Dyskalkulie - Ursachen, Bedingungen, Erscheinungsformen und Diagnose der Rechenschwäche


Hausarbeit, 2002

24 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung: Das Angstfach Mathematik

2. Der Begriff der Dyskalkulie

3. Verschiedene Ursachen einer Dyskalkulie
3.1 Biologisch-organische Beeinträchtigungen
3.2 Psychische, emotionale und soziale Beeinträchtigungen
3.3 Schulische Belastungen
3.4 Beeinträchtigung der Raumwahrnehmung

4. Kritische Einwände
4.1 Quantitative und qualitative Eigenschaften von Fehlern
4.2 Gleichsetzung von Intelligenz und Leistung
4.3 Die Annahme einer Normalschulfähigkeit
4.4 Rechenschwäche vs. Teilleistungsschwäche

5. Erste Hinweise auf das Vorliegen einer Rechenschwäche

6. Diagnose von Dyskalkulie

7. Der Mathematikstoff der ersten Grundschuljahre

8. Spezifische Probleme von rechenschwachen Kindern
8.1 Schwierigkeiten bei Bewegungsabläufen
8.2 Wahrnehmungsschwierigkeiten
8.3 Schwierigkeiten beim Rechnen
8.3.1 Schwierigkeiten beim Erfassen einer Menge
8.3.2 Schwierigkeiten mit Kardinal- und Ordinalzahlen
8.3.3 Schwierigkeiten mit dem Stellenwertsystem
8.3.4 Schwierigkeiten bei arithmetischen Aufgaben
8.3.5 Schwierigkeiten bei Textaufgaben

9. Typische Verhaltensmerkmale von rechenschwachen Kindern

10. Umgang mit Anschauungsmaterial und Hilfsmitteln

11. Fehlerermittelung

12. Nachhilfeunterricht in Mathematik

13. Rechenförderung – Zum Aufbau einer Förderkultur
13.1 Lerntherapie oder Förderunterricht?
13.2 Zur Behandlung einer Rechenschwäche
13.3 Ziele einer Rechentherapie

14. Ausblick

15. Literaturverzeichnis

1. Einleitung: Das Angstfach Mathematik

Mathematik nimmt im Schulunterricht eine bedeutende Stellung ein, ist jedoch für viele Schüler ein wahres Angstfach. Viele von ihnen vertreten den Standpunkt, Mathematik könne man gar nicht verstehen, das Fach sei viel zu abstrakt, spreche nur den Verstand an und blende das Gefühl völlig aus, weshalb Jungen auch besser rechnen könnten als Mädchen. Wer in diesem systematisch aufgebauten Fach gut abschneidet, wird sogleich als Genie angesehen und man bewundert seine außerordentlichen Fähigkeiten.

Was passiert jedoch, wenn der Schulerfolg ausbleibt, Kinder Schwierigkeiten im Rechnen haben, sich die schlechten Mathematiknoten häufen oder sogar eine Rechenschwäche diagnostiziert wird? Eltern und Lehrer reagieren dann meist mit der altbewährten Forderung nach mehr Übung. Viele Schüler erzielen dennoch keine besseren Erfolge im Umgang mit Zahlen. Das mag daran liegen, dass noch immer eine Lücke im Behandlungsangebot besteht, so dass eine Rechenschwäche in vielen Fällen zu eskalieren droht bzw. gravierende Folgestörungen eintreten können, insbesondere dann, wenn die rechenschwachen Kinder aufgrund der vielen Misserfolge eine Vermeidungs- bzw. Abwehrhaltung dem Rechnen gegenüber entwickeln. Falls Kinder mit Zahlen aus irgendwelchen Gründen unangenehme Gefühle verbinden, ist es durchaus vorstellbar, dass sie in der Schule keine mathematischen Informationen an sich heranlassen. Rechengestörte Kinder können die mathematischen Anforderungen in der Schule nicht bewältigen, schneiden bei Tests und Klassenarbeiten mit schlechten Noten ab und brauchen sehr lange, um die Hausaufgaben in Mathematik zu bearbeiten, wobei in anderen Schulfächern keinerlei Schwierigkeiten auftreten müssen.

