Nächstes Ziel: Dschihad? Wie Jugendliche für den Terror angeworben werden

Präventive Konzepte und Angebote der Sozialen Arbeit


Fachbuch, 2019

105 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

1 Phänomen Dschihad

2 Die Unterschiede kennen - Begriffserklärung
2.1 Terrorist / Terrorismus
2.2 Fundamentalist / Fundamentalismus
2.3 Extremist / Extremismus
2.4 Islamist / Islamismus
2.5 Salafist / Salafismus
2.6 Dschihad / Dschihadist / Dschihadismus

3 Nächstes Ziel: Dschihad
3.1 Zur Adoleszenz junger Menschen mit und ohne Migrationshintergrund
3.2 Radikalisierungsfaktoren und Ursachen junger Menschen
3.3 Radikalisierungsmodelle

4 Der Salafismus und „Pop-Dschihad“ als Jugendkultur
4.1 Das Internet und die Sozialen Medien als Deutungsangebote und Rekrutierungsorgan
4.2 Äußerliche Merkmale
4.3 Zur Bedeutung der Anaschid (Sprechgesang)
4.4 Die „Stars“ der Szene

5 Zur Aufgabe der Sozialen Arbeit / Sozialpädagogik
5.1 Salafisten – die besseren Sozialarbeiter?
5.2 Präventionsarbeit

6 Das Leben nach dem Dschihad – Zurück in Deutschland
6.1 Aussteiger und Deradikalisierungsprogramme
6.2 Organisationen

7 Schlusswort

Literaturverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Gender-Disclaimer

Um auch andere Geschlechter neben Mann und Frau zu berücksichtigen, wurde in diesem Buch die Form des „Gender Gap“ verwendet.

1 Phänomen Dschihad

Der Dschihad – in den Medien auch „Heiliger Krieg“ genannt – ist ein Thema, welches vielen Menschen Angst bereitet. Aus den Medien ist es – gerade nach den jüngsten Ereignissen in Europa – kaum noch wegzudenken. Sowohl in der Zeitung als auch in den abendlichen Nachrichten oder als Pop-up-Nachricht auf dem Smartphone werden wir täglich mit Begriffen wie Islamist, Salafist, Terrorismus, Dschihadismus etc. konfrontiert. Doch worin liegen eigentlich die Unterschiede? Ist jeder Salafist gleich ein Terrorist? Und worin liegt der Unterschied zwischen einem Islamisten und einem Salafisten? Was bedeutet diese Zuschreibung für junge Muslime in Deutschland? Vor allem: Welche Bilder hinterlassen diese Zuschreibungen in der Gesellschaft? Die Unterschiede und die Erklärungen für die Differenzen werden den wenigsten bewusst sein. Besonders die Begriffe Salafist und Islamist werden oft als Synonym für Terrorist genutzt. Dies bleibt in den Köpfen sitzen. Beispiele für solche Fehldeutungen treten in dieser Thematik häufig auf und so „bleibt oft unklar, inwiefern sich Untersuchungen tatsächlich auf Aspekte desselben Phänomens beziehen“ (Herding / Langner / Glaser 2015: 2).

Aus diesem Grund wird am Anfang dieser Arbeit auf die unterschiedlichen Begriffe eingegangen, um so einen Überblick zu schaffen. Im weiteren Verlauf wird auf die Bezeichnung Islamischer Staat (abgekürzt IS) verzichtet und stattdessen das Akronym Daesch verwendet, um dieser terroristischen Gruppierung, welche durch den selbsternannten Kalifen Abu Bakr al Baghdadi den Anspruch erhoben hat, ein Staat und ein Kalifat zu sein, diesen Anspruch abzuerkennen.

Über die weltweit verübten Terroranschläge besteht eine Liste bei Wikipedia. Demnach gab es seit Januar 2016 bis Oktober 2017 weltweit insgesamt 145 islamistische Anschläge, davon waren sechs in Deutschland mit insgesamt 13 Toten und 85 Verletzen (vgl. Wikipedia 2017: o.S.). Durch die prägnante mediale Berichterstattung schürt dies in der Gesellschaft vermehrt Ängste über einen eventuell bevorstehenden islamistischen Anschlag. In einer Umfrage des ZDF Politbarometer 2015 – der Forschungsgruppe Wahlen – gaben 70 Prozent der 1.234 Befragten an, dass sie Angst vor islamistischen Terroranschlägen in Deutschland haben (vgl. ZDF Politbarometer 2015, o.S.). Diese Ängste nutzen vor allem rechtsorientierte- und populistische Gruppen und Parteien, wie z.B. die Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes (Pegida) oder die Alternative für Deutschland (AfD). Mit Hilfe von Pauschalisierungen und Stigmatisierungen gegenüber Menschen muslimischen Glaubens, gelingt es ihnen, eine große Anzahl von Menschen für sich zu mobilisieren. Dies spiegelte sich auch in der Bundestagswahl 2017 wider, in der die AfD die drittstärkste Partei wurde (vgl. Der Bundeswahlleiter 2017: 1).

Doch auch die Terrororganisationen selbst nutzen die Medien, um vermehrt Aufmerksamkeit zu bekommen und davon zu profitieren. Die unterschiedlichen Debatten über das Thema Dschihad und über den „radikalen Islam“ sowie der sich immer verändernde politische Diskurs, welcher immer neue Gesetze wie z.B. das zu bereichsspezifischen Regelungen der Gesichtsverhüllung (BGB l. I, S. 1570) mit sich bringt, bilden ein narratives Bild von Personen muslimischen Glaubens. Die Agentur der Europäischen Union für Grundrechte führte 2016 eine Studie durch, bei der mehr als 10.500 Personen, welche sich selbst als Muslime identifizieren, in 15 EU-Mitgliedstaaten befragt wurden (vgl. Reinmann / van Hove 2017: 2 f.). Bei dem Punkt Diskriminierung gaben insgesamt 39 Prozent der Befragten an, dass sie sich in den vergangenen fünf Jahren wegen ihrer Herkunft oder ihres Migrationshintergrunds diskriminiert fühlten. Weitere 17 Prozent gaben an, sich aufgrund der Religion diskriminiert gefühlt zu haben. Laut der EU-Agentur ist diese Zahl seit 2008 deutlich gestiegen. Damals war es nur jeder Zehnte, der sich aufgrund der Religionszugehörigkeit diskriminiert fühlte. Deutschland lag bei diesem Punkt der Erhebung mit 16 Prozent im Mittelfeld (vgl. Reinmann / van Hove 2017: 2 f.). Tendenziell steigt die Zahl weiter.

Dies hat Auswirkungen auf junge Muslime_a, die sich auf dem Weg ihrer individuellen Identitätsbildung befinden, bei der auch das „jugendliche Bedürfnis nach Action und Nervenkitzel, nach Protest und Provokation eine Rolle“ (Herding / Langner / Glaser 2015: 2) spielt. Während dieser emotionalen Zeit, in der „nicht nur die physische Reifung zum Erwachsenen, sondern vor allem auch die seelische und psychische Entwicklung zum selbstständigen, verantwortungsbewussten Erwachsenen“ (Stangl 2017: 2) im Vordergrund steht, sind junge Menschen anfällig für extreme Gruppierungen.

Immer mehr Jugendliche fühlen sich von gewaltorientiert-islamistischen Strömungen angezogen oder schließen sich ihnen an. Laut Bauknecht gibt es im ersten Quartal 2015 ca. 7.000 Salafisten_innen in Deutschland. Die Alterspanne für diese Gruppe liegt in der Regel zwischen 18 und 27 Jahren (vgl. Bauknecht 2015: 6). Franziska Prokopetz benennt den Salafismus als „Tor zum Terror“ (Prokopetz o.J.: 1).

