Das Kind mit seiner Puppe. Die Beziehung zwischen jungen Frauen und ihren Kindern


Diplomarbeit, 2004

114 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Einleitung

1 Leben in Widersprüchen: Junge Mütter
1.1 Im Schatten der Aufmerksamkeit: Kinderwunsch und frühe Mutterschaft
1.2 Weibliche Adoleszenz
1.3 Familiäre und soziale Hintergründe bei früher Schwangerschaft
1.4 Entscheidungsfindungsprozesse
1.5 Der Alltag mit dem Kind

2 Die Beziehung zwischen Mutter und Kind
2.1 Die Bedeutung der Mutter-Kind-Beziehung
2.1.1 Vier Formen der Bindungsqualität
2.1.2 Transmission von Bindungsverhalten über die Generationen
2.2 Die Mutter-Tochter-Beziehung und ihre Auswirkungen auf frühe Mutterschaft

3 Aspekte der Mutterschaft in der Adoleszenz
3.1 Die Mütter – Zwischen Anspruch und Wirklichkeit
3.2 Die Väter und Partner – Randfiguren?
3.3 Die Großeltern – Wie die Mutter so die Tochter?
3.4 Die Kinder – Auf der Suche nach Geborgenheit

4 Ausblick für die Soziale Arbeit
4.1 Unterstützungsangebote für schwangere Teenagerinnen und junge Mütter mit Kind
4.1.1 Beratungsstellen und Ämter
4.1.2 Ambulante und stationäre Betreuung
4.2 Was stärkt die junge Mutter und ihr Kind?
4.2.1 Doppelorientierung vs. finanzielle Unabhängigkeit und Autonomie
4.2.2 Raum für sich: Bewusste Freizeitgestaltung
4.2.3 Professionelle Kinderbetreuung
4.2.4 Erziehungsbeteiligung der Väter und der Herkunftsfamilie
4.2.5 Kooperation und Vernetzung mit anderen Stellen

Schlussbetrachtung: Können junge Mütter ihren Kindern ausreichend gerecht werden?

Literaturverzeichnis

Internetverzeichnis

Vorwort

Meine ersten Begegnungen mit jungen Müttern liegen schon einige Zeit zurück, als drei Mädchen in meinem weiteren Bekanntenkreis im Abstand von einigen Jahren schwanger wurden und sich jeweils zum Austragen des Kindes entschieden. Schon währenddessen habe ich mich dafür interessiert, wie sich diese Teenagerinnen fühlten, als sie von ihrer Schwangerschaft erfuhren und welche Anforderungen es mit sich bringt sind, den Lebensalltag mit einem Kind zu bewältigen. Allerdings waren diese Gedanken persönlich motiviert, aus meiner eigenen Jugendlichkeit heraus, von der Angst ebenfalls diese Situation zu erleben.

Als ich mir Gedanken dazu machte, welches Thema ich meiner Diplomarbeit bearbeiten möchte, beriet ich mich mit einer Freundin, die zu dem Zeitpunkt als Sozialpädagogin in einer Mutter-Kind-Einrichtung tätig war. Diese Gespräche erweckten erneut mein Interesse am Thema ‚frühe Mutterschaft’, allerdings beschäftigte es mich nun aus dem Blickwinkel einer angehenden Sozialarbeiterin, also weniger aus persönlicher als aus professioneller Sicht. Als ich mich intensiver mit dem Thema auseinandersetzte, stellte ich fest, dass es zwar viele Untersuchungen und Literatur zu den Entstehungsbedingungen früher Mutterschaft gibt, zur Lebenssituation der jungen Frauen bei der Zeugung und nach der Geburt, Ideen zur Prävention früher Schwangerschaften sowie Projekte zur beruflichen Orientierung, jedoch wenig zur Beziehung zwischen jungen Müttern und ihren Kindern.

Um einen Einblick in die Praxis der Arbeit mit jungen Schwangeren sowie jungen Müttern mit Kindern zu bekommen und selber zu erleben, wie sich die Beziehung zwischen ihnen gestaltet, habe ich ein zweimonatiges Praktikum auf den Mutter-Kind-Etagen des Jugendwohnprojektes (JWP) im Diakonissenmutterhaus in Münster absolviert.

Während meiner Recherchen stieß ich auf Formulierungen wie „Sie befinden sich noch im spielerischen Umgang mit Zukunftsvisionen als Mutter, so wie sie jahrelang mit den Geschwistern und den Puppen gespielt haben“ (Gaarst 2001a: 12), „Sie empfinden sich auch anfänglich nach der Geburt ihres Kindes mehr als große Schwester denn als Mutter. Einige Mädchen berichten, dass sie erst im Laufe der ersten Lebensmonaten des Kindes angefangen haben, mütterliche Gefühle für das Kind zu entwickeln“ (Gaarst 2001a: 12) oder „Ich hab’ manchmal den Eindruck, die Mütter behandeln ihre Kinder wie ihre kleinen Geschwister, die sie nerven, und bei denen sie froh sind, wenn sie sie wieder abgeben können“ (Mitarbeiterin JWP).

So kam mir die Idee zum Titel meiner Arbeit: ‚Das Kind mit seiner Puppe’. ‚Kind’, weil die meisten Teenagerinnen zum Zeitpunkt des Eintritts der Schwangerschaft ihre Kindheit kaum verlassen haben. ‚Puppe’ weil die jungen Frauen sich selten vorstellen können, welche Belastungen das Leben mit einem Kind mit sich bringen kann. Gerne würden sie es wieder in die Ecke legen wie eine Puppe, wenn sie keine Lust mehr haben sich mit ihm zu beschäftigen. Gerne würden sie die Verantwortung wieder jemand anders überlassen, so wie bei einem Geschwisterkind, das letztendlich von den Eltern versorgt werden muss.

Einleitung

Die vorliegende Arbeit behandelt die Beziehung zwischen jungen Müttern und ihren Kindern, einem bisher wenig beleuchteten Bereich innerhalb der Jugendhilfe. Die jungen Frauen gehen in einem Alter, in dem sie sorglos leben und Zukunftspläne schmieden, mit ihrer Entscheidung für ein Kind eine Verpflichtung für viele Jahre in. Dieser Entschluss bringt viele Schwierigkeiten und Anforderungen mit sich, die sich auch auf die Entwicklung der Beziehung zwischen der Mutter und ihrem Kind auswirken, da die Voraussetzungen zum Aufbau und Erhalt einer einfühlsamen und haltgebenden Beziehung in starker Abhängigkeit zu der psychischen Verfassung der Frau stehen, welche wiederum beeinflusst wird durch die aktuellen Lebensumstände der kleinen Familie, also ihre sozialen und ökonomischen Verhältnisse. Die in dieser Arbeit beleuchteten jungen Mütter stammen aus belasteten Herkunftsfamilien, in denen sie selbst schon ungünstigen Beziehungsstrukturen ausgesetzt waren.

Junge Schwangere und Mütter stellen je nach Alter, Familienstand, Nationalität bzw. Land in dem sie aufgewachsen sind eine heterogene Gruppe dar, die näher ausdifferenziert werden muss. Sowohl in Bezug auf familiäre und soziale Hintergründe der Mädchen, aber auch für Gründe und Entstehungsbedingungen einer Schwangerschaft sowie die Mobilisierung verschiedener Ressourcen im Umfeld der jungen Frau spielen diese Aspekte eine Rolle. In dieser Arbeit liegt der Schwerpunkt auf der Beziehung zwischen Mutter und Kind, um auf Aspekte wie Altersunterschiede, soziale Komponenten oder eventuelle migrative Hintergründe näher einzugehen ist der Rahmen dieser Arbeit zu eng abgesteckt. Zudem betrachte ich ausschließlich die Biographien und Lebensumstände von Teenagermüttern, die im Kontakt mit professionellen Betreuungsinstitutionen stehen, also ambulanter oder stationärer Hilfen bedürfen. Mädchen, die mit ihrem Kind zu Hause wohnen bleiben können und keine professionelle Hilfe beanspruchen werden im Rahmen dieser Arbeit nicht thematisiert, da sie keine Adressatinnen der Sozialen Arbeit sind.

Es erscheint mir als gerechtfertigt, in der vorliegenden Arbeit unterschiedliche Bezeichnungen wie ‚adoleszente Mütter’, ‚jugendliche Schwangere’, ‚junge Frauen’, ‚Mädchen’ oder ‚Teenagermütter’ für ein und dieselbe Personengruppe zu verwenden, nämlich Schwanger und Mütter im Alter von etwas 12 bis 21 Jahren. Obwohl die formale Jugendlichkeit im Alter von 14 bis 18 Jahren angesetzt ist, kann die emotionale und ökonomische Entwicklung nicht genau eingegrenzt werden, sie verläuft fließend. Zudem wird hierdurch die Ambivalenz über ihre Persönlichkeit verdeutlicht, der sich viele der betroffenen Mädchen ausgesetzt sehen. Sie sind sowohl Jugendliche als auch erwachsene Frau und zugleich Mutter. Ihre Rolle ist nicht eindeutig, deshalb möchte ich mich auf keine Formulierung festlegen.

