Lebenswelt- und Sozialraumanalyse in der Schulsozialarbeit

Die Forschungsmethoden subjektive Landkarte, Autofotografie und Zeitbudget


Studienarbeit, 2017

25 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung.

2. Theoretische Grundlagen
2.1 Lebenswelt
2.2 Lebensweltorientierung
2.3 Sozialraum
2.4 Sozialraumorientierung

3. Lebenswelt- und Sozialraumanalyse
3.1 Ziele und Konzeptgrundlage
3.2 Allgemeine Haltung und Grundsätze
3.3 Verknüpfung zur Schulsozialarbeit

4. Forschungsmethoden einer Lebenswelt- und Sozialraumanalyse
4.1 Subjektive Landkarte
4.2 Autofotografie
4.3 Zeitbudget

5. Fazit

6. Literaturverzeichnis
6.1 Print-Medien
6.2 Online-Publikationen

1.Einleitung

Aktuell ist in Deutschland ein zunehmender Ausbau von Ganztagsschulen zu beobachten. Somit entwickeln sich Bildungseinrichtungen vermehrt zu einem wesentlichen Lebensraum wie auch zentralen Ort sozialer Begegnungen für Kinder und Jugendliche. Im Zuge dieser Entwicklung wird ebenso die Relevanz der Schulsozialarbeit verstärkt thematisiert, die sich mit den individuellen Lebenswelten der Schülerinnen und Schülern grundlegend beschäftigt.

Vor diesem Hintergrund befasst sich diese Studienarbeit mit der Frage, ob die Lebenswelt- und Sozialraumanalyse für die Schulsozialarbeit relevant ist und ob sie eine bedeutende Methode in diesem Handlungsfeld darstellt. Des Weiteren wird ein Schwerpunkt auf drei Forschungsmethoden der sozialräumlichen Lebensweltanalyse gelegt, um im Anschließenden ihre Eignung in der Schulsozialarbeit zu erörtern.

Die folgende Ausarbeitung ist in die drei großen Kapitel „Theoretische Grundlagen“, „Lebenswelt- und Sozialraumanalyse“ und „Forschungsmethoden einer Lebenswelt- und Sozialraumanalyse“ unterteilt.

Im ersten Kapitel wird zunächst ein theoretisches Grundverständnis für die weiteren Ausführungen dieser Studienarbeit geschaffen. Zu Beginn wird die terminologische Entwicklung von Lebenswelt erläutert, um anschließend auf das Konzept der Lebensweltorientierung sowie ihre Struktur- und Handlungsmaxime in der Sozialen Arbeit einzugehen. Nachfolgend wird ein Definitionsversuch des Begriffs Sozialraum angestellt sowie die Konzeptentwicklung und grundlegende Prinzipien der sozialraumorientierten Sozialen Arbeit dargestellt.

Das folgende Kapitel befasst sich mit der Lebenswelt- und Sozialraumanalyse. Zunächst werden ihre grundlegenden Ziele und konzeptionelle Ausrichtungen unter Anwendung in der Sozialen Arbeit betrachtet. Im Anschluss folgt eine Erläuterung der allgemeinen Haltung sowie Grundsätzen, welche für die Durchführung solch einer Analyse eingenommen und berücksichtigt werden müssen. Abschließend wird das Aufgabengebiet der Schulsozialarbeit skizziert, um die Eignung einer sozialräumlichen Lebensweltanalyse in diesem Handlungsfeld darzulegen.

Im letzten Kapitel werden die Forschungsmethoden subjektive Landkarte, Autofotografie und Zeitbudget vorgestellt. Hierbei werden die Ziele, Vorgehensweise sowie Hinweise zur Durchführung beleuchtet.

Den Schluss dieser Arbeit bildet das Fazit, in dem abschließend die eingangs erwähnten Fragen auf Grundlage der vorangegangenen Theorie beantwortet werden.

Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf die gleichzeitige Verwendung männlicher und weiblicher Sprachformen verzichtet. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleichwohl für beiderlei Geschlecht.

