Die Braitenbergschen Fahrzeuge


Seminararbeit, 2004

24 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I. Einleitung

II. Die Braitenbergschen Fahrzeuge
1. Der hierarchisch-planende und der reaktive Ansatz
2. Biographie Valentin Braitenbergs
3. Braitenbergs Wesen
3.1 Wesen 1: Streunen
3.2 Wesen 2: Furcht und Aggression
3.3 Wesen 3: Liebe
3.4 Zusammenfassung der Wesen 1 bis 3: Multisensorische Vehikel
3.5 Wesen 4: Wertung und Geschmack
3.6 Das „Gesetz der leichten Synthese und der mühevollen Analyse
3.7 Wesen 5: Logik
3.8 Wesen 6: Selektion, der unpersönliche Ingenieur
3.9 Wesen 7: Begriffe
3.10 Wesen 8: Raum, Dinge, Bewegung
3.11 Wesen 9: Gestalt
3.12 Wesen 10: Ideen haben
3.13 Wesen 11: Gesetze und Regelmäßigkeiten
3.14 Wesen 12: Verkettung von Gedanken
3.15 Wesen 13: Vorhersage
3.16 Wesen 14: Egoismus und Optimismus
4. Der RoboCup
4.1 Vorstellung des RoboCups
4.2 Die Geschichte des RoboCups
4.3 Das Reglement
4.4 Der Grundaufbau eines Roboterfußballers
4.5 Ziel des RoboCups

III. Quellenverzeichnis

I. Einleitung

„Mein Rechner spinnt mal wieder!“ – „Die Karre will nicht anspringen!“ Aussagen wie diese kennt und verwendet fast jeder Mensch. Oftmals schreiben wir technischen Geräten menschliches Ver­halten zu. Selbst bei Maschinen äußerst einfacher Bauart neigen wir dazu, ihr Können mit psychologischen Begriffen zu beschreiben. Mit diesem Phä­nomen beschäftigt sich der Hirnforscher Prof. Dr. Valentin Braitenberg. In seinem dieser Hausarbeit zu Grunde liegenden Buch „Vehikel – Experimente mit künstlichen Wesen“ konstruiert der Forscher nacheinander 14 verschiedene roboterähnliche Fahrzeuge. Jede Generation baut auf ihrem Vorgängerwesen auf, wird jedoch schrittweise immer mehr verbessert, verfeinert und komplexer.

Braitenberg entwickelt seine Vehikel hin zu „denkenden“ Wesen. Der Fortschritt der Fahrzeuge von Generation zu Generation erweist sich als interessant und oftmals ver­blüffend. Daher soll in dieser Arbeit auf keinen Typ verzichtet werden; vielmehr sollen alle 14 Wesen vorgestellt werden. Schwerpunkt bilden dabei die wesentlichen Neuerungen im Vergleich zum jeweiligen Vorgängerwesen sowie die sich daraus ergebenden neuen Eigenschaften. Es ist faszinierend, zu welchen Verhaltensweisen die mit einfachen technischen Mitteln konstruierten Fahrzeuge in der Lage sind.

Vor der Vorstellung der einzelnen Wesen werden zunächst grundlegende Begriffe geklärt sowie die bedeutenden Ansätze aus der Roboterarchitektur erläutert. Im An­schluss an die „Evolution“ der Vehikel wird ein Anwendungsgebiet dieser Art von Ro­botern vorgestellt. An Hand des „RoboCup“ wird verdeutlicht, wozu die künstlichen Wesen heutzutage konkret in der Lage sind, wie sich die Forschungsarbeit und der Aus­tausch unter den Wissenschaftlern gestalten kann und wie ein konkretes Ziel der Roboterentwicklung aussieht.

