Pferdesport als Therapie mit verhaltensauffälligen Kindern


Bachelorarbeit, 2018

48 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Aktueller Forschungsstand

3. Therapeutisches Reiten in der Pädagogik
3.1 Geschichte
3.2 Entwicklung in Deutschland
3.3 Zielgruppen
3.4 Förderdimensionen im Heilpädagogischen Reiten
3.4.1 Kognitive Förderaspekte
3.4.2 Motorische Förderaspekte
3.4.3 Emotionale Förderaspekte
3.4.4 Soziale Förderaspekte
3.5 Das Beziehungsdreieck im heilpädagogischen Reiten
3.5.1 Kontakt zwischen Kind und Pferd
3.5.2 Kontakt zwischen Pädagoge und Pferd
3.5.3 Kontakt zwischen Kind und Pädagoge

4. Wirkung der Mensch-Pferd-Beziehung

5. Psychische Verhaltensauffälligkeiten
5.1 Definition und Klassifikation
5.2 Entstehung / Ätiologie
5.2.1 Biologische Faktoren
5.2.2 Psychosoziale Faktoren
5.2.3 Gesellschaftliche Faktoren

6. Das heilpädagogische Reiten als Fördermaßnahme für Kinder mit Verhaltensauffälligkeiten

7. Konzeptbeispiel

8. Fazit

9. Literaturverzeichnis

10. Anhang

1. Einleitung

„Nevertheless the difference in mind between man and the higher animals, great as it is, is certainly one of degree and not of kind. We have seen that the senses and intuitions, the various emotions and faculties, such as love, memory, attention, curiosity, imitation, reason, etc., of which man boasts, may be found in an incipient, or even sometimes in a well developed condition, in the lower animals” (Darwin 1871).

In der Pädagogik gibt es verschiedene Methoden und Instrumente, die in der Therapie mit verhaltensauffälligen Kindern zum Einsatz kommen können. Eine noch eher unbeachtete Methode ist der Einsatz von Tieren. Dies beruht auf der Feststellung, dass diese dem Menschen nicht nur Gesellschaft bieten, sondern eine wohltuende und heilende Wirkung auf Körper und Seele haben. Die verschiedenen Lebewesen wie Hund, Pferd, Delphin und Kaninchen haben dabei ihre ganz individuelle Anziehungskraft und Auswirkung. Dies lässt sich auf die verschiedenen Charaktereigenschaften der Tiere zurückführen. Erfasst ein Pferd die menschliche Psyche? Pferde besitzen die emotionale Fähigkeit das menschliche Gefühlsleben wahrzunehmen und zu reflektieren. Doch ganz bewusst ist dieser Satz vorsichtig formuliert, da die Wissenschaft auf diesem Gebiet noch in den Anfängen steckt (vgl. Pferdegestützte Therapie bei psych. Erkrankungen, Opgen-Rhein, Klöschen- Dettling).

Der Einsatz des Pferdes als pädagogisches Medium findet bis heute wenig Akzeptanz, im Gegensatz zu anderen pädagogischen und heilpädagogischen Maßnahmen. Besonders die wissenschaftliche Argumentation ist nicht zufriedenstellend. Forschungen beziehen sich hauptsächlich auf die psychomotorische Ebene, was dazu führt, dass diese Therapiemaßnahme, seitens der Kostenträger auf wenig Aufmerksamkeit stößt.

Diese Bachelorarbeit beschäftigt sich mit der Frage, was die Maßnahme des Heilpädagogischen Reitens (HPR) in der Arbeit mit verhaltensauffälligen Kindern bewirken kann. Dabei soll festgestellt werden, warum das Pferd einen positiven Einfluss auf das Verhalten des Kindes hat. Im ersten Kapitel wird auf den aktuellen Forschungsstand eingegangen, ehe dann das Gesamtgebiet des Therapeutischen Reitens dargestellt wird. Dabei wird zunächst die geschichtliche Entwicklung behandelt, bevor die Zielgruppen, die Förderbereiche und das Beziehungsdreieck im heilpädagogischen Reiten näher betrachtet werden. Die Ursachen für den besonderen Einfluss des Tieres sollen im 4. Kapitel ergründet werden.