Salafismus ist eine ultrakonservative Strömung und „die Anhänger der Ideologie des Salafismus sehen sich als Verfechter eines aus ihrer Sicht ursprünglichen und unverfälschten Islams, wie er vom islamischen Propheten Muhammad und den ersten Muslimen praktiziert worden sei“ (Hermann 2015: 2). Ist diese Zugehörigkeit also der Anfang des Wegs in den Dschihad?

Diese Thematik soll den wesentlichen Teil dieser Arbeit ausmachen: die Auseinandersetzung damit, weshalb junge Menschen sich dazu entscheiden, sich radikalen und extremistischen Organisationen / Gruppen anzuschließen und bereit sind, für ihre Ideologie an kriegerischen Handlungen teilzunehmen. Welche Faktoren und Ursachen spielen dabei eine Rolle?

Dafür ist es wichtig, den Begriff Jugendliche_r, im Rahmen dieser Arbeit zu differenzieren. Dazu wird auf unterschiedliche Definitionen der Adoleszenz eingegangen.

Darüber hinaus ist es zu klären, ob es wirklich die religiöse Überzeugung oder doch die Suche nach der eigenen Identität und das damit verbundene Zugehörigkeitsgefühl zu einer Gruppe ist, die das zentrale Motiv bildet. Vor allem für Jugendliche, welche sich in einer schweren oder unsicheren Lebensphase befinden, könnten diese Gruppen attraktiv wirken und vermeintlich Halt vermitteln.

Mittlerweile scheint der Salafismus zu einer Art Jugendkultur herangewachsen zu sein: „Jugendkultur ganz einfach deswegen, weil sich vor allem junge Menschen in diesen Strukturen und Organisationen radikalisieren und zur Mehrheit der Anhänger werden“ (Prokopetz o.J.: 3). Zu dieser Jugendkultur gehören unter anderem auch gewisse Kleidungsstile, Vorbilder und Musik (Kampfhymnen), welche im Laufe der Arbeit näher beschrieben werden.

Wie werden Jugendliche für den Salafismus angeworben, bis hin zum Kampf in den Reihen Daeschs? Jugendliche informieren sich immer häufiger über das Internet. Dies scheint mittlerweile einer der wichtigsten Wege zu sein, militante Propaganda zu verbreiten. Welche Rolle die Sozialen Medien als Deutungsangebote und Rekrutierungsorgan spielen, wird im Laufe der Ausarbeitung differenzierter beschrieben.

Die Islamwissenschaftlerin Lamya Kaddor warnt: „Gefährdet sind alle jungen Leute, auch junge Frauen, auch Andersglaubende“ (Kaddor zitiert in Wahl-Immel 2015: 2). Die Jugendlichen würden aus ganz unterschiedlichen Gründen in den Dschihad ziehen. Vom Frust zu Hause bis hin zur Auslebung der eigenen Gewaltfantasien, welche nun als legitim für die Herstellung bzw. Durchsetzung vermeintlicher Gerechtigkeit angesehen wird (vgl. Wahl-Immel 2015: 2).

Laut Mücke ist es ein Zusammenspiel aus mehreren Faktoren wie z.B. eine „Krisensituationen, eine Anhäufung individueller Probleme – oder es geht einfach nur um Orientierungssuche und Identitätsfindung“ (Mücke 2016: 1). Inwieweit spielt die Entwicklung während der Adoleszenz also eine Rolle bei der Radikalisierung von jungen Menschen, und wie kann die Soziale Arbeit darauf präventiv und deradikalisierend eingehen? Anhand von drei verschiedenen Radikalisierungskonzepten wird in dieser Arbeit versucht, einen Einblick darüber zu geben, wie eine Radikalisierung verlaufen kann und welche Präventiven und deradikalisierenden Maßnahmen es gibt.

Vielen Jugendlichen, die sich in der Salafistenszene radikalisieren, fehlt es an Wissen über den Islam (vgl. Wahl-Immel 2015: 2). Wie passt das zusammen? Dabei handelt es sich um Jugendliche, welche den „Ur-Islam“ leben wollen, sich aber damit nur halbwegs auskennen. Einen Hinweis, inwieweit Religion eine Rolle spielen könnte, liefern ausgewertete Mitteilungen einer WhatsApp-Gruppe, in der sich die Mitglieder radikalisierten.

Anschließend wird ein Überblick zu Handlungsmöglichkeiten und Grenzen der Sozialen Arbeit sowie der Sozialpädagogik gegeben und es werden Bereiche der Präventions- und Deradikalisierungsarbeit beschrieben. Dabei ist es wichtig, die Sozialpädagogik als Schnittstelle zur bzw. Bestandteil der Sozialen Arbeit zu betrachten. In beiden Professionen geht es darum, Menschen, welche sich in schwierigen Situationen befinden, zu helfen, wobei auf unterschiedliche disziplinäre und professionsbezogene Teilbereiche zurückgegriffen wird, wie z.B. auf Psychologie, Pädagogik, Recht und Soziologie. Die Soziale Arbeit lässt aber neben präventiven Angeboten auch nicht diejenigen außer Acht, die sich bereits Terrorgruppierungen angeschlossen haben, um für sie zu kämpfen oder sie zu unterstützen. Welche Möglichkeit und Chancen haben die Jugendlichen, die sich entscheiden, wieder zurückzukommen und auszusteigen? Wie werden sie von der Gesellschaft angenommen und ist es überhaupt möglich, das Gesehene und Erlebte aufzuarbeiten?

Vorgestellt werden Beratungsstellen wie z.B. Hayat und Violence Prevention Network, die sich diesen Aufgaben widmen. Sie beraten Betroffene und Angehörige von Personen, welche sich radikalisiert haben und ausgereist sind bzw. ausreisen wollen. Zusätzlich arbeiten sie mit Rückkehrern und versuchen, diese zurück in die Gesellschaft zu resozialisieren.

Abschließend wird der Inhalt der Arbeit zusammengefasst dargestellt und ein Resümee gezogen.

2 Die Unterschiede kennen - Begriffserklärung

Wie schon erwähnt, sind die Kenntnisse über die richtigen Bedeutungen der in dieser Arbeit verwendeten unterschiedlichen Begriffe von großer Bedeutung.

2.1 Terrorist / Terrorismus

Zuerst wird auf den Begriff Terrorist eingegangen, da dieser in den Medien und in der Gesellschaft fälschlicherweise oft als Synonym für Salafisten und Islamisten benutzt wird. Das Oxford Wörterbuch führt dazu aus: „A person who uses unlawful violence and intimidation, especially against civilians, in the pursuit of political aims“ (Oxford Dictionary o.J.: 1). Dies bedeutet übersetzt: „Eine Person, die bei der Verfolgung politischer Ziele unrechtsmäßig Gewalt und Einschüchterung, insbesondere gegen Zivilisten, anwendet“. Als Terrorist wird also eine Person oder auch Personengruppen bezeichnet, die terroristische Handlungen bzw. Folgen und Anschläge beabsichtigen, ankündigen, planen und durchführen. Das dazugehörige Wort „Terrorismus“ stammt von dem lateinischen Wort „Terror“ für Furcht und Schrecken (vgl. Schneider / Toyka-Seid 2017: 1). Über den Begriff des Terrorismus führt der Duden folgende Beschreibung aus: „Einstellung und Verhaltensweise, die darauf abzielt, [politische] Ziele durch Terror durchzusetzen“ und „Gesamtheit der Personen, die Terrorakte verüben“ (Bibliographisches Institut o.J.: 1). Hier sollte darauf hingewiesen werden, dass es nicht nur um das Erreichen und Durchsetzen von politischen Zielen geht, sondern auch um militärische, kriminelle oder ideologische Ziele gehen kann. Diese unvollständige Beschreibung zeigt, dass eine klare Definition schwierig ist. Walter Laqueur benannte dieses Problem schon 1977: "In letzter Zeit wird der Begriff Terrorismus [...] in so vielen verschiedenen Bedeutungen benutzt, daß er fast völlig seinen Sinn verloren hat" (Laqueur in Elter 2007: 1). Ergänzend beschreibt er, dass es nicht „den Terrorismus“ geben würde, sondern eine Vielzahl von Terrorismen (vgl. Laqueur in Elter 2007: 1). Dazu zählt, dass diese Gruppen psychische Gewalt als ein Durchsetzungsmittel nutzen, Angst und Schrecken verbreiten, einen selbstdefinierten Feind haben und nicht nur darauf abzielen, gegen diesen Feind vorzugehen, sondern auch den Tod Unschuldiger in Kauf zu nehmen oder zu planen (vgl. Elter 2007: 1).

