Auslegung von Art. 121a BV


Seminararbeit, 2018

46 Seiten, Note: 5.0 Schweiz

Anonym


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Inhaltsverzeichnis

Literaturverzeichnis

Internetquellenverzeichnis

Judikaturverzeichnis

Materialienverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

1. GEGENSTAND UND AUFBAU DES GUTACHTENS

2. AUSLEGUNG VON NEUEN VERFASSUNGSBESTIMMUNGEN 2
2.1 Auslegungsziel und Problemkreise
2.2 Allgemeine Auslegungselemente
2.3 Verfassung im Hinblick auf höherrangiges Recht
2.4 Volksinitiative im Besonderen

3. AUSLEGUNGSHYPOTHESEN DES ART. 121A BV
3.1 Eigenständige Zuwanderungssteuerung (Abs. 1)
3.2 Begrenzung der jährlichen Zuwanderung (Abs. 2)
3.3 Höchstzahlen und Kontingente (Abs. 3)
3.4 Widersprechende völkerrechtliche Verträge (Abs. 4)
3.5 Einzelheiten zur Ausführung (Abs. 5)
3.6 Kritische Würdigung

4. DIE BUNDESGERICHTLICHE AUSLEGUNG VON VERFASSUNGSBESTIMMUNGEN ANHAND VON ZWEI URTEILEN.
4.1 Urteil vom 12. Oktober 2012 (BGE 139 I 16)
4.1.1 Auslegung und direkte Anwendbarkeit von Art. 121 BV
4.1.2 Völkerrecht vs. späteres Verfassungsrecht
4.2 Urteil vom 26. November 2015 (BGE 142 II 35)
4.3 Anwendungsvorrang des FZA und direkte Anwendbarkeit

5. GRENZEN DER FUNKTIONALEN ZUSTÄNDIGKEIT DES BUNDESGERICHTS. 20
5.1 Problematik von bundesgerichtlichen obiter dicta
5.2 Gewaltenteilungslehre und Organkompetenz des Bundesgerichts
5.3 Verfassungsgerichtsbarkeit

6. EXKURS: VERHANDLUNGSAUFTRAG NACH FRISTENABLAUF

7. FAZIT

Anhang: Auswahl von Normtexten

Literaturverzeichnis

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DERS.: Orell Füssli Kommentar zur BV (2. A. Zürich 2017) (zit. BEARBEITER, in: OFK-BV, Art., Rz.).

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DERS.: Zur Umsetzung von Art. 121a BV durch die Bundesversammlung: Wo liegt und wel- cher Art ist das Problem (verfassungsrechtlich gesehen)?, ZBI 117/2016, S. 588-600 (zit. Umsetzung)

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EBNÖTHER CHRISTOPH: Leitfaden durch das politische System der Schweiz, RuP 2017, S. 91-118.

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EPINEY ASTRID: Auslegung und Verhältnis des Freizügigkeitsabkommens zum nationalen Recht, Jusletter vom 14. März 2016. (zit. Auslegung)

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GLASER ANDREAS/BRUNNER ARTHUR: Politik in der Defensive: Zwischen Vorrang des FZA und dynamischer Rezeption der EuGH-Rechtsprechung, Jusletter vom 18. April 2016.

HAEFELIN ULRICH/ HALLER WALTER/ KELLER HELEN/ THURNHERR DANIELA: Schweizerisches

Bundesstaatsrecht (9. A. Zürich/ Basel/ Genf 2016).

HALLER WALTER/ KÖLZ ALFRED/ GÄCHTER THOMAS: Allgemeines Staatsrecht (4. A. Basel 2008).

HANGARTNER YVO: Bundesgerichtlicher Positionsbezug zum Verhältnis von Bundesverfas- sung und Völkerrecht, AJP 2013, S. 698-707.

HETTICH PETER/ KOLMAR MARTIN: «Wettbewerbsverzerrungen» und «Grundsatz der Wirt- schaftsfreiheit», ZBl 119/2018 S. 275-297.

HESELHAUS SEBASTIAN/ HÄNNI JULIA: Die eidgenössische Volksinitiative «Gegen Massen- einwanderung» (Zuwanderungsinitiative) im Lichte des Freizügigkeitsabkommens und der bilateralen Zusammenarbeit mit der EU, SZIER 2013, S. 19-63.HONSELL HEINRICH/ MAYER-MALY THEO: Rechtswissenschaft, Die Grundlagen des Rechts (7. A. Bern 2017).

