"Weil du arm bist, musst du früher sterben"? Sozioökonomischer Status und gesundheitliche Ungleichheit


Bachelorarbeit, 2016

80 Seiten, Note: 1,3

Anonym


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Vorbemerkung

1. Einleitung

2. Theoretischer Hintergrund zur gesundheitlichen Ungleichheit
2.1 Der materielle Erklärungsansatz
2.2 Formulierung der Hypothesen

3. Forschungsstand

4. Beschreibung der verwendeten Daten: ALLBUS 2014

5. Auswertung
5.1 Deskriptive Ergebnisse
5.2 Multivariate Ergebnisse

6. Fazit und Diskussion

Literaturverzeichnis

Anhang

Vorbemerkung

Die vorliegende Bachelorarbeit wurde im Juni 2016 an der Ludwig-Maximilians- Universität München eingereicht.

Ich möchte mich an dieser Stelle bei allen bedanken, die mich während der Anfertigung dieser Arbeit unterstützt haben.

Ganz besonders danke ich meinem Betreuer für die hilfreichen Gespräche und Anregungen.

Tabellenverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1. Einleitung

Die Weltgesundheitsorganisation definiert Gesundheit als einen Zustand, der nicht nur gekennzeichnet ist durch das Fehlen von Krankheit und Gebrechen, sondern auch durch komplettes geistiges, körperliches und soziales Wohlbefinden (Vgl. WHO 2003). Da in Deutschland das Prinzip der Sozialstaatlichkeit gilt, ist die Absicherung im Krankheitsfall gesetzlich verankert: Die Rechtsgrundlage für die gesetzliche Krankversicherung (GKV) ist im Fünften Buch Sozialgesetzbuch (§ 1 SGB V) geregelt.

Aufgabe der gesetzlichen Krankenversicherung ist es,

„die Gesundheit der Versicherten zu erhalten, wiederherzustellen oder ihren Gesundheitszustand zu bessern ( … ) . Die Versicherten sind f ü r ihre Gesundheit mitverantwortlich; sie sollen durch eine gesundheitsbewusste Lebensf ü hrung, durch fr ü hzeitige Beteiligung an gesundheitlichen Vorsorgema ß nahmen sowie durch ak- tive Mitwirkung an Krankenbehandlungen und Rehabilitation dazu beitragen, den Eintritt von Krankheit und Behinderung zu vermeiden oder ihre Folgen zu ü berwin- den. Die Krankenkassen haben den Versicherten dabei durch Aufkl ä rung, Beratung und Leistungen zu helfen und auf gesunde Lebensverh ä ltnisse hinzuwirken “ .

Ziele umfassen also sowohl Prävention als auch Gesundheitsförderung. Kennzeichen der GKV ist das Solidaritätsprinzip: Die Beitragssätze richten sich nach der individuellen finanziellen Leistungsfähigkeit der Versicherten. Alleiniges Kriterium für die Inanspruchnahme der Leistungen ist dagegen die Bedürftigkeit (GKV Spitzenverband 2015). Die Starken übernehmen die Lasten der Schwachen. Folglich sollte es keine sozialen Barrieren im Gesundheitssystem geben, eine gleiche Versorgung für alle Bürger unabhängig von der sozialen Schicht müsste gewährleistet sein.

In der Realität ergibt sich allerdings ein anderes Bild: Obwohl über 90 % der Bundesbürger in der GKV versichert sind, fällt auf, dass zwar insgesamt in Deutschland der Gesundheitszustand und die Lebenserwartung ansteigen, dies für Personen aus einer niedrigen sozialen Schicht aber langsamer als für den Rest der Bevölkerung geschieht (Bauer et al. 2008; Graham/Kelly 2004). Die Lebens- erwartung bei Geburt liegt aktuell für Jungen bei 78 Jahren und für Mädchen bei 83 Jahren. Das bedeutet, dass die Lebenserwartung in den letzten zehn Jahren bei Jungen um 2 Jahre und bei Mädchen um 1,5 Jahre angestiegen ist (Statistisches Bundesamt 2016). Dennoch sterben Menschen mit einem niedrigen Einkommen im Schnitt 10 Jahre früher als Menschen mit einem hohen Einkommen und weisen außerdem ein höheres Morbiditätsrisiko auf (RKI 2015). Gesundheit ist abhängig von der Schichtzugehörigkeit: Bildung, Beruf und Einkommen als klassische Indikatoren des sozioökonomischen Status haben einen entscheidenden Einfluss auf den Gesundheitszustand (Vgl. Richter/Hurrelmann 2009: S. 13). Unterschiede in der gesellschaftlichen Stellung bedingen gesundheitliche Ungleichheit. Die Redewendung „Weil du arm bist, musst du früher sterben“ scheint also immer noch zu gelten. Gesundheit ist nicht nur eine medizinische Angelegenheit, das zeigt auch die Entstehung der Medizin- und Gesundheitssoziologie. Gesundheit ist immer auch abhängig von sozialen Faktoren, weshalb es unerlässlich ist, ein aktuelles Thema wie gesundheitliche Ungleichheit in der Soziologie zu untersuchen.

