Judenverfolgung im Alexandria. Das alexandrinische Pogrom 38 n. Chr.


Hausarbeit, 2015

18 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 jüdisches Leben in Alexandria vor 38 n. Chr
2.1 jüdisches Leben in der ptolemäischen Regierungsperiode
2.2 jüdisches Leben in Alexandria unter römischem Einfluss

3 Pogrom 38 n. Chr. in Alexandria
3.1 Geschehnisse im Jahre 38n.Chr. in Alexandria
3.2 Gründe und Beteiligte des 1.Pogrom 38 n. Chr. in Alexandria
3.2.1 Flaccus Avillius
3.2.2 Die Ägypter
3.2.3 Die Griechen
3.2.4 Gaius Caligula

4 Die Jahre nach dem Pogrom: Die Gesandtschaft zu Kaiser Claudius

5 Fazit

6 Quellen-und Literaturverzeichnis
6.1 Quellen
6.2 Literatur

1 Einleitung

Unter dem Begriff „alexandrinischer Pogrom“ wird in der modernen Geschichtswissenschaft die Verfolgung der Juden in Alexandria 38 n.Chr. verstanden.1Die an der Verfolgung beteiligten Personen haben aus unterschiedlichsten Gründen an den Gewaltausbrüchen gegen die Juden teilgenommen.

Eine mitwirkende Gruppe gilt die antijüdische,griechische Fraktion um Lampon, Dionysios und Isidoros, die sich mit Flaccu, dem Präfekt von Ägypten, verbündeten und dessen geschwächte Position durch die Inthronisierung Gaius Caligulas ausnutzten, um die Situation der Juden zu schwächen. Die ägyptische Bevölkerung Alexandrias verband eine tiefe Feinschaft mit den alexandrinischen Juden, die sich mit ihrer unterdrückten Stellung in der alexandrinischen Gesellschaft erklären lässt. Das führte zu der Teilnahme an der jüdischen Verfolgung. Flaccus Avillius nutzte das Bündnis mit der antijüdischen Fraktion und die Beteiligung an der Judenverfolgung, um seine eigene Stellung gegenüber dem neuen Kaiser Gaius Caligula zu stärken. Gaius Caligula kann nur eine untergeordnete Mitschuld an den Geschehnissen in Alexandria zugesprochen werden, da der Kaiser zu Beginn der Ausschreitungen über die Vorgänge in Alexandria nicht informiert war, sondern erst durch König Agrippa I. davon unterrichtet wurde.Der 1.Pogrom 38 n. Chr. stellt daher eine Ausnahme im jüdischen Leben in Alexandria unter römischer Kontrolle dar, die das bis dahin friedliche und harmonische Leben der Juden unterbrach.

In der vorliegenden Hausarbeit soll nun untersucht werden, in welchem Ausmaß die oben genannten Parteien an dem Pogrom in Alexandria beteiligt waren und ob man unter ihnen einen Initiator oder Anstifter für die Geschehnisse rund um die jüdische Bevölkerung ausmachen kann. Weiterhin soll geprüft werden, ob die Gewaltausbrüche in Alexandria negative Auswirkungen für die jüdische Stellung in der Gesellschaft in der Zeit danach zur Folge hatten.

Als Quellen dienen dabei nur Philos Werke „In Flaccum“ und „legatio ad gaium“, die uns als einzige über die Geschehnisse in Alexandria berichten. Dieser Umstand ist kritisch zu betrachten, da es sich bei Philo von Alexandria um einen alexandrinischen Juden handelt, und somit an einigen Stellen in seinen Schriften die notwendige Objektivität und Distanz zu den Geschehnissen fehlt. Dabei ist auffällig,dass es sich bei „In Flaccum“ um eine historische Rekonstruktion des zeitliches Ablaufs vom 1.Pogrom 38 n. Chr. handelt, in der Philo detailliert berichtet, was genau zu dieser Zeit mit den Juden in Alexandria geschah.

