Strukturalismus als Methode


Hausarbeit, 1999

24 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Strukturalismus als Methode

1 Einleitung

2 Die Anfänge des Strukturalismus

3 Leach‘ strukturalistische Methode zur Entschlüsselung von Mythen
3.1 Genesis as Myth
3.2 Michelangelo‘s Genesis
3.3 Paradies
3.4 Diese Welt

4 Schlußbemerkung

5 Literaturverzeichnis

1 Einleitung

„Die Vielfalt und Verschiedenheit der Methoden, mit deren Hilfe die Menschen Zugang zur Erkenntnis der Menschheit gewinnen, steht im Gegensatz zur Einheit der menschlichen Wirklichkeit, die notwendigerweise durch diese Methoden zerstört wird“ (Esbroeck 1968:11).

In der vorliegenden Arbeit soll eine dieser Methoden – der Strukturalismus – genauer untersucht werden. Die Analyse wird sich auf Edmund Leach‘ „Genesis as Myth“ (1969) konzentrieren, der in diesem Buch ein Analyseverfahren für Mythen anhand der Bibel vorstellt.

Um einen tieferen Einblick in seine Vorgehensweise zu erlangen, ist es notwendig, einen historischen Abriß des Strukturalismus mit seinen Grundthesen in den Anfängen bei Saussure zu geben. Da Saussure die Grundsteine für den Strukturalismus legte, werden die Ausführungen seiner Thesen so ausführlich wie nötig und so knapp wie möglich behandelt. Dennoch wird es sich nicht vermeiden lassen, diesen Einblick in die strukturale Sprachwissenschaft ein wenig detaillierter ausfallen zu lassen, bauen doch zahlreiche Wissenschaftler (Roman Jakobson, Claude Lévi-Strauss, Jacques Lacan, Noam Chomsky etc.) ihre Theorien auf Saussures Ergebnisse auf.

Im dritten Kapitel soll anschließend Leach‘ strukturalistische Methode der Mythenanalyse vorgestellt werden, die anhand ausgewählter Beispiele aus der Entstehungsgeschichte der Bibel verdeutlicht werden soll. Die von Leach erarbeiteten Ergebnisse lassen sich auch auf dem Gebiet der Kunst wiederentdecken und so folgt als weiteres Beispiel eine strukturalistische Betrachtung des von Michelangelo gemalten Deckengemäldes in der „Sixtinischen Kapelle“. Abschließend sollen die Ergebnisse zusammen getragen und kritisch betrachtet werden.

Sicherlich wäre es interessant, den Strukturalismus mit anderen Methoden wie z.B. der Hermeneutik und der Exegese zu vergleichen, doch sind dies sicherlich Themen für einzelne Hausarbeiten. Ein Vergleich zu Claude Levi-Strauss‘ Denkweise kann hier aufgrund des Platzes nicht erfolgen. Da es sich bei dieser Arbeit um eine wissenschaftliche Analyse handeln soll, ist es notwendig, die hier erarbeiteten Ergebnisse mit zahlreichen Zitaten zu fundieren. Dies trifft besonders für das dritte Kapitel zu, in dem es um Leach‘ strukturalistische Methode zur Analyse von Mythen geht, die eine textnahe Betrachtung fordert.

2 Die Anfänge des Strukturalismus

„Schon die Verwendung von Signifikat und Signifikant sowie die Trennung von Diachronie von der als wichtiger erachteten Synchronie haben im Strukturalismus allgemein methodologische Bedeutung bekommen und wurden zu Aspekten der Wissenschaftlichkeit schlechthin erklärt“ (Vogel 1975:16).

Ursprünglich verstand man unter Strukturalismus eine geisteswissenschaftliche Verfahrensweise, welche den historischen Kontext ihres Forschungsgegenstandes vernachlässigte, um sich der Untersuchung seiner Struktur, also des Beziehungsgefüges seiner Einzelelemente zueinander, zuzuwenden. Wie oft behauptet handelt es sich bei den Anfängen jedoch nicht um ein ausschließlich französisches Phänomen, findet man in der Mannigfaltigkeit der strukturalistischen Strömungen auch gesamteuropäische und nordamerikanische Einflüsse (Füssel 1983: 13). Eindeutig kann man jedoch sagen, daß die Linguistik bei einer historischen Betrachtungsweise des Strukturalismus in den Mittelpunkt tritt, da hier die strukturalistische Methode ihre ersten Erfolge feierte und zu einer theoretisch fundierten Erfahrungswissenschaft wurde, deren Denk- und Arbeitsweise sich schnell auch in anderen Disziplinen wie der Anthropologie, Poetik und Ästhetik durchsetzte.

Als Begründer des Strukturalismus gilt der Linguist Ferdinand de Saussure, der mit seinem erstmalig 1916 in französischer Sprache erschienenem Buch „Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft“ eine Abkehr vom damaligen vorherrschenden Psychologismus und Historismus der Sprachwissenschaft hervorrief und die junggrammatische Schule überwand.

