Ulrich von Hutten (1488-1523): Sein Werdegang und seine Schriften


Hausarbeit (Hauptseminar), 1994

37 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Zielbestimmung

2. Huttens biographische Ausgangsposition
2.1 Huttens Herkunft
2.2 Hutten als Klosterschüler

3. Vom Klosterschüler zum humanistischen Poeta laureatus
3.1 Huttens Entwicklung zum humanistisch-lateinischen Schriftsteller
3.2 Huttens Hinwendung zum nationalen deutschen Humanismus
3.2.1 Politisierung und Beginn der antikirchlichen Haltung
3.2.2 Hutten als nationalistischer Panegyriker am Mainzer Hof
3.3 Hutten als politischer Satiriker und Publizist
3.3.1 Themenschwerpunkte der Huttenschen Publizistik
3.3.2 Die Fehde gegen Herzog Ulrich von Württemberg
3.3.3 Der Reuchlin-Streit
3.3.4 Die Eindrücke der zweiten Italienreise (1515-1517)

4. Vom Poeta laureatus zum deutschsprachigen Propagandisten
4.1 Dichterkrönung
4.2 Hutten als Mainzer Hofrat
4.2.1 Huttens Rolle am Mainzer Hof und seine Auseinandersetzung mit dem Hofleben
4.2.2 Hutten als nationalistischer kirchenkritischer Publizist am Mainzer Hof
4.3 Huttens Radikalisierung zum antikirchlichen deutschsprachigen Propagandisten
4.3.1 Huttens antirömische Kampagne
4.3.1.1 Die entscheidenden Ereignisse des Jahres 1519
4.3.1.2 Der Beginn der offenen Auseinandersetzung mit Rom
4.3.2 Hutten unter dem Druck der Kurie
4.3.3 Huttens Reaktion auf die kirchliche Verfolgung

5. Vom deutschsprachigen Propagandisten zm Initiator des Pfaffenkrieges
5.1 Hutten im Vorfeld des Wormser Reichstages
5.1.1 Die Konstituierung des Pfaffenkriegsplanes
5.1.2 Hutten zwischen Luther und Sickingen
5.2 Hutten während des Wormser Reichstages
5.3 Huttens Pfaffenkrieg

6. Exil und Ende

7. Schlußbemerkung

8. Quellen- und Literaturverzeichnis

1. Zielbestimmung

Ziel der vorliegenden Arbeit ist die Darstellung des Werdegangs Ulrichs von Hutten und seiner Schriften. Dabei soll der Schwer­punkt auf die Biographie und Entwicklungsgeschichte Huttens ge­legt werden: es wird versucht, seinen Weg vom Klosterschüler bis zum radikalen deutschsprachigen Propagandisten zu skizzieren und die verschiedenen Phasen und herausragenden Stationen seines Le­bens mit den sie beeinflussenden Faktoren zu kennzeichnen. Die umfangreichen dichterischen und publizistischen Schriften sollen in diesem Zusammenhang als Symptome seiner Entwicklung in seine Biographie eingeordnet werden - ihre Darstellung beschränkt sich also auf die für die jeweilige Lebensphase charakteristischen Inhalte.

2. Huttens biographische Ausgangsposition

2.1 Huttens Herkunft

Als Ulrich von Hutten am 21.04.1488 auf Burg Steckelberg, dem "Stammschloß einer Linie der weitverbreiteten reichsritterlichen Familie Hutten"[1], geboren wurde, waren die Glanztage der Reichs­ritterschaft vorüber. Bedingt durch den Ausbau der modernen Geldwirtschaft, verbunden mit dem Verlust ihrer militärischen Bedeutung durch veränderte Heeresformation und die Erfindung der Feuerwaffe, war die Reichsritterschaft in eine tiefe Identitäts­krise geraten.[2] So bildeten die Probleme der sowohl vom aufstrebenden Territori­alfürstentum als auch vom juristisch gebildeten Bürgertum bedrängten Reichsritterschaft die Rahmenbedingungen für Huttens erste Lebenszeit, auch wenn die Familie Hutten nur bedingt als typischer Vertreter des absteigenden Ritterstandes zu betrachten ist.[3]

Über Ulrichs von Hutten Jugend auf Burg Steckelberg und seine Erziehung gibt es außer diesen allgemeinen Hintergrundinforma­tionen keine gesicherten Kenntnisse. Von großer intellektueller Förderung ist beim Bildungsstand der damaligen Reichsritter­schaft nicht auszugehen, ebensowenig von starker kirchlicher oder theologischer Beeinflussung. P. Held nimmt an, "daß Hutten in seiner frühesten Jugend auf der väterlichen Burg Steckelberg in der Frömmigkeit aufgewachsen ist, die das Nachdenken über das Wesen des christlichen Glaubens den Theologen überließ und sich damit zufrieden gab, ein Kind der großen Mutterkirche zu sein."[4]

