Ethische Unternehmenssteuerung durch organisationale Integrität


Bachelorarbeit, 2016

39 Seiten, Note: 1,3

Julian Müller (Autor:in)


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Zielstellung

2. Problematik
2.1 Definition und Auslegung der organisationalen Integrität
2.1.1 Wirtschaftsethik, Unternehmensethik, Führungsethik
2.1.2 Compliance und Integrity
2.1.3 Organisationale Integrität
2.2 Unterschiedliche Dimensionen der Mitarbeiterbeeinflussung
2.2.1 Extrinsische Faktoren
2.2.2 Intrinsische Faktoren
2.3 Unmoralische Regelkonformität

3. Maßnahmen zur Problemlösung
3.1 Compliance Management-System
3.2 Integritätsstrategie
3.3 Two-leg Approach

4. Deduktion
4.1 Rechtliche und politische Aspekte
4.2 Betriebswirtschaftliche Aspekte
4.3 Volkswirtschaftliche und gesellschaftliche Aspekte

5. Ergebnis und Ausblick.

Literaturverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1. Zielstellung

Die Deutsche Bank, Siemens, Volkswagen, MAN, Bilfinger oder der Deutsche Fußballbund - die Liste der Unternehmen, die durch öffentlichkeitswirksame Negativschlagzeilen in der näheren Vergangenheit aufgefallen sind, scheint schier endlos zu sein. Insbesondere von Korruption, Geldwäsche und kartellrechtlichen Verstößen ist zu hören. Der neuesten KPMG-Studie zur Wirtschaftskriminalität im Jahre 2016 zufolge ist in Deutschland jedes dritte Unternehmen von Wirtschaftskriminalität betroffen.1 Obzwar Unternehmen juristische Personen sein mögen, tatsächlich handeln und entscheiden doch immer menschliche Individuen für eine nicht personifizierbare Organisation. Jene Zusammenschlüsse beeinflussen den Handlungskontext der Mitarbeiter, gleichzeitig scheinen im Privatleben unbescholtene Bürger im Marktkontext regelmäßig zu illegitimen Handlungsweisen zu tendieren.

Daher wird in dieser Arbeit untersucht, warum sich grundsätzlich integre Mitarbeiter in gewissen Organisationen zu dolosen Handlungen verleiten lassen. So soll herausgefunden werden, ob es in Unternehmen charakteristische Strukturen gibt, die ein derartiges Verhalten begünstigen. Auf dieser Grundlage kann dann versucht werden, bestimmte Maßnahmen zu finden, um Unternehmungen per se integer zu gestalten.

In den Vereinigten Staaten von Amerika ist der Ausdruck organizational integrity bereits seit mehreren Dekaden bekannt. In Deutschland und anderen europäischen Ländern herrscht indes bereits Uneinigkeit bei der Betitelung des Phänomens der Mitarbeiterbeeinflussung durch Organisationsstrukturen hin zu einer gewissen individuellen Amoralität. So forschen Wissenschaftler aus unterschiedlichen Disziplinen, insbesondere aus der Soziologie, der Wirtschafts- und Unternehmensethik, der Rechtswissenschaft und der Wirtschaftspsychologie an diesem Thema. Im folgenden Text soll versucht werden, die Betrachtungsweisen dieser unterschiedlichen Strömungen unter dem Kernbegriff der „organisationalen Integrität“ zu vereinen.

In der Psychologie und Kriminologie wird insbesondere die intrinsische Motivation für wirtschaftskriminelles Verhalten der Mitarbeiter analysiert (vgl. Fraud Triangle 2 ). Dies ist beispielhaft der Fall, wenn sich ein Angestellter monetäre oder nicht-monetäre Vorteile, die er nicht, nicht in der Art oder nicht zu dieser Zeit zu beanspruchen hat, als Gegenleistung dafür fordert, sich versprechen lässt oder annimmt, damit er eine bestimmte Handlung vornimmt.3 Der Mitarbeiter hat hier gehandelt, weil er sich objektiv besserstellen möchte als ihm tatsächlich zustünde.Allerdings kommt es auffällig häufig vor, dass sich in gewissen Unternehmen Handlungsweisen repetieren, völlig gleich welcher Mitarbeiter die Entscheidungsbefugnis hat. Daher sollen in dieser Arbeit weniger die in der Sphäre des Mitarbeiters liegenden, subjektiven und psychologischen Faktoren analysiert werden. Vielmehr soll demgegenüber darauf abgestellt werden, welche äußeren Faktoren, also jene, die nicht in der Person des Handelnden liegen, ruchlose Handlungsweisen dulden oder gar fördern. In anderen Worten: Das Fehlverhalten der Mitarbeiter lässt sich nicht zwingend personalisieren, sondern kann und muss auch auf systematische Ursachen zurückgeführt werden.4