Ziel dieser Studie ist es, den Zusammenhang zwischen dem sozioökonomischen Status und der Gesundheit empirisch zu untersuchen. Die verwendete Theorie (Kapitel 2) ist ein materieller Erklärungsansatz, der zusammen mit anderen klassischen Theorien im sogenannten Black Report veröffentlicht wurde und davon ausgeht, dass sich der Zusammenhang zwischen der sozialen Schicht und dem Gesundheitszustand auf unterschiedliche Belastungen durch Wohn- und Arbeitsumfeld zurückführen lässt (Townsend/Davidson 1992). Die Ausarbeitung des bisherigen Forschungsstandes zur gesundheitlichen Ungleichheit erfolgt in Kapitel 3. Im Kapitel 4 werden die verwendeten Daten sowie die Operationalisierung dargestellt: Als empirische Grundlage dienen die Daten des ALLBUS 2014, die unter anderem aufgrund der hohen Fallzahl und der spezifischen Informationen zu den Wohn- und Arbeitsbedingungen für eine derartige Analyse geeignet sind. In einer OLS-Regression wird geprüft, wie Bildung, Beruf und Einkommen die subjektive Einschätzung des Gesundheitszustandes beeinflussen. Wesentliche Ergebnisse werden im Kapitel 5 präsentiert, beginnend mit einem deskriptiven Teil und einer darauf folgenden multivariaten Analyse. Es hat sich hier gezeigt, dass der materielle Erklärungsansatz nicht zutreffend ist. Der Einfluss des sozioökonomischen Status auf die Gesundheit besteht, auch wenn man die Wohn- und Arbeitsbedingungen kontrolliert. Im abschließenden Kapitel 6 werden die Resultate zusammengefasst und diskutiert.

2. Theoretischer Hintergrund zur gesundheitlichen Ungleichheit

2.1 Der materielle Erklärungsansatz

Der sogenannte Black Report ist ein Bericht, der Anfang der 1980er Jahre erschien und durch die britische Regierung in Auftrag gegeben wurde (Townsend/Davidson 1992). Dieser spielt für die theoretische Auseinandersetzung mit gesundheitlicher Ungleichheit insofern eine wichtige Rolle, da dort klassische Erklärungsansätze veröffentlicht wurden, die auch heute noch für die Forschung auf diesem Gebiet relevant sind und zur Systematisierung der Ursachen einen entscheidenden Beitrag geleistet haben (Vgl. Richter/Hurrelmann 2009: S. 29).

Folgende Ansätze werden unterschieden:
- Soziale Selektion
- Methodische Artefakte
- Gesundheitsverhalten
- Materielle Lebensbedingungen

Die Erklärung methodischer Artefakte geht davon aus, dass der Einfluss durch den sozioökonomischen Status auf den Gesundheitszustand in der Realität nicht vorhanden ist, sondern ein künstlicher Zusammenhang vorliegt, welcher sich auf Fehler im Forschungsprozess zurückführen lässt: Im Zentrum der Kritik stehen eine ungenaue Operationalisierung von Gesundheit und sozioökonomischem Status sowie deren empirische Erfassung.

Die Theorie der sozialen Selektion stellt den Zusammenhang zwischen sozioökonomischem Status und Gesundheit nicht in Frage, sondern beschreibt den Gesundheitszustand als dessen Ursache: Gesunde steigen in höhere Positionen auf, während Kranke in niedrige Positionen absteigen. Mobilitätsprozesse haben einen zentralen Stellenwert in dieser Erklärung. Beispielsweise besteht für Kranke eine Barriere beim Eintritt in den Arbeitsmarkt, woraus Arbeitslosigkeit und somit eine niedrige gesellschaftliche Schichtzugehörigkeit resultieren.

Der dritte Ansatz fokussiert sich auf das von der sozialen Schicht abhängige Gesundheitsverhalten. Ein riskanter Lebensstil wie beispielsweise Rauchen und Alkoholkonsum ist verstärkt in unteren Statusgruppen zu finden, was letztendlich einen schlechteren Gesundheitszustand nach sich zieht.

Die materielle Erklärung wird im Bericht schließlich besonders hervorgehoben. Man geht davon aus, dass materielle Lebensumstände wie Wohn- und Arbeits- bedingungen die Gesundheit beeinflussen: Eine belastende Wohn- und Arbeits- situation führt zu einer Verschlechterung der Gesundheit, während günstige Bedingungen zu einer Verbesserung beitragen. Der Einfluss des sozio- ökonomischen Status auf die Gesundheit verschwindet, wenn man diese Faktoren berücksichtigt.

Die Theorien zur Klärung gesundheitlicher Ungleichheit in Abhängigkeit vom sozioökonomischen Status lassen sich gegenüberstellen: Während die Theorie der sozialen Selektion den sozioökonomischen Status als Ursache für die Gesundheit ansieht, geht der materielle Ansatz von einer umgekehrten Richtung aus, bei der die soziale Stellung beziehungsweise die damit verbundenen Rahmen- bedingungen durch Wohnen und Arbeit den gesundheitlichen Zustand bedingen (Mielck 2000: S. 164).

Inwiefern die Arbeitssituation den Gesundheitszustand beeinflussen kann, hat Karasek im Job-Strain Modell (Karasek/Theorell 1990; Karasek 1979) und Siegrist in der Theorie der Gratifikationskrise (Siegrist 1994) herausgearbeitet: Das Job-Strain Modell, auch Anforderungs-Kontroll Modell genannt, geht davon aus, dass sich hohe Anforderungen im Beruf verbunden mit geringen Kontroll- und Entscheidungsmöglichkeiten negativ auf die Gesundheit auswirken. Salutgenetisch wirkt dagegen ein hohes Maß an Entscheidungsfreiheit bei hohen Anforderungen, da so die Chance zur persönlichen Weiterentwicklung besteht (Karasek/Theorell 1990; Karasek 1979).

Die Gratifikationskrise (Siegrist 1994) beschreibt folgendes Szenario: Hohe Anforderungen am Arbeitsplatz stehen einer mangelnden Belohnung gegenüber, was sich negativ auf den Gesundheitszustand auswirkt. Unter Belohnung versteht man beispielsweise ein adäquates Einkommen, Anerkennung durch das soziale Umfeld und die Sicherung der beruflichen Position. Extrinsische Anforderungen kommen durch das Arbeitsumfeld an sich, während intrinsische die sich selbst gestellten Anforderungen beschreiben.

