"Terror-Teufel, Horror-Fahrt, Angst!". Berichterstattung von Qualitäts- und Boulevardpresse zum Terroranschlag in Berlin im Dezember 2016


Masterarbeit, 2017

181 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

1 Einführung

2 Grundlagen
2.1 Terrorismus – Versuch einer Begriffsdefinition
2.2 Terrorismus und Medien
2.2.1 Zentrale Funktionen der Massenmedien
2.2.2 Kritik an der Medienberichterstattung
2.2.3 Terrorismus als Kommunikationsstrategie
2.2.4 Medienstrategien des Islamischen Staats und die Rolle der sozialen Medien
2.2.5 Abhängigkeitsverhältnis zwischen Medien und Terrorismus

3 Theoretischer Hintergrund
3.1 Konstruktion von Realität
3.1.1 Nachrichtenwert und Nachrichtenfaktoren
3.1.2 Terrorismus als Nachricht
3.2 Framing-Ansatz
3.2.1 Framing-Forschung in der Kommunikationswissenschaft
3.2.2 Zugriffe des Framing-Ansatzes
3.2.3 Framing in Medientexten
3.2.3.1 Arten von Medien-Frames
3.2.3.2 Methodische Erfassung von Medien-Frames
3.2.3.3 Wirkung von Medien-Frames auf den Rezipienten
3.3 Visualisierung und Dramatisierung
3.3.1 Textliche Darstellung
3.3.1.1 Realitätskonstruktion durch Sprache
3.3.1.2 Persuasive Kommunikation in den Massenmedien
3.3.1.3 Lexikalische und syntaktische Ebene
3.3.2 Bildliche Darstellungen
3.4 Forschungsstand

4 Forschungsleitende Fragen und Hypothesen

5 Methodik
5.1 Exkurs: Terroranschlag am Berliner Breitscheidplatz
5.2 Allgemeines Forschungsdesign
5.3 Untersuchungsmaterial, Untersuchungszeitraum und Suchoperatoren
5.4 Methodisches Vorgehen bei der Erfassung der Medien-Frames
5.5 Das Kategoriensystem
5.5.1 Formale Kategorien
5.5.2 Inhaltliche Kategorien
5.5.2.1 Allgemeine Kategorien
5.5.2.2 Kategorien zu Medien-Frames
5.5.2.3 Kategorien zur Visualisierung und Dramatisierung
5.6 Codiervorgang und Reliabilitätstest

6 Auswertung und Ergebnisse
6.1 Deskriptive Befunde
6.2 Medien-Frames in der Berichterstattung
6.2.1 Thematisierung der einzelnen Frame-Elemente
6.2.1.1 Problemdefinition
6.2.1.2 Kausale Interpretation
6.2.1.3 Moralische Bewertung
6.2.1.4 Handlungsempfehlungen
6.2.2 Identifizierung von Medien-Frames
6.3 Dramatisierung in der Berichterstattung

7 Diskussion und Ausblick
7.1 Zusammenfassung und Interpretation der Ergebnisse
7.1.1 Medien-Frames
7.1.2 Dramatisierung in der Berichterstattung
7.2 Kritische Reflexion
7.3 Fazit und Ausblick auf die weitere Forschung

8 Literatur

Anhang

Abstract

Die vorliegende Masterarbeit untersucht im Allgemeinen die Berichterstattung deut- scher Zeitungsmedien über den Terroranschlag in Berlin im Dezember 2016. Die Arbeit knüpft damit an das weitumfassende Forschungsgebiet der Terrorismusberichterstattung an, welches auch zur allgemeinen Orientierung herangezogen wird. Auf der theoreti- schen Grundlage der Framing-Forschung sowie der Dramatisierung und Visualisierung journalistischer Inhalte wird der zentralen Frage nachgegangen, ob und wenn ja, welche wiederkehrenden inhaltlichen Muster (Medien-Frames) zu finden sind sowie welche Dramatisierungsstrategien in der Berichterstattung zum Einsatz kommen. Zur Überprü- fung der zentralen forschungsleitenden Frage werden insgesamt 846 Artikel aus insge- samt acht Zeitungen in einer quantitativen Inhaltsanalyse untersucht. Jeweils vier Medi- en sind dabei dem Qualitäts- beziehungsweise Boulevardgenre zuzuordnen. Die Grund- annahme ist, dass Boulevardmedien andere inhaltliche Medien-Frames als Qualitätszei- tungen aufweisen und außerdem verstärkt Dramatisierungs- und Visualisierungsstrate- gien nutzen. In der Berichterstattung zum Terroranschlag in Berlin lassen sich deutlich voneinander abzugrenzende Medien-Frames identifizieren. Im Laufe der Berichterstat- tung wird deutlich, dass zu unterschiedlichen Zeitpunkten verschiedene Medien-Frames in besonderem Maße präsent sind. So widmet sich die Berichterstattung unmittelbar nach dem Anschlag den Reaktionen und Konsequenzen des Anschlags. Infolgedessen rückt mehr und mehr die Sicherheitsdebatte in den Vordergrund bevor auf Versäumnis- se in der Terrorismusbekämpfung sowie die allgemeine Bedrohung durch den Islami- schen Staat eingegangen wird. Unterschiede bezüglich der Medien-Frames fallen zwi- schen Boulevard- und Qualitätszeitungen allerdings gering aus. Bezüglich der Dramati- sierung und Emotionalisierung der Berichterstattung lässt sich die grundsätzliche An- nahme hingegen größtenteils bestätigen. Gemäß den Erwartungen nutzen Boulevardzei- tungen verstärkt Dramatisierungsstrategien bezüglich der sprachlichen Mittel sowie der Verwendung von Bildmaterial. Vor allem die Ergebnisse zur Dramatisierung in der Medienberichterstattung sind konsistent mit bisherigen Untersuchungen von Qualitäts- und Boulevardmedien.

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1. Zugriffe des Framing-Ansatzes (vgl. Matthes 2007: 20)

Abbildung 2. Schema zur Auswahl der Analyseeinheiten (eigene Darstellung)

Abbildung 3. Anzahl der erschienen Artikel in Qualitäts- und Boulevardzeitungen im Zeitverlauf

Abbildung 4. Verteilung der erschienenen Artikel in den Qualitätszeitungen

Abbildung 5. Verteilung der erschienenen Artikel in den Boulevardmedien

Abbildung 6. Nutzung verschiedener journalistischer Textsorten in den Qualitäts- und Boulevardzeitungen

Abbildung 7. Anteil der, in den einzelnen Ressorts, erschienenen Artikel in den Qualitäts- und Boulevardzeitungen

Abbildung 8. Anzahl der verwendeten Bilder in den untersuchten Zeitungen (durchschnittliche Anzahl an Bildern pro Zeitung)

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1. Nachrichtenfaktoren nach Schulz (vgl. Schulz 1976: 32ff.)

Tabelle 2. Beschreibung der fünf Basisframes nach Dahinden (2006: 108)

Tabelle 3. Verkürzte Chronik der Ereignisse

Tabelle 4. Ausprägungen der Kategorie „Terrorismus als Bedrohung“

Tabelle 5. Ausprägungen der Kategorie „Reaktionen auf den Terroranschlag“

Tabelle 6. Ausprägungen der Kategorie „Konsequenzen aus dem Terroranschlag“

Tabelle 7. Ausprägungen der Kategorie „Schuldzuweisung/Problematik“

Tabelle 8. Ausprägungen der Kategorie „Geforderte/Zu unterlassende Maßnahmen“

Tabelle 9. Übersicht der gesamten Analyseeinheiten (Einheiten in der Hauptanalyse)

Tabelle 10. Mittelwerte der dichotomen Variablen pro Cluster

Tabelle 11. Übersicht der festgestellten Cluster/Frames

Tabelle 12. Beispiele für sprachliche Stilmittel

Tabelle 13. Berechnung des Reliabilitätsmaß’ nach Holsti

Tabelle 14. Berechnung des Reliabilitätsmaß’ nach Holsti (Variablen zusammengefasst)

Tabelle 15. Thematisierung des Frame-Elements „Problemdefinition“

Tabelle 16. Thematisierung des Frame-Elements „Kausale Interpretation“

Tabelle 17. Thematisierung des Frame-Elements „Moralische Bewertung“

Tabelle 18. Thematisierung des Frame-Elements „Handlungsempfehlungen“

Tabelle 19. Beobachtete und erwartete Werte zur Verteilung auf die allgemeinen Cluster

Tabelle 20. Mittelwerte der dichotomen Variablen pro Clustera (Qualitätszeitungen)

Tabelle 21. Interpretation der einzelnen Cluster (Qualitätszeitungen)

Tabelle 22. Mittelwerte der dichotomen Variablen pro Clustera (Boulevardzeitungen)

Tabelle 23. Interpretation der einzelnen Cluster (Boulevardzeitungen) ................... LXIII Tabelle 24. Verteilung der Cluster über den Untersuchungszeitraum (über alle Analyseeinheiten gerechnet)

Tabelle 25. Verteilung der Cluster über den Untersuchungszeitraum (Qualitätszeitungen)

Tabelle 26. Verteilung der Cluster über den Untersuchungszeitraum (Boulevardzeitungen)

Tabellenverzeichnis VIII Tabelle 27. Zusammenfassen von Unterkategorien der Kategorien „Akteure“ und „Zitierte Personengruppen“

Tabelle 28. Zusammenfassen von Unterkategorien der Kategorie „Inhalt der Bilder“

Tabelle 29. Beobachtete und erwartete Werte zur Orientierung des Artikels

Tabelle 30. Beobachtete und erwartete Werte zu Expliziten Gefühlsäußerungen

Tabelle 31. Beobachtete und erwartete Werte zum Vorkommen von Zitaten

Tabelle 32. Beobachtete und erwartete Werte zum Vorkommen von Zitaten von Opfern oder Augenzeugen

Tabelle 33. Beobachtete und erwartete Werte zur Syntax

Tabelle 34. Beobachtete und erwartete Werte zu sprachlichen Mittel

Tabelle 35. Beobachtete und erwartete Werte zum Vorkommen von Bildern

Tabelle 36. Beobachtete und erwartete Werte zum Vorkommen von Bildern mit Opferbezug

Tabelle 37. Beobachtete und erwartete Werte zum Vorkommen von Bildern mit Täterbezug

Tabelle 38. Verwendete sprachliche Mittel in der Berichterstattung

Tabelle 39. Schlüsselwörter aller Analyseeinheiten

Tabelle 40. Schlüsselwörter in den Qualitätszeitungen

Tabelle 41. Schlüsselwörter in den Boulevardzeitungen

Tabelle 42. Übersicht der Analyseeinheiten mit Erscheinungsdatum und Schlagzeile

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1 Einführung

Der 11. September 2001 wird oftmals als Wendepunkt in der Terrorismusberichterstat- tung bezeichnet. Zuvor gab es kein vergleichbares Ereignis, das per Live-Übertragung einen so großen Teil der Weltbevölkerung erreichte und auch im Nachhinein solches Aufsehen in der internationalen Medienlandschaft erregt hatte (vgl. Debatin 2002: 30). In den USA brach von Patriotismus getriebener Hass gegenüber den Tätern aus, welcher von den Medien weiter befeuert wurde. Voreilige Schlussfolgerungen bezüglich der Ereignisse vom 11. September 2001 dominierten die Berichterstattung. Sachlichkeit und Zurückhaltung fielen der Schnelllebigkeit der Konkurrenz und des Journalismus allge- mein zum Opfer (vgl. Haller 2002: 49). Kritische Stimmen wurden in den Hintergrund verbannt. Auch in Deutschland zeigte sich ein enormes Medienecho und damit verbun- den eine Welle der Empathie mit den Vereinigten Staaten. Der Schock saß selbst hier- zulande tief, hatte man – zumindest die jüngeren Generationen – ein solch katastropha- les Unglück noch nie miterlebt.

Dem Journalismus wird seit langem eine nahezu symbiotische Beziehung mit dem Ter- rorismus nachgesagt (vgl. u.a. Hoffman 2006; Glaab 2007; Waldmann 2011), welche durch die Schnelligkeit des Internets und die damit verbundenen Möglichkeiten noch verstärkt wird. Für beide Parteien birgt die andere Chancen, aber gleichzeitig auch Risi- ken. Aus wirtschaftlicher Sicht ist der Terrorismus für die Medien ein gewinnbringen- des Thema: Gewalt in den Schlagzeilen zieht Leser an. Auf der anderen Seite gelangen die Ereignisse dadurch allerdings erst ins Bewusstsein der Rezipienten und bringen ihnen jene Aufmerksamkeit entgegen, welche von den Terroristen angestrebt wird.