Georges Enderle spricht in diesem Zusammenhang von drei unterschiedlichen Ebenen der Verantwortung, auf denen differierende Akteure jeweils auf ihre Art und Weise Verantwortlichkeit übernehmen müssen. Auf der Mikroebene steht ein Individuum, also der Mitarbeiter, der Arbeitgeber, Kollegen, leitende Angestellte, Kunden, Lieferanten oder einzelne Investoren im Fokus. Darunterfallen gleichwohl auch kleinere Gruppen von Individuen. Entscheidungskriterium ist, ob eine organisationale Struktur vorliegt. Erst wenn dies bejaht wird, spricht Enderle von der Mesoebene. Es handelt sich hierbei um Prozesse von organisierten Unternehmen, Gewerkschaften, Berufsvereinigungen, Kammern, Fachverbänden oder auch Verbraucherorganisationen. Geht man noch einen Schritt weiter und zieht die gesamte Wirtschaftsordnung mit ihren unterschiedlichen Organisationen, Finanzhäusern, Gesetzen et cetera in Betracht, wird von der Makroebene gesprochen. Auf jeder einzelnen Ebene gelten unterschiedliche Kriterien für moralisch angemessenes Verhalten. Im Falle der organisationalen Integrität müssen wir also versuchen, die Mesoebene der Verantwortlichkeit so auszugestalten, dass unethisches Verhalten möglichst weitreichend verhindert werden kann. Als logischer Folgeschritt dieser Vorstellung gilt es dann auszumachen, welche Verbindungen respektive Wechselwirkungen zwischen diesen Ebenen existieren um sowohl individuelle Handlungsweisen als auch Organisationen so zu strukturieren, dass doloses Verhalten zumindest weitgehend erschwert wird.5

Im internationalen Kontext ist auffällig, dass die Ansätze für eine ethische Unternehmensführung hauptsächlich auf der Mikroebene (so insbesondere in den Vereinigten Staaten von Amerika, die im kulturellen Kontext bekanntermaßen äußerst individualistisch veranlagt sind) oder aber auf der Makroebene (so in Zentraleuropa) zu verwirklichen versucht werden. Die Mesoebene, also das entscheidende Level für organisationale Integrität, wurde bislang noch zu häufig vernachlässigt. Aufgrund sich verändernder Umwelt- und Rahmenbedingungen rückt seit kurzer Zeit allerdings auch die Organisationsebene sowohl in Nordamerika als auch in Europa zunehmend in den Fokus der Wirtschafts- und Unternehmensethik.6

Ein wichtiges Element für diese Entwicklung war sicher die herausragende Arbeit „Managing for Organizational Integrity“ von Lynn Sharp Paine, der bereits vor gut einem Vierteljahrhundert erkannte, dass Fehltritte der Mitarbeiter keineswegs ausschließlich isolierte Ereignisse auf der Mikroebene sind, sondern dass die Organisationen in erheblichem Maße an derartigen Verhaltensweisen beteiligt, teilweise sogar ursächlich sind.

Im Folgenden sollen nun die Ursachen dieses Phänomens eruiert werden, wobei zunächst die grundlegenden Problematiken analysiert und bewertet werden müssen. Daraufhin werden mögliche Maßnahmen zur Problemlösung erörtert. Zum Abschluss werden die Sachverhalte deduziert und einzelne Aspekte aus den Bereichen Betriebswirtschaft, Rechtswissenschaft und Volkwirtschaft / Gesellschaft skizziert.

2. Problematik

Es gilt drei Kernproblematiken der organisationalen Integrität zu behandeln. Neben der Auslegung der Begrifflichkeit sollen die unterschiedlichen Einflussfaktoren auf Mitarbeiter erörtert werden. Ferner wird die Thematik der unmoralischen Regelkonformität problematisiert.