Die folgende Arbeit basiert zu großen Teilen auf Braitenbergs Werk „Vehikel – Expe­rimente mit künstlichen Wesen“. Zitate ohne nähere Buchbezeichnung beziehen sich auf diese Publikation. Abbildungen ohne Seitenangabe in Braitenbergs Werk wurden vom Verfasser dieser Arbeit selbst erstellt.

II. Die Braitenbergschen Fahrzeuge

1. Der hierarchisch-planende und der reaktive Ansatz

Die Bezeichnung „Roboter“ leitet sich vom slawischen Wort „robota“ ab, was man mit „Arbeit“ übersetzen könnte. Unter Robotern versteht man „bewegl. Auto­maten, die Lebewesen nachgebildet sind und deren Funktion zumindest teilweise ausführen können.[1]

In der Forschung sind zwei große gegensätzliche Roboter-Architekturen bekannt: Der hie­rarchisch-planende sowie der reaktive Ansatz. Ersterer stellt den älteren der beiden dar. Er wurde von der klassischen KI seit dem Ende der 60er-Jahre vertre­ten. Hierbei werden - auf der Basis der „closed world assumption“[2] - zu bewältigende Aufgaben analysiert und anschließend in kleine, einzeln bearbeitbare Teilaufgaben zerlegt. Die Verarbeitungsschritte lassen sich in „sense“, „plan“ und schließlich in „act“ gliedern.

Dieser Ansatz hatte in den folgenden Jahren jedoch nur geringe Erfolge zu verzeichnen. Daher kam die Wissenschaft in den 80er-Jahren auf die Idee, Reiz und Reak­tion direkt miteinander zu verknüpfen. Dieses Phänomen ist in der Biologie von den Reflexen bekannt und wird deshalb als „reaktiv“ bezeichnet. Reaktive Roboter weisen einige Vorteile gegenüber ihren hierarchisch-planenden Kollegen auf. Als Beispiele seien die Möglichkeiten der Arbeit in Echtzeit sowie der schnellen Reaktion auf Änderungen in der Umwelt genannt. Ferner erweist sich eine vollständige Beschreibung der Welt als überflüssig und die Roboter können kleiner und somit kos­tengünstiger konstruiert werden.

Beide Ansätze zusammen findet man in den „Hybridarchitekturen“, dem im Moment am weitesten verbreiteten Ansatz. Hierbei wird meistens ein planender Überbau auf eine reaktive Basis gesetzt. Einen prominenten Hybrid-Roboter stellt der Mars-Rover „Sojourner“ dar.

Braitenberg kann man als einen der ersten Vertreter des reaktiven Ansatzes bezeichnen. Die von ihm entwickelten Wesen sind reaktive Roboter, die mit Hilfe von Sensoren und Aktuatoren zu umweltorientiertem Handeln in der Lage sind.

2. Biographie Valentin Braitenbergs

Valentin Braitenberg wurde 1926 in Bozen geboren. Nach seinem Medizin- und Psy­chiatriestudium in Rom und Innsbruck habilitierte er sich in Rom. Seine Habilitationsschrift be­fasste sich mit der Informationstheorie sowie der Kybernetik. Braitenberg arbeitete ein Jahrzehnt als Lehrbeauftragter für Theoretische Physik an der Universität in Ne­apel. Von 1968 bis 1994 hatte er die Stelle des Direktors am Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik, Abteilung Neuroanatomie, in Tübingen inne. Heute lebt Prof. Dr. Valentin Braitenberg in Tübingen, Meran und Neapel. Neben seiner Tätigkeit als Emeritus in Tübingen arbeitet er noch am Laboratorio di Scienze Cognitive der Universität Trient.