Vor allem das Fernsehen nahm in der Berichterstattung zu 9/11 eine tragende Rolle ein. Durch den akribisch geplanten Ablauf der beiden Einschläge in das World Trade Center gelang es den Terroristen ein Millionenpublikum zu erreichen, welches den zweiten Einschlag live verfolgte und wenig später auch Zeuge des Einsturzes beider Türme wurde (vgl. Schicha/Brosda 2002: 15). Es zeigte sich in der Folge ein kaum vergleich- bares Ausmaß der internationalen Medienresonanz, welche von einer deutlichen Unter- teilung in Gut und Böse geprägt war (vgl. u.a. Debatin 2002: 32, Werthes/Kim/Conrad 2002: 84).

Die Anzahl terroristischer Anschläge und Selbstmordattentate ist heute beinahe unüber- schaubar und kann von den Medien nur begrenzt verarbeitet werden. Der Terrorismus bewirkte mit dem 11. September sinnbildlich einen Angriff auf die westliche Welt. In Form des Islamischen Staats (I S) stellt er bereits seit mehreren Jahren eine unmittelbare Gefahr für Europa und damit auch für Deutschland dar. Der IS repräsentiert einen Ter- rorismus, der sich hochmodernen und -technisierten Medienstrategien bedient und vor allem über die sozialen Medien den Terrorismus auf kaum vergleichbare Art und Weise inszeniert. Ein weitreichendes Mediennetzwerk sowie professionelle Propagandavideos im Hollywoodstil sollen Radikale weltweit rekrutieren (vgl. Hanne/Flichy de la Neuvil- le 2015: 74, 76f.; Reuter 2016: 258f.). Die Symbolkraft der Anschläge hat sich im Ver- gleich zum 11. September 2001 verändert bzw. verlagert. Debatin spricht in Bezug auf 9/11 von zwei entscheidenden Symbolen: „das hochtechnisierte Verkehrsnetz, repräsen- tiert durch das Massenverkehrsmittel Flugzeug, und die hochvernetzte Bürokratie der kapitalistischen Wirtschaft, repräsentiert durch die Hightech-Wolkenkratzer“ (Debatin 2002: 29). Der IS scheint eine andere Taktik zu verfolgen: Entgegen der aufwendigen Vorbereitung und Inszenierung wirken die Angriffe des IS vereinfacht und teilweise sogar spontan.

Vor allem Frankreich und England werden seit 2015 von einer Vielzahl von Anschlägen erschüttert. „Je suis Charlie“ oder „Je suis Paris“ lauten die Bekundungen, die einmal mehr ein weiteres Ausmaß internationaler Solidarität und Betroffenheit symbolisieren. Neben Frankreichs Hauptstadt wird auch Nizza zum Ziel eines Terroranschlags. Wie bereits im November 2015 in Paris ist hier ebenfalls ein beliebter Platz des alltäglichen Treibens der Schauplatz. Ein Lkw fährt im Juli 2016 in eine Menschenansammlung auf der Strandpromenade. Ähnliche Bilder sieht man ca. fünf Monate später aufs Neue. Im Dezember 2016 fährt am Berliner Breitscheidplatz ein Lkw eine Schneise durch den Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche. Erneut wird ein Fahrzeug als Waffe einge- setzt, erneut trifft es einen Ort des „normalen“ Lebens, wieder einen Ort, an dem sich gerne viele und junge Menschen aufhalten. Das Lebensgefühl der Opfer bzw. der Be- völkerung soll ins Wanken gebracht werden (vgl. Schwarz-Friesel 2014: 15). Dass der Terrorismus nun auch das (politische) Zentrum Deutschlands trifft, lässt die Auseinan- dersetzung mit den Hintergründen und Gefahren des Terrorismus unausweichlich er- scheinen. Die Unsicherheit in der Bevölkerung wächst. Als Grund wird oftmals die Flüchtlingskrise angeführt, was sich auch mehr und mehr im Unmut gegenüber Flücht- lingen zeigt. Ruft man sich ins Gedächtnis, wie schnell in Folge von 9/11 ein islami- sches Feindbild in den Medien konstruiert wurde (vgl. u.a. Werthes/Kim/Conrad 2002: 84), erscheint es umso wichtiger, die mediale Darstellung des Terrorismus zu untersu- chen. Die vorliegende Arbeit führt zu diesem Zweck eine Inhaltsanalyse der Berichter- stattung zum Terroranschlag in Berlin der wichtigsten deutschen Boulevard- und Quali- tätszeitungen durch. Das Ziel wird sein, sich wiederholende, inhaltliche Muster (Fra- mes) in der Berichterstattung zu identifizieren und in diesem Zusammenhang aufzuzei- gen, inwiefern die Medien die Ereignisse durch Dramatisierung und Visualisierungen zusätzlich emotionalisieren1.

Die zentrale Forschungsfrage lautet demnach: „Sind in der Berichterstattung zum Ter- roranschlag in Berlin inhaltliche und/oder formal-stilistische Unterschiede zwischen Qualitäts- und Boulevardpresse zu erkennen?“.

Die Arbeit liefert zunächst einen Überblick der Grundlagen (s. Kapitel 2). Dabei wird zuerst versucht, eine allgemeine Begriffsdefinition von Terrorismus zu liefern. Im An- schluss wird die Beziehung von Terrorismus und Medien beleuchtet und dabei auch die Brücke zur Terrormiliz Islamischer Staat geschlagen. Die Nachrichtenwerttheorie und der Framing-Ansatz bilden die theoretische Grundlage der Arbeit. In diesem Zusam- menhang wird erweiternd auch auf die Punkte Dramatisierung und Visualisierung in der Berichterstattung eingegangen (s. Kapitel 3). Auf Basis der Theorie werden anschlie- ßend die Forschungsfragen und Hypothesen hergeleitet (s. Kapitel 4) und die verwende- te Methode vorgestellt (s. Kapitel 5). Es folgt die Auswertung (s. Kapitel 6), deren Er- gebnisse in der abschließenden Diskussion reflektiert und vor dem Hintergrund der Be- ziehung zwischen Journalismus und Terrorismus beleuchtet werden. Schlussendlich werden die Grenzen der Untersuchung aufgeführt sowie ein Ausblick für die weitere Forschung gegeben (s. Kapitel 7).

2 Grundlagen

Das Kapitel der Grundlagen beschäftigt sich in erster Linie mit dem Phänomen des Ter- rorismus. Dazu wird zunächst versucht, den Begriff des Terrorismus zu definieren, be- vor im Anschluss die Beziehung zwischen Terrorismus und Journalismus herausgear- beitet wird. Damit wird ein grundsätzliches Verständnis zu dem relevanten Forschungs- gebiet gegeben, ehe im anschließenden Kapitel auf den theoretischen Hintergrund ein- gegangen wird.

2.1 Terrorismus – Versuch einer Begriffsdefinition

Als zentraler Gegenstand der vorliegenden Arbeit bedarf es zu dem Thema Terrorismus zunächst einer Einführung. Terrorismus gilt oftmals als vielschichtiges Phänomen, wodurch das Formulieren einer allgemeingültigen Begriffsdefinition erschwert wird. Im Folgenden werden demnach verschiedene Definitionselemente zusammengetragen und letztendlich eine für passend befundene Definition herausgegriffen, die als Grundlage der Arbeit dienen soll.

Eine Vielzahl von Autoren spricht davon, dass eine allgemeingültige Begriffsbestim- mung des Terrorismusphänomens kaum möglich sei (vgl. u.a. Riegler 2009: 14; Frind- te/Haußecker 2010: 38). Wird unter Terrorismus von außen grundsätzlich etwas Negati- ves verstanden, das es zu unterdrücken und unschädlich zu machen gilt, verstehen sich die Terroristen selbst oftmals als Helden oder Befreier (vgl. Schneider/Hofer 2008: 17). Die Grenzen zwischen „Terroristen“ und „Freiheitskämpfern“ sind fließend und die Diskussion was als „Terrorismus“ oder „Widerstand“ einzustufen ist, hat bis jetzt noch kein Ende gefunden (vgl. Riegler 2009: 18). Nach dem Zweiten Weltkrieg hat sich je- doch „im internationalen Recht die Auffassung durchgesetzt, dass bewaffneter Wider- stand zulässig und legitim ist, wenn er sich gegen eine mit Waffengewalt aufrechterhal- tene fremdländische Besetzung richtet“ (ebd.: 17). In diesem Zusammenhang wird auch oftmals Jassir Arafat zitiert, der in einer Rede vor der UN-Vollversammlung noch ein- mal den Unterschied zwischen Terrorismus und legitimem Kampf darstellt. Er grenzt dabei jene, die für eine gerechte Sache, für Freiheit und Unabhängigkeit kämpfen von den eigentlichen Terroristen, die Krieg im Sinne der Besatzung und Ausbeutung anderer Länder führen, ab (vgl. u.a. Schneider/Hofer: 59; Riegler 2009: 18; Frindte/Haußecker 2010: 38).

Riegler analysiert den Begriff Terrorismus weitergehend unter zwei zentralen Gesichts- punkten: Zum einen Terrorismus als „Propaganda der Tat“, zum anderen als Methode der asymmetrischen Kriegsführung. Der erste Punkt geht von der Idee aus, dass Taten als Katalysator wirken können, um ein Zielpublikum zu mobilisieren und dadurch poli- tische Veränderungen herbeizuführen. Es wird davon ausgegangen, dass dadurch selbst kleine Minderheiten in der Lage sind, einen revolutionären Prozess einzuleiten. Um dieses Ziel zu erreichen, werden Gewalttaten mit hoher Sichtbarkeit und symbolischem Wert eingesetzt, die zusätzlich das Potenzial besitzen Massen zu mobilisieren und eine innerstaatliche Dynamik auszulösen. Der zweite Schwerpunkt untersucht Terrorismus als Methode bzw. Strategie. Terrorismus wird hier als eine Form asymmetrischer Kriegsführung bezeichnet. Charakteristisch ist dabei ein Ungleichgewicht zwischen den beiden Konfliktgruppen. Während der Schwächere in einer direkten Konfrontation deut- lich unterlegen wäre, versucht er die Schwachstellen des Gegners zu treffen, ihn dadurch zu ermüden und somit die Kräfteverhältnisse schlussendlich ins Gegenteil um- zukehren (vgl. Riegler 2009: 115). Der heutige Terrorismus hat im Laufe seiner Ent- wicklung eine Vielzahl von Strategien und Taktiken herausgebildet und passt sich dabei stets den aktuellen Sicherungs- und Verteidigungssystemen an. Viele Definitionen von Terrorismus bleiben zu oberflächlich und vernachlässigen eben jene Komplexität der Terrorstrategien, welche die Bekämpfung letztendlich so langwierig und schwierig macht (vgl. ebd.: 170).

Waldmann zeigt bei seinem Versuch einer Definition auf, dass es dem Terrorismus nicht in erster Linie um den Zerstörungseffekt per se geht, sondern darum, durch die Aktion eine Botschaft vermitteln zu können. Er spricht daher von Terrorismus als Kommunikationsstrategie (vgl. Waldmann 2011: 15).

Der Einsatz von Sprache kann in terroristischer Hinsicht als Möglichkeit gesehen wer- den, verbale Gewalt auszuüben. Gewalt lässt sich demnach nicht auf den physischen Angriff beschränken, sondern kann durch den Faktor Sprache erweitert werden. In die- sem Fall können Menschen durch Sprechhandlungen diffamiert, diskriminiert oder ge- ängstigt werden und durch diese Form der verbalen Aggression bewusst Leid davontra- gen. So gesehen übt der Terrorismus nicht alleine durch seine physischen Angriffe Ge- walt aus, sondern auch durch die damit verbundene Absicht, Angst und Verunsicherung zu verbreiten (vgl. Schwarz-Friesel 2014: 9).

Frindte und Haußecker haben in ihrer Arbeit aus der Vielzahl unterschiedlicher Be- griffsbestimmungen folgende Definition herausgearbeitet, welche auch der vorliegen- den Arbeit als Grundlage dienen wird:

„Terrorismus (von lat. terror: „Furcht, Schrecken“) ist

a. eine kalkuliert inszenierte gewalttätige Kommunikationsstrategie,
b. mit der (nichtstaatliche) Akteure versuchen, die Gesellschaft, Staaten, deren Institutionen oder bestimmte gesellschaftliche Gruppen zu schädigen
c. und/oder in Angst und Schrecken zu versetzen,
d. um auf diese Weise politische Ziele zu erreichen“ (Frindte/Haußecker 2010: 39).

2.2 Terrorismus und Medien

„Ganz eindeutig sind Terrorismus und Medien in einer symbiotischen inneren Be- ziehung miteinander verknüpft, jeder von den beiden ernährt den anderen und beutet ihn gleichzeitig für seine Zwecke aus.“ (Hoffman 2006: 284f.)