2.1 Definition und Auslegung der organisationalen Integrität

In den bundesdeutschen wissenschaftlichen Publikationen ist der Begriff der organisationalen Integrität, anders als im US-amerikanischen Raum, kaum vorzufinden.7 In der Literatur ist ersatzweiße regelmäßig die Rede von Unternehmensethik, Wirtschaftsethik8, Compliance und / oder Integrity9, wobei häufig nicht ausreichend zwischen den einzelnen Begriffen differenziert wird. Daher ist es notwendig zunächst diese Begriffe voneinander abzugrenzen, um anschließend eine Definition für organisationale Integrität zu finden.

2.1.1 Wirtschaftsethik, Unternehmensethik, Führungsethik 10 11

Gegenstand der Wirtschaftsethik (Makroebene) ist die Beschäftigung mit ganzheitlichen (volks-)wirtschaftlichen Systemen und der Versuch ökonomische mit gesellschaftlichen und ökologischen Fragestellungen zu vereinen. Es wird also nach „gesellschaftliche[n] Kooperationspotenziale[n]“12 gesucht. Ethische Werte wie Solidarität, Humanität und Verantwortung sollen auf wirtschaftliche Handlungsweisen angewendet werden. Die Wirtschaftsethik ist dabei ein Teil der Sozialethik

Häufig auch mit Corporate Social Responsibility (CSR) oder Corporate Citizenship (CC) umschrieben, beschäftigt sich die klassische Unternehmensethik (Mesoebene) mit moralischen Wertvorstellungen von Unternehmen. Insbesondere der Zielkonflikt zwischen der Gewinnmaximierung eines Betriebes und deren moralischer Ideale werden hier analysiert. Als Organisationsethik werden hier organisatorische, konzeptionelle und moralische Rahmenbedingungen vorgeschlagen um moralisches Verhalten zu fördern. Da hier nur konkrete Teilnehmer des Marktes im Fokus der Wissenschaft stehen, handelt es sich bei der Unternehmensethik um ein Teilgebiet der Wirtschaftsethik.

Auf personaler Ebene soll auch die Führungsethik (Mikroebene) als Individualethik nicht unbenannt bleiben. Als moralischer Akteur treten hier Individuen, zum Beispiel leitende Angestellte, auf. Diese bestimmen in herausragender Weise das Verhalten ihrer Mitarbeiter, denn es sind sie, die eine besondere Vorbildfunktion innehaben. In der Praxis versuchen Unternehmen durch Verhaltensrichtlinien respektive Verhaltenskodizes für Führungskräfte das Verhalten in eine sittliche und moralisch angemessene Richtung zu lenken.

2.1.2 Compliance und Integrity

Compliance steht in Unternehmen „für die Einhaltung von gesetzlichen Bestimmungen, regulatorischer Standards und [die] Erfüllung weiterer, wesentlicher und in der Regel vom Unternehmen selbst gesetzter ethischer Standards und Anforderungen.“13

Während der Begriffsursprung in der US-amerikanischen Finanzbranche liegt und zum Ziel hatte, Insidergeschäfte und Interessenskonflikte zu vermeiden, fanden entsprechende Regelungen in den 1990er-Jahren auch Einzug in deutsche Gesetze. Regelungsbedarf bestand insbesondere bei Banken und Versicherungen, welche bis heute in besonderer Weise legislatorisch verpflichtet sind.

