Das Heilige Land im Vergleich zwischen jüdisch-orthodoxer Imagination und zionistischem Verständnis


Seminararbeit, 2015

18 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Kriterium Territorium
2.1 Jüdische Tradition
2.2 „Palästina-Handbuch“
2.3 „Volk und Land“

3. Kriterium Volk
3.1 Jüdische Tradition
3.2 „Herzl-Bund-Blätter“
3.3 „Palästina“

4. Resümee

5. Literaturverzeichnis

6. Quellenverzeichnis

1. Einleitung

Wenn landläufig vom Zionismus geredet wird, wird oft nicht beachtet, dass diese nationalistische Bewegung wie jede andere politische oder religiöse Ideologie viele Gesichter hat, dabei aber zu einem Großteil von säkularen Juden begründet und vorangetrieben wurde. Nichtsdestotrotz hat der Zionismus seine Wurzeln in der Hebräischen Bibel und den weiteren normativen Quellen des rabbinischen Judentums mit dem Talmud als Hauptwerk. Doch während aus jüdisch-orthodoxer Sicht nur der Messias selbst die Rückführung des jüdischen Volkes in das Gelobte Land bewirken kann, ergriffen die Zionisten des 19. und frühen 20. Jahrhunderts selbst die politische Initiative. Diese Abhandlung will anhand der beiden Kriterien Territorium und Volk einen Vergleich anstellen zwischen den normativen Quellen des Judentums auf der einen und der Propaganda der deutschsprachigen zionistischen Bewegung auf der anderen Seite. Dabei dient die digitale Sammlung Compact Memory, eine Online-Bibliothek deutsch-jüdischer Periodika aus den Jahren 1768-1938, als Grundlage für die zu betrachtenden Quellen.1

Einleitend muss in diesem Zusammenhang betont werden, dass der deutsche Zionismus nur einen von mehreren europäischen Zionismen darstellte. Derek Penslar2 teilt die zionistische Bewegung der spätosmanischen Zeit in drei Perioden ein: die französische, die deutsche und die osteuropäische Periode. Außerdem gilt es hier die verschiedenen inhaltlichen Spielarten des Zionismus zu beachten, wie etwa den politischen, den praktischen oder den religiös- messianischen Zionismus. Die folgenden Betrachtungen nun sollen exemplarisch anhand einiger Artikel der deutsch-zionistischen Presse von 1910 bis etwa 1920 geschehen. Zum einen wurde dabei das von Davis Trietsch, einem praktisch-zionistischen Schriftsteller und Politiker, herausgegebene Pal ä stina-Handbuch auf seine Definition von Palästina untersucht. Außerdem wurden Artikel aus der Zeitschrift Volk und Land, den Herzl-Bund-Bl ä ttern und der Monatsschrift Pal ä stina bezüglich ihrer Aussagen zu dem Territorium bzw. dem Volk betrachtet. Welche normativen Quellen des Judentums in Bezug auf die beiden genannten Kriterien greift dieser Zionismus auf? Und wo unterscheidet er sich von den tradierten jüdischen Vorstellungen über das Heilige Land oder wo fügt er gar Dinge hinzu? Dies soll beleuchtet werden.

2. Kriterium Territorium

2.1 Jüdische Tradition

Zunächst gilt es also, den Blick auf die jüdische Tradition bezüglich des Heiligen Landes zu lenken. Dabei ist in der Analyse zwischen dem Alten Israel und dem nachbiblischen rabbinischen Judentum zu differenzieren. Wohl beginnt das Narrativ des jüdischen Geschicks im Alten Testament. Vom hebräischen Verb ʿ a ḇ ar - übersetzt: hinübergehen, überqueren - und der biblischen Erzählung vom israelitischen Auszug aus Ägypten samt der wundersamen Überquerung des Roten Meeres stammt der „Gründungsmythos“3 und der Name des Volkes der Hebräer (ʿ i ḇ ri). Der biblische Befund bezüglich der Verheißung des Landes Kanaan (so der biblische Name für Palästina) an die Israeliten ist reichhaltig und beginnt in dem Bundesschluss Gottes mit dem Patriarchen Abraham. So lautet die Verheißung an Abra(ha)m in 1. Mose 17,8:

„Und ich will dir und deinem Geschlecht nach dir das Land geben, darin du ein Fremdling bist, das ganze Land Kanaan, zu ewigem Besitz und will ihr Gott sein.“4