Gruppierungen wie Al-Qaida und Daesch sind nach diesen Terrorismen als terroristische Gruppierungen einzuordnen. Junge Menschen, die sich entscheiden, in „den Dschihad“ zu ziehen und dort an kriegerischen Handlungen teilnehmen, sind nach diesen Definitionen als Terroristen zu beschreiben. Dies sollte jedoch unabhängig von der Religion gesehen werden.

2.2 Fundamentalist / Fundamentalismus

Ein Fundamentalist ist eine Person oder bezieht sich auf eine Gruppe (in diesem Fall Fundamentalisten), die konsequent an ihren ideologischen oder religiösen Grundsätzen festhalten (vgl. Sievers o.J.: 1). Der Begriff Fundamentalismus liefert eine ausführlichere Beschreibung der beiden zusammenhängenden Wörter. Ursprünglich war der Begriff christlich geprägt und bezog sich auf „religiösen, speziell christlichen Fundamentalismus, der sich der modernen, auf Experiment und Irrtum beruhenden Naturwissenschaft entgegenstellte“ (Khallouk 2016: 10). Heutzutage hört man Fundamentalismus meist gekoppelt mit der Zuschreibung des sogenannten islamischen Fundamentalismus. Diese Verbindung wird vor allem in der westlichen Gesellschaft mit einer genannten Politisierung einer Religion und einer gewalttätigen antiwestlichen Haltung gleichgestellt. Durch das mangelnde Wissen über den Islam wird diese Zuschreibung meist nicht hinterfragt (vgl. Khallouk 2016: 9). Zusammenfassend kann gesagt werden, dass Fundamentalisten an ihren politischen oder religiösen Grundsätzen – meist nach einer wortwörtlichen Auffassung – festhalten und Neuerungen kritisch gegenüberstehen.

2.3 Extremist / Extremismus

Als Extremist wird eine Person bezeichnet, „who holds extreme political or religious views, especially one who advocates illegal, violent, or other extreme action” (welche extreme politische oder religiöse Ansichten hat, vor allem eine, die illegale, gewalttätige oder andere extreme Maßnahmen befürwortet) (Oxford Dictionary o.J.: 1).

Extremismus stammt von den lateinischen Wörtern „extremus“ und „extremitas“ ab. Extremus kann als „äußerst“, “entferntest“ oder „gefährlichstes“ übersetzt werden, extremitas hingegen mit „äußerster Punkt“ und „Rand“ (vgl. Neugebauer 2008: 1). Wie oben schon genannt, sollten politischer und religiöser Extremismus unterschieden werden. Beim politischen geht es darum, dass der demokratische Verfassungsstaat (die demokratische Komponente und / oder die konstitutionelle) abgelehnt und beseitigt oder einschränkt werden soll. Oberflächlich zusammengefasst richten sich Extremisten mit ihren extremistischen Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung. Dabei sollte beachtet werden, dass es unterschiedliche Formen gibt, wie z.B. bezüglich der Art der angewendeten Mittel sowie der angestrebten Ziele des politischen Extremismus. Wer systematisch Gewalt einsetzt, um seine politischen Ziele durchzusetzen, ist – wie im Punkt oben schon beschrieben – nicht nur ein Extremist, sondern vor allem ein Terrorist (vgl. Jesse 2013: 167 f.).

Eine weitere Gruppe stellen die Befürworter strikter Legalitätstaktik da. Diese lehnen Gewaltanwendung und Androhung ab, um ihre Ziele zu erlangen. Zwischen denjenigen, die Gewalt einsetzen und denen, die sie ablehnen, gibt es noch jene, „die Gewalt prinzipiell begrüßen, sie aber in der Praxis aus taktischen Gründen vorerst ablehnen“ (Jesse 2013: 168). Es ist wichtig, auch den Unterschied zwischen Extremismus und Radikalismus zu kennen, da diese Begriffe meist gleichgesetzt werden. Für den Verfassungsschutz gibt es da jedoch erhebliche Unterschiede. Eine Gruppierung wird als radikal eingestuft, „wenn sie eine politische Problemstellung von der Wurzel (lateinisch ‚radix‘) her anpacken will, ohne dabei die freiheitliche demokratische Grundordnung beseitigen zu wollen“ (Verfassungsschutz Brandenburg 2017: 1). Sie werden im Gegensatz zu extremistisch eingestuften Gruppierungen nicht vom Verfassungsschutz beobachtet.

Bezüglich des religiösen Extremismus gibt es die Kategorie „islamistischer Extremismus“. Dieser gilt als „Sammelbezeichnung für politische, sozialrevolutionäre und in sich teilweise sehr zerstrittene Bewegungen, die von einer Minderheit der Muslime getragen wird“ (Verfassungsschutz Brandenburg 2017: 1). Diese Minderheit fordert die Einführung der Scharia und ein politisches System, welches dem Koran angepasst ist und sie glauben nach der Auffassung vom Verfassungsschutz Brandenburg, dass das Einsetzen von Gewalt für die oben genannten Ziele legitim sei. Dabei würden die Extremisten sich auf die im Koran stehende Aufforderung zum „Dschihad“ beziehen (vgl. Verfassungsschutz Brandenburg 2017: 1).

2.4 Islamist / Islamismus

Der Islamismus umfasst als Oberbegriff „alle politischen Auffassungen und Handlungen, die im Namen des Islam die Errichtung einer religiös legitimierten Gesellschafts- und Staatsordnung anstreben“ (Pfahl-Traughber 2011: 1). Außerdem sollen durch das Wort Islamismus terroristische Ausrichtungen, die sich auf den Islam beziehen, begrifflich einordnen lassen. Dabei ist es wichtig zu erläutern, dass mit dem Begriff Islamist auch Personen gemeint sind, welche die Auffassung von einem Staat, der vom Islam organisiert ist, vertreten, jedoch die Gewaltanwendung nicht als politisches Instrument sehen. Dies bleibt durch die mediale Verallgemeinerung meistens unbeachtet. Einheitlich bei dem Begriff des Islamismus ist, dass Religion und Staat nicht getrennt sind, sondern der Staat im Islam verankert ist. Elementare demokratische Prinzipien wie Volkssouveränität, Sakularität, Pluralismus, die Anerkennung der Menschenrechte und die Individualität der Menschen werden nicht akzeptiert (vgl. Pfahl-Traughber 2011: 1)

Es lassen sich zwei grundsätzliche Strömungen des Islamismus unterscheiden; zum einen eine reformorientierte, zum anderen eine gewaltorientierte Gruppierung. Die erstgenannte Gruppierung will ihr Ziel auf parlamentarischem Wege durch Überzeugen und durch soziale Arbeit erreichen. Bei der zweiten Gruppierung hingegen wird Gewalt in den Heimatländern als legitim angesehen. Als universelles Handlungsmuster wird Gewalt weitestgehend akzeptiert (vgl. Pfahl-Traughber 2011: 1).

In der gesellschaftlichen Realität ist es so, dass nicht jeder, der die Religion des Islams vertritt, ein Islamist ist. Islamisten, die sich jedoch, zu Recht oder zu Unrecht, auf den Islam berufen, pochen auf einen Absolutheitsanspruch ihrer Religion. Andersgläubige werden ausgegrenzt; Staat und Religion, wie oben schon erwähnt, gehören zusammen (vgl. Pfahl-Traughber 2011: 1 f). Sechs Merkmale des Islamismus sollen hier besonders erwähnt werden:

„Merkmal 1: Absolut Setzung des Islams als lebens- und Staatsordnung das heißt, Überwindung von Trennung von Politik und Religion: in letzter Konsequenz die Etablierung eines Islamistischen Staates.

