Das Kanonissenstift Gandersheim. Eines unter vielen Stiften im sächsischen Raum?


Hausarbeit, 2010

14 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Gliederung

1. Einleitung

2. Die Gründung des Kanonissenstiftes

3. Funktionen für das Königtum
3.1 Das Kanonissenstift als Ort der Memoria und der Grablege
3.2 Bildungs- und Versorgungsstätte adliger Töchter
3.3 Erwerb von Reliquien
3.4 Schriftzentrum

4. Die Bedeutung des Kanonissenstiftes

5. Vergleich zu Quedlinburg

6. Schluss

1. Einleitung

Es gibt kaum eine historische Stätte, die so eng mit dem Geschlecht der Liudolfinger1 verbunden ist, wie das Kanonissenstift Gandersheim. Als erste wichtige Gründung dieser Familie spielt es in deren Geschichte eine besondere Rolle. Dieses Stift verstand sich stets als Ursprung des Aufstiegs der Liudolfinger.2 Wie sehr sich die Gründung Gandersheims auf die Entwicklung und den Aufstieg dieser Familie ausgewirkt hat, ist jedoch bis heute in der Forschung ein zwar vieldiskutiertes aber nicht vollständig geklärtes Thema. Um diese Frage zu beantworten, ist es unumgänglich, zuerst die Gründungsumstände und vor allem die Veranlassung der Gründung zu erläutern. Vor allem im Hinblick auf die stetige Konkurrenz Gandersheims mit Quedlinburg sind die Aufgaben des Kanonissenstiftes sowie dessen Funktionen im Königtum genauer zu beleuchten. Es ist wohl so, dass Gandersheim Mitte des 10. Jahrhunderts seine Vorrangstellung an Quedlinburg verlor, doch ist es für diesen Kontext unumgänglich zu hinterfragen, warum dies so war und letztendlich auch blieb. Problematisch gestaltet sich die lückenlose Untersuchung der Gründungszeit aber aufgrund fehlender Quellen. Hans Goetting leistete jedoch in den letzten Jahrzehnten diesbezüglich hervorragende Arbeit, sodass heutige Analysen leichter möglich sind als noch vor einigen Jahren.

2. Die Gründung des Kanonissenstiftes

Für eine Analyse zur Gründung des Stiftes Gandersheim3 ist es unumgänglich, den Einfluss der Liudolfinger zur damaligen Zeit genauer zu betrachten. Nur die einflussreichsten und mächtigsten Adelsfamilien waren in der Lage, sowohl die finanziellen Mittel als auch die nötigen Ländereien4 aufzubringen, um ein sogenanntes Hauskloster gründen zu können. Demnach spielte das Geschlecht der Liudolfinger wohl schon in der Mitte des 9. Jahrhunderts eine führende Rolle und es gab womöglich bereits eine besondere Nähe zum König, sonst wäre die Gründung wohl nicht möglich gewesen. Der spätere Sachsenherzog Liudolf und dessen Ehefrau Oda gründeten im Jahre 852 das Kanonissenstift Gandersheim.5 Doch warum wählten sie ausgerechnet diesen Ort? Wahrscheinlich entschied man sich für eben genannte Ortschaft, da Liudolfs Vorfahren eine Eigenkirche und Besitztümer im benachbarten Brunshausen und der Mark Gandersheim besaßen.6 Gandersheim war zudem Knotenpunkt wichtiger Fernstraßen, was womöglich ebenfalls die Ortswahl beeinflusste.7 Von eminenter Bedeutung für die Gründung war jedoch vor allem die Wahl der Reliquien. Das Gründerpaar reiste noch vor der Stiftsgründung mit königlicher Genehmigung nach Rom, zum einen, um für die Gründung die Zustimmung Papst Sergius II. einzuholen, und zum anderen, um Reliquien zu erwerben. Die Wahl der Reliquien für die Gründung war keineswegs zufällig. So entschied man sich für Reliquien der heiligen Päpste Anastasius I. und Innocentius I., womit die Gründer in enge Beziehung zum Papst und somit zur römischen Kirche traten.8

Die bereits angedeutete Königsnähe spiegelt sich vor allem durch das königliche Privileg aus dem Jahre 877 wider, durch das Ludwig der Jüngere dem Stift nicht nur Königsschutz9 sondern auch Immunität zubilligte.10 Weiterhin legte er fest, dass das Amt der Äbtissin stets von einer Tochter aus der Gründerfamilie bekleidet werden sollte.11

Von besonderer Bedeutung war hier der Königsschutz, der die Zukunft der Gemeinschaft und somit letztendlich ein dauerhaftes liturgisches Gedenken für das Gründerpaar sicherte.12