Saussures Verdienst war es, den Gegenstand der Linguistik genauer zu erfassen und ihn von der historisierenden Vorgehensweise seiner Zeit zu differenzieren, indem er der "Diachronen Sprachwissenschaft" eine "Synchrone Sprachwissenschaft" entgegenstellte. Während die diachrone Sprachwissenschaft sich mit der zeitlichen Veränderung, bzw. der historischen Entwicklung, der Sprache beschäftigt, wird bei der synchronen Sprachwissenschaft die Sprache als System betrachtet. Um diese Vorgehensweise zu verdeutlichen, erwähnt Saussure als Vergleich das Schachspiel: Der Übergang von einer Stellung zu einer anderen im Ablauf einer Partie entspricht der Diachronie in der Sprachwissenschaft.

Der Synchronie entsprechen die (abstrakten) Regeln des Schachspiels und das Verhältnis (der Wert) der Figuren zueinander in einer bestimmten Stellung (Falk 1976: 18).

Seine ausgeführten Konzeptionen haben in den klassischen Schulen der strukturalen Linguistik Verwirklichung, Ergänzung und Weiterentwicklung erfahren und endeten nach dem 2. Weltkrieg in den vielschichtigen Facetten des französischen Strukturalismus. Der russische Formalismus, der Prager Funktionalismus, die Kopenhager Glossematik und der amerikanische Deskriptivismus sind die Hauptvertreter der Schulen, welche die strukturale Linguistik weiter ausführten. Saussure wurde durch die Beschäftigung mit den Junggrammatikern[1] zu einem Denkansatz geführt, der historisch und methodologisch die Wurzeln des Strukturalismus bilden sollten.

„Wenn man die Geschichte einer Sprache nur anhand der direkt wahrnehmbaren oder mindestens unterstellten individuellen Äußerungen erforschen konnte, was war dann die Sprache als Ganzes? Ist eine Sprache nichts anderes als die Gesamtheit aller Sätze, die von einer bestimmten Gruppe zufällig hervorgebracht werden? [...] Ins Zentrum des praktischen und theoretischen Interesses rückte damit die Frage, die man bis dahin für trivial gehalten hatte: Wie ist eine einzelne Sprache aufgebaut, wie muß sie beschrieben werden?“ (Bierwisch 1966:80).

Saussure begriff die Sprache als ein „System von Zeichen“ (Saussure 1931:19), zu welchem er die Systemhaftigkeit hinzufügte. Er sah seine Aufgabe darin, die Struktur der sprachlichen Zeichen sowie die Relationen, die zwischen Zeichen bestehen, auf den verschiedenen Ebenen des Sprachsystems zu beschreiben. Für Saussure war der eigentliche Gegenstand der Sprachwissenschaft die Sprache als System (langue), welche er vom Sprechen des Individuums (parole) und der menschlichen Rede (langage) im allgemeinen unterscheidet. Langage meint nicht die auf eine Einzelsprache beschränkte allgemeine menschliche Sprachebefähigung, die eine sehr komplexe Realität mit vielförmigen und ungleichartigen Wurzeln im physiologischen, psychischen, individuellen und kollektiven Bereich darstellt. Diese Anlage wird in der „parole“ als dem individuellen Akt des Sprechens oder Schreibens materialisiert. Zwischen beiden vermittelt die „langue“ als das sozial bedingte, kodifizierte Zeichensystem der Einzelsprache.

Faßt man Saussures Aussagen über die Systemhaftigkeit der Sprache kurz zusammen, erkennt man die Aufteilung der Sprache als menschliche Rede in die Bereiche „langue“ (Sprachsystem) und „parole“ (individuelles Sprechen) als hervorstechendes Merkmal. Dabei erweist sich das Sprachsystem als ein implizites Netz von Regeln zur Wort- (bzw. Zeichen-) bildung[2] und Bedeutungsverknüpfung auf syntaktischer Ebene, daß als überindividuelle, aber keineswegs naturhafte „Norm“ die Möglichkeit zeichenhafter Verständigung im Sprechen ermöglicht. Diese Norm, die den Sprachgebrauch auch reguliert, ist arbiträr, d. h. sie ist insofern als willkürlich zu betrachten, als sie aufgrund von passiver Vereinbarung innerhalb einer Gemeinschaft diese zu einer Sprachgemeinschaft macht. Dieses „soziale Band“ ist ein Schatz, den die Praxis des Sprechens in den Personen, die der gleichen Sprachgemeinschaft angehören, niedergelegt hat, ein grammatikalisches System, das virtuell in jedem Gehirn existiert, oder vielmehr in den Gehirnen einer Gesamtheit von Individuen; denn die Sprache ist in keinem derselben vollständig, vollkommen existiert sie nur in der Masse. „Die Sprache ist nicht eine Funktion der sprechenden Person, sie ist das Produkt, welches das Individuum in passiver Weise einregistriert" (Saussure 1931: 16).

