Neues Tierbild in populären Medien?

Peter Wohlleben und Tierdarstellungen in Sachbüchern


Masterarbeit, 2018

65 Seiten, Note: 1,5


Leseprobe


Inhaltverzeichnis

1. Einleitung

2. Methodische Herangehensweise

3. Was ist ein Tier?
3.1 Bestimmung des Tierbegriffs
3.2 Kategorisierungen von Tieren
3.3 Mensch-Tier-Beziehungen

4. Tiere in den Geistes- und Sozialwissenschaften
4.1 Die Anthropologische Differenz „im Wanken“
4.1.1 Sprache und Kommunikation
4.1.2 „Geist“ bei Tieren
4.1.3 Emotionen, Empathie und Moral
4.1.4 Kultur bei Tieren
4.2 Tiere in der Anthropologie
4.3 Methodische Herausforderungen und Chancen

5. Tierbilder in ausgewählten Populärmedien
5.1 Tiere im 20. Jahrhundert
5.1.1 Theodor Zell: Ist das Tier unvernünftig?
5.1.2 Bastian Schmid: Was kennzeichnet die Tierseele?
5.1.3 Vitus B. Dröscher: Wie menschlich sind Tiere?
5.2 Peter Wohlleben: Tiere als Personen
5.3 Gegenüberstellung und Analyse der Tierbilder
5.4. Einordnung in den theoretischen Kontext

6. Schlussbemerkungen

7. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Tiere sind in unserem Alltag in vielfältiger Weise allgegenwärtig: Sie sind unsere Freunde und unser Freizeitvertreib, sie unterstützen uns bei der Arbeit, unterhalten uns, werden von uns geliebt, gehasst, gefürchtet und auch verspeist. Ferner spielen sie eine Rolle in unserer Sprache, unserer Kunst und unserer Literatur. Kinderbücher ohne Tiere wären kaum denkbar, aber auch in Filmen spielen sie nicht selten eine Hauptrolle. Zu beliebten Medien gehören darüber hinaus aber auch Sachbücher, wie nicht nur die Verkaufszahlen zeigen, sondern auch, wie sie innerhalb der Gesellschaft diskutiert werden. Tiere werden dabei in modernen Sachbüchern nicht nur im Sinne der Naturkunde mit ihren biologischen Merkmalen dargestellt, vielmehr gehen sie auf das Verhältnis zwischen Mensch und Tier ein. Als Beispiel hierfür nennen Kompatscher et al. das Buch „Tiere essen“ von Jonathan Safran Foer, das – zusammen mit weiteren populärwissenschaftlichen Publikationen – gesellschaftliche Diskussionen über das unausgewogene Verhältnis zwischen Menschen und Tieren und wie man dieses verändern kann, angeregt habe (vgl. Kompatscher et al. 2017, 17). Seit wenigen Jahren sind auf den Bestsellerlisten auffallend viele Autoren vertreten, die sich mit Tieren, insbesondere deren Denken und Gefühlen befassen. Zu den ersten deutschsprachigen Werken zählt dabei „Das Seelenleben der Tiere“ des Försters Peter Wohlleben, das 2016 veröffentlicht wurde. In dem Buch versucht Wohlleben anhand von Beispielen aus der Wissenschaft sowie eigenen Beobachtungen, Gefühle, Intelligenz und andere Eigenschaften bzw. Fähigkeiten von Tieren aufzuzeigen. Er spricht dem Tier dabei Merkmale zu, die als charakteristisch für den Menschen gelten. In einer Rezension, die in der Tageszeitung „Die Zeit“ erschien, beschreibt Jens Jessen (Jessen 2016) Wohllebens Werk als ein „Wagnis“, da es weit über Analogien zwischen Mensch und Tier hinausgehe, nach einem Seelenleben der Tiere zu fragen. Ferner merkt er an, das Buch enthalte die „indirekte, darum nicht weniger energische Aufforderung an den Menschen, aus seiner herrischen Überlegenheitsposition herauszutreten“ (ebd.). Der Autor Johannes Kaiser von „Deutschlandfunk“ hingegen argumentiert, dass Wohlleben sich selbst auf Ergebnisse aus der Wissenschaft beziehe, und sein Ansatz daher nicht neu wäre.

Aus anthropologischer Sicht ließe sich an dieser Stelle einwenden, dass beseelte Tiere an sich nichts Neues darstellen, jedoch soll sich diese Arbeit auf das Denken westlicher Kulturen konzentrieren. Die Frage ist dabei, ob man bei Wohlleben tatsächlich eine neue Betrachtungsweise erkennen kann und wie diese sich zeigt. Aus anthropologischer Perspektive ist daher besonders interessant, in welches Verhältnis Wohlleben Menschen und Tiere zueinander positioniert. Ferner stellt sich die Frage, wie das Buch, das im Jahr seiner Erscheinung zu den meistverkauften Sachbüchern gehörte, in den kulturellen Kontext einzuordnen ist, das heißt, es liegt nahe, dass viele Menschen in Tieren nicht bloß biologische Wesen sehen, sondern eine emotionale Beziehung zu ihnen haben. Für die Anthropologie ist aber noch ein anderer Aspekt besonders relevant: Indem Wohlleben den Menschen auffordert, seine „Herrschaftsposition“ zu verlassen und ihm seine vermeintlichen Alleinstellungsmerkmale nimmt, stellt er die Anthropologische Differenz nicht nur infrage, sondern bringt sie gewissermaßen zu Fall. Das heißt, er stellt das Selbstbild des Menschen in Zweifel. Die Anthropologie ist per Definition anthropozentrisch und schließt Tiere als aktive Akteure bereits durch verschiedene Kulturbegriffe aus. Ziel dieser Arbeit ist es daher, zunächst das Tierbild bei Wohlleben herauszuarbeiten und in Vergleich mit älteren Darstellungen zu überprüfen, ob es wirklich neue Gedanken liefert, oder ob ähnliche Vorstellungen schon im 20. Jahrhundert aufgetaucht sind. Ferner soll dieses Tierbild in den anthropologischen Kontext eingeordnet werden und versucht werden, es mit gegenwärtigen Ansätzen in Verbindung zu bringen.