Merkmal 2: Gottes- statt Volkssouveränität als Legitimationsbasis.

Einer Minderheit von Religionsgelehrten steht die Interpretation des Glaubens zu. In letzter Konsequenz heißt dies, dass ein diktatorischen System etabliert wird, in der jegliche Opposition ausgeschlossen wird.

Merkmal 3: Ganzheitliche Durchdringung und Steuerung der Gesellschaft

Der Islam stellt sozusagen die Lösung da. Meinungs- und Religionsfreiheit, Menschenrechte, Individualität werden nicht zugelassen. Die Gesellschaft ist total vom Islam geprägt. Merkmal 4: Homogene und Identitäre Sozialordnung im Namen des Islam.

Autonomie und Individualität gelten als Abweichung. Es existiert eine Islamistisch-kollektive Sozialordnung – Abweichungen davon gilt als unmoralisch und verderbt. Merkmal 5: Frontstellung gegen den demokratischen Verfassungsstaat.

Gottes Souveränität steht gegen Volkssouveränität. Der Wahre Islam, von Religionsgelehrten definiert, kennt nur eine homogene Gesellschaft ohne Pluralismus und Menschenrechte. Merkmal 6: Fanatismus und Gewalt Bereitschaft als potenziale.

Dies kann einhergehen mit einer Ablehnung anderer (westlicher) Gesellschaftsordnung. Unmoral und zustände der „Unwissenheit“ können letztendlich nur mit Gewalt überwunden werden – mit dem Ziel, eine Gottesstaat zu errichten“ (Pfahl-Traughber 2011: 2f.)

2.5 Salafist / Salafismus

Laut Armin Pfahl-Traughber kam der Begriff des Salafismus (als Synonym für Terrorismus) nach den Anschlägen des 11. September in den westlichen Medien wie auch in Wissenschaft und Politik auf. Bei dem Begriff Salafismus handelt es sich um ein komplexes System, das häufig zu Irritationen führt, bzw. sogar mit dem Islam gleichgesetzt wird. Der Begriff selbst (Arabisch „salafiah“) steht für fromme Altvordere, das heißt für die ersten drei Generationen des Islam und den Propheten Mohammed (vgl. Pfahl-Traughber 2015: 1). Salafisten werden als eine ultrakonservative Strömung innerhalb des Islams gesehen. Sie vertreten die Vorstellung von einem Ur-Islam oder anders gesagt: „Sie sehen sich somit als Verfechter eines, aus ihrer Sicht, ursprünglichen Islams“ (Laurenz 2014: o.S.). Sie sehen diese Epoche als Epoche des wahren Glaubens an. Das heißt, dass sie den Koran und die Sunna im wahrsten Sinne des Wortes verstehen. Alle Änderungen und Neuerungen würden nach diesem Verständnis die Botschaft Allahs verfälschen. Dies geht einher mit einem bestimmten Erscheinungsbild und einem besonderen Kleidungsstil (lange Bärte, knöchellange Gewänder). Im Widerspruch dazu steht aber die Nutzung moderner Techniken wie Mobiltelefone und das Internet (vgl. Pfahl-Traughber 2015: 2).

Die Sunna überliefert die Handlungen und Worte des Propheten Mohammed und gilt somit als Glaubens- und Pflichtlehre; sie gilt als Richtlinie für politische, rechtliche und religiöse Praktiken (vgl. Reichmuth, o.J.: 1). Hadithe sind die Texte, in denen die Sunna niedergelegt worden ist. Der Salafismus stellt aber kein einheitliches Phänomen dar. Um ihn genauer unterschieden zu können, differenziert Pfahl-Traughber ihn in drei verschiedene Handlungsstile:

2.5.1 Der puristische Salafismus

Der puristische Salafismus ist religiös-spirituell und lehnt Gewalt ab. Die Anhänger dieser Ideologie ziehen in kleinen Gruppen durch Länder, um andere Muslime zu der ursprünglichen Frömmigkeit der Vorfahren zu bringen (vgl. Steinberg 2012: 2). Er stellt somit eine individuelle Form des Salafismus da. Die Reinheit der Lehre wird durch eine individuelle Frömmigkeit gelebt, die immer weitergeführt wird. Eine gesellschaftliche Ausrichtung ist dabei nicht vorgesehen (vgl. Pfahl-Traughber 2015: 2)

2.5.2 Der politische Salafismus

Im Gegensatz zum puristischen Salafismus steht ein politischer Salafismus, der eine offensive und aktive Einflussnahme des Islam im Sinne einer Strukturierung der Gesellschaft zu einer reinen Islamorientierung vorsieht. Es wird viel Wert darauf gelegt, dass der Staat sich auf eine korrekte Islaminterpretation begründet (vgl. Steinberg 2012: 3 f.). Säkulare Elemente werden ablehnt, eine Teilnahme an politischen Prozessen wird nur in Form von Propaganda, Predigten und Missionierungen verstanden, um so den eigenen Absolutheitsanspruch durchzusetzen. Gewalt wird unter Umständen bei anderen salafistischen Bewegungen akzeptiert, nicht aber für das eigene Handeln (vgl. Pfahl-Traughber 2015: 2).

2.5.3 Der terroristische (dschihadistische) Salafismus

Bei dem terroristischen Salafismus (auch dschihadistischer Salafismus) wird Gewalt als legitimes Mittel angesehen. Entweder sind damit die Feinde des Islams (USA und Israel) oder islamische Abweichler gemeint. Der Salafismus ist eine sunnitische Besonderheit, sodass Gewalt gegen Schiiten legitim erscheint. Den „wahren Islam“ bezeichnet man als „Takfirismus“. Demnach werden andere Muslime als glaubensabtrünnig gesehen, die es zu exkommunizieren gilt, beziehungsweise gegen die Gewaltausübung legitimiert ist, z.B.: in der Politik (vgl. Pfahl-Traughber 2015: 2). Diese Menschen sehen den bewaffneten Kampf im Dschihad als Mittelpunkt ihres Denkens und Handelns an (vgl. Steinberg 2012: 3 f.).

Alle islamistischen Terroristen sind Salafisten. Dies gilt aber nicht umgekehrt. Bei dem terroristischen Salafismus gibt es keine Vereinigung mit der modernen Demokratie (keine Religionsfreiheit, Todesstrafe für andere als islamische Bestrebungen, keine Gleichheit der Menschen, Diskriminierung von Frauen und das Beharren auf einem Gottesstaat).

Diese ganzen Handlungsstile sind idealtypisch zu verstehen. In der Realität gibt es jedoch Übergangsbereiche. Im Islam stellt der Salafismus nur einen Bereich dar, der durch Demokratiefeindlichkeit, Absolutheitsanspruch und Fanatismus gekennzeichnet ist. Diese Einstellungen können zu einer extremistischen Ideologie führen (vgl. Pfahl-Traughber 2015: 3). Mittlerweile gibt es auch eine immer größer werdende Gegenbewegung zum militanten Salafismus, der die Hooligenisierung des Islam ablehnt. Dies geht soweit, dass diese islamische Strömung sogar eine Deradikalisierung betreibt. Der stigmatisierte Begriff des Salafismus lässt sich auf diese Strömung nicht mehr anwenden (vgl. Kraetzer 2015: 4).

Laut dem Verfassungsschutz sind die „Mehrzahl der Salafisten in Deutschland (...) keine Terroristen, sondern politische Salafisten“ (Bundesamt für Verfassungsschutz 2017: 7).