Daher werde ich im ersten Kapitel zum einen allgemeine Hintergrundinformationen zur Situation junger Schwangerer in Deutschland geben sowie zu den Aufgaben der Jugendphase, in der sich diese Mädchen befinden. Um ein Verständnis dafür zu schaffen, in welcher Lebenslage sich eine Teenagerin befindet, die ein Kind bekommt, werde ich charakteristische Merkmale der Herkunftsfamilie bzw. ihres sozialen Umfeldes darstellen und auf Erklärungsansätze zur Entstehung der Schwangerschaften sowie auf Schwierigkeiten und Probleme des Lebensalltags nach der Entbindung eingehen.

Zum besseren Verständnis der Bedeutung von Beziehungsstrukturen für ein Kind und seine Identitätsfindung, möchte ich im zweiten Kapitel einen Einblick in die Entwicklung der Beziehung zwischen einer Mutter und ihrem Kind geben. Da im Lebensverlauf einer Mutter vor allem die eigene Mutter eine bedeutungsvolle Position einnimmt, werde ich zudem die Beziehung zwischen Müttern und Töchtern näher beleuchten und Bezug nehmen auf die Beziehungserfahrungen, die ein großer Teil der adoleszenten Mütter gemacht hat.

Im dritten Kapitel beleuchte ich konkret die Beziehungsnetze einer jungen Mutter und ihres Kindes, um zu verdeutlichen, welche Bedeutung diese Strukturen haben und in welcher Weise sie sich auf die Persönlichkeitsentwicklung des Kindes auswirken können.

Im vierten Kapitel gebe ich zunächst einen Überblick über mögliche Unterstützungsleistungen für jugendliche Schwangere bzw. Mütter und ihre Kinder und mache schließlich Vorschläge zur Stärkung der Mutter-Kind-Beziehung. Es ist durchaus möglich, dass die junge Mutter und ihr Kind eine Beziehung zueinander entwickeln, welche die Grundlage für ein selbständiges Zusammenleben dieser kleinen Familie darstellt. Allerdings benötigen sie auf diesem Weg Hilfestellungen sowie Personen und Strukturen, die ihnen den dazu nötigen Halt geben, Sicherheit vermitteln und die erforderlichen Voraussetzungen schaffen

Immer wieder stößt man beim Thema ‚junge Mütter’ auf die weitläufige Meinung, dass diese Mädchen ihrem Kind keine ‚gute Mutter’ sein können, dass sie unfähig sind, weil sie ‚zu jung’ sind, weil sie noch über keinen Schulabschluss oder eine abgeschlossene Ausbildung verfügen und weil das Kind häufig ohne Vater in einer nicht vollständigen Familie aufwächst. Diese Haltung lässt in einer jungen Mutter einen hohen Erwartungsdruck entstehen, welcher sich wesentlich auf das Verhältnis zu ihrem Kind auswirken kann. Im Verlauf der Arbeit werde ich den Begriff der ‚guten Mutter’ aus weiteren Blickwinkeln betrachten, um ihn im Fazit abschließend zu diskutieren.

1 Leben in Widersprüchen: Junge Mütter

Für jede Frau hat eine Schwangerschaft eine individuelle Bedeutung. Eine 28-jährige Frau mit einer abgeschlossenen Ausbildung, die fest in das Berufsleben integriert ist und in einer festen Partnerschaft lebt, hat diese Schwangerschaft wahrscheinlich gewollt und auch geplant und freut sich nun, ein Kind zu bekommen. Diese Frau steht nicht vor der Entscheidung, ob sie das Kind behalten möchte, ebenso nicht vor der Frage, wie sie dieses Kind mit ihren Mitteln ernähren und erziehen soll. Sowohl ihre finanziellen als auch ihre sozialen Verhältnisse sind geklärt, sie fühlt sich in der Regel in der Lage dazu, ihr Kind aufziehen zu können.

Dagegen erlebt ein 15-jähriges Mädchen, das noch zur Schule geht, das Feststellen einer Schwangerschaft meist als einen Schock. Es weiß nicht, wie es weiter gehen soll und ist von der Situation überfordert, da es sich ein Leben mit einem Kind schwer vorstellen kann. Jedes dieser Mädchen hat einen anderen Sozialisationshintergrund und unterschiedliche Ressourcen zur Verfügung, welche sich auf das Erleben der Schwangerschaft und Mutterschaft auswirken, daher auch auf die Beziehung zu ihrem Kind. Kulturelle und soziale Hintergründe spielen dabei eine genau so wichtige Rolle, wie das Alter und der Reifegrad des Mädchens.

Als Einstieg in das Thema meiner Arbeit, die Beziehungsstrukturen jugendlicher Mütter und ihrer Kinder untersucht, möchte ich zum besseren Verständnis zunächst einige Hintergrundinformationen zur sexualpädagogischen Arbeit mit Mädchen, zur weiblichen Adoleszenz sowie zur Situation junger Schwangerer bzw. junger Mütter und ihrer Kinder geben.

1.1 Im Schatten der Aufmerksamkeit: Kinderwunsch und frühe Mutterschaft

Sowohl in der Sexualpädagogik also auch in sozialpolitischen Diskussionen spielte die Auseinandersetzung mit früher Mutterschaft lange eine untergeordnete Rolle. In den letzten Jahren und auch heute noch erschien die Beschäftigung mit Sehnsüchten und Wünschen bezüglich Schwangerschaft und Mutterschaft „… nicht nur als ungewöhnlich, sondern als fremd, ja fast gefährlich“ (Wittel-Fischer 2001: 21). Auf Kinderwünsche bezogene Themen sowie der Blickpunkt auf junge Frauen mit Kindern sind in der Sexualpädagogik weitgehend ausgeblendet worden. Dominante Themen in der Mädchen- und Frauenforschung waren gleichberechtigte Erwerbsarbeit und das Recht auf Abtreibung.

Wenn Mädchen dazu angeregt wurden, sich thematisch mit Schwangerschaft und Mutterschaft mit auseinanderzusetzen, dann geschah dies einseitig beleuchtet, mit dem Tenor, dieses möglichst zu vermeiden. Aufklärungsarbeit zu Aspekten wie Mutterschaft und Familiengründung war darauf konzentriert, jugendlichen Frauen Hilfestellung dabei zu leisten, ihre Sexualität selbstbestimmt zu leben und ungewollte Schwangerschaften zu vermeiden.

Trotzdem haben Mädchen und junge Frauen ein Interesse daran, sich mit ihrer möglichen Rolle als Schwangere und Mutter zu beschäftigen, auch wenn immer weniger Frauen die Mutterrolle in das eigene Lebenskonzept integrieren.

Die schlechten Aussichten auf dem Arbeitsmarkt verschärfen die Lebensplanung von Frauen, da viele sich heute erst spät erlauben, neben einer Absicherung im Beruf bewusst an Familienplanung zu denken. Erschwerend kommt hinzu, dass Mädchen zwar oft bessere Schulabschlüsse haben als Jungen, sie aber dennoch größere Schwierigkeiten haben einen Ausbildungsplatz zu bekommen und sich beruflich zu profilieren.

Die problemorientierte Einstellung zu früher Mutterschaft spiegelt sich auch in den Medien wieder. Bis vor wenigen Jahren wurden schockierende Meldungen über den Anstieg von Schwangerschaftsabbrüchen Minderjähriger und die Zunahme jugendlicher Mütter veröffentlicht. Adoleszente Mädchen sollten davon abgeschreckt werden, früh schwanger zu werden. Mittlerweile gibt es Beiträge in Zeitschriften und dem Fernsehen, welche sich nicht nur mit Daten und Fakten begnügen, sondern in denen die Lebenssituation dieser jungen Frauen sowie Hintergründe zur Entstehung der Schwangerschaften beleuchtet werden. Allerdings dienen auch diese meist der Abschreckung und stellen Versuche der Prävention dar anstatt die Vielseitigkeit dieses Phänomens zu bearbeiten.

Auch gesellschaftspolitische Veränderungen wie die Diskussion um den § 218 StGB ‚Schwangerschaftsabbruch’ oder die Einführung von Babyklappen zeigen, dass Frauen in Deutschland nach wie vor zu wenig Unterstützung darin bekommen, zu ihrem Kind zu stehen.

Es zeigt sich, dass unter anderem die Tabuisierung der Themen Schwangerschaft und Mutterschaft, der noch immer geschlechtsspezifisch gegliederte Ausbildungs- und Arbeitsmarkt sowie gesellschaftspolitische Bedingungen dazu führen können, dass die Lebens- und Berufsplanung von Frauen und besonders von Müttern eingeschränkt wird und Muttersein nicht nur als eine Bereicherung, sondern häufig auch als eine Belastung empfunden wird.