Aufgrund der Datenlage kann nicht herausgearbeitet werden, welche der beiden Theorien zutreffend ist, sondern es kann lediglich der Zusammenhang zwischen allgemeinen Belastungsfaktoren am Arbeitsplatz und dem Gesundheitszustand untersucht werden. Die genaue Operationalisierung zur Arbeitssituation wird im Kapitel 4 beschrieben.

Zusammenfassend lassen sich folgende Punkte für den theoretischen Hintergrund festhalten: Es bestehen zum Teil konkurrierende Theorien zur Klärung von gesund- heitlicher Ungleichheit in Abhängigkeit vom sozioökonomischen Status. Der am plausibelsten erscheinende Ansatz ist eine materielle Erklärungsweise, die davon ausgeht, dass nicht der sozioökonomische Status an sich den Gesundheitszustand beeinflusst, sondern Belastungssituationen durch Wohn- und Arbeitsumfeld.

2.2 Formulierung der Hypothesen

Abgeleitet aus dem materiellen Ansatz zur Erklärung gesundheitlicher Ungleichheit ergeben sich folgende Hypothesen, die in dieser Arbeit untersucht werden sollen:

Hypothese I: Je höher die Bildung ist, desto besser wird die eigene Gesundheit eingeschätzt.

Da eine höhere Bildung eine höhere berufliche Stellung mit einem höheren Einkommen mit sich bringt, wird die Belastung durch Wohn- und Arbeits- bedingungen geringer sein, weshalb die Gesundheit auch besser eingeschätzt wird. Darüber hinaus verfügen Personen mit einer höheren Bildung möglicherweise über ein besseres Wissen bezüglich Gesundheit, weshalb sie eher die Bedeutung von medizinischer Vorsorge und einem gesunden Lebensstil erkennen können.

Hypothese II: Je höher die berufliche Stellung ist, desto besser wird die eigene Gesundheit eingeschätzt.

Da man bei einer höheren beruflichen Stellung eine geringere Arbeitsbelastung, mehr Einkommen und somit eine bessere Wohnsituation vermutet, wird die Gesundheit besser eingeschätzt

Hypothese III: Bei Männern ist der Zusammenhang zwischen beruflicher Stellung und Gesundheit stärker.

Da Männer aufgrund sozialer Rollenerwartungen möglicherweise einen größeren Druck im Erwerbsleben erfahren, wird der Zusammenhang zwischen beruflicher Stellung und Gesundheit größer sein. Des Weiteren gehen Männer verglichen mit Frauen eher körperlich belastenden Tätigkeiten nach (Beermann et al. 2008), welche ebenfalls den Gesundheitszustand beeinflussen.

Hypothese IV: Je höher das Einkommen ist, desto besser wird die eigene Gesundheit eingeschätzt.

Da durch ein höheres Einkommen eine geringere Belastung am Arbeitsplatz aufgrund einer höheren Position angenommen werden kann und die finanziellen Möglichkeiten für eine nicht schädigende Wohnsituation bestehen, wird die Gesundheit besser eingeschätzt.

Hypothese V: Der Zusammenhang zwischen Einkommen und Gesundheit ist für ältere Personen schwächer ausgeprägt.

Da ältere Personen verglichen mit jüngeren ohnehin eher Krankheiten aufweisen, kann angenommen werden, dass der Einfluss des Einkommens auf die Gesundheit weniger stark ausgeprägt ist.

Hypothese VI: Der Zusammenhang zwischen Einkommen und Gesundheit ist für ältere Personen stärker ausgeprägt.

Es kann allerdings auch zu einem gegenläufigen Effekt kommen, da ältere Personen mit einem hohen Einkommen über die Jahre hinweg Geld in ihre Gesundheit investieren konnten, um so auf ihren jetzigen Gesundheitszustand hinzuarbeiten, während jüngere Personen eine kürzerer Lebenszeit aufweisen, in der sie für ihre Gesundheit vorsorgen konnten.

Hypothese VII: Wenn Personen eine hohe Belastung durch ihre Wohnsituation erfahren, dann schätzen sie ihre eigene Gesundheit schlechter ein.

Hypothese VIII: Wenn Personen eine hohe Belastung durch ihre Arbeitssituation erfahren, dann schätzen sie ihre eigene Gesundheit schlechter ein.

Personen, die aufgrund ihrer Wohn- oder Arbeitsbedingungen gesundheits- schädlichen Faktoren ausgesetzt sind, weisen einen schlechteren Gesundheits- zustand auf.

Die Analyse der Hypothesen I, II und IV erfolgt zunächst ohne Kontrolle der Belastungen durch die Wohn- und Arbeitsbedingungen. Es ist hier anzunehmen, dass ein positiver Einfluss von Bildung, Beruf und Einkommen auf den Gesundheitszustand ausgeht. Die daraus entstehenden Unterschiede lassen sich nach dem materiellen Erklärungsansatz aber auf unterschiedliche Belastungs- bedingungen zurückführen. Bei den übrigen Hypothesen wird daher die Wohn- und Arbeitssituation kontrolliert, weshalb die Effekte des sozioökonomischen Status an sich nun verschwinden sollten: Da die soziale Schicht im weiteren Sinne über Wohn- und Arbeitsumfeld dargestellt wird, wirken sich lediglich diese Faktoren auf die Gesundheit aus und es besteht kein direkter Einfluss durch Bildung, Beruf und Einkommen.

