Die Machtfülle des russischen Präsidenten - Verfassungsnorm vs. Verfassungswirklichkeit


Seminararbeit, 2004

14 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I. Einleitung

II. Die Stellung des russischen Präsidenten in Verfassungsnorm und Verfassungswirklichkeit
1. Entstehung und Charakter der Verfassung
2. Die Stellung des Präsidenten in der Verfassung
3. Verfassungsnorm vs. Verfassungswirklichkeit
a. Die Rolle der Präsidialadministration
b. Das Verhältnis Präsident – Duma
c. Das Verhältnis Präsident – Föderationsrat
d. Das Verhältnis Präsident – Regierung

III. Ergebnisse und Fazit

IV. Quellen- und Literaturverzeichnis

I. Einleitung

Mit dem Zerfall der Sowjetunion Anfang der Neunziger Jahre endete für Russland eine lange Epoche von Alleinherrschaft und Diktatur. Über Jahrhunderte konnten sich in diesem größten europäischen Staat keine demokratischen Strukturen entwickeln, vielmehr ist die Geschichte Russlands geprägt von autoritärer Zarenherrschaft oder totalitärem Kommunismus.

Nach dem Ende der kommunistischen Diktatur und der Verabschiedung der neuen Verfassung am 12. Dezember 1993 scheint nun endgültig die Demokratie in den Kreml eingezogen zu sein. Jedoch ist bei einer Bewertung des russischen Demokratisierungs- und Transformationsprozesses nicht nur die Verfassungsnorm, sondern besonders auch die Verfassungswirklichkeit von zentraler Bedeutung.

In der folgenden Arbeit soll deshalb die Stellung des Präsidenten der Russländischen Föderation in Verfassungsnorm und Verfassungswirklichkeit verglichen werden, da dieser im politischen System Russlands aufgrund seiner weitreichenden Kompetenzen eine herausragende Position einnimmt[1]. Wird die Verfassung in der politischen Realität auch im demokratischen Sinne umgesetzt oder herrscht in Russland tatsächlich eher eine „Alleinherrschaft“ des Präsidenten? Wie unterscheidet sich die Macht des Präsidenten in Verfassungsnorm und Verfassungswirklichkeit? Am Anfang der Arbeit wird kurz auf die Entstehung und den Charakter der Verfassung von 1993 eingegangen, ehe die Aufgaben und Rechte des Präsidenten, wie sie in der Verfassung festgeschrieben sind, dargestellt werden. Im Anschluss möchte ich die Frage nach Unterschieden in Verfassungsnorm und Verfassungswirklichkeit beantworten. Dabei soll die Rolle der Präsidialadministration näher beleuchtet werden, aber auch das Verhältnis des Präsidenten zu den beiden Parlamentskammern Duma und Föderationsrat sowie das Verhältnis zwischen dem Präsidenten und der Regierung soll in Verfassungsnorm und der politischen Praxis verglichen werden.

II. Die Stellung des russischen Präsidenten in Verfassungsnorm und Verfassungswirklichkeit

1. Entstehung und Charakter der Verfassung

Bevor die aktuelle russische Verfassung als Entwurf der Bevölkerung am 12. Dezember 1993 zur Abstimmung vorgelegt werden konnte, hatte Russland eine lange und zum Teil auch blutige Entwicklung hinter sich. Bereits gegen Ende der Sowjetzeit wurden unter dem Einfluss von Michail Gorbatschows Perestroika Änderungen an der sowjetischen Verfassung vorgenommen. So wurde im März 1990 das Amt eines Präsidenten in der Verfassung verankert, mit dem Ziel, so dem Zerfall der Union entgegenwirken zu können[2]. Allerdings war das sowjetische System auch mit diesen Verfassungsänderungen nicht mehr zu retten.

Es folgte ein Prozess einer ständigen Erneuerung der alten Verfassung von 1978 und den gleichzeitigen Arbeiten an einer neuen Verfassung. Die zahlreichen Änderungen in der alten Verfassung führten zwangsläufig zu Widersprüchen, schließlich kam es zur sog. „Doppelherrschaft“ mit dem, in seinen Kompetenzen noch relativ schwachen Präsidenten Boris Jelzin auf der einen und einem starken Parlament auf der anderen Seite[3]. Nachdem der Oberste Sowjet einen neuen Verfassungsentwurf im Herbst 1993 ablehnte, löste Jelzin diesen auf und setze die Sowjetverfassung außer Kraft, aufständische Parlamentarier wurden verhaftet und die „Doppelherrschaft“ wurde somit gewaltsam beendet[4]. Die daraufhin noch einmal leicht veränderte Verfassung, die sich formell stark an der Verfassung Frankreichs orientierte, trat schließlich am 12. Dezember 1993 in Kraft, nachdem im Rahmen einer Volksabstimmung eine knappe Mehrheit von 58,4% dafür gestimmt hatte[5].

