Die Toccata und Girolamo Frescobaldi


Hausarbeit (Hauptseminar), 2009

17 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einführung

2. Die Toccata: Begriffsdefinition und Entstehung

3. Girolamo Frescobaldi
3.1. Biographie und Werkübersicht
3.2. Die Toccata bei Frescobaldi
3.3. Toccata Nr. 9, Zweites Toccatenbuch

4. Abschließende Bemerkungen

5. Literaturverzeichnis

6. Abbildungsverzeichnis

7. Anhang

1. Einführung

In der vorliegenden Hausarbeit soll die Gattung der Toccata vor ihrem geschichtlichen Hintergrund und in ihren praktischen Erscheinungsformen dargestellt werden. Hierzu wird einleitend die Entwicklung der Instrumentalmusik im ausgehenden 16. und beginnenden 17. Jahrhundert zusammengefasst. Hieran wird sich die Begriffsdefinition und Entstehung der Toccata anschließen, die in dem Werk von Girolamo Frescobaldi zu ihrem Höhepunkt geführt wurde1. Sein Leben und Toccatenschaffen soll daher ausführlich erläutert werden. Anhand des spezifischen Beispiels der neunten Toccata aus seinem zweiten Toccatenbuch sollen die charakteristischen Merkmale der Toccata herausgearbeitet werden.

Nachdem die Instrumentalmusik seit der Antike nur als Begleiterscheinung zur Vokalmusik betrachtet wurde, setzt sich ab dem Ende des 16. Jahrhunderts eine zunehmende Emanzipation der Instrumentalmusik durch. Sie wird zu einem Feld des Experimentierens, auf dem zahlreiche neue Gattungen entstehen konnten, die zunächst noch von vokalen Vorbildern abgeleitet wurden, sich aber auch hiervon mehr und mehr lösten. So trat der Gedanke des virtuosen Spiels immer stärker in den Vordergrund. Gattungen wurden geschaffen, mit denen alle instrumentellen Möglichkeiten ausgeschöpft werden konnten, wie zum Beispiel schnelle Läufe, schwierige Sprünge, wechselnder Rhythmus und die Aneinanderreihung von chromatischen Folgen. Die Toccata stellt hier eine Station dieser fortschreitenden Emanzipation dar, indem sie noch Elemente aus der vokalen Musik aufweist und dennoch schon ganz die Möglichkeiten der Instrumentalmusik ausschöpft2.

2. Die Toccata: Begriffsdefinition und Entstehung

Der Begriff „Toccata“ leitet sich von dem italienischen Wort „toccare“ – „berühren“, „schlagen“ – ab und taucht als musikalische Bezeichnung das erste Mal im 15. Jahrhundert auf3. Eine klare Definition dessen, was mit diesem Begriff bezeichnet wird, kann jedoch nicht gegeben werden. Denn schon zur Entstehungszeit der Gattung unterlag die Begriffsdefinition großer inhaltlicher Streuung, bei der es nicht selten zu Ambivalenzen und Überschneidungen der einzelnen Begriffe und Gattungen kam. So konnten damals die Gattungsbegriffe Toccata, Introitus, Intonazion, Präludium, Preambel, Fantasie, Ricercar, Tiento, Canzone und Capriccio nicht klar voneinander abgegrenzt werden4 (vgl. hierzu ein Zitat von Eggebrecht5 ). Daher ist es auch bis heute nicht möglich, eine exakte Definition von dem Begriff der Toccata zu geben. Vielmehr müssen „Toccata“ als Sammelbegriff für die unterschiedlichsten Formen verstanden und ihre praktischen Erscheinungsformen betrachtet werden, um ein genaueres Verständnis über die Gattung zu gewinnen6.

Schon die Begriffsherleitung, aber auch die Entwicklungsgeschichte und die Kompositionsweise selbst zeigen, dass es sich bei der Toccata um eine Gattung handelt, die ausdrücklich vom Instrument her erfunden wurde und nicht von der Stimme her7. Somit stellt die Toccata einen wichtigen Entwicklungsschritt in der Emanzipation der Instrumentalmusik dar, die bereits in Abschnitt 1 erläutert wurde. Als satztechnisches Vorbild diente nichtsdestotrotz die durchimitierte Motette8, aber auch das Madrigal. Sowohl die Toccata als auch das Madrigal sollen Affekte ausdrücken; beim Madrigal geschieht dies wortgebunden, während in der Toccata die Affekte rein instrumental ausgedrückt werden9.