Die Verantwortung der Kriegs- oder Terrorismusberichterstattung sollte darin liegen, weder durch sensationsheischende, noch durch unsachliche Berichte als Sprachrohr für den Terrorismus zu dienen. Dennoch gelingt es terroristischen Organisationen immer wieder, die mediale Berichterstattung für sich zu instrumentalisieren (vgl. u. a. Hoffman 2006: 284f., Frindte/Haußecker 2010: 53) .

Die Medien sind seit jeher ein bedeutender Träger der Botschaften terroristischer Verei- nigungen. Zum einen kann auf diesem Weg eigenes propagandistisches Material schnell an ein umfangreiches Publikum verbreitet werden. Zum anderen schaffen die Medien jedoch auch durch ihre eigene Berichterstattung über terroristische Organisationen und ihre Taten eine Plattform für diese. In den folgenden Kapiteln wird dieses Verhältnis zwischen Terrorismus und den Medien genauer untersucht.

2.2.1 Zentrale Funktionen der Massenmedien

Die Massenmedien sind aufgrund ihrer freien Zugänglichkeit und ihrer großen Reich- weite ein zentrales Instrument zur Meinungsbildung in der Bevölkerung. Die Medien interpretieren Geschehnisse, fokussieren bestimmte Aspekte der Ereignisse und unter- ziehen diese gleichzeitig einer Bewertung (vgl. Schwarz-Friesel 2014: 11). Je nach Blickwinkel der Darstellung und dem eigenen „sozial geprägte[n], kognitiv veranker- te[n] Glaubenssystem“ (mentalen Modell) können unterschiedliche Vorstellungen von Ereignissen entstehen (ebd.: 12). Durch massenmediale Berichterstattung können je- doch nicht nur Bewertungen abgegeben, sondern auch Feind- und Freundbilder konstru- iert, kausale Begründungen offengelegt oder Handlungskonsequenzen empfohlen wer- den (siehe auch Framing nach Entman in Kapitel 3.2.1). Vor allem Kriegs- und Krisen- situationen können die Medien und ihre Berichterstattung hier vor eine Herausforderung stellen.

Haller spricht davon, dass der Journalismus vor allem in solchen Zeiten der Bedrohung die zuverlässigste Orientierungsquelle sein sollte, da jene Informiertheit die Ungewiss- heit der Bevölkerung verringert. Die Folge davon ist seiner Ansicht nach, dass der Ent- stehung von Angst und Panik entgegengewirkt wird (vgl. Haller 2002: 46). Doch kann auf der anderen Seite eine ausführliche und anschauliche Berichterstattung nicht gerade diese Emotionen erst auslösen und bestärken? Eben jene These ist Teil der im nächsten Kapitel dargestellten Kritik an der Medienberichterstattung.

2.2.2 Kritik an der Medienberichterstattung

Die Massenmedien stellen neben den Terroristen, dem Staat bzw. den Staaten sowie der Bevölkerung einen weiteren Akteur dar, welcher im Kontext des Terrorismus nicht zu vernachlässigen ist. Durch die Medien wird der eigentliche Konflikt dargestellt. Dar- über hinaus wählen sie jedoch auch Meinungen und Fakten aus, bewerten und gewich- ten und beteiligen sich somit aktiv an den Diskussionen (vgl. Glaab 2007: 13).

Die Nachrichtenmedien als zentraler Nachrichtenkanal sind in den Überlegungen terro- ristischer Vereinigungen fest eingeplant. Die Wirkung terroristischer Taten würde ohne das Medienecho wohl weitestgehend ausbleiben und sich auf jene, welche direkt betrof- fen sind, begrenzen. Das angestrebte weltweite Publikum könnte somit nicht erreicht werden (vgl. Hoffman 2006: 269). Der Journalismus steht als „Mitspieler“ des Terro- rismus oftmals in der Kritik, worauf in den folgenden Absätzen eingegangen wird. An- schließend wird auf die Symbolkraft terroristischer Taten eingegangen bevor das zentra- le Abhängigkeitsverhältnis beider Konstrukte herausgearbeitet wird.

Die Berichterstattung über Terrorismus im Allgemeinen bzw. über einzelne terroristi- sche Aktionen wird oftmals kritisch betrachtet. Waldmann spricht dabei von fünf zent- ralen Punkten (vgl. Waldmann 2011: 94):

1. Einseitige und verzerrte Berichterstattung
2. Medien sind nicht nur mehr Beobachter, sondern greifen direkt oder indirekt ins Geschehen ein
3. Medien verleihen Terroristen Prestige und Ansehen
4. Medien begünstigen Verbreitung des Terrorismus
5. Medien als Werkzeug der terroristischen Organisation (Verbreitung von Furcht und Schrecken)

Waldmann untersucht diese Kritikpunkte anhand der amerikanischen Berichterstattung, weshalb keine problemlose Übertragung auf die europäische Berichterstattung zu Ter- rorereignissen möglich ist. Zunächst fällt auf, dass der erste Aspekt durch seine Analyse bestätigt werden kann. Medien wählen bestimmte Ereignisse aus, welche sie ausführlich behandeln, während andere Fälle vernachlässigt werden (vgl. ebd.: 94f.). Grund hierfür können allerdings auch die gemäß der Nachrichtenwerttheorie (s. Kapitel 3.1.1) gängi- gen Selektionsstrategien der Journalisten sein. Der zweite Kritikpunkt nimmt an, dass Medien selbst Einfluss auf das Geschehen nehmen. Dies kann beispielsweise passieren, sofern durch die Berichterstattung Informationen an die Terroristen gelangen, die nicht für sie bestimmt sind, oder die Medien direkt in das Geschehen eingreifen. Die Medien können durch eine ausführliche Berichterstattung bspw. die Regierung unter Druck set- zen und zu einem bestimmten Handeln drängen (vgl. ebd.: 96). Der dritte Kritikpunkt, dass die Medien terroristischen Akteuren Prestige und Ansehen verleihen, erscheint zunächst gerechtfertigt. Durch ihre Taten werden Terroristen schnell zum Top-Thema in den Medien und gelangen somit leicht ins Gedächtnis der Leser (s. auch Abhängigkeits- verhältnis Kapitel 2.2.4). Entgegenzustellen ist hier allerdings die Tatsache, dass von der Prominenz, die ihnen beigemessen wird, „eher ein Abschreckungs- als ein Vorbild- und Bewunderungseffekt ausgeht“ (ebd.: 96). Daran anknüpfend wird ebenso die Be- fürchtung laut, die Berichterstattung könne die breite Öffentlichkeit „anstecken“, Sym- pathie für die Terroristen erzeugen bzw. Taten von Nachahmern begünstigen (Kritik- punkt 4). Wie aber bereits im vorherigen Punkt erklärt, werden die Taten von der Mehr- heit missbilligt und abgelehnt. Wie später in Kapitel 2.2.4 dargestellt wird, nutzen Ter- roristen ohnehin vielmehr die sozialen Medien, um neue Kämpfer zu rekrutieren. Zu- letzt wird die Frage gestellt, ob die Medien durch ihre Berichterstattung zusätzlich Angst und Schrecken auslösen (Kritikpunkt 5). Es wird angenommen, dass durch eine umfassende Berichterstattung die Gefahren für die Bevölkerung und den Einzelnen überschätzt werden können. Nach (terroristischen) Ereignissen kommt es in der Regel sehr schnell zur Beschuldigung potentieller Urheber. In Folge einer zunehmenden Per- sonalisierung der Berichterstattung rücken im Anschluss einzelne Personen und deren Schicksale in den Mittelpunkt (vgl. Haußecker 2007: 140). Des Weiteren zeigte sich bereits in Folge von 9/11 eine Entwicklung zur sensationellen und emotionalisierenden Berichterstattung, was sich vor allem in den Wiederholungen der Schreckensbilder so- wie den fehlenden Hintergrundinformationen kurz nach dem Ereignis äußerte (vgl. u.a. Neverla 2003: 163f.). Dabei wird davon ausgegangen, dass Informationen über eben jene Hintergründe sowie auch Ursachen, Strategien oder Ziele terroristischer Akteure und Ereignisse Unsicherheiten in der Bevölkerung vermeiden könnten. Somit würde der, von den Terroristen angestrebten Verbreitung von Angst und Schrecken entgegen- gewirkt werden (vgl. Dowling 1986: 23). Eine emotionalisierende Berichterstattung hat nicht nur diesbezüglich einen gegenteiligen Effekt, sondern verhindert auch ein tiefer- gehendes Verständnis der Problematik sowie das voreilige Bilden von Stereotypen, Vorurteilen und Freund-Feind-Dichotomien (vgl. u.a. Werthes/Kim/Conrad 2002: 84).

Da bisherige Forschungen oftmals amerikanische Berichterstattung untersucht haben, könnte es in Bezug auf die europäische bzw. die deutsche Berichterstattung durchaus zu Abweichungen kommen. Speziell der letzte Kritikpunkt könnte angesichts des Terror- anschlags in Berlin eine besondere Rolle spielen und somit soll auch in der vorliegen- den Forschungsarbeit untersucht werden, ob und inwiefern die Berichterstattung Mate- rial liefert, um Angst und Schrecken zu verbreiten, und gleichzeitig Vorurteile oder gar Feindbilder gegenüber dem Islam oder Flüchtlingen entwickelt.

2.2.3 Terrorismus als Kommunikationsstrategie

Der hohe Stellenwert von terroristischen Ereignissen in der Berichterstattung der Mas- senmedien ist in erster Linie dem hohen Wettbewerbs- und Geschwindigkeitsdruck ge- schuldet. Die Negativität und Gewalt die von terroristischen Taten ausgeht erregt inner- halb kürzester Zeit ein enormes Maß an öffentlicher Aufmerksamkeit und kann somit nicht ignoriert werden (vgl. Riegler 2009: 264). Der Terrorismus ist gerade deshalb da- rauf bedacht, „einen hochkomplexen Sachverhalt in möglichst einprägsame[r], prägnan- te[r] und in einer für sich ‚sprechenden‘ Art und Weise umzusetzen und zwar als ästhe- tisches Schauspiel von Gewalt und Zerstörung“ (ebd.: 263). Durch große Symbolkraft und hohe Schockwirkung sollen die Bilder im Gedächtnis des Zielpublikums bleiben (vgl. ebd.: 336). Terrorismus wird deshalb bereits in früheren Werken oftmals als Thea- ter bezeichnet (vgl. Jenkins 1975: 4). Eben jenes Theater ist nun aber auf die Kanäle und die Reichweite der Medien angewiesen, um die zentrale Botschaft einem möglichst großen und vielfältigen Publikum zu vermitteln. Zum einen soll die Öffentlichkeit für die eigene Sache mobilisiert, zum anderen die Gegner in Angst und Schrecken versetzt werden (vgl. Riegler 2009: 263).

Mit der Entwicklung der Live-Übertragung im Fernsehen erreichte auch die Aufmerk- samkeit für terroristische Aktionen eine neue Dimension. In diesem Zusammenhang wird als eines der ersten bedeutenden Ereignisse oftmals der Überfall und die Geisel- nahme der Organisation „Schwarzer September“ bei den Olympischen Sommerspielen in München im Jahr 1972 erwähnt. Mit ca. 800 Millionen Zuschauern erreichten die Terroristen spielend ein riesiges Forum, um auf die Probleme in Palästina aufmerksam zu machen. Das eigentliche Fehlschlagen der Geiselnahme schien allerdings nicht von Bedeutung. Entscheidend war es die Botschaft zu vermitteln, was schlussendlich erst durch die Nachrichtenberichterstattung ermöglicht wurde (vgl. Waldmann 2011: 93).