3. Forschungsstand

Nach Hurrelmann werden drei Gruppen von Bedingungsfaktoren unterschieden, die den Gesundheitszustand beeinflussen können. Eine erste Gruppe bilden die personalen Faktoren, hierzu zählt beispielsweise die genetische Disposition. Die Untersuchung der Gesundheit in Abhängigkeit von personalen Faktoren ist vorrangig eine medizinische Angelegenheit. Davon zu unterscheiden ist die zweite Gruppe der Verhaltensfaktoren: Hier spielen unter anderem Essgewohnheiten, Rauchverhalten, Alkoholkonsum, sportliche Aktivität und die Inanspruchnahme von medizinischen Dienstleistungen eine Rolle. Die dritte Gruppe bilden die Verhältnisfaktoren, also beispielsweise der sozioökonomische Status, die Belastung durch Wohn- und Arbeitsumfeld und das vorherrschende Gesundheitssystem (Vgl. Hurrelmann 2010: S. 21). Verhaltens- und Verhältnisfaktoren sind für eine Untersuchung in der Soziologie relevant.

In einem ersten Schritt soll nun die Entwicklung der Forschung über gesundheitliche Ungleichheit skizziert werden: Bereits 1915 hat Alfred Grothjahn, Mitbegründer und bedeutendster deutscher Vertreter der Sozialhygiene, wichtige Punkte in der Beziehung zwischen Gesellschaft und Gesundheit herausgearbeitet: Die sozialen Verhältnisse schaffen oder begünstigen die Krankheitslage, sind die Träger der Krankheitsbedingungen, vermitteln die Krankheitsursache und beeinflussen den Krankheitsverlauf (Grothjahn 1915: S. 15). Zu Zeiten des Nationalsozialismus in Deutschland kam es zu einer Unterbrechung der Forschung und nach dessen Ende konnte an bisherige Ansätze nicht wieder angeknüpft werden (Vgl. Helmert et al. 2000: S. 16). Als Ausgangspunkt für die aktuelle Debatte über gesundheitliche Ungleichheit sehen Richter und Hurrelmann ein Sammelwerk von Andreas Mielck (1994), denn in der Folgezeit sind zahlreiche Publikationen zu diesem Thema verfasst worden (Vgl. Richter/Hurrelmann 2009: S. 15): Es kam zu einem kontinuierlichen Anstieg der Veröffentlichungen. Bis Mitte 1999 lagen nach einer Zählung von Mielck über 400 Studien vor. Insgesamt wurden hierbei 761 Kombinationen zwischen den Merkmalen sozioökonomischer Ungleichheit und Indikatoren der Gesundheit untersucht (Mielck 2000). Schließlich sind bis zum Jahr 2004 über 680 Publikationen über den Gesundheitszustand in Abhängigkeit vom sozialen Status in Deutschland erschienen (Mielck 2005). Gesundheitliche Ungleichheit ist somit ein häufig erforschtes Thema.

Im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit hat das Robert Koch-Institut (RKI) außerdem eine Expertise zum Thema „Armut, soziale Ungleichheit und Gesundheit“ verfasst, deren Ergebnisse Eingang in den 2. Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung fanden und somit auch Thema in der politischen Diskussion sind (Lampert et al. 2005).

In einem zweiten Schritt werden konkrete empirische Befunde des Gesundheits- zustandes in Abhängigkeit vom sozioökonomischen Status vorgestellt. Es gilt als empirisch gesichert, dass Gesundheitschancen sozial ungleich verteilt sind: Während sich der Gesundheitszustand insgesamt stetig verbessert, geschieht dies für Personen aus einer niedrigen sozialen Schicht langsamer als für den Rest der Bevölkerung (Bauer et al. 2008; Graham/Kelly 2004). Hierbei spielt Bildung als Indikator des sozioökonomischen Status eine entscheidende Rolle: Personen mit einer niedrigen Bildung schätzen ihre Gesundheit schlechter ein und haben ein höheres Mortalitäts- und Morbiditätsrisiko. Das gilt vor allem für Personen mittleren Alters. Als Ursachen für diesen Zusammenhang werden mangelndes Wissen, riskante Verhaltensweisen und eine geringe Inanspruchnahme von medizinischen Diensten diskutiert (Lampert et al. 2005; Stolpe 2001; Becker 1998; Kirschner/Meinl- schmidt 1994; Keil/Backsmann 1976).

Eine niedrige berufliche Position bringt offensichtlich einen schlechteren Gesundheitszustand mit sich (RKI 2015; Müller/Hebel 2000; Abholzer 1976; Garett- Bleek et al. 1976). Abholzer (1976) hat Arbeiterbezirke mit Nicht-Arbeiterbezirken verglichen mit dem Resultat, dass die Rate der Tuberkuloseerkrankungen in Arbeitervierteln doppelt so hoch ist als in Nicht-Arbeitervierteln. Da es sich hierbei allerdings um Aggregatdaten handelt, sind keine Rückschlüsse auf Merkmale der Individuen zulässig. Eine neuere Untersuchung durch das Robert Koch-Institut (2015) hat ergeben, dass Personen mit einer niedrigen beruflichen Position 14,3 Fehltage pro Jahr aufweisen, während es bei Personen mit einer hohen Stellung lediglich 8,2 Tage sind. Als Grund dafür nimmt man eine unterschiedliche Belastung durch die Arbeit an. Verschiedene Studien konnten feststellen, dass eine niedrige berufliche Position nicht nur ein höheres Morbiditätsrisiko erzeugt, sondern auch mit Frühsterblichkeit einhergeht (Helmert 2000; Geyer/Peter 1999; Neumann/Lieder- mann 1981; Keil/Backsmann 1976). Hierbei muss allerdings auf Schwierigkeiten in der Datenerhebung und damit verbundene Einschränkungen in der Repräsen- tativität verwiesen werden:

Da auf dem Totenschein in Deutschland keine Angaben zum Beruf vermerkt sind, müssen Daten über andere Wege gewonnen werden. Beispielsweise wurden Angehörige der Verstorbenen zur beruflichen Stellung befragt (Neumann/Lieder- mann 1981). Des Weiteren kann die Datengewinnung über Krankenkassendaten erfolgen, wobei auch hier keine vollständige Repräsentativität vorliegt (Helmert 2000; Geyer/Peter 1999). Betrachtet man nun speziell die Gruppe der Arbeitslosen lassen sich auch hier eine schlechtere Gesundheit und eine erhöhte Mortalität erkennen (RKI 2015; Kroll/Lampert 2012; Lampert et al. 2005; Bammann/Helmert 2000; Müller/Hebel 2000; Glimm et al. 1994; Elkeles/Seifert 1992). Müller und Hebel (2000) haben Versicherungsdaten ausgewertet mit dem Ergebnis, dass Arbeitslose doppelt so viele Tage im Krankenhaus sind als Nicht-Arbeitslose. Glimm und Kollegen (1994) haben selbst Daten erhoben und konnten ebenso einen Zusammenhang zwischen Arbeitslosigkeit und Gesundheit feststellen. Allerdings ist nicht eindeutig geklärt, ob Arbeitslosigkeit die Ursache für den schlechten Gesundheitszustand ist oder ob kränkliche Personen Barrieren erfahren und diesen deshalb der Eintritt in den Arbeitsmarkt verwehrt ist. Bammann und Helmert (2000) haben die Unzufriedenheit mit dem eigenen Leben als Grund für den schlechten Gesundheitszustand von Arbeitslosen herausgearbeitet.

Darüber hinaus hat sich gezeigt, dass es einen engen Zusammenhang zwischen dem Einkommen einer Person und dessen Gesundheitszustand gibt: Personen mit einem niedrigen Einkommen sind stärker von Krankheiten betroffen, beurteilen ihre Gesundheit schlechter und weisen ein erhöhtes Mortalitätsrisiko auf (RKI 2015; Lampert/Kroll 2005; Lampert et al. 2005; Heinzel-Gutenbrunner 2001; Klein/Unger 2001; Helmert et al. 1997a; Klosterhuis/Müller-Fahrnow 1994; Oppolzer 1986). Dieser Effekt tritt auch hier vor allem im mittleren Lebensalter verstärkt auf und nimmt im Alter ab. Grund dafür ist vermutlich eine altersspezifische Bedingung des Gesundheitszustandes sowie eine Änderung der Lebensverhältnisse (RKI 2015; Lampert/Kroll 2005; Lampert et al. 2005). So weisen Frauen mit einem niedrigen Einkommen, verglichen mit Frauen mit einem hohen Einkommen, eine um 8 Jahre geringere Lebenserwartung auf. Bei Männern beträgt der Unterschied sogar 11 Jahre (RKI 2015). Im Ländervergleich konnte außerdem festgestellt werden, dass nicht die reichsten Nationen den besten Gesundheitszustand beziehungsweise die höchste Lebenserwartung aufweisen, sondern die mit einer geringen Einkommensungleichheit (Submarian/Kawachi 2006; Kennedy et al. 1996; Wilkinson 1996,1992). Allerdings sind hierbei auch Einschränkungen notwendig: Backlund und Kollegen (2007) konnten diesen Effekt beispielsweise nur für Personen unter 65 Jahren verzeichnen. In einer Studie von De Maio (2008) haben sich die Ergebnisse für diesen Befund als nicht robust erwiesen. Deaton und Lubotsky (2003) stellten fest, dass dieser Zusammenhang verschwindet, wenn man die Komposition der Ethnie in einer Population kontrolliert. Eine systematische Zusammenstellung verschiedener Forschungsergebnisse zu diesem Thema haben Wilkinson und Picket (2006) vorgenommen: Von 155 betrachteten Studien kamen 70 % zu dem Ergebnis, dass es einen Zusammenhang zwischen der Einkommensverteilung eines Landes und dem Gesundheitszustand gibt. Eine Erklärung dieses Phänomens könne ein hohes Ausmaß an Einkommensungleichheit sein, das zu einer Erhöhung des Frustrationslevels führt und es daher zu einer Verschlechterung der gesundheitlichen Lage kommt (Wilkinson 1996).

Auch wenn der sozioökonomische Status nicht in Einzelindikatoren betrachtet wird, sondern Bildung, Beruf und Einkommen zu einem Schichtindex zusammengefasst werden, gibt es einen Effekt auf den Gesundheitszustand (RKI 2015; Babitsch 2000; Helmert/Shea 1994; Helmert et al. 1993). Personen mit einem niedrigen Status bewerten ihre Gesundheit schlechter, wobei dieser Effekt für alle Altersgruppen festgestellt werden konnte, und weisen eher gesundheitliche Einschränkungen auf. Von Allergien sind dagegen vermehrt Personen mit einem hohen Status betroffen. 51 % der weiblichen Befragten mit einem niedrigen sozioökonomischen Status gaben an, im Alltag gesundheitsbedingt eingeschränkt zu sein, bei Frauen mit einem hohen sozioökonomischen Status waren es nur 24 %. Auch bei Männern zeigt sich zwischen den Statusgruppen ein Unterschied, allerdings auf einem insgesamt niedrigeren Niveau (RKI 2015).

Der Zusammenhang zwischen dem sozioökonomischen Status und der Gesundheit ist kein Phänomen, das nur in Deutschland auftritt, denn im internationalen Kontext ergibt sich ein ähnliches Bild für jedes Land, aus dem Daten vorliegen (Mackenbach et al. 2008; Mackenbach 2006). Für alle europäischen Länder hat eine groß angelegte Studie, in Auftrag gegeben durch die britische Regierung, festgestellt, dass Personen mit niedriger Bildung, einer niedrigen beruflichen Position und einem geringen Einkommen jünger sterben und eher Krankheiten aufweisen. Zudem vergrößert sich diese Ungleichheit (Mackenbach 2006). Darüber hinaus konnten weitere Studien verzeichnen, dass dieser Zusammenhang vor allem in Ländern gilt, bei denen Käufe von Gesundheitsleistungen eine Rolle spielen wie zum Beispiel in den USA (Klein/Unger 2001; Hummer et al. 1998).