Sicher ist nur, daß Huttens späteres Selbstverständnis in hohem Maße von seiner reichsritterschaftlichen Herkunft geprägt ist. Sein Wertesystem, die Form seiner Argumentation gegenüber der römischen Kirche und seine Stellungnahme gegen das Territorial­fürstentum bezeugen, daß er sich sein Leben lang der Reichsrit­terschaft als gesellschaftlicher Gruppe zugehörig und ihren In­teressen verpflichtet fühlte.[5]

2.2 Hutten als Klosterschüler

Die Loslösung von der reichsritterschaftlichen Umgebung der er­sten Jahre vollzog sich durch den Eintritt des elfjährigen Hut­ten in die Stiftsschule des Klosters Fulda. Nach Huttens eigener Darstellung gaben ihn die Eltern "auß andächtiger gutter mei­nung, in den stifft Fulda, mit dem fürsatz ich solt darinn ver­harren, vnd eyn münich seyn"[6], was in Anbetracht der Tatsache, daß es sich bei Ulrich um den erstgeborenen Sohn der Familie Hutten handelte, durchaus ungewöhnlich war.

Neben seinem schmächtigen Körperbau, der ihn für das Kriegshand­werk nicht geeignet erscheinen ließ, waren die Gründe für diese Entscheidung der Eltern sicherlich eher karriereorientiert: der Eintritt ins Kloster Fulda versprach, wo nicht eine reiche Pfründe, so doch eine Vergrößerung der Einflußmöglichkeiten der Familie Hutten im Stift Fulda selbst, dessen Lehnsmann der Vater war.[7]

Neben einem "soliden Grundstock von Lateinkenntnissen"[8] vermit­telte die Klosterschule in Fulda Hutten nach H. Delekat "eine im wesentlichen scholastische Bildung [...], der doch die humani­stischen Elemente nicht ganz fehlten."[9] Größere Berührungspunkte mit dem Humanismus oder kritische Auseinandersetzung mit der ka­tholischen Glaubenslehre sind jedoch von einer Stiftsschule kaum zu erwarten.

3. Vom Klosterschüler zum humanistischen Poeta laureatus

3.1 Huttens Entwicklung zum humanistisch-lateinischen Schrift­steller

Form und Zeitpunkt des Austritts Huttens aus dem Kloster Fulda sind äußerst umstritten. Die traditionelle Huttenforschung ging "von dem als Quelle erwiesen unzuverlässigen Joachim Camera­rius"[10] aus und nahm an, daß Hutten 1505 mit Hilfe des Crotus Rubeanus aus dem Kloster zur Universität Köln geflohen sei.[11]

Der Gedanke, daß das Verlassen der Klosterschule nicht den Ab­bruch der Beziehungen zum Fuldaer Stift zu bedeuten brauchte, wurde zum ersten Mal von P. Kalkoff[12] geäußert. Zwischenzeitlich gilt die Vermutung H. Grimms allgemein als gesichert, Hutten sei 1503 vom Abt des Fuldaer Stifts auf die nahegelegene Universität Erfurt zum damals üblichen 'biennium studii' geschickt worden und habe vom Fuldaer Stift Crotus Rubeanus als 'Mentor' zur Seite gestellt bekommen.[13] Die Stationen der 1503 beginnenden Studienzeit sind die Univer­sitäten Erfurt, Mainz, Köln, Frankfurt an der Oder, Leipzig Greifswald, Rostock und Wittenberg.[14]

Ulrich von Hutten gerät schon sehr früh unter den Einfluß des Erfurter Humanistenkreises. Hier sind es besonders Crotus Rubea­nus, Huttens von der Stiftsschule zur Seite gestellter 'Mentor', und der humanistische Dichter Eobanus Hessus, zu denen er be­reits in den ersten Studienjahren eine lebenslange Freundschaft knüpft. Unter ihrem Einfluß vollzieht Hutten den Schritt von der an den damaligen Universitäten herrschenden scholastischen Lehre, "die das Systematisieren und die Kompendien liebte" zu einem Humanismus, "der diese vielfach erstarrende Richtung überwand"[15] und die Syllogismen der Scholastik durch Quellenstudium und wissenschaftliche Betrachtungsweise ersetzte. Insbesondere bei den Erfurter Humanisten ging diese humanistische Geisteshaltung mit einer starken Polemik gegen die katholische Kirche als Hauptträgerin der Scholastik einher.[16]

Für Hutten war dieser frühe Einfluß durch den Humanismus zwei­fellos von besonderer Bedeutung: Er führte ihn schon zu Beginn seines Lebens in kirchenkritische und antischolastische Bahnen.

