Die Selbstdarstellung des Künstlers Max Ernst als Vogelfigur


Hausarbeit, 2018

15 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Der Vogel als ״Privat-Phantom“ von Max Ernst
2.1. Prägende Erlebnisse in der frühen Biographie des Künstlers
2.2. Die Entstehung von Loplop in Ernsts Werken
2.3. Funktionen von Loplop

3. Vermenschlichte Vögel und vogelartige Menschen in Ernsts schriftlichen Werken ľ
3.1. Werke
3.2. Analyse der Vermenschlichung von Vogelfiguren und der vogelartigen Darstellung von menschlichen Charakteren in drei Beispielwerken
3.2.1. Das Schnabelpaar
3.2.2. Paramythen
3.2.3. La femme 100 têtes
3.3. Analyse der Gemeinsamkeiten von Künstler und Identitätsfigur am Beispiel von ״Schnabelmax“

4. Schluss

1. Einleitung

Ob Loplop, Vogeloberer Hornebom oder Schnabelmax. Der Maler und Dichter Max Ernst, der große Kunstbewegungen wie den Dadaismus und den Surrealismus prägte, gab sich durch seine Identitätsfigur mehrere Decknamen. Das Außergewöhnliche an Ernsts Alter Ego ist, dass es die Eigenschaften des Künstlers mit denen eines, dem Menschen sehr unähnlichen, Tieres verbindet: dem Vogel.

Seit seiner Kindheit hatte er einen ganz besonderen Bezug zu dem Tier. Es ergab sich, dass Ernst Menschen und Vögel in seiner Phantasie vermengte. Seine Affinität zu Vögeln führte sogar dazu, dass er sich selbst mit einem identifizierte. Die Folge davon war ein gehäuftes Auftreten einer tierischen zweiten Persona, die den Künstler in seinen Werken zu vertreten scheint.

Max Ernst gilt als ein Hauptvertreter des Dadaismus. Der Dadaismus stellt eine geistige Haltung dar, die eine Verbindung zwischen den Künsten sucht, zwischen bildender Kunst, Wortkunst und Musik. War es bei Kurt Schwitters die Musik, die er neben die Malerei stellte, so spielt im Werk von Max Ernst die Wortkunst eine wichtige Rolle. In der vorliegenden Arbeit werden Mischwesen aus Vogel und Mensch in der Wortkunst des als Maler viel bekannteren Max Ernst untersucht. Zuerst wird auf seine persönliche Verbindung zu Vögeln eingegangenen, um anschließend auf die Entstehung und die Funktionen seines sogenannten ״Privat-Phantoms“, welches er unter anderem mit ״Loplop“ betitelt, einzugehen. Darauf folgt eine Auflistung von Schriftwerken, in denen vermenschlichte Vögel oder vogelartige Menschen vorfindbar sind. Hiernach werden drei ausgewählte Veröffentlichungen Ernsts herangezogen, in denen näher auf die Darstellung der Vogelfiguren eingegangen wird. Abschließend wird analysiert, inwiefern man in dem Gedicht ״Das Schnabelpaar“ zwischen Ernst und seiner Identitätsfigur, ״Schnabelmax“, Parallelen ziehen kann.

2. Der Vogel als ״Privat-Phantom“ von Max Ernst

2.1. Prägende Erlebnisse in der frühen Biographie des Künstlers

Max Ernst wurde 1891 in Brühl als drittes Kind des Taubstummenlehrers und Malers aus Leidenschaft Phillip Ernst und seiner Frau Luise geboren, oderwie er es selbst in einem seiner biographischen Texte beschreibt: ״[...] he came out of his egg which his mother had laid in an eagle's nest and which the bird had brooded for seven years.“1 Diese Metapher, die Ernst wie einen schlüpfenden Vogel wirken lässt, ist nicht zufällig gewählt. Seine Identität als Vogelwesen zieht sich durch sein gesamtes künstlerisches Werk. Die Ursprünge dieser Selbstdarstellung finden sich bereits in den Anfängen seines Lebens.

Schon früh faszinierten ihn Wälder und Natur. In seinen ״Biographische[n] Notizen“, eine von ihm in der dritten Person verfasste Autobiographie2, schreibt er über seine ersten Erfahrungen im Wald: ״Gemischte Gefühle, als er [Max Ernst] zum ersten Mal den Wald betritt, Entzücken und Bedrückung. Und das was die Romantiker ,Naturgefühl‘ getauft haben.“3

Nicht nur der Wald stieß bei dem kleinen Max auf Interesse, sondern auch seine geflügelten Bewohner, die Vögel. Zu seinen Kinderjahren 1892-1896 findet man Textpassagen, die eine starke Verbundenheit mit den Tieren vermuten lassen:

Glaubten Nachtigallen an Gott in jener Vergangenheit? In jener Vergangenheit glaubten Nachtigallen noch nicht an Gott. Sie waren in Freundschaft verbunden. Und welche Stellung nahm der Mensch ein? Mensch und Nachtigall sahen sich in der günstigsten Lage zum Träumen: Sie hatten am Wald einen Mitschuldigen.4

Nachtigallen werden hier personifiziert dargestellt. Ihnen wird eine menschliche Eigenschaft zugeschrieben, der Glaube an Gott. Zudem wird die Nachtigall auf eine Ebene mit dem Menschen gestellt, indem betont wird, dass sie sich in der gleichen Lage befunden hätte.