2.6 Dschihad / Dschihadist / Dschihadismus

Aufgrund der häufigen Fehlinterpretationen des Wortes „Dschihad“ wird versucht, die Bedeutung des Wortes aufzuklären. In den meisten Fällen wird „Dschihad“ als „Heiliger Krieg“ übersetzt. Jedoch bedeutet das Wort übersetzt lediglich „Anstrengung“ oder „Bemühen“. Im Zusammenhang mit dem Koran bedeutet es Bemühung / Anstrengung auf dem Wege Allahs (vgl. Grande 2014: 139).

Es wird zwischen zwei Formen unterschieden, dem Kleinen und dem Großen Dschihad, wobei der Kleine Dschihad mit Gewalt einhergeht (vgl. Bayrisches Staatsministerium für Arbeit und Soziales, Familie und Integration o.J. a: 2). Der Große Dschihad bezieht sich auf das „geistig-spirituelle Bemühen des Gläubigen, um das richtige religiöse und moralische Verhalten gegenüber Gott und den Mitmenschen“ (Bayrisches Staatsministerium für Arbeit und Soziales, Familie und Integration o.J. a: 2) zu finden. Die Islamwissenschaftlerin Lamya Kaddor beschreibt den Großen Dschihad als eine tägliche Art von Selbstüberwindung und Selbstläuterung. Der Kleine Dschihad dagegen steht für kriegerische Verteidigungs- und Eroberungskämpfe. Um den Kleinen Dschihad führen zu können, bedarf es des Aufrufs eines Kalifen (Nachfolger / Stellvertreter des Propheten Mohammed), der von allen Muslimen_a akzeptiert werden muss. Der selbsternannte sunnitische Kalif Abu Bakr al Baghdadi, der von Daesch als Führender angesehen wird, kann, eben weil er sich selbst zum Kalifen ernannt hat, den kriegerischen Dschihad nicht ausrufen (vgl. Kaddor 2015: 15 f.).

Dennoch gibt es Menschen, die sich auf diese Ideologie beziehen, um „die ganze Welt den religiösen Überzeugungen der jeweils treibenden Kraft zu unterwerfen“ (Kaddor 2016: 16). Ein Dschihadist ist somit jemand, der einen Staat nach seiner Auffassung vom Islam organisieren will und dabei Gewalt einsetzen würde, um seine Ideologie durchzusetzen. Der Dschihad wird als gewaltsamer Kampf, welcher für Gott geführt werden soll, gesehen. Sich an diesem Kampf zu beteiligen, ist nach diesem Verständnis eine Pflicht für jeden Muslim. Neuerungen werden wie bei Salafisten strikt abgelehnt und gelten als Abweichung des wahren Islams. Dschihadisten bekämpfen nach ihrer Auffassung nicht nur alle Nicht-Muslime, sondern auch Muslime, welche ein anderes Islamverständnis haben und diejenigen, die sich vom Islam abgewandt haben (vgl. Bundeszentrale für Politische Bildung 2014: S.1). Dschihadismus ist laut der Bundezentrale für politische Bildung „eine militante Form des radikalen Islamismus“ (Bundeszentrale für Politische Bildung 2014: S.1).

3 Nächstes Ziel: Dschihad

In diesem Abschnitt wird auf die Ursachen und Faktoren vermeintlich religiöser Radikalisierung bei jungen Menschen eingegangen. Dabei ist festzuhalten, dass sicherlich nicht von einem bestimmten Werdegang gesprochen werden kann, den Jugendliche durchlaufen, um sich dann Gruppierungen wie Daesch anzuschließen. Es gibt jedoch jugendphasentypische Aspekte, wie z.B. „die Bewältigung alterstypischer Entwicklungsaufgaben wie familiale Ablösung, soziale Neuorientierung und die Entwicklung einer eigenen (auch politischen) Identität“ (Herding / Langner / Glaser 2015: 2), die während einer Radikalisierung eine explizierte Rolle spielen können. Dafür ist es erst einmal essentiell, sich den Begriff Jugendlicher bzw. junger Mensch genauer anzuschauen sowie die Phase der Adoleszenz, welche in dieser Thematik eine Rolle spielt.

3.1 Zur Adoleszenz junger Menschen mit und ohne Migrationshintergrund

Es gibt eine Vielzahl von Definitionen, welche die Phase des Jugendlichen beschreiben. Nach dem Jugendschutzgesetz (achtes Sozialgesetzbuch § 7) gelten „Jugendliche“ als Personen, die sich im Alter zwischen 14 und 18 Jahren und sich in der Zeit zwischen Kind und Erwachsenensein befinden. Als „junge Volljährige“ gelten Personen, die ihr 18. Lebensjahr schon erreicht haben, aber noch unter 27 Jahre alt sind. Schließlich gibt es den „jungen Menschen“; diese Kategorie vertritt alle Personen, die das 27. Lebensjahr noch nicht erreicht haben.

Um genauer auf die Thematik der religiös motivierten Radikalisierung eingehen zu können, werden mit der Bezeichnung „junge Menschen“ und „Jugendliche“ alle Personen gemeint, die zwischen 14 und 27 Jahre alt sind. So besteht die Möglichkeit, die zu bearbeitende Thematik umfassend zu beschreiben.

In dieser Zeit des Erwachsenwerdens durchläuft ein junger Mensch verschiedene Phasen und Herausforderungen, welche als adoleszente Phase bezeichnet wird. Bezüglich der zu bearbeitenden Thematik ist es wichtig, sich auch mit den unterschiedlichen Herausforderungen der Adoleszenz von jungen Menschen mit und ohne einen Migrationshintergrund auseinanderzusetzen und diese zumindest anzuschneiden.

Der Begriff der Adoleszenz ist bis heute durch die vielfältigen Verwendungsweisen von Uneinheitlichkeit bestimmt. Oberflächlich beschrieben wird Adoleszenz oft als Synonym dem Begriff „Jugend“ gleichgestellt und stellt die Phase zwischen Kind sein und Erwachsenwerden dar (vgl. King 2013: 9). Für was die Adoleszenz oder eben die Jugend steht, muss unter verschiedenen Blickwinkeln betrachtet werden. Vera King beschreibt diesbezüglich: „Was (...) in unterschiedlichen Epochen, Kulturen oder auch sozialen Milieus unter Jugend verstanden wird, wie die Geschlechtsreifung kulturell interpretiert und gestaltet wird, welche sozialen Gruppen in welcher Weise eine Jugendphase durchlaufen, unterliegt zugleich erheblichen, etwa geschlechter- und klassentypischen Variationen“ (King 2013: 10). Zusammengefasst bedeutet dies, dass Adoleszenz immer im Kontext der individuellen Person, der Gesellschaft und der Politik gesehen werden muss. Jeder Mensch hat sein eigenes Tempo, in dem er die „Reifung“ zum Erwachsenen durchläuft und deshalb kann nicht von einem bestimmten Alter, in dem die Adoleszenz endet, gesprochen werden. Dabei spielen unterschiedliche Veränderungen eine Rolle. Im Laufe der Zeit wurde die Bedeutung der Adoleszenz in Bezug auf die Dauer, die biografische Bedeutung und das Alter, stetig verändert. Dies hat vor allem mit gesellschaftlichen Umbrüchen wie z.B. dem späteren Einstieg ins Berufsleben oder späterer Familiengründung zu tun (vgl. King 2013: 12). Laut Bohleber markiert „[d]er Begriff der Adoleszenz (...) weiterhin deutlicher als der Jugendbegriff die notwendige Verknüpfung von sozial-, kultur- und erziehungswissenschaftlichen mit entwicklungs- psychologischen und / oder psychoanalytischen Perspektiven“ (Bohleber zitiert in King 2013: 13). Die Phase der Adoleszenz könnte somit als eine Art Transformationsprozess gesehen werden. Der Erziehungs- und Sozialarbeitswissenschaftler Rainer Kilb beschreibt die Adoleszenz als eine „Verzahnung zwischen Kindheitserfahrungen und Erwachsensein-Fantasien hin zur Konstruktion und Realisierung eines Selbst-Seins oder einer Identität“ (Kilb 2015: 17). Dabei sollen die jungen Menschen vier riskante Bewältigungsstrategien durchlaufen. Zum einen „die positive Erfahrung von Selbstwertgefühl, die erfolgreiche Suche nach sozialer Orientierung, die erfolgreiche Organisation sozialen Rückhalts und eine gelingende soziale Integration“ (Böhnisch 2001: 46 ff.). Laut Kilb brauchen junge Menschen, um diese Bewältigungsstrategien erfolgreich zu durchlaufen, den Rückhalt von Bezugspersonen wie z.B. Familie oder Peergroup. Fehlt dieser Halt jedoch, können aus der genannten Entwicklungsphase problematische Bewältigungsmuster entstehen, welche zu gewalttätigem oder radikalem Verhalten führen können (vgl. Kilb 2015: 4).