Bekommt eine Teenagerin ein Kind, unterliegt sie noch weit höherem Druck als Mädchen und Mütter generell schon ausgesetzt sind. Im Allgemeinen wird jungen Müttern ihre Rolle als Mutter nicht zugestanden. Die meisten Menschen vertreten die Meinung, dass ein Mädchen oder eine Frau, die früh schwanger wird, nicht in der Lage sein kann, ihr Kind ‚richtig’ zu erziehen, sie kann ihrem Kind keine ‚gute Mutter’ sein.

Ich möchte in dieser Arbeit die Probleme und Schwierigkeiten aufzeigen, die auf ein Mädchen zukommen, das früh ein Kind bekommt, und welche Auswirkungen diese Lebenssituation auf die Beziehung zwischen der Mutter und ihrem Kind haben kann.

Gegenwärtig kursieren über die Häufigkeit von Teenagerschwangerschaften in Deutschland widersprüchliche Einschätzungen, da es dazu keine genauen Angaben gibt.

Wittstock schreibt, die Zahl minderjähriger Mütter sei laut Medien angestiegen, die Vermittlungen von jungen Schwangeren und Müttern in Mutter-Kind-Einrichtungen seien jedoch im Gegensatz zu den Vorjahren zurückgegangen (Wittstock 2003: 25).

Es existiert keine Schwangerschaftsstatistik in dem Sinne, dass Schwangerschaften systematisch und methodisch einheitlich erfasst werden. Rückschlüsse über die Anzahl der Schwangerschaften im Allgemeinen und so auch über die Anzahl junger Mütter sind im Wesentlichen möglich über die Geburten- und Schwangerschaftsabbruchstatistik des Statistischen Bundesamtes.

Allerdings ist es problematisch, eine Zeitreihenbetrachtung für die Entwicklung der Häufigkeit von Schwangerschaftsabbrüchen vorzunehmen, da die rechtlichen Vorgaben zur Durchführung einer Abtreibung und die Erhebungsmethoden zur Erfassung von Abbrüchen zu verschiedenen Zeitpunkten nicht einheitlich waren. Laue und Heitmann weisen auf Faktoren wie die unterschiedlichen Erfassungssysteme bis 1990 in DDR und BRD hin. Ebenso sei zu beachten, dass Abbrüche in den alten Bundesländern bis Ende 1995 auf einem anonymen Erhebungsbogen gemeldet wurden, viele Stellen, die Abbrüche vornahmen, waren dem Statistischen Bundesamt gar nicht bekannt. Erst mit der Neuregelung der Bundesstatistik über Schwangerschaftsabbrüche ab 01. Januar 1996 sind die Ärzte auskunftspflichtig über jede vorgenommen Abtreibung (Laue/Heitmann 2001: 5).

Trotz dieses Mangels an Daten liegt laut Bauer die Vermutung nahe, dass die Anzahl jugendlicher Mütter anwächst, da „.. eine Zunahme von Abtreibungen bei jungen Mädchen zwischen 12 und 14 Jahren von 1996 bis 2001 belegt ist …“ (Bauer 2003: 12). Spezifische Zahlen hierzu führt Oestreich an, indem sie auf eine Verdopplung der Schwangerschaftsabbrüche bei unter Vierzehnjährigen von 365 im Jahr 1997 auf 761 Abtreibungen im Jahr 2002 hinweist. Während volljährige Frauen immer weniger Abbrüche vornehmen lassen, steigen die Zahlen bei Minderjährigen an (Oestreich 2003: 14).

Osthoff behauptet dagegen, in Deutschland sei die Zahl der Teenagermütter zurückgegangen, jährlich gebe es etwa 5.000 minderjährige Mütter. Zwischen 1980 und 1985 habe der Wert bei 19.000 jungen Müttern pro Jahr gelegen, von 1985 bis 1992 habe diese Zahl nur noch konstant zwischen 9.000 und 10.000 pro Jahr gependelt (Osthoff 1999: 4).

All diese Aussagen können anhand der Angaben des Statistischen Bundesamtes (1982-2003)1 überprüft werden. Im Jahr 1980 wurden in Deutschland 620.657 Kinder lebend geboren, von diesen hatten 76 eine unter 15-jährige Mutter, 7.776 eine Mutter zwischen 15 und 17 Jahren und 214.787 eine Mutter zwischen 18 und 25 Jahren. Im gleichen Jahr wurden von den insgesamt 87.702 gemeldeten Schwangerschaftsabbrüchen 163 bei unter 15-Jährigen, 4.277 bei 15- bis 17-Jährigen und 27.381 bei 18- bis 25-Jährigen vorgenommen.

Zehn Jahre später, 1990, lag die Geburtenrate in der Bundesrepublik im Gesamten etwas höher, bei 727.199 Lebendgeburten, die Zahl der gebärenden jungen Mütter bis 25 Jahren hat sich aber deutlich verringert. Ebenso wurden weniger Schwangerschaftsabbrüche vorgenommen als 1980.

In den neunziger Jahren nahm die Häufigkeit von Abbrüchen beständig zu. Zwischen 1997 und 2001 lag sie kontinuierlich bei etwa 131.000 im Jahr bei gleichzeitigem Anstieg der Geburten von Mädchen unter 15 Jahren sowie Teenagerinnen bis 17 Jahren. Die Anzahl der Geburten bei Frauen und Mädchen unter 25 Jahren war bis zum Jahr 1997 weitgehend konstant, seitdem steigt die Rate besonders bei Müttern unter 18 Jahren.

Zu beachten sei an dieser Stelle, dass sich die Angaben bis einschließlich 1990 auf die alten Bundesländer beziehen, Zahlen aus späteren Jahren beinhalten Werte aus den alten und den neuen Bundesländern. Zudem wurde 1995 die Rechtsgrundlage zur Strafbarkeit von Schwangerschaftsabbrüchen (§ 218 StGB) abgeändert. Vor 1995 war ein Abbruch nur bei medizinischer oder kriminologischer Indikation (durch einen Arzt und Beratungsstelle) straffrei. Seit 1995 ist eine Abtreibung zwar grundsätzlich rechtswidrig, für ganz Deutschland gilt aber die Fristenregelung, d.h. unter bestimmten Voraussetzungen, nämlich dem Nachweis, dass eine Beratung bei einer Schwangerenberatungsstelle stattgefunden hat, bleibt ein Abbruch bis zur 12. Woche straffrei (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 07.08.2003).

Die Aufstellungen des Statistischen Bundesamtes zeigen, dass die Zahl der Geburten bei jungen Müttern im Gegensatz zu den 80er Jahren zurückgegangen ist, die Menge der vorgenommen Schwangerschaftsabbrüche bei unter 25-jährigen jedoch zugenommen hat. Besonders auffällig ist der konstante Anstieg von Abbrüchen bei Jugendlichen unter 18 Jahren. Diese Zahlen unterstreichen die Vermutung, dass die Anzahl junger und jugendlicher Schwangerer und Mütter in letzten Jahren angestiegen ist.

Zudem stellen PraktikerInnen fest, dass vor allem in den Mittel- und Großstädten die Zahl schwangerer minderjähriger Mütter und Mütter zwischen 18 und 25 Jahren in den verschiedenen Formen der Erziehungshilfen zunimmt (Bünemann de Falcón/Bindel 1991: 17, Kluge 1995: 219, Remberg 2001a: 4).

Diese Entwicklungen deuten darauf hin, dass die Anzahl jugendlicher Schwangerer und Mütter in den kommenden Jahren weiter ansteigen wird, dass diesem Feld in der Sozialen Arbeit eine höhere Bedeutung zukommen wird.

1.2 Weibliche Adoleszenz

In der Adoleszenz haben junge Menschen viele Entwicklungsaufgaben zu bewältigen, die sie verunsichern und labilisieren. Diese haben starken Einfluss auf ihre Lebensgestaltung sowie ihre Möglichkeiten zur Bewältigung von Schwierigkeiten und Problemen. Die genannten Faktoren haben eine erhebliche Auswirkung auf die Beziehungsfähigkeit einer Jugendlichen zu ihrem Kind, da diese im Wesentlichen abhängig ist von der aktuellen psychischen Verfassung der Mutter.

Der Begriff ‚Adoleszenz’ stammt aus der Entwicklungspsychologie und meint die Lebensphase eines Menschen etwa zwischen dem 12. und 21. Lebensjahr. Eine genaue Eingrenzung ist schwer möglich, da sich der Zeitpunkt der Geschlechtsreife und der Zeitpunkt der materiellen und emotionalen Selbständigkeit immer weiter voneinander entfernt haben (Osthoff 1998: 15). Im Gegensatz zur Pubertät, also den biologischen Veränderungen des Körpers, meint Adoleszenz die psychischen und sozialen Prozesse dieser Zeit. Die Begriffe ‚Jugend’ und ‚Jugendphase’ wiederum kommen aus der Soziologie, meinen aber ebenfalls den Zeitraum von etwa 12 bis 21 Jahren.

Diese Zeit des Übergangs von der Kindheit zum Erwachsensein „… gilt als die traditionelle Übergangsphase schlechthin, …“ (Boeger 2000: 49). Sie stellt einen besonders bedeutsamen Abschnitt im Leben eines jeden Menschen dar, weil viele Lebensveränderungen und Umbrüche auf unterschiedlichen Ebenen stattfinden, vieles verliert an Wichtigkeit, anderes gewinnt an Bedeutung.