2. THEORETISCHE GRUNDLAGEN

2.1 LEBENSWELT

Der Begriff Lebenswelt wurde schriftlich wohl erstmalig von dem deutschen Dichter Heinrich Heine (1797–1856) (Kortländer, 2013, online) festgehalten (Bermes, 2002, o.S. zitiert nach Kanzian, 2015, S. 75). Doch den Terminus zu diesem Begriff führte Gründer der Phänomenologie Edmund Husserl (1859–1938) ein (Abels, 2009, S. 51). Vor dieser terminologischen Einführung wurde sowohl in der Wissenschaft als auch in der Philosophie stets das objektive Sein, das Fassbare, in den Mittelpunkt der Forschungen und Überlegungen gestellt. Husserl machte auf die Wichtigkeit der subjektiven Wahrheit aufmerksam, denn ohne subjektive Überlegungen kann auch keine objektive Wahrheit existieren (Preussner, 2003, online). Als Lebenswelt bezeichnet er die Welt des alltäglichen Denkens (Husserl, 1936, S. 83 zitiert nach Abels, 2009, S. 51) und an diesem Punkt setzte Soziologe Alfred Schütz (1899–1959) (Müller, 2002, online) an. Er beschäftigte sich mit der Frage, wie sich die soziale Welt und die subjektive Wirklichkeit eines Individuums aufbaut (Abels, 2009, S. 54). Hierbei kam er zu der Erkenntnis, dass jeder Mensch in seinem alltäglichen Leben Erfahrungen sammelt und mit diesen sich eine subjektive Welt erschafft. Parallel wird diese subjektive Welt mit anderen Menschen sowie deren Erfahrungen in einer objektiven Welt, einer intersubjektiven-institutionellen Umwelt, gemeinsam erlebt. Somit ist für Schütz die Lebenswelt ein Zusammenspiel aus subjektiver und objektiver Welt (Soeffner, 1987, S. 802 zitiert nach Abels, 2009, S. 60f).

Eine weitere Person, die die Bedeutung des Begriffs Lebenswelt prägte, ist Philosoph und Soziologe Jürgen Habermas (geb. 1929) (Schmidt Zündorf, 2016, online). Er vertritt die Auffassung, dass die Lebenswelt insbesondere von dem alltäglichen sozialen Handeln in einem gesellschaftlichen und kulturellen Umfeld bestimmt wird. Dieses gesellschaftliche Handeln kann unter anderem werteorientiert sein und solidarische Motive verfolgen. Es kann jedoch auch zweckorientierte, ökonomische Hintergründe haben. Habermas macht deutlich, dass Gesellschaft somit eine Zusammensetzung aus Lebenswelt und System ist (Habermas, 1981b, S. 522 zitiert nach Früchtel, Cyprian Budde, 2013, S. 26f). Anhand Habermas Erläuterung wird noch deutlicher, was unter dem Terminus Lebenswelt zu verstehen ist, denn eine einheitliche Definition existiert für diesen Begriff bislang nicht.

2.2 LEBENSWELTORIENTIERUNG

Das Konzept der Alltagsorientierung etablierte Hans Thiersch (geb. 1953) (Ritzi, 2005, online) in den 1970er Jahren. Die Bezeichnung Lebensweltorientierung wurde anfangs synonym zu „Alltagsorientierung“ verwendet, bis sich dann Ende 1980 „Lebensweltorientierung“ durchsetzt. Seitdem ist Lebensweltorientierung ein bedeutender Begriff für sowohl die theoretische als auch praktische Entwicklung der Sozialen Arbeit (Füssenhäuser, 2005, S. 141-147 zitiert nach Füssenhäuser, 2006, S. 128ff). Spätestens mit der Veröffentlichung des achten Jugendberichts der Bundesregierung, welcher 1990 erschien und Thiersch als Mitglied der Sachverständigenkommission mitwirkte (Ritzi, 2005, online), und dem darauffolgenden neu gefassten Kinder- und Jugendhilfegesetz, gilt die Lebensweltorientierung als zentrale Perspektive der Kinder- und Jugendhilfe (Krummacher, Kulbach, Waltz Wohlfahrt, 2003, S. 158). Dies zeigt, dass das Konzept der Lebensweltorientierung sich zunächst primär auf die Kinder- und Jugendarbeit bezog. Heute ist das Konzept der Lebensweltorientierung als eine maßgebliche Orientierung in der sozialpädagogischen Praxis zu sehen (Thiersch Grunwald, 2014, S. 327).