Zum Vergleich mit Wohllebens Theorie dienen drei Sachbücher aus dem 20. Jahrhundert, deren Auswahl im zweiten Kapitel genauer begründet wird. Im dritten Kapitel wird zunächst einmal betrachtet, was wir unter Tieren verstehen, wie wir sie im Alltag kategorisieren und in welchen Beziehungen wir zu ihnen stehen. Der vierte Teil der Arbeit befasst sich mit dem Tier in den Geisteswissenschaften. Zum einen wird dabei auf die Anthropologische Differenz und die einzelnen Kriterien eingegangen, nach denen Menschen zumeist vom Tier abgegrenzt werden. Des Weiteren wird herausgearbeitet, welche Rolle Tiere in der Anthropologie gespielt haben und gegenwärtig spielen. Ebenso sollen methodische Herausforderungen hinsichtlich der Erforschung von Tieren aufgezeigt werden. Das fünfte Kapitel geht schließlich auf die Tierdarstellungen in den Sachbüchern ein. Dazu werden zunächst die einzelnen Tierbilder aus den jeweiligen Büchern herausgearbeitet. Im Fokus stehen dabei Fragen wie „Was ist für die Autoren ein Tier?“, „Anhand welcher Merkmale definieren sie ein Tier?“, „Wie grenzen sie dabei das Tier vom Menschen ab?“, „Welche Beziehungen zwischen Tieren und Menschen werden dabei beschrieben?“. Diese Vorstellungen von Tieren werden im nächsten Schritt einander gegenübergestellt, um sie auf Unterschiede und Gemeinsamkeiten zu überprüfen. Ferner soll zuletzt Wohllebens Tierbild mit anthropologischen Ansätzen in Verbindung gebracht werden.

2. Methodische Herangehensweise

Diese Arbeit ist als Literaturarbeit gestaltet und geht zum einen auf anthropologische bzw. kulturwissenschaftliche Theorien zu Tieren bzw. Mensch-Tier-Beziehungen ein. Den zweiten Teil der Literatur stellen wiederum vier populäre Sachbücher dar. In diesem Kapitel soll nun genauer beschrieben werden, wie und weshalb die verwendete Literatur ausgewählt wurde.

In Hinblick auf einführende Literatur zum Thema Mensch-Tier-Beziehungen in der Anthropologie bestand eine große Schwierigkeit darin, ein grundlegendes Übersichtswerk zu finden. Dabei dienten zur ersten Orientierung zunächst die Essaysammlung „What is an animal?“, herausgegeben von Ingold (1988) sowie die Einführung in die „Human-Animal-Studies“ von Kompatscher et al. (2017), die einen Überblick über das Themenspektrum und die verschiedenen Fragestellungen lieferten. Ferner war es schwierig, explizit anthropologische Werke zu finden, die sich damit befassen, wie der Mensch Tiere betrachtet, sodass diese sinnvoll mit dem Thema dieser Arbeit in Verbindung gebracht werden könnten. Zwar verweisen Kompatscher et al. auf verschiedene Ansätze, die sich mit Tieren als sozialen Akteuren befassen, jedoch handelt es sich dabei meist nur um Ansätze, nicht um ausgereifte Theorien. Ferner stellt das Werk „Tiere – Kulturwissenschaftliches Handbuch“, herausgegeben von Roland Borgards (2016), eine wichtige Grundlage für diese Arbeit dar.

Um die Frage, ob Wohllebens Tierbild als eine neue Betrachtungsweise aufgefasst werden kann, soll sein Buch mit drei Werken des 20. Jahrhunderts verglichen werden. Als Kriterien für diese Werke sollen entscheidend sein, dass sie sich im weitesten Sinne mit der Frage, was ein Tier ist befassen und dass sie als populär bezeichnet werden können. Ferner war das Erscheinungsjahr relevant, da jeweils ein Buch vom Anfang, der Mitte und dem Ende des 20. Jahrhunderts vertreten sein sollte, um so möglicherweise einen gewissen Wandel in Hinblick auf die Tierdarstellungen feststellen zu können. Die Suche nach Tiersachbüchern in verschiedenen Datenbanken blieb zunächst erfolglos. Ferner wurde auf Internetseiten verschiedener Antiquariate nach Sachbüchern zum Thema Tiere gesucht. Über verschiedene Suchbegriffskombinationen aus den Begriffen „Tier“, „Mensch“, „Seele“ und „Emotionen“ konnte die Suche eingegrenzt werden. Als ein Anhaltspunkt für die Beliebtheit der Bücher, diente zunächst die Zahl der Angebote an gebrauchten Büchern. Ferner konnte nun gezielt nach Informationen zu den Autoren sowie dem Inhalt des Buches gesucht werden. Untersucht werden sollen in dieser Arbeit die Werke „Ist das Tier unvernünftig?“ (Theodor Zell / 1908), „Die Seele der Tiere“ (Bastian Schmid / 1951) sowie „Wie menschlich sind Tiere?“ (Vitus B. Dröscher / 1985).

3. Was ist ein Tier?

Tiere sind seit jeher ein fester Bestandteil menschlicher Gesellschaften und sind konstitutiv für deren Gesellschaftsordnung (vgl. Sebastian 2016, 16). Die Vorstellungen, die wir von Tieren haben, stehen in unmittelbarem Zusammenhang zu unserem Selbstbild, denn die Kategorien „Mensch“ und „Tier“ sind immer in Abgrenzung zueinander definiert. Mit der Unterscheidung von Mensch und Tier, bzw. mit der Bestimmung des Tierbegriffs befasst sich der erste Abschnitt dieses Kapitels. Tiere sind für den Menschen Nahrungsquellen, Arbeitskräfte, Messinstrumente in Laboren, aber auch Wesen, mit denen wir freiwillig unseren Lebensraum teilen, die wir lieben, religiös verehren oder systematisch töten (vgl. ebd.). Dabei teilen wir sie häufig in Kategorien ein, die den Funktionen entsprechen, die sie für uns Menschen erfüllen, worauf im zweiten Abschnitt genauer eingegangen wird. Die Beziehung zwischen Mensch und Tier ist dabei häufig hierarchisch geprägt, insbesondere wenn man an Nutztierhaltung und Fleischkonsum denkt. Tiere sind aber auch aktive Akteure in unserer Gesellschaft und gestalten unsere soziale Umwelt maßgeblich mit (vgl. Spannring et al. 2015, 12). Die vielfältigen Mensch-Tier-Beziehungen stehen im Fokus des dritten Abschnitts.