Wie bereits erwähnt ähnelt die Verfassung dem semi-präsidentiellen System der V. französischen Republik, allerdings mit einer Konzentration der politischen Macht in der Hand des Präsidenten[6]. Erstmals standen am Anfang einer russischen Verfassung die Rechte und Freiheiten der Bürger festgeschrieben, erst danach folgen die Kapitel über den Staatsaufbau[7]. Dies bedeutete einen enormen Fortschritt angesichts der bisherigen Geschichte des Landes. Bei der aktuellen Verfassung der Russischen Föderation handelt es sich somit um eine demokratische Verfassung mit dem Charakter eines präsidentiell-parlamentarischen Mischsystems, wenngleich eine Einordnung in parlamentarisch und präsidentiell nicht so ohne weiteres möglich ist und auch von der verwendeten Typologie abhängt[8].

2. Die Stellung des Präsidenten in der Verfassung

Die Verfassung von 1993 schreibt dem Präsidenten der Russländischen Föderation bereits eine enorme Machtfülle zu. Die einzelnen Kompetenzen des Präsidenten sind in Kapitel 4, den Artikeln 80 bis 93 festgeschrieben[9]. Im folgenden sind die wichtigsten Rechte und Aufgaben des Präsidenten aufgelistet.

Der Präsident der Russländischen Föderation ist das Staatsoberhaupt, gewährleistet die Zusammenarbeit der Organe der Staatsgewalt, hat die Richtlinienkompetenz über die Innen- und Außenpolitik des Staates und vertritt den Staat in den internationalen Beziehungen (Artikel 80). Zugleich ist er auch der Oberbefehlshaber über die Streitkräfte (Artikel 87, Abs. 1) und kann gegebenenfalls den Kriegszustand (Artikel 87, Abs. 2) oder den Ausnahmezustand (Artikel 88) verhängen. Der Präsident wird direkt vom Volk gewählt, seine Amtszeit beträgt vier Jahre, wobei nur eine einmalige Wiederwahl möglich ist (Artikel 81, Abs.1 und 3). Der Präsident ernennt den Vorsitzenden der Regierung, ist hierbei aber auf die Zustimmung der Staatsduma angewiesen (Artikel 83 a).

Von entscheidender Bedeutung für die spätere Betrachtung der Verfassungswirklichkeit sind die Artikel 83 b und c, in denen festgeschrieben ist, dass der Präsident das Recht besitzt, bei Kabinettssitzungen den Vorsitz zu führen, sowie über den Rücktritt der Regierung entscheidet. Die Artikel 83 g und 83 i, nach denen der Präsident den Sicherheitsrat bildet und leitet sowie seinen Verwaltungsapparat bildet, sind gleichermaßen wichtig für die Praxis der russischen Politik. Die Präsentation der Kandidaten für die Richter des Verfassungsgerichts sowie der Obersten Gerichte und der Generalstaatsanwälte obliegt ebenfalls dem Präsidenten, für die Ernennung ist er aber auf die Zustimmung der jeweils zuständigen Parlamentskammer angewiesen (Artikel 83 f). Ebenso verhält es sich mit dem Vorschlag für das Amt des Vorsitzenden der Zentralbank, wo die Duma letztlich über Ernennung und Entlassung mitentscheidet (Artikel 83 d). Der Präsident ernennt und entlässt seine bevollmächtigten Vertreter und das Oberkommando der Streitkräfte (Artikel 83 j und k). Die Staatsduma kann in bestimmten, in der Verfassung genau festgelegten, Fällen und Verfahren vom Präsidenten aufgelöst werden, dieser hat auch die Möglichkeit, Gesetzentwürfe in die Staatsduma einzubringen (Artikel 84 b und d) oder ein Referendum anzusetzen (Artikel 84 c). Bundesgesetzte müssen vom Präsidenten unterzeichnet und verkündet werden (Artikel 84 e). Der Präsident verfügt über ein suspensives Vetorecht, das nur mit einer 2/3-Mehrheit in beiden Parlamentskammern überstimmt werden kann (Artikel 107, Abs. 3).

[...]


[1] vgl. Mommsen: Das politische System Rußlands, S. 360ff.

[2] vgl. Mommsen: Das politische System Rußlands, S. 356.

[3] vgl. ebd., S. 357ff.

[4] vgl. ebd., S. 359.

[5] vgl. ebd., S. 359.

[6] vgl. ebd., S. 360, vgl. auch Schröder: Auf dem Weg zu einer neuen Ordnung?, S. 41.

[7] vgl. Schneider: Das politische System der Russischen Föderation, S. 38.

[8] vgl. ebd., S. 52ff.

[9] vgl. Verfassung der Russischen Föderation (1993). http://www.verfassungen.de/rus/russland93.htm. Stand: 17.09.2004.

Ende der Leseprobe aus 14 Seiten

Details

Titel
Die Machtfülle des russischen Präsidenten - Verfassungsnorm vs. Verfassungswirklichkeit
Hochschule
Universität Regensburg
Note
2,0
Autor
Jahr
2004
Seiten
14
Katalognummer
V45822
ISBN (eBook)
9783638431590
Dateigröße
531 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Machtfülle, Präsidenten, Verfassungsnorm, Verfassungswirklichkeit
Arbeit zitieren
Michael Bartmann (Autor:in), 2004, Die Machtfülle des russischen Präsidenten - Verfassungsnorm vs. Verfassungswirklichkeit, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/45822

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