Aber auch in den skandinavischen Ländern, deren Gesundheitssysteme als besonders wohlfahrtsstaatlich bezeichnet werden, findet man einen derartigen Zusammenhang (Richter/Hurrelmann 2009; Martikainen/Tapani 1996). Aufgrund dieser Befunde kann man von einem sozialen Gradienten der gesundheitlichen Ungleichheit sprechen, einer Verschlechterung der Gesundheit mit Abnahme des sozioökonomischen Status in Stufen. Marmot (2004) spricht in diesem Zusammenhang auch vom „Statussyndrom“: Je nach Position in der Gesellschaft, weist man einen bestimmten Gesundheitszustand auf, der entweder besser oder schlechter ist als der anderer Personen.

Wie bereits eingangs erwähnt, wirken nicht nur Verhältnisfaktoren wie der sozioökonomische Status auf den Gesundheitszustand ein. Auch das Verhalten steht in einem engen Kontext mit der Gesundheit (Helmert/Voges 2002; Keil et al. 1998): Personen mit einem niedrigen sozioökonomischen Status verhalten sich eher gesundheitsschädlich: Sie rauchen mehr, treiben weniger Sport und ernähren sich ungesund. Dieser Zusammenhang ist vor allem im mittleren Lebensbereich stark ausgeprägt (RKI 2015; Lampert 2010; Lampert/Burger 2005; Lampert/Kroll 2005; Lampert et al. 2005; Lampert/Thamm 2004; Helmert et al. 2001; Helmert 1999; Helmert/Borgers 1998; Helmert et al. 1997a, 1997b; Claßen 1994; Kirschner/Meinlschmidt 1994). Betrachtet man etwa das Rauchverhalten, in Industriestaaten das bedeutendste einzelne Gesundheitsrisiko und die Hauptursache für einen vorzeitigen Tod (RKI 2015), so zeigt sich, dass das Risiko, aktuell zu rauchen bei arbeitslosen Frauen 1,7 Mal höher ist als bei Frauen mit einer sicheren Beschäftigung. Bei Männern ist es 2,3 Mal so hoch (RKI 2015). Bei Personen mit einem niedrigen sozioökonomischen Status ist die Rauchprävalenz um das vier- bis sechsfache höher als bei Personen mit einem hohen Status (Helmert et al. 2001). Gerade Personen aus einer niedrigen Schicht rauchen überdurchschnittlich viele Zigaretten am Tag und geben das Rauchen seltener auf (Lampert/Burger 2005). Als Ursache für diese ungesunde Lebensweise sieht Korczak (1994) eine damit verbundene Lebenswelt, Lampert und Thamm (2004) weisen vor allem auf den Faktor Bildung hin. Auch im internationalen Kontext tritt dieser Zusammenhang zwischen Schicht und Gesundheitsverhalten auf (Henkel 1998; Montgomery et al. 1998; Cavelaars et al. 1997; Martikainen/Tapani 1996). Es konnte zudem nachgewiesen werden, dass mehr als die Hälfte der Varianz in der Lebenserwartung für verschiedene Länder auf riskante Verhaltensweisen zurückgeführt werden kann (Boback/Marmot 1996).

Ein weiterer Verhaltensfaktor, der sich auf die Gesundheit auswirkt, besteht in der Inanspruchnahme medizinischer Dienstleistungen: Obwohl im deutschen Gesundheitssystem ein hoher Standard an medizinischer Versorgung für alle Bürger gewährleistet ist, zeigen sich Unterschiede bei der Beanspruchung dieser Angebote: Personen mit einem niedrigen sozioökonomischen Status nutzen seltener Vorsorgeangebote und suchen weniger häufig einen Arzt auf, als das in höheren Statusgruppen der Fall ist. Dies fällt vor allem im Konsultieren von Fachärzten auf (RKI 2015; Lampert/Kroll 2005; Veugelers/Yip 2003; Mielck/Brenner 1994; Bormann 1993).

Man nimmt an, dass nicht nur Verhalten den Gesundheitszustand beeinflusst, sondern auch äußerliche Einflüsse, insbesondere Wohn- und Arbeitsbedingungen. Personen mit einem niedrigen sozioökonomischen Status sind häufiger durch die Wohnbedingungen belastet, beispielsweise durch Luftverschmutzung und Verkehrslärm (RKI 2015; Kohlhuber et al. 2006; Pollack et al. 2004; Nikolai et al. 2003; Maschewsky 2000), auch wenn sich insgesamt die Wohnsituation hinsichtlich schädlicher Umwelteinflüsse seit 1990 stark verbessert hat (RKI 2015). Nikolai et al. (2003) konnten bei einer Untersuchung in München zeigen, dass Kinder, deren Eltern, gemessen an der Bildung, einen hohen Status aufweisen, häufiger in Gebieten mit einer geringen Schadstoffbelastung wohnen als Kinder von Eltern aus einer niedrigen Schicht. Dieses Bild hat sich auch für zwei Städte in Nordrhein- Westfalen ergeben (Krämer et al. 2000). Maschewsky spricht an dieser Stelle auch von Umweltgerechtigkeit, einer „Verteilung von Umweltbelastungen auf soziale Gruppen“ (Maschewsky 2000: S. 73). Diese sind oftmals ungleich verteilt mit der Folge einer geringeren Lebensqualität und höheren Gesundheitsrisiken für Gruppen mit einem niedrigen sozioökonomischen Status. Dieses Phänomen tritt auch in anderen Ländern auf: In den USA ist beispielsweise die Luftbelastung in Latino- Vierteln deutlich höher als in weißen Wohnvierteln (EPA 1992).