Auch ist es zunächst notwendig, den Begriff „verhaltensauffällig“ zu definieren. Die Erkenntnis über die Schwierigkeiten von verhaltensauffälligen Kindern ist eine wesentliche Voraussetzung für das heilpädagogische Vorgehen. Aus diesem Grund befasst sich das 5. Kapitel mit der Definition und der Ätiologie.

Da das Vorgehen im HPR maßgeblich von den individuellen Anliegen der jeweiligen Zielgruppe abhängig ist, ergeben sich unterschiedliche Förderdimensionen und Vorsätze in der Förderung mit dem Pferd. Die besonderen Inhalte und Förderziele des Heilpädagogischen Reitens für verhaltensauffällige Kinder, werden im 6. Kapitel erläutert. Abschließend soll das 7. Kapitel einen Konzeptentwurf und einen Einblick in die Praxis ermöglichen.

2. Aktueller Forschungsstand

In Deutschland sind in jedem dritten Haushalt Haustiere zu finden (Industrieverband Heimtierbedarf, 2016). Der Industrieverband Heimtierbedarf nennt in dieser aktuellen Studie von 2016, dass Heimtiere sogar in 44 % aller Haushalte in Deutschland existieren und es lässt sich sogar ein Wachstumstrend beobachten. Als besonders interessanter Aspekt dieser Studie wurde gemessen, wie das Verhältnis bei Familien mit Kindern beeinflusst wird. Die Gegenwart der Tiere in Familien mit Kindern, im Vergleich zu Familien ohne Kinder, steigt auf 61 % an. Dieser Wachstumstrend reflektiert sich auch bei der Anwesenheit von Tieren im pädagogischen und therapeutischen Einsatz wieder. Auch in Institutionen und Projekten werden Tiere immer beliebter, dies zeigt sich an der Zahl der durchgeführten tiergestützten Interventionen. Diese Tendenz bringt die Frage mit sich, inwieweit die Menschheit Nutzen aus dem Umgang mit Tieren ziehen kann, aber ebenso welche Risiken oder Grenzen damit verbunden sind (vgl. Buchner-Fuchs & Rose, 2012, S. 12-13).

Seit vielen Jahren versuchen Fachleute ihre aufgezeichneten Erfolge in der pferdegestützten Therapie auch theoretisch nachzuweisen. Für die Legitimation eines bestimmten therapeutischen Verfahrens ist eine Analyse mithilfe anerkannter wissenschaftlicher Methoden notwendig, da subjektive Erfolgseinschätzungen von Therapeuten oder Patienten zahlreichen Urteilsverzerrungen unterliegen können. Das Forschungsfeld der tiergestützten Therapie – und somit auch der pferdegestützten Intervention – ist noch vergleichsweise jung. Erst in den letzten Jahren wurde zunehmend auf eine wissenschaftliche Fundierung Wert gelegt. Bisher existieren vereinzelte Literaturübersichten, aber noch keine systematische Analyse zu dem Thema. In einer Meta-Analyse zur Wirksamkeit tiergestützter Therapieverfahren im Allgemeinen (vgl. Nimer/Lundahl 2007) befassen sich nur 10 von 119 einbezogenen Studien mit pferdegestützter Therapie. Eher geringe Effektstärken ergaben sich beim emotionalen Wohlbefinden (z.B. Depressivität oder Angst), moderate Effekte zeigten sich bei beobachtbaren Verhaltenserfolgen (z.B. Aggressivität) und hohe Effektstärken wurden schließlich bei medizinischen Erfolgsindikatoren (z.B. Blutdruck, Herzrate, Koordinationsfähigkeiten) erzielt. Bei pferdegestützten Therapieverfahren sollen die Auswirkungen auf psychische Parameter (z.B. Empathie, Selbstwertgefühl, Depressivität) von Kindern und Jugendlichen im Vordergrund stehen. Eine Vielzahl von Literaturdatenbanken (PsycINFO, PubMed u.a.) wurden durchforstet und 82% der Studien wurden in den letzten 15 Jahren durchgeführt. Dies weist darauf hin, dass sich erst seit einigen Jahren mit pferdegestützten Therapieverfahren beschäftigt wird. Der Großteil der Forschung stammt aus den USA, 63% der Studien bleiben unveröffentlicht und 37% wurden in Zeitschriften publiziert (vgl. Mensch & Pferd international, Zeitschrift für Förderung und Therapie mit dem Pferd, 2013). In den vorliegenden Studien wurden insgesamt 60 Erfolgsmessungen vorgenommen. Die meisten Erfolgskriterien bezogen sich inhaltlich auf selbstbezogene Parameter (z.B. Selbstkonzept, Selbstwertgefühl) oder Emotionen. 50% der erfassten Erfolgskriterien beruhen auf Selbstauskünften und 32% auf Fremdbeurteilung. Die restlichen 18% wurden über objektive Maße (wie z.B. standardisierte Tests) erhoben. Die vorliegenden Ergebnisse bestätigen zunächst, dass pferdegestützte Therapie signifikante und substanzielle Erfolge aufweist.