Bei seiner „legatio ad gaium“ wiederum handelt es sich nicht um einen geschichtlichen Ablauf, sondern Philo setzt die Geschehnisse in Alexandria in den größeren Kontext der Problematik des Judentums mit immer anderen Gegnern.2Auch wird in beiden Quellen deutlich, dass Philo sich nicht zum Verhalten der Juden während der Geschehnisse äußert, sondern durchweg darum bemüht ist, die Rolle der Juden als friedvoll und nicht gewalttätig darzustellen. Mit Blick auf die aktuelle Forschungsliteratur wird deutlich, dass es durchaus verschiedene Ansätze bei der Darstellung von Gründen und Beteiligten des Pogroms gibt. Insbesondere Gruens Aussagen und Rückschlüsse dienen nehmen der legatio ad gaium als Grundlage für die Aufstellung der Gründe und Beteiligten, insbesondere für die Ägyptern, da sein Argumentationsvorgang und die Quellenbearbeitung als plausibel und durchdacht erscheinen.3Vor allem seine detaillierte Argumentationskette zum Mitwirken der Ägyptern, die vom Großteil der Forschungsliteratur nur angeschnitten wird, scheint überzeugend.4Auch Collins liefert eine schlüssige Darstellung zum Mitwirken der Ägypter, die gleichfalls als Grundlage für die Untersuchungen in dieser Hausarbeit dient.5Während van der Horst den Schwerpunkt seiner Untersuchungen auf Flaccus richtet und dabei eine gelungene Darstellung der Verordnungen gibt6, die ebenfalls Bestandteil meiner Untersuchungen sind, lässt dieser die Ägypter außer Acht und schreibt ihnen keine Bedeutung zu, was meiner Meinung nach zu einem unvollständigen Gesamtbild seiner Untersuchung führt. Dieses wird auch durch die Ergebnisse der Untersuchung Gambettis deutlich, die hervorheben, dass die Schuld für die Ausschreitungen Alexandrias nicht allein auf Flaccus zurückgeht. Diese Erkenntnis erscheint im Hinblick auf die Schilderung Philos in „In Flaccum“ als durchaus plausibel und dient als Grundlage meiner Erkenntnisse bezüglich des Präfekts von Ägypten.7

Um meine eingangs aufgeworfene Frage zu beantworten und die aufgestellten Thesen zu untermauern,soll in dieser Hausarbeit zunächst das Leben der Juden in Alexandria vor dem 1.Pogrom 38n.Chr. dargestellt werden, um zu untersuchen, ob es dort schon Anzeichen oder Hinweise für den Gewaltausbruch gab.Darauffolgend werden die verschiedenen Gruppierungen und Personen aufgezeigt, um ihre unterschiedlichen Motive und Gründe näher zu beleuchten und zu schauen, ob es sich bei einer Gruppe oder Person um den Initiator oder Anstifter für den Pogrom gehandelt haben könnte. Abschließend soll ein kurzer Ausblick über die Gesandtschaft der Juden zum Kaiser Claudius gegeben werden,um festzustellen, inwieweit sich dadurch die Situation der Juden in Alexandria wieder veränderte und was diese Veränderungen über die Geschehnisse und die Einordnung der Ausschreitungen in den historischen Kontext der jüdischen Geschichte unter römischer Kontrolle aussagen.

2 jüdisches Leben in Alexandria vor 38 n. Chr

Zunächst erscheint es mir sinnvoll, sich mit dem jüdischen Leben in Alexandria vor den Ausschreitungen 38 n. Chr. zu beschäftigen, um zu schauen, ob es dort schon Anhaltspunkte oder Ereignisse gab, aus denen später der Pogrom in Alexandria resultierte. Dabei konzentriert sich die Untersuchung auf eine kurze Zusammenfassung des jüdischen Lebens in der ptolemäischen Regierungsperiode sowie den Beginn der römischen Regentschaft über Alexandria durch Augustus.