Des Weiteren beschreibt King, dass die Adoleszenz abhängig von der „Chancenstruktur des adoleszenten Möglichkeitsraumes“ sei (King 2013: 15).

Für junge Menschen, die einen Migrationshintergrund haben, stellt dieser Lebensabschnitt eine besondere Herausforderung dar. Sie müssen einen Transformationsprozess nicht nur auf der Ebene des Wandels vom Kind zum Erwachsenen durchlaufen, sondern auch auf kultureller oder sozialer Ebene. Dies stellt eine doppelte Herausforderung dar. Zum einen müssen sie sich zwischen einem oft traditionellen Kultur- und Identitätsverständnis der Familie und zum anderen zwischen der oft stigmatisierenden deutschen Gesellschaft zurechtfinden (vgl. King / Koller 2009: 12 f.). Zusammenfassend gilt zu sagen, dass in der Phase der Adoleszenz die Suche nach der „eigenen Identität“ sowie das „jugendliche Bedürfnis nach Action und Nervenkitzel, nach Protest und Provokation eine Rolle“ spielt (Herding / Langner / Glaser 2015: 2). In dieser Entwicklungsphase, in der „nicht nur die physische Reifung zum Erwachsenen, sondern vor allem auch die seelische und psychische Entwicklung zum selbstständigen, verantwortungsbewussten Erwachsenen“ (Stangl 2017: 2) im Vordergrund steht, sind junge Menschen anfälliger für extreme Gruppierungen.

3.2 Radikalisierungsfaktoren und Ursachen junger Menschen

Wie im ersten Teil erwähnt, benennt Franziska Prokopetz den Salafismus als „Tor zum Terror“ (Prokopetz o.J.: 1). Vielfach äußert sich der Salafismus weniger durch eine ideologische Überzeugung, eher stellt er eine subkulturelle Jugendbewegung dar. In Deutschland rechnet man mit bis zu 5.500 Salafisten (vgl. Kraetzer 2015: 1). Die Salafisten selbst lehnen diese Bezeichnung ab. Der Koran wird im wörtlichen Sinne interpretiert, das heißt, dass in der Gesellschaft das Prinzip der Volkssouveränität außer Kraft gesetzt ist, Gesetze können nur von Gott gemacht werden. Als Vertreter des politischen Salafismus sind hier Pierre Vogel und Sven Lau zu erwähnen. Ihre Distanzierung von Gewalt ist zweideutig; sie unterscheiden zwischen Terrorismus und Freiheitskampf. Eine eindeutige Abgrenzung von Gewalt vermeiden sie so (vgl. Kraetzer 2015: 1).

Beim terroristischen Salafismus, der sich von dschihadistischen Gelehrten aus arabischen Ländern leiten lässt, steht der bewaffnete Krieg im Vordergrund. Vertreter dieser „wahren Religion“ ist beispielsweise Ibrahim Abou-Nagie, der mit der mittlerweile verbotenen „LIES“-Kampagne kostenlos Korane verteilen lässt und für eine Radikalisierung von Jugendlichen verantwortlich ist. Dazu gilt zu sagen, dass 20 % der nach Syrien ausgereisten Dschihadisten Kontakt zu der „LIES“-Kampagne hatten (vgl. Kraetzer 2015: 2).

Die Grenze zwischen dem politischen und terroristischen Salafismus ist oft fließend. Zu erwähnen sei hier nur der Berliner Dennis Cuspert (früher als Gangster-Rapper Deso Dogg bekannt), der moderne Medien wie bspw. Videoclips einsetzt und so Internetpropaganda betreibt. Es werden damit tendenziell bildungsferne Schichten angesprochen, die an religiösen Inhalten eher nicht interessiert sind, aber so pseudoreligiös radikalisiert werden (vgl. Kraetzer 2015: 3).

All diese genannten Namen werden als die sogenannten Stars der Szene betitelt. Sie haben eine Anziehungskraft für Jugendliche und fungieren öffentlich als Vorbilder. Lamya Kaddor beschreibt in ihrem Buch eine Szene, in der sie ihre ehemaligen Schüler_innen nach dem Inhalt des Auftritts von Pierre Vogel in der DITIB-Moschee fragte. Sie antworteten ihr, dass Vogel in Jugendsprache ausgedrückt habe, was der „wahre Islam“ darstelle (vgl. Kaddor 2015: 36). Dies schien bei den Jugendlichen Faszination und Interesse hervorzurufen. Ein vermeintlich gelehrter Muslim, der den Jugendlichen in ihrer Sprache gegenübertritt, sodass sie sich mit ihm identifizieren konnten.

Besonders Daesch übt eine große Anziehungskraft aus. Bis Ende Juni 2015 reisten mehr als 700 dschihadistische Salafisten nach Syrien und in den Irak. Grund dafür ist bei den Jugendlichen u.a. eine eher romantische Vorstellung vom Krieg; dabei spielen Abenteuerlust, Männlichkeitsfantasien und der Aufbau eines Kalifats eine wichtige Rolle. Viele Frauen werden durch diese dschihadistische Propaganda angesprochen, die Realität (keine Rechte, sexuelle Ausbeutung) erweist sich aber in den meisten Fällen als ernüchternd (vgl. Kraetzer 2015: 3).

Jugendliche, die anfällig für die Ideologie der Salafisten sind, kommen aus unterschiedlichen Schichten. Zumeist sind die Jugendlichen männlich und zwischen 16 und 28 Jahre alt. Es befinden sich Konvertiten darunter, aber auch ehemalige Kleinkriminelle aus bildungsfernen Schichten. Die Jugendlichen befinden sich oft in Lebenskrisen und sind so für Gruppengemeinschaften und identitätsstiftende Aufwertungsrituale besonders empfänglich (vgl. Kraetzer 2015: 3 f.).

Der Mitbegründer und Geschäftsführer von Violence Prevention Network, Thomas Mücke, hat sich mit der Attraktivität salafistischer Gruppierungen für Jugendliche beschäftigt und nennt folgende Punkte, um diese zu erklären:

- „Identität, Geborgenheit und Gemeinschaft (auch spirituelle Heimat), unabhängig von nationalen und ethnischen Kategorien
- Wissen mit einem exklusiven Wahrheitsanspruch (einzige und höhere Wahrheit), der zu einem überhöhten Selbstwertgefühl führen soll und die Zugehörigkeit zur Gemeinschaft ermöglicht.
- Eindeutige Wertezuschreibungen mit der klaren Unterscheidung zwischen "Gläubigen" und "Nichtgläubigen", "wertem" und "unwertem" Leben (dichotome Weltsicht, mit der Ungleichheitsideologien vermittelt werden)
- Klare Orientierungen durch charismatische Autoritäten mit Gehorsamsanspruch: "Du musst nicht nachdenken, Du musst nur folgen"
- Gerechtigkeitsutopien, die an die hoch ideologisierte Vorstellung von weltweiter Verfolgung von Muslimen (kollektive Opferidentität) anknüpfen, die solidarisch unterstützt werden müssen (Mitmachfaktor), um ihr Leiden zu verhindern
- Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit und Abgrenzung von der Erwachsenenwelt, der Gesellschaft
- Die Möglichkeit, aufgestauten Hass durch Gewalthandlungen zu kompensieren und hierbei Gewalthandlungen "religiös" legitimieren zu können“ (Mücke 2016: 2).

