrund von mangelnder Ernährung oder den Folgen einer Erkrankung (Dobler, 2010, S. 9).

3. Pflege und Wohnen im Alter

Im nun folgenden Kapitel geht es um ausgewählten Aspekten zum Thema Pflege und Wohnen im Alter. Zunächst werden die Begriffe „Pflege“, „Pflegebedürftigkeit“ und „Pflegeformen“ erläutert. Da sich die Arbeit mit ausgewählten Wohnformen aus dem pflegerischen Kontext befasst, ist es erforderlich aufzuzeigen, welche Möglichkeiten zur Verfügung stehen, wenn eine Person pflegebedürftig ist beziehungsweise wird. Aufgrund des demografischen Wandels und der damit steigenden Zahl an Altenhaushalten, wächst auch der Bedarf an speziellen Wohnformen mit verschiedenen Betreuungsangeboten für ältere Menschen (Schulz, 2007, S.32). Dieses Kapitel befasst sich daher ausschließlich mit den alternativen Wohnformen. Da bereits eine Vielzahl an alternativen Wohnformen besteht, werden hier nur die Wohnformen genannt, die auch für die ausgewählte Zielgruppe der älteren Homosexuellen relevant sein könnten.

3.1 Pflege

Die Pflege wird heute als eine ganzheitliche, personenbezogen Dienstleistung definiert, deren übergeordnetes Ziel es ist, die Selbstständigkeit des Pflegebedürftigen zu erhalten und soweit wie möglich wieder herzustellen oder Kranke und Pflegebedürftige zu einem befriedigenden „Disease Management“ zu befähigen (Hackmann, 2005, S. 17). Die Pflege befasst sich sowohl mit gesunden als auch mit kranken Menschen aller Altersgruppen. Die Hauptaufgaben der Pflege zielen auf die Interaktion zu Menschen mit Pflegebedarf ab. Dies können sowohl kurzfristige als auch dauerhafte Selbstdefizite sein (Sdun, 2009, S. 49). Dabei sollte darauf geachtet werden, dass die Pflegebedürftigen ihre Selbstständigkeit nicht verlieren, und dass sie weiterhin über ihre Umgebung, Lebensqualität und Zufriedenheit entscheiden können. Im Mittelpunkt der Pflege steht die Beziehung zwischen dem Pflegebedürftigen und der Pflegekraft. Folglich umfasst sie daher viele Aspekte des menschlichen Seins, wie z.B. Kommunikation, Versorgung, Zuneigung und Zuwendung (Sdun, 2009, S. 49).

Eins der wichtigsten Ziele in der Pflege ist, dem pflegebedürftigen Menschen die Anregung und Unterstützung zu geben, die er benötigt, um wieder selbst im Rahmen seiner Möglichkeiten für sich zu sorgen oder selbst etwas für sich zu tun, das ihm gut tut. Die Pflegekraft soll also unterstützend wirken (Sdun, 2009, S. 49). Laut den Pflegebedürftigkeits- Richtlinien (PflRi) sind die „Pflegekasse, MDK, ambulanten, teil- und vollstationäre Pflegeeinrichtungen sowie Pflegepersonal […] verpflichtet, geeignete Maßnahmen zur Erreichung dieser Ziele vorzuschlagen, zu veranlassen oder auszuführen“ (Nomos, 2011, S. 1212).

3.2 Pflegebedürftigkeit

Laut des Bundesministeriums für Gesundheit sind Personen pflegebedürftig, „die wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung in erheblichem oder höherem Maße der Hilfe bedürfen. Nach der Definition des Pflegeversicherungsgesetzes sind damit Personen erfasst, die wegen der körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung im Bereich der Körperpflege, der Ernährung, der Mobilität und der hauswirtschaftlichen Versorgung auf Dauer – voraussichtlich für mindestens sechs Monate – in erheblichem oder höherem Maße der Hilfe bedürfen“ (BMG, 2014a).

Aber wie wird eine Person pflegebedürftig? Häufig entsteht eine Pflegebedürftigkeit durch eine vorangegangene Erkrankung, die entweder vorübergehend oder dauerhaft auftritt.

Ein Merkmal von Pflegebedürftigkeit ist, wenn z.B. Mobilitätseinschränkungen dazu führen, dass tägliche Aktivitäten, die für das Leben erforderlich sind, nicht mehr selbst und ohne fremde Hilfe ausgeführt werden können (Hassler, Görres, 2005, S. 17). Häufig tritt Pflegebedürftigkeit bei älteren und hochbetagten Menschen aufgrund ihrer altersbedingten physischen Einschränkungen oder Behinderungen oder aufgrund demenzieller Erkrankungen auf. Weitere Gründe, die zur Pflegebedürftigkeit führen können, sind chronische Erkrankungen und akute Erkrankungen mit bleibenden Einschränkungen, bei denen die Betroffenen ihr alltägliches Leben nicht mehr selbstständig gestalten können (Hassler, Görres, 2005, S. 17).