Thiersch legte für die Realisierung dieses Konzepts gewisse Struktur- und Handlungsmaxime als Orientierungsrahmen fest. Diese Richtlinien wurden ebenfalls im achten Jugendbericht schriftlich konkretisiert, doch gelten gleichermaßen für die anderen Handlungsfelder der Sozialen Arbeit (Thiersch Grunwald, 2014, S. 346). Die Struktur- und Handlungsmaxime umfassen insgesamt fünf Maxime: „Prävention, Integration, Partizipation, Alltagsnähe und Dezentralisierung/Regionalisierung“ (Thiersch, Grunwald Köngeter, 2012, S.188). „Prävention“ meint die vorsorgliche Abwendung von möglichen Krisensituationen oder negativen Entwicklungsverläufen. Durch unterstützende und stabilisierende Konzepte wird versucht, vorhandene Ressourcen zu fördern und belastende Lebenslagen zu verhindern. Das Ziel der „Integration“ ist eine prinzipielle Gleichheit aller Menschen sowie eine Lebenswelt ohne Abgrenzung oder gar Aussonderung. Angebote zur Hilfe müssen für alle gleichermaßen zugänglich sein. Die Maxime der „Partizipation“ zielt auf die Teilhabe der Klienten und eine gemeinsame Gestaltung von Hilfen. Diese Mitgestaltungsmöglichkeiten ermöglichen es die subjektiven Bedürfnisse der Adressaten in den Hilfeprozess miteinzubeziehen und diese mit den rechtlichen Bedingungen zu kombinieren. Die „Alltagsnähe“ beinhaltet zum einen die Zugänglichkeit im Alltag von niederschwelligen Angeboten und zum anderen eine ganzheitliche Hilfe unter Rücksichtnahme der individuellen Lebenswelt und den sozialen Verhältnissen. Die „Dezentralisierung und Regionalisierung“, als Prinzip der lebensweltorientierten Sozialen Arbeit, betont die Präsenz von Hilfen vor Ort, um eine Integration in den Alltag bzw. die Lebenswelt der Klienten zu gewährleisten. Dennoch sollten zur Sicherung der allgemeinverbindlichen Standards die Angebote und Hilfsmöglichkeiten in einem überregionalen Gerüst vernetzt sein (ebd., S. 188ff).

Lebensweltorientierte Soziale Arbeit bedeutet somit die subjektive Wirklichkeit und die alltäglichen Handlungsstrukturen der Klienten stets als Ausgangspunkt zu nehmen. Dabei soll ein Verständnis für die jeweilige Lebenswelt geschaffen werden und sich an den Bewältigungsressourcen sowie den Bedürfnissen der Adressaten orientiert werden. Für eine Stabilisierung, Umstrukturierung oder auch Neujustierung des Alltags bedarf es jedoch nicht ausschließlich einer Ausrichtung an der subjektiven Perspektive der Klienten, sondern auch einer professionellen Fremdperspektive, welche methodische Ansätze entwickelt und institutionelle Handlungsmöglichkeiten aufzeigt. Ziel des Konzepts ist es den Klienten dazu zu befähigen, sich einen besser funktionierenden und gleichzeitig tragfähigen Alltag zu gestalten (Thiersch Grunwald, 2014, S. 327).

2.3 SOZIALRAUM

Bereits in der griechischen Antike wurde sich mit dem Begriff des Raums beschäftigt. Dabei entwickelten Philosophen, wie unter anderem Platon und Aristoteles, erste Raumvorstellungen, welche sich auf Körper jeglicher Art, deren Verbindungen und Grenzen bezogen (Kessel Reutlinger, 2010, S. 22).

Im Zuge des Aufklärungszeitalters entstanden zwei neue und gleichzeitig differente Raumvorstellungen, die sich weitestgehend widersprechen. Zum einen postulierte Isaac Newton (1643–1727) den absoluten Raum. Er beschreibt absolute Räume als eigenständige, starre und physische Behälter, die ohne Beziehung zu ihrem Inneren bestehen. Diese unterscheiden sich nach Newton von relativen Räumen. Sie sind dagegen bewegliche und veränderbare Elemente eines absoluten Raums (ebd.).