2.1 jüdisches Leben in der ptolemäischen Regierungsperiode

Im Vordergrund soll hier das jüdische Leben in Alexandria stehen. Dabei soll vor allem aufgezeigt werden, wie die Stellung der Juden im alltäglichen Leben der Stadt aussah und inwieweit sie in die Gesellschaft Alexandrias integriert waren. Während der Regentschaft von Ptolemaios I. begann das Wachsen der jüdischen Gemeinschaft in Alexandria.8Seit der Gründung der Stadt hatten die Juden das Recht auf einen legalen Wohnsitz in Alexandria.9Ihnen wurde ermöglicht nach ihren eigenen Traditionen und Gesetzen zu leben. Sie besaßen eigene bürgerliche Institutionen und eine eigene Verwaltung für Rechtsangelegenheiten10, sodass von einer quasi autonomen Einheit gesprochen werden kann. Diese autonome Einheit wird auch als politeuma beschrieben.11Smallwood definiert diesen Begriff treffend als eine anerkannte ethnische Gemeinschaft von Ausländern, die das Recht besitzen in einer fremden Stadt zu wohnen und dort ihre eigenen autonomen bürgerlichen Institutionen, zu habe, die ihre internen Angelegenheiten regeln.12Daher kann durchaus der Eindruck gewonnen werden, dass die Juden in Alexandria ihre eigene Stadt errichtet hatten, durch die sie sich vom Rest der Gesellschaft und des bürgerlichen Lebens abspalteten. Jedoch hatten einige von ihnen die Möglichkeit Positionen in der Regierung und Verwaltung Alexandrias zu bekleiden, in dem sie hohe administrative Aufgaben übernahmen, aber auch untergeordnete Posten wie Polizist oder Büroangestellter wurden von ihnen besetzt.13Hier liegen somit erste Anzeichen vor, dass die alexandrinischen Juden doch Teil der Gesellschaft in Alexandria waren. Auf der anderen Seite waren einige Juden außerhalb der Stadt angesiedelt und im landwirtschaftlichen Bereich tätig14, wobei nicht deutlich wird, ob sie dort eher als Arbeiter oder Landeigner tätig waren. Man gewinnt somit zunächst den Eindruck, dass es keine Unterschiede bei der Bekleidung von verschiedenen Berufen zwischen der alexandrinischen Bevölkerung und den Juden gab. Allerdings hat man auch nicht das Gefühl, dass die alexandrinische Bevölkerung Neid oder Eifersucht gegen die Juden hegte, denn das Bild eines reichen, wohlhabenden Juden wird in der Literatur und in den Quellen nicht vermittelt, sondern eher das genaue Gegenteil, dass Armut das alltägliche Leben der Juden kennzeichnete.15