In § 14 Abs. 2 SGB XI ist die Definition von Erkrankung oder Behinderung gesetzlich festgelegt. Dazu gehören erstens die Verluste, Lähmungen oder andere Funktionsstörungen am Stütz- und Bewegungsapparat, zweitens Funktionsstörung der inneren Organe oder der Sinnesorgane und drittens Störung des zentralen Nervensystems wie Antriebs-, Gedächtnis- oder Orientierungsstörungen sowie endogene Psychosen, Neurosen oder geistige Behinderungen (Nomos, 2011, S. 1943). Des Weiteren wird in §14 Abs. 4 SGB XI formuliert, was die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen beinhalten. Dazu gehören im Bereich der Körperpflege das Waschen, Duschen, Baden, Kämmen, Rasieren, die Zahnpflege und die Darm- und Blasenentleerung. Zum Bereich Ernährung gehört das mundgerechte Zubereiten oder die Aufnahme der Nahrung. Das selbstständige Aufstehen und Zubettgehen, An- und Auskleiden, Gehen, Stehen, Treppensteigen oder das Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung gehören zum Bereich der Mobilität. Der letzte Bereich regelt die hauswirtschaftliche Versorgung, wozu das Einkaufen, Kochen, Reinigen der Wohnung, Spülen, Wechseln und Waschen der Wäsche und Kleidung und das Beheizen der Wohnung gehört. Ziel dieser Pflegeinhalte ist, dass der pflegebedürftige Mensch alltägliche Aufgaben, soweit es ihm möglich ist, wieder eigenständig übernehmen kann (Nomos, 2011, S. 1943), das heißt, die verbliebenen Ressourcen und Fähigkeiten sollen durch die Pflegekräfte erhalten und gefördert werden.

Pflegebedürftige Person können sowohl durch häusliche, ambulante, teilstationäre oder stationäre Pflege versorgt werden, je nach Schweregrad der Pflegebedürftigkeit.

3.3 Pflegeformen

Wenn ältere Menschen pflegebedürftig werden, gibt es verschiedene Möglichkeiten sie versorgt zu lassen. Eine der Versorgungsmöglichkeiten ist die häusliche Pflege. Dabei ist es den Menschen möglich, in ihrer gewohnten Umgebung versorgt und betreut zu werden. Diese kann durch geeignetes Pflegepersonal geleistet werden, das entweder von der Pflegekasse oder durch ambulante Pflegedienste, „ mit denen die Pflegekasse einen Versorgungsvertrag abgeschlossen hat, angestellt sind“ (Blasinski, 2009, S. 95). Für die häusliche Pflege stehen dem Hilfesuchenden nach § 36 SGB XI hauswirtschaftliche Versorgung als Sachleistung, Pflegehilfsmittel, Pflegekurse sowie die soziale Sicherung des Pflegepersonals (Schulz, 2007, S. 25) zu. Ebenso hat die pflegebedürftige Person Anspruch auf Pflegewohngeld (§64 SGB II). Das Pflegewohngeld richtet sich nach der Pflegestufe, die vom Medizinischen Dienst der Pflegeversicherung (§37 SGB XI) festgestellt und mittels eines Gutachten an die Pflegekasse weitergeleitet wird.

Häufig wird der Pflegebedürftige durch die Angehörigen betreut. Die Schwierigkeit bei der Betreuung von Angehörigen ist auf der einen Seite die Verbundenheit zu der pflegenden Person. Auf der anderen Seite belastet oftmals das Maß an Verpflichtung, das mit der Pflege eingegangen wird. Für beide Parteien findet ein erheblicher Einschnitt in das tägliche Leben statt. Die pflegende Person kann z.B. ihrer Erwerbstätigkeit nicht mehr oder nur bedingt nachgehen oder hat nur noch eingeschränkte Möglichkeiten sich zu erholen. Dies verdeutlicht, dass die häusliche Pflege für unprofessionelle Menschen ohne entsprechende Ausbildung eine zu hohe Anforderung darstellt (Schulz, 2007, S. 26).

Laut Braun wird die häusliche Pflege erschwert durch „schwierige Familienstrukturen, zum Beispiel durch weniger Großfamilien mit intakten sozialen Netzwerken, abnehmende Haushaltsgrößen und sinkende Bereitschaft mit den Kindern zusammen wohnen zu wollen“ (Schulz, 2007, S. 25).

Die ambulante Pflege zielt darauf ab, den Pflegebedürftigen und deren Angehörigen unterstützende Pflege zu Hause zu bieten. Hierzu kommt das Pflegepersonal zur fach- und sachkundigen Pflege in die gewohnte Umgebung des Pflegebedürftigen (BMG, 2013b). Dies soll als Hilfe und Unterstützung im Alltag dienen, damit z.B. pflegende Angehörige Beruf und Betreuung besser organisieren können (BMG, 2013). Zu den Tätigkeitsfeldern des ambulanten Pflegedienstes gehören nicht nur die grundpflegerische Versorgung, wie z.B. Hilfestellung bei der Körperpflege, der Einnahme von Nahrung, Förderung der Mobilität oder der Lagerung, sondern auch die medizinische Versorgung in Form von Medikamentengabe, Verbandswechsel und Injektionen (BMG, 2013b). Des Weiteren fungiert das Pflegepersonal als Berater der Pflegebedürftigen und ihrer Angehörigen bei pflegerischen Fragen, wirkt unterstützend bei der Vermittlung von Hilfsdiensten und organisiert Fahrdienste oder Krankentransporte (BMG, 2013b).

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Ende der Leseprobe aus 68 Seiten

Details

Titel
Homosexualität im Alter. Mit Blick auf ausgewählte Wohnformen
Hochschule
Fachhochschule Düsseldorf
Note
2
Autor
Jahr
2014
Seiten
68
Katalognummer
V459751
ISBN (eBook)
9783668917491
ISBN (Buch)
9783668917507
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Homosexualität, Ältere Menschen, Wohnformen
Arbeit zitieren
Janett Lücker (Autor:in), 2014, Homosexualität im Alter. Mit Blick auf ausgewählte Wohnformen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/459751

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