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RHINOW RENÉ: Zum Schutz von Freiheit, Demokratie und Föderalismus, Ein Plädoyer für ei- nen massvollen Ausbau der Verfassungsgerichtsbarkeit, Jusletter vom 14. März 2011.

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A. Basel 2016). (zit. Schweizerisches Verfassungsrecht)

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TSCHANNEN PIERRE: Staatsrecht der Schweizerischen Eidgenossenschaft (4. A. Bern 2016).

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WIEDERKEHR RENÉ: Allgemeines Verwaltungsrecht (1. A. Bern 2018).

Internetquellenverzeichnis

FONTANA KATHARINA: Der Volkswille spielt keine Rolle, NZZ online vom 30. Januar 2016,

https://www.nzz.ch/schweiz/zuwanderungsinitiative-und-freizuegigkeit-der- volkswille-spielt-keine-rolle-ld.4701 zuletzt besucht am 03. November 2018 (zit. FONTANA, NZZ online).

HÄFLIGER MARKUS: Auch das Minarettverbot gilt nicht absolut, NZZ online vom 09. Februar 2013, https://www.nzz.ch/schweiz/auch-das-minarettverbot-gilt-nicht-absolut- 1.17991202 zuletzt besucht am 03. November 2018 (zit. HÄFLIGER, NZZ online).

STAATSSEKRETARIAT FÜR WIRTSCHAFT SECO: Medienmitteilung zur Umsetzung von Art.

121a BV, https://www.seco.admin.ch/seco/de/home/seco/nsb-news.msg-id- 69163.html zuletzt besucht am 04. November 2018 (zit. SECO, Medienmitteilung).

Judikaturverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Nicht amtlich publizierte Bundesgerichtsentscheide:

Urteil vom 09. August 2018, A-6131/2017

Materialienverzeichnis

Bericht des Bundesamtes für Justiz (BJ), Angenommene Volksinitiative «Gegen Massen- einwanderung»: Auslegung der Art. 121a und 197 Ziffer 9 der Bundesverfassung, Gutachten vom 08. April 2014. (zit. BJ, Auslegung).

Botschaft des Bundesrates zur Volksinitiative «Raus aus der Sackgasse! Verzicht auf die Wiedereinführung von Zuwanderungskontingenten» vom 26. April 2017, BBl 2017 S. 3341 ff. (zit. Botschaft Rasa).

Botschaft zur Volksinitiative «Gegen Masseneinwanderung» vom 7. Dezember 2012, BBI 2013 S. 291 ff. (zit. Botschaft MEI).

Umsetzungskonzept des eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement (EJPD), Art. 121a BV (Steuerung der Zuwanderung) vom 20. Juni 2014 (zit. EJPD, Umsetzungs- konzept).

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1.Gegenstand und Aufbauder Arbeit

1 Das vorliegende Arbeit untersucht die Auslegung von Verfassungsbestimmungen im Allgemeinen sowie die Auslegung des Art. 121a BV und ausgewählter Rechtspre- chung des Bundesgerichts im Besonderen. Anlass zur genaueren Betrachtung geben die mit der Volkinitiative «Gegen Masseneinwanderung» vom 09. Februar 2014 ange- nommene Verfassungsbestimmung Art. 121a BV und deren Übergangsbestimmung Art. 197 Ziff. 11 BV1, welche in der Lehre und Rechtsprechung und auch innerhalb der Schweizer Bevölkerung zu einem aussergewöhnlich intensiven Diskurs geführt haben.
2. An den Anfang zu stellen ist ein Grundlagenkapitel über die Auslegung neuer Verfas- sungsbestimmungen (Kap. 2). Dieses beschäftigt sich mit dem sog. Auslegungsziel und Problemkreisen und liefert einen Überblick über die allgemeinen Auslegungsmethoden. Es wird auf die einzelnen Auslegungsmethoden nur soweit eingegangen, als diese für die Auslegung des Art. 121a BV und Art. 197 Ziff. 11 BV von Belang sind.
3. Darauf aufbauend folgt ein Kapitel zu den Auslegungshypothesen des Art. 121a BV (Kap. 3). In Anbetracht der vielfältigen Auslegungsmöglichkeiten, die auch in der Lehre weitestgehend behandelt wurden, werden die Grundlagen nicht erschöpfend diskutiert sondern auf das Wesentliche reduziert. Es sollen primär die Divergenzen zwischen den verschiedenen Hypothesen aufgezeigt werden. Dies geschieht v.a. im Hinblick auf die Analyse der bundesgerichtlichen Rechtsprechung bezüglich der Auslegung von Verfas- sungsbestimmungen (Kap. 4).
4. Ausgehend von der « obiter dictum »-Problematik und der Gewaltenteilungslehre sowie der Organkompetenz des Bundesgerichts, sollen im darauffolgenden Kapitel die Gren- zen der funktionalen Zuständigkeit des Bundesgerichts behandelt werden (Kap. 5).
5. Es folgt ein Exkurs zum Verhandlungsauftrag nach Fristablauf (Kap. 6), ehe das Gut- achten mit einem Fazit schliesst (Kap. 7)