So sind beispielsweise Wertpapierdienstleistungsunterneh­men gemäß § 31 Absatz [j1] 1, 2 WpHG verpflichtet, dass Wertpapierdienstleistungen und Wertpapiernebendienstleistungen mit der erforderlichen Sachkenntnis, Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit im Interesse ihrer Kunden erbracht werden. Ferner muss sich das Unternehmen um die Vermeidung von Interessenkonflikten bemühen und vor der Durchführung von Geschäften für Kunden, diesen die allgemeine Art und Herkunft etwaiger Interessenkonflikte eindeutig darlegen. Börsengeschäfte der Mitarbeiter dürfen also nicht gegen eigene Interessen oder Kundeninteressen vorgenommen werden. Besonders interessant für das Thema organisationale Integrität ist, dass daneben in § 33 WpHG konkrete und detaillierte Organisationspflichten vorgegeben werden. So müssen unter anderem angemessene Grundsätze aufgestellt, Mittel vorgehalten und Verfahren eingerichtet werden, die darauf ausgerichtet sind, sicherzustellen, dass das Wertpapierdienstleistungsunternehmen selbst und seine Mitarbeiter den Verpflichtungen des Wertpapierhandelsgesetzes nachkommen, wobei insbesondere eine dauerhafte und wirksame Compliance-Funktion einzurichten ist, die ihre Aufgaben unabhängig wahrnehmen kann (§ 33 Absatz 1 Nummer 1 WpHG). Daraus folgend haben Wertpapierhandelsunternehmen die Pflicht zur Errichtung einer Compliance-Abteilung.

Ferner sind auch die organisatorischen Pflichten der §§ 25a Absatz 1, 2 und § 25e des Kreditwesengesetzes (KWG) erwähnenswert. So werden Kreditinstitute unter anderem verpflichtet, nachhaltige Geschäftsstrategien und Verfahren zur Ermittlung und Sicherstellung der Risikotragfähigkeit festzulegen. Ferner müssen gemäß § 25a Absatz 1 Nummer 3 KWG interne Kontrollverfahren mit einem internen Kontrollsystem und einer internen Revision eingerichtet werden.

Inzwischen breiten sich solche Compliance-Strukturen aber auch zunehmend in anderen Zweigen der Wirtschaft, unter anderem aufgrund rechtlicher Anforderungen14 und insbesondere bei großen Industrieunternehmen, aus. So sollen präventiv Unternehmensrisiken minimiert werden. Zur Compliance-Kultur zählen aber auch nicht-gesetzliche Regelungen, worunter auch ethische Verhaltenskodizes fallen.15 16 Hier wird bereits ein Berührungspunkt zur Unternehmensethik deutlich.

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass der Compliance-Ansatz eine restriktive Reaktion auf die zunehmende staatliche Regulierung ist, um möglichen Strafen oder anderen Nachteilen zu entgehen. Dabei wird von einem relativ passiven Menschenbild ausgegangen, welches hauptsächlich auf äußere Reize reagiert. Demgemäß sollen die Ziele der Organisation insbesondere mit Belohnung und Bestrafung erreicht werden.17