In ihrer frühesten Form wurde mit „Toccata“ das im höfischen Zeremoniell eingebundene „Schlagen der Pauken“ zu einer festlichen Bläserfanfare mit Trompeten beschrieben. Gegen Ende des 15. Jahrhunderts wurde damit die improvisatorische Praxis des Trompeteblasens selbst bezeichnet. Das bekannteste, wenngleich nicht aus der Anfangszeit stammende Beispiel hierfür stellt Monteverdis Einleitungssatz zur Oper „L’Orfeo“ (1607) dar10. Vom Umfeld des höfischen Lebens ausgehend entwickelte sich im 16. Jahrhundert ein Zweig der Toccata, der vorwiegend für das Cembalo bestimmt war11.

Toccaten für die Orgel entstanden hingegen im liturgischen Bereich. Im Gottesdienst hatte die Orgel unter anderem die Aufgabe, den Einsatzton zu intonieren. Hier erwachte der instrumentale Ehrgeiz und es entwickelten sich Vorspiele, die vor allem durch drei Merkmale charakterisiert wurden: durch ihre Kürze, ihren improvisatorischen Zug und den Akkordfolgen, die mit lebhaften Figuren ausgeschmückt beziehungsweise abgewechselt wurden12. Die Toccaten, die aus diesen Vorspielen erwuchsen, konnten sowohl ohne Bezug zu dem intonierenden Werk stehen, als auch Material daraus vorgreifen13.

Die Zuordnung zu den unterschiedlichen Formen der Liturgie brachte eine große stilistische Vielfalt dieser Toccaten hervor14. Bestimmt wurden sie aber auch durch die technische Beschaffenheit der damaligen italienischen Orgeln. Sie besaßen ein nur spärlich ausgebautes Pedal in einem Tonumfang von maximal einer Oktave. Den Pedaltönen kamen daher in den Toccaten die Bedeutung von Orgelpunkten zu15.

Im Italien des 16. und 17. Jahrhundert bildeten sich vor allem zwei Toccatenschulen heraus, die süditalienische und die norditalienische Stilschule. Ein besonders improvisatorisch-virtuoser Stil, in dem Expressivität, aber auch die Gegenüberstellung freier und imitativer Abschnitte hervorgehoben wurde, zeichnete die norditalienische Schule aus. Währenddessen brachte die süditalienische Schule einen Stil hervor, in dem imitative Abschnitte ganz fehlten und stattdessen neuartige rhythmische, melodische und harmonische Experimente gewagt wurden16. Frescobaldi schließlich war es, dem es gelang, alle unterschiedlichen Stilrichtungen der Toccata aufzugreifen und miteinander zu verflechten17. Mit ihm fand die Toccata ihren Höhepunkt18. Um also zu verstehen, was Toccata ist und sein kann, ist es hilfreich, auf das Toccatenschaffen Frescobaldis einzugehen.

3. Girolamo Frescobaldi

3.1. Biographie und Werkübersicht

Girolamo Frescobaldi wurde im September 1583 in Ferrara, einer Stadt in Oberitalien, geboren. Seine Familie war recht gut situiert. Eventuell ist der Vater Organist gewesen. Sicher ist dies jedoch nicht. Was jedoch sicher ist, ist, dass es der Vater war, über den Frescobaldi in Kontakt zu seinem langjährigen Lehrer Luzzasco Luzzaschi (1545-1607) kam19.

Dass Frescobaldi ausgerechnet in Ferrara geboren wurde, sollte für sein kompositorisches Schaffen nicht ohne Bedeutung bleiben. Die Stadt diente in der damaligen Zeit vielen Künstlern als Treffpunkt und Austauschsort mit anderen Komponisten. Auch die beiden Hauptströmungen der italienischen Toccata trafen hier aufeinander. So kam Frescobaldi schon früh mit beiden Stilschulen in Berührung. Zweifellos beeinflusste ihn dies in seinem Toccatenschaffen20, auch wenn er seinen Lebensmittelpunkt schließlich in Rom haben sollte.

Warum und wann er nach Rom ging, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Eventuell kam er schon 1601 hier an. Nachweisen lässt er sich aber erst seit 1607. In diesem Jahr wird er von Januar bis Mai als Organist an der Santa Maria in dem Stadtteil Trastevere geführt21.