Die pferdegestützte Therapie weist kennzeichnende Erfolge auf, die Effekte schwanken aber in Bezug auf die Durchführungsmerkmale und in Abhängigkeit verschiedener Faktoren. Es liegen aber auch forschungsmethodische Probleme vor, die jedoch die grundsätzliche Wirksamkeit dieser Therapie nicht anzweifeln lässt. Es besteht eine signifikante Veränderung bei einem längeren Behandlungszeitraum, auch kommt es zu einer Änderung des Verhaltens oder der Selbstwahrnehmung. Diese Prozesse benötigen Zeit ehe sie in den Alltag übernommen werden. Zudem kommt es zu einer intensiven Beziehung zwischen Patient und Pferd sowie Patient und Therapeut. Ein erfolgreicher Beziehungsaufbau stellt die Basis tiergestützter Therapieverfahren dar (vgl. Parish-Plass, 2008). Auch deutet vieles darauf hin, dass Therapien in Gruppen effektiver sind als in Einzelstunden, denn man kann auf die Interaktion mit anderen Kindern besser eingehen und die sozialen Fähigkeiten verstärken (vgl. Vernoij Schneider, 2007). Bei der Frage ob die pferdegestützte Therapie bei verhaltensauffälligen Kindern helfen kann und auf welche Störungsbilder Einfluss genommen wird, muss berücksichtigt werden, dass die Studienanzahl zu gering ist, um wissenschaftlich fundierte Aussagen treffen zu können. Kinder mit emotionalen Problemen, Selbstwertproblemen und Verhaltensstörungen profitieren auf Grund der erhobenen Daten am stärksten von dieser Therapieform (vgl. Parish-Plass 2008).

Beispielsweise setzt im motorischen Bereich das heilpädagogische Reiten an der Körperwahrnehmung, Motorik und Körperbeherrschung der Klienten an. Durch die rhythmischen Bewegungen des Pferdes während des Reitens wird eine Lockerung der Muskulatur, eine Schulung der Raumlagekoordination und eine Verbesserung der Eigenwahrnehmung angestrebt (vgl. Steiner, 2008), sowie die Sensomotorik (vgl. Kröger, 2004). Diese positiven Auswirkungen der Reittherapie auf die physische Entwicklung der Kinder sind empirisch belegt. Bei einer Untersuchung von elf Studien mit 4 bis 30 Kindern, die über einen Zeitraum von 4 bis 39 Wochen am heilpädagogischen Reiten teilnahmen, konnte Mac Kinnon kennzeichnende Verbesserungen in den genannten Bereichen der motorischen Entwicklung nachweisen (vgl. Mac Kinnon, 1995).