2.Auslegung von neuen Verfassungsbestimmungen

6 Das Kapitel will die Grundlagen der Verfassungsauslegung darstellen. Ausgangspunkt ist das Auslegungsziel; hier wird klargestellt, was durch diese Arbeit verfolgt wird und der Problemkreis umschrieben. Folgend werden die allgemein gültigen Verfassungsaus- legungsmethoden aufgeführt und ein Bezug mit der ganzen Rechtsordnung hergestellt. Letztlich wird der Schwerpunkt auf die Verfassungsbestimmungen gelegt, die auf dem Weg der Volksinitiative zustande gekommen und spezifisch auszulegen sind.

2.1 Auslegungsziel und Problemkreise

7 Ziel der Auslegung ist die Ermittlung des Normsinnes bzw. wahren Sinnes der Vorschrift im Hinblick auf die Rechtsanwendung.2 Bei den Verfassungsbestimmungen ist der Normsinn nicht nur im Rahmen der Rechtsanwendung relevant, sondern auch im Rah- men der Rechtssetzung, weil der Normsinn der Verfassungsbestimmung auch den Ge- setz- und Verordnungsgeber verpflichtet.3
8 Die Auslegung der Bundesverfassung ist durch verfassungsspezifische Herausforde- rungen geprägt. Die Normen auf Verfassungsstufe sind allgemeiner formuliert als die Gesetzesbestimmungen,4 was einen grösseren Konkretisierungsspielraum einräumt und die Wichtigkeit und Schwierigkeit der Auslegung betont. Die Auslegung nimmt zu- sätzlich an Bedeutung zu, wenn sich in der Zukunft unerwartete und kaum vorhersehba- re Anwendungskonstellationen verwirklichen. In solchen Fällen muss durch die Ausle- gung, trotz einem allgemeinen und knappen Wortlaut, eine angemessene Lösung ge- funden werden.5
9 Die Auslegung muss auch mit Blick auf die ganze Verfassung als einheitliche Ordnung erfolgen, d.h. die Verfassung bildet ein offenes System von Wertentscheidungen, welche möglichst widerspruchsfrei zur Geltung kommen sollen.6

