Sprachstandsdiagnostik mehrsprachiger Kinder


Hausarbeit, 2017

24 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Sprachstandsdiagnostik
2.1 Definition
2.2 Relevanz der Sprachstandserhebung bei mehrsprachigen
Kindern
2.3 Entwicklung der sprachstandsdiagnostischen Verfahren

3. Sprachstandsdiagnostische Verfahren
3.1 Verfahrensarten
3.2 Beispiele für sprachstandsdiagnostische Verfahren
3.2.1 „Havas 5“
3.2.2 „MAIN”
3.2.3 „DoBiNe”

4. Vergleich der sprachstandsdiagnostischen Verfahren
4.1 Diskursive Basisqualifikation
4.2 Berücksichtigung der Mehrsprachigkeit

5. Fazit

6. Literatur

1. Einleitung

Erzählen ist identitäts- und sinnstiftend und entscheidend für die sozial-emotionale Entwicklung. Die soziale Kompetenz in Interaktion mit anderen zu treten und sich selbst mitteilen zu können – zur affektiven Entlastung, Selbstdarstellung, Belustigung, zum Informieren, belegen von Argumenten oder zum Erklären - „macht den Menschen zum Menschen“ (vgl. Quasthoff, 1980).

Der Begriff des Erzählens wird in der bisherigen Forschung differenziert aufgefasst. Unter Erzählen im engeren Sinne wird oft eine abgegrenzte diskursive Einheit bzw. kohärente Ereignisabfolge verstanden, mit der ein besonderes oder unerwartetes Geschehen kommuniziert wird (vgl. Becker, 2009: 65) und die der Unterhaltung oder dem Beeindrucken der HörerIn dient (vgl. Stutterheim/Kohlmann, 2003: 9). Aus den verschiedenen Definitionen ergibt sich ein differenziertes Forschungsbild, in dem unterschiedliche Komponenten des Erzählens in den Fokus des Interesses rücken.

Ohne entsprechende Fertigkeiten werden Kinder keine Chance auf erfolgreiches soziales Leben und chancengerechte Zukunft haben. Es ist daher nötig gerade den Kindern entsprechende Fördermaßnahmen anzubieten und sie im Aufbau von wichtigen Sprachkompetenzen und Fähigkeiten zu unterstützen. Sprachstandserhebungen bilden in diesem Zusammenhang eine wichtige Grundlage für die effektive und nachhaltige Entwicklung von Sprachfördermaßnahmen.

Eine bedarfsgerechte Sprachförderung muss möglichst früh begonnen werden, um allen Kindern optimale Startchancen in ihr Schulleben zu ermöglichen. Zwischen 2002 und 2008 haben 14 Bundesländer sprachstandsdiagnostische Verfahren eingeführt. Das Ziel war es, den sprachlichen Entwicklungsstand der Kinder im Vorschulalten festzustellen und angemessene Sprachfördermaßnahmen noch vor dem Schuleintritt einzuleiten (vgl. Becker-Mrotzek et al., 2013: 6).

Es gibt keine eindeutige Meinung über die Qualität und Wirksamkeit dieser Verfahren. Bundesweit sind 17 verschiedene Sprachstandsverfahren im Einsatz, die Förderquoten schwanken je nach Bundesland zwischen zehn und 50 Prozent. In neun Bundesländern ist die Sprachdiagnostik vor Schuleintritt verpflichtend, in fünf Ländern wird jedoch nur der Sprachstand von bestimmten Gruppen, z. B. von Kindern mit Migrationshintergrund, ermittelt. So kommt auch der Bildungsbericht 2012 zu dem Schluss, dass “die Länder nach wie vor auffallend unterschiedlich vorgehen, was zu einem uneinheitlichen Umgang mit den Kindern führt” (vgl. Becker-Mrotzek et al., 2013: 6).

Eine Expertenkommission vom Mercator-Institut für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache hat erstmals wissenschaftliche Qualitätsmerkmale für Sprachstandsverfahren im Elementarbereich entwickelt. Hierbei wird aus psychologischer, pädagogischer, sprachtherapeutischer und linguistischer Perspektive definiert, welche Kriterien für Sprachstandsverfahren gelten sollten, um den Sprachstand jedes Kindes sowohl vergleichbar als auch wissenschaftlich fundiert zu ermitteln (vgl. Becker-Mrotzek et al., 2013: 6).