3. Therapeutisches Reiten in der Pädagogik

Reiten als Reitsport untergliedert sich in verschiedene Teildisziplinen: Dressurreiten, Springreiten, Vielseitigkeitsreiten, Voltigieren, Westernreiten, Fahren, Rennreiten, Jagdreiten und Freizeitreiten. Seit einigen Jahren gewinnt das Medium Pferd neben vielen, vor allem freizeitlichen Aktivitäten, auch im Bereich der Heilung und Förderung an Bedeutung und wird hier vermehrt eingesetzt. Dennoch ist das Therapeutische Reiten ein recht junges Element unter den professionellen Angeboten im Gesundheits- und Sozialwesen. Die Arbeit mit dem Pferd in der Medizin, Psychologie und Pädagogik steckt im wissenschaftlichen Bezug noch in den Anfängen. Das 1970 gegründete „Deutsche Kuratorium für Therapeutisches Reiten e.V.“ (DKTHR) bildete das Fundament für die beständige Weiterentwicklung dieser Arbeitsweise (vgl. Institut für Therapeutisches Reiten e.V., 1999, S. 1).

Im Therapeutischen Reiten werden die emotionalen, kommunikativen, körperlichen und bewegungsspezifischen Ressourcen des Pferdes genutzt. Der Grundgedanke des therapeutischen Reitens ist es, die heilende Wirkung des Pferdes zu nutzen, um kranke oder behinderte Menschen aller Altersklassen zu fördern und zu unterstützen. Der Oberbegriff Therapeutisches Reiten bezieht sich dabei auf die Hippotherapie, den Behindertenreitsport und das Heilpädagogische Reiten (vgl. Klüwer, 1994, S. 18). Da sich die verschiedenen Konzeptionen hinsichtlich der Zielgruppe, Methodik und Zielsetzung differenzieren, wird sich im Folgenden auf das Heilpädagogische Reiten spezialisiert. Hier ist die Rede von einer Förderung durch intensiven Kontakt zum Pferd. Dieser Umgang soll einen Kontakt ermöglichen, der die emotionale, geistige und soziale Entwicklung des Menschen unterstützt (vgl. Gäng, 1994, S.17).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb.1: Ernst Reinhardt Verlag München Basel, Meike Riedel, Forum "Pferdgestützte Interventionen"

3.1 Geschichte

„In vergangenen Jahrhunderten wusste die Menschheit noch, dass ein Tier dem Herze wohl macht“ (Walther von der Vogelweide).

Schon vor Jahrzehnten erkannte der Mensch die Schönheit der Pferde. Diese Lebewesen faszinieren die Menschheit bis heute. Eine Horde wilder Pferde, frei galoppierend mit donnernden Hufen, ein spielendes Fohlen – sie machen sofort auf sich aufmerksam und man kann nicht anders als ihre Schönheit zu bewundern. Pferde stehen für Kraft, Stärke und Ausdauer.

Die Geschichte des Pferdes in der Therapie geht weit zurück. In Schriften aus dem 16. Jahrhundert stehen jedoch meist die gesund erhaltenden und gesundheitsfördernden Aspekte des Reitens im Vordergrund, weniger die Therapiemöglichkeiten. Bereits Hippokrates, der bekannteste Arzt der Antike, beschrieb den heilsamen Rhythmus des Reitens und das Wachsen des Selbstbewusstseins. Auch Goethe sah das Pferd als Organ des Menschen und wies auf die Heilwirkung des Reitens hin.

Nach dem 2. Weltkrieg fing ein Chefarzt in Bad Malente-Gremsmühlen mit Rehabilitationsmaßnahmen bei einseitig beinamputierten Patienten an, deren gestörtes Gleichgewicht mit Hilfe des Pferdes wiederaufgebaut wurde. Im Jahre 1953 formte der Mediziner Max Reichenbach im oberfränkischen Birkenreuth den Begriff Reiten als Therapie. Nachdem Ende der 1950-er Jahre der therapeutische Einsatz des Pferdes zur Behandlung von neurologischen und/ oder orthopädischen Erkrankungen des Bewegungsapparates verstärkte, etablierte sich die Hippotherapie in der medizinischen Heilbehandlung. So entwickelte sich erstmals in den 1960-er Jahren ein Ansatz zur pädagogischen Nutzung des Pferdes. Seit 1976 ermöglicht das Kuratorium Ausbildungslehrgänge im Therapeutischen Reiten, hierfür existiert das Angebot einer beruflichen Zusatzqualifikation in den verschiedenen Fachrichtungen seit 1977 (vgl. https://www.dkthr.de/de/verein/historie/).