Welche zentralen Punkte für den Weg in die Radikalisierung bis hin zum Kämpfen für terroristische Gruppierungen eine Rolle spielen können, wird nun differenzierter beschrieben. Dabei gilt es noch einmal zu erwähnen, dass jede Radikalisierung individuell verläuft und aus unterschiedlichen Erfahrungen, Ursachen, Faktoren und Motiven besteht. Die folgenden Punkte sollen lediglich einen Einblick vermitteln.

3.2.1 Zugehörigkeitsgefühl / soziale Bindungen

Jeder Mensch möchte das Gefühl haben dazuzugehören, nicht alleine zu sein und sich verstanden zu fühlen. Besonders in der Umbruchsphase der Adoleszenz, in der die Jugendlichen oft das Gefühl haben, dass es drunter und drüber geht, brauchen sie Halt und Geborgenheit. Idealerweise bekommen sie von Zuhause das Gefühl, ein Teil von etwas zu sein, wichtig zu sein und ernst genommen zu werden. Als Alternative wenden sich Jugendliche oft an ihre Peergroups, die im besten Fall als Ergänzung oder eben als Ersatzfamilie dienen. Vor allem in Krisensituationen ist das Gefühl, Halt zu bekommen, von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Salafisten wissen, wie sie diese Gefühle für sich nutzen können. Sie geben ihnen durch individuell zugeschnittene Angebote das Gefühl, dazuzugehören. Sie suchen bewusst nach jungen Menschen, die noch auf der Suche nach ihrer Identität sind, denn in dieser Zeit sind sie beeinflussbarer und anfälliger für extreme Gruppierungen (vgl. Mansour 2014: 2 f.).

Durch die auf junge Menschen ausgelegten Angebote sowie mit Predigten, die in einer jugendlich zugeschnittenen Sprache gehalten werden, schaffen es die Salafisten, ein Gemeinschaftsgefühl hervorzurufen. Die Jugendlichen verstehen sich somit als ein wichtiger Teil dieser Gemeinschaft. Die Jugendlichen erhalten dort „ein geregeltes, strukturiertes Umfeld (...) und bekommen dort Sinn, Orientierung und eine Mission“ (Mansour 2014: 3). Mansour beschreibt, dass die Zugehörigkeit zu einer salafistischen Gruppierung durch verschiedene Identitätsmerkmale (Kleidung, Sprache, Alter etc.) sich zu einer Art Jugendkultur entwickelt (vgl. Mansour 2014: 3).

3.2.2 Gesellschaft und Politik

Maruta Herding geht davon aus, „dass der gesellschaftliche und politische Rahmen einen starken Einfluss auf den radikalen Islam und dessen Bearbeitung hat und in Wechselwirkung mit dessen Entwicklung steht“ (Herding: 2013: 12). In einem Ländervergleich zwischen Deutschland, Großbritannien und den Niederlanden zur Sicherheitssituation und Gesetzgebung in Bezug auf religiös begründeten Extremismus, wurde die Einschätzung vertreten, dass Sicherheitsgesetze auf Jugendliche radikalisierungsfördernd wirken können (vgl. Herding: 2013: 12). Weiterhin wurde aufgeführt, dass die öffentlichen Debatten über einen religiös motivierten Extremismus „ein Identitätsangebot von staatlicher und gesellschaftlicher Seite, nämlich den heldenhaften Krieger“ erschaffe (Herding: 2013: 12). Dieser stetige öffentliche Diskurs zum Thema Islam und Muslime hat zu einer verstärkten negativen Zuschreibung geführt. Vor allem junge Menschen leiden unter der stigmatisierenden Zuschreibung als Muslim_a, da sie lediglich darauf reduziert werden (vgl. Körting / Molthagen / Öney 2017: 14). Dies geht einher mit der immer wiederkehrenden Fremdzuschreibung und dem daraus entstehenden Gefühl von „wir“ und „die Anderen“. Werner Ruf beschreibt, dass der Erwerb von Identität in der Abgrenzung des „Wir“ von den „Anderen“ entsteht. Fremdes wird dem Eigenen entgegengesetzt, wobei den Fremden dann eher negative Eigenschaften zugeschrieben werden. Die Dialektik des „Wir“ und der „Anderen“ konstruiert Identität so, dass Kollektiven, Völkern oder Kulturen Eigenschaften zugeschrieben werden, die stigmatisierend wirken (vgl. Ruf 2006: 57 f.). Der Islam muss heutzutage als neues Feindbild, als Gegen-Westen, Gegen-Moderne und Gegen-Zivilisation, herhalten. Die bedrohliche Kultur des Islam bedroht scheinbar durch Irrationalität und Aggressivität die „einzigartige“ Kultur des Westens. Die westlichen Werte scheinen nicht exportierbar, da die kulturelle Distanz so groß scheint, dass andere Kulturen nicht in der Lage seien, diese Errungenschaften aufzunehmen (vgl. Ruf 2006: 59 ff.). Rechtspopulistische Parteien und Gruppen greifen dieses Narrativ des Islam auf und schüren mit Hilfe von Pauschalisierungen und Stigmatisierungen Ängste gegenüber Muslimen_a in der Gesellschaft.

Sie erzeugen eine Kultur der Angst, die durch Instrumente der „Leitkultur“ eine ausschließende Funktion muslimischer Mitmenschen annehmen (vgl. Ruf 2006: 63 ff.). Eine Kommission der Friedrich-Ebert-Stiftung, welche sich mit dem Thema islamistischer Extremismus und Islamfeindlichkeit beschäftigte, erklärte, dass noch immer keine vollkommene Gleichberechtigung islamischer Organisationen gegenüber anderen religiösen Organisationen und Gemeinden bestehe. So sind mehrere „islamische Organisationen (...) nicht als Religionsgemeinschaft anerkannt, zudem haben sie mit der einzigen Ausnahme der AMJ in Hessen und Hamburg keinen Körperschaftsstatus, obwohl dieser kleineren Gemeinschaften wie beispielsweise den Zeugen Jehovas zuerkannt wurde“ (AMJ = Ahmadiyya Muslim Jamaat Gemeinde) (Körting / Molthagen / Öney 2017: 10). Dies wird von den Organisationen als belastend empfunden und führt zusätzlich dazu, dass viele Muslime das Gefühl bekommen, sie stehen unter Generalverdacht. Ausgeschlossen sollten von dieser Anerkennung weiterhin politisch und / oder dschihadistisch salafistische Organisationen sein, welche als Ziel haben, eine Demokratie (auch durch militante Mittel) abzuschaffen.