Diese Tendenz wurde besonders in Frankfurt an der Oder verstärkt und gefestigt, wo Hutten von 1506 bis 1507 bei Vigilantius Axun­gia und Rhagius Aesticampianus studierte.[17] Durch diese beiden Lehrer wurde Hutten völlig für den Humanismus gewonnen; er eignete sich unter ihrem Einfluß "das handwerksmäßige Rüstzeug zu Poetik und Rhetorik"[18] und seinen für ihn später so charakte­ristischen, hervorragenden lateinischen Stil an. Kennzeichen für diese geistige Entwicklung sind seine ersten Gedichte sowie die Themen „De virtute“[19] und „Vir bonus“[20], in denen sowohl sein humanistisches Lebensideal, als auch seine erfolgreiche Handha­bung der lateinischen Sprache sichtbar werden.

Im Jahre 1507 folgte er seinem Lehrer Aesticampianus nach Leip­zig, wo er sich bis 1509 aufhielt. Hier vollzog sich durch die Syphilis-Infektion Huttens der erste scharfe Einschnitt in sei­nem Leben[21]: Das Auftreten der Krankheit führte zu einem psychi­schen Zusammenbruch, dem der Abbruch aller Verbindungen zu Freunden und Bekannten folgte. Hutten reiste allein nach Nord­deutschland, hielt sich in Pommern auf und unternahm eine Schiffsreise auf der Ostsee, bei der er vermutlich Schiffbruch erlitt.[22]

Im Spätsommer 1509 traf er völlig mittellos in Greifswald ein, wo er sich an der Universität als 'poeta' einschrieb[23], ein Be­leg dafür, wie weit er sich bereits von der Scholastik abgewen­det hatte. Bei Henning Lötz, einem Professor der Rechte an der Universität Greifswald, und dessen Vater Wedegum, dem Bürgermei­ster der Stadt, fand er Unterkunft und Verpflegung. Die beiden Männer scheinen ihre finanzielle Hilfe jedoch nicht als ein "Geschenk an die Musen"[24] empfunden zu haben, vielmehr hatte ih­nen Hutten offensichtlich einen Ersatz für die Gewährung von Kleidung, Unterkunft und Geldmitteln in Aussicht gestellt,[25] so daß diese, als sich Hutten um die Jahreswende gegen deren Willen nach Rostock begeben wollte, den Verlust ihrer finanziellen In­vestition befürchteten, ihn auf dem Weg nach Rostock einholen und ihm Kleider und Bücher abnehmen ließen.

Als unmittelbare Antwort auf diese offenbar rauhe Behandlung setzte Hutten sofort seine „Querelae in Wedegum et Henningum Loetz“[26] ins Werk. Diese zweiteilige Schrift stellt Huttens erste zielgerichtete publizistische Tätigkeit dar: Den ersten Teil bildet eine ausschweifende Klage über die ungerechte Behandlung, den zweiten eine Rundreise durch das literarische Deutschland, in der alle Vertreter der neuen humanistischen Richtung einzeln vorgestellt und gegen die Lötze um Hilfe ange­rufen werden.

Ihre große Bedeutung für Huttens Entwicklung gewinnen die „Querelae“ als Zeugnis dafür, daß er sich bereits in diesem ersten bedeutenderen Werk völlig als Mitglied der Humanistengruppe versteht und dies durch seinen lateinischen Stil und die Anlehnung an klassische Vorbilder bezeugt.[27]

Es zeigt sich besonders deutlich, wie früh sich Hutten über die Wirkung des gedruckten Wortes auf breiter Ebene klar wurde. Die Mittel, mit denen er hier eines nur ihn betreffenden Konfliktes Herr zu werden versuchte, tragen bereits die Züge der späteren Propaganda Huttens.[28]

3.2 Huttens Hinwendung zum nationalistischen deutschen Humanis­mus

3.2.1 Politisierung und Beginn der antikirchlichen Haltung

Das inzwischen völlig humanistisch-schöngeistige Studium Ulrichs von Hutten mußte dem zweckorientierten und karrierebewußten Va­ter natürlich als nutzlose Zeitverschwendung erscheinen. Die Entfernung seines Sohnes aus dem Einflußbereich des Klosters und dessen deutliches Bekenntnis zu den humanistischen Wissenschaf­ten führten jedoch auch beim Vater zu der Erkenntnis, der Sohn werde nicht mehr ins Kloster zurückkehren. So änderte er seine Pläne für die Zukunft seines Sohnes und erlaubte ihm die Auf­nahme eines Jurastudiums in Italien, weil ein Jurist, der der Familie Hutten einmal nützlich sein könne, allemal besser sei als ein "monachus perversus".[29]