Diese Umgestaltungen lassen sich unterscheiden in zum einen biologische und psychische Entwicklungsverläufe und zum anderen in Bewältigungsaufgaben im sozialen Umfeld, welche durch psychische Irritationen, Labilisierungen, Zweifel und Identitätsdiffusionen bestimmt sind. Wichtige Merkmale der körperlichen Vorgänge sind das Wachstum der inneren und äußeren Genitalien, ein beschleunigtes Längenwachstum mit Veränderungen der körperlichen Proportionen und einer Neuorganisation der motorischen Koordination, eine Zunahme der Körperbehaarung und der Eintritt der Geschlechtsreife (Osthoff 1998: 16).

Die in der Adoleszenz einsetzenden Körperentwicklungen sind die stärksten im gesamten Lebensverlauf. Gesundheit und Integrität, Attraktivität, körperliche Leistungsfähigkeit und die geschlechtsspezifischen Veränderungen sind für die Selbstwahrnehmung, aber auch im Umgang mit FreundInnen sowie heterosexuellen Beziehungen von enormer Bedeutung.

Zu den vorrangigen psychischen Entwicklungsabläufen in der Adoleszenz zählen der Umgang mit und die Integration des sich verändernden Körperbildes in das eigene Selbstbild, die Entwicklung des abstrakten Denkens, die Bildung einer eigenständigen Identität, ein wachsendes ‚Ich’-Bewusstsein als personale und soziale Identität sowie die Suche nach dem Sinn des Lebens und damit einhergehend die Entwicklung eines eigenen Lebensstils sowie eines realistischen Selbstkonzeptes (Boeger 2000: 49).

Zudem müssen die jugendlichen Mädchen und Jungen sich mit einer Reihe von neuen Bewältigungsaufgaben auseinandersetzen, wie beispielsweise der Ablösung und Neubestimmung des Verhältnisses zu den Eltern und der gleichzeitigen Integration in Peergruppen, der Aufbau von freundschaftlichen und auch partnerschaftlich-sexuellen Beziehungen, schließlich auch die Vorbereitung auf ein Familienleben (Boeger 2000: 49, Osthoff 1998: 17).

Jugendliche durchlaufen also eine Reihe von grundlegenden Veränderungen, die von ambivalenten Gefühlen begleitet sind. Sie das Bedürfnis sich auszuprobieren, streben nach Autonomie und Veränderungen, gleichzeitig sind sie durch die vielen neuen Eindrücke und Veränderungen verunsichert und suchen Halt, indem sie an alten Beziehungen und Einstellungen festhalten. Daher ist die Adoleszenz begleitet von unterschiedlichsten Emotionen: „Aufbruchstimmungen, Träume und erwartungsvoller Liebes- und Lebenshunger vermischen sich und wechseln sich ab mit Einsamkeitsempfindungen, Trauer, Wut, Überdruß und vielerlei Hemmungen“ (Flaake/King 1992: 8).

Von besonderer Brisanz für die Jugendlichen sind die Möglichkeiten und Herausforderungen unserer ‚Risikogesellschaft’2. Auf der einen Seite stehen verschiedenste Möglichkeiten zur Lebensgestaltung, da die individuellen Freiheitsgrade zugenommen haben, Handlungsspielräume weiten sich mehr und mehr. Dadurch steigt aber auch die Anforderung an junge Menschen, mehr oder weniger konkrete Lebenspläne zu entwerfen und Entscheidungen in vielen differenzierten Bereichen nicht nur zu treffen, sondern auch zu verantworten. Hierin liegen zum einen Chancen für die Heranwachsenden, aber es fehlt auch an Orientierung und Sicherheit. Diese Schwierigkeit findet sich auch in der Gestaltung von partnerschaftlichen Beziehungen wieder. Ehemals vorhandene altersspezifische Normen, Werte und Moralvorstellungen verlieren an Gültigkeit, die Gestaltung des Sexuallebens vom Aufbau einer Intimbeziehung bis hin zum Verhütungsverhalten wird anfälliger und zerbrechlicher (Osthoff 1998: 18).

Für Mädchen bedeutet die Adoleszenz der Übergang vom Kind zur Frau. Dieser Wandel beinhaltet spezifische körperliche Abläufe wie das Wachsen der Brüste, die Veränderungen der inneren und äußeren Genitalien sowie das Einsetzen der Menstruation. Die Mädchen müssen die Entwicklungen in ihr Körperbild integrieren, nicht gekannte sexuelle Wünsche und Erregungen verarbeiten und sich mit ihrer Fruchtbarkeit sowie der Möglichkeit von Schwangerschaft und Mutterschaft auseinandersetzen, was zu großen Verunsicherungen führt, da der Körper plötzlich fremd wird (Flaake 2000: 53).

Im Jugendalter werden Mädchen stärker als zuvor mit den gesellschaftlichen Bestimmungen und Erwartungen an ihre Geschlechtlichkeit konfrontiert. Auf der einen Seite eröffnet sich im beruflichen Bereich durch bessere Ausbildungs- und Qualifizierungsmöglichkeiten die Chance zur Gewinnung von Autonomie und finanzieller Selbständigkeit. Auf der anderen Seite bestehen patriarchale Strukturen fort, die die Frauen auf den Familienbereich festlegen. Für sie bedeutet Entscheidungen zu treffen und Verantwortung für die eigene Lebensplanung zu übernehmen also eine ‚doppelte Orientierung’, nämlich die parallele Integration von Familie und Beruf. Die meisten jungen Frauen wollen nicht auf die Rolle der Hausfrau und Mutter festgelegt werden, aber auch nicht auf eine eigene Familie verzichten (Geissler/Oechsle 1996: 29). Sie werden mit der Notwendigkeit konfrontiert, Leistungen in zwei Lebensbereichen mit gegensätzlichen Anforderungen und Erwartungen zu erbringen, was zu Verunsicherungen sowie Überforderungen führen und dadurch eine eindeutige Identitätsbildung erschweren kann.

1.3 Familiäre und soziale Hintergründe bei früher Schwangerschaft

Betrachtet man die Entstehungsbedingungen und Gründe früher Schwangerschaften, sollte man zunächst bedenken, inwieweit die Biographien der jungen Frauen bereits vor der Entstehung der Schwangerschaft Belastungen aufwiesen, wie sich die Lebenssituation der Mädchen und Frauen zum Zeitpunkt des Eintritts der Schwangerschaft gestaltete und welche Auswirkungen die Schwangerschaft und das Leben mit dem Kind auf den Alltag der jungen Frau haben, schließlich werden die Kinder jugendlicher Mütter zumeist in eine Situation hineingeboren, die von vornherein als riskant eingeschätzt werden könnte.

Die zu Beginn der Jugendphase allgemein herrschende Ideologie der Freiheit und der grenzenlosen Möglichkeiten ist für Mädchen der heutigen Generation besonders verlockend, da ihnen viele Optionen noch vor wenigen Jahren nicht zugestanden wurden. Sie orientieren sich an Werten wie ‚Die Welt steht Dir offen’, ‚Du kannst Dir alles kaufen’, ‚Du bist frei’ und ‚Du kannst alles selbst entscheiden’. Diese Lebenseinstellung führt zu Konflikten, wenn die Basis für das Ausleben dieser Träume nicht vorhanden ist, weil weder emotionaler Halt durch vertrauensvolle Familien- und Freundschaftsbeziehungen, schulisches oder berufliches Eingebundensein noch ausreichende finanzielle Möglichkeiten vorhanden sind (Bünemann de Falcón/Bindel-Kögel 1991: 17).

Für die Lebensverläufe vieler junger Schwangerer und Mütter sind instabile Familienverhältnisse mit massiven Belastungen wie Alkoholismus, Erwerbslosigkeit und materieller Not der Eltern oder deren Partner, Gewalterfahrungen, Vernachlässigung oder Trennung der Eltern sowie Krankheiten, Unfälle oder Tod im engsten Familienkreis charakteristisch (Gaarst 2001b: 16).

Ebenfalls auffällig ist, dass die Kindheit vieler junger Mütter „… geprägt [ist] durch eine chaotische und aggressive Familienumwelt mit häufig abwesenden Vätern und emotional wenig Wärme und Unterstützung gewährenden Müttern…“ (Schleiffer 2001: 126). Sie sind ohne richtungweisende Vaterfigur aufgewachsen, da dieser die Familie häufig früh verlassen hat und viele Mütter wechselnde Partner hatten. Lebte die Mutter mit einem festen (Ehe-)Partner, spielte dieser allerdings selten eine relevante Rolle im Leben der Tochter3.

„ Meinen Vater kann man ja sowieso vergessen.“ (Bier-Fleiter / Grossmann 1989: 161)

Die einzige konstante Bezugsperson dieser Mädchen ist daher die Mutter, bei der sie aber selten familiäre Geborgenheit und Vertrauen kennen lernten, was ich im Kapitel ‚Die Mutter-Tochter-Beziehung’ näher betrachten werde. Nicht wenige Mädchen haben sogar das Gefühl von ihrer Herkunftsfamilie abgelehnt zu werden.