Der Anschlag auf die USA am 11. September 2001 zeigte in kaum vergleichbarer Art und Weise, inwieweit die Medien durch den Terrorismus instrumentalisiert werden können. Die perfekt inszenierte Tat hatte einen bis dahin beispiellosen Symbolcharak- ter. Das Timing, das die morgendliche Alltagsroutine der New Yorker berücksichtigte, jedoch auch so gewählt war, dass der Großteil der Weltbevölkerung wach war, sorgte für ein größtmögliches Live-Publikum weltweit (vgl. Debatin 2002: 26). Der Schauplatz und die Sichtbarkeit der Geschehnisse sicherten die Medialität dieses Ereignisses (vgl. Neverla 2003: 160). Die darauffolgende Echtzeit-Berichterstattung unterbrach das tägli- che Leben. Eine weitere Besonderheit war jedoch die zeitliche Differenz zwischen den Einschlägen in die beiden Türme des World Trade Centers. Während die Nachrichten über den brennenden Nordturm berichteten, wurde der Einschlag in den Südturm live übertragen (vgl. Weichert 2003: 77). So gesehen war ein Millionenpublikum in Echtzeit Zeuge eines terroristischen Anschlags, der kurz darauf durch den Einsturz der Türme besiegelt wurde. Auch danach zeigten die Nachrichten fortlaufend Wiederholungen von Amateuraufnahmen der brennenden und einstürzenden Türme (vgl. Klimke 2002: 43f.). Eben jene Bilder standen sinnbildlich für die Verwundbarkeit der westlichen Welt (vgl. ebd.: 41). Das Flugzeug, als größtes und hochtechnisiertes Verkehrsmittel kollidiert mit dem Wolkenkratzer als Symbol für die „hochvernetzte Bürokratie der kapitalistischen Wirtschaft“ (Debatin 2002: 29). Die Menge an Informationen, die über die Medien vermittelt wurde, war enorm und wurde unmittelbar nach dem Anschlag aus Gründen des Zeitdrucks keinerlei Kritik oder Reflexion unterzogen (vgl. ebd.: 27). Es entwickel- te sich vielmehr eine ereignisorientierte Berichterstattung, geprägt von Gerüchten und Spekulationen sowie einer durch Wiederholungen verursachten Redundanz an Informa- tionen (vgl. Neverla 2003: 163f.).

Die Symbolik der Anschläge des 11. September 2001 legt einen Angriff auf die Macht und die Wirtschaft nahe. Das Opfer war allerdings die allgemeine Bevölkerung. Schwarz-Friesel spricht davon, dass das Lebensgefühl der Bevölkerung durch den Ter- rorismus und seine Taten ins Wanken gebracht werden soll (vgl. Schwarz-Friesel 2014: 15). Dieser Punkt scheint gerade unter Betrachtung der Strategien des Islamischen Staats von besonderer Wichtigkeit zu sein. Gerade die jüngsten Anschläge in Europa transportieren eine klare Botschaft. Entgegen dem Angriff am 11. September, sind nun Orte des alltäglichen Lebens bzw. Orte der Freizeit und des Vergnügens im Zentrum der Anschläge. Oftmals sind es Veranstaltungen, an denen sich viele Familien und jüngere Menschen aufhalten, möglicherweise um bereits im jungen Alter die Angst vor dem Terrorismus zu schüren.

2.2.4 Medienstrategien des Islamischen Staats und die Rolle der sozialen Medi- en

Vor dem Hintergrund des Terroranschlags in Berlin, wird im Folgenden speziell auf die Terrormiliz Islamischer Staat eingegangen.

Das Mediennetzwerk des Islamischen Staats besteht bereits aus einer ansehnlichen An- zahl von Zeitschriften, welche in mehrere Sprachen übersetzt werden, Radiosendern und sogar einem eigenen Video-Label (vgl. Hanne/Flichy de la Neuville 2015: 76f.). Vergleicht man die Propagandavideos des IS mit jenen von Bin Laden und der al-Qaida erkennt man, wie der IS jenen Bereich professionalisiert hat. Wie in Hollywoodfilmen werden schießende Kämpfer und Explosionen in hochauflösenden Bildern gezeigt und mit dramatischer Musik untermalt. Entgegen den früheren textlastigen Videobotschaf- ten, scheint nun das Augenmerk auf möglichst plakativen Bildern, schnellen Schnitten und viel Action zu liegen (vgl. u.a. ebd.: 74; Reuter 2016: 258f.). Eines der ersten Vi- deos, das ein enormes Medienecho auslöste, war mit Sicherheit die Enthauptung des amerikanischen Journalisten James Foley im August 2014. Gut belichtet und aus zwei Kameraperspektiven gefilmt hört man die letzten Worte des Opfers, bevor ein ver- mummter Terrorist das Messer an seinen Hals bewegt. Die eigentliche Enthauptung wird ausgespart. Foleys abgetrennten Kopf sieht man jedoch am Ende auf seinem Kör- per liegen. Auf diese Art und Weise soll das Video für das westliche Zielpublikum an- schaubar bleiben. Auch ohne explizite Darstellung, lässt die letzte Szene keinen Zweifel an der Tat. Die eigentliche Botschaft dieses Videos beinhaltet aber die einleitenden Worte von Foley. Darin gibt er nicht seinen Mördern die Schuld an seinem Tod, son- dern der US-Regierung. Eine Aussage, die aus der Feder des IS stammen könnte, hier aber von einer Geisel ausgesprochen wird, die getötet wird, unabhängig davon, was sie sagt (vgl. Reuter 2016: 254f.).

Damit Botschaften wie diese ihr Publikum erreichen, werden die Vorteile der kaum zu überschaubaren Weite des Internets genutzt. Als primärer Verbreitungsweg fungieren schwer zu überwachende soziale Netzwerke wie Facebook oder Twitter, aber auch Vi- deoplattformen wie YouTube. Twitter löscht Nachrichten beispielsweise nur, wenn es von anderen Nutzern verlangt wird und spezielle Verstöße gemeldet werden (vgl. Han- ne/Flichy de la Neuville 2015: 76). Das Enthauptungsvideo von Foley wurde zwar nach einer Stunde von YouTube gelöscht, hatte sich bis dahin aber bereits auf anderen Platt- formen weiter verbreitet. Dabei werden gezielt populäre Hashtags genutzt, um zum ei- nen ein möglichst breites Publikum zu erreichen, zum anderen aber auch in der Menge an Beiträgen nicht aufzufallen und so mögliche Kontrollen zu umgehen. Der IS nutzt verschiedene Konten und Nutzernamen und erschafft durch fremdgesteuerte Twitter- Accounts eine scheinbare Vielzahl an Beiträgen, die jedoch alle die gleichen Botschaf- ten enthalten (vgl. Reuter 2016: 260ff.).

Neben der strategischen Irreführung in den sozialen Medien, versteht der IS es auch, die externe Berichterstattung zu manipulieren und so das eigene Image zu stärken. Bilder von internationalen Nachrichtenagenturen sind teilweise PR-Material des IS. Darunter fallen nur genehmigte Fotografien, welche die Stärke und Macht der Terrororganisation veranschaulichen (vgl. ebd.: 268f.).

Aber nicht nur die Nutzung der sozialen Medien durch den IS, sondern auch die eigenen Social Media-Auftritte von Nachrichtenportalen und privaten Nutzern können für die terroristische Organisation von Vorteil sein. Neben der Verbreitung auf dem Printweg oder dem stationären Onlineauftritt, erreichen Beiträge auf Facebook oder Twitter in kürzester Zeit eine enorme Reichweite, welche sich durch Retweets oder die Teilen- Funktion auf Facebook rasant und teilweise auch unkontrolliert vergrößern kann. Die Möglichkeit der Partizipation der einzelnen Nutzer schürt dabei oftmals Gerüchte, Spe- kulationen oder Vorurteile, die keinerlei Verifizierung unterliegen und für die vor allem weniger Informierte anfällig sind. Daraus können sich schnell unkontrollierbare Dyna- miken entwickeln, welche auch negative Auswirkungen auf das tatsächliche Geschehen haben können (vgl. ebd.: 262; 265ff.). Ein Beispiel dafür sind die Entwicklungen am Tag des Amoklaufs in München im Juli 2016. Schon bald nach der Eilmeldung, es gäbe Schüsse im Olympia-Einkaufszentrum, kursieren auf Facebook, Twitter und Periscope Meldungen über ähnliche Vorfälle unter anderem am Stachus, auf dem Tollwood- Festival oder am Hauptbahnhof. Diese sich rasend schnell verbreitenden Spekulationen lösen jedoch nicht nur im virtuellen Raum Panik aus, sondern führen an verschiedensten Orten in München zu realen Massenpaniken. Über die Motive des Täters werden ebenso Mutmaßungen angestellt und sehr schnell wird von einem Terroranschlag gesprochen. Die Polizei ist über die gesamte Zeit selbst auf Twitter und Facebook aktiv und weist darauf hin, dass Fotos oder Informationen über den Polizeieinsatz dem Täter helfen können (vgl. u.a. Backes/Jaschensky/Langhans/Munzinger/Witzenberger/Wormer 2016: o. S.; Cornette/Satra 2016: o. S.; Dyckmans 2016: o. S.). Eben jenes Szenario wird be- reits in Kapitel 2.2.2 als zentraler Kritikpunkt der Berichterstattung der Medien ange- führt. Die Gefahr, dass unangemessene Informationen an den oder die Täter gelangen, besteht aufgrund der Verbreitungsgeschwindigkeit und der Reichweite der sozialen Me- dien in besonderem Maße.

Auf der anderen Seite sind die sozialen Medien jedoch auch der Ort, an dem Hilfe an- geboten und Solidarität bekundet wird. So wird mit #offenetuer oder #roomformanches- ter Unterschlupf angeboten und mit #PrayForParis oder #NousSommesUnis Mitgefühl von Nutzern weltweit gezeigt. Gerade durch diesen „virtuellen“ Zusammenhalt können die sozialen Medien dem Terrorismus zumindest teilweise entgegenwirken.

2.2.5 Abhängigkeitsverhältnis zwischen Medien und Terrorismus

Wie in Kapitel 2.2.3 dargestellt wird, macht der Terrorismus die Medien zu seinem Spielball und somit zum Mithelfer des Terrorismus. Gleichzeitig ist er aber auch auf die Medien als Verbreitungsorgan angewiesen, um Aufmerksamkeit zu erreichen (vgl. Ne- verla 2003: 161). In diesem Sinn wird oftmals von einer Symbiose von Terrorismus und Medien gesprochen (vgl. u. a. ebd.: 161; Glaab 2007: 11; Waldmann 2011: 93). Die eigentliche Berichterstattung über terroristische Ereignisse ist dabei gemäß der Informa- tionspflicht kaum zu umgehen (siehe ausführlich in Kapitel 3.1.2). Allerdings ist die Art und Weise der Berichterstattung ein entscheidender Kritikpunkt in der Diskussion um das Abhängigkeitsverhältnis zwischen dem Terrorismus und den Medien. Einer stark dramatisierenden und dadurch emotionalisierenden Berichterstattung wird eine insze- nierende und somit unterstützende Funktion für den Terrorismus nachgesagt (vgl. Frind- te/Haußecker 2010: 53).

Jedoch können die Medien durch die Art und Weise, wie sie berichten, dieser Kritik und dem Status als Komplize des Terrorismus entgegenwirken (vgl. Neverla 2003: 161). Eben jene Kritik an den Medien, sie würden durch ihre Berichterstattung den Terroris- mus unterstützen, kann zum Beispiel laut Glück nicht bestätigt werden (vgl. u.a. Glück 2008: 62). Die meisten Studien zeigen keinerlei Verbindung und auf die Darstellung von Motiven und Zielen der Attentäter wird meist verzichtet. Anstelle von Absichten der Terroristen wird der Fokus vielmehr auf Opfer und Schäden gelegt (vgl. Riegler 2009: 336). Andere Autoren sprechen allerdings davon, dass eben jene personalisieren- den Darstellungen von Opfern und Schicksalen enormes Emotionalisierungspotenzial aufweisen und somit eher Angst verbreiten als ausführliche Berichte über Hintergründe und Ziele.

Die Kommunikationsstrategie der Terroristen setzt gleichzeitig darauf, „wie in einer Eskalationsschraube ein ständiges Mehr an Schock und Terror“ zu produzieren (ebd.: 337). Genau jene spektakulären Bilder gelangen aufgrund ihres hohen Nachrichtenwerts in die Medien und somit an ein großes Publikum. Aussagekräftige und symbolische Bilder wie die brennenden Zwillingstürme am 11. September wurden beispielsweise in Dauerschleife gezeigt, verankerten sich im Gedächtnis und waren somit kaum zu ver- gessen (vgl. u. a. Klimke 2002: 43f.; Brosda 2002: 53). Ein weiterer Punkt ist die Medi- enaufmerksamkeit, die auch den jeweiligen Tätern zukommt. Die Veröffentlichungen von Bildern und Namen der Täter bezwecken, dass sie als Medienstars „glorifiziert und von Gleichgesinnten als Märtyrer und Vorbilder“ gefeiert werden (Debatin 2002: 34).

Auch wenn jene (Bewegt)Bilder sowohl im Fernsehen, als auch in den Printmedien om- nipräsent waren und sind, zeigt sich auch, dass die Medien diesbezüglich mehr oder weniger konsequente Auswahlverfahren treffen. Auf die Ausstrahlung von Propaganda- videos wie beispielsweise die Enthauptung von James Foley, wurde in den großen deut- schen Nachrichtenmedien verzichtet, teilweise wurde allerdings mit Standbildaufnah- men gearbeitet. Hier soll bewusst ein Zeichen gegen die Instrumentalisierung durch den IS gesetzt werden (vgl. Zeit Online 2014: o.S.).