Weiter wird aufgeführt, dass das Leben in Deutschland für muslimische Personen von Diskriminierungserfahrungen geprägt sei (vgl. Körting / Molthagen / Öney 2017: 12). So „besteht eine reale Benachteiligung von Muslimen, zum Beispiel bei der Wohnungssuche, der Bewerbung um einen Arbeits- oder Ausbildungsplatz, der Empfehlung für eine höhere Schule, bei Beförderungen im Unternehmen etc.“ (Körting / Molthagen / Öney 2017: 12). Diese Einschätzung wurde anhand eines Berichts vom Bundesbeauftragten für Migration, Flüchtlinge und Integration mit Daten belegt. Ergänzend dazu wurde im Fazit des Berichtes aufgeführt, dass die „Evaluierung des AGG (...) zeigt, dass der gesetzliche Schutz vor Diskriminierung in vielen Teilen lückenhaft ist. Dies trifft auch auf die tatsächliche oder empfundene Diskriminierung wegen der (unterstellten) ethnischen Herkunft zu“ (Die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration 2016: 404). Festzuhalten ist, dass eine strukturelle Diskriminierung für Menschen mit einem Migrationshintergrund Realität ist. Auch in dem Jahresgutachten von 2014 des Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration wurde festgestellt, dass sich Personen mit einem Migrationshintergrund im Alltag in unterschiedlichen Formen diskriminiert fühlen, vor allem in den Bereichen wie Schulen / Hochschulen, bei der Suche nach einem Arbeitsplatz sowie beim Finden einer Wohnung (vgl. Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration 2014: 33). Zusätzlich wurde die Aussage untersucht, „der Islam gehöre zu Deutschland“. 53,2 Prozent der Befragten ohne Migrationshintergrund und 44,0 Prozent der Befragten mit Migrationshintergrund reagierten auf diese Aussage mit „eher nicht“ oder „gar nicht“ (vgl. Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration 2014: 36). Auch die hohe mediale Präsenz zum Thema Islam, welcher zumeist negativ dargestellt wird, bei der unterschiedliche Debatten über einen „terroristischen und extremistischen“ Islam, Dschihad und Rückkehrer geführt werden, verstärken die negativen Wahrnehmungen und Zuschreibungen in der Gesellschaft gegenüber Menschen muslimischen Glaubens. Kaddor ergänzt, dass „Studien zufolge (...) die Berichterstattung über die Religion des Islam zu drei Vierteln im negativen Kontext vor allem von Gewalt und Terror “ stattfindet (Kaddor 2015: 154).

Durch die verallgemeinernde Berichterstattung, welche mit einem geringen Wissen über muslimische Lebenswelten einhergeht, wird meist über „den Islam“ gesprochen. Dabei bleibt eine Vielseitigkeit der Lebensweisen jedoch unbeachtet. Problematisch scheint ebenso, dass viel über Muslime gesprochen wird, jedoch zu selten mit ihnen. Sehr deutlich wurde dies, als es 2017 um das Gesetz zu bereichsspezifischen Regelungen der Gesichtsverhüllung und zur Änderung dienstrechtlicher Vorschriften (BGBl. I, S. 1570) ging (vgl. Körting / Molthagen / Öney 2017: 14). Die mediale Abwertung des Islam bei gleichzeitiger Aufwertung des Rechtspopulismus, lässt sich im Zusammenspiel wissenschaftlich unter dem Begriff der Medienmalaise bündeln. Damit geht einher, dass in großer Regelmäßigkeit Randthemen zu Drohszenarien aufgebauscht werden, wie auch das Thema der Gesichtsverhüllung (vgl. Hafez, Kai: 2017). Dies nutzen Politiker wie auch konservative Medienvertreter für sich, um für sich erfolgreich Wahlkampf zu betreiben oder in der Öffentlichkeit präsenter zu werden. Peter Rieker zählt die Diskriminierungs- und Marginalisierungserfahrungen zu den wichtigsten Faktoren einer Entwicklung religiöser Gewaltbefürwortung und Gewaltbereitschaft (vgl. Rieker 2012: 268 ff.) Nicht nur Politiker, sondern auch extremistische Salafisten nutzen die ablehnende Haltung in der Gesellschaft und Politik gegenüber Muslimen für sich. Sie fühlen sich in ihren Ansichten bestärkt und geben das den Jugendlichen weiter, indem sie ihnen einreden, dass sie in Deutschland nicht willkommen sind, sie niemals akzeptiert werden und immer die „Anderen“ bleiben werden. Durch die ohnehin schon wahrgenommenen Diskriminierungen, Ausgrenzungen und Stigmatisierungen verstärkt sich bei den Jugendlichen weiter die Zuschreibung des „Anderen“ und die Abgrenzung zur Mehrheitsgesellschaft. Ein Flüchten in eine extremistische Gruppierung, in welcher die Jugendlichen herzlich aufgenommen- und angenommen werden, scheint in diesem Fall ein attraktiver und alternativer Ausweg.

3.2.3 Sexualität

Viele junge Männer werden von dem Versprechen angelockt, im Dschihad gäbe es für sie eine unbegrenzte Verfügbarkeit von Frauen. Jugendliche, die sich in der Phase der Adoleszenz befinden, müssen eventuell lernen, mit sexueller Frustration umzugehen. Da scheint das Angebot, für die erbachten Leistungen im Dschihad eine Vielzahl an Frauen zu bekommen, als ein sehr großer Anreiz (vgl. Ramsauer 2015: 22).

Sicherlich passt diese Vorstellung nicht mit islamischen Werten zusammen, da auch Männer eigentlich bis zur Ehe abstinent leben müssen. Daesch nutzt dafür die sogenannte Zeitehe, auch „Mut’a“ genannt. Den Kämpfern wird nach ihren Diensten eine Frau ihrer Wahl angeboten. Diese Frau wird daraufhin, wenn auch nur für wenige Stunden, zur „Ehefrau“ genommen. (vgl. Ramsauer 2015: 120).

Für Gefangene und Sklavinnen von Daesch gibt es ein Dokument, welches in 19 Punkten ausführt, wie mit diesen Frauen umgegangen werden darf. Unter anderem steht dort geschrieben, dass Sklavinnen dem Volk angehörten, gegen das sie Krieg führen, und deshalb dürfe man sie besitzen und mit ihnen Sex haben (vgl. Ramsauer 2015: 122). Außerdem heißt es in dem Dokument, „dass es ebenso erlaubt sei, mit Sklavinnen zu schlafen, die noch nicht die Pubertät erreicht haben. Körperlich sollte sie dem Geschlechtsverkehr gewachsen sein; ansonsten müsste man andere Wege finden, um sich zu vergnügen“ (Ramsauer 2015: 122). Der syrische Aktivist Abu Ibrahim al Raqqawi führt seine Meinung dazu folgendermaßen aus: „Die IS-Kämpfer sind geradezu sex-besessen. Ein nicht unbeträchtlicher Teil, vor allem unter den Ausländern, lebt horrende Fantasien mit Frauen aus, die sie als Sklavinnen kaufen. Zu den meist gefragten Medikamenten gehört Viagra“ (Al Raqqawi zitiert in Ramsauer 2015: 22 f.).

3.2.4 Mädchen / junge Frauen

Trotz der unzähligen auftauchenden Videos von Frauen, die von terroristischen Gruppierungen wie Daesch als Sklavinnen gehalten werden, vergewaltigt oder zwangsverheiratet werden, gibt es eine Vielzahl an jungen Frauen und Mädchen aus dem Westen die sich als Verfechter- und Botschafterinnen des Dschihads aussprechen (vgl. Strunk 2013:83). Laut dem Bundesamt für Verfassungsschutz hat sich der Frauenanteil seit Anfang 2015 mehr als verdoppelt (vgl. Ramsauer 2015: 116). Einem Spiegelartikel zufolge sind 2017 mehr als 910 Personen in den Dschihad ausgereist und ein Fünftel davon seien Frauen (vgl. Diehl / Schmidt 2017: 1). Von diesem Fünftel sei über die Hälfte jünger als 25 Jahre alt (vgl. Bundesamt für Verfassungsschutz 2015: 1).

[...]

Ende der Leseprobe aus 105 Seiten

Details

Titel
Nächstes Ziel: Dschihad? Wie Jugendliche für den Terror angeworben werden
Untertitel
Präventive Konzepte und Angebote der Sozialen Arbeit
Autor
Jahr
2019
Seiten
105
Katalognummer
V453128
ISBN (eBook)
9783964870216
ISBN (Buch)
9783964870223
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Radikalisierung, Deradikalisierung, Salafismus, Daesch, Islamismus
Arbeit zitieren
Hannah May (Autor:in), 2019, Nächstes Ziel: Dschihad? Wie Jugendliche für den Terror angeworben werden, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/453128

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