Ein großer Teil der Frauen hat schon in der Kindheit die negative Erfahrung gemacht, dass Sexualität und Gewalt nah beisammen liegen, oft gehörten auch Alkohol und andere Drogen zum Alltag Die Beziehung zu ihren Eltern ist oft geprägt von Orientierungs- und Haltlosigkeit, weshalb sie immer wieder nach Geborgenheit und Liebe suchen, es aber nicht schaffen, (Liebes-)beziehungen stabil und aufrecht zu erhalten. Sie suchen in Beziehungen die ihnen aus der Familie bekannten Muster (Gaarst 2001a: 10).

Ein Drittel der jüngsten Mütter wurde sexuell missbraucht, weshalb der Erzeuger ihres Kindes häufig ein Mitglied der Familie wie der eigene Vater oder der Partner der Mutter ist (Wittstock 2003: 25).

Viele der Mädchen mussten schon früh die Erwachsenenrolle übernehmen, indem sie zu Hause die Versorgung jüngerer Geschwister übernahmen und Verrichtungen im Haushalt erledigten, da die eigenen Eltern damit überfordert waren.

„Wenn die Mutter betrunken war, gab es ständig Streit. Das Leben mit der Mutter war schlimm genug. Musste mich selbst erziehen und pflegen…zu Hause war nichts…alles selbst organisiert.“ (Wittstock 2003: 25)

„Seit ich 14 bin, hab ich irgendwie für mich alleine gesorgt. Ich hab zwar noch damals zu Hause gewohnt, aber hab mich selbst versorgt, irgendwie.“ (Bünemann de Falcón/Bindel-Kögel 1993a: 25)

Selten erlebten sie in der Phase der Identitätsfindung ihre Eltern als Vorbild und Orientierungshilfe. Daher haben sie ein nur geringes Selbstwertgefühl entwickelt, sind stark verunsichert in ihrer Persönlichkeit und emotional vernachlässigt.

Viele Herkunftsfamilien stehen in langjährigem Kontakt zum Jugendamt, einige der Mädchen haben bereits in Heimen oder Pflegefamilien gelebt, andere machten Erfahrungen mit Drogen, manche haben schon einige Zeit auf der Straße gelebt (Gaarst 2001a: 10).

„… dann fing es halt mit den Drogen an, dann bin ich gar nicht mehr nach Hause gegangen, dann hat mein Bruder auch eine Vermisstenanzeige aufgegeben und dann hat mich die Polizei gesucht und auch einmal aufgegriffen, dann wieder nach Hause gebracht, wieder abgehauen, dann haben die auch irgendwann gesagt, das bringt nichts mehr …“ (Bünemann de Falcón/Bindel-Kögel 1993a: 37)

Die Kontakte zu Gleichaltrigen sind geprägt durch den Wunsch nach Freiheit und Abenteuer, aber auch von dem Bedürfnis nach Anerkennung, Liebe und Geborgenheit. Viele der jungen Mütter haben sich schon früh, etwa ab dem 13. Lebensjahr, vom Elternhaus gelöst, indem sie sich entweder in sich zurückgezogen haben oder aber sich nach außen orientierten. Daher sind frühe feste Partnerschaften, die Suche nach und der Auszug in Ersatzfamilien oder Wohngemeinschaften sowie kurzfristige Entweichungen keine Seltenheit (Bünemann de Falcón/Bindel-Kögel 1991: 18).

Der dadurch bedingte häufige Bezugspersonenwechsel führt nicht selten dazu, dass die Mädchen instabil, psychisch gestresst und verunsichert sind. Dieser Erfahrung wirkt sich auch auf ihr Verhältnis zu Schule und Beruf aus. Im Hinblick auf die beruflichen Pläne haben die meisten der jungen Frauen eher vage Vorstellungen über ihre künftigen Berufswege. Bei einigen der Mädchen ist der schulische Werdegang etwa ab der 9. Klasse durch häufiges Fehlen gekennzeichnet. Sie wechseln berufliche Qualifizierungsmaßnahmen und Ausbildungsplätze, weshalb ihnen oft qualifizierte Ausbildungsabschlüsse fehlen (Bünemann de Falcón/Bindel-Kögel 1991: 18).

Aufgrund der biographischen Entwicklungen der jungen Frauen kommt es häufig zu stark belastenden Ausgangssituationen in ihren Jugendphasen, sie befinden sich also bereits vor der Schwangerschaft in einer Konfliktsituation. So gesehen sind frühe Schwangerschaften „…in erster Linie nicht die Ursache, sondern die Folge massiver psychischer und sozialer Probleme der Betroffenen“ (Osthoff 1999: 5).

Nur wenige junge Frauen haben einen expliziten Kinderwunsch, in der Regel haben sie sich nicht bewusst für eine Schwangerschaft entschieden, allerdings ist die „.. Abgrenzung von gewollten und ungewollten Schwangerschaften .. problematisch, da mehr oder weniger starke Konflikte auch bei Frauen auftreten können, die der Schwangerschaft grundsätzlich positiv gegenüberstehen“ (Holzhauer 1989: 67).

Aus Sicht der Mädchen ist die Schwangerschaft häufig ein zunächst ungeplantes Ereignis, das aber dennoch von einigen Mädchen durchaus riskiert wurde. Der Begriff ‚ungewollte’ Schwangerschaft kann durch entsprechende Attribute wie ‚unerwünscht’, ‚ungeplant’ oder ‚unerwartet’ ersetzt werden, denn vor allem bei jungen Müttern ist es schwierig diese Begriffe voneinander abzugrenzen, da die Gründe für die Schwangerschaft häufig unbewusst sind.

Wenn die Teenagerinnen von ihrer Schwangerschaft erfahren, ist es für die meisten zunächst ein Schock. Sie suchen nach Erklärungen, die ihnen die Bewältigung der Tatsache erleichtern und die Last der Verantwortung lindern können. Meistens bringen sie zu ihrer Entlastung Gründe an, die außerhalb ihrer Eigenverantwortung liegen. Nur wenige Jugendliche verstehen ihre Schwangerschaft als Konsequenz ihres eigenen Handelns, was auf eine Überforderung der meisten mit ihrer Verantwortung im sexuellen Bereich hinweist.

Die Entstehung einer unerwarteten Schwangerschaft, also die Gründe, warum sich Mädchen auf nicht ausreichend geschützten Geschlechtsverkehr einlassen, müssen aus verschiedenen Perspektiven betrachtet werden.

Ein Problem ist die häufig mangelnde Sexualaufklärung in Form von unzureichendem Wissen über die verschiedenen Möglichkeiten der Verhütung, eine innere Abwehr vor der Einnahme der Pille oder Unsicherheit und Überforderung im Umgang mit anderen Verhütungsmitteln wie einem Diaphragma oder Kondom.

Viele Mädchen verstehen ihre Schwangerschaft als ‚Unfall’, da sie doch kontrazeptive Maßnahmen wie die Pille oder das Kondom ergriffen bzw. mit der Temperatur- oder Kalendermethode verhütet hätten. Sie argumentieren mit dem Restrisiko dieser Verhütungsmittel oder z.B. dass die Wirkung der Pille durch die Einnahme von Medikamenten oder durch Stresssituationen herabgesetzt war, was ihnen in diesem Moment jedoch nicht bewusst war (Remberg 2001a: 5). Vielen der jungen Frauen fehlt es auch an der erforderlichen Disziplin für die Einnahme der Pille wie einer festen Tagessstruktur (Bauer 2003: 13).

Die Mehrheit jugendlicher Schwangerer und Mütter gibt allerdings an, gar nicht verhütet zu haben. Viele glauben an Mythen wie ‚nicht so schnell’ oder ‚nicht beim ersten Mal schwanger werden zu können’, vor allem sehr junge Mädchen haben oft noch keinen regelmäßigen Menstruationsrhythmus und wissen daher nicht, wann ihre Empfängniszeiten sind bzw. haben diese falsch errechnet.

„… der Arzt meinte zu mir, wenn ich die Pille absetze, dauert es manchmal zwei bis drei Jahre, bis man schwanger wird, darum habe ich nicht geglaubt, schwanger werden zu können.“ (Bünemann de Falcón/Bindel-Kögel 1993a: 103)

Einige Mädchen lehnen die Pille aufgrund des chemischen Eingriffs in die natürliche Funktion des Körpers ab oder weil sie eine Gewichtszunahme und andere Nebenwirkungen fürchten. Eine Reihe von jungen Frauen empfinden Kondome als ‚irgendwie ekelig’ oder die sexuelle Situation beeinträchtigend. Andere Jugendliche, die nicht verhütet haben, argumentieren mit Gründen wie dem Absetzen der Pille wegen Nichtvertragens oder mit Schwierigkeiten bei der Beschaffung derselben aus Angst vor Frauenarztbesuchen (Remberg 2001a: 5).