Während beim Compliance-Ansatz also hauptsächlich ein gewisser Druck von außen ein Unternehmen zum Handeln bewegt, geht der Integrity -Ansatz von einer gegenteiligen Betrachtungsweise aus. Nicht extrinsische, sondern intrinsische Motivation soll hier als Anknüpfungspunkt für moralisch angemessenes Verhalten dienen. Mitarbeiter sollen von sich aus adäquat handeln, nachdem sie für unternehmensethische Werte sensibilisiert wurden. Unterstützend müssen organisationsstrukturelle und kulturelle Maßnahmen implementiert werden, die Beschäftigte zu einem eigenverantwortlichen Handeln animieren. Eine ernsthafte, den Voraussetzungen entsprechende Vertrauenskultur ist dabei die unabdingbare Grundlage, damit eine Selbststeuerung des Mitarbeiters gelingen kann.18 Der ehemalige Investmentbanker Rainer Voss titulierte im preisgekrönten Dokumentarfilm „Der Banker - Master of the Universe“ sinngemäß: Je tiefer ein Unternehmen in der moralischen, rechtlichen oder unternehmerischen Krise stecke, desto umfangreicher werde deren Arbeit im Bereich Corporate Social Responsibility. Anhand dieser Aussage wird deutlich, warum der Integrity-Ansatz aus moralischen Gesichtspunkten der Erstrebenswertere ist. Es ist gleich, welche Compliance-Maßnahmen implementiert werden oder wie sich die Organisation nach außen hin positioniert, wenn sich kein Umdenken in den Köpfen der operativen Mitarbeiter zuträgt, wird das Unternehmen auch weiterhin auf moralischen Irrwegen wandern. So sprach Voss weiterhin von der Problematik, dass die „Legehennen“ [sic!], also jene Mitarbeiter in einer Investmentbank, die ausschließlich mit dem operativen Tagesgeschäft betraut sind, eben auch jene sind, die überproportional große Schäden sowohl an der Bank per se, aber auch an Staat und Gesellschaft verursachen können. Dies geschah in der Vergangenheit regelmäßig aus Profitgier und / oder entsprechender Zielvorgaben. Gleich einer Pyramide fiele auch ein Finanzunternehmen auseinander, wenn die metaphorischen Steine am unteren Ende zusammenbrächen.19 Erst wenn Mitarbeiter selbst überzeugt sind, dass ihr Handeln sich an moralischen Eckpfeilern orientieren muss, können diese Gefahren beseitigt werden. Profiteur ist letztlich nicht nur das Unternehmen aufgrund sinkender betriebswirtschaftlicher und rechtlicher Risiken, sondern die gesamte Gesellschaft. Man denke in diesem Zusammenhang beispielsweise an die Milliardenbeträge für Bankenrettungen der vergangenen Jahre durch die Bundesrepublik Deutschland, Kosten in Höhe von etwa 15,8 Milliarden Euro20, die letztendlich die Steuerzahler zu tragen hatten. Nicht erst an diesem unvorstellbar hohen Betrag wird die Tragweite von unternehmerischen Fehlentscheidungen aufgrund fehlender Moral deutlich. Die betroffenen Banken, wie etwa die Commerzbank, Hypo Real Estate oder die West LB-Nachfolgerin Portigon waren zwar an die oben genannten regulatorischen Vorgaben gebunden und hatten folglich auch Compliance Management-Systeme implementiert, ausreichend war dies aber offensichtlich nicht. Auch gesellschaftliches Engagement (beispielweise durch Spenden oder die Förderung von Kunst, Kultur, Umwelt und Sport21 ), Code of Conducts oder CSR-Hochglanzbroschüren sind nicht die Ausnahme, sondern zunehmend obligat in der schönen neuen Wirtschaftswelt des 21. Jahrhunderts. Problematisch ist indes, dass nur ein kleiner Teil der Belegschaft an diesen Engagements und Maßnahmen beteiligt war und ist. Die anderen Arbeitskräfte lesen davon vielleicht in der Mitarbeiterzeitung, erhalten eine Mail oder bekommen eine kurze mündliche Unterrichtung über die Sachverhalte bezüglich der neuen moralischen Standpunkte des Unternehmens. Die Komplikation hierbei scheint evident: Mit jenen, teils nur oberflächlichen, Bemühungen einer Stabsstelle kann man die Denk- und Herangehensweisen von erfolgsorientierten Mitarbeitern wohl nicht nachhaltig verändern - ein Umdenken in den Köpfen der Angestellten kann ohne einen entsprechen Integrity-Ansatz wahrlich kaum stattfinden.

2.1.3 Organisationale Integrität

Unter Berücksichtigung der oben benannten Erkenntnisse soll an dieser Stelle organisationale Integrität als angemessene individuelle Unternehmensethik mit weitreichender implementierter und nicht nur eigennütziger Regelkonformität definiert werden.

Eine wirkungsvolle Strategie muss also weitergreifend und fordernder sein als der klassische Compliance-Ansatz22, der gegenwärtig in einer Vielzahl von Unternehmen Einzug hält. Diesen Anspruch müssen jedoch Unternehmen an sich selbst stellen. Das Auferlegen und Erzwingen von Integrität scheint zumindest zum gegenwärtigen Zeitpunkt wenig aussichtsreich und bürge gleichwohl die Gefahr, dass entsprechende Regelungen kontraproduktiv wirken. So kann als Worst-Case-Szenario gar eine „Jetzt erst Recht!“-Mentalität seitens der Unternehmen respektive deren Mitarbeiter nicht ausgeschlossen werden. Stattdessen muss der Sinn und Zweck einer integren Organisation tief in den Köpfen der Individuen verankert werden.