3.1 Bestimmung des Tierbegriffs

Viele Kulturen betrachteten und sehen Tiere noch heute als Mitglieder ihres Clans, Vorfahren, eigenständige Völker oder als Vermittler zwischen dem Heiligen und dem Profanen (vgl. Spannring et al. 2015., 10). Die strikte Trennung von Mensch und Tier ist charakteristisch für das westliche Denken. Die Frage danach, was ein Tier ist, geht immer auch mit der Frage einher, was überhaupt der Mensch ist. Dazu merkt Ingold an: „Every attribute that is claimed we uniquely have, the animal is supposed to lack; thus, the generic concept of ‚animals‘ is negativley constituted by the sum of these deficiencies“ (Ingold 1988a, 3). Der Tierbegriff wird demnach durch für den Menschen einzigartige Attribute bestimmt, die dem Tier hingegen fehlen, wozu häufig Fähigkeiten wie Sprache, Bewusstsein, Kultur usw. zählen, was in Kapitel 4.1 konkreter erläutert wird. Kompatscher et al. sprechen in Bezug auf die Mensch-Tier-Dichotomie von einer Form des „Othering“, die Tiere als „das Andere“ konstruiert (vgl. Kompatscher et al. 2017, 31). Durch dieses Othering entsteht ein Machtgefälle zwischen Mensch und Tier und ersterem wird es möglich, Tiere auf eine gewisse Art und Weise zu behandeln, beispielsweise sie in Gefangenschaft zu halten, sie zu töten und zu essen. Durch die Herabsetzung der Tiere rechtfertigt der Mensch seine Handlungspraktiken jenen gegenüber und entzieht sich gleichzeitig einer moralischen Verurteilung (vgl. Buschka/Rouamba 2013, 25). Sprachliche Formulierungen spielen eine große Rolle für diese Abwertung des Tieres im Vergleich zum Menschen, da durch sie Differenzen und Dichotomien gebildet, eingeschrieben und in der Gesellschaft reproduziert werden (vgl. ebd.). Durch sprachliche Formulierungen wird das tierische Verhalten auch dort vom menschlichen unterschieden, wo Tier und Mensch sich ähneln oder ihr Verhalten identisch ist: Tiere saufen, Menschen trinken; Tiere fressen, Menschen essen (vgl. Mütherich 2005 zit. Nach Buschka/Rouamba 2013, 25).

Wenn wir vom Tier, dem Anderen oder dem Animalischen sprechen, tun wir dies häufig auf einer moralischen Ebene, denn die Eigenschaften und Verhaltensweisen, die wir Tieren zuweisen, kennzeichnen nicht nur eine geistige, sondern auch seine moralische Unterlegenheit (vgl. Buschka/Rouamba 2013, 25). Mütherich merkt an, dass durch die Mensch-Tier-Abgrenzung ein Code der Ein- und Ausschließung entstehe, der auch im zwischenmenschlichen Bereich funktioniere:

„Der Vorwurf, sich ‚wie ein Tier‘ zu verhalten, wird vor dem Hintergrund der abendländischen Vorstellung von einer Hierarchie der Lebewesen, an deren Spitze der Mensch steht, als eine der größten möglichen Beleidigungen und Herabsetzungen verstanden. Wer sich benimmt ‚wie ein Tier‘ – und das meint in der Regel: wer sich brutal, roh, wild oder eben ‚unmenschlich‘, das heißt ‚tierisch‘ verhält –, wird mit Hilfe derartiger Signalwörter diszipliniert.“ (Mütherich 2009, 79)

Dieser Bereich des Anderen wird nicht nur dazu genutzt, andere Menschen moralisch zu tadeln oder auszugrenzen, sondern auch, um gesellschaftliche Tabus oder unangenehme Fakten über die Menschheit nicht direkt artikulieren zu müssen (vgl. Tapper 1988, 4). Stattdessen bedienen wir uns tierischer Metaphern wie zum Beispiel dem „bösen Wolf‘ im Märchen Rotkäppchen oder dem Storch, der „die Kinder bringt“.

Der Tierbegriff hat im Wesentlichen zwei Bedeutungen: In seiner inklusiven Version wird er vorrangig in den Naturwissenschaften verwendet, um eine Gattung zu beschreiben, der auch der Mensch angehört. In seiner zweiten Funktion ist er exklusiv, grenzt Mensch und Tier voneinander ab und hat oft eine moralische Konnotation (vgl. Midgley 1988, 35f.). Die Merkmale, anhand derer Mensch und Tier voneinander unterschieden werden, sind dabei nicht dauerhaft, sondern verändern sich im Verlauf der Geschichte. Dabei sind sie abhängig von verschiedenen Strukturen und Zusammenhängen, in denen Menschen und Tiere in Kontakt kommen (vgl. Milling 2017, 49). Gleichzeitig wird durch die Form des Kontakts bestimmt, wie wir Tiere kategorisieren, worauf im nächsten Abschnitt eingegangen wird.

3.2 Kategorisierungen von Tieren

Die Kategorien, in die wir Tiere in unserem Alltag einteilen, haben nichts mit einem biologischen System gemeinsam, sondern sind vielmehr eine anthropozentrische Einteilung anhand der Funktionen, die Tiere für Menschen erfüllen (vgl. Kompatscher et al. 2017, 56). Wie schon die Unterscheidung zwischen Tier und Mensch handelt es sich auch bei diesen Kategorien um soziale Konstruktionen (vgl. Sebastian 2016, 19). Dazu gehören zum Beispiel Haus-, Nutz- und Wildtiere. Ein Tier wird dabei nicht für sein gesamtes Leben einer festen Gruppe zugeordnet, sondern kann zwischen Gruppen wechseln. Dazu gehört etwa ein Nutztier wie ein Schwein, das vor dem Schlachthof gerettet wird und nun als Haustier aufgenommen wird. Zur Kategorisierung von Tieren gehören eine zeitliche und eine kulturelle Komponente (vgl. Kompatscher et al. 2017, 58). Verschiedene Perspektiven, zum Beispiel juristische, naturwissenschaftliche oder sozialhistorische, beeinflussen die Zuteilung ebenfalls. Auch im Vergleich von Stadt und Land zeigen sich große Unterschiede bei der Einordnung der Tiere. So halten viele Stadtbewohner die von ihnen in der Wohnung gehaltenen Hunde und Katzen für Haustiere, während Landwirte unter den Begriff die Kühe, Ziegen oder Schafe fassen, die sie zu ökonomischen Zwecken halten (vgl. Nieradzik 2016, 122).