Auf dem Weg nach Italien machte Hutten 1511 Zwischenstation in Wien. Hier kam sein Interesse für die nationalen Belange des Reiches und des Kaisers erstmals in zwei Schriften zum Vor­schein: Er schrieb sein langes Mahngedicht: „Ad divum Maximilia­num bellum in Venetos euntem Exhortatio“[30], eine Ermahnung an Kaiser Maximilian I., den begonnenen Krieg gegen die Venezianer fortzusetzen. Hutten wollte mit dieser Schrift "für den von den Ständen nicht gehörig unterstützten Kaiser werben"[31], der für ihn Repräsentant der Größe der deutschen Nation war. Die Schrift „Quod Germania nec virtutibus nec Ducibus ab Primoribus degene­raverit Heroicum“[32] versucht nachzuweisen, daß die Deutschen we­der in bezug auf ihre Tugenden noch auf die maßgeblichen politi­schen Grundlinien von ihren Vorfahren abgewichen seien. Beide Schriften zeigen deutlich, wie stark der "allgemeine Zug zur deutschen Urgeschichte"[33] bei Hutten inzwischen geworden war. Sein Interesse für deutsche Geschichte und nationale Fragen zeugt von großer Beeinflussung durch den nationalen deutschen Humanismus, wie er von Konrad Celtis Anfang des 16. Jahrhunderts in Wien begründet worden war.[34]

In Italien, wo Hutten sich ab März 1512 aufhielt, führte er zunächst ein geordnetes Jurastudium durch, geriet aber im Zusammenhang mit den militärischen Auseinandersetzungen zwischen Maximilian I. und Ludwig XII. in finanzielle Schwierigkeiten und mußte in Maximilians Heer Kriegsdienst nehmen. Er lernte in dieser Zeit "das Gegeneinander kaiserlicher, päpst­licher und französischer Politik kennen"[35] und beobachtete dabei den damaligen Papst Julius II. besonders aufmerksam, in dem er bald nur noch einen kriegerischen, unzuverlässigen, ausgespro­chen ungeistlichen Oberhirten sah, der versuchte, aus den Aus­einandersetzungen zwischen Ludwig und Maximilian politischen Ge­winn zu ziehen. Unter dem Eindruck der Politik des Papstes ent­wickelte sich langsam die antikuriale Haltung Huttens, die zunächst keineswegs grundsätzlicher Art war, sondern sich nur gegen die unwürdige Amtsführung Julius II. richtete.[36] Ausdruck dieser Haltung sind vor allem die verschiedenen „Epigramme“ aus dieser Zeit, in denen er rücksichtslos den Papst als Gegenspie­ler des Kaisers und unwürdigen Geistlichen auf dem Papststuhl geißelt.[37]

Bei seiner Rückkehr nach Deutschland um den Februar 1514 bringt er etwa 120 dieser in verschiedenen Versmaßen gehaltenen „Epigramme“ mit nach Deutschland. Weitere für seine Entwicklung bedeutsame Ergebnisse der ersten Italienreise sind seine tieferen Einsichten in die gesamteuropäische Lage, seine größere Kenntnis der Reichsgeschichte in rechtlicher Hinsicht und die stärkere Hinwendung zum politischen Tagesgeschehen, die von nun an sein Wesen bestimmt.[38] Darüber hinaus verfestigt sich in ihm gerade durch seinen Italienaufenthalt die schon in Deutschland so tief empfundene Vorstellung, "zu einer besonderen, von dem herrschenden Ständesystem unabhängigen Gesellschaftsschicht, nämlich der 'res publica litteraria', zur 'Gelehrtenrepublik', zu gehören."[39]

3.2.2 Hutten als nationalistischer Panegyriker am Mainzer Hof

Der Empfang, der dem 1514 aus Italien zurückkehrenden Hutten von seinen Verwandten auf Burg Steckelberg bereitet wurde, war von der Enttäuschung darüber gekennzeichnet, daß er keinen juristi­schen akademischen Grad mit nach Hause brachte.[40] Er wurde als nutzloser, unfähiger "Nemo" abqualifiziert.[41] Diese Reaktionen bei seiner Rückkehr nach Deutschland und beson­ders seine Diffamierung als 'Niemand' inspirierten ihn zu einer Neufassung des bereits 1510 entstandenen Gedichtes „Nemo“[42]. Die von Skepsis und Pessimismus getragene Schrift macht sich spiele­risch die Doppelbedeutung des Wortes 'Niemand' zunutze, das sowohl verneinendes Pronomen als auch Name einer Person sein kann. Dieser Kunstgriff drückt Huttens Lebensgefühl zu dieser Zeit im Leitmotiv "Alles ist nichts und niemand ist etwas"[43] aus.