2.2 Allgemeine Auslegungselemente

10 Die Verfassung ist grundsätzlich nach denselben Auslegungsmethoden wie Gesetze zu interpretieren.7 D.h. es muss der Methodenpluralismus angewendet werden, ohne dass eine einzelne Auslegungsmethode (grammatikalische, systematische, historische und teleologische Auslegungsmethode) grundsätzlichen Vorrang geniesst.8 Aber je nach Einzelfall muss die Gewichtung der einzelnen Auslegungselemente angepasst werden und eine Abwägung stattfinden.9
11 Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung ist der Wortlaut der Ausgangspunkt jeder Auslegung.10 Somit ist die grammatikalische Auslegung, welche den Normsinn von der Bedeutung der sprachlichen Aussage (bzw. Wortsinn) ableitet,11 immer die erste anzu- wendende Methode.12 Die grammatikalische Auslegung stützt sich auf Wortlaut, Wort- sinn und Sprachgebrauch, um den wahren Sinn zu ermitteln.13 Vom klaren Wortlaut darf nur abgewichen werden, sofern triftige Gründe bestehen, dass der Wortlaut nicht dem Normsinn entspricht.14
12 Die systematische Auslegung ermittelt den Normsinn durch das Erstellen von Bezügen zu anderen Rechtsnormen, was durch das Erforschen der inneren und äusseren Sys- tematik erfolgt. Einerseits berücksichtigt das äussere System den formellen Aufbau des Gesetzes, andererseites fokussiert das innere System auf die inhaltlichen Zusammen- hänge zwischen den Normen eines Gesetzes, welches ein konsistentes System von Wertentscheidungen zum Ausdruck bringt.15 Die systematische Auslegung ist dank des klaren systematischen Rahmens der neuen Bundesverfassung ein wichtiges Instru- ment.16
13 Die historische Auslegung erforscht den Sinn, den die Norm zum Zeitpunkt ihrer Entste- hung hatte.17 Die Regelungsabsicht kann von den Materialien abgeleitet werden (sub- jektiv-historische Auslegung), wie die Berichte der Expertenkommission, die Botschaft des Bundesrates oder die Protokolle der Verhandlungen.18 Der Normsinn kann sich auch auf die Umstände zum Zeitpunkt der Gesetzgebung stützen (objektiv-historische Auslegung).19 Durch die beiden Ansätze soll es erleichtert werden sich «in die Seele des Gesetzgebers hineinzudenken».20
14 Die teleologische Auslegung will die Zweckvorstellung (Sinn und Zweck) der Norm ab- leiten.21 Hier wird der Wortlaut in Verbindung mit der historischen aber auch zeitgemäs- sen Auslegung im Verbindung gebracht.22
15 Keine Auslegungsmethode hat grundsätzlichen Vorrang gegenüber den anderen.23 Al- lerdings kann je nach Art der Verfassungsnorm der einen oder anderen Methode eine höhere Aussagekraft anerkannt werden.24 Organisatorische Normen, die in der Regel präziser formuliert sind und einen klarer Wortlaut aufweisen, erlauben nur einen be- grenzten Auslegungsspielraum. Die anderen Normen, die allgemeiner formuliert sind (z.B. Grundrechte) und keinen klaren Wortlaut aufweisen, sollen durch die historischen Elemente ausgelegt werden, weil die Vorstellung der Verfassungsgeber zum Erlasszeit- punkt und die angewendete Praxis massgebend sind.25
16 Es ist auch die Meinung vertreten, dass die teleologische Auslegung eine vorrangige Bedeutung im Rahmen der Verfassungsauslegung geniessen muss. Einerseits müssen die staatlichen Aufgaben sich nach ihrem Zweck verwirklichen um effektiv zu sein, an- dererseits müssen die Normen, die allgemeiner formuliert sind, sich an neue Faktenla- gen anpassen, was durch eine historische oder grammatikalische Auslegung schwierig wäre, aber nicht durch die Anwendung der teleologischen Auslegung.26 Weitere Einzel- heiten sind zu beachten für neue Normen, die auf dem Weg der Volksinitiative zustande kommen, diese werden im nachfolgenden Abschnitt 2.4 dargestellt.
17 Die Abwägung zwischen den Auslegungsmethoden muss auch die Auslegungsergeb- nisse berücksichtigen, indem eine Methode, welche eine vernünftige und praktikable Lösung liefert und somit auch einen durchsetzbaren und vernünftigen Entscheid be- wirkt, vorgezogen werden muss.27

2.3 Verfassung im Hinblick auf höherrangiges Recht

18 Die Verfassungsauslegung muss unter Berücksichtigung des übergeordneten Rechts erfolgen, aber die Stellung des Völkerrechts gegenüber dem Landesrecht ist nicht ein- heitlich.28 Das zwingende Völkerrecht ist der Verfassung übergeordnet, das übrige muss von Bund und Kantonen beachtet werden (Art. 5 Abs. 4 BV) und für das Bundesgericht sind Gesetz und Völkerrecht massgebend (Art. 190 BV). Im Ergebnis muss das Landes- recht soweit wie möglich völkerrechtskonform ausgelegt werden.29