Nutztiere

Nutztiere dienen in der Regel ökonomischen Zwecken. Den größten Anteil am Nutzungsbereich von Tieren hat dabei die Nahrungsmittelproduktion, die von der Erzeugung tierischer Lebensmittel wie Fleisch, Milchprodukte, Fisch, Eier und Honig bis hin zu vielen weiteren Zusatzstoffen in Lebensmitteln reicht (vgl. Kompatscher et al. 2017, 79). Neben der Funktion als Nahrungsmittelproduzenten liefern Tiere aber auch Häute und Felle für Kleidung, Federn für Bettdecken, Kissen und Daunenjacken oder medizinische Rohstoffe. Darüber hinaus werden Tiere als Transport- und Arbeitstiere genutzt, auch wenn beispielsweise Pferde und Esel für den Transport in der westlichen Welt an Bedeutung verloren haben. Charakteristisch für Nutztiere ist, dass sie vom Menschen räumlich isoliert gehalten sowie von ihm ernährt werden und dass letzterer ihre Fortpflanzung kontrolliert (vgl. Nieradzik 2016, 122). Welche Tierarten als Nutztiere gehalten werden, kann je nach kulturellem bzw. religiösem Kontext variieren.

Versuchs- und Labortiere

Eine besondere Form der Nutztiere stellen Versuchs- und Labortiere dar, deren Zweck für den Menschen die Erlangung von Wissen ist. Zwischen Versuchs- und Labortier zu unterscheiden ist laut Hüntelmann hilfreich, denn der Versuch könne auch eine Beobachtung in freier Natur umfassen, während hingegen das Labortier immer auf die künstliche Umgebung des Labors verweise, das es so erst seit der Neuzeit gebe (vgl. Hüntelmann 2016, 160). Grundsätzlich kommt eine Vielzahl unterschiedlicher Tierarten als Versuchs- oder Labortier infrage. Während man vom 17. bis zum 19. Jahrhundert vorwiegend den Frosch studierte, wurden Nagetiere, insbesondere die Maus, in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu typischen Versuchstieren (vgl. ebd.).

Zoo- und Zirkustiere

Zoo- und Zirkustiere stellen im weiten Sinne eine Form von Nutztieren dar und dienen vorwiegend der Unterhaltung. Zoos beschreibt May folgendermaßen:

„Zoos sind baulich definierte Orte, an denen nicht-domestizierte Tiere, insbesondere exotische Wildtiere, dauerhaft gehalten werden, damit Menschen sie betrachten können. Ihr Ziel ist sowohl Unterhaltung und Bildung des Publikums als auch die Erforschung und Züchtung der Tiere.“ (May 2016, 183)

Während Zoos ursprünglich dazu gedacht waren, einem städtischen Publikum Tiere zu zeigen, sollen sie heute auch dem Artenschutz dienen sowie einen Bildungs- und Forschungsauftrag erfüllen (vgl. Kompatscher et al. 2017, 92). Dabei steht nicht immer primär das Beobachten der Tiere im Vordergrund, sondern oft auch Vergnügen und Spaß. Allein Unterhaltungszwecken dient der Zirkus. Dabei treten tierische und menschliche Darsteller entweder abwechselnd oder gemeinsam auf (vgl. ebd., 93).

Haustiere

Im Gegensatz zu den Tieren der vorherigen Kategorien erfüllen Haustiere keine bestimmte Funktion, stattdessen besitzen sie für den Menschen einen intrinsischen Wert (vgl. Kompatscher et al. 2017, 62). Nach Kynast umfasst die Kategorie Haustier die Spiel-, Hobby- und Heimtiere (vgl. Kynast 2016, 120). Ursprünglich bezeichnete der Begriff Tiere, die an das menschliche Haus bzw. den Bauernhof gebunden waren, u.a. Katzen, Hunde, Kühe und Schweine (vgl. Kompatscher et al. 2017, 62). Heute beinhaltet der Begriff, zumindest in der Alltagssprache, die ursprünglichen Tiere des Bauernhofs nur noch, insofern sie nicht zu ökonomischen Zwecken gehalten werden:

„In den letzten hundert Jahren fand also eine Bedeutungsverengung des Wortes Haustier statt, die zwischen der kapitalistischen Verwertung und Nutzung von Tieren und dem nicht an Ertrag orientierten, sondern emotional begründeten Zusammenleben mit Tieren als Familienmitglieder differenziert.“ (ebd.)

Umgangssprachlich werden heute fast ausschließlich die Heimtiere, im Englischen „pets“ oder „companion animals“, unter dem Haustierbegriff gefasst, die aus Prestigegründen, zu Freizeitzwecken, aus ästhetischen Gründen aber auch aufgrund des menschlichen Interesses am Tier selbst in der menschlichen Nähe gehalten werden (vgl. Aigner / Camenzind / Grimm 2016, 82). Heimtierhaltung ist dabei keine Besonderheit moderner westlicher Gesellschaften, sondern trat auch in anderen Kulturen zu früheren Zeitpunkten auf (vgl. Kompatscher et al. 2017, 68). Der Haustierbegriff ist auch deshalb unspezifisch, weil als Haustiere prinzipiell viele verschiedene Tierarten infrage kommen, die von domestizierten Tieren wie Hunden und Katzen bis hin zu Wildtieren wie Vögeln, Reptilien, Fischen oder Insekten reichen (vgl. Aigner / Camenzind / Grimm 2016, 82). Welche Tierart als Haustier besonders beliebt ist, kann von Kultur zu Kultur ebenfalls variieren.