Der Geschlechtsverkehr war häufig auch so spontan, dass sie entweder nicht an Verhütung dachten oder keine Zeit dazu blieb, entsprechende Kontrazeptiva zu besorgen Die Mädchen waren also nicht in der Lage, notwendige Fristen ohne Geschlechtsverkehr einzuhalten bzw. mit anderen Verhütungsmitteln zu überbrücken.

Einige der jungen Schwangeren geben an, mit dem Kindesvater über Verhütung gesprochen zu haben, viele allerdings finden nicht den Mut dazu oder aber die Eigendynamik der sexuellen Situation führte wie oben dargestellt dazu, dass unmittelbare Befriedigung der Lust den möglichen Konsequenzen und verantwortlichem Handeln übergeordnet wurde (Remberg 2001b: 9).

Hier wird das Dilemma deutlich, in dem sich viele Jugendliche befinden. Sie werden zwar in den unterschiedlichsten Zusammenhängen wie Schule, Fernsehen oder Zeitschriften mit den Themen Sexualität und Verhütung konfrontiert und setzen sich damit auch interessiert auseinander, viele für sie relevante konkrete Fragen und Probleme bleiben dabei aber anscheinend unberücksichtigt. Eine Forschungsreihe der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung4 ergab beispielsweise, dass der Aufklärungsunterricht in der Schule von jungen Frauen als „… uninteressant und lebensweltlich irrelevant …“ (Remberg 2001b: 7) empfunden wurde. Die Sexualerziehung habe biographisch zu früh (‚peinlich’) oder zu spät (‚langweilig’) stattgefunden oder sei zu abstrakt bzw. zu sachlich und wissenschaftlich (‚rein biologisch’) gestaltet worden. Kritisiert wurde zudem, dass wesentliche für die Mädchen interessante und bedeutungsvolle Inhalte wie z.B. die ‚Pille danach’, Bedeutung und Ablauf des weiblichen Zyklus oder ‚eigene Gefühle’ in der sexuellen Entwicklung nur eingeschränkt oder gar nicht behandelt wurden.

Es wird vermutet, dass die Schwangerschaft bei adoleszenten Mädchen oft den Versuch darstellt, konflikthafte Lebenssituationen in der Herkunftsfamilie, der Pflegefamilie oder mit dem Freund zu bewältigen (Pregitzer 2001: 18), hinzu kommen also unbewusste psychische Wünsche und Sehnsüchte, die zu ungeschützten Sexualkontakten führen, beispielsweise um den Partner mit einem Kind an sich zu binden. Oft spielen auch Wünsche nach stabilen Bindungen eine Rolle, nämlich endlich etwas Eigenes zu haben, eine eigene Familie und von dieser gebraucht zu werden. Die Auseinandersetzung mit Schwangerschaft und Mutterschaft ist in diesem Fall somit weniger rational als emotional.

„Ich wollte schon mit elf ein Kind haben, bin erwachsen, … will es Mutter beweisen … es gehört nur mir. Ich habe etwas Eigenes zum Liebhaben.“ (Wittstock 2003: 25)

„Ich hab mir das nie so überlegt, ne eigene Familie oder ein Kind, bloß, ich hab schon immer gemerkt, dass ich irgendwie so, so’n Drängen in diese Richtung hab, dieses Drängen nach Sicherheit.“ (Bünemann de Falcón/Bindel-Kögel 1993a: 93)

Ein weiteres Motiv kann der Wunsch nach Anerkennung durch die Umgebung sein, „… wo doch das bisherige Leben ihnen [den Mädchen] nur wie eine Kette von Misserfolgen erscheint“ (Wittstock 2003: 25). Für junge Frauen, die das Gefühl haben nirgendwo hin zu gehören und für niemanden von Bedeutung zu sein, mutet die Mutterschaft als Weg an, einen anerkannten sozialen Status und gesellschaftliche Akzeptanz zu erlangen. In der Rolle der Mutter werden sie wahrgenommen und gebraucht, was die gesuchte und benötigte Sicherheit und Orientierung bieten soll.

Zudem wird die Mutterschaft aus der Sicht der Mädchen vom Staat durch Erziehungsurlaub und Erziehungsgeld befürwortet und belohnt, was das Selbstwertgefühl zunächst aufwerten kann. Auf der Suche nach Anerkennung wird das Kind dadurch zur ‚materiellen und emotionalen Unterhaltsquelle’ (Berger 1988: 334).

Vermutlich versuchen auch einige Mädchen die anstrengende und verunsichernde Phase der Adoleszenz zu überspringen. Besonders häufig scheint dies der Fall bei jungen Frauen zu sein, die früh Verantwortung innerhalb der eigenen Familie übernehmen und erwachsen werden mussten. Sie identifizieren sich mit dem traditionellen Rollenverständnis der Frau, indem sie die Mutterrolle sie unangefochten zu einer wirklichen, erwachsenen und anerkannten Frau macht (Sozialdienst katholischer Frauen e.V. 1994: 17).

Schließlich kann die Mutterschaft sogar den (zumindest zeitweisen) Ausstieg aus Schule oder Ausbildung ermöglichen, wenn sie „... als überbelastend oder qua mangelnder Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt als irrelevant empfunden …“ (Bauer 2003: 14) wird. Die Entwicklung und Umsetzung einer Erwerbsarbeitsperspektive ist für viele dieser Frauen unter anderem vor dem Hintergrund einer problematisch verlaufenen Lebensgeschichte mit hohen Anstrengungen und Schwierigkeiten verbunden. Viele der betroffenen Mädchen gehen schon längere Zeit unregelmäßig oder gar nicht zur Schule, ihr sozialer Status dort ist gering, ein Abschluss in wenigen Fällen in Sicht (Gaarst 2001a: 11). Eine Familie, die versorgt werden muss, erscheint dann lohnender, da dieser Aufgabenbereich fest umrissen ist und klar abgesteckte Verantwortlichkeiten beinhaltet.

Wenn an dieser Stelle die Motive von Schwangerschaften im Jugendalter analysiert wurden, sollte zusätzlich auf den Zusammenhang der im Kapitel ‚Im Schatten der Aufmerksamkeit: Kinderwunsch und frühe Mutterschaft’ beschriebenen Phänome von früherer Geschlechtsreife und Zunahme von Schwangerschaften in besonders jungem Alter geworfen werden.

Es ist erwiesen, dass sich die Sexualreife sowohl von Mädchen als auch von Jungen in beschleunigter Weise vorverlagert hat. Im Jahr 1860 lag das durchschnittliche Menarchealter5 deutscher Mädchen bei 16,6 Jahren, 1920 bei 14,6 Jahren und 1980 bei 12,5 Jahren. Für das Jahr 2010 wird eine Vorverlagerung auf 10,3 Jahre prognostiziert (Kluge 2002: 19). Hierzu trägt der allgemein verbesserte Ernährungszustand bei, zudem hat eine vermehrte Östrogenzufuhr6 dazu geführt, dass sich die Geschlechtsreife der Mädchen nach vorne verlagert hat.

Aber nicht nur der Zeitpunkt der körperlichen Sexualreife verfrüht sich, ebenso das Sexualverhalten adoleszenter Jungen und Mädchen, was Kluge am Beispiel des ersten Geschlechtsverkehrs (Kohabitarche) verdeutlicht. Eine Studie in den Jahren 1980/81 hat ergeben, dass Jungen ihren ersten Geschlechtsverkehr im Alter von 18 Jahren erlebten, Mädchen im Alter von 17,3 Jahren. 1994 lagen die Angaben für beide Geschlechter bei 14,9 Jahren (Kluge 2002: 21).

Experten vermuten, dass das Handeln der Teenager durch die biologische Vorverlagerung der Geschlechtsreife beeinflusst wird, aber auch aufgrund des Umgangs mit Sexualität in der Öffentlichkeit und den Medien. Schon am Nachmittag laufen beispielsweise Talkshows mit explizitem Inhalt wie der Darstellung von „… neue[n] Sexideen, Perversionen und Vaterschaftstests“ (Oestreich 2003: 14). Diese Themen sind natürlicherweise für jungen Menschen interessant und wecken ihre Neugierde am Ausprobieren.

Man kann davon ausgehen, dass die Vorverlagerung der Sexualreife und die der ersten sexuellen Kontakte dazu beitragen, dass vor allem die Anzahl der sehr jungen Schwangeren und Mütter steigt. Je jünger die Mädchen und Jungen sind, desto schwerer fällt es ihnen die hohen Anforderungen an Selbstkontrolle, Körperwahrnehmung und Kooperation mit dem Sexualpartner zu erfüllen, die eine möglichst sichere Verhütung mit sich bringen sollten. Sie sind zudem psychisch noch nicht in der Lage, eine Verbindung herzustellen zwischen ihrem Handeln und den Konsequenzen daraus.