3.2 Entwicklung in Deutschland

Da das Reiten als Therapieform in Vergessenheit geraten war, wurde es erst in den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts wiederentdeckt, doch dies zunächst als Hippotherapie (medizinisch ausgerichtet). In Deutschland entwickelte sich etwa Mitte der 60er Jahre das Heilpädagogische Reiten. Inzwischen bedienen sich viele Einrichtungen wie Sonderschulen, Kliniken, Reitställe oder Privathöfe dieser Form der Therapie (vgl. http://www.reinhardt-verlag.de/pdf/leseprobe020744.pdf). Als diese Entwicklung in Deutschland startete, etablierte sich diese auch in anderen Ländern wie Kanada, Frankreich, Großbritannien oder Italien (vgl. Klüwer, in Kröger, 2005, S.14).

In den 60er Jahren nahm man an, dass sich das Reiten positiv auf das Problemverhalten bei Kindern auswirken kann. Der Ursprung dieser Therapie findet sich in der Schweiz. Marianne Gäng publizierte 1983 ihr erstes Buch „Heilpädagogisches Reiten“ und so wurde das Thema immer bekannter. Zuvor in den 60er Jahren hatte sie Erfahrungen mit Islandpferden und ihren eigenen Kindern gemacht. Diese Feststellungen brachte sie dann in den 80er Jahre in Verbindung mit lern- und geistig- behinderten Schülern. Doch zunächst wurde der Umgang mit dem Pferd und das Reiten mit beeinträchtigten Kindern nur in Sonderklassen und Heimen getestet. Nachdem sich danach immer mehr Interessenten fanden, wurden Informationstage zum Thema Heilpädagogisches Reiten veranstaltet. Diese Weiterverbreitung führte dazu, dass aus den Informationsveranstaltungen Ausbildungskurse wurden (vgl. Gäng, 1994, S. 15).

1970 wurde das Kuratorium für Therapeutisches Reiten (KThR) gegründet. Seit 1972 nennt es sich Deutsches Kuratorium für Therapeutisches Reiten (DKThR) und hat mittlerweile über 3000 Mitglieder (vgl. http://www.dkthr.de/dkthrfakten.php). Antonius Kröger war in Deutschland der Erste, der 1969 seine Theorien im HPR mit verhaltensauffälligen Kindern veröffentlichte. Der Lehrer für lernbehinderte und verhaltensauffällige Kinder erkannte das große Interesse der Schüler an dem Lebewesen „Pferd“. Kröger bildete eigenständig ein Pferd aus, um es im Unterricht einzusetzen. Er nutzte die Begeisterung der Kinder, um die Erziehungsziele und Verhaltensmuster positiv zu bestärken (vgl. Gäng, 1994, S.15). 1977 trafen sich praktizierende Reittherapeuten und Wissenschaftler aus der Medizin, Pädagogik und Psychologie und versuchten die verschiedenen Anwendungsformen der Reitpädagogik auf Effektivität und Vermittelbarkeit zu überprüfen und aus diesen Erkenntnissen heraus eine Weiterbildungsmaßnahme für interessierte Berufsgruppen zu ermöglichen. Bis heute weitet sich das Angebot auch auf andere Institutionen aus, sodass das HPR auch in Tagesbildungsstätten, Jugendfarmen, Beratungsstellen und Regelschulen zu finden ist (vgl. Gäng, 1994, S. 16f).

3.3 Zielgruppen

„Gerade bei schwer traumatisierten, hyperaktiven, aggressiven und delinquenten Kindern und Jugendlichen scheinen Tiere oftmals das Eis brechen zu können, wo Erzieher und Therapeuten nicht mehr weiterwissen.“ (Saumweber, 2009, S.10).