Wildtiere

„Zu den Wildtieren zählen dabei erstens all jene Tiere, die außerhalb der Reichweite menschlicher Zivilisation leben, zweitens nicht domestizierte, frei lebende Tiere, die in unmittelbarer Nähe zu Menschen existieren (sog. Kulturfolger oder auch Grenzgängertiere bzw. liminal animals) und drittens nicht domestizierte Tiere, die in Gefangenschaft gehalten werden (in Zoos oder auch in privaten Haushalten).“ (Aigner / Camenzind / Grimm 2016, 83)

Wildtiere treten also auch in anderen Kategorien auf, wie zum Beispiel Reptilien als Haustiere oder zahlreiche Tierarten in Zoos. Auch hier wird deutlich, wie bereits bei der Unterscheidung zwischen Nutz- und Haustieren, dass die Kategorien keine scharfen Trennungen darstellen. Mit Wildtieren verbunden ist die kulturelle Praxis der Jagd, die anfangs der Nahrungsversorgung diente, heute in westlichen Gesellschaften jedoch viel mehr Hobby und Sport ist als eine Notwendigkeit (vgl. Krüger 2016, 111). Gleichzeitig stehen Wildtiere häufig in Konflikt mit ökonomischen Interessen von Land- und Forstwirten und werden dabei nicht selten als „Schädlinge“ empfunden. Ferner haftet Wildtieren für viele Menschen etwas Geheimnisvolles bzw. Exotisches an.

Betrachtet man genauer, wie Menschen Tiere im Alltag klassifizieren, dann wird deutlich, dass die Zuordnungen stark variieren können – nicht nur zwischen verschiedenen Kulturen, sondern auch innerhalb einer Kultur. Dieselbe Tierart kann für einen Menschen ein Nutztier darstellen, für einen anderen hingegen zur Familie gehören. Selbst Tiere derselben Spezies können dabei unterschiedlich eingeordnet werden, je nachdem in welchem Verhältnis sie zum Mensch stehen.

3.3 Mensch-Tier-Beziehungen

So vielgestaltig wie die Kategorien, in die wir Tiere einteilen, sind auch die sozialen Beziehungen zwischen Menschen und Tieren. Diese können friedlich und freundschaftlich, aber auch von Gewalt geprägt sein. Dabei nehmen Tiere verschiedene Rollen ein, haben diverse Funktionen und sind Teil unserer Lebenswelten: „Tiere sind Teil von Arbeits- und Freizeitwelten, gelten als Freunde und Familienmitglieder, Rohstoffe und Waren, Schädlinge und Repräsentanten des ‚Wilden‘ und ‚Fremden‘“ (Sebastian 2016, 19.). Am häufigsten kommt es im Rahmen menschlicher Arbeitswelten zu Sozialbeziehungen zwischen Menschen und Tieren. Dabei sind Tiere heutzutage weitaus mehr als Lebensmittelproduzenten oder Transporttiere, sondern dienen in Laboren als Messinstrumente, aber erfüllen auch therapeutische Zwecke oder sind in die Drogenfahndung involviert (vgl. Sebastian 2016, 20). Die meisten Mensch-Tier-Beziehungen sind dadurch gekennzeichnet, dass Menschen Tiere nutzen, Profit aus ihnen bzw. ihrer Verwertung ziehen oder auf eine bestimmte Art auf sie angewiesen sind. Im Fall der Haustiere verhält es sich jedoch umgekehrt, denn diese sind wiederum auf den Menschen und seine Unterstützung angewiesen (vgl. Kompatscher et al. 2017, 61).

In Hinblick auf den Wandel der Mensch-Tier-Beziehungen nennen Kompatscher et al. zwei Tendenzen, die durch die gesellschaftlichen sowie ökonomischen Veränderungen der vergangenen hundert Jahre bedingt wurden: Zum einen wurde die strikte Unterscheidung zwischen Mensch und Tier zunehmend infrage gestellt und immer mehr Tiere wurden in enge und emotionale Beziehungen eingebunden. Neu ist dabei vor allem das Ausmaß, in dem sich Menschen emotional mit Tieren auseinandersetzen. Dies spiegelt sich nicht nur in Angeboten wie Tierparks und Zoos wieder, sondern auch in den Medien, wo Filme mit tierischen Protagonisten wie „Lassie“ oder Dokumentarfilme über Tiere „sentimentale“ Gefühle für Tiere unterstützen (vgl. Kompatscher et al. 2017, 105). Auf der anderen Seite zeigt sich eine starke Ausbeutung von Tieren im Rahmen der Erzeugung von Tierprodukten, noch dazu in einem artifiziellen Umfeld der industriellen und biotechnologisch optimierten Erzeugung (vgl. ebd. 2017, 100). Im Rahmen der Nahrungsmittelproduktion sieht Steinbrecher mit dem Beginn der Moderne eine Funktionsverschiebung von ehemaligen Haustieren wie Schweinen, Hühnern oder Rindern zu Nutztieren, die nun grundsätzlich in eigenen Räumlichkeiten wie Ställen oder Käfigen gehalten wurden (vgl. Steinbrecher 2016, 7). Haustiere seien zum Vieh in der Massentierhaltung transformiert wurden und damit die individuellen Beziehungen zwischen diesen Tieren und den Menschen verloren gegangen. Buschka und Rouamba weisen darauf hin, dass insbesondere der Begriff „Nutztier“ betont, dass Tiere für uns nutzbar sind, aber ihre Leidensfähigkeit ignoriert, wozu sie des Weiteren ausführen: „Durch die Implikation des Nutzens wird in einer Reihe von Beispielen darauf verzichtet, Tiere artgerecht leben zu lassen oder gar, sie überhaupt als Lebewesen zu sehen. Sie werden verdinglicht und wie Gegenstände behandelt“ (Buschka/Rouamba 2013, 27). Nutztiere werden mit der neuen Haltungsform zunehmend objektifiziert und rücken, insbesondere in den Städten, weiter vom Menschen ab. Umgekehrt nimmt in den Städten die Haustierhaltung stark zu, allen voran Katzen und Hunde, zu denen eine starke emotionale Bindung entsteht und die immer mehr zu Familienmitgliedern werden. Im Vergleich von Stadt und Land zeigen sich also deutliche Unterschiede in Hinblick auf die Beziehung zu und der Haltung von Tieren (vgl. ebd.).