2.2 jüdisches Leben in Alexandria unter römischem Einfluss

Das Leben der Juden änderte sich jedoch mit der Übernahme Alexandrias durch das römische Reich.16Augustus, Kaiser von Rom, entzog Alexandria ihre staatliche Unabhängigkeit, indem römische Autoritäten für alexandrinische eingesetzt wurden. Philo weist darauf hin, dass die bisherige Aufteilung Alexandrias in fünf Bezirke, benannt nach den ersten Buchstaben des Alphabets, auch unter römischem Einfluss bestehen blieben.17Zwei blieben weiterhin rein jüdischen Bezirke, in den anderen Bezirken lebten sie weiterhin eher verstreut.18Um 24 n. Chr. führte Augustus die sogenannte „laographia“ in Alexandria ein. Darunter versteht man eine Kopfsteuer, die von der männlichen Bevölkerung Ägyptens gezahlt werden musste und für die Personen eine beträchtliche finanzielle Belastung darstellte. Die griechische Bevölkerung der Stadt hingegen blieb von dieser Steuer befreit, wobei man die in Ägypten lebenden Juden als „Nicht-Griechen“ klassifizierte und sie somit unter diese Steuer fielen.19An dieser Stelle wird deutlich,dass die Juden in Alexandria nicht die gleiche rechtliche Stellung wie die alexandrinischen Bürger innehatten. Ganz im Gegenteil, sie wurden mit der Verpflichtung zur Zahlung der Kopfsteuer auf eine Stufe mit denen von ihnen gehassten Ägyptern (Flacc.,29) gestellt. Damit gab es für sie nun die erste negative Veränderung unter römischem Einfluss, während sie vorher noch alle Rechte und Privilegien genossen, die sie schon zur ptolemäischen Zeit hatten. Durchaus positiv für die Juden in Alexandria war hingegen die Bestätigung ihrer politischen und religiösen Rechte durch Augustus.20Allerdings mischte sich Augustus auch weiterhin in die internen Angelegenheiten ein, die die Juden bis dahin selbst geregelt hatten, indem er nach dem Tod des Ethnarchen diesen Posten abschaffte und die Gerousia als höchstes administratives Organ einsetzte. Philo beschreibt die Gerousia, als einen Ältestenrat, der fortan die Belange der jüdischen Bevölkerung regeln sollte.21Betrachtet man jedoch Philos Schilderung dieses Vorgangs wird deutlich, dass die Juden diese Maßnahme jedoch nicht als großen Einschnitt in ihre internen Angelegenheiten empfanden, denn entsprechende Hinweise auf eine mögliche Empörung seitens der Juden fehlen. Mit Blick auf die bisherigen Geschehnisse kann festgehalten werden, dass es durchaus einige Veränderungen gab, diese aber meist in Form von finanziellen Mehrbelastungen auftraten. Im Hinblick auf ihre Rechte und Privilegien mussten sie kaum Abstriche oder Zugeständnisse machen. Ein großes Anliegen der Juden in Alexandria war weiterhin das Streben nach dem uneingeschränkten griechischen Bürgerrecht.22Nicht nur würde ihnen dieses Bürgerrecht soziale Vorteile und finanzielle Erleichterungen bringen, sie würden ebenfalls nicht mehr auf die gleiche Stufe mit denen von ihnen gehassten Ägyptern gestellt werden. Und genau dieses Streben sorgte für Unruhen zwischen den Juden in Alexandria und den dort ansässigen Griechen, denn die Juden forderten ein Bürgerrecht ohne sich jedoch bereit zu erklären, die damit verbunden religiösen Gebote einzuhalten, denn dieses würde einen Verstoß gegen ihre eigene Religion bedeuten.23Daher forderten sie für sich ein abgeändertes Bürgerrecht, dass es ihnen weiterhin ermöglicht, ihre Religion uneingeschränkt auszuüben. Diese Forderungen stießen bei den Griechen auf große Empörung, die der Meinung waren, dass es angebracht wäre, die Privilegien der Juden in Alexandria zu reduzieren, anstatt ihnen mit einem abgeänderten Bürgerrecht entgegenzukommen.24Dass Philo sich in seinen Ausführungen zu den Juden in Alexandria dazu gar nicht äußert, unterstreicht noch einmal, dass die jüdische Bevölkerung mit ihrem Streben nach einem abgeänderten Bürgerrecht den Zorn der Griechen in Alexandria auf sich zog und ihnen somit sogar einen Grund für ihre ablehnende Haltung in den folgenden Jahren gab,denn man darf es als durchaus vermessen bezeichnen, dass das jüdische Volk in einer fremden Stadt, in der sie lediglich das Aufenthaltsrecht besaßen, eigene Forderung zur Erlangung des vollständigen Bürgerrechts stellten. Zusammenfassend betrachtet sieht man, dass die jüdische Bevölkerung in Alexandria während der ptolemäischen Zeit, aber auch unter der Herrschaft des römischen Reichs, ein solides Leben in der Stadt führen konnte. Zwar waren sie nicht als volle Bürger der Stadt anerkannt, doch wurden ihnen religiöse und soziale Privilegien gewährt, die es ihnen ermöglichte, nach ihren eigenen Traditionen zu leben. Somit ist fraglich, warum es in den folgenden Jahren, besonders 38 n. Chr. Zu den gewaltsamen Ausschreitungen gegen die Juden in Alexandria kam und wer sich daran beteiligte.

3 1.Pogrom 38 n. Chr. in Alexandria

Um die oben aufgeworfene Frage näher zu beleuchten, sollen im Weiteren kurz die Geschehnisse aus dem Jahr 38 n. Chr. dargestellt werden, um anhand dieser zu untersuchen, warum es zu der Judenverfolgung kam.