In der zweiten Hälfte des Jahres 1514 erhält er den durch seinen Vetter Marschalk Frowin von Hutten und Eitelwolf von Stein in­itiierten Auftrag, anläßlich des Einzuges des neugewählten Erz­bischofs und Kurfürsten von Mainz, Albrecht von Brandenburg, ein Lobgedicht zu verfassen. Bereits im Januar 1515 kann er dem Erz­bischof das Werk unter dem Titel „In laudem Alberti Archepiscopi Panegyricus“[44] vorlegen. Bei diesem 1300 Verszeilen umfassenden Gedicht handelt es sich zwar formal um einen typischen Panegyricus im Stile der italie­nischen Renaissance, inhaltlich aber kann es mit H. Junghans als ein "Dokument des deutschen nationalen Humanismus"[45] bezeichnet werden. Hutten schildert fiktiv einen Mantel, den der in Mainz einziehende Erzbischof trägt und in den verschiedene Szenen der deutschen Geschichte eingewoben sind. Damit verbindet er die An­lehnung an klassische Vorbilder mit einer Art deutscher Ge­schichtsschreibung, die die Großtaten der Vorfahren in Erinne­rung rufen und Nationalstolz wecken will. Als Anerkennung läßt ihm der Erzbischof 200 Dukaten als Beihilfe für die Wiederaufnahme seines Studiums in Italien übermitteln sowie die Zusage, daß er nach dessen erfolgreichem Abschluß eine Ratsstelle am Mainzer Hof erhalten werde.[46]

3.3 Hutten als politischer Satiriker und Publizist

3.3.1 Themenschwerpunkte der Huttenschen Publizistik

Die um das Jahr 1515 einsetzende politische publizistische Tä­tigkeit Huttens kann grob nach drei Themenschwerpunkten bzw. Hauptstoßrichtungen untergliedert werden:

- die Publizistik in reichspolitischer Hinsicht, in der Hutten hauptsächlich aus der Perspektive des Reichsritters agiert und meist gegen das aufstrebende Territorialfürstentum Stellung bezieht;
- Publizistik in kultur- und gesellschaftspolitischer Hinsicht, in der er sich gegen die Scholastik und ihre Verfechter als eine die Wahrheit und wirkliche Wissenschaft unterdrückende Institution wendet;
- die beginnende antirömische Publizistik, die im Zusammenhang mit der gesellschaftspolitischen Kritik an der Scholastik steht: Die Kirche wird sowohl als Hüterin der Scholastik und damit als Unterdrückerin der Wahrheit, als auch als politische Institution, die Deutschland als Nation ausbeutet und unter­drückt, erkannt und gebrandmarkt.

Ursachen und Ausprägung seiner Auseinandersetzung mit den ver­schiedenen Themengebieten sollen im folgenden skizziert werden.

3.3.2 Die Fehde gegen Herzog Ulrich von Württemberg

Die Ursache für Huttens erste großangelegte publizistische Tätigkeit in reichspolitischer Hinsicht hängt eng mit der Auseinandersetzung seines Gesamtgeschlechtes mit dem Herzog von Württemberg zusammen.

Unmittelbar vor der Abreise nach Italien zur Wiederaufnahme sei­nes Jurastudiums erreichte Hutten in Bad Ems die Nachricht von der Ermordung seines Vetters, Hans von Hutten, durch Ulrich von Württemberg. Hans von Hutten stand bis zu seiner Ermordung beim Herzog als Stallmeister in Diensten. Seine offenbar schöne Frau hatte die Aufmerksamkeit des Herzogs erregt, der bald ein ehebrecherisches Verhältnis mit ihr einging und Hans von Hutten, um sich seiner als Mitwisser und Nebenbuhler zu entledigen, bei einem Ausritt im Wald hinterrücks erstach und symbolisch an seinem Gürtel auf­hängte.[47] Auf die Nachricht von dieser Tat hin trat das Gesamtgeschlecht derer von Hutten geschlossen in Fehde mit Herzog Ulrich von Württemberg. Ulrich von Hutten unterstützte diesen Kampf publi­zistisch durch seine Beteiligung an der Konzeption des Fehde­schreibens der Familie gegen den Herzog sowie mit den fünf Reden „In Vlrichum Wirttembergensis Orationes quinque“[48].