Insbesondere genügen auch nicht die öffentlichkeitswirksamen Corporate Citizenships und CSR-Broschüren, Code of Conducts, Standard-Trainingsprogramme oder namhafte Integrity-Beauftragte, um eine Integrität auf Organisationsebene umzusetzen. Zyniker würden vielleicht behaupten, dass unternehmensethische Maßnahmen sowohl Staat und Gesellschaft beruhigen und zugleich die eigene Reputation steigern – aufgrund der relativ geringen Umsetzungskosten also eine herausragende unternehmerische Investition sind. Und tatsächlich ist es so, dass die erwähnten Handlungen und ähnlich gelagerte formale Bestandteile einer unternehmerischen Ethikstrategie zwar durchaus als Katalysator und Unterstützung dienen23, bei der organisationalen Integrität muss es jedoch einen Schritt weitergehen. Werte des Unternehmens müssen soweit implementiert werden, dass sie von der Belegschaft als Selbstverständlichkeit angesehen werden. Erst wenn sich alle Beschäftigten, inklusive der leitenden und weisungsbefugten Angestellten, mit den ethischen Zielen identifizieren können und diese auch erreichen wollen und wenn dies zugleich strikt unter der Wahrung der regulatorischen und der vom Unternehmen selbst auferlegten Grenzen geschieht, kann von organisationaler Integrität gesprochen werden.

Das Problem der Definition und Auslegung der organisationalen Integrität wurde nun gelöst. Die Ergründung der unterschiedlichen Einflussgrößen auf die Marktakteure soll nun als zweite Schwierigkeit folgen.

2.2 Unterschiedliche Dimensionen der Mitarbeiterbeeinflussung

Es wirkt eine Vielzahl von Faktoren auf die Institutionen der Wirtschaft und deren Individuen ein. Diese können außerhalb (hier mit „extrinsische Faktoren“ bezeichnet) oder innerhalb („intrinsische Faktoren“) einer Organisation liegen.

2.2.1 Extrinsische Faktoren

Auf der Makroebene kann unser gesamtes Wirtschaftssystem, also die soziale Marktwirtschaft als enorme Einflussgröße benannt werden. Durch den weitgehend freien Wettbewerb sind Unternehmen gezwungen, sich einen wie auch immer gearteten Wettbewerbsvorteil zu verschaffen. Um diesen zu erlangen, wird prinzipiell ein relativ egoistisches Verhalten an den Wirtschaftsalltag gelegt. Diese Grundbedingung strahlt dann auf die Unternehmen ab, die folglich auch eine gewisse „Ellenbogenmentalität“ ihrer Belegschaft fordern, um erfolgreich wirtschaften zu können. Ein Jahr ohne Wachstum wird in der Marktwirtschaft regelmäßig als herbe Niederlage verstanden, aufgrund dessen ist es wenig verwunderlich, dass Vorstände oder Gesellschafter immer abstrusere Zielvorgaben setzen. Wer nicht mit der immer schneller tickenden Wirtschaft mithält, setzt sich mittel- und langfristig der Gefahr der Insolvenz aus. So ist die Anzahl der Unternehmensinsolvenzen von knapp 20.000 in 2000 auf über 115.000 im Jahre 2015 gestiegen. Nach der Finanzkrise 2008 stieg diese Zahl zeitweise sogar auf über 150.000 an.24 Der Zielkonflikt mit der unternehmerischen Integrität ist augenscheinlich. Wenn es um das Überleben eines Unternehmens geht, wird Moral fast zwangsläufig vernachlässigt. So könnte es exemplarisch der Fall sein, dass sich ein kurz vor der Insolvenz stehendes Bauunternehmen einem Submissionskartell anschließt, um einen Bauauftrag aus öffentlicher Hand zu erhalten. Die Entscheidungsträger im Unternehmen stehen in diesem fiktiven Fall vor der Frage, ob sie integer bleiben und somit den Konkurs des Unternehmens riskieren oder ob sie korrumpierbar werden und sich dem Kartell anschließen. Vor allem bei Familienunternehmen, in denen die Führungsriege mit Leidenschaft seit Jahrzehnten für „ihr“ Unternehmen lebt, dürfte die Antwort fast immer gleich ausfallen: Trotz ambivalenter Ansichten der Entscheider stipuliert man sich wohl zähneknirschend für das vermeintlich kleinere Übel – Die Herbeiführung oder Erduldung gesellschaftsschädigender Handlungen um so den Betrieb vor dem Konkurs zu retten.