2.4 Volksinitiative im Besonderen

19 Die Entdeckung des Normsinnes einer Volksinitiative befindet sich im Spannungsfeld. Es stellt sich die Frage, ob der Normsinn dem subjektiven Willen der Initianten ent- spricht, oder ob er durch eine Gesamtbetrachtung aller Auslegungsmethoden zu ermit- teln ist.
20 Das Bundesgericht hat im Rahmen von kantonalen Initiativen stets bestätigt, dass der Wille der Initianten nicht massgebend sei.30 Der Wille der Initianten bildet einen Be- standteil der historischen Auslegung, welcher keine zwingende Vorgabe darstellt, son- dern im Zusammenhang mit den anderen Auslegungsmethoden zu betrachten ist und ebenfalls unter dem Gesichtspunkt der faktischen Durchführbarkeit (praktikables Ergeb- nis) abzuwägen ist.31 Das subjektive Verständnis der Initianten darf im Rahmen der Be- gründung des Volksbegehrens und allfälliger Meinungsäusserungen und Stellungsnah- men berücksichtigt werden, gleich wie die Äusserungen der Initiativgegner.32 Die Mate- rialien geniessen im Rahmen der Auslegung von neuen Bestimmungen besonders be- achtenswerte Bedeutung, «weil veränderte Umstände oder ein gewandeltes Rechtsver- ständnis eine andere Lösung weniger rasch nahelegen».33 Das Ganze ist aber nur Teil einer einzigen Auslegungsmethode (historische Auslegung). Im Hinblick auf die syste- matische Auslegung ist zu beachten, dass Volksinitiativen in der Regel nicht auf den Rest der Verfassung abgestimmt sind, sondern von subjektiven Interessen geprägt sind.34 Schlussendlich muss daher jene Auslegungsmethode ausgewählt werden, welche dem wahren Sinn der Norm am besten entspricht, zu einem vernünftigen Ergebnis führt und vereinbar ist mit dem übergeordneten Recht.35 Es wird erwartet, dass die aus- gewählte Methode konsistent mit dem verfassungsrechtlichen System von Wertent- scheidungen ist36 (praktische Konkordanz).37
21 «Ausgangpunkt jeder Auslegung ist der Wortlaut»38, aber neue Verfassungsbestim- mungen weisen Besonderheiten unter dem Gesichtspunkt der grammatikalischen Aus- legung auf. Einerseits werden sie oft in einer volksnahen und einfach zu verstehenden Sprache formuliert.39 Ein unpräziser oder mehrdeutiger Wortlaut ist problematisch, da die grammatikalische Auslegung stark an Aussagekraft verlieren kann und dadurch wird der Normsinn weniger durchschaubar. Andererseits ist die Anknüpfung an dem Wortlaut der alten BV nicht mehr möglich. Die Auslegung von Verfassungsbestimmungen kann sich auf den Wortlaut der älteren Bestimmungen (BV vor der Revision) stützen, da die Revision kein Unterbruch mit dem älteren Verfassungsrecht sein wollte, sondern die Revision nach dem Konzept der Nachführung erfolgte.40 Die grammatikalische Ausle- gungsmethode (wie auch die anderen Methoden) kann in diesen Fällen nicht mehr an den Wortlaut der alten BV anknüpfen, weil durch die Volksinitiative neue Verfassungs- bestimmungen ohne einen entsprechenden Bezug zur alten Fassung eingeführt werden.
22 Zusammenfassend muss die Auslegung nach allen anerkannten Methoden stattfinden, damit auch der Wille der Initianten berücksichtigt werden kann. Fundamental bleibt die Ergebnisabwägung unter dem Gesichtspunkt der Verwirklichung des wahren Sinnes der Norm, der Lieferung einer durchführbaren Lösung und der Vereinbarkeit mit der Rechtsordnung.