Diese Arbeit will daher einige Sprachstandsverfahren überblicksmäßig darstellen und anhand der Qualitätsmerkmale vergleichen. Dabei steht das Teilfeld “diskursive Basisqualifikation” im Mittelpunkt der Untersuchung.

Ein besonderer Bezug soll zum Aspekt der Mehrsprachigkeit geschaffen werden, da viele Kinder, die Deutsch als Zweitsprache lernen, Probleme mit Deutschkenntnissen haben.

In diesem Zusammenhang wird geklärt, ob und wie die Mehrsprachigkeit von Kindern mit Deutsch als Zweitsprache in den Sprachstandserhebungen berücksichtigt wird.

Im ersten Teil der Arbeit wird die Begriffserklärung Sprachstandserhebung gegeben. Im Folgenden werden die Relevanz der Sprachstandsdiagnostik bei mehrsprachigen Kindern dargestellt und die Entwicklung der sprachdiagnostischen Verfahren in Deutschland beleuchtet.

Im zweiten Teil der Arbeit werden drei sprachstandsdiagnostische Verfahren unter der Berücksichtigung des Aspektes Mehrsprachigkeit vorgestellt, anhand des Kriterium Diskurs analysiert und verglichen.

2. Sprachstandsdiagnostik

2.1 Definition

“Sprachstandserhebungen sind Prozesse, die mittels pädagogisch einsetzbarer Verfahren, die Aussagen über die Fähigkeiten von Kindern und Jugendlichen in ungesteuert erworbenen Sprachen zu einem bestimmten Zeitpunkt ihrer Bildungsbiografie liefern” (Reich, 2008: 421).

Sprachstandserhebungen werden durchgeführt, um den Sprachstand eines Individuums zu messen und beurteilen zu können. Sie können entweder mithilfe diagnostischer Verfahren durchgeführt werden, oder auch ohne, wobei die Probanden unter Beachtung wissenschaftlicher Gütekriterien beobachtet und befragt werden. Danach wird das Verhalten laut den Beobachtungs- und Befragungskriterien beschrieben und interpretiert.

Diagnostische Sprachstandsverfahren spielen dabei eine große Rolle für die Entwicklung individuell-orientierter und zielgerichteter Förderprogramme, weil nur durch eine ausführliche Diagnose die Fördebedürfnisse und -möglichkeiten eines Kindes festgestellt werden können.

In den letzten Jahren sind viele neue Verfahren zur Sprachstandsfeststellung von mehrsprachigen Kindern entwickelt worden.

Die modernen Verfahren weisen allerdings einige Unterschiede auf. Als Beispiel lässt sich das Alter der Kinder und Jugendlichen nennen. Während verschiedene Sprachstandserhebungen vor allem für den vorschulischen Bereich und die Primarstufe vorgesehen sind, finden sich vereinzelte Verfahren für die Sekundarstufe nur.

Auch die zu erfassenden Sprachen sind ein Unterscheidungskriterium. Die meisten Verfahren sind lediglich für die Erfassung der Kompetenzen im Deutschen konzipiert. Sprachliche Kompetenzen in der Erstsprache werden selten mitberücksichtigt.

Die Ziele der Verfahren variieren sich auch stark. Sie können bspw. zuweisungs- oder förderdiagnostisch ausgerichtet sein. Dabei wird bei den zuweisungsdiagnostischen Zielen über die Notwendigkeit von Sprachfördermaßnahmen entschieden, während die förderdiagnostischen Ziele die Erstellung eines individuellen Förderprofils in Fokus setzen (vgl. Döll, 2012: 55). Außerdem ermöglichen förderdiagnostische Verfahren, “individuelle Ressourcen, Defizite und Bedürfnisse zu ermitteln, um im Sinne einer Optimierung individueller Bildungsprozesse aufbauende Fördermaßnahmen angemessen planen und umsetzen zu können.” (ebd., 2012: 55).

Darüber hinaus können die Verfahren differieren, “was, also welche Aspekte der sprachlichen Kommunikationsbefähigung, sie erfassen und wie sie das tun” (Ehlich, 2007: 43).