Diese in der Zeit von 1515 bis 1519 entstandenen Reden sind be­sonders bedeutend als Zeugnis für Huttens Abwehrhaltung gegen das aufstrebende Territorialfürstentum: Er tritt hier als "fiktiver Ankläger gegen Herzog Ulrich vor Kaiser und Reich"[49] auf und schreibt aus der Perspektive des Reichsritters. Neben der Forderung nach Rechtsgleichheit für alle und der Beseitigung aller Prärogativen vor Gericht macht er den Anspruch "auf unver­äußerliches Widerstandsrecht aus Gründen des Gemeinwohles und die deutliche Absicht einer durchgreifenden Reform des Reichsre­gimentes mit Beschränkung der Fürstengewalt und Stärkung des Kaisertums"[50] geltend.

Mit seinem 1517 in Italien entstandenen Dialog „Phalarismus“[51] brandmarkte er im Stile der „Totengespräche“ Lukians von Samosa­ta[52] die Grausamkeit des Herzogs. Mit dieser Schrift fand er zum ersten Mal den Zugriff auf die von ihm später perfektionierte Form des Dialoges als publizistischer Waffe.

3.3.3 Der Reuchlin-Streit

Huttens gegen die Scholastik gerichtete kultur- und gesell­schaftspolitische Publizistik erreicht ihre ersten deutliche Ausformung im Zusammenhang mit dem Reuchlin-Streit.

Ausgangspunkt dieser Auseinandersetzung war die Forderung des jüdischen Konvertiten Johann Pfefferkorn, alle nationalen jüdi­schen Bücher zu vernichten - eine Forderung, deren Erfüllung den völligen Verlust der jüdischen Identität zur Folge gehabt hätte. Als Gutachter in kaiserlichem Auftrag schaltete sich Johannes Reuchlin ein und bezog im Gegensatz zu den Auffassungen der Uni­versitäten Mainz, Köln und Erfurt energisch gegen die Idee Pfef­ferkorns Stellung. Sein beherztes Auftreten für den Erhalt der jüdischen Schriften brachte Reuchlin, der einer der ersten He­braisten seiner Zeit war, in einen für ihn lebensbedrohlichen Streit mit den Scholastikern. Die Kölner Dominikaner unter Ket­zermeister Jakob Hochstraten griffen den Fall auf und versuchten Reuchlin vor einem Inquisitionsgericht als Ketzer anzuklagen.[53] Im Verlauf der weiteren Auseinandersetzung zwischen Reuchlin und den Dominikanern entwickelte sich zunehmend ein grundsätzlicher Streit zwischen Scholastik und Humanismus. Es ging um die Frage, "ob die Theologie dem Forschungsdrang des Humanismus Grenzen zu setzen vermochte"[54] - eine Frage, deren Entscheidung für beide Parteien eine existentielle Bedeutung hatte, was wahrscheinlich Ursache für die Unerbittlichkeit war, mit der dieser Kampf ge­führt wurde.

Besonders die Erfurter Humanisten stellten sich unter der Füh­rung von Crotus Rubeanus auf die Seite Reuchlins: Mit der Satire „Epistolae virorum obscurum“[55], deren Titel und Grundgedanke eine parodistische Variation zu den „Epistolae clarorum virorum“ waren, die Reuchlin selbst im Jahre 1514 zur Stärkung seiner Po­sition herausgegeben hatte,[56] legte Crotus eine Sammlung von fingierten Briefen an den Kölner Theologen Ortwinus Gratius vor, deren Ziel es war, "den sich um Reuchlin scharenden 'Vorkämpfern für Bildung und Fortschritt' die Träger des veralteten schola­stischen Bildungsbetriebes karikierend gegenüberzustellen und in der öffentlichen Meinung lächerlich zu machen."[57] Die Briefe wa­ren in einem grauenvollen Latein verfaßt und sollten so den Bil­dungsstand der Anhänger der Scholastik verdeutlichen.[58] Dem ersten Teil der „Dunkelmännerbriefe“, der hauptsächlich von Crotus Rubeanus unter geringer Mitwirkung Huttens stammt, ließ Hutten aus Italien einen zweiten, sehr viel bissigeren und ver­letzenderen Teil folgen.[59] Die „Dunkelmännerbriefe“ gelangten durch ihre unerhörte Schärfe sehr bald zu größter Verbreitung und sogar zu europäischer Be­deutung. In ihnen zeigt sich die Verbissenheit, mit der Hutten seine Ablehnung der Scholastik verfolgte, und die Virtuosität, mit der er Ironie und Satire zur Verunglimpfung seiner Gegner einzusetzen wußte.