3. Braitenbergs Wesen

3.1 Wesen 1: Streunen

Wesen 1 erweist sich in seiner Konstruktion als sehr einfach. Es besteht aus einem Motor, der mit einem Sensor verbunden ist. Dieser kann nur auf eine bestimmte Reizart reagieren. Als Beispiele seien die Lichtintension, die Temperatur oder die in der Luft vorhandene Sauerstoffkonzentration genannt. Die Motorleistung verhält sich direkt proportional zur Reizintensität. Je stärker also der Reiz auf den Sensor ein­wirkt, umso schneller bewegt sich das Wesen fort.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Nimmt das Wesen einen Reiz wahr, so setzt es sich in Bewegung. Je näher es dabei an die Reizquelle gelangt, umso intensiver wirkt der Reiz auf den Sensor ein und umso schneller fährt das Wesen auf den Reiz zu. Die größte Geschwindigkeit er­reicht es dabei an dem der Reizquelle nahesten Punkt. Nach dem Passieren der Quelle verlangsamt das Wesen seine Fahrt, da nun die Intensität des Reizes wieder abnimmt. Sobald sich die Reibungskraft als größer oder gleich der Motorleis­tung erweist, kommt das Wesen zum Stehen. Es setzt sich erst wieder in Bewegung, wenn sich eine weitere Reizquelle nähert, auf die der Sensor anspricht.

Für einen Beobachter entsteht der Eindruck, das Vehikel würde leben. Der Grund hierfür liegt in der Bewegung, die je nach Ort schneller oder langsamer erfolgt. Beim Betrachter erweckt das Wesen den Anschein, es bevorzuge manche Orte und ver­weile an diesen Stellen, meide aber andere Plätze und flüchtet rasch von diesen.

Abb. 2: Wesen 1 besitzt einen Motor, der mit einem Sensor verbunden ist.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

3.2 Wesen 2: Furcht und Aggression

Wesen 2 stellt sozusagen die Luxusvariante von Wesen 1 dar, verfügt es doch über zwei Motoren sowie zwei Sensoren. Die Motorleistung verhält sich wie in der vorangegangenen Generation direkt proportional zur Erregung der Sensoren. Für die Verbindung der Sensoren zu den Motoren ergeben sich drei Möglichkeiten: Verbindet man jeden Sensor mit jedem Motor, so ändert das Wesen im Vergleich zu seinem Vorgänger sein Verhalten nicht. Bei den beiden anderen Varianten treten jedoch Unterschiede zu Wesen 1 auf: Ver­bindet man jeden Sensor mit dem Motor derselben Seite, so wird das Vehikel auf die Reizquelle auffahren, falls sich diese direkt vor ihm befindet und das Wesen nicht von seinem Kurs abgelenkt wird. Liegt der Reiz hingegen seitlich zum Wesen, so wird es sich von diesem abwenden. Der Grund hierfür liegt in der stärkeren Erregung des Sensors, der sich näher an der Reizquelle befindet. Der dazugehörende Motor ar­beitet stärker als sein Partner, das Wesen dreht ab. Hat es sich so weit ge­dreht, dass es mit seinem Hinterteil zur Reizquelle zeigt, fährt es geradeaus von der Reizquelle weg, da nun beide Sensoren wieder gleichmäßig stimuliert werden. Das Vehikel wird seine Geschwindigkeit dabei verringern, da die Reizintensität stetig ab­nimmt. Es kommt schließlich zum Stillstand, sofern keine neuen Reize auf seine Sensoren einwirken.

Ist dagegen jeder Sensor mit dem Motor der Gegenseite verbunden, so nimmt das Wesen - immer schneller werdend - direkten Kurs auf die Reizquelle und fährt schließlich auf sie auf. Im Augenblick des Zusammenstoßes hat es seine Maximal­geschwindigkeit erreicht. Dieses Verhalten lässt sich ebenfalls mit der ungleichen Reizintensität an den Sensoren und der damit verbundenen unterschiedlichen Motor­leistung erklären.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 3: Wesen 2a und Wesen 2b reagieren unterschiedlich. Wesen a wendet sich von der Reizquelle ab, Wesen b hingegen nimmt zielgerichtet Kurs auf diese.[3]

Beobachter kommen zu der Erkenntnis, dass beide Wesen die Reizquelle verabscheuen. Sie scheinen Bedrohungen zu erkennen, gehen aber unterschiedlich mit dieser Situ­ation um. Ihr Handeln lässt sich mit dem von Tieren vergleichen, denn sowohl Flucht als auch Angriff zur Verteidigung stellen die Urinstinkte zahlreicher Lebewesen dar.