3.1 Geschehnisse im Jahre 38n.Chr. in Alexandria

Philo behauptet in seiner Schrift „In Flaccum“, dass es Flaccus Avillius gewesen sein, mit dem die Judenverfolgung in Alexandria begann.25Zunächst erscheint es verwunderlich, dass Philo zu Beginn seiner Schrift eine Art Lobeshymne auf Flaccus Avillius, den Präfekten von Ägypten, hält und dessen Wirken in Alexandria mehr als nur einmal Anerkennung zollt, obwohl bekannt ist, dass Philo Flaccus Avillius aufgrund seines Mitwirken bei der Judenverfolgung verachtete. Allerdings gibt Philo in seinem Werk selbst die Antwort auf diese anfängliche Verwunderung. Er macht deutlich, dass die Anerkennung nur dazu diente, um Flaccus´unmoralisches Verhalten aufzuzeigen.26Es lässt sich daher erkennen, dass Philo in seinem Werk nicht durchweg objektiv die Geschehnisse um Flaccus erzählt, sondern in seiner Meinung von vornherein beeinflusst scheint. Als Auslöser für den Beginn der Ausschreitungen gegen die Juden benennt Philo die Herrschaftsübernahme durch Gaius Caligulas nach dem Tod Tiberius. Dieses brachte Flaccus in eine unangenehme Situation, da er einige persönliche Probleme mit Gaius hatte.27Philo stellt an dieser Stelle einige Vermutungen bezüglich der persönlichen Probleme an, kommt aber auch nicht zu einem befriedigenden Ergebniss.28Es scheint mehrere Faktoren zu geben, die dazu führten, dass Flaccus sich seiner Position als Präfekt von Ägypten nicht mehr sicher war und er sich im weiteren Verlauf der Ereignisse in Alexandria gegen die Juden stellte. So kam es dazu, dass er sich mit seinen eigentlichen Gegnern Dionysius, Lampo und Isidorus aufgrund seiner unsicheren Position verbündete und sich von ihnen in jeglicher Hinsicht beeinflussen ließ.29Insbesondere bei der Frage, wie man die Gunst des Kaisers Caligulas zurückgewinnen konnte, ließ er sich von ihnen lenken und stimmte ihren Plänen zur Verfolgung der Juden zu.30Man kann also vermuten, dass es nicht Flaccus eigene Intention war, die Juden zu verfolgen und sie den Gewaltausbrüchen auszusetzen, sondern dass er diese Ausschreitungen aufgrund seiner eigenen Unsicherheit um seine Stellung als Präfekt genehmigte. Den Höhepunkt der Ausschreitungen wurde mit der Ankunft König Agrippas in Alexandria erreicht. Die alexandrinische Bevölkerung demonstrierte in der ganzen Stadt, um den Agrippa, der ein Jude war, zu verspotten und zu verachten.31Sie forderten die Aufstellung von Kaiserbildern in den Synagogen der Juden.32Diese Maßnahme stellte einen enormen Einschnitt in das Heiligste der Juden dar und zeigt auf, dass es der Bevölkerung darum ging, die Juden nicht nur einzuschüchtern, sondern sie wohlwissend gezielt zu verletzten. Weiterhin erließ Flaccus einen Erlass, der den Juden ihre politischen Rechte nahm und sie als „Fremde und Ausländer“ bezeichnete.33Sie wurden aus den Bezirken der Stadt Alexandrias in einen einzigen vertrieben.34Auf die Vertreibung folgten Plünderungen des jüdischen Eigentums und das Verbot zur Ausübung ihres Berufes, was eine schlechte wirtschaftliche Lage der Juden bewirkte und Kinder, Männer und Frauen den Hungertod brachte.35Die Versuche der Juden sich Nahrung durch Betteln zu erstehen wurden hart bestraft, indem sie getötet und schließlich durch die Stadt geschleift und vor allen Augen schlimm zugerichtet.36Weitere Schändungen erfolgten durch Verbrennungen, Mord mit stumpfen Waffen oder durch den Tod durch Qualm. Dabei wurde keine Rücksicht auf Kinder oder Frauen genommen. Auch sie wurden das Opfer der enormen Gewaltausbrüchen in Alexandria. Philos detaillierte Darstellung der Schikanen und Gewaltausbrüche verdeutlicht den Hass und die Gewaltbereitschaft der alexandrinische Bevölkerung.37Man gewinnt den Eindruck, dass die Bevölkerung jegliche moralische Grundsätze verloren hatte. Sicherlich darf auch nicht vergessen werden, dass die Geschehnisse aus Sicht eines Betroffenen, immerhin war Philo ein Jude in Alexandria, dargestellt werden und von einer Gegenreaktion der Juden nichts bekannt ist. Die Schilderung der Ereignisse lässt eher den Schluss zu, dass die Juden die Morde, Gewaltausbrüche und Schändungen stillschweigend und ohne Gegenwehr hingenommen wurde. Ein weiterer Akt der Erniedrigung der jüdischen Bevölkerung erfolgte durch die Festnahme von 38 Mitgliedern des Ältestenrats, die die Belange der jüdischen Bevölkerung regelten. Diese Mitglieder wurden gefesselt und ins Theater der Stadt geführt, entkleidet und vor ihren Gegnern mit Schlägen geschändet.38Das Anliegen der Juden, mithilfe einer Gesandtschaft nach Rom dem Kaiser dort Lob und Treue zu bezeugen, wurde von Flaccus abgelehnt. Auch seine Zusage hinsichtlich der Weiterleitung der Urkunde der alexandrinischen Juden hielt er nicht ein, umso weiterhin das Bild der feindlichen Juden gegenüber dem Kaiser aufrechtzuerhalten.39Ein weiterer Grund für Flaccus Zurückhaltung der Urkunde kann seine Angst vor einer Intervention des Kaisers Gaius Caligula sein. Schließlich würde dieser mit Erhalt der Urkunde erfahren, dass die alexandrinischen Juden durchaus bemüht waren ihm Ehre und Treue entgegenzubringen. Damit würde sich Flaccus Lage in Alexandria drastisch verändern, denn er müsste eine Erklärung für die dramatische Lage in der Stadt zu liefern. Nach Philos Darstellung der Grausamkeiten bleibt die Frage offen, warum es zu diesen enormen Gewaltausbrüchen kam und welche Gründe die Beteiligten dazu bewegt haben, sich an den Verfolgungen, Tötungen und Plünderungen zu beteiligen.