3. Funktionen für das Königtum

3.1 Das Kanonissenstift als Ort der Memoria und der Grablege

Das Kanonissenstift Gandersheim war in erster Linie der Ort der Memoria13 des Stifterpaares, Liudolf und Oda, und weniger ein Familienstift.14 Die Hauptaufgabe war demnach die Erinnerung an das Stifterpaar in Form von Gebeten oder Fürbitten, womit letztendlich deren Seelenheil gewährleistet werden sollte. Derartige Gebete bestimmten nicht nur die Legitimität dieser Gemeinschaft, sondern sie gewährleisteten sie zudem.15 Besonders das Gebet von Jungfrauen galt im Mittelalter als wirkungsvoller, da die Jungfräulichkeit angeblich eine nähere Beziehung zu Gott implizierte.16

Neben dem Gebet für die Familienangehörigen kam dem Kloster eine zentrale Rolle als Familiengrablege16 zu.17 Anfangs wurde Gandersheim konkurrenzlos mit dieser Aufgabe betraut, verlor dieses „Privileg“ jedoch unter der Regierungszeit Heinrichs I. an Quedlinburg, da Heinrich aufgrund der besonderen Verpflichtung der Memoria an das Stifterpaar eine eigene Grablege gründen wollte.

3.2 Bildungs- und Versorgungsstätte adliger Töchter

Weiterhin war Gandersheim eine Stätte der Bildung und Versorgung adliger Töchter,18 da die dem Stift übergebenen Adelstöchter dort Erziehung und Bildung erfahren sollten. Zu diesen Aufgaben zählten sowohl das Erlernen von Lesen als auch Schreiben, da die Kanonissen später fähig sein sollten, die Bücher für die Liturgie anzufertigen.19 Die adligen Frauen sollten mit Sicherheit ebenfalls auf ihre bevorstehende Aufgabe, das Amt der Äbtissin, vorbereitet werden. Das Kanonissenstift nahm sich jedoch nicht nur der Angelegenheiten der Angehörigen der oberen Gesellschaftsschichten an. Ein Stift zählte zur damaligen Zeit zu den wichtigsten karitativen Einrichtungen des Mittelalters. So wurden beispielsweise Arme und Kranke gespeist.

3.3 Erwerb von Reliquien

Eine weitere Aufgabe war der Erwerb von Reliquien.20 Welche Rolle diese Tätigkeit in Gandersheim spielte, wird besonders bei der Durchsicht des Gandersheimer Schatzverzeichnisses aus dem 12. Jahrhundert deutlich. Man denke hier im Besonderen an die Reise der Gründer nach Rom, um dort die Reliquien der heiligen Päpste Innocentius und Anastasius zu erwerben. Reliquien gewährten zum einen Schutz und repräsentierten zum anderen Glück und Macht, weswegen viele Stifte eine Vielzahl an Reliquien beherbergten..21 Gandersheim zählte beispielsweise zu jenen Frauenstiften im Mittelalter, die einen der prächtigsten und wertvollsten Heiligen- und Reliquienschätze des Reiches besaßen, was wiederum ein Indiz für deren herausragende Bedeutung war.22

[...]


1 Dieser Name bezieht sich auf den Stammvater Liudolf und bezeichnet dessen Geschlecht. Eine weitere bekannte Bezeichnung ist „die Ottonen.“

2 Vgl. Körntgen, Ludger: Gandersheim und die Ottonen, in: Das Gandersheimer Runenkästchen. Internationales Kolloquium. Braunschweig, 24.-26. März 1999, Braunschweig 2000, S. 121-139, hier: S. 121.

3 Der Ortsname bezog sich ehemals auf den ca. 4 km entfernt gelegenen Ort Altgandersheim, ein liudolfingisches Besitztum. Vgl. Ehlers, Caspar: Das Damenstift Gandersheim und die Bischöfe von Hildesheim, in: Die Diözese Hildesheim in Vergangenheit und Gegenwart. Jahrbuch des Vereins für Geschichte und Kunst im Bistum Hildesheim 70, Hildesheim 2002, S. 1-31, hier: S. 3.

4 Liudolf stattete das Stift mit Eigengut aus. Dazu gehörten u.a. die Mark Gandersheim, Rhüden und die Alwunga-Mark. Vgl. Ehlers, Caspar: Das Damenstift Gandersheim und die Bischöfe von Hildesheim, S. 8.

5 Vgl. Goetting, Hans: Die gefälschten Gründungsurkunden für das Reichsstift Gandersheim, in: Fälschungen im Mittelalter. Internationaler Kongreß der Monumenta Germaniae Historica München, 16.-19. September 1986, Teil III, Diplomatische Fälschungen (I), Hannover 1988, S. 327-371, hier: S. 368-371.

6 Vgl. Ehlers, Caspar: Gandersheim, in: Die deutschen Königspfalzen. Niedersachsen. Lfg. 1 (1999), hg. von Max-Planck-Institut für Geschichte, S. 246-333, hier: S. 260 f.

7 Vgl. Ebda., S. 250.

8 (…) praesulum corpora Innocentii et Anastasii papa(rum) necnon et reliquias (…) S.: Goetting, Hans: Die gefälschten Gründungsurkunden für das Reichsstift Gandersheim, S. 370 .