Durch einen ansteigenden Wohlstand mit höheren Einkommen in der Nachkriegszeit wurden Haustiere zu einem Massenphänomen, das mit zahlreichen neuen Freizeitaktivitäten wie Tierzucht- oder Tierhaltervereinen einherging (vgl. Kompatscher et al. 2017, 105). Kompatscher et al. sehen in diesem Zusammenhang jedoch das Mensch-Tier-Verhältnis nach wie vor anthropozentrisch geprägt und Tiere dem Wohlstandsgedanken untergeordnet:

„Insgesamt wuchs das Ausmaß an Kontakten mit Tieren enorm an, wobei die meisten explizit anthropozentrisch waren: ob als Haustiere für pädagogische Zwecke oder als Prestigeobjekt, als Objekte der Naturkunde und Naturerfahrung, als Vermittler von Vergnügen und Unterhaltung sowie als Konsumartikel, vor allem in Form des nun allgegenwärtigen Fleisches, das seinen Status als Luxusgut verloren hatte.“ (ebd.)

Erst in den 1970er Jahren, als mit dem Schwächeln der Wirtschaft Gegenkulturen und soziale Bewegungen aufkamen, die insbesondere den Wachstumsgedanken kritisierten, und zugleich wurde das Verhältnis zu Tieren kritisiert: „Der Konsens der 1960er Jahre wich zunehmenden Auseinandersetzungen zwischen rivalisierenden Gruppen: Naturliebhaber/innen gegen Jäger/innen, Tierrechtsorganisationen gegen Pelzfarmen und Tierversuche usw.“ (ebd., 106). Die Anfänge des Tierschutzes an sich reichen schon in das 18. Jahrhundert zurück und erste Tierschutzgesetze wurden bereits in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts verabschiedet, bis im 20. Jahrhundert schließlich die „Entfaltung der Tierbefreiungsbewegung“ folgte (vgl. Roscher 2016, 173). Auch dem leicht abnehmenden Fleischkonsum in westlichen Kulturen sowie zunehmend mehr Anhängern des Vegetarismus und Veganismus liegen häufig tierethische Gedanken zugrunde, wenn auch gesundheitliche Überlegungen in Betracht kommen (vgl. Kompatscher et al. 2017, 106).

Tierrechtsbewegungen machen insbesondere in den vergangenen Jahrzehnten verstärkt auf die moralischen Bedenken und Missstände in der Massentierhaltung aufmerksam, mit der darüber hinaus gravierende ökologische Probleme verbunden sind. Der Mensch wird dadurch dazu veranlasst, seine eigene anthropozentrische Weltsicht zu überdenken und sich damit zu befassen, welche Auswirkungen sein Handeln auf andere Spezies hat (vgl. Kompatscher et al. 2017, 18). Die Grenze zwischen Mensch und Tier wird dabei immer durchlässiger: Insbesondere Haustiere werden von Menschen ähnlich bewertet, wie wir es mit unseren Mitmenschen tun, d.h. ihnen wird Charakter bzw. Persönlichkeit zugewiesen (vgl. Workman 2016, 63).

Wie bzw. als was Menschen Tiere sehen und welche Beziehungen zwischen beiden bestehen, ist auch ein gegenwärtiges Thema in den Geisteswissenschaften. Wie diese, insbesondere die Anthropologie, auf das Tier blicken, soll im nächsten Kapitel genauer beleuchtet werden.

4. Tiere in den Geistes- und Sozialwissenschaften

Die gesellschaftlichen und politischen Debatten über Massentierhaltung und deren Folgen für Tier, Mensch und Umwelt führten gegen Ende des 20. Jahrhunderts dazu, dass Mensch-Tier-Beziehungen auch Gegenstand wissenschaftlicher Forschungen wurden (vgl. Kompatscher et al. 2017, 17). Mit Tieren hatten sich lange Zeit ausschließlich zoologische Disziplinen befasst, die die Gestalt, das Verhalten und die Geschichte von Tieren erforschten, während sie in den Geistes- und Sozialwissenschaften lediglich am Rande auftauchten, etwa als Objekte in der Kunst, Wirtschaftsfaktoren oder Statussymbole (vgl. Borgards 2016, 1). Während durch Fortschritte in der Ethologie, Soziobiologie und Psychologie immer mehr über das Verhalten und Bewusstsein von Tieren herausgefunden wird, sehen sich auch die Geisteswissenschaften damit konfrontiert, sich mit dem Thema Mensch-Tier-Beziehungen zu befassen und die Differenzierung zwischen Mensch und Tier zu überdenken. Die Anthropologische Differenz und ihr Wandel in den vergangenen Jahrzehnten sind Thema des ersten Unterkapitels. Der zweite Abschnitt befasst sich mit der Rolle des Tieres in der Anthropologie und geht besonders auf die gegenwärtige Debatte und neue Forschungstendenzen ein. Im dritten Kapitel werden schließlich die methodischen Herausforderungen erläutert, vor denen die Geisteswissenschaften bei der Erforschung von Mensch-Tier-Beziehungen stehen. Ferner wird auf die interdisziplinäre Zusammenarbeit eingegangen, die von vielen Wissenschaftlern in Bezug auf die wissenschaftliche Annäherung an Tiere gefordert wird. Dafür spricht, dass auch in den geisteswissenschaftlichen Arbeiten dazu, was ein Tier ist, immer wieder mit Ergebnissen aus den Naturwissenschaften, vor allem aus der Ethologie, argumentiert wird, wie das erste Unterkapitel zeigen wird.