Nun lässt sich allerdings unsere Wirtschaftsordnung nicht ändern und da weitgehend Einvernehmen besteht, dass die Vorteile der sozialen Marktwirtschaft klar den Nachteilen überwiegen, müssen zunächst andere Einflussgrößen gefunden werden, auf welchen gegebenenfalls eingewirkt werden kann.

[...]


1 KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft: Wirtschaftskriminalität in Deutschland 2016

2 Gemäß dem Fraud Triangle setzen sich Wirtschaftsstraftaten aus drei Faktoren zusammen: Druck/Motiv, Gelegenheit und persönliche Rechtfertigung

3 In Anlehnung an die strafrechtlichen Normen der Bestechlichkeit und Bestechung, §§ 331 ff. StGB

4 Thielemann, Ulrich: Compliance und Integrity – Zwei Seiten ethisch integrierter Unternehmenssteuerung, in zfwu 6/1 (2005), S. 32

5 Enderle, Georges: Business Ethics in the Intercultural and Global Context. A Conceptual Framework, in zfwu 1/3 (2000), S. 269-270

6 Enderle, Georges: Business Ethics in the Intercultural and Global Context. A Conceptual Framework, in zfwu 1/3 (2000), S. 275-277

7 https://www.youtube.com/watch?v=tffVL_SZf7M

8 So z.B. Eigenstetter, Monika; Trimpop, Rüdiger in Ethisches Klima in Organisationen. Ansätze und Messinstrumente, in: Wirtschaftspsychologie Heft 4/2009

9 So z.B. Thielemann, Ulrich in Compliance und Integrity – Zwei Seiten ethisch integrierter Unternehmenssteuerung

10 Pradel, Michael: Ansätze zur Entwicklung unternehmensethischer Konzepte

11 Universität Trier:

ABWL-Seminar „Case Studies zur Unternehmensethik“ im SS 2010: Grundlagen zurUnternehmensethik

Einführungsvortrag am 14.04.2010

12 http://wirtschaftslexikon.gabler.de/Definition/wirtschaftsethik.html

13 Krügler, Eberhard: Compliance. Ein Thema mit vielen Facetten, in Umwelt Magazin Heft 7/8 2011, S.50

14 Zum Beispiel § 91 Absatz 2 AktG, wonach der der Vorstand geeignete Maßnahmen zu treffen hat, insbesondere die Einrichtung eines Überwachungssystems, damit den Fortbestand der Gesellschaft gefährdende Entwicklungen frühzeitig erkannt werden

15 http://wirtschaftslexikon.gabler.de/Definition/compliance.html

16 http://www.business-on.de/definition-compliance-was-bedeutet-compliance-_id42242.html

17 Noll, Bernd: Wirtschafts- und Unternehmensethik in der Marktwirtschaft, S. 119 - 121

18 Noll, Bernd: Wirtschafts- und Unternehmensethik in der Marktwirtschaft, S. 120 - 121

19 Bauder, Marc: Der Banker. Master of the Universe, gezeigt am 11.08.2016 um 23:00 Uhr im hessischen Rundfunk

20 http://www.handelsblatt.com/unternehmen/banken-versicherungen/steuergelder-bankenrettung-kostet-rund-15-8-milliarden-euro/12764302.html

21 Siehe exemplarisch: https://www.commerzbank.de/de/nachhaltigkeit/gesellschaft/UmweltGesellschaft.html

22 Paine, Lynn Sharp: Managing for Organizational Integrity, in Harvard Business Review Heft 03/04 1994, S. 110 - 113

23 Ebd.

24 https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/Indikatoren/LangeReihen/Insolvenzen/lrins01.html;jsessionid=50C9DE55CE7B089B129C93C091908B0E.cae4

Ende der Leseprobe aus 39 Seiten

Details

Titel
Ethische Unternehmenssteuerung durch organisationale Integrität
Hochschule
Fachhochschule Hof
Note
1,3
Autor
Jahr
2016
Seiten
39
Katalognummer
V458155
ISBN (eBook)
9783668875722
ISBN (Buch)
9783668875739
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Compliance, Integrity, Wirtschaftsrecht, Wirtschaftsethik, Unternehmensethik, BWL, Ethik, Moral, Recht, Unternehmensführung
Arbeit zitieren
Julian Müller (Autor:in), 2016, Ethische Unternehmenssteuerung durch organisationale Integrität, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/458155

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