Demgegenüber steht die Vorstellung eines relationalen bzw. relativen Raums, welche Gottfried Wilhelm Leibniz (1646–1716) verfolgte. Nach ihm entstehen Räume erst durch die in ihnen enthaltenen wie auch umgebenen Elemente. Raum und Elemente stehen hierbei stets miteinander in Verbindung; sind also rational. Die Bestimmung eines Raums wird je nach Blickwinkel unterschiedlich wahrgenommen und ist somit als relativ zu sehen (ebd., S. 22ff).

Diese relationale Raumvorstellung, welche die absolute und relative impliziert, entspricht dem heutigen Terminus Sozialraum am ehesten. In der sozialwissenschaftlichen Diskussion bezieht sich der Sozialraum ebenfalls auf physische Objekte (Räume, Orte, Plätze usw.). Primär liegt der Fokus jedoch auf das soziale sowie gesellschaftliche Handeln der Subjekte, die durch zwischenmenschliche Interaktionen Räume konzipieren (ebd., S. 25ff).

Da auch für den Begriff des Sozialraums keine einheitliche Definition besteht, lässt sich zusammenfassen, dass Sozialräume stets als ein Produkt menschlichen Handelns zu verstehen sind.

2.4 Sozialraumorientierung

Die Sozialraumorientierung hat ihre Wurzeln in der Gemeinwesenarbeit, deren Ansätze vorwiegend aus den USA stammen und sich Anfang 1970 in Deutschland manifestierten (Hinte, 2012, S. 663). Aus der daraufhin entstandenen stadtteilbezogene Soziale Arbeit, entwickelte sich in den 1990er Jahren das Konzept der Sozialraumorientierung (ebd., S. 667). Maßgebend für diese Konzeptentwicklung ist Wolfgang Hinte (geb. 1952) (Budde, Früchtel & Hinte, 2006, S. 315), der Mitte 1990 an das Thiersch´schen Konzept der Lebensweltorientierung anknüpfte und bis heute die sozialraumorientierte Soziale Arbeit prägt (Dieckbreder, 2016, S. 22f). Wie bei der Lebensweltorientierung lag zu Beginn die Umgestaltung der Kinder- und Jugendhilfe im Fokus. Diese konzeptionelle Neujustierung brachte simultan eine raumbezogene Neugestaltung in die Methoden und Ansätze der sozialpädagogischen wie auch sozialarbeiterischen Praktiken (Kessel & Reutlinger, 2010, S. 42f).

Hinte entwickelte fünf methodische Prinzipien, die den Kern des sozialräumlichen Ansatzes bilden und als Handlungsorientierung dienen sollen. Das erste Prinzip „Orientierung an Interessen und am Willen“ der Klienten ist Grundlage einer sozialraumorientierten Arbeit (Hinte, 2014, S. 24). Es muss sich grundsätzlich an den individuellen Bedürfnissen der leistungsberechtigten Adressaten orientiert werden und Vermutungen einer adäquaten Lösung seitens des Fachpersonals gehören zurückgestellt (ebd., S. 45ff). Inhalt des zweiten Prinzips ist die „Unterstützung von Eigeninitiative und Selbsthilfe“ (ebd., S. 53). Sozialarbeiter sind gehalten weitestgehend auf assistierende Betreuung zu verzichten und stattdessen Klienten zu eigenen Lösungsansätzen zu befähigen und zu ermutigen (ebd., S. 53f). Das dritte Prinzip legt die „Konzentration auf die Ressourcen“ der betroffenen Personen (ebd., S. 60). Nicht die Schwächen und der Ressourcenmangel sollen im Fokus der Hilfegestaltung liegen, sondern das Potenzial wie auch die sozialräumlichen Ressourcen der Klienten (ebd., S. 60-66). Ziel des vierten Prinzips ist eine „zielgruppen- und bereichsübergreifende Sichtweise“ bei sozialräumlichen Konzepten (ebd., S. 73). Hierbei sollte sich nicht gruppenspezifisch orientiert werden, sondern an die zahlreichen Individuen eines Gebiets, um Aus- bzw. Abgrenzungen anderer Gruppen zu vermeiden. Zudem entstehen durch den konkreten Ortsbezug neue Verknüpfungen mit Fachkräften außerhalb des sozialen Bereichs. Diese gegenseitige Öffnung ermöglicht eine erleichterte Zugänglichkeit und den Austausch von Fachwissen (ebd., S. 73ff). Das fünfte und letzte Prinzip betont die „Kooperation und Koordination“ aller beteiligten Organisationen, um eine aktive Kommunikation zu schaffen und gemeinsam integrative Projekte zu entwerfen (ebd., S. 76f).