Bei der Kreuzung der Leiterbahnen wurde Braitenberg von den Chiasmata in tieri­schen Nervensystemen inspiriert. Hier erweisen sich die Nervenstränge von paarigen Sinnesorganen häufig als gekreuzt und erreichen so die gegenüberliegende Gehirn­hälfte. Dieses Phänomen hat sich laut Braitenberg in der Evolution deshalb durch­setzen können, da es diese Art der Nervenschaltung im Wasser lebenden Tieren, die sich mit Hilfe der Konzentration bestimmter chemischer Stoffe orientieren, ermög­licht, sich zu bestimmten Reizarten hinzuwenden.[4]

3.3 Wesen 3: Liebe

Braitenberg sieht die Charaktereigenschaften seiner Wesen 1 und 2 als „nicht unbe­dingt sympathisch[5] an. Daher führt er in seinem dritten Wesen eine inhibitorische Wirkung des Reizes auf die Motoren ein. Je stärker das Vehikel nun den Reiz wahr­nimmt, desto langsamer arbeiten seine Motoren. Das Wesen wird seine Fahrt also verlangsamen, je näher es an die Reizquelle gelangt.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Das Wesen mit den parallelen Sensor-Motor-Verbindungen kommt nun mit seinem Vorderteil der Reizquelle zugewandt zum Stehen. Die Ursache hierfür liegt darin, dass bei einem schrägen Kurs des Vehikels mit abnehmender Entfernung zur Reiz­quelle der Sensor stärker angesprochen wird, der sich näher an dem Reiz befindet. Durch die inhibitorische Wirkung verringert der Motor auf dieser Seite seine Leistung stärker als sein Partnermotor. Dies bewirkt eine Drehung des Vehikels hin zur Reizquelle.

Da bei dem Wesen mit den gekreuzten Verbindungen hingegen der stärker erregte Sensor mit dem Motor der Ge­genseite verbunden ist, wird dieser langsamer - das Fahrzeug dreht deshalb kurz vor der Reiz­quelle ab und kommt mit dem Hinterteil zu dieser zur Ruhe.

Ein Beobachter könnte das Verhalten dieser Vehikel als „Liebe“ bezeichnen. Das Wesen mit den Parallelverbindungen steuert auf die Reizquelle zu, verlangsamt dann seine Fahrt und verharrt „bis in alle Ewigkeit in stiller Bewunderung[6] vor dem Reiz. Sein Kollege mit den gekreuzten Verbindungen hingegen möchte sich zwar in der Nähe der Reizquelle befinden, hält aber gleichzeitig Ausschau nach weiteren attrak­tiven Reizen bzw. stellt sich bewachend vor diesem auf.

[...]


[1] Der Brockhaus, S. 757.

[2] Unter diesem Begriff versteht man ein Weltmodell, das alle relevanten Aspekte beschreibt.

[3] Diese Abbildung wurde Braitenbergs Buch entnommen; vgl. dort S. 19.

[4] Vgl. Braitenberg, S. 98ff.

[5] S. 20.

[6] S. 20.

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Die Braitenbergschen Fahrzeuge
Hochschule
Universität Augsburg
Note
1,7
Autor
Jahr
2004
Seiten
24
Katalognummer
V45914
ISBN (eBook)
9783638432351
ISBN (Buch)
9783638843492
Dateigröße
552 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Braitenbergschen, Fahrzeuge
Arbeit zitieren
Markus Sebastian Müller (Autor:in), 2004, Die Braitenbergschen Fahrzeuge, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/45914

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