Eltern und Lehrer werden solche Kinder zunächst dazu anhalten, mehr zu üben. Fehlt rechenschwachen Kindern jedoch die Lernfreude, der eigenen Antrieb und die innere Motivation, führt auch vermehrtes Üben zu keiner dauerhaften Besserung. Manche Kinder reagieren auf Misserfolge mit Wutausbrüchen und Beschimpfungen, andere resignieren und ziehen sich in sich selbst zurück. Einige Kinder zeigen sogar körperliche Stressreaktionen wie Bauch- und Kopfschmerzen oder Erbrechen, wenn eine Mathematikarbeit angekündigt wird. Übertriebener Ehrgeiz der Eltern oder der Kinder kann zudem dazu führen, dass vielfältige emotionale Folgestörungen, wie Angst, Misstrauen und Verunsicherung eintreten. Dyskalkulie- bzw. Lerntherapien können betroffenen Kindern und Eltern helfen, diesen Leidensdruck, der immer wieder zu schulischen und häuslichen Konflikten führt, zu überwinden.[1]

2. Der Begriff der Dyskalkulie

Dyskalkulie ist ein „sehr undifferenzierter Begriff für die Schwierigkeit Rechenaufgaben zu lösen und mathematische Begriffe zu verstehen“[2]. Das Phänomen der Rechenschwäche / Rechenstörung bezeichnet eine angeborene oder erworbene Störung im Rechnen bzw. im Umgang mit Zahlen, das Fehlen eines Verständnisses für die Mathematik, ihren Aufbau und ihre Operationen, die mangelnde Vorstellung von Mengen sowie fehlendes Verständnis für Zahloperationen. Kurz und bündig kann die Rechenschwäche als „akzentuiertes Rechenversagen im Schulleistungsbereich“[3] bezeichnet werden, wobei eine „kumulierte und durch partielle Förderung nicht behebbare negative Lernbiographie“[4] den Lernzuwachs erschwert.

Das Ausmaß der Störung überschreitet das Maß des Normalen und gehört zum Bereich der so genannten Teilleistungsstörungen. Bei Teilleistungsstörungen handelt es sich um spezielle „Leistungsdefizite in begrenzten Funktionsbereichen“[5], wenn man davon ausgeht, dass sich komplexe kognitive Funktionen aus Teilfunktionen zusammensetzen, deren reibungsloses Zusammenspiel eine Gesamtfunktion erst ermöglicht. Teilleistungsschwächen können z.B. den Umgang mit Zahlen und das Rechnen betreffen und zu einem chronischen Versagen in Mathematik führen, während in anderen Fächern gute bis sehr gute Leistungen erzielt werden. Die Leistung im Fach Mathematik weicht von der eigentlich möglichen Leistung des Kindes ab, d.h. dass eine durchschnittliche Intelligenz eigentlich durchschnittliche Leistungen in Mathematik erwarten lässt, bei rechenschwachen Kindern jedoch ständiges Versagen in diesem Bereich festgestellt werden kann.

Rechenschwache Kinder fallen durch ganz spezifische, schwerwiegende Defizite im Fach Mathematik auf. Bei etwa einem Drittel dieser Kinder zeigen sich zusätzlich Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörungen oder Auffälligkeiten in der Sprachentwicklung.

Eine Rechenschwäche gilt dabei ebenso wie die Lese-Rechtschreib-Schwäche als eine behandlungsbedürftige Entwicklungsstörung.[6]

3. Verschiedene Ursachen einer Dyskalkulie

Worin die Ursachen von Dyskalkulie und ähnlichen Lernstörungen wie z.B. ADS / ADHS und LRS liegen, kann man immer noch nicht mit Sicherheit bestimmen. Liegt das Problem beim defizitären Kind oder können ungünstige Lebens- und Lernbedingungen für die Störung verantwortlich gemacht werden?