Die Gründe für frühe Schwangerschaften sind also auf vielen verschiedenen Ebenen zu suchen, die nicht einzeln für sich stehen, sondern in einem kausalen Zusammenhang betrachtet werden müssen. Furstenberg et al. fassen die Situation ganz passend zusammen: „.. if teens had to take a pill to become pregnant, relatively few would elect to do so“ (Furstenberg et al. 1989: 314).

1.4 Entscheidungsfindungsprozesse

Es kann vermutet werden, dass die stetigen Veränderungen gesellschaftlicher Zusammenhänge dafür sorgen, dass sich die Wertigkeiten Jugendlicher beispielsweise in Bezug auf berufliche Lebensentwürfe, Partnerschaft bzw. Ehe, Verhütungsverhalten und Elternschaft wandeln. Tendenzen wie zunehmende Individualisierung und Pluralisierung bewirken, dass sich der Mensch aus historisch vorgegebenen Sozialformen löst, Normen an Verbindlichkeit einbüßen und er sich weniger an festen Werten orientieren kann. Daraus ergibt sich notwendigerweise, dass der Mensch seine Biographie individuell und vor allem eigenverantwortlich planen muss7. In der Adoleszenz haben junge Menschen die Möglichkeit, verschiedene Modelle der Lebensgestaltung auszuprobieren und dadurch ihre Lebensentwürfe kontinuierlich zu entwickeln, sie befinden sich in einer Phase, in der sie „… bezüglich ihrer Identitätsentwicklung, Berufs- und Lebensplanung und Verselbständigung gerade erst […] ‚schwimmen lernen’“ (Friedrich 2000: 91).

Bemerken junge Mädchen in dieser Zeit ihre Schwangerschaft, stehen sie plötzlich vor einer drängenden Entscheidung für sie unbekannten Ausmaßes, die für ihr zukünftiges Leben verbindlich ist. Ein Kind zu bekommen, wenn die eigenen Kindheit kaum hinter einem liegt, bedeutet eine sehr große Verpflichtung. Die jungen Mädchen lernen gerade für sich selber Verantwortung zu übernehmen und müssen sie nun für einen weiteren Menschen übernehmen. Sie zeigen sehr heftige Reaktionen wie Schock, Angst und Überforderung, aber auch Freude.

Nicht wenige der jungen Mädchen stellen erst nach Wochen fest, dass sie schwanger sind. Einige rechnen überhaupt nicht mit einer Schwangerschaft, zudem haben viele Teenagerinnen noch keine regelmäßigen Monatsblutungen, so dass ihnen deren Ausbleiben nicht auffallen muss. Andere verdrängen den Gedanken an diese Möglichkeit und haben daher Angst, einen Schwangerschaftstest zu machen, oder verheimlichen das Ergebnis vor den Eltern oder dem Freund aus Angst zu einem Abbruch gezwungen zu werden (Osthoff 1999: 5).

Auch nehmen Mädchen, vor allem solche mit Missbrauchserfahrungen und einer daher meist mangelnden oder gestörten Beziehung zu ihrem Körper, die möglicherweise mit einer Schwangerschaft zusammenhängenden Veränderungen der Körpertemperatur oder der eigenen Körpergerüche nicht so intensiv wahr wie ältere Frauen, zumal sie noch im Wachstum sind und der Körper natürlicherweise üppiger und runder wird (Gaarst 2001a: 10).

Bei ungeplanten Schwangerschaften entsteht eine Konfliktsituation, welche von einer großen Ambivalenz geprägt ist. Bei der Verarbeitung dieses Konfliktes spielen Überlegungen zur aktuellen und zukünftigen sozialen, psychischen aber auch finanziell-ökonomischen Lebenssituation sowie die schon beschriebenen unbewusste Mechanismen der jungen Schwangeren eine Rolle. Ambivalent ist dieser Konflikt in mehrfacher Hinsicht. Die Jugendliche kann einer Entscheidung nicht ausweichen, eine Kompromisslösung nicht möglich, es gibt nur die Möglichkeit zum Abbruch der Schwangerschaft auf der einen Seite und die Entscheidung für das Austragen des Kindes auf der anderen Seite. Die schließlich getroffene Entscheidung kann nicht mehr revidiert werden. Diese muss unter erheblichem Zeitdruck und zusätzlichem Druck aus dem sozialen Umfeld gefällt werden und die Konsequenzen beider Entschlüsse sind vielfältig, sie verändern und bestimmen das ganze Leben (Kappen 1990: 144).

Die meisten empfinden sich als zu jung, um Mutter zu werden, sie haben Angst vor einer Zukunft mit dem Kind. Sie fühlen sich in ihrer neuen Situation überfordert und sehen zahlreiche Schwierigkeiten wie finanzielle Notlagen und den Abbruch ihrer schulischen bzw. beruflichen Ausbildung. Vielen wird der Umgang mit dieser Situation noch schwerer gemacht durch labile Beziehungen zum Partner oder mangelnden Rückhalt durch die Herkunftsfamilie.

„Ich dachte, jetzt hast du dir alles versaut, die ganze Jugend, die Zukunft, alles, was ich vorhatte, im Beruf und so. Und auf der anderen Seite habe ich mich auch gefreut, dass jetzt ein kleiner Wurm kommt.“ (Thiel 1997: 37)

Die Mädchen nehmen die Schwangerschaft ganz unterschiedlich wahr. Da besonders Jugendliche sensibel auf die pubertären körperlichen Entwicklungen reagieren und die äußerliche Erscheinung einen hohen Stellenwert hat, fällt es einigen schwer zu akzeptieren, dass sich ihr Körper verändert und die weiblichen und mütterlichen Formen auch beibehält (Lütke Hündfeld 2003: 31). Erschwerend kommt hinzu, dass der dicke Bauch eindeutig anzeigt, dass die Teenagerin schon Geschlechtsverkehr hatte und nicht oder nicht ‚richtig’ verhütet hat. Dies kann von der Umgebung und dadurch auch von der jungen Frau als Makel empfunden werden (Osthoff 1999: 6) und zu Stigmatisierungen führen. Einige schwangere Mädchen beschreiben aber, dass sie durch das Kind im Bauch das Gefühl haben nicht alleine zu sein, was ihnen Wärme und Geborgenheit vermittelt.

Dass adoleszente Mädchen bewusst oder unbewusst das Risiko einer Schwangerschaft auf sich nehmen, bedeutet nicht, dass sie die Mutterrolle bedingungslos übernehmen. Die Entscheidung für oder gegen das Kind ist ein von Sehnsüchten und tiefen Ängsten begleiteter Verlauf. Die Väter scheinen in diesem Prozess und bei der letztendlichen Entscheidung meist keine Rolle zu spielen, zumal viele auf die Schwangerschaft ihrer Partnerin mit Ablehnung reagieren. Nicht wenige stellen sogar ihre Mitverantwortung in Frage, weshalb das Jugendamt in 60-70% der Fälle einen Vaterschaftsprozess anstreben muss (Gaarst 2001a: 11)8.

Die Gründe, warum sich junge Mädchen für die Fortsetzung der Schwangerschaft entscheiden sind vielfältig.

„Ich wollte nicht abtreiben, ich muss dafür geradestehen was passiert ist.“ (Bewohnerin JWP)

Hintergrund einer Entscheidung für die Schwangerschaft sind nicht selten ‚sexualmoralische Wertvorstellungen’ (Gaarst 2001a: 11) bzw. ethische Aspekte wie das Lebensrecht des Kindes oder die Angst vor einer Abtreibung. Die jungen Frauen empfinden eine Abtreibung als ‚Tötung’ und lehnen sie ab, vor allem, wenn sie schon Ultraschallbilder des Kindes gesehen haben und sich dadurch mit dem Kind verbunden fühlen.

„… Weil ich total dagegen bin…Ich weiß net, das lebt, und ich komm mir dann vor, ich würd dann jemand umbringen…Abtreiben ist das Letzte.“ (Bier-Fleiter 1992: 306)

Wie schon erläutert bedeutet eine ungeplante Schwangerschaft nicht unbedingt, dass sie auch ungewollt ist. Daraus kann für die Teenagerin die Motivation entstehen diese Situation durchzustehen zu wollen.

„… ich habe mich für ein Kind entschieden, jetzt will ich das auch durchziehen, auch wenn es anstrengend ist.“ (Feddersen 1999: 8)

Bei allen spielt bei der Entscheidung für das Kind der Wunsch nach einem Neubeginn, nach einem neuen Lebensimpuls mit neuen Chancen, eine Rolle. Die Mädchen sehen das Kind als Hoffnungsträger für die Möglichkeit, die bisherigen Lebensbedingungen zu verändern und aus alten Bezügen wie der Herkunftsfamilie, der Drogenszene oder dem Straßenleben auszusteigen. Der Schwangeren wird die Möglichkeit gegeben zu beweisen, dass sie erwachsen und in der Lage ist ein Kind aufzuziehen.