Nun ist natürlich zu erwähnen, dass zu dem „Geschlecht“ Abrahams, sprich seinen Nachkommen, auch Ismael und dessen Kinder gehören. Dies ist insofern nicht unwichtig, als Ismael der Bibel zufolge Stammvater eines großen Volkes wurde (so 1. Mose 17,20) - gemeinhin wird Ismael als Stammvater der Araber angesehen - und von Muslimen als Prophet anerkannt wird.5 Allerdings, und dies ist sowohl für die jüdische und christliche Tradition als auch für die moderne Kontroverse um Palästina von Bedeutung, findet der Bundesschluss Gottes und damit einhergehend die Verheißung des Landes seine Fortsetzung in Abrahams zweitem Sohn Isaak sowie in Jakob - der auch Israel genannt wird - und Mose.6

Dass die Grenzen des Landes, das den Israeliten geschenkt wird, schon in der Hebräischen Bibel nicht einheitlich daherkommen, zeigt der Judaist Moshe Weinfeld.7 So ist das Ostjordanland südlich des Sees Genezareth in den der priesterlichen Tradition zugeordneten Schriften vom Land ausgenommen, während die heutigen Gebiete des Libanon und Syriens größtenteils eingeschlossen sind. Diese Grenzziehung wird beispielsweise in 4. Mose 34,1-12 geboten und ist auch für die rabbinische Tradition relevant, die Transjordanien nicht als Teil des von Gott verheißenen Landes versteht. Die bekannte Formel „Von Dan bis Beersheva“, die selbst von den Briten Anfang des 20. Jahrhunderts noch bemüht wurde, gibt wohlgemerkt nur die Nord-Süd-Ausdehnung des Landes an. In einem anderen, später entstandenen „Grenzsystem“, das zum Beispiel in 1. Mose 15,18-21 formuliert wird, gehört das Ostjordanland zu dem von Gott verheißenen Land, das gemäß der Aussage hier „von dem Strom Ägyptens (hebr. nahar/nahal mitzrayim) an bis an den […] Euphrat“ reichen soll. Dass der „Strom Ägyptens“ nicht den Nil, sondern das auf der Halbinsel Sinai liegende Wadi al- Arish meint, darin sind sich moderne Forscher wie auch die Rabbinen einig. Tatsächlich bis zum Euphrat hingegen reichte das Territorium Israels, wenn man der Bibel folgt, nur unter Salomo.8 Die idealen Grenzen des Landes Israel, ob lediglich verheißen oder auch tatsächlich besiedelt, sind also bereits auf biblischer Ebene variabel und wurden von den jeweiligen historischen Hintergründen stark beeinflusst. Besonders relevant für das jüdische Verständnis vom Land Israel war das Verbot, Teile dieses Territoriums zu veräußern (vgl. 3. Mose 25,23), d.h. an Nichtjuden zu verpachten oder zu verkaufen. Dieses Verbot wurde auch für den modernen Zionismus relevant, als vom Jüdischen Nationalfonds (JNF) erworbenes Land in jüdischen Besitz überging und nicht mehr an Nichtjuden veräußert werden durfte.9

Eretz Israel - das Land Israel - der Begriff für das Land der Verheißung, wie er beispielsweise in Hesekiel 40,2 verwendet wird, wurde vor allem für die Tradition des rabbinischen Judentums wichtig. Dieses baut zwar auf der Hebräischen Bibel auf, entwickelte aber in den Jahrhunderten nach unserer Zeitrechnung eine ganz eigene Literatur, die zunächst in der Mischna (ca. 200 n. Chr.) und später dann im palästinischen (oder Jerusalemer, 4./5. Jhdt.) und babylonischen Talmud (6./7. Jhdt.) seinen Höhepunkt fand.10 Das rabbinische Schrifttum ist voll von Bezügen zum „Land des Heiligen“11, wie es korrekterweise heißen müsste. Hinter dieser Terminologie verbirgt sich die (altorientalische) Vorstellung, dass Gott Herrscher über ein bestimmtes Territorium ist, das dadurch rituell rein ist und in dessen Grenzen Gottes Gesetz - in der jüdischen Tradition die Halacha - gilt. Der Rabbiner Roland Gradwohl12 zitiert in diesem Zusammenhang aus dem Traktat Ketubbot 110b des babylonischen Talmuds:

„Wer nämlich im Jisraélland wohnt, dem ist es so, als habe er einen Gott, und wer außerhalb des Landes wohnt, dem ist es so, als habe er keinen Gott.“13

Bei solchen Aussagen ist es nicht verwunderlich, dass es für die Rabbinen stets ein Gebot (hebr. mitzwa) war, das Land Israel zu besiedeln. Obwohl die babylonischen Rabbinen durchaus auch ihrem Exilland Positives abzugewinnen vermochten (vgl. bKet 111a), verlor doch Palästina nie seine Bedeutung als „Heilsort“14 der Juden. Allerdings erweisen sich die Grenzen des verheißenen Landes auch in der rabbinischen Tradition als variabel. Hier gilt es wiederum zu differenzieren zwischen den idealen und den tatsächlich besiedelten Territorien. Für das rabbinische Judentum sind erstere die Grenzen „derer, die aus Babylonien zurückgekehrt waren“15, also die nachexilischen Grenzen, die aus Sicht der Rückkehrer - nach Barbara Schmitz ist das Ende des Exils auf etwa 520 v.Chr. anzusetzen16 - für alle Ewigkeit geheiligt waren.

Das Land innerhalb dieser Grenzen, sowohl in der biblischen wie auch in der rabbinischen Tradition, soll sich durch rituelle Reinheit auszeichnen, was durch die Einhaltung der Halacha in diesem Territorium gewährleistet wird. Demzufolge gestaltete sich auch die Definition der Grenzen Eretz Israels im rabbinischen Schrifttum schwierig. Manche Gebote der Halacha waren in ihrer Gültigkeit auf das Territorium des von Gott verheißenen Landes beschränkt, z.

B. die Gesetze zum Sabbatjahr und zu den Erstlingen. Die Halacha konnte aber auch nur da gelten, wo tatsächlich das Gesetz befolgende Juden lebten, insbesondere nach der Zerstörung des Tempels.17 Daher konnten auch diese Bestimmungen, wenngleich sie per Definition die ewigen, nachexilischen Grenzen darstellten, nicht statisch sein, sondern mussten sich immer wieder Veränderungen unterwerfen. Ein prominentes Beispiel für solch eine Definition ist das etwa zwischen 150 und 200 n.Chr. entstandene18 Tannaitische Grenzverzeichnis. Tatsächlich gehörten in diesem Verzeichnis einige an der Westküste liegende (heidnische) Städte nicht zu dem Heiligen Land, während dieses Gebiete im biblisch strittigen Ostjordanland umschloss.19

2.2 „Palästina-Handbuch“

Diese Variabilität der Grenzen Eretz Israels bestätigt auch Davis Trietsch in seinem auf Deutsch erstmals 1907 erschienenen Pal ä stina-Handbuch (hier allerdings in der fünften Auflage von 1922)20. Trietsch, der von Yehuda Eloni als „enthusiastischer Anhänger des praktischen Zionismus“21 bezeichnet wird, redet in seiner Definition von Pal ä stina von „verschiedenen Quellen [und] recht verschiedene[n] Grenzen“.22 Damit gesteht er ein, dass die biblische Tradition bezüglich des Territoriums von Eretz Israel reichhaltig und nicht immer einheitlich ist. Dann bemüht er genau die beiden oben angesprochenen biblischen Grenzziehungen (4. Mose 34,1-12 sowie die „Verheißung an unsern Vater Abraham“23 ), freilich ohne traditionsgeschichtliche oder gar textkritische Bemerkungen anzufügen. In dem ersten erwähnten Grenzsystem bestätigt Trietsch die traditionelle Auffassung, dass es sich bei dem „Bache Ägyptens“ nicht um den Nil, sondern um das „Wadi el-Arisch“ handelt. Direkt im Anschluss allerdings bemüht er die weitere Grenzfassung mit der berühmt-berüchtigten Formel „Vom Nil bis zum Euphrat“, ohne diese südliche Ausdehnung des Landes weiter zu diskutieren. Vielmehr konstatiert er:

„…und bis auf den heutigen Tag wird von den palästinensischen Juden als nach dem Ausland verreist nur der betrachtet, der im ‘Norden‘ über Aleppo oder im ‘Süden‘ über Alexandria hinausgegangen ist.“24

Trietsch rekurriert ganz selbstverständlich auf die eigene jüdische Geschichte („Zeiten unserer nationalen Selbstständigkeit“25 ), indem er zugibt, dass die Grenzen nie fest waren und überdies nie mit den idealen Vorstellungen völlig übereinstimmten. Diesbezüglich kann man hier einen Pragmatismus erkennen, der nicht wie das orthodoxe Judentum eine spezifische religiöse Überlieferung für heilig erachtet, sondern an konkreten politischen Lösungen interessiert ist. So fordert Trietsch nun auch keine territoriale Lösung, die sich unmittelbar auf biblische oder talmudische Quellen beruft.