3.1 Biologisch-organische Beeinträchtigungen

Insbesondere amerikanische Hirnforscher gehen davon aus, dass die Schädigung bestimmter Hirnbereiche zu der Teilleistungsschwäche Dyskalkulie führen kann. Sie führen das Phänomen der Rechenschwäche auf eine genetische Veranlagung zurück. Angeborene Defizite, die das Seh- oder Hörvermögen, den Tast- oder Gleichgewichtssinn beeinträchtigen, können z.B. Wahrnehmungsstörungen hervorrufen, die Verarbeitungen von Reizen oder die Orientierung erschweren und das räumliche Vorstellungsvermögen behindern. Störungen in der Informationsaufnahme bzw. - verarbeitung können dazu führen, dass bestimmte Reize, wie z.B. einzelne Ziffern oder Rechenzeichen, nicht richtig wahrgenommen werden.[7]

Wissenschaftler sprechen häufig von einer „minimalen cerebralen Dysfunktion“[8] und meinen damit, dass das Gehirn eines rechenschwachen Menschen geringfügig geschädigt ist. Die Annahme einer Hirnschädigung weckt jedoch den Eindruck, eine Rechenschwäche sei therapieresistent, dauerhaft und könne nicht behoben werden. Außerdem ist es meiner Meinung nach eher unwahrscheinlich, dass eine organische Hirnschädigung nur den mathematischen Bereich betrifft und nicht das Denken im Allgemeinen. Es ist mehr als fraglich, ob tatsächlich bestimmte Gene existieren, die einem so speziellen Bereich des Denkens zugeordnet werden können. Führt ein „defektes 0-Gen“[9] etwa zum fehlerhaften Umgang mit der Zahl Null, während ein „beschädigtes Additionsgen“[10] das Addieren erschwert?[11]

3.2 Psychische, emotionale und soziale Beeinträchtigungen

Kritiker einer genetischen Disposition bringen eine Rechenschwäche eher mit dem Mangel an Sinnesanregungen im Kleinkindalter in Verbindung und sprechen von einer so genannten „sensorischen Deprivation“[12]. Überbehütung oder Vernachlässigung, mangelnde räumliche Erfahrungsmöglichkeiten, Leistungsdruck, eine anregungsarme Umwelt, die Angst vorm Versagen oder sonstige außerschulische Belastungen könnten eine Rechenschwäche somit ebenfalls begünstigen.[13]

3.3 Schulische Belastungen

Auch eine unangemessene Beschulung, unterrichtliche Qualitätsmängel, verwirrende Schulbücher oder zu wenig Anschauungsmaterial können eine Rechenschwäche hervorrufen. Es ist zumindest denkbar, dass schulische Lernbedingungen die Rechenstörung in einigen Fällen begünstigen, z.B. durch den häufigen Wechsel des Lehrers, des Unterrichtsstil und der Lehrmethode, durch die Struktur der Klasse, Uneinigkeiten zwischen Eltern und Lehrern, Schul- und Misserfolgsangst.[14]

3.4 Beeinträchtigung der Raumwahrnehmung

Es existieren wissenschaftliche Positionen, die einen Zusammenhang zwischen Bewegungsmangel und dem Unvermögen mathematischen Denkens sehen. Vertreter dieser Theorie gehen davon aus, dass Kindern heutzutage elementare Sinneserfahrungen aufgrund des häufig eingeschränkten Spiel- und Bewegungsraumes fehlen. Durch die zeitintensive Beschäftigung mit audiovisuellen Medien, können sie kein Gespür für die räumliche Tiefe entwickeln, so dass es ihnen an einem Raum- und Zeitgefühl mangelt. Einige Therapeuten bemühen sich z.B. darum, für rechenschwache Kinder Rechen-Bewegungsspiele zu entwickeln, die den Gleichgewichtssinn, die Konzentrationsfähigkeit, die Raumwahrnehmung und das Zeitgefühl der betroffenen Schüler stärken sollen. Durch die Verbindung des konkreten Spiels mit dem abstrakten mathematischen Denken sollen die Kinder Sicherheit im Umgang mit Raum und Zeit gewinnen, so dass sie anschließend mathematische Herausforderungen besser bewältigen können.[15]

Man muss wohl davon ausgehen, dass nicht eine einzige Ursache zum Phänomen der Rechenschwäche führt und es ist daher anzunehmen, dass Dyskalkulie durch eine „Kombination individuelle verursachender Bedingungen“[16] ausgelöst wird.