„Das war für mich so ein Anfang, wieder ein ganz ganz toller Beginn, daß jetzt alles gut wird, so irgendwie, ja.“ (Bünemann de Falcón/Bindel-Kögel 1993: 95)

Viele Frauen verbinden, wie bereits beschrieben, mit der Entscheidung, das Kind zu behalten, „… den Wunsch und die Sehnsucht nach etwas Eigenem und nach Geborgenheit und Liebe durch das Kind befriedigen zu können“ (Gaarst 2001a: 11).

Um Drängen und Fragen ihres sozialen Umfeldes wie der Familie und Freunden ebenso des Jugendamtes zu entgehen, versuchen viele Mädchen ihre Schwangerschaft bis zur 12. Woche zu verheimlichen.9 Sie haben Angst davor, dem Druck nicht gewachsen zu sein und schließlich unfreiwillig zu einem Abbruch der Schwangerschaft gedrängt zu werden. Die jungen Schwangeren entwickeln häufig aus dieser Angst heraus starke Kräfte und großes Durchhaltevermögen gegen die Umwelt, den Willen ihrer Eltern oder den des Kindesvaters (Wittstock 2003: 25).

Betreuerinnen von Mutter-Kind-Einrichtungen berichten aus der Praxis, dass die Entscheidung, das Baby zu behalten und nicht abzutreiben, von vielen schwangeren Jugendlichen bewusst getroffen wird, wobei ihnen allerdings die realistische Vorstellung von der psychischen und physischen Belastung, die auf sie zukommen wird, häufig fehlt (Bauer 2003: 13).

Auf die Möglichkeit einer Inpflegegabe des Kindes werde ich im Kapitel ‚Ambulante und stationäre Betreuung’ noch näher eingehen, daher hier nur ein kurzer Überblick.

Empirische Untersuchungen belegen, dass sich nur wenige Mädchen, die ihr Kind ausgetragen haben, für eine Freigabe ihres Kindes zur Adoption bzw. zu einer Inpflegegabe entscheiden. Sie denken zwar im Laufe der Schwangerschaft oder auch nach der Geburt des Säuglings über diese Möglichkeit nach, verwerfen sie allerdings meist rasch wieder. Sie glauben zum einen, die Situation mit dem Kind zu meistern und eine positive Beziehung zu ihrem Kind aufbauen zu können, zum anderen argumentieren viele Mütter damit, nur sie selbst könnten ihr Kind erziehen (Osthoff 1999: 6). Die Inpflegegabe des Kindes bedeutet aus der Sicht der jungen Frau gescheitert zu sein.

Entscheidet sich eine junge Mutter zur Abgabe ihres Kindes, geschieht dies in den meisten Fällen aus der Erkenntnis der eignen Unzulänglichkeit heraus. Die Mädchen wünschen ihm ein sicheres Umfeld mit Geborgenheit, günstigen materiellen Bedingungen und eine vollständige Familie.

„Weil ich auch noch Halt und alles brauche, und das habe ich net gekriegt von meiner Mutter und meinem Vater … und deshalb habe ich unwahrscheinliche Angst, daß ich das bei meinem Kind genauso mache … Ich habe auch echt irgendwie Angst, ob ich dem Kind Mutterliebe oder so richtig geben kann, weil ich das net gekriegt habe, und daß ich das dann später auch irgendwie ins Heim schicken tue und des will ich net.“ (Bier-Fleiter / Grossmann 1989: 68)

Wenige der jungen Frauen geben ihr Kind freiwillig ab, häufig haben sie das Gefühl von ihrer Familie und SozialarbeiterInnen der verschiedenen Unterstützungs- und Beratungsstellen unter Druck gesetzt zu werden (Klees-Möller 1993a: 173/174).

Entscheidet sich eine junge Mutter dazu, ihr Kind in Pflege zu geben, ist die für sie häufig mit den wenigsten Ängsten und Schuldgefühlen fällt die Wahl oft auf die mit den wenigsten Schuldgefühlen und Ängsten verbundene Möglichkeit, nämlich die der Inpflegegabe zu Verwandten. Häufig sind es die Großmütter, die sich bereit erklären, das Kind aufzunehmen.

Da der Schwerpunkt dieser Arbeit auf der Beziehung zwischen jugendlichen Müttern und deren Kindern liegt, werde ich auf die Entscheidungsfindungsprozesse, die zu einem Abbruch der bestehenden Schwangerschaft führen, nur kurz eingehen.

Eine Abtreibung ist selten von nur einem Anlass motiviert, sondern durch ein ganzes Bündel an Gründen, die mit erfahrenen und vorausgegangenen psychosozialen Belastungen des Mädchens zusammenhängen. Die jugendlichen Schwangeren können sich in dem Moment nicht vorstellen, ein Kind in ihre Lebensplanung zu integrieren, ihnen erscheinen die damit verbunden Probleme und Schwierigkeiten zu groß, sie fühlen sich damit überfordert.

Viele der Frauen geben ‚ich-orientierte’ Argumente wie ‚Ich bin noch zu jung und nicht reif genug für ein Kind’, ‚Die Verantwortung für ein Kind ist mir noch zu groß’ oder ‚Ich bin noch in der Ausbildung / will meinen Beruf nicht aufgeben’ an.

Andere denken aus der Perspektive des Kindes. Sie möchten nicht dafür verantwortlich sein, dass dieses unglücklich aufwächst.

„Ich mache mir zuviel Sorgen. Welche Zukunft hätte den mein Kind?“ (Wolfrum 1999: 141)

Die Beziehung zum Partner beeinflusst ebenfalls den Entscheidungsprozess, z.B. wenn die Teenagerinnen nicht erwarten können von ihm Unterstützung zu erhalten, wenn sie sich mittlerweile vom Vater des Kindes getrennt haben oder aber sie befürchten, die Beziehung zum Freund könnte durch ein gemeinsames Kind gefährdet werden (Langsdorff 1996: 37).

Andere Argumente sind solche auf der ökonomisch-sozialen Ebene wie ‚Ich bekomme finanzielle Schwierigkeiten’ oder ‚Es ist schwierig mit einem Kind eine Wohnung zu finden’ (Thiel 1997: 41).

„Ein Kind kostet viel Geld. Als Auszubildende verdiene ich nicht genug, um mich und das Kind ordentlich durchzubringen.“ (Wolfrum 1999: 141)

Sich für einen Abbruch zu entscheiden ist von vielen Sorgen und tief greifenden Ängsten begleitet, die meisten Mädchen tragen schwere innere Konflikte mit sich aus, es ist keine Entscheidung, die eine Frau leichtfertig trifft. Die seelische Belastung ist groß, sowohl vor der Abtreibung als auch danach. Verschlimmernd hinzu kommt, dass Unbeteiligte einer Frau, die eine Schwangerschaft abbrechen möchte oder schon abgebrochen hat, gern Bequemlichkeit und Scheu vor der Übernahme von Verantwortung unterstellen, es wird über die Mädchen ‚getuschelt’, weil sie ihre eigenen Lebensplanungen über das Recht auf Leben stellen.

[...]


1 Vgl. hierzu auch nebenstehende und auf der nächsten Seite folgende Tabellen.

2 Dieser Begriff ist geprägt worden von Ulrich Beck in seinem Buch Risikogesellschaft, welches in der Literaturliste aufgeführt ist.

3 Bünemann de Falcón und Bindel-Kögel führten Interviews mit jungen Müttern zwischen 13 und 25 Jahren, in denen sich herausstellte, dass die Väter in den Schilderungen der Befragten deutlich in den Hintergrund traten (Bünemann de Falcón / Bindel-Kögel 1991: 17).

4 Das Projekt wird im Kapitel ‚Beratungsstellen und Ämter’ näher vorgestellt.

5 Das Menarchealter bezeichnet das Alter, in dem bei Mädchen die erste Monatsblutung einsetzt. Ab diesem Zeitpunkt ist ein Mädchen geschlechtsreif.

6 Östrogen ist das weibliche Sexualhormon.

7 Zu den Veränderungen in unserer Gesellschaft verweise ich erneut auf Beck 2001: Risikogesellschaft.

8 Auf die Situation der Väter werde ich im Kapitel ‚Die Väter und Partner – Randfiguren?’ zurückkommen.

9 Der § 218 StGB legt fest, dass ein Schwangerschaftsabbruch für die gesamte Dauer der Schwangerschaft rechtswidrig und grundsätzlich unter Strafe gestellt ist. Ausnahmen bezüglich der Strafbarkeit sind nach bestimmten Anforderungen bis zur 12. Schwangerschaftswoche möglich.

Ende der Leseprobe aus 114 Seiten

Details

Titel
Das Kind mit seiner Puppe. Die Beziehung zwischen jungen Frauen und ihren Kindern
Hochschule
Katholische Fachhochschule Nordrhein-Westfalen - Abteilung Münster
Note
1,7
Autor
Jahr
2004
Seiten
114
Katalognummer
V456108
ISBN (eBook)
9783668894112
ISBN (Buch)
9783668894129
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Bindungsqualität - Adoleszenz - frühe Mutterschaft
Arbeit zitieren
Judith Rösing (Autor:in), 2004, Das Kind mit seiner Puppe. Die Beziehung zwischen jungen Frauen und ihren Kindern, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/456108

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