Die Maßnahme des Heilpädagogischen Reitens richtet sich vor allem an Menschen mit Behinderungen, Wahrnehmungsbeeinträchtigungen, Entwicklungsrückständen oder Verhaltensauffälligkeiten wie zum Beispiel Lern- und geistige Behinderung, Verhaltensstörungen, Autismus, Psychosomatische Erkrankungen und viele mehr (vgl. DKThR). Vor Beginn einer Maßnahme sollte geklärt sein, ob aus ärztlicher Sicht Bedenken dahingehend bestehen, ob das Kind für das HPR geeignet ist (vgl. Kröger, 1994, S.105).

3.4 Förderdimensionen im heilpädagogischen Reiten

Unter dem Begriff Heilpädagogisches Reiten werden pädagogische, psychologische, rehabilitative und soziointegrative Angebote mit Hilfe des Pferdes bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen mit verschiedenen Behinderungen und Störungen zusammengefasst. Dabei steht nicht die Reitsportliche Ausbildung, sondern die individuelle Förderung über das Medium Pferd im Vordergrund, d.h. vor allem eine günstige Beeinflussung von Motorik, Wahrnehmung, Lernen, Befinden und Verhalten (Reittherapie Zentrum Berlin GbR).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 2: Mögliche Interventionsbereiche bei tiergestützten Interventionen (Trautner, 1992)

Es werden Grundkenntnisse des Reitens vermittelt, die die Entwicklung und die Befindlichkeit des Menschen mit Hilfe der Selbsterfahrung positiv beeinflussen sollen. Beim HPR werden nur speziell ausgebildete Pferde eingesetzt, um den Kindern die angstfreien Erfahrungen aufzeigen zu können. Ziel der Maßnahme ist es, das Selbstwertgefühl zu stärken, Ängste abzubauen, selbstbewusster zu werden und das Sozialverhalten aufzubauen. Diese Förderdimensionen werden vom deutschen Kuratorium für therapeutisches Reiten e.V. festgelegt (vgl. DKThR).

Das HPR bezieht sich nicht nur auf das Reiten, sondern auch auf das Umfeld des Pferdes und dessen Pflege. Um einen langsamen Kontakt zu ermöglichen, wird das Reittier als Erstes in seiner gewohnten Umgebung beobachtet und danach vom Kind geführt oder es läuft nebenher. Die Bewegungserfahrung auf dem Pferd in allen Gangarten, zu denen Schritt, Trab und Galopp zählen, ist nur ein Aspekt, den das Konzept beinhaltet (vgl. Gäng, 1994, S.23).

3.4.1 Kognitive Förderaspekte

Wenn man von einer Förderung im kognitiven Bereich spricht, dann beziehen sich die Möglichkeiten der Verbesserung auf die Konzentrations- und Gedächtnisleistungen. Auf Grund des HPR existiert die Möglichkeit, die ganzheitliche Wahrnehmung zu trainieren, die Sprachfähigkeit anzuregen und die Lern-/ Leistungsbereitschaft zu erhöhen (vgl. Kaune, 1993, S. 35). Da Pferde zu den Fluchttieren zählen und bei Gefahr weglaufen wollen, werden durch das Reiten die Aufmerksamkeit und das Reaktionsvermögen der Kinder geschult. Von den Kindern wird gefordert, stets achtsam zu sein und reaktionsschnell zu handeln, um die Kontrolle über das Tier zu behalten. Mit den vielen verschiedenen Übungen die angeboten werden, aber auch vor allem durch das selbstständige Lösen von Aufgaben wird die Kreativität geübt (vgl. Hartje, 2009, S.74).