[...]


1 Aufzurufen auf der Internetseite der Universitätsbibliothek Frankfurt: http://sammlungen.ub.uni- frankfurt.de/cm/nav/index/all.

2 Penslar, Derek J. (1991): Zionism and Technocracy. The Engineering of Jewish Settlement in Palestine, 1870-1918. Bloomington, Indianapolis: Indiana University Press.

3 Krämer, Gudrun (2015): Geschichte Palästinas. Von der osmanischen Eroberung bis zur Gründung des Staates Israel. 6. Aufl. München: C.H.Beck, S. 30.

4 Alle Bibelstellen zitiert nach Luther 1984.

5 Vgl. Krämer 2015, S. 17.

6 Vgl. 1. Mose 26,3f.; 28,13 sowie 2. Mose 3,8.

7 Weinfeld, Moshe (1993): The Promise of the Land. The Inheritance of the Land of Canaan by the Israelites. Berkeley, S. 52-75.

8 Vgl. Weinfeld 1993, S. 66 sowie Krämer 2015, S. 20.

9 Vgl. Krämer 2015, S. 136f.

10 Vgl. Stemberger, Günter (2011): Einleitung in Talmud und Midrasch. 9. Aufl. München: C.H.Beck, S. 17.

11 Krämer 2015, S. 31.

12 Gradwohl, Roland: Das Land Israel in der talmudischen Literatur, in: Eckert, Willehad Paul u.a. (Hg.) (1970): Jüdisches Volk - gelobtes Land. München: Chr. Kaiser Verlag, S. 52-61.

13 bKet 110 b (zitiert nach der Übersetzung Lazarus Goldschmidts)

14 Thoma, Clemens: Das Land Israel in der rabbinischen Tradition, in: Eckert, Willehad Paul u.a. 1970, S. 47.

15 Weinfeld 1993, S. 52.

16 Vgl. Schmitz, Barbara (2015): Geschichte Israels. 2. Aufl. Paderborn: Schöningh, S. 50f.

17 Siehe Keel, Othmar u.a. (Hg.) (1984): Orte und Landschaften der Bibel. Ein Handbuch und

Studienreiseführer zum Heiligen Land. Zürich: Benziger (Band 1: Geographisch-geschichtliche Landeskunde),

S. 262.

18 Vgl. Keel 1984, S. 275.

19 Siehe Weinfeld 1993, S. 52 und Krämer 2015, S. 32.

20 Trietsch, Davis (1922): Palästina-Handbuch. 5. Aufl. Berlin, Wien: Harz. Als PDF in der Freimann- Sammlung zu finden: http://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/freimann/content/titleinfo/1063196, Zugriff:

02.09.2015.

21 Eloni, Yehuda (1987): Zionismus in Deutschland. Von den Anfängen bis 1914. Gerlingen: Bleicher (Schriftenreihe des Instituts für Deutsche Geschichte, Universität Tel Aviv, 10), S. 337.

22 Trietsch 1922, S. 13.

23 ebd.; ohne dass hier ein Verweis auf eine Bibelstelle vorliegt, ist klar, dass es sich um ein Territorium wie in 1. Mose 15,18 handelt, bei dem das Ostjordanland eingeschlossen ist.

24 ebd., S. 13f.

25 ebd., S. 14.

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Das Heilige Land im Vergleich zwischen jüdisch-orthodoxer Imagination und zionistischem Verständnis
Hochschule
Eberhard-Karls-Universität Tübingen
Veranstaltung
Sozialgeschichte Palästinas (1517–1948)
Note
1,3
Autor
Jahr
2015
Seiten
18
Katalognummer
V454067
ISBN (eBook)
9783668862395
ISBN (Buch)
9783668862401
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Palästina, Israel, Judentum, Zionismus
Arbeit zitieren
Matthias Messerle (Autor:in), 2015, Das Heilige Land im Vergleich zwischen jüdisch-orthodoxer Imagination und zionistischem Verständnis, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/454067

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