Die mediale Aufmerksamkeit ist jedoch nicht immer von Vorteil für die terroristischen Vereinigungen, da beispielsweise nicht nur Sympathisanten gewonnen werden. Auch wenn die Medien durch die Berichterstattung die terroristischen Taten in das Bewusst- sein der Bevölkerung rücken, so agieren sie auch als zentrales Mittel im Kampf gegen den Terrorismus. Durch die Berichterstattung kann zwar Entsetzen und Angst in der Öffentlichkeit ausgelöst werden, eben jene Emotionen können gleichzeitig aber auch gegen die terroristischen Akteure mobilisieren (vgl. Riegler 2009: 337). Nach dem Schock kommen dabei oftmals Bekundungen der Tapferkeit oder des Trotzes. Eben jene Nachrichten können der eigentlichen Intentionen der Terroristen, die Bevölkerung in Angst zu versetzen, entgegenwirken und somit indirekt das Scheitern des Terroris- mus konstatieren (vgl. u. a. Waldmann 2011: 99; Schütte 2012: 167).

Die Kritik an den Medien als Mitspieler des Terrors ist somit immer noch ein offenes Feld, das es zu untersuchen gilt. Vor allem vor dem Hintergrund der terroristischen Entwicklungen in Europa und im Speziellen in Anbetracht des Terroranschlags in Ber- lin ist es von besonderem Interesse, wie der Terrorismus und seine Akteure in der Be- richterstattung dargestellt werden.

3 Theoretischer Hintergrund

Die theoretische Grundlage der vorliegenden Arbeit basiert auf den beiden nachfolgend aufgezeigten kommunikationswissenschaftlichen Ansätzen der Nachrichtenwerttheorie und des Framings. Abschließend wird in diesem Kapitel auf die Punkte Dramatisierung und Visualisierung in journalistischen Texten eingegangen.

3.1 Konstruktion von Realität

Frühere Untersuchungen zur Nachrichtenberichterstattung versuchen zu zeigen, dass die dargestellte Medienrealität nicht mit der tatsächlichen Realität übereinstimmt. Dieses Vorhaben würde einen Vergleich mit der tatsächlichen Realität voraussetzen, was Schulz allerdings als „grundsätzlich ungerechtfertigt und auch unmöglich“ (Schulz 1976: 25) beurteilt. Für die Fragen, was das „richtige“ Bild der Realität ist, bzw. was tatsächlich geschehen ist, lassen sich keine allgemeingültigen Aussagen treffen. Viel- mehr wird die Medienrealität vor dem Hintergrund eigener Normen oder Wunschbilder bewertet (vgl. ebd.: 27). Die Annahme, dass Nachrichten reale Ereignisse abbilden und widerspiegeln, muss der Auffassung weichen, dass sie stattdessen eine bestimmte Inter- pretation dieser Ereignisse darstellen, die „Realität“ also konstruieren. Es werden nur gewisse Aspekte der realen Welt vermittelt, die somit in das Bewusstsein der Rezipien- ten gelangen und als „wirklich“ aufgefasst werden (vgl. ebd.: 28).

3.1.1 Nachrichtenwert und Nachrichtenfaktoren

Die Nachrichtenwerttheorie beschäftigt sich im Grunde mit der Frage, wie Journalisten bei der Selektion von Ereignissen vorgehen, welche aufgrund der enormen Vielfalt an Quellen und Informationen unabdingbar ist (vgl. Maier/Stengel/Marschall 2010: 13). Der Nachrichtenwert trägt entscheidend zur Erleichterung dieser Selektion bei. Den Medieninhalten werden dabei bestimmte Nachrichtenfaktoren zugeschrieben, welche den Nachrichtenwert also die „Publikationswürdigkeit“ einer Nachricht bestimmen (vgl. Kunczik/Zipfel 2001: 246). Je größer der Nachrichtenwert, desto eher wird eine Nach- richt veröffentlicht. Der Nachrichtenwert äußert sich auch in formalen Kategorien wie dem Umfang oder der Platzierung in dem jeweiligen Medium. Meldungen mit hohem Nachrichtenwert erstrecken sich in der Zeitung beispielsweise über die ersten Seiten und sind sehr ausführlich aufbereitet (vgl. Schulz 1976: 30).

Im Folgenden wird zunächst auf die, der Selektion zu Grunde liegenden, Nachrichten- faktoren eingegangen. Vor diesem Hintergrund wird anschließend aufgezeigt, inwiefern Nachrichten über terroristische Aktionen berichtenswert sind, bzw. welche Aspekte bei dem Terroranschlag in Berlin besonders stark zum Tragen kommen.

Entscheidend sind dabei die Kombination und Intensität von Nachrichtenfaktoren an- hand derer letztendlich der Nachrichtenwert ermittelt wird. Bei der Definition und Ein- ordnung der sogenannten Nachrichtenfaktoren gibt es eine Vielzahl unterschiedlicher Ansätze (u.a. Galtung/Ruge 1965).2

Galtung und Ruge entwickelten neben ihren zwölf Nachrichtenfaktoren, die später von Schulz um sechs weitere auf 18 erweitert wurden und weiter unten ausführlicher be- schrieben werden, fünf wesentliche Hypothesen im Zusammenhang mit den Nachrich- tenfaktoren (vgl. Galtung/Ruge 1965: 71f.; Kunczik/Zipfel 2001: 249). Zunächst wird davon ausgegangen, dass ein Ereignis eher zur Nachricht wird, je mehr es den Kriterien entspricht (Selektivitätshypothese). Weiter wird postuliert, dass jene Aspekte, welche ein Ereignis berichtenswert machen, besonders hervorgehoben werden. Die Prozesse der Selektion und Verzerrung finden dabei bei jedem Schritt – von der ersten Beobach- tung bis hin zur Veröffentlichung – statt und werden durch jede Wiederholung verstärkt (Replikationshypothese). Je mehr Nachrichtenfaktoren auf ein Ereignis zutreffen, desto größer wird die Wahrscheinlichkeit einer Veröffentlichung (Additivitätshypothese). Zuletzt wird festgelegt, dass bei Fehlen oder geringer Ausprägung bestimmter Nach- richtenfaktoren, andere Nachrichtenfaktoren in höherem Maße vorhanden sein müssen, damit das Ereignis zur Nachricht wird. Ist Faktor a gering ausgeprägt, muss Faktor b umso stärker vorhanden sein. Wären beide Faktoren nur schwach, würde das Ereignis nicht zur Nachricht werden.

Schulz kritisiert zwar die fehlende empirische Überprüfung der Theorie seitens Galtung und Ruge, hält jedoch auch fest, dass sie (zur damaligen Zeit) „wegen ihrer Plausibilität, ihres Informationsgehalts, ihrer Systematik und empirischen Überprüfbarkeit der bisher bedeutendste Beitrag auf dem Gebiet der Nachrichtenforschung“ ist (Schulz 1967: 20). Schulz knüpft an diese Forschung an und erweiterte den Katalog von Galtung und Ruge auf insgesamt 18 Nachrichtenfaktoren, welche in sechs Dimensionen unterteilt werden: Zeit, Nähe, Status, Dynamik, Valenz und Identifikation (vgl. ebd.: 31ff.). Tabelle 1 zeigt diese sechs Dimensionen mit den jeweils zugeordneten Faktoren.

Tabelle 1. Nachrichtenfaktoren nach Schulz (vgl. Schulz 1976: 32ff.)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Im Folgenden wird diese Klassifikation von Schulz ausführlich dargestellt und an- schließend auf das Thema Terrorismus angewendet.

Bezüglich der Dimension „Zeit“ lässt sich feststellen, dass Ereignisse von kurzer Dauer einen hohen Nachrichtenwert haben, während Ereignisse, welche den Zeitraum von einer Woche überschreiten, einen niedrigen Nachrichtenwert haben (Dauer). Des Wei- teren gelten Themen, die über einen langen Zeitraum eingeführt werden berichtenswer- ter als Themen, die in der bisherigen Berichterstattung noch nicht etabliert sind (Thema- tisierung). Die Dimension „Nähe“ beinhaltet die räumliche, politische und kulturelle Nähe zwischen dem Ereignisort und dem Redaktionssitz. Des Weiteren fällt unter diese Kategorie der Grad der Betroffenheit sowie der existenziellen Bedeutung eines Ereig- nisses (Relevanz). Weitere Faktoren sind unter der Dimension „Status“ zusammenge- fasst. Hier spricht Schulz von regionaler Zentralität als Maß für die politisch- ökonomische Bedeutung der Ereignisregion sowie von nationaler Zentralität als Grad für die wirtschaftliche, wissenschaftliche und/oder militärische Macht des Ereignislan- des. Zuletzt bezieht sich der persönliche Einfluss auf die politische Macht der beteilig- ten Personen, bzw. bei unpolitischen Meldungen der Faktor Prominenz auf den Be- kanntheitsgrad der beteiligten Personen. Unter einer vierten Dimension („Dynamik“) wird zum einen verstanden, inwiefern Zeitpunkt, Verlauf und Resultat eines Ereignisses vorausschaubar bzw. überraschend war (Überraschung). Zum anderen wird die Ver- laufsform, Beteiligung und Überschaubarkeit eines Ereignisses unter dem Nachrichten- faktor Struktur zusammengefasst. Die Dimension „Valenz“ subsumiert die negativen Faktoren Konflikt, Kriminalität sowie Schaden. Wobei Nachrichten mit hoher Ausprä- gung dieser Aspekte einen hohen Nachrichtenwert aufweisen. Des Weiteren beschreibt der Faktor Erfolg den Fortschritt auf politischer, wirtschaftlicher und kultureller Ebene, der durch ein Ereignis ausgelöst wird. Zuletzt werden unter dem Überbegriff „Identifi- kation“ die Nachrichtenfaktoren P ersonalisierung, als der Grad des personellen Bezugs eines Ereignisses, und Ethnozentrismus zusammengefasst. Letzteres bezieht sich auf den Umstand, ob und inwieweit ein Ereignis die Bevölkerung des Landes betrifft, in dem das Medium erscheint (vgl. ebd.: 32ff.).

Bei der Überprüfung des Zusammenhangs zwischen Nachrichtenfaktoren und Nachrich- tenwert zeigt sich, dass bestimmte Faktoren einen größeren Einfluss auf den Nachrich- tenwert haben, als andere (vgl. ebd.: 80ff.). In der Dimension Zeit wird vor allem der Faktor Thematisierung hervorgehoben. Je ähnlicher ein Ereignis einem langfristig ein- geführten Thema ist, desto eher wird darüber berichtet. Im Bereich der Nähe spielt vor allem die Relevanz eine Rolle. Je mehr Opfer und je größer der Grad der existenziellen Bedeutung, desto höher ist der Nachrichtenwert. Weiterhin fällt auf, dass über Ereignis- se aus den politischen und wirtschaftlichen Zentren Deutschlands, an denen beispiels- weise führende Politiker beteiligt sind, oftmals berichtet wird. Sowohl bei komplexen Themen als auch überraschend auftretenden Ereignissen kann ein hoher Nachrichten- wert beobachtet werden. Vermehrte Berichte über Ereignisse mit Personen- oder Sach- schäden lassen auf einen großen Einfluss der negativen Faktoren Konflikt und Schaden schließen.

3.1.2 Terrorismus als Nachricht

Die Menge berichtenswerter Informationen scheint unendlich und der eigentlichen In- formationspflicht der Medien kann daher kaum Folge geleistet werden. Wie im vorheri- gen Absatz erläutert zeigt sich bei Schulz (1976) ein verstärkter Einfluss bestimmter Nachrichtenfaktoren. Das Thema Terrorismus beinhaltet objektiv betrachtet eine Viel- zahl der aufgezählten Nachrichtenfaktoren: u.a. Thematisierung, Relevanz, Konflikt oder Schaden. Jene Faktoren treffen jedoch auf nahezu jede Art terroristischer Anschläge weltweit zu. Terrorismus kann als übergeordnetes, langfristig eingeführtes Thema be- trachtet werden. Die Menge an ähnlichen entsprechenden Ereignissen scheint kaum noch überschaubar zu sein. Betrachtet man alleine eine Aufzählung von Terroranschlä- gen der letzten Jahre (vgl. u. a. Landeszentrale für politische Bildung Baden- Württemberg 2017: o. S.; Wikipedia 2017: o. S.) wird deutlich, dass nicht über jede dieser Taten in gleichem Ausmaß berichtet werden kann. Um den eigenen Nachrich- tenwert zu erhöhen und somit die Aufmerksamkeitsschwelle der Medien zu überschrei- ten, werden terroristische Anschläge zunehmend öffentlichkeitswirksam in Szene ge- setzt. Die Einzigartigkeit oder Faktoren wie bspw. Überraschung oder gesteigerter Schaden stehen dabei im Fokus (vgl. u. a. Neverla 2003: 160; Haußecker 2007: 142).