2.2 Relevanz der Sprachstandserhebung bei mehrsprachigen Kindern

Die Entwicklung von mündlichen und schriftlichen Sprachkompetenzen ist für Kinder, die in Deutschland aufwachsen, von großer Bedeutung. Die Sprachfähigkeiten können weiteren schulischen Bildungserfolg beeinflussen. Sprachkompetenz ist demnach eine zentrale Schlüsselqualifikation, um eine erfolgreiche Bildungsbiografie zu erlangen, berufliche Chancen zu haben und gesellschaftlich erfolgreich integriert zu sein (vgl. Walter, 2007: 31). “Nicht erst seit den Ergebnissen von PISA ist [deshalb] Sprachförderung in der deutschen Sprache für Kinder mit Migrationshintergrund, aber auch für eine beachtliche Anzahl von Kindern deutscher Herkunftssprache, als Herausforderung des Bildungssystems in Deutschland erkannt [worden]” (Walter, 2007: 31). Insbesondere für Kinder, die Deutsch “nur” als Zweitsprache erlernen, Kinder mit einem Migrationshintergrund, ist die Entwicklung ausreichender, sprachlicher Kompetenzen und eine darauf gezielte sprachliche Förderung dringend notwendig, da sie besondere Unterstützung im Zweitspracherwerb brauchen (vgl. Dietz/Lisker, 2008: 9).

“Sprachförderung, wenn sie sich nicht in allgemeinen Absichtserklärungen erschöpfen soll, braucht Grundlagen; braucht vor allem Wissen darüber, welche sprachlichen Kompetenzen, welchen Förderbedarf ein Kind mitbringt. Sprachstandserhebungen versuchen, solches Wissen über die Sprachkompetenz von Kindern als Grundlage für Maßnahmen zur Sprachförderung zu gewinnen” (Walter, 2007: 31). Um also festzustellen, ob und wo Förderbedarf besteht, um zu entscheiden, welche sprachlichen Fördermaßnahmen sinnvoll und angebracht sind, ist es nötig, gezielte Sprachstandsdiagnostik zur Sprachstandsfeststellung anzuwenden. “Die eingesetzten Verfahren sollen den Verantwortlichen Hilfestellungen für ihre Entscheidungen geben und Beobachtungen strukturieren” (Aschenbrenner et al., 2009: 14).

Eine umfassende und zuverlässige Diagnose der sprachlichen Fähigkeiten von mehrsprachigen Kindern ist aufgrund der heterogenen Erwerbserfahrungen innerhalb dieser Gruppe komplexer als eine entsprechende Diagnostik bei einsprachig aufwachsenden Kindern (vgl. Aschenbrenner et al., 2009: 15). Obwohl Mehrsprachigkeit weltweit verbreitet ist, galt Einsprachigkeit in Deutschland lange Zeit als Normalfall und auch das deutsche Bildungssystem war entsprechend auf die Einsprachigkeit orientiert (vgl. Ehlich. 2007). Dementsprechend haben viele sprachdiagnostische Verfahren nach wie vor die Erfassung deutscher Sprachkenntnisse im Fokus und berücksichtigen dabei nicht, ob das Kind einsprachig ist oder die deutsche Sprache nach einer anderen erworben wird.

Im Jahr 2011 hatte etwa ein Viertel der Schülerinnen und Schüler am Ende der Primarschulzeit einen Zuwanderungshintergrund (Richter et al., 2012: 213). Über 60 % der Kinder mit Migrationshintergrund (mit beiden im Ausland geborenen Elternteilen) nahmen an der Fragebogenuntersuchung im IQB-Ländervergleich 2011 teil und behaupteten, zu Hause nie oder selten Deutsch zu sprechen. Für Kinder mit einem im Ausland geborenen Elternteil traf dies auf etwa 38 % zu (vgl. Richter et al., 2012: 233). Es ist davon auszugehen, dass ein großer Anteil der Kinder mehrsprachig aufwächst. Die Sprachstandsdiagnostik muss sich dabei auf die Mehrsprachigkeit dieser Kinder konzentrieren und verschiedene Formen der Mehrsprachigkeit differenzieren können.