[...]


1 Gambetti, Sandra (Hg.): „Alexandrian Pogrom“, in Levy, Richard S.:Antisemitism: A Historical Encyclopedia of Prejudice and Persecution, Volume 1, ABC-CLIO, 2005, S.9.

2 s.Vorwort von Philo von Alexandria, Gesandtschaft an Caligula gr./dt., hg. u. übers. v. Leopold Cohn, Isaak Heinemann (u.a.), Berlin, 1964.

3 Gruen, Erich S. (Hg.): Diaspora: Jews admist Greeks and Romans,Cambridge u.a., 2002.

4 Ebd.

5 Collins John J., (Hg.): Anti-Semitism in Antiquity? The Case of Alexandria. In: ARC 7.Band, S. 86-101.

6 Van der Horst, Pieter W. (Hg.): Philo of Alexandria Commentary Series: Volume 2: Philo´s Flaccus-the first pogrom, Brill,Leiden, 2003.

7 Gambetti, Sandra (Hg.): The Alexandrian Riots of 38 C.E. and the Persecution of the Jews: A Historical Reconstruction, Leiden u.a., 2009, S.57.

8 Smallwood,E.Mary (Hg.): The Jews under Roman Rule.From Pompey to Diocletian. A study in political relations, Leiden, 1981, S.221.

9 Gambetti: Alexandrian Pogrom, S.9.

10 Ebd.

11 Smallwood: The Jews under Roman Rule, S.225.

12 Ebd.

13 Smallwood: The Jews under Roman Rule, S. 222.

14 Ebd.

15 Ebd.

16 Gambetti, Sandra (Hg.): The Alexandrian Riots of 38 C.E.,S.57.

17 Flacc.55.

18 Ebd.

19 Smallwood: The Jews under Roman Rule, S.231.

20 Ebd.,S.233.

21 Flacc.74.

22 Smallwood: The Jews under Roman Rule, S.234.

23 Ebd.

24 Ebd.,S. 234f.

25 Flacc.1.

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Judenverfolgung im Alexandria. Das alexandrinische Pogrom 38 n. Chr.
Hochschule
Universität Bremen
Note
2,0
Autor
Jahr
2015
Seiten
18
Katalognummer
V457585
ISBN (eBook)
9783668873018
ISBN (Buch)
9783668873025
Sprache
Deutsch
Schlagworte
judenverfolgung, alexandria, pogrom
Arbeit zitieren
Anna-Maria Kögler (Autor:in), 2015, Judenverfolgung im Alexandria. Das alexandrinische Pogrom 38 n. Chr., München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/457585

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