Mit der Entwicklung des Terrorismus und dem Einfluss des IS in Europa könnte man vermuten, dass vor allem auch Faktoren wie die kulturelle, gesellschaftliche und geo- graphische Nähe sowie der Aspekt der Personalisierung eine größere Rolle spielen. Einer Untersuchung dieses Zusammenhangs wird im Rahmen dieser Arbeit jedoch nicht explizit nachgegangen.

Neben der bereits aufgezeigten Nachrichtenwerttheorie lässt sich an dieser Stelle weiter- führend auch noch mit der Theorie der Schlüsselereignisse argumentieren. Bei dem Be- griff „Schlüsselereignis“ handelt es sich um „ein spektakuläres Ereignis, das die Auf- merksamkeit der Medien in besonderem Maße auf sich zieht“ (Leitner 2000: 20). Durch die Außergewöhnlichkeit eines Schlüsselereignisses, ist es nahezu unmöglich, dass es durch das Raster des journalistischen Selektionsprozesses fällt. Auch wenn nur ein oder zwei der oben genannten Nachrichtenfaktoren gegeben wären, würde das Ereignis den- noch zur Nachricht werden (entgegen der Additionshypothese). Das Schlüsselereignis entwickelt seine eigene Dynamik und wäre in jedem Fall berichtenswert (vgl. Rauchen- zauner 2008: 58).

Die Tatsache, dass über terroristische Ereignisse wie dem Anschlag in Berlin berichtet wird, steht vor diesem Hintergrund also nicht zur Diskussion. Im Folgenden soll aber nun weiterführend der Frage nachgegangen werden, welche Aspekte dabei besonders beleuchtet werden und, in Bezug auf die Dramatisierung und Visualisierung von Nach- richten, wie formal-stilistisch berichtet wird.

3.2 Framing-Ansatz

Beschäftigt sich die Nachrichtenwerttheorie mit der grundsätzlichen Frage, warum über Themen berichtet wird, untersucht der kommunikationswissenschaftliche Framing- Ansatz vielmehr, wie diese Themen zugänglich gemacht werden. Im folgenden Kapitel wird hierzu ein knapper Überblick über die bestehende Forschung gegeben sowie ver- schiedene Zugänge des Framing-Ansatzes erläutert. Anschließend wird der Fokus auf das für diese Arbeit relevante Framing in Medientexten gelegt. Das spezielle Teilgebiet des Visual Framings wird dabei nicht berücksichtigt, da die Bebilderung in Medientex- ten im Kapitel Dramatisierung und Visualisierung näher behandelt wird. Abschließend wird der Vollständigkeit halber auch die Wirkung von Frames auf den Rezipienten an- geschnitten.

3.2.1 Framing-Forschung in der Kommunikationswissenschaft

In diesem Abschnitt wird sich die Darstellung der Framing-Forschung lediglich auf den Bereich der Kommunikationswissenschaft konzentrieren. Allein in diesem Bereich ist der Ansatz sehr breit gefächert3 und ist somit in der Lage, nahezu alle Teile der politi- schen Kommunikationsforschung abzudecken. Dass sich in der Folge eine Vielzahl kleinerer Forschungsbereiche ausbilden, welche sich auf einzelne Gebiete spezialisie- ren, scheint nicht ungewöhnlich (vgl. Matthes 2014: 17). Matthes spricht dabei aber auch die Gefahren an, die eine solche Fragmentierung des Forschungsgebiets mit sich bringt. Die Spezialisierung auf kleinere Teilbereiche lässt zum einen zwar detailliertere Einblicke in das jeweilige Thema zu, setzt diese zum anderen allerdings kaum in Bezug zu anderen Teilbereichen, weshalb die Forschungsergebnisse unvollständig bleiben (vgl. ebd.: 17). Der Versuch einer gemeingültigen Definition ist demnach schwierig. Die Definition von Entman (1993) wird jedoch häufig für die empirische Umsetzung herangezogen und bietet somit auch für die vorliegende Arbeit die Grundlage (vgl. Matthes 2007: 90). Sie definiert Framing wie folgt:

„To frame is to select some aspects of a perceived reality and make them more sa- lient in a communicating text, in such a way as to promote a particular problem definition, causal interpretation, moral evaluation, and/or treatment recommen- dation for the item described” (Entman 1993: 52, Hervorhebungen i. O.).

Demnach findet Framing auf zwei Ebenen statt. Mit „select“ ist hier der journalistische Auswahlprozess gemeint, der dazu führt, dass bestimmte Informationen in der Textbe- richterstattung oder auch Pressefotos in der Bildberichterstattung anderen vorgezogen werden. Durch das „salient“ machen, werden jene ausgewählten Aspekte noch zusätz- lich hervorgehoben (vgl. Müller 2013: 33). Entmans Definition charakterisiert einen Frame darüber hinaus als Zusammensetzung der verschiedenen Elemente Problemdefi- nition, kausale Attribution, moralische Bewertung und/oder Handlungsempfehlungen. Zu berücksichtigen ist, dass einzelne Sätze mehrere dieser Elemente, ganze Texte aber auch keines dieser Elemente behandeln können. Es wird ebenso nicht vorausgesetzt, dass ein Frame alle vier beschriebenen Elemente beinhalten muss (vgl. Entman 1993: 52).

Das Element Problemdefinition zeigt auf, warum ein Thema öffentliches Interesse er- regt und darüber berichtet wird. Es definiert also, worüber gesprochen wird, und bildet die wichtigsten Akteure ab. Für dieses angesprochene Problem bzw. für den dargestell- ten Themenaspekt werden Ursachen und Gründe gesucht, welche für einen positiven oder negativen Zustand verantwortlich sind. Jene Ursachen können sich entweder auf bestimmte Personen oder Situationen beziehen. So wie nach Ursachen gesucht wird, stellt sich sogleich die Frage nach Lösungsmöglichkeiten oder Handlungsaufforderun- gen. Darunter fallen Maßnahmen, die zur Lösung des Problems durchzuführen oder zu unterlassen sind. Zuletzt kann das Problem einer Bewertung unterzogen werden. Hier erfolgt keine Einordnung in positiv und negativ, sondern es wird danach gefragt, wie positiv oder negativ die entsprechende Situation ist. Diese Abstufung ist insofern wich- tig, da vielen Themen beispielsweise eine grundsätzlich negative Bewertung zuge- schrieben wird. Krieg oder allgemein kriminelle Handlungen werden in den meisten Kulturen als negativ empfunden. Eine kategorische Einordnung in positiv oder negativ wäre in diesem Fall also überflüssig. Der Grad der Negativität kann hingegen den Handlungsbedarf oder die Handlungsaufforderung beeinflussen (vgl. Matthes 2007: 135f.).

Die Elemente ergeben letztendlich eine „kohärente Argumentationskette“ (ebd.: 136), die nahelegt, dass die Elemente des Frames die gleiche Grundhaltung gegenüber dem Thema haben. Wie bereits zuvor beschrieben, ist es durchaus möglich, dass Medienbei- träge keinen klar zu definierenden Frame beinhalten. Matthes setzt diesbezüglich vo- raus, dass mindestens zwei der beschriebenen Frame-Elemente in einem Medienbeitrag vorkommen müssen, um einen Frame zu bilden (vgl. ebd.: 136). Er geht davon aus, dass ab einem Umfang von zwei Frame-Elementen weitere Elemente mitaktiviert werden.

Scheufele präzisiert Definitionen wie die von Entman weiter. Er spricht von Framing als „Vorgang, bei dem (1) bestimmte Objekte und Relationen zwischen Objekten betont, also bestimmte Ausschnitte der Realität beleuchtet werden und (2) bestimmte Maßstäbe bzw. Attribute, die man an Objekte anlegen kann, salient gemacht werden“ (Scheufele 2003: 46).

3.2.2 Zugriffe des Framing-Ansatzes

Scheufele nimmt angelehnt an eine Vielzahl weiterer Autoren eine Einordnung von Frames in eine horizontale und vertikale Ebene vor. Framing lässt sich horizontal in drei Bereichen finden: (1) bei Journalisten bzw. im Mediensystem, (2) bei Rezipienten bzw. in der Bevölkerung und (3) bei Akteuren, Gruppen und Organisationen in Politik usw. (vgl. ebd.: 47). Innerhalb dieser Bereiche werden Frames weiterhin auf vertikaler Ebene eingeordnet. Unterschieden wird dabei zwischen einer kognitiven und diskursiven Ebe- ne sowie einer Ebene des Diskursprodukts. Die kognitive Ebene bezieht sich auf vorde- finierte Schemata, welche bestimmte Erwartungen und Vorstellungen hervorrufen. Als Beispiel wird angeführt, dass Journalisten, Politiker oder Rezipienten bestimmte Täter, Opfer, Ursachen oder Folgen fremdenfeindlicher Gewalt erwarten. Auf der diskursiven Ebene steht die Kommunikation und Interaktion im Zentrum, durch die bestimmte Vor- stellungen erst entstehen. Diese Interaktion findet u.a. entweder innerhalb der Redakti- on, zwischen oder innerhalb von Parteien sowie, aus Rezipienten-Sicht, im Gespräch mit Bekannten statt. Zuletzt lassen sich Frames in den Produkten dieses Diskurses wie- derfinden (z. B. Parteiprogramme) (vgl. ebd.: 47f.).

Matthes veranschaulicht darüber hinaus die Beziehungen jener drei Akteursgruppen (vgl. Matthes 2007: 20; s. auch Abbildung 1). Kommunikatoren (z. B. Parteien, soziale Bewegungen) versuchen dabei ihre eigene Sicht auf bestimmte Themen zu vermitteln, wodurch Frames in Diskursprodukten (vgl. Scheufele 2003: 47) wie Pressemitteilungen, öffentlichen Reden oder ähnlichem deutlich werden. In diesen Bereich fallen im Allge- meinen Öffentlichkeitsarbeit und Public Relations. Journalisten greifen beispielsweise Frames aus Pressemitteilungen auf und entscheiden, über welche Themen und aus wel- chem Blickwinkel berichtet wird.

In Abbildung 1 zeigen die Pfeile „Einfluss“ und „Selektion“, dass die Themen von den Kommunikatoren nicht vollständig vom Journalismus aufgegriffen und veröffentlicht werden, sondern dass auch hier eine Selektion stattfindet. Wie die Nachrichtenwerttheo- rie, der Gatekeeper- oder der News-Bias-Ansatz4 beschäftigt sich der Framing-Ansatz ebenfalls mit der journalistischen Nachrichtenauswahl. Der Frame steht dabei für kogni- tive Strukturen im Bewusstsein des Journalisten, welche den Selektions- und Verarbei- tungsprozess erleichtern können (vgl. Kunczik/Zipfel 2001: 271). Wie die letztendlich selektierten Themen aufbereitet und strukturiert werden, schlägt sich wiederum in den sogenannten Medien-Frames nieder. Ähnlich wie die Journalisten wählen auch die Re- zipienten die verfügbaren Medieninhalte aus. Sie können dabei die Sichtweise der Me- dien übernehmen oder aber auch nur bestimmte Aspekte berücksichtigen und andere vernachlässigen. Alle drei Gruppen sind somit aktiv am Prozess des Framings beteiligt und können auch durch Feedbackschleifen (bspw. Leserbriefe der Rezipienten an Re- dakteure) die anderen Akteure beeinflussen und eigene Sichtweisen beisteuern (vgl. Matthes 2007: 20f.).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1. Zugriffe des Framing-Ansatzes (vgl. Matthes 2007: 20)

Entsprechend der verschiedenen Bereiche, in denen Framing zu beobachten ist, gibt es dementsprechend unterschiedliche Forschungsansätze. Da die vorliegende Arbeit ge- zielt nach Medien-Frames in der Berichterstattung sucht, wird dieser Teil des kommu- nikationswissenschaftlichen Framing-Ansatzes im Folgenden noch genauer herausgear- beitet.

3.2.3 Framing in Medientexten

Nach der Themenselektion durch den Journalisten steht die Strukturierung der ausge- wählten Inhalte im Zentrum. Zunächst werden die unterschiedlichen Arten aufgezeigt, bevor auf die methodische Erfassung von Medien-Frames eingegangen wird. Schluss- endlich wird die Wirkung von Medien-Frames aus den Rezipienten kurz umrissen.