4.1 Die Anthropologische Differenz „im Wanken“

Die strikte Trennung zwischen Mensch und Tier, die charakteristisch für das westliche Denken ist, wird als „Anthropologische Differenz“ bezeichnet. Diese grundlegende Unterscheidung von menschlichem und tierischem Bereich beschreibt Borgards folgendermaßen:

„In dieser Perspektive hat der Mensch etwas, das den Tieren fehlt, insbesondere Vernunft und Sprache, und daraus abgeleitet dann auch Moral, Kultur, Recht, Politik, Bildung, Geschichte, Institutionen, Gesellschaft, Schrift, Werkzeug, Technik und Kunst […].“ (Borgards 2016, 1)

Bei der Anthropologischen Differenz wird somit eins bzw. werden mehrere Merkmale als einzigartig für den Menschen erklärt und ihm dadurch eine Sonderstellung zugeschrieben. Dadurch stellt er sich über das Tier und es wird ein hierarchisches Mensch-Tier-Verhältnis geschaffen. Borgards weist darauf hin, dass zu diesen ebengenannten Alleinstellungsmerkmalen des Menschen genau die Bereiche gehören, mit denen sich die Geisteswissenschaften befassen und folgert daraus, dass sie sich auf Basis dieser Differenz nicht mit dem Tier als eigenständige Größe beschäftigen, sondern es immer nur als Beiwerk des Menschen betrachten könne (vgl. ebd.). Mit der Mensch-Tier-Dichotomie ist gleichzeitig eine Kultur-Natur-Dichotomie verbunden, sodass das menschliche Handeln und Schaffen dem tierischen Verhalten gegenübersteht. Die einst von Descartes geäußerte Annahme, Tiere seien „Automaten“, sollte in den heutigen Geisteswissenschaften als überholt gelten, ob Tiere jedoch als Subjekte mit Gedanken und Gefühlen zu betrachten sind, ist gerade in der Ethnologie und der Psychologie umstritten (vgl. Ingold 1988a, 6). Dabei wurden seit den 1970er Jahren zahlreiche naturwissenschaftliche Untersuchungen durchgeführt, die die Anthropologische Differenz – zumindest teilweise – infrage stellen (vgl. Wild 2016, 56). Die zoologischen Wissenschaften, besonders die Kognitive Ethologie und die moderne Verhaltensforschung, haben gezeigt, dass Tiere viele Fähigkeiten besitzen, die lange Zeit als Alleinstellungsmerkmale des Menschen galten (vgl. Borgards 2016, 1). Zum anderen hat die Biologie, ausgehend von Darwins Evolutionstheorie, das Selbstbild des Menschen grundlegend verändert, indem sie den Menschen durch Erklärung seines Ursprungs ebenfalls in das Reich der Tiere einordnet, wenn auch seine kognitiven Fähigkeiten ihn als etwas Besonderes aus dem Tierreich hervorstechen lassen (vgl. Birkl 2015, 319).

In den folgenden Abschnitten soll genauer darauf geblickt werden, welche Argumente häufig verwendet werden, um Tiere und Menschen voneinander zu unterscheiden. Ferner werden dem Positionen aus verschiedenen geisteswissenschaftlichen Disziplinen, aber auch zoologische Forschungsergebnisse, die gegen eine strikte Trennung von Mensch und Tier, wenn nicht sogar für eine Auflösung der Anthropologischen Differenz sprechen.

4.1.1 Sprache und Kommunikation

Sprache gilt als eines der wichtigsten Merkmale, um den Menschen vom Tier abzugrenzen, was besonders in der Anthropologie von Relevanz ist. Bereits Herder sah Sprache als Voraussetzung dafür, dass Menschen Kultur und Vernunft entwickeln können und positionierte den Menschen klar über den Tieren (vgl. Löchte 2005, 47). Auch Descartes hatte seinerzeit ausgeschlossen, dass Tiere in der Lage seien, Wörter kreativ zu kombinieren, was für ihn die Voraussetzung für das Vorliegen von Sprache darstellte. Für ihn waren Tiere „auf bestimmte Laut- und Bewegungsmuster festgelegt, die auch von Maschinen erbracht werden konnten“ (Buschka/Rouamba 2013, 31).Die Diskussionen darüber, ob Sprache ein Alleinstellungsmerkmal des Menschen ist, dauern auch mehr als zwei Jahrhunderte später noch an. Gerade in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurden zahlreiche Forschungen zu Kommunikation bei Tieren durchgeführt. Hervorzuheben sind dabei Versuche im Bereich der Kognitiven Ethologie, Tieren einfache Zeichensprachen beizubringen. Diese ethologischen Untersuchungen sprechen dafür, dass einige Tierarten, darunter Menschenaffen, Delfine, Papageien und Hunde, in der Lage sind, elementare sprachliche Fähigkeiten zu erlernen (vgl. Glock 2016, 75). Bei Affen, denen eine solche Zeichensprache beigebracht wurde, konnte gezeigt werden, dass sie diese nicht nur erwerben, sondern die Zeichen sogar kreativ kombinieren und im korrekten Kontext verwenden können (vgl. Goodwin 1988, 100). Besonders bekannt wurde die Gorilladame „Koko“, der ihre Trainerin bereits im Alter von zwei Jahren eine Zeichensprache beibrachte. Koko soll rund 150 Handzeichen aus der Gebärdensprache verwenden können und soll diese auch benutzen, wenn sie mit ihren Puppen spielt (vgl. Wild 2008, 17). Die Studien dazu, ob Affen eine Zeichensprache erlernen und kreativ benutzen können, erhielten von vielen Seiten Kritik. Ingold etwa zweifelte die Gültigkeit der Ergebnisse an und argumentierte, dass es nicht ersichtlich sei, weshalb Affen unter „natürlichen“ Bedingungen nicht miteinander kommunizierten, wenn sie doch die Fähigkeit dazu besäßen (vgl. Ingold 1988b, 91f.). Seiner Ansicht nach, die auch einige andere Denker der Gegenwart vertreten, ist die Sprache einer der für den Menschen einzigartigen Mechanismen, die eine „Kulturfähigkeit“ konstituieren (vgl. Ingold 1988b, 97). Tiere seien demnach lediglich zu nonverbaler Kommunikation imstande, jedoch fehle es ihnen an einer begrifflichen Sprache.