3.4.2 Motorische Förderaspekte

Ziel ist es, die motorische Selbsterfahrung auf dem Pferd zu trainieren. Das Kind soll lernen seinen Körper besser wahrzunehmen und durch gezielte Übungen bekommt dieses die Möglichkeit, Grenzen und Fähigkeiten des eigenen Körpers zu entdecken. Ein weiterer Punkt der motorischen Förderung ist die positive Erfahrung durch Entspannung und Lockerung des Körpers. Durch das Reiten kommt es zu einer Verbesserung des Gleichgewichtsinnes, der Koordination sowie der körperlichen Zentrierung (vgl. Gathmann, 2004, S.45). Die Patienten entwickeln und schulen zudem das Gleichgewicht und die Haltung (vgl. Hartje, 2009, S.77 ff.). Ziel in diesem Bereich ist die Förderung der Bewegungsfreudigkeit, der Bewegungskoordination, die Erweiterung des Bewegungsrepertoires, sowie die Raumlageorientierung. Ein weiteres Ziel ist die Verbesserung der Psychomotorik (z.B. Mimik, Gestik, Sprache) (vgl. Vernooij, 2010, S.110 f.).

3.4.3 Emotionale Förderaspekte

Empathie mit einem Lebewesen zu haben bedeutet, sich in dessen Lage zu versetzen und mit ihm zu fühlen. In manchen Fällen wird man sich darüber klar, was der andere fühlen muss. Man kann seine eigenen Gefühle erkennen und angemessen reagieren.“ (Davis 1996).

Mit Hilfe des Pferdes und des HPR kann die emotionale Erlebniswelt des Kindes angeregt werden. Primär geht es hier um den Kontakt- und Vertrauensaufbau zu einem Lebewesen. Im Umgang mit dem Pferd kann es zu einer Steigerung der Frustrationstoleranz kommen, indem emphatische Handlungsweisen gegenüber dem Pferd angesprochen werden. Dazu bietet das HPR die Option eines langsamen Rückgangs in kindliche Verhaltensmuster, sowie die Bewältigung von Ängsten (vgl. Gathmann, 2004, S.45). Das Pferd spiegelt oft das Verhalten des Kindes wieder. Zeigt ein Kind hyperaktives Verhalten, wird auch das Pferd unruhig. Aggressivität kann ebenfalls eine gespiegelte Reaktion auslösen. Der Pädagoge muss nun dem Kind die Situation sowie die Wirkung seines Verhaltens auf das Tier erklären und mit ihm zusammen erarbeiten, wie es sich dem Pferd gegenüber verhalten muss, um mit ihm arbeiten zu können (vgl. Kaune, 2006, S.25).

3.4.4 Soziale Förderaspekte

Das Heilpädagogische Reiten wird in Einzelsitzungen oder als Gruppenförderungen eingesetzt. Durch die Zusammenarbeit in der Gruppe wird die Kooperationsfähigkeit des Kindes gefördert, es lernt seine eigenen Ich-Ansprüche in das Gruppengeschehen einzugliedern und versteht die Wichtigkeit anderen Kindern zu helfen, aber auch die Hilfe anderer anzunehmen. Ein weiterer wichtiger Gesichtspunkt ist der Abbau von aggressiven Verhaltensweisen, Rückzugstechniken und Isolation. Die Kinder bekommen die Chance Kontaktschwierigkeiten zu verringern und die Gruppenfähigkeit zu festigen (vgl. Gathmann, 2004. S.45.). Speziell für Kinder, die noch keine Erfahrungen mit Pferden haben, ist der Kontakt mit einem so großen Tier aufregend und herausfordernd. Durch die neuen Erfahrungen und die Arbeit mit diesem können die Kinder vermehrt Vertrauen aufbauen (vgl. Hartje, 2009, S.74 &S.94) und schnelle Erfolgserlebnisse erreichen, was wiederum zu mehr Selbstsicherheit und Selbstvertrauen des Kindes führt (vgl. Saumweber, 2009, S.112).

[...]

Ende der Leseprobe aus 48 Seiten

Details

Titel
Pferdesport als Therapie mit verhaltensauffälligen Kindern
Hochschule
Otto-Friedrich-Universität Bamberg
Note
1,3
Autor
Jahr
2018
Seiten
48
Katalognummer
V456251
ISBN (eBook)
9783668895652
ISBN (Buch)
9783668895669
Sprache
Deutsch
Schlagworte
pferdesport, therapie, kindern
Arbeit zitieren
Nicola Grasmeier (Autor:in), 2018, Pferdesport als Therapie mit verhaltensauffälligen Kindern, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/456251

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