3.2.3.1 Arten von Medien-Frames

Grundsätzlich kann eine Unterscheidung in formal-stilistische Frames und inhaltsbezo- gene Frames erfolgen. Bei formal-stilistischen Frames steht die Struktur- bzw. Präsenta- tionsform, sprich der Aufbau und die Gestaltung der Nachricht im Mittelpunkt, während der Inhalt außen vor gelassen wird. Das Gegenteil dazu stellen die inhaltsbezogenen Frames dar, welche die inhaltlichen Aspekte in den Fokus stellen. Hier lässt sich eine weitere Differenzierung in themenspezifische und themenübergreifende Frames vor- nehmen (vgl. Matthes 2007: 57f.). Themenspezifische Frames sind dabei nur auf ein bestimmtes Thema anwendbar. Es besteht die Annahme, dass je mehr Frames zu einem Thema identifiziert werden, desto spezifischer sind diese (vgl. Leonarz 2006: 105). Themenübergreifende Frames hingegen, lassen sich zu verschiedenen Themen wahr- nehmen. Semetko und Valkenburg sprechen zum Thema EU-Politik bspw. von den Frames Wirtschaft, Moral, Konflikt, Human Interest und Verantwortung (vgl. Semet- ko/Valkenburg 2000: 93). Zahlreiche weitere Autoren greifen diese Frames unabhängig von den untersuchten Themen teilweise auf, was eine gewisse Allgemeingültigkeit na- helegt (vgl. Leonarz 2006: 104). Es handelt sich somit um themenübergreifende Fra- mes.

Dahinden (2006) identifiziert in seiner Untersuchung fünf Basis-Frames mit jeweiligen Unterframes, welche Parallelen zu diesen themenübergreifenden Frames aufweisen (s. Tabelle 2).

Tabelle 2. Beschreibung der fünf Basisframes nach Dahinden (2006: 108).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Entsprechend der ausgewählten Methode (s. Kapitel 5.4) wird in der vorliegenden Ar- beit versucht themenspezifische Muster der Berichterstattung zu ermitteln und dabei nicht auf bereits vorhandene, allgemeine Frames zurückzugreifen.

Die Unterteilung in inhaltsspezifische und formal-stilistische Frames wird dabei größ- tenteils aufrechterhalten. Während sich die Operationalisierung der inhaltsspezifischen Frames nach den von Entman definierten Frame-Elementen Problemdefinition, Ursa- chenzuschreibung, Handlungsempfehlungen und Moralische Bewertung orientiert (vgl. Entman 1993: 52), werden im Zuge der formal-stilistischen Vorgehensweise die Punkte Dramatisierung und Visualisierung auf sprachlicher und bildlicher Ebene herangezogen (s. Kapitel 3.3).

3.2.3.2 Methodische Erfassung von Medien-Frames

Der Versuch der Operationalisierung von Medien-Frames zeigt einmal mehr das kaum überschaubare Feld der Framing-Forschung. Allein zur Erfassung von Medien-Frames gibt es eine Reihe verschiedener qualitativer und quantitativer Ansätze, die auch in manchen Studien miteinander kombiniert werden (vgl. u. a. Morin 2016). Matthes un- terscheidet die folgenden vier Herangehensweisen: qualitativ, manuell-holistisch, ma- nuell-dimensionsreduziert sowie computer-basiert (vgl. Matthes 2007: 63ff.).

Qualitative Zugänge

Bei den qualitativen Zugängen wird weiterhin zwischen interpretativen und textwissen- schaftlichen Herangehensweisen unterschieden. Bei ersterer wird in der Regel nur eine geringe Anzahl von Artikeln analysiert und die Frames sehr detailliert, oftmals mit Bei- spielen beschrieben. Die Ergebnisse werden jedoch nicht quantifiziert. Matthes kriti- siert, dass die Frames zwar sehr ausführlich beschrieben werden, die Identifizierung der jeweiligen Frames jedoch schwer nachvollziehbar ist. Die Herangehensweise der For- scher erscheint dabei sehr subjektiv und willkürlich und es stellt sich die Frage, ob tat- sächlich Medien-Frames oder vielmehr Forscher-Frames gefunden werden (vgl. ebd.: 63).

Der zweite qualitative Ansatz untersucht Texte auf einer sprachwissenschaftlichen Ebe- ne und achtet im Besonderen auf die exakte Auswahl, Platzierung und Strukturierung von Wörtern und Sätzen. Pan und Kosicki messen Nachrichtentexten vier verschiedene Strukturierungsebenen bei: syntaktische, thematische, rhetorische Strukturen und Skripts. Syntaktische Strukturen beziehen sich im Grunde auf Bausteine wie Über- schrift, Lead oder Schluss. Die Überschrift ist dabei am ehesten in der Lage, ein be- stimmtes Thema salient zu machen. Die thematische Struktur beschäftigt sich mit der Art der Nachricht, wobei zwischen Nachrichten von einem bestimmten Ereignis und Nachrichten zu bestimmten Themen unterschieden wird. Mit Skripts sind daran anknüp- fend die Erzählstrukturen eines Textes gemeint, der oftmals nach dem Muster Anfang, Konflikt, Lösung und Schluss aufgebaut ist. Zu den rhetorischen Strukturen zählt in erster Linie die stilistische Gestaltung durch den Journalisten (Verwendung von Meta- phern, Bildern, Schlüsselwörtern) (vgl. Pan/Kosicki 1993: 59ff.). Ein entscheidender Vorteil dieser textwissenschaftlichen Methode ist, dass Nachrichtentexte systematisch analysiert werden können. Auf der anderen Seite zieht diese detaillierte Untersuchung einen hoch anzusiedelnden inhaltsanalytischen Arbeitsaufwand mit sich (vgl. u. a. Matthes/Kohring 2004: 58; Matthes 2007: 63).

Die nachfolgend aufgezeigten Herangehensweisen zählen nun vorwiegend zu den quan- titativen Zugängen.

Manuell-holistische Zugänge

Im Zuge einer manuell-holistischen Herangehensweise werden Frames als Variablen nach ihrem Vorkommen in einem Text codiert. Dabei kann zwischen induktiver und deduktiver Vorgehensweise unterschieden werden. Bei deduktiven Zugängen werden aus bisherigen theoretischen Arbeiten und Studien bereits etablierte Frames hergeleitet und anschließend codiert. Matthes fasst eine Vielzahl von bereits abgeleiteten Frames verschiedener Autoren zusammen. So ergibt sich beispielsweise ein „Issue-Frame“, sobald Lösungen, Probleme oder die Position einzelner Politiker oder Folgen und Mög- lichkeiten der Gesetzgebung angesprochen werden. Als weitere Beispiele werden unter anderem „Political-Frame“ oder „Wirtschafts-Frame“ genannt (vgl. Matthes 2007: 67).

Bei der induktiven Vorgehensweise werden Frames zunächst aus einem kleinen Anteil des Untersuchungsmaterials generiert und anschließend quantitativ für die restlichen Untersuchungseinheiten codiert. Wie bereits zuvor zeigt sich auch hier das Problem der fehlenden Nachvollziehbarkeit und Transparenz der Framebildung. Ebenso sind Frames als Variablen sehr abstrakt, weshalb sich daher auch die Frage nach der Reliabilität die- ser Codierungen stellt. Dieses Problem ergibt sich bei der deduktiven Vorgehensweise indirekt. Da hier bereits bestehende Frames aus der Literatur übernommen werden, muss zusätzlich überprüft werden, wie jene Frames identifiziert worden sind. Es muss auch beachtet werden, dass der manuell-holistische Zugang nur möglich ist, sofern zu einem Thema bereits ausreichend Studien durchgeführt worden sind und somit eine gute Grundlage gegeben ist (vgl. ebd.: 69f.).

Manuell-dimensionsreduzierende Zugänge

Studien, die einen manuell-dimensionsreduzierenden Zugang wählen, codieren nicht wie zuvor ganze Frames, sondern lediglich einzelne Variablen oder Frame-Elemente (vgl. u. a. Matthes/Kohring 2004; Schmid-Petri 2012). Diese Elemente werden im An- schluss mittels Faktoren- und/oder Clusteranalyse zu Frames konkretisiert. Wie bereits zuvor lässt sich auch hier eine deduktive und induktive Vorgehensweise unterscheiden. Matthes und Kohring orientieren sich bei der Auswahl der Frame-Elemente nach jenen, die von Entman festgelegt worden sind: Problemdefinition, kausale Attribution, morali- sche Bewertung und/oder Handlungsaufforderung (vgl. Matthes/Kohring 2004: 61ff.) (s. Kapitel 3.2.1). Die Ausprägungen jener Elemente werden mithilfe einer Inhaltsana- lyse ermittelt, gruppiert und mittels Clusteranalyse zu bestimmten Mustern zusammen- gefasst. Lassen sich über mehrere Texte hinweg gleiche Muster identifizieren, kann von einem Frame gesprochen werden (vgl. u. a. ebd.: 62; Matthes 2007: 71).

Beim deduktiven Verfahren werden wie bei dem vorherigen manuell-holistischen Zu- gang Frames aus der bereits bestehenden Literatur verwendet. Zu den vorgegebenen Frames werden im Anschluss spezifische, thematische Fragen gebildet, die letztendlich anhand des Untersuchungsmaterials codiert werden. Mithilfe von Faktoren- und Clus- teranalysen werden die zuvor angenommenen Frames überprüft. Auch hier muss aller- dings bedacht werden, dass lediglich bereits bekannte Frames berücksichtigt werden können, die möglichweise nicht optimal zum entsprechenden Untersuchungsmaterial passen und speziellen Dynamiken und Änderungen in der Berichterstattung nicht ge- recht werden (vgl. Matthes 2007: 74f.).

Computer-basierte Zugänge

Der Computer-basierte Zugang stellt die dritte quantitative Möglichkeit zur Erfassung von Frames dar. Bisherige Studien stützen sich dabei oft auf Entmans Annahme, dass sich Frames anhand der sprachlichen Gestaltung von Texten identifizieren lassen (vgl. Entman 1993: 52). Demnach werden beim sogenannten Frame-Mapping zusammen auftretende Wörter identifiziert und zu Frames zusammengefügt. Vorteile dieses com- puter-basierten Ansatzes sind in erster Linie das hohe Maß an Objektivität sowie die vergleichsweise große Textmenge, die codiert werden kann. Gleichzeitig wird bemän- gelt, dass durch die im Gegensatz zu den anderen Zugängen vereinfachte Vorgehens- weise die Inhaltsvalidität leidet, da beispielsweise inhaltliche Verknüpfungen nicht er- kannt werden und Wörter in verschiedenen Kontexten unterschiedliche Bedeutungen haben können (vgl. u.a. Matthes/Kohring 2004: 59; Matthes 2007: 75f.; Schmid-Petri 2012: 106).

3.2.3.3 Wirkung von Medien-Frames auf den Rezipienten

Der Fokus der vorliegenden Arbeit liegt zwar auf der inhaltsanalytischen Identifizierung von Medien-Frames, dennoch wird in diesem Absatz kurz auf die Wirkung von Medien- Frames auf die Rezipienten eingegangen. Dadurch können im abschließend gegebenen Ausblick Anreize für mögliche Forschungen auf der Rezipientenseite erläutert werden.

Die bisherige Forschung folgt in erster Linie drei verschiedenen Ansatzpunkten: Dem Einfluss auf die Kognition (Gedächtnis), auf Bewertungen der dargestellten Sachverhal- te (z. B. Einstellung) oder auf das Verhalten (vgl. Potthoff 2012: 217). Scheufele geht dabei zum Beispiel genauer auf Veränderungen und die Etablierung von Vorstellungen durch Medien-Frames sowie ausgelöste Einstellungs- und Meinungsveränderungen ein (vgl. Scheufele 2003: 65-68). Vorstellungen sind sozusagen mentale Modelle der Rezi- pienten, welche stets bewertet und gegebenenfalls angepasst werden. Aus jenen Sche- mata und den konstruierten Medien-Frames entsteht ein Bezugsrahmen, welchen die Rezipienten an Personen, Sachverhalten und Ereignissen anlegen. In diesem Zusam- menhang werden drei verschiedene Möglichkeiten unterschieden. Zunächst können sich bestehende Rezipienten-Schemata infolge von Framing der dargestellten Medienrealität anpassen (Transformation). Weiterhin beinhalten Schemata von Rezipienten auch soge- nannte Kausalverbindungen zwischen einzelnen Knoten, also bestimmte Vorstellungen von Ursachen. Wird in der Berichterstattung der Fokus auf bestimmte Erklärungen ge- legt, kann es dazu führen, dass sich die vorherige Ursachenzuschreibung entsprechend dieser medialen Darstellung verschiebt. Zuletzt wird angenommen, dass bei bisherigem Nichtvorhandensein von Vorstellungen diese durch Medien-Framing erstmalig entwi- ckelt werden können (vgl. ebd.: 65f.). Scheufele spricht des Weiteren von Einstellungs- und Meinungsveränderungen. Die vorhandene Einstellung im kognitiven Modell des Rezipienten kann demnach durch eine bestimmte Richtung der Medienberichterstattung beeinflusst werden. Ist die Einstellung zu einem Thema beispielsweise ambivalent, also sowohl negativ als auch positiv, kann durch einen negativen Medien-Frame die Einstel- lung des Rezipienten ebenfalls negativ werden. Durch die Hervorhebung bestimmter Faktoren gewinnt die negative Eigenschaft an Bedeutung und verändert somit zunächst die kognitive und anschließend die affektive Komponente (vgl. ebd.: 66ff., 80).