Sozialraumorientierte Soziale Arbeit richtet ihren Blickwinkel somit primär auf die Feldorientierung und nicht wie bislang personenzentriert auf den individualisierenden Fallbezug. Bei diesem feldbezogenen Handlungsansatz werden die Lebenswelten sowie die sozialen Strukturen der Klienten mitsamt ihren Bewältigungsressourcen fokussiert. Zudem schafft dieser Perspektivenwechsel nicht nur innerhalb der Sozialen Arbeit neue Gestaltungsmöglichkeiten, sondern auch auf kommunaler Ebene. Der Bezug zum örtlichen Umfeld ermöglicht es in sozialräumlichen Umbauprozessen mitzuwirken, um so veraltete Strukturen aufzubrechen und neue, bürgernahe Lebensräume mitzugestalten (Kessel & Reutlinger, 2010, S. 44). Sozialraumorientierung in der Sozialen Arbeit zielt, stets unter Berücksichtigung des sozialen Umfelds, auf eine aktivierende Mitgestaltung der Betroffenen selbst. Dies gilt sowohl bei sozialräumlichen Neukonzeptionen auf kommunaler Ebene als auch in der direkten Arbeit mit Klienten.

3. Lebenswelt- und Sozialraumanalyse

3.1 Ziele und Konzeptgrundlage

In der Sozialen Arbeit wird die Lebenswelt- und Sozialraumanalyse sowohl als allgemeines Handlungskonzept in der Praxis angewandt, wie auch als methodische Forschung für die Theorieentwicklung eingesetzt. In beiden Feldern beschäftigt sich die Analyse mit der Untersuchung von Lebenswelten in sozialräumlichen Strukturen und dient zur örtlichen Prävention bzw. Intervention sozialer Problematiken. Anhand dieser Analyse wird versucht die individuellen Perspektiven in gegebenen Raumstrukturen widerzuspiegeln und deren Zusammenspiel mit dem sozialen Umfeld zu erfassen (Spatscheck, 2009, S. 34-39). Die Ermittlung der sozialräumlichen Umwelt schafft die Möglichkeit die sozialen Problemlagen in einem lokalen Raum aufzudecken wie auch Hilfeangebote und –maßnahmen an die lokalen Bedingungen anzupassen. Gleichzeitig dient sie als Grundlage der Bedarfsermittlung, Zielsetzung und Konzeptentwicklung (Stange, 2009, S. 551). Hierfür werden in einem bestimmten Gebiet die Lebensverhältnisse, sozialen Bedingungen vor Ort sowie die Wahrnehmungen und Bedeutungen der jeweiligen Sozialräume und deren Auswirkungen auf die Lebenswelten untersucht. Die zu analysierenden Gebiete können sowohl großräumig sein, wie ein Stadtteil, Bezirk oder Viertel, als auch kleinräumig wie bspw. ein Wohnblock, Plätze oder eine Einrichtung. Die Größenbestimmung des Einzugsgebiets ist abhängig von der behandelten Thematik und den zu erzielenden Erkenntnissen (ebd., S. 552ff). Allerdings riskiert ein zu großer Betrachtungswinkel eine zu objektive Betrachtung der Sozialräume einzunehmen. Diese Objektivität verhindert ebenso lebensweltliche Einblicke in den Alltag, der in den Sozialräumen lebenden Personen, zu gewinnen (ebd., S. 556).

Die alltägliche Lebenswelt beinhaltet primär das Verhältnis zu sozialen Kontakten, aber auch unter anderem das Konsumverhalten, den Gesundheitszustand und seinen Stellenwert, die Beziehungen zu Unterkunft und Nachbarn, sämtliche Freizeitaktivitäten sowie der schulische und berufliche Werdegang. Speziell diese Thematiken sind jedoch für die Findung von Angeboten für Präventionen und die Planung von Maßnahmen für Interventionen von Bedeutung (Deinet & Krisch, 2002, S. 48f zitiert nach Stange, 2009, S. 554). Eine wirksame Lebenswelt- und Sozialraumanalyse untersucht daher das gesamte Themenspektrum der Adressaten.