Im Jahre 1906 starb Max' Papagei ״Hornebom“, der für den Jungen, wie er selber sagt, zum Freund geworden war. In derselben Nacht, in welcher der Vogel zu Tode kam, wurde Ernsts fünftes Geschwisterkind Apollonia geboren.5 Dieses Ereignis bezeichnet Ernst später als seinen ersten Kontakt zu höheren, dunklen Kräften.6 Er empfand es so, als sei sein geliebter Vogel durch die Geburt seiner Schwester gestorben: ״Eine Art von Ausdeutungswahn, als ob die eben geborene Unschuld, Schwester Loni, sich in ihrer Lebensgier des lieben Vogels Lebenssäfte angeeignet hätte.“7

Dadurch ,vermengte' Ernst seither in seiner Phantasie Menschen mit Vögeln und anderen Tieren, was sich in seinen Werken häufig wiederfinden lässt.8 Das beste Beispiel dafür ist sein Alter Ego, der ״Vogelobere Hornebom“ oder auch ״Loplop“ genannt, eine viel vertretene Figur in seinen Arbeiten.

2.2. Die Entstehung von Loplop in Ernsts Werken

Max Ernst präsentiert sich, sowohl in seiner malerischen als auch in seiner literarischen Kunst, immer wieder als ein Mischwesen aus Mensch und Vogel, welches meist ״Loplop“, aber auch ״Vogeloberer Hornebom“, seltener ״Schnabelmax“, genannt wird. Erstmals taucht es in einem Gemälde von 1928 mit dem Namen ״Loplop, le supérieur des oiseaux“ auf. In dem ein Jahr später erschienenen Collagenroman ״La femme 100 têtes“ heißt das Vogelwesen ״Hornebom“, benannt nach Ernsts Haustier in seiner Kindheit.9

Über die Entstehung von Loplop als seine Identitätsfigur gibt Max Ernst selbst in den ״Biographische[n] Notizen“ zum Jahre 1930 Folgendes an:

״Nachdem ich mit Methode und Gewalt meinen Roman ,Die hundertköpfige Frau‘ geschaffen habe, werde ich fast täglich vom Obersten Vogel Loplop - meinem Privat­Phantom - heimgesucht.“10

Bereits zuvor sei er, nach eigener Aussage, nicht über sein Kindheitserlebnis mit dem Vogel Hornebom hinweggekommen, der ihn bis zum Jahre 1927 noch gedanklich ,verfolgt' habe, bis Ernst sein Gemälde ״das Vogeldenkmal“ erschaffen habe. Später habe er sich dann selbst mit dem Tier identifiziert, welches er nun auch ״Loplop, den Vogeloberen“ nannte.11

Die Namensursprünge von ״Loplop“ sind nicht ganz klar. Der Kunsthistoriker und langjährige Freund von Max Ernst, Werner Spies, behauptet in seinem Buch ״Max Ernst - Loplop, die Selbstdarstellung des Künstlers“, dass die Namensgebung von Ernsts sogenannten ״Privat-Phantom“, auf den französischen Poeten Ferdinand Lop zurückgehe, der in den dreißiger Jahren die Studentenschaft in Paris spaltete. Viele bejubelten oder verhöhnten ihn mit den Rufen ״Lop Lop“.12

Jimmy Ernst, Sohn aus Max Ernsts erster Ehe mit Lou Strauß-Ernst, gibt in der von ihm geschriebenen Biographie über seinen Vater etwas anderes über die Ursprünge der Namensschöpfung Loplops an. Laut Jimmy Ernst verriet sein Vater ihm das ,Geheimnis‘, wonach Loplop benannt worden war. Angeblich sei es das Schaukelpferd gewesen, welches Jimmy als Baby immer ״Loplop“ nannte, weil Max ihm immer ״Gallopp...gallop [...]“ vorsang, wenn er Jimmy darauf schaukelte. So sei Max Ernst bei der Suche nach einem Namen für sein Vogelwesen ״Loplop“ auf diesen gekommen: ״Als ich den Einfall zu diesem Geschöpf als Darbieter kleinerer Dinge in einer größeren Komposition hatte, sagte Paul Eluard, daß es einen Namen brauchte, und da fiel mir dein verdammtes Loplop ein.“13

Gegen die Ansicht von Spies spricht, dass Werke von Ernst, die ״Loplop“ beinhalten, wie das Gemälde ״Loplop, le supérieur des oiseaux“ von 1928, bereits entstanden waren, bevor Ferdinand Lop in den dreißiger Jahren bekannt geworden ist. Die Begriffsdeutung von Jimmy Ernst hat wohl mehr Gewicht.