3.3 Visualisierung und Dramatisierung

Geht die Suche nach inhaltsbezogenen Medien-Frames vor allem der Frage nach dem „Was“ auf den Grund, beschäftigt sich das folgende Kapitel damit, wie über Sachver- halte berichtet wird. Durch eine bestimmte sprachliche Gestaltung von Sichtweisen kann beim Rezipienten ein Prozess der Gefühlskonstruktion („Emotionalisierung“) aus- gelöst werden, welcher oftmals das Ziel persuasiver Kommunikationsstrategien der Massenmedien ist (vgl. Schwarz-Friesel 2007: 222). Dieses Kapitel legt den Fokus vor allem auf Inhalte und formale Eigenschaften, die Texten ein hohes Emotionspotenzial verleihen können (vgl. ebd.: 212) und somit im Sinne einer ereignisorientierten Bericht- erstattung sind (vgl. Haußecker 2013: 25). Die vorliegende Arbeit geht dabei im Spezi- ellen auf die Dramatisierung durch Syntax und Wortwahl sowie auf die Bebilderung der Artikel ein.

3.3.1 Textliche Darstellung

Metaphern werden gerne als Mittel zur Verbalisierung schwer fassbarer Ereignisse ge- nutzt, insbesondere zur Darstellung terroristischer Gewalt. Doch nicht nur Metaphern finden hier Verwendung. Eine umfassende linguistische Untersuchung behandelt nicht nur die allgemeine Thematisierung des Themas Terrorismus, sondern deckt außerdem spezifische Verbalisierungs- und Dramatisierungsstrategien der Berichterstattung auf (vgl. Schwarz-Friesel 2014: 7). In den folgenden Unterkapiteln wird zunächst auf die Konstruktion von Realität sowie auf das persuasive Potenzial von Medientexten einge- gangen, bevor spezifische Beispiele zur Lexik und Syntax von Texten erläutert werden.

3.3.1.1 Realitätskonstruktion durch Sprache

Wie in Kapitel 3.1 bereits erläutert beziehen sich die Massenmedien auf Personen, Din- ge und Sachverhalte der realen Welt. Folgt man der Annahme, dass diese Darstellung der Realität nicht objektiv ist, bleibt dem Leser demnach nur jene, von den Medien kon- struierte Realität. Die Rezeption verschiedener „Realitäten“ erfordert eine Auseinander- setzung auf kognitiver Ebene, um die reale Welt von fiktionalen Welten differenzieren zu können. Die Darstellung von Sachverhalten kann durch sprachliche Textstrukturen auf eine bestimmte Art und Weise erfolgen und ist somit von der Perspektive und emo- tionalen Einstellung des Produzenten, in diesem Fall des Journalisten bzw. des Medi- ums, abhängig (vgl. Schwarz-Friesel 2007: 31). Diese Perspektive kann sich entweder „explizit oder implizit über die jeweiligen Lexeme und ihre syntaktische Anordnung [ausdrücken]“ (ebd.: 32). Insofern wird durch die Sprache die Realität nicht nur abge- bildet, sondern auch konstruiert.

Dies geschieht durch zwei Prozesse, nämlich den der Perspektivierung und den der Eva- luierung, welche meist in Kombination auftreten. Theoretisch lassen sich die beiden Vorgänge allerdings unterscheiden: Zwar wird bei der Perspektivierung für gewöhnlich eine bestimmte thematische Sichtweise eingenommen, eine explizite Bewertung des Sachverhalts ist jedoch nicht notwendig. Rezipienten können allerdings dennoch impli- zite Wertungen wahrnehmen. Im umgekehrten Fall kann eine Aussage lediglich eine allgemeine Bewertung beinhalten, ohne eine bestimmte Perspektive zu verbalisieren (vgl. u. a. Schwarz-Friesel 2007: 212; Skirl 2012: 343f.). Bei der Evaluierung lassen sich weiterhin emotionale und nicht-emotionale Bewertungen differenzieren. Emotiona- les Bewerten wird dabei in Zusammenhang mit menschlichem Erleben gesetzt (Bsp.: „Der Umstand macht mich wütend“) (vgl. Skirl 2012: 344f.).

3.3.1.2 Persuasive Kommunikation in den Massenmedien

Die öffentliche Kommunikation bzw. die Medienberichterstattung ist in der Lage, kog- nitive und emotionale Prozesse bei den Rezipienten auszulösen, die sich zumindest für kurze Zeit mit den dargestellten Inhalten auseinandersetzen. Sprachliche Äußerungen „aktivieren Kenntnisse, lösen mentale Prozesse aus, die oft nicht bewusst als Aktivität erfahren werden, dennoch eine Repräsentation im Gedächtnis hinterlassen oder zu einer assoziativen Aktivierungsausbreitung führen können“ (Schwarz-Friesel 2014: 9). Die Massenmedien haben demnach Einfluss auf das Bewusstsein der Rezipienten und kön- nen ihre Meinungen, Einstellungen und Entscheidungen beeinflussen (vgl. ebd.: 11).

Wie im vorherigen Kapitel gezeigt, schildert die Berichterstattung nur einen bestimmten Ausschnitt aus der Realität auf eine bestimmte und somit wenig objektive Weise. Die Darstellung folgt dabei speziellen Strategien, um durch emotionale und bewertende Blickwinkel eine „intensivere Wirkung auf den Rezipienten“ (Schwarz-Friesel 2007: 223) zu erreichen. Vor allem das Erzeugen von Empathie und Identifikation mit dem Dargestellten steht im Vordergrund, um Rezipienten zu beeinflussen. Diese Form der Emotionalisierung wird als persuasive Strategie bezeichnet, sprich als „Verfahrenswei- sen, die spezifisch rezipientenbeeinflussend, d. h. intentional auf eine bestimmte Wir- kung ausgerichtet sind“ (ebd.: 223). Beispiele solcher Strategien aus den Massenmedien sind unter anderem die Berufung auf Autoritäten, Authentizität (z. B. Augenzeugenbe- richte), Hervorhebungen, Kontraste oder die Darstellung von Sympathieträgern (oftmals Kinder, ältere Menschen) (vgl. ebd.: 223). Insbesondere Berichte über einzelne Indivi- duen werden als emotionalisierend angesehen. Der Leser wird mit einem konkreten Schicksal konfrontiert und erfährt dadurch eine größere Nähe zum Geschilderten als bei der Berichterstattung über eine anonyme Masse. Dieser Effekt wird durch den Einsatz von direkter Rede oder expliziten Gefühlsäußerungen zusätzlich verstärkt (vgl. ebd.: 224f.).

3.3.1.3 Lexikalische und syntaktische Ebene

Untersuchungen zum 11. September 2001 stellten die besondere Bedeutung von Meta- phern in der Berichterstattung heraus. Metaphern werden in erster Linie eingesetzt, um schwer greifbare und abstrakte Geschehnisse zu verbalisieren und verständlich zu ma- chen. Gleichzeitig können Metaphern aber auch im Sinn der Persuasion benutzt werden, „um Meinungen zu transportieren bzw. zu evozieren, Bewusstseinszustände zu verän- dern, Einstellungen und Bewertungen zu vermitteln“ (Schwarz-Friesel 2015: 143; vgl. Schwarz-Friesel 2014: 7). In diesem Fall spielt das Inferenz- und Emotionspotenzial der Metaphern eine entscheidende Rolle, da jenes Bewusstseins-, Denk- und Gefühlspro- zesse der Rezipienten beeinflussen kann (vgl. Schwarz-Friesel 2015: 144). Durch Meta- phern werden grundsätzlich zwei mentale Konzepte in Relation gesetzt und versprach- licht, wodurch oftmals Perspektivierung und Evaluierung verbunden werden (s. Kapitel 3.3.1.1). Eben jene Verbindung hat einen entscheidenden Einfluss auf das Emotionspo- tenzial des Textes (vgl. Schwarz-Friesel 2014: 55f.). Vor allem Metaphern aus dem Feld der Naturkatastrophen (bspw. Terror als Welle oder Vulkanausbruch) oder Krankheits- metaphern (bspw. Terror als Krebs oder Virus) haben ein sehr hohes Emotionspotenzial. Die Vorstellung, Terrorismus sei etwas Unausweichliches, dem man mit einem Gefühl der Hilflosigkeit gegenübersteht, verstärkt das bestehende Bedrohungsszenario zusätz- lich (vgl. ebd.: 60f.). Metaphern wird die Fähigkeit zugeschrieben, Angst und Furcht vor dem Terrorismus und weiteren Anschlägen zu erhöhen. Jedoch ist diese Art der Ge- fahreninszenierung nicht die einzige Funktion von Metaphern. Vielmehr zeigen sich auch Formen der Relativierung und Marginalisierung terroristischer Akteure und An- schläge (vgl. ebd.: 68ff.).

Wie eingangs erwähnt scheint der Verwendung von Metaphern vor allem in der Be- richterstattung zum 11. September 2001 eine besondere Bedeutung zugekommen zu sein. Vor diesem Hintergrund wird auch die vorliegende Arbeit überprüfen, inwiefern die Berichterstattung zum Terroranschlag in Berlin dieses Mittel der Dramatisierung genutzt hat. Erweiternd werden jedoch auch weitere rhetorische Mittel oder Satzkon- struktionen untersucht, die oftmals eine ähnliche Wirkung erzeugen können. Neben bildhaften Darstellungen und Vergleichen können auch explosives Vokabular oder (negativ) verstärkende Adjektive einen wichtigen Bestandteil der Terrorismusberichterstattung ausmachen (vgl. Voss 1999: 67f.).

[...]


1 Der Begriff „emotionalisieren“ wird hier nicht in Verbindung mit „Emotionalisierung“ verwendet. Emo- tionalisierung stellt einen Prozess auf Rezipientenseite dar, welcher in diesem Rahmen allerdings nicht untersucht wird. Stattdessen liegt der Fokus auf das Emotionspotenzial von Texten, sprich auf bestimmte Eigenschaften des Textes, welche eventuell emotionalisierend wirken können (vgl. Schwarz-Friesel 2007: 212). Die vorliegende Arbeit untersucht im Speziellen Dramatisierung durch Syntax und Wortwahl sowie die Bebilderung der Artikel als wichtige Faktoren des Emotionspotenzials.

2 Eine Übersicht verschiedener Ansätze zu Nachrichtenfaktoren findet sich bei Maier, Stengel und Mar- schall (2010: 44f).

3 Eine Übersicht zu bisherigen Definitionen von „Framing“ und „Frame“ findet sich bei Potthoff (2012: 49ff.).

4 Der Gatekeeper- und der News-Bias-Ansatz werden in diesem Rahmen nicht näher behandelt. Eine Übersicht findet sich z. B. bei Kunczik und Zipfel (2001: 241-245; 266-271), Burkart (2002: 276ff.) oder Pürer (2003: 128f.).

Ende der Leseprobe aus 181 Seiten

Details

Titel
"Terror-Teufel, Horror-Fahrt, Angst!". Berichterstattung von Qualitäts- und Boulevardpresse zum Terroranschlag in Berlin im Dezember 2016
Hochschule
Universität Passau  (Lehrstuhl für Kommunikationswissenschaft)
Note
1,0
Autor
Jahr
2017
Seiten
181
Katalognummer
V455258
ISBN (eBook)
9783668882393
ISBN (Buch)
9783668882409
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Berichterstattung, Terrorismus, Qualitätszeitung, Boulevardzeitung, Breitscheidplatz, Dramatisierung, Inhaltsanalyse
Arbeit zitieren
Andrea Anetzberger (Autor:in), 2017, "Terror-Teufel, Horror-Fahrt, Angst!". Berichterstattung von Qualitäts- und Boulevardpresse zum Terroranschlag in Berlin im Dezember 2016, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/455258

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