2.3 Entwicklung der Sprachstandserhebung

In den 1960er Jahren entwickelte sich in Deutschland der erste Bedarf an Sprachstandsfeststellung. Als Grund dafür diente das vermehrte Auftreten von “Gastarbeiterkindern” (Reich, 2005: 146) in deutschen Schulen und dem damit verbundenen Problem mangelhafter Deutschkenntnisse. Die Lösung dieser Probleme fand man zuerst nur in der gezielten Integration in deutschsprachige Klassen (vgl. Reich, 2005: 146). Die ersten Verfahren zur Sprachstandsdiagnostik sowie zu einer Sprachförderung wurden erst ab den 1980er Jahren entwickelt und eingesetzt. Als Beispiele der ersten Verfahren lassen sich “PI-Test”, “C-Test”, “Profilanalyse”, “SESAM” (Skalen zur Einschätzung der deutschen Sprachkompetenz von Schülern anderer Muttersprache) oder auch die “Beobachtungswochen” nennen (vgl. Reich, 2005: 146). Bis auf die “Beobachtungswochen” setzten alle Verfahren den Fokus nur auf die deutsche Sprache, ohne die Mehrsprachigkeit des Kindes zu berücksichtigen (vgl. Reich, 2005: 147). “Das entsprach dem herrschenden Denken. Zwar hatten in den KMK-Empfehlungen [(Kultusministerkonferenz zum Unterricht für Kinder von Ausländern 14./15. Mai 1964)] und den Länder-Erlassen auch die Herkunftssprache der Migranten Berücksichtigung gefunden, aber doch eher wie Bildungsinhalte von einem anderen Stern” (Reich, 2005: 147).

Erst ab Ende der 1990er Jahre erweckte die Weiterentwicklung der Sprachfeststellung ein neues Interesse. “Unmut aus der Praxis und Betriebsamkeit nach PISA [und IGLU] haben das Thema “Sprachstandsanalyse zu pädagogischen Zwecken” Ende der 90er/ Anfang der 2000er Jahre erneut aktuell gemacht” (Reich, 2005: 150).

Seitdem wurden diverse Diagnoseverfahren entwickelt. Die meisten werden auch heutzutage stark kritisiert, da die sprachstandsdiagnostischen Verfahren in ihren Zielen und Methoden nicht einheitlich sind.

Aspekte der sprachlichen Kompetenzen, die in einem Sprachstandfeststellungsverfahren erfasst werden, haben eine zentrale Bedeutung für die Interpretation der Ergebnisse und deren Konsequenzen.

Infolgedessen dienen unterschiedliche Indikatoren in den sprachstandsdiagnostischen Verfahren dazu, den individuellen Sprachstandzu erschließen, der wiederum meistens für ein bestimmtes Alter als “normal” angesehen wird. Wobei die Normalitätserwartung vor allem im Hinblick darauf, dass der Zweitspracherwerb von vielen Faktoren (Erstsprache, weitere Sprachen, Alter, Kontaktdauer, Eindeutigkeit, Qualität und Umfang des Inputs, Motivation u. v. m.) (vgl. Ehlich/Bredel/Reich, 2008) beeinflusst wird, zu hinterfragen ist.

Ehlich (2007) hat im Gutachten “Anforderungen an Verfahren der regelmäßigen Sprachstandsfeststellung” acht sprachliche Basisqualifikationen formuliert:

A die rezeptive und produktive phonische Qualifikation

B die pragmatische Qualifikation I

C die semantische Qualifikation

D die morphologisch-syntaktische Qualifikation

E die diskursive Qualifikation

F die pragmatische Qualifikation II

G I die literale Qualifikation I

G II die literale Qualifikation II

Diese Basisqualifikationen bieten eine gute Orientierungshilfe zur Analyse der sprachstandsdiagnostischen Verfahren.

[...]

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Sprachstandsdiagnostik mehrsprachiger Kinder
Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München
Veranstaltung
Diskursive Fähigkeiten im Erst- und Zweitspracherwerb
Note
1,7
Autor
Jahr
2017
Seiten
24
Katalognummer
V455491
ISBN (eBook)
9783668895164
ISBN (Buch)
9783668895171
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Sprachstandsdiagnose
Arbeit zitieren
Svetlana Prokhorova (Autor:in), 2017, Sprachstandsdiagnostik mehrsprachiger Kinder, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/455491

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