3. Auslegungshypothesen des Art. 121a BV

23 Wie bereits in Rz. 8 dargelegt, sind Normen auf Verfassungsstufe allgemeiner formuliert als solche auf Gesetzesstufe, was einen grösseren Konkretisierungsspielraum mit sich bringt und die Auslegung gerade deswegen anspruchsvoll macht. Dies zeigt sich auch in Art. 121a BV. Wohl kaum eine andere Verfassungsbestimmung hat in den vergange- nen Jahren eine solche Kontroverse entfacht, und dies nicht zuletzt wegen ihrer Ausle- gungsbedürftigkeit. In diesem Kapitel werden daher Auslegungshypothesen des Art. 121a BV diskutiert. Die nachfolgenden fünf Abschnitte entsprechen den fünf Absätzen des Art. 121a BV und somit dessen Systematik.41 Es ist nicht das Ziel dieses Kapitels nun sämtliche Auslegungshypothesen von Art. 121a BV aufzugreifen, sondern nur jene genauer zu analysieren und zu bewerten, die den Diskurs so komplex machen.

3.1 Eigenständige Zuwanderungssteuerung (Abs. 1)

24 Nach Art. 121a Abs. 1 BV soll die Zuwanderung von Ausländerinnen und Ausländern eigenständig durch die Schweiz gesteuert werden. Für die Auslegung ausgehend vom Wortlaut42 sind damit bereits mehrere auslegungsbedürftige Begriffe gegeben. So ist fraglich, welchen Personenkreis die Bestimmung erfasst, was unter dem Begriff der Zu- wanderung zu verstehen ist und wie Eigenständigkeit im Zusammenhang mit steuern definiert werden kann bzw. wo ihre Grenzen liegen.
25 Aufgrund dieser insgesamt offenen Formulierung kann die Bestimmung als Zielnorm verstanden werden.43 SCHWEIZER spricht etwa von einem «besonderen Staatsziel für die Schweiz».44 Es handelt sich hierbei um eines der Hauptziele der neuen Verfas- sungsbestimmung und zugleich um eine Vorbedingung für andere Ziele, wie etwa die Begrenzung der Zuwanderung. In ihrer Funktion als Zielnorm dient sie auch als «Anlei- tung für die Ausgestaltung der Einzelheiten im Gesetz (teleologisches Auslegungsele- ment)»45. Nach bundesrätlicher Botschaft hat diese Bestimmung «programmatischen Charakter».46 Um diese Bestimmung etwas greifbarer zu machen, ist es der Analyse zu- träglich, diese Begriffe nachfolgend zu definieren.
26 Der Begriff der Zuwanderung ist nach UEBERSAX als relativ weit zu verstehen, da ver- schiedenste Migrationsformen damit angesprochen sind.47 Es geht um die Einwande- rung von Ausländerinnen und Ausländer zwecks Verlagerung des Lebensmittelpunktes in die Schweiz mit der Absicht zu einem Verbleib von einer gewissen zeitlichen Dauer.48 Die Zuwanderung wie sie hier beschrieben wird, sei als solche zu steuern. Dies ist nicht gleichbedeutend mit verhindern. So beinhaltet Art. 121a Abs. 1 BV denn auch keine Maximalwerte oder Quoten.
27 SCHWEIZER definiert steuern etwa als beeinflussen, lenken, etwas anstreben, was mit vielerlei Mitteleinsatz geschehen könne. Er verweist auf den technischen und ökonomi- schen Ursprung und hinterfragt seine Tauglichkeit als sozialwissenschaftlicher Begriff in Zusammenhang mit dem Umgang mit Menschen.49 Mit Eigenständigkeit ist gemeint, dass die Schweiz als Souverän, d.h. ohne Mitbestimmung anderer Staaten, internatio- nalen Organisationen oder supranationale Gemeinschaften wie der EU, über die Zu- wanderung entscheidet.50 Sie, die Schweiz, behält somit die qualitative und quantitative Kontrolle.51
28 Mit Ausländerinnen und Ausländern ist aus grammatikalischer Sicht der erfasste Perso- nenkreis angesprochen. Darunter fallen natürliche Personen, die keine Schweizer Staatsangehörigkeit besitzen.52 SCHWEIZER spricht sich diesbezüglich für eine extensi- vere Auslegung aus, indem er Ausländerinnen und Ausländer mit der Niederlassungs- bewilligung C nicht darunter subsumiert, wenn sie etwa von einem längeren Ausland- aufenthalt zurückkehren.53 Nicht in den Anwendungsbereich von Art. 121a Abs. 1 BV fallen sodann Schweizer Staatsangehörige, die ein- oder rückwandern.54