Vernunft entwickeln können und positionierte den Menschen klar über den Tieren (vgl. Löchte 2005, 47). Auch Descartes hatte seinerzeit ausgeschlossen, dass Tiere in der Lage seien, Wörter kreativ zu kombinieren, was für ihn die Voraussetzung für das Vorliegen von Sprache darstellte. Für ihn waren Tiere „auf bestimmte Laut- und Bewegungsmuster festgelegt, die auch von Maschinen erbracht werden konnten“ (Buschka/Rouamba 2013, 31).Die Diskussionen darüber, ob Sprache ein Alleinstellungsmerkmal des Menschen ist, dauern auch mehr als zwei Jahrhunderte später noch an. Gerade in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurden zahlreiche Forschungen zu Kommunikation bei Tieren durchgeführt. Hervorzuheben sind dabei Versuche im Bereich der Kognitiven Ethologie, Tieren einfache Zeichensprachen beizubringen. Diese ethologischen Untersuchungen sprechen dafür, dass einige Tierarten, darunter Menschenaffen, Delfine, Papageien und Hunde, in der Lage sind, elementare sprachliche Fähigkeiten zu erlernen (vgl. Glock 2016, 75). Bei Affen, denen eine solche Zeichensprache beigebracht wurde, konnte gezeigt werden, dass sie diese nicht nur erwerben, sondern die Zeichen sogar kreativ kombinieren und im korrekten Kontext verwenden können (vgl. Goodwin 1988, 100). Besonders bekannt wurde die Gorilladame „Koko“, der ihre Trainerin bereits im Alter von zwei Jahren eine Zeichensprache beibrachte. Koko soll rund 150 Handzeichen aus der Gebärdensprache verwenden können und soll diese auch benutzen, wenn sie mit ihren Puppen spielt (vgl. Wild 2008, 17). Die Studien dazu, ob Affen eine Zeichensprache erlernen und kreativ benutzen können, erhielten von vielen Seiten Kritik. Ingold etwa zweifelte die Gültigkeit der Ergebnisse an und argumentierte, dass es nicht ersichtlich sei, weshalb Affen unter „natürlichen“ Bedingungen nicht miteinander kommunizierten, wenn sie doch die Fähigkeit dazu besäßen (vgl. Ingold 1988b, 91f.). Seiner Ansicht nach, die auch einige andere Denker der Gegenwart vertreten, ist die Sprache einer der für den Menschen einzigartigen Mechanismen, die eine „Kulturfähigkeit“ konstituieren (vgl. Ingold 1988b, 97). Tiere seien demnach lediglich zu nonverbaler Kommunikation imstande, jedoch fehle es ihnen an einer begrifflichen Sprache.

4.1.2 „Geist“ bei Tieren

An die Frage, ob Tiere sprachliche Fähigkeiten besitzen, schließt unmittelbar die Frage nach den kognitiven Leistungen an. Im Rahmen dieser Diskussion taucht häufig der Begriff Geist auf. Glock weist darauf hin, dass Geist jedoch nicht nur kognitive Fähigkeiten, sondern auch konative oder affektive Fähigkeiten umfasst (vgl. Glock 2016, 63). Während kognitive Fähigkeiten dazu dienen, Wissen und Informationen zu gewinnen, bezeichnen letztere die Fähigkeit, etwas zu beabsichtigen, zu verlangen oder zu wünschen. Die Frage, ob Tiere über einen Geist verfügen, der mit dem des Menschen vergleichbar ist, wird in zahlreichen Disziplinen diskutiert (vgl. ebd.). In diesem Zusammenhang werden gleichzeitig Aspekte wie Bewusstsein und Intentionalität beleuchtet und nicht zuletzt die Handlungsfähigkeit von Tieren thematisiert.

Grundsätzlich kann man bei der Beantwortung der Frage, ob Tiere über Geist verfügen, zwei Positionen unterscheiden: Assimilationisten halten die Unterschiede zwischen Mensch und Tier nur für qualitativ, also nur in ihrer Ausprägung voneinander abweichend. Dahingegen betrachten Differentialisten Sprache als Voraussetzung für geistige Fähigkeiten, zumindest höhere (vgl. Glock 2016, 60). Geistige Zustände werden ferner dadurch bestimmt, dass sie intentional und bewusst sind, also einen bestimmten Gegenstand oder Inhalt haben. Davon zu unterscheiden sind unbewusste, nicht-intentionale geistige Phänomene wie Stimmungen, die sich im Gegensatz zu Emotionen auf nichts Bestimmtes richten (vgl. ebd., 63). Da Gedanken immer einen Inhalt haben, gilt Intentionalität als ihre Voraussetzung. Einige Philosophen argumentieren, dass man ohne Begriffe einen Gegenstand oder Inhalt nicht als etwas erfassen kann und Tiere, da sie keine verbale Sprache besitzen, nicht zum Denken fähig sind (vgl. Wild 2008, 22). Zu Vertretern dieser Position gehört auch Ingold:

„Troughout its waking life the animal continually emits a veritable profusion of signals, but without a reflexive linguistic facility it cannot isolate thoughts as objects of attention. That is, rather than thinking without communicating, the animal communicates without thinking, so that the signals it transmits correspond to bodily states and not to concepts.“ (Ingold 1988b, 85)

Aufgrund der fehlenden Begriffe verneint er ein Denkvermögen bei Tieren, betrachtet sie aber dennoch als bewusst und intentional handelnd (vgl. ebd., 95). Die Frage nach dem Denken müsse seiner Ansicht nach von den Fragen nach Handeln und Fühlen getrennt werden (vgl. ebd., 95). Er vergleicht dazu menschliches und tierisches Handeln und merkt an, dass wir in den meisten Fällen ebenfalls nicht über die möglichen Folgen unserer Handlungen nachdenken, bevor wir sie ausführen, dennoch seien wir für sie verantwortlich. Man würde daher zwei unterschiedliche Standards anwenden, wenn man Tieren, weil sie nicht zum Denken fähig sind, Bewusstsein und Intentionen absprechen würde (vgl. Ingold 1988b, 96). Mit dem Zusammenhang von Sprache und Denken hat sich auch die Psychologin Irene Pepperberg befasst. Dazu brachte sie ihrem Graupapagei bei, verschiedene Gegenstände, Farben, Formen und Materialien zu unterscheiden (vgl. Wild 2008, 17). Dazu beschreibt Wild:

[...]

Ende der Leseprobe aus 65 Seiten

Details

Titel
Neues Tierbild in populären Medien?
Untertitel
Peter Wohlleben und Tierdarstellungen in Sachbüchern
Hochschule
Philipps-Universität Marburg
Note
1,5
Autor
Jahr
2018
Seiten
65
Katalognummer
V454973
ISBN (eBook)
9783668875098
ISBN (Buch)
9783668875104
Sprache
Deutsch
Schlagworte
neues, tierbild, medien, peter, wohlleben, tierdarstellungen, sachbüchern
Arbeit zitieren
Laura Horst (Autor:in), 2018, Neues Tierbild in populären Medien?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/454973

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