4. Kritische Einwände

4.1 Quantitative und qualitative Eigenschaften von Fehlern

Häufig werden mathematische Fehlleistungen auf eine verminderte Intelligenz zurückgeführt und ein rechenschwacher Mensch mit einem Kranken gleichgesetzt, der geheilt werden muss. Die griechische Bezeichnung Arithmasthenie bedeutet wörtlich übersetzt sogar „Zahlenkrankheit“[17]. Einerseits sollen Rechenfehler auf ein geringes mathematisches Rechenvermögen verweisen, andererseits liegt der Beweis für diese Hypothese wiederum bloß in den feststellbaren Rechenfehlern, deren Häufigkeit und Dauerhaftigkeit auf eine Rechenschwäche schließen lassen. Es ist durchaus denkbar, dass ein Schüler z.B. das Bruchrechnen nicht beherrscht. Von seinem Unwissen in diesem speziellen Bereich und den damit verbundenen häufigen und dauerhaft auftretenden Fehlern kann jedoch nicht einfach auf ein allgemeines Unverständnis der gesamten Mathematik geschlossen werden. Wie viele Fehler müssen wie lange vorliegen, um auf eine Rechenschwäche schließen zu können? Können „quantitative Eigenschaften von Fehler wie deren Zahl oder Dauerhaftigkeit“[18] tatsächlich die Qualität der Fehler belegen?

4.2 Gleichsetzung von Intelligenz und Leistung

Was genau unterscheidet gewöhnliche Fehler eigentlich von solchen Fehlern, die als Indiz für eine Dyskalkulie gelten? Um diese Frage zu beantworten, scheint es sich anzubieten, die „arithmasthene Qualität von Fehlern“[19] mit Hilfe eines Vergleichs zu ermitteln. Die Leistung eines vermeintlich rechenschwachen Kindes wird dabei mit der durchschnittlichen Leistung der Mitschüler verglichen und an der durch die Intelligenz gegebenen allgemeinen Leistungsfähigkeit des betroffenen Kindes gemessen. Voraussetzung dieses Vergleichs ist die Annahme einer mindestens durchschnittlichen Intelligenz bei rechenschwachen Schülern, denn bei unterdurchschnittlichem Leistungsvermögen würde man schlechte Leistungen in allen Fächern und nicht nur im mathematischen Bereich erwarten. Das würde bedeuten, dass eine Rechenschwäche genau dann vorliegt, wenn die Leistung des Schülers in Mathematik nicht den Erwartungen entspricht, die seine allgemeine Begabung erhoffen lässt. Intelligenz und Leistung können jedoch nicht einfach gleichgesetzt werden.

[...]


[1] vgl. Krüll, 2000, S.9ff.

[2] Preuschoff, 1997, S.164.

[3] Grissemann / Weber, 1982, S.14.

[4] Lorenz / Radatz, 1993, S.26.

[5] Helbig / Opp / Speck-Hamdan, 1999, S.21.

[6] vgl. Helbig / Opp / Speck-Hamdan, 1999, S.21f.

[7] vgl. Ebhardt, 2005, S.13f.

[8] Röhrig, 2001, S.140.

[9] Röhrig, 2001, S.147.

[10] Röhrig, 2001, S.148.

[11] vgl. Röhrig, 2001, S.140ff.

[12] Krüll, 2000, S.39.

[13] vgl. Ebhardt, 2005, S.13f.

[14] vgl. Ebhardt, 2005, S.13f.

[15] vgl. Ebhardt, 2005, S.12.

[16] Krüll, 2000, S.47.

[17] Röhrig, 2001, S.127.

[18] Röhrig, 2001, S.132.

[19] Röhrig, 2001, S.133.

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Dyskalkulie - Ursachen, Bedingungen, Erscheinungsformen und Diagnose der Rechenschwäche
Hochschule
Universität Koblenz-Landau
Note
2,0
Autor
Jahr
2002
Seiten
24
Katalognummer
V45675
ISBN (eBook)
9783638430333
Dateigröße
530 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Dyskalkulie, Ursachen, Bedingungen, Erscheinungsformen, Diagnose, Rechenschwäche
Arbeit zitieren
Kathrin Morawietz (Autor:in), 2002, Dyskalkulie - Ursachen, Bedingungen, Erscheinungsformen und Diagnose der Rechenschwäche, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/45675

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