[...]


[1] Newald 1963, S. 284.

[2] Zur Krise der Ritterschaft vgl. bes. Holborn 1929, S. 15 ff.; Schmidt 1988, S. 22 ff. sowie Seyboth 1989, bes. S. 131 ff. Huttens Vater und Großvater "arrondierten ihren Besitz zu der völlig geschlossenen reichsfreien Herrschaft Steckelberg, Hut­tens Vater ging bereits zu reinen Kapital- und Zinsgeschäften über" (Hardtwig 1984, S. 194) und konnte sich so gegen den Druck der angrenzenden Territorialfürsten behaupten. (Vgl. Grimm 1971, S. 20). Zu Geschichte und wirtschaftl. Lage derer von Hutten vgl. Schmidt 1988 S. 19 f. bzw. Grimm 1971, S. 11 ff.

[3] Huttens Vater und Großvater „arrondierten“ ihren Besitz zu der völlig geschlossenen reichsfreien Herrschaft Steckelberg, Huttens Vater ging bereits zu reinen Kapital- und Zinsgeschäften über (Hardtwig 1984, S. 194) und konnten sich so gegen den Drick der angrenzenden Territorialfürsten behaupten (vgl. Grimm 1971, S. 20). Zu Geschichte und wirtschaftlicher Lage derer von Hutten vgl. Schmidt 1988, S. 19 f. bzw. Grimm 1971, S. 11 ff.

[4] Held 1928, S. 26.

[5] Zum Verhältnis Ulrichs von Hutten zur reichsritterschaftlichen Bewegung vgl. bes. Seyboth 1989, S. 129-143.

[6] Hutten, Opera II, S. 145. Die vieldiskutierte Frage, ob Hutten im Kloster Fulda tatsächlich Mönch gewesen ist, wird in der neue­ren Forschung überwiegend verneint. Vgl. hierzu Grimm 1971, S. 32 bzw. S. 36, Holborn 1929, S. 20 f. sowie die ausführliche Problematisierung dieser Frage bei Kalkoff 1925, 76 f. und Leinweber 1975, S. 541 ff.

[7] Vgl. Kalkoff 1925, S. 76 bzw. Holborn 1929, S. 20.

[8] Newald 1963, S. 286.

[9] Delekat 1923, S. 56.

[10] Grimm 1971, S. 36; Huttens Zeitgenosse Camerarius hatte in seiner Lebensbeschreibung Melanchthons die Legende von dessen Flucht aus dem Kloster begründet (vgl. Strauß 1914, S. 12).

[11] Vgl. Strauß 1914, S. 12 ff.; Holborn 1929, S. 21 f.; Held 1928, S. 28 ff. u.a.

[12] Kalkoff 1925, S. 101 ff.

[13] Vgl. Grimm 1938, S. 43 ff. bzw. S. 43, Anmerk. 3; ebenso Grimm 1971, S. 32 sowie die ausführliche, Grimm sehr kritisch gegenüberstehende Problematisierung dieser Frage bei Leinwe­ber 1975, S. 549 f.

[14] Ausführlich zum Studienverlauf Ulrichs von Hutten vgl. bes. Grimm 1938, S. 43 ff., wo auch die Matrikel Huttens bei den jeweiligen Universitäten abgedruckt sind, sowie Kalkoff 1925, S. 101 ff.

[15] Press 1974, S. 76.

[16] Vgl. Press 1974, S. 76.

[17] Vgl. Grimm 1938, 80 ff.

[18] Newald 1963, S. 287.

[19] Hutten, Opera III, S. 8-10.

[20] Hutten, Opera III, S. 11-17.

[21] Zur Syphilis und ihrem physischen und psychischen Einfluß auf Ulrich von Hutten vgl. Peschke 1988, S. 309-319 bzw. Rueb 1988, S. 161 ff.

[22] Vgl. Hutten, Opera I, S. 23 bzw. Peschke 1988, S. 310 f.

[23] Vgl. Grimm 1938, S. 44.

[24] Holborn 1929, S. 30.

[25] Vgl. Holborn 1929, S. 30.

[26] Hutten, Opera III, S. 19-83.

[27] Vgl. bes. Buch II der Querelae: Hutten, Opera III, S. 46 ff.

[28] Vgl. Holborn 1929, S. 31.

[29] Hutten, Opera I, S. 19; vgl. Flake 1929, S. 80 f.