Loplop ist eine von Ernst geschaffene Figur, in der er sich selber sah. Doch nutzte der Künstler diese Darstellungsweise seiner selbst nur, um sich mit dem Vogelwesen zu verbildlichen? Oder erfüllt die Figur einen weiteren Zweck?

2.3. Funktionen von Loplop

Loplop vertritt nicht ohne Grund Max Ernst in vielen seiner Werke. Ernst lehnte es ab, als gottgleicher Schöpfer seiner Werke dargestellt zu werden. Er sah sich als Künstler nicht höhergestellt als andere Menschen. In ״Die Nacktheit der Frau ist weiser als die Lehre des Philosophen“ schreibt er in einem fiktiven Interview:

Der Ausdruck künstlerische Schöpfung, religiös angewendet, als ob es sich um eine Mission handele, die der Künstler zu erfüllen hat, und als ob ihm diese Mission wie einem Priester von einem Gott aufgetragen sei und dieser Gott Gott oder der Künstler selbst sei, und daß diese Mission ihn über den Alltagsmenschen hinaushebe - nein, davon will ich nichts hören.14

[...]


1 Max Emst: Some Data on the Youth of Max Emst, as told by himself. In: View 1942, s. 28-30, hier s. 28, zit. n. Rainer Zuch: Medialität und Animalität: Max Emst, der "König der Vögel" und die mythischen Tiere des Surrealismus. In: Kunsttexte Iss. 3/2004, hier s. 2.

2 Emsts ״Biographische Notizen“ mit dem Untertitel ״Wahrheitsgewebe und Lügengewebe“ verfasste er stückchenweise. Sie erschienen vereinzelt in vielen unterschiedlichen Publikationen. Werner Spieß bietet in seinem Katalog zur Retrospektive 1979 eine gute Zusammenfassung der gesamten Notizen, die Emst zu seinen Lebensabschnitten machte. Vgl. Werner Spies: Max Emst: Retrospektive 1979; Katalog; [Haus der Kunst München, 17. Februar bis 29. April 1979; Nationalgalerie Berlin, 10. Mai bis 15. Juli 1979]. München 1979, s.

3 Ebd. S. 123

4 Ebd. S. 124

5 Vgl. Ebd. S. 128

6 „First contact with occult, magic and witchcraft powers.“ Vgl. Ernst: Some Data on the Youth of Max Ernst, a.a.O., hier S. 30, zit. n. Zuch: Medialität und Animalität, a.a.O., S. 2.

7 Spieß: Retrospektive, a.a.o., s. 128

8 Vgl. Ebd.

9 Vgl. Zuch: Medialii ät und Animalii ät, a.a.o., s. 4.

10 Ernst Max, Biographische Notizen. Wahrheitgewebe und Lügengewebe. Köln 1962. s. 29, zit. n. Zuch: Medialität und Aiumalität, a.a.o., s. 4.

11 ״The obsession haunted İlim until he erected the Birds Memorial Monument in 1927, and even later Max identified himself voluntarily with Loplop, the Superior of the Birds“ Vgl. Ernst: Some Data on the Youth of Max Ernst, a.a.o., liier s. 30, zit. n. Zuch: Medialität und Animalität, a.a.o., s. 2.

12 Vgl. Werner Spies: Max Emst - Loplop: Die Selbstdarstellung des Künstlers. München 1982, s. 9.

13 Jimmy Emst: Nicht gerade ein Stillleben: Erinnerungen an meinen Vater Max Emst. Köln 1991, s. 430.

14 Max Emst: Die Nacktheit der Frau ist weiser als die Lehre des Philosophen. Köln 1970. s. 8.

Ende der Leseprobe aus 15 Seiten

Details

Titel
Die Selbstdarstellung des Künstlers Max Ernst als Vogelfigur
Hochschule
Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn
Note
2,0
Autor
Jahr
2018
Seiten
15
Katalognummer
V452991
ISBN (eBook)
9783668851245
ISBN (Buch)
9783668851252
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Max Ernst, Literaturwissenschaft, Kunst, Collagenroman, Selbstdarstellung, Identifikation, Vogelfigur, Ernst, Künstler, Loplop, Vogeloberer Hornebom, Identitätsfigur, Schnabelmax, Dada, Dadaismus
Arbeit zitieren
Dshamilja Paetzold (Autor:in), 2018, Die Selbstdarstellung des Künstlers Max Ernst als Vogelfigur, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/452991

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