Personen mit einem niedrigen sozioökonomischen Status sind auch eher einer Belastung durch das Arbeitsumfeld ausgesetzt, woraus sich durchaus ein Zusammenhang mit dem Gesundheitszustand ableiten lässt: Während 14,5 % der Frauen und 12,3 % der Männer mit einem Universitätsabschluss ihre Arbeit als belastend bezeichnen, sind es bei Frauen mit einer Ausbildung oder Lehre 17,2 % und bei den Männern sogar 23,8 % (RKI 2015). Von Arbeitsbedingungen, die körperlich belastend sind, geprägt durch monotone Arbeitsabläufe, mangelnde Kontrollmöglichkeiten und fehlende Belohnung, sind vor allem Personen mit einer niedrigen beruflichen Position betroffen. Siegrist (1996) spricht beim Ausbleiben von Anerkennung bei gleichzeitiger Verausgabung in der Arbeit von einer Gratifikationskrise (siehe Kapitel 2), die sich gesundheitlich negativ äußert (Siegrist 1996). Dieser Zusammenhang konnte in einigen Studien nachgewiesen werden (Siegrist/Theorell 2008; Rugulies/Siegrist 2002; Hajek 1999; Siegrist 1996; Bormann/Schroeder 1994). Auch die Annahme des Job-Strain Modells (Karasek/Theorell 1990), eine hohe Arbeitsbelastung in Verknüpfung mit geringer Kontrolle verschlechtert die Gesundheit (siehe Kapitel 2), bestätigt sich (Bödeker 2000; Karasek/Theorell 1990).

Konkret hat sich außerdem gezeigt, dass Personen mit einer geringen Arbeitsbelastung 5,1 Krankheitstage pro Jahr haben, während es bei Personen mit einer hohen Belastung 7,8 Tage sind (Bormann/Schroeder 1994). Auch eine Untersuchung aus Schweden hat ergeben, dass schwere und gefährliche Arbeitsbedingungen zu einer höheren Morbidität führen (Lundberg 1991). Viele Studien beschreiben deskriptiv den Zusammenhang zwischen sozioökonomischem Status und Gesundheit. Die theoretische Klärung dieses Phänomens erfolgt weniger (Vgl. Helmert et al. 2000: S. 18). Es gibt dennoch Studien, die nicht nur eine deskriptive Beschreibung vornehmen, sondern versuchen, die Theorien des Black Reports zu überprüfen. Bezüglich der Theorie methodischer Artefakte konnte nachgewiesen werden, dass dieser Ansatz kaum Relevanz hat und es bei verzerrten Daten sogar eher zu einer Unterschätzung des Phänomens kommt (Vågerö/Illsley 1995; Davey Smith/Morris 1994). Allerdings sollte man sich darüber im Klaren sein, dass die Zuverlässigkeit der Antworten möglicherweise von der sozialen Schicht abhängt, was zu einer Verzerrung der Daten führen kann (Vgl. Mielck 2000: S. 244). Der umgekehrte Einfluss von sozioökonomischem Status auf die Gesundheit scheint eher gering zu sein (Mackenbach 2006; Lahelma 2006; Davey Smith/Morris 1994). Für den verhaltensbasierten Ansatz haben Davey Smith und Morris (1994) nachgewiesen, dass es trotz Kontrolle auf das Gesundheitsverhalten schichtspezifische Unter- schiede im Gesundheitszustand gibt. Saltman (1997) erkennt die Unterschiede aufgrund des Gesundheitsverhaltens lediglich bei Personen mit einem mittleren und einem hohen sozioökonomischen Status. Die größte Erklärungskraft wird in vielen Untersuchungen dem Ansatz materieller Lebensbedingungen zugeschrieben (Mielck 2000; Saltman 1997; Davey Smith/Morris 1994).

Der bisherige Forschungsstand zeigt auf, dass die Untersuchung von gesundheitlicher Ungleichheit vor dem Hintergrund des sozioökonomischen Status ein sehr weites Feld ist, zu dem eine hohe Anzahl an Publikationen vorliegt. Es wird sowohl der Einfluss von sozioökonomischen Einzelindikatoren als auch der von Indizes auf die Gesundheit untersucht. Ebenso variiert die Operationalisierung von Gesundheit, man betrachtet den subjektiven oder objektiven Gesundheitszustand, Morbidität oder die Lebenserwartung. Überdies werden unterschiedliche Arten von Daten verwendet, selbst erhobene oder bereits vorhandene Daten, Individualdaten oder Aggregatdaten.

Die vorliegende Arbeit beschränkt sich daher darauf, den Zusammenhang zwischen einer subjektiven Einschätzung des Gesundheitszustandes und dem sozioökonomischen Status anhand der Einzelindikatoren Bildung, Beruf und Einkommen herauszuarbeiten unter Berücksichtigung unterschiedlicher Belastungen durch Wohn- und Arbeitssituation. Es kann dann überprüft werden, inwiefern die Ergebnisse mit bisherigen Studien übereinstimmen und ob die Theorie des materiellen Erklärungsansatzes zutreffend ist. Im nächsten Kapitel werden die Daten vorgestellt, die für die Analyse verwendet werden.