9 Durch die Übergabe des Stiftes in den Königsschutz wurde nicht nur die Zukunft des Konvents gesichert sondern auch die ständige Memoria der Gründerfamilie über deren Tod hinaus. Vgl. Körntgen, Ludger: Zwischen Herrschern und Heiligen, in: Herrschaft, Liturgie und Raum, Essen 2002, S. 7-23, hier: S. 11.

10 (…) in nostro consisterent patrocinio (…) S. Diplom Ludwig des Jüngeren, Nr. 3, in: Die Urkunden der deutschen Karolinger. Die Urkunden Ludwig des Deutschen, Karlmanns und Ludwig des Jüngeren, Erster Band, hg. von der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde, Berlin 1934.

11 Vgl. Ebda.

12 Vgl. Körntgen, Ludger: Zwischen Herrschern und Heiligen, S. 11.

13 Es handelte sich bei der Memoria nicht nur um eine rein religiöse Angelegenheit. Vielmehr umfasste sie im frühen Mittelalter ebenso die Legitimation und die Sicherung adliger Herrschaft, in diesem speziellen Fall der der Liudolfinger. Vgl. Oexle, Otto Gerhard: Memoria als Kultur, in: Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, Göttingen 1995, S. 9-79, hier: S. 38.

14 Vgl. Ehlers, Caspar: Das Damenstift Gandersheim und die Bischöfe von Hildesheim, S. 17.

15 Vgl. Muschoil, Gisela: Zeit und Raum – Liturgie und Ritus in mittelalterlichen Frauenkonventen, in: Krone und Schleier. Kunst aus mittelalterlichen Frauenklöstern, München 2005, S. 40-51, hier: S. 42.

16 Vgl. Ebda.

16 So wurde beispielsweise das Gründerpaar Liudolf und Oda sowie Herzog Otto und Herzog Heinrich II. von Bayern in Gandersheim beigesetzt.

17 Vgl. Althoff, Gerd: Gandersheim und Quedlinburg. Ottonische Frauenklöster als Herrschafts- und Überlieferungszentren, in: Frühmittelalterliche Studien. Jahrbuch des Instituts für Frühmittelalterforschung, Band 25, Münster 1991, S. 123-144, hier: S. 124.

18 Vgl. Althoff, Gerd: Ottonische Frauengemeinschaften im Spannungsfeld von Kloster und Welt, in: Essen und die sächsischen Frauenstifte im Frühmittelalter, Essen 2003, S. 29-45, hier: S. 31. Ob die Kanonissenstifte tatsächlich als Bildungs- und Versorgungstätte dienten, bleibt in der Forschung strittig. Vgl. Felten, Franz J.: Wie adelig waren Kanonissenstifte (und andere weibliche Konvente) im Mittelalter?, in: Studien zum Kanonissenstift, Band 24, hg. von Irene Crusius, Göttingen 2001, S. 39-128, hier: S. 52 ff.

19 Vgl. Muschoil, Gisela: Zeit und Raum – Liturgie und Ritus in mittelalterlichen Frauenkonventen, S. 49.

20 Der Erwerb von Reliquien zählte im Mittelalter zu den wichtigsten Aufgaben der Stifte. Der Reliquienerwerb steigerte zudem ihr Selbstwertgefühl. Vgl. Röckelein, Hedwig: Reliquientranslationen nach Sachsen im 9. Jahrhundert. Über Kommunikation, Mobilität und Öffentlichkeit im Frühmittelalter, Stuttgart 2002, S. 152.

21 Vgl. Ebda, S. 151.

22 Vgl. Heilmann, Birgit: Aus Heiltum wird Geschichte. Der Gandersheimer Kirchenschatz in nachreformatorischer Zeit, in: Studien zum Frauenstift Gandersheim und seinen Eigenklöstern, hg. von Labusidlflakon mit dem Tropfen des Blutes Jesu, ein intarsienverziertes Holzkästchen sowie eine bemalte Holzdose erhalten. Vgl. Röckelein, Hedwig: Gandersheimer Reliquienschätze – erste vorläufige Beobachtungen, in: Gandersheim und Essen. Vergleichende Untersuchungen zu sächsischen Frauenstiften, Band 4, Essen 2006, S. 33-97, hier: S. 16.

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Details

Titel
Das Kanonissenstift Gandersheim. Eines unter vielen Stiften im sächsischen Raum?
Hochschule
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg  (Department Geschichte)
Veranstaltung
Herrscher und Kirche in der Ottonenzeit
Note
1,3
Autor
Jahr
2010
Seiten
14
Katalognummer
V458037
ISBN (eBook)
9783668896857
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Ottonen Gandersheim
Arbeit zitieren
caroline kochherr (Autor:in), 2010, Das Kanonissenstift Gandersheim. Eines unter vielen Stiften im sächsischen Raum?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/458037

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