Im August desselben Jahres unternahm Frescobaldi seine erste und einzige Reise nach außerhalb Italiens. Er folgte einem seiner wichtigsten Förderer nach Brüssel. Diese Reise sowie der Tod Luzzaschis im September 1607 ließen Frescobaldi als Komponist unabhängiger werden. 1608 brachte er seine erste Sammlung heraus, die „Madrigali“. Zudem kehrte Frescobaldi nicht sofort nach Rom zurück, als man ihn dort im Juli 1608 zum Organist an der St. Peters Kirche bestimmte. Stattdessen verzögerte er seine Ankunft in Rom mit einem Zwischenstop in Mailand, wo er seine „Fantasie“-Sammlung veröffentlichte, die er größtenteils bereits vor den Madrigalen geschrieben hatte. Am 31. Oktober 1608 nahm Frescobaldi schließlich seinen Dienst an der St. Peters Kirche auf22.

Mit 25 Jahren war er als Musiker und Komponist so weit etabliert, dass er trotz verschiedener Auseinandersetzungen mit seinen Dienstherren bei diesen angestellt blieb. So heiratete er entgegen dem Verlangen von Enzo Bentivoglio Orsola del Pino. Aus dieser Verbindung gingen fünf Kinder hervor. Mit Kardinal Pietro Aldobrandini hingegen zerstritt Frescobaldi sich kurze Zeit später über ein Haus. Dass Frescobaldi trotzdem in seinen Arbeitsverhältnissen weiter beschäftigt blieb, zeigt eine gewissen Unabhängigkeit, die er von seinen Arbeitgebern genoss: zwar war er auf die Anstellung bei hochgestellten Dienstherren angewiesen, doch genauso waren diese auch an ihn gebunden. Denn durch seine künstlerische Reputation war es ihnen möglich, den repräsentativen Verpflichtungen ihrer gesellschaftlichen Stellung gerecht zu werden23.

[...]


1 Klein: Die Toccaten, S. 26

2 Kühn: Formenlehre, S. 98

3 Dirksen: Toccata, Sp. 599

4 Klein: Die Toccaten, S. 25

5 Die Ricercari von Marco Antonio Bologna seien „richtige und vollständige Toccaten im Sinne des 16. und 17. Jh.“, auch die Introiten H.L. Hasslers seien „durchaus Toccaten“ und hätten „eher die Bezeichnung verdient“, und A. Gabriellis Toccaten seien „wirklich nichts als vergrößerte Intonazionen“, aber Intonazio und Toccata desselben Meisters entsprächen „im eigentlichen Sinne dem deutschen Präludium“, hingegen sei H. Neusiedlers Preambel oder Fantasey „eine Kombination von Toccata und ricercarartigen Durchführungen von Motiven“; die Tientos der Spanier seien „Fantasien im engeren Sinne“, „der inneren Bedeutung nach“ habe man aber „unter dem Tiento nichts anderes als eine Toccata verstanden“, und die Tientos F.A. de Cabezons „sind Ricercari“; und A Gabrielis Ricercare del 12. Tono „although originally entiteled ‚ricercar‘ actually is a canzona“ und „die Symphonien der Venezianer und Römer sind Kanzonen“, und die Canzonen von G. Gabrieli „sind weiter nichts als Ricercaren und keine Canzonen“; Frescobaldi indessen „gebraucht ‚Canzona‘ gleichbedeutend mit Ricercar, Fantasia und Capriccio“. (Zitat entnommen aus Klein: Die Toccaten, S. 25/26)

6 Klein: Die Toccaten, S. 26

7 Kühn: Formenlehre, S. 111

8 Kühn: Formenlehre, S. 109

9 Klein: Die Toccaten, S. 27

10 Dirksen: Toccata, Sp. 599

11 Klein: Die Toccaten, S. 27

12 Kühn: Formenlehre, S. 111/112

13 Klein: Die Toccaten, S. 28

14 Kleine: Die Toccaten, S. 27

15 Klein: Die Toccaten, S. 28

16 Dirksen: Toccata, Sp. 600

17 Klein: Die Toccaten, S. 12

18 Klein: Die Toccaten, S. 26

19 Morche: Frescobaldi, Sp. 72

20 Klein: Die Toccaten, S. 12

21 Morche: Frescobaldi, Sp. 72

22 Hammond, Silbinger: Frescobaldi, S. 240

23 Morche: Frescobaldi, Sp. 73

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Die Toccata und Girolamo Frescobaldi
Hochschule
Christian-Albrechts-Universität Kiel  (Musikwissenschaftliches Institut)
Note
1,7
Autor
Jahr
2009
Seiten
17
Katalognummer
V455155
ISBN (eBook)
9783668883161
ISBN (Buch)
9783668883178
Sprache
Deutsch
Schlagworte
toccata, girolamo, frescobaldi
Arbeit zitieren
Fee O'Keeffe (Autor:in), 2009, Die Toccata und Girolamo Frescobaldi, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/455155

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