4. Beschreibung der verwendeten Daten: ALLBUS 2014

Die empirische Analyse beruht auf Daten der Allgemeinen Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften (ALLBUS) von 2014. Der ALLBUS ist eine multi- thematische Umfrageserie zu Einstellungen, Verhaltensweisen und Sozialstrukturen der deutschen Bevölkerung und wird seit 1980 alle zwei Jahre erhoben. Die Erhebung fand in einer mündlichen Befragung mit standardisierten Interviews im Zeitraum von März bis September 2014 statt. Es erfolgte eine zweistufige, disproportional geschichtete Zufallsauswahl in West- und Ostdeutschland aus allen in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Personen, die vor dem 01.01.1996 geboren sind. Die Stichprobe wurde aus den Einwohnermelderegistern gezogen, weshalb alle Personen die gleiche Auswahlwahrscheinlichkeit haben und es sich somit um eine Zufallsstichprobe handelt. Die Ausschöpfungsquote liegt bei 35 % und es wurden insgesamt 3471 Personen befragt. Davon gehen 1350 Fälle in die Analyse ein. Der Hauptgrund für diese Fallzahlreduzierung besteht darin, dass aufgrund des Forschungsziels lediglich hauptberuflich Erwerbstätige berücksichtigt werden, diese Gruppe machen 55 % aller Befragten aus.

Ziel der vorliegenden Studie ist es, den Zusammenhang zwischen dem sozioökonomischen Status und der Gesundheit unter Berücksichtigung der Wohnund Arbeitsbedingungen zu untersuchen. Die Operationalisierung aller Variablen ist als Überblick in Tabelle A1 dargestellt.

Die Variable, die erklärt werden soll, ist der Gesundheitszustand: Bei dessen Konzeptualisierung unterscheidet man den subjektiven Gesundheitszustand, beruhend auf einer allgemeinen persönlichen Einschätzung, und den objektiven Gesundheitszustand, der anhand bestimmter Indikatoren wie vorliegende Erkrankungen erfragt wird (Vgl. Hradil 2009: S. 49). Verschiedene Studien konnten nachweisen, dass es eine hohe Korrelation zwischen der subjektiven und objektiven Gesundheit gibt (Lüschen et al. 1997, Buchmann et al. 1985). Es hat sich sogar teilweise gezeigt, dass die selbsteingeschätzte Gesundheit ein besserer Prädikator für Gesundheit, Morbidität und Lebenserwartung ist als objektive Ergebnisse (Wolinsky/Johnson 1992; Lehr 1986; Mossey/Shapiro 1982). In dieser Unter- suchung wird daher die Gesundheit subjektiv betrachtet, indem die Befragten um eine allgemeine Einschätzung ihrer Gesundheit gebeten wurden und um erlebte körperliche Leiden und damit einhergehende Einschränkungen in den letzten vier Wochen vor dem Zeitpunkt des Interviews. Hieraus wurde mit einem zufrieden-stellenden Cronbach´s Alpha von 0,86 ein dreistufiger Index gebildet, wobei 3 für eine gute und 1 für eine schlechte Gesundheit steht.

Die erklärende Variable ist der sozioökonomische Status, der sich aus Bildung, Beruf und Einkommen zusammensetzt. Um den genauen Einfluss der einzelnen Merkmale herauszuarbeiten und zur Berücksichtigung von Statusinkonsistenz, erfolgt keine Indexbildung dieser Indikatoren. Vielmehr werden sie einzeln in die Analyse aufgenommen.

Bei der Bildung bezieht man sich auf den höchsten Schulabschluss: Hierfür wurde jeweils eine Variable für Personen ohne Schulabschluss beziehungsweise mit Hauptschulabschluss oder dem entsprechendem Äquivalent aus der ehemaligen DDR, mit mittlerer Reife beziehungsweise dem entsprechendem Äquivalent aus der ehemaligen DDR und mit Abitur gebildet. Hierbei werden Personen mit Fachabitur und allgemeinem Abitur zusammengefasst. Personen ohne Schulabschluss werden aufgrund der geringen Fallzahl zum Hauptschulabschluss dazugezählt. Schüler und Personen mit einem anderen Abschluss werden von der Analyse ausgeschlossen, da deren Bildungsstatus (noch) unklar ist.

Die Frage nach der beruflichen Stellung wurde nur hauptberuflich Erwerbstätigen gestellt. Schüler, Studenten, Rentner, Hausfrauen, Arbeitslose und Freiwilligen- dienstleistende sind hier ausgeschlossen. In der vorliegenden Studie erfolgt also insgesamt eine Einschränkung der Stichprobe auf alle hauptberuflich Erwerbstätigen. Die Kategorisierung in unterschiedliche berufliche Positionen orientiert sich an dem International Socio-Economic-Index of Occupational Status (ISEI) nach Ganzeboom et al. (1992). Dieser berücksichtigt berufliche Tätigkeiten, deren Kodierung nach der Berufsklassifikation ISCO-88 erfolgt. Auszubildende sind hierbei nicht erhalten und werden daher in dieser Analyse nicht berücksichtigt. Zudem werden die fünfte und sechste Gruppe entgegen des ISEI zusammengefasst, da sonst aufgrund der Fallzahlen eine statistische Auswertung nicht sinnvoll ist. Folglich liegen fünf Variablen zur beruflichen Stellung vor. In der niedrigsten Position befinden sich Landwirte und einfache Arbeiter, in der höchsten Akademiker in freien Berufen.

Das Einkommen ist das eigene monatliche Nettoeinkommen und wurde im Fragebogen zunächst offen erfasst. Die Verweigerer konnten dieses schließlich kategorisiert angeben. Diese Ergebnisse wurden zusammengeführt, indem beim kategorisierten Einkommen die Mitte der jeweiligen Kategorie aufgenommen wurde.

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Ende der Leseprobe aus 80 Seiten

Details

Titel
"Weil du arm bist, musst du früher sterben"? Sozioökonomischer Status und gesundheitliche Ungleichheit
Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München
Note
1,3
Jahr
2016
Seiten
80
Katalognummer
V456101
ISBN (eBook)
9783668864603
ISBN (Buch)
9783668864610
Sprache
Deutsch
Schlagworte
sozioökonomischer, status, ungleichheit gesundheit
Arbeit zitieren
Anonym, 2016, "Weil du arm bist, musst du früher sterben"? Sozioökonomischer Status und gesundheitliche Ungleichheit, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/456101

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