Daraus ergibt sich, daß die Sprachstruktur sowohl Bedingung als auch Ergebnis des individuellen Sprechens ist. Ohne Sprache gäbe es kein Sprechen, sondern nur Geräusche, die dem Zuhörer unzugänglich wären, so wie einem Nichtitaliener die Gespräche in den Straßen Italiens als eine schöne Melodie vorkommen können, aus denen er aber kaum einzelne Wörter herauszufiltern vermag, wenn er die italienische Sprache nicht aktiv oder passiv erlernt hat. "Andererseits erlernen wir unsere Muttersprache nur, indem wir andere sprechen hören; sie kann sich nur infolge unzähliger Erfahrungen in unserem Gehirn [als Sprachstruktur] festsetzen" (Saussure 1931: 22).

In diesem Netz sprachlicher Regeln werden sprachliche Zeichen miteinander verknüpft. Diese Zeichen bestehen aus dem Signifikanten/Bezeichnenden einerseits und dem Signifikat/Bezeichneten andererseits, wobei ersterer für die „Form“ oder das „Lautbild“ und der zweite Begriff für den „Inhalt“ oder die „psychische Vorstellung“ steht, die beim Gebrauch hervorgerufen wird.

Für sich allein sind diese Bestandteile sinnlos, was heißen soll, daß ohne Form kein Inhalt und ohne Inhalt keine Form besteht bzw. übermittelt werden kann. Ohne die jeweilige Differenzierung und die Verknüpfung von Inhalten und Formen zu Zeichen gäbe es nach Saussure nur zwei gestaltlose Massen: eine „Nebelwolke“ des Denkens ohne Formen einerseits und eine „lautliche Masse“ undifferenzierter, bedeutungsloser Geräusche andererseits: "Der materiale Laut kann erst als Bedeutungsträger zu einem sprachlichen Laut werden, das Denken kann erst in der Fassung eines sprachlichen Lautes zu einer Vorstellung werden" (Prechtel 1994:133).

Diese Verknüpfung gilt notwendigerweise als willkürlich oder unmotiviert, d.h. sie ist beliebig, weil nur soziale Konvention darüber bestimmt, daß beispielsweise im Deutschen für den Zustand „Nichtwachsein“ das Verb „schlafen“ verwendet wird und kein anderes.

Wichtiger aber ist Saussures These, daß das Zeichen - und dies gilt sowohl für seine Signifikantenseite als auch für sein Signifikat - nur durch seine Unterscheidung zu anderen Zeichen (genauer gesagt ihrem jeweiligen Signifikanten oder Signifikat) Bedeutung erhält. Allein weil „schlafen“ sich sowohl durch seine Form als auch durch seine Bedeutung von anderen Zeichen unterscheidet, ist es Zeichen, erhält es einen „Wert“, repräsentiert es etwas und besetzt es eine Leerstelle in den (voneinander unabhängigen und grundsätzlich erweiterbaren) differentiellen Systemen der Signifikanten und Signifikate. Somit erhält ein Zeichen seinen Wert auf negative Weise: er wird durch Differenz zu seiner Umgebung erzeugt. Diese Interdependenz zeigt sich in der Nichtverwendung des spezifischen Zeichens, wenn ähnliche „Stellvertretersignifikate“ an seiner Statt verwendet werden. In dem bereits verwendeten Beispiel läßt sich das Verb „schlafen“ mit „nicht wach sein“ annähernd umschreiben, und durch „schlummern“, „dösen“ oder „pennen“ ersetzen. Allerdings sind die Bedeutungen dieser drei Wörter nicht exakt dieselben wie die von „schlafen“, und die Umschreibung besteht aus einer umständlich anmutenden Zusammensetzung, deren Anwendung im alltäglichen Sprachgebrauch aller Wahrscheinlichkeit nach die Frage aufkommen lassen würde, warum man denn nicht „schlafen“ sage und sich so umständlich ausdrücke.

[...]


[1] Als wichtigste Vertreter wären hier Verner, Brugmann, Osthoff und Leskien zu nennen.

[2] Hier muß angemerkt werden, daß gerade eine Konsequenz aus Saussures Betrachtung der Sprache als Zeichensystem ist, daß Wörter meist aus verschiedenen Bestandteilen aufgebaut sind und somit als kleines Syntagma (im weiteren Sinn: Zeichenkette) kein einzelnes Zeichen, sondern ein zusammengesetztes Zeichen darstellen.

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Strukturalismus als Methode
Hochschule
Universität Münster  (Fachbereich Ethnologie)
Note
1,0
Autor
Jahr
1999
Seiten
24
Katalognummer
V4582
ISBN (eBook)
9783638128162
Dateigröße
503 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Strukturalismus, Methode
Arbeit zitieren
Steffi Funnekötter (Autor:in), 1999, Strukturalismus als Methode, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/4582

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