Demnach werden auch physisch-objektive Gegebenheiten, wie ökologische Aspekte, die Transportinfrastruktur oder Freizeitangebote, betrachtet, da diese ebenfalls auf das subjektive Erleben und somit individuell auf die Lebenswelt wirken (Stange, 2009, S. 552). Insbesondere für Menschen mit eingeschränkten Mobilitätsmöglichkeiten, bspw. Kinder, Jugendliche oder ältere Personen, sind diese nahräumlichen Verfügbarkeiten essenziell. Da sie auf das direkte Wohnumfeld angewiesen sind, findet hier der zentrale Dreh- und Angelpunkt ihres Lebens statt (Jordan, 1998, S. 335ff, 356ff zitiert nach Stange, 2009, S. 555).

Ebenso haben objektiv erfassbare Sozialmerkmale Auswirkungen auf den regionalen Sozialraum. Einfluss nehmen können hierbei Merkmale wie etwa die Kriminalitätsrate, die Anzahl der Erwerbstätigen, der Bildungsgrad, das Berufsniveau oder der Anteil an Menschen mit einem Migrationshintergrund. Dennoch lassen sich mit rein objektiven Erhebungen keine Aussage über die Lebenswelt treffen. Die örtlichen Sozialstrukturen können unabhängig von den persönlichen Wahrnehmungen, Lebenseinstellungen oder Empfindungen der dort lebenden Menschen sein. Darüber hinaus können sich konträr zu den lokal gegebenen Sozialstrukturen eigenständige Subkulturen bilden, die sich z. B. an traditionellen Bräuchen, historischen Hintergründen der Region oder an normabweichenden Wert- und Moralvorstellungen orientieren. Je kleinräumiger der Betrachtungswinkel eines Sozialraums also wird, desto detaillierter und somit aufschlussreicher werden die Einblicke in die Lebenswelten der Adressaten (Stange, 2009, S. 553ff).

Aus diesen Gründen werden bei sozialräumlichen Lebensweltanalysen stets quantitative Daten erhoben, wie die objektiven Sozialstrukturen und Sachverhalte, aber auch qualitative Inhalte in Bezug auf die subjektiven Wahrnehmungen untersucht. Denn erst mit der Verbindung dieser beiden Analyseansätze lassen sich möglichst vielschichtige Aspekte der örtlichen Problemlagen gewinnen und die daraus resultierenden Bedarfe ermitteln. Außerdem dient diese umfangreiche Informationsgewinnung einer passgenauen und individuellen Konzeption von Maßnahmen, Angeboten oder Methodenentwicklungen (ebd.).

3.2 Allgemeine Haltung und Grundsätze

Für eine erfolgreiche und qualitativ hochwertige Ergebnisgewinnung der Lebenswelt- und Sozialraumanalyse ist es erforderlich, für die Durchführung eine bestimmte Position einzunehmen und gewisse Grundsätze zu verfolgen. So lässt sich in der Sozialen Arbeit aufgrund der vielfältigen und individuellen Fällen keine konkreten Arbeitsanweisungen festlegen, doch es gelten bestimmte Richtlinien an denen sich orientiert werden soll (Deinet, 2009a, S. 45ff).

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Ende der Leseprobe aus 25 Seiten

Details

Titel
Lebenswelt- und Sozialraumanalyse in der Schulsozialarbeit
Untertitel
Die Forschungsmethoden subjektive Landkarte, Autofotografie und Zeitbudget
Hochschule
Hochschule Mannheim
Note
1,0
Autor
Jahr
2017
Seiten
25
Katalognummer
V454493
ISBN (eBook)
9783668880351
ISBN (Buch)
9783668880368
Sprache
Deutsch
Schlagworte
sozialraumanalyse, schulsozialarbeit, forschungsmethoden, landkarte, autofotografie, zeitbudget, lebensweltanalyse, lebenswelt, sozialraum, Hinte, Schütz, Thiersch, Habermas, Husserl, Deinet, Budde, Abels
Arbeit zitieren
Sarah Schreiber (Autor:in), 2017, Lebenswelt- und Sozialraumanalyse in der Schulsozialarbeit, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/454493

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