[30] Hutten, Opera III, S. 123-160.

[31] Grimm 1971, S. 43.

[32] Hutten, Opera III, S. 331-340.

[33] Newald 1963, S. 292.

[34] Zu Entstehung und Ausprägung des nationalen deutschen Huma­nismus' sowie seinem Einfluß auf Ulrich von Hutten vgl. Jung­hans 1988, S. 150 ff.

[35] Press 1974, S. 77.

[36] Vgl. Delekat 1923, S. 58 bzw. Grimm 1971, S. 65.

[37] Vgl. etwa „De Iulii perfidia“ (Hutten, Opera III, Nr. 137, S. 263) oder „De indulgentiis Iulii“ (Hutten, Opera III, Nr. 145, S. 266 ff.) bzw. Strauß 1914, S. 63 ff.

[38] Vgl. Grimm 1971, S. 47.

[39] Grimm 1971, S. 47.

[40] Vgl. Hutten, Opera I, S. 176 ff.

[41] Vgl. Hutten, Opera I, S. 180 bzw. Bernstein 1988, S. 43.

[42] Hutten, Opera III, S. 107-118.

[43] Held 1928, S. 57; dieses Leitmotiv wird in Wendungen ausge­führt wie "Omnia Nemo potest, Nemo sapit omnia per se" oder "Nemo quod est, quod erat, Nemo futura tenet" (Hutten, Opera III, S. 111).

[44] Hutten, Opera III, S. 353-400.

[45] Junghans 1988, S. 155.

[46] Vgl. Hutten, Opera I, S. 40-45 bzw. Wulfert 1988, S. 174.

[47] Vgl. die ausführliche Darstellung zu Hintergründen und Ver­lauf der Ulrich-Fehde bei Strauß 1914, S. 74 ff. bzw. Zimmer­mann 1922, S. 7 ff.

[48] Hutten, Opera V, S. 3-95.

[49] Grimm 1971, S. 60.

[50] Grimm 1971, S. 60.

[51] Hutten, Opera IV, S. 1-25.

[52] Über den Einfluß der Dialogliteratur Lukians auf Ulrich von Hutten vgl. Gewerstock 1924, S. 11-104.

[53] Ausführlich zum Reuchlin-Streit vgl. Strauß 1914, S. 123 ff. bzw. Flake 1929, S. 86-93.

[54] Press 1974, S. 79.

[55] Hutten, Opera Suppl. I u. II.

[56] Vgl. Hahn 1989, S. 81.

[57] Benzing 1956, S. 134.

[58] Ausführlich zu Inhalt und Entstehung der Dunkelmännerbriefe vgl. Frey 1988, S. 197-209 bzw. Hahn 1989, S. 79-111.

[59] Die Frage der Autorschaft der „Epistolae virorum obscurum“ wurde lange diskutiert, gilt aber inzwischen als entschieden. So steuerte Hutten zum ersten Teil mit einiger Sicherheit nur die letzten sieben Briefe bei, war aber - bis auf vereinzelte Beiträge von Crotus, Hermann von dem Busche und den Brüdern Fuchs - Hauptverfasser des zweiten Teiles. Vgl. Brecht 1904 und Bömer 1924, Bd. 1. sowie zusammenfassend Hahn 1989, S. 79-84.

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Details

Titel
Ulrich von Hutten (1488-1523): Sein Werdegang und seine Schriften
Hochschule
Johannes Gutenberg-Universität Mainz  (Historisches Seminar)
Veranstaltung
Sickingen, Hutten und die reichsritterschaftliche Bewegung
Note
1,3
Autor
Jahr
1994
Seiten
37
Katalognummer
V45658
ISBN (eBook)
9783638430173
Dateigröße
545 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Ziel ist die Darstellung des Werdegangs Ulrichs von Hutten und seiner Schriften. Dabei soll der Schwerpunkt auf die Biographie und Entwicklungsgeschichte Huttens gelegt werden: es wird versucht, seinen Weg vom Klosterschüler bis zum radikalen deutschsprachi-gen Propagandisten zu skizzieren und die verschiedenen Phasen und herausragenden Stationen seines Lebens mit den sie beeinflussenden Faktoren zu kennzeichnen.
Schlagworte
Ulrich, Hutten, Sein, Werdegang, Schriften, Sickingen, Hutten, Bewegung
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Jörg Erdmann (Autor:in), 1994, Ulrich von Hutten (1488-1523): Sein Werdegang und seine Schriften, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/45658

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Titel: Ulrich von Hutten (1488-1523): Sein Werdegang und seine Schriften



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