3.2 Begrenzung der jährlichen Zuwanderung (Abs. 2)

29 Gemäss Art. 121a Abs. 2 Satz 1 BV soll die Zahl der Bewilligungen für den Aufenthalt von Ausländerinnen und Ausländern in der Schweiz durch jährliche Höchstzahlen und Kontingente begrenzt werden.55 Die Höchstzahlen gelten demnach für sämtliche Bewil- ligungen des Ausländerrechts unter Einbezug des Asylwesens (Satz 2). Der Anspruch auf dauerhaften Aufenthalt, auf Familiennachzug und auf Sozialleistungen kann be- schränkt werden (Satz 3).
30 Auffallend an der Forderung des Abs. 2 ist, dass keine Unterscheidung hinsichtlich der Herkunftsländer der Zuwandernden getroffen wird. SCHWEIZER nennt das Beispiel, dass die Regelung unabhängig davon gelte, ob es sich etwa um einen liechtensteinischen oder einen nordkoreanischen Staatsangehörigen handelt und verweist auf den Verstoss mit dem FZA und seinen Folgeabkommen, insbesondere dessen Art. 4, 5 und 6.56
31 Wie diese Höchstzahlen und Kontingente zu bemessen sind, liegt im legislatorischen Ermessen und ist nach SCHWEIZER durch Punktesysteme, Grenzwerte, Escape- Klauseln oder Notfall-Klauseln zu erreichen.57 SCHWEIZER nennt als Quantitativ für die Zuwanderung den Ausdruck «massvoll» und bezieht sich dabei auf den konjunkturpoli- tischen Bedarf58 und die gesamtwirtschaftliche Entwicklung der Schweiz, ohne jedoch konkrete Zahlen zu nennen.59 Damit steht dem Gesetzgeber ein relativ grosser Gestal- tungsspielraum offen.60 32 Abs. 2 Satz 3 enthält eine «Kann-Vorschrift» mit der Möglichkeit, dass ein Anspruch auf dauerhaften Aufenthalt, auf Familiennachzug und auf Sozialleistungen beschränkt wer- den kann. Sie ist demnach nicht zwingender Natur.

3.3 Höchstzahlen und Kontingente (Abs. 3)

33 In Art. 121a Abs. 3 BV sind ergänzende Sondervorschriften enthalten, die ebenfalls im Zusammenhang mit dem Ausländer- und Aussenwirtschaftsrechts problematisch sind, aber auch den inländischen Bedürfnissen nicht immer gerecht werden. Ein Problem dieser Bestimmung ist etwa, dass sie den gesamtwirtschaftlichen Interessen nach ausländischen Arbeitskräften aufgrund ihrer pauschalisierenden Formulierung nicht zuträg- lich ist. Eine mögliche Lösung liefert HETTICH, indem er sich für die Bevorzugung be- stimmter Branchen ausspricht, die einen besonders wertschöpfenden Beitrag zur Leis- tungserbringung leisten.61 34 Ein weiteres Thema, dass in der Lehre zu einem Diskurs geführt hat, ist der in Abs. 3 enthaltene Vorrang für Schweizerinnen und Schweizer, der sog. Inländervorrang. Zwar sind Bestrebungen, die einen Inländervorrang fordern, schweizweit zu verzeichnen,62 in casu handelt es sich jedoch um einen Verfassungsauftrag, der wesentlich weitreichen- der ist als die bisher getroffenen Massnahmen. Würde der Ausdruck «erwerbstätige Ausländerinnen und Ausländer» restriktiv ausgelegt, d.h. nur Schweizer Staatsangehö- rige erfassen, wäre dies im Hinblick auf das FZA mit der EU und EFTA keine vertrags- getreue Lösung, da dies letztendlich zu einem Widerspruch führen würde. Die wesent- lich harmonischere und damit richtige Auffassung liefert etwa UEBERSAX, indem er eine extensive Auffassung in Anlehnung an Art. 21 Abs. 2 AuG vertritt.63 So spricht Art. 21 Abs. 2 AuG von inländischen Arbeitnehmenden und Arbeitnehmenden oder Angehöri- gen von Staaten, mit denen ein FZA abgeschlossen wurde.
35 Eine weitere Frage betrifft die Grenzgängerinnen- und Grenzgänger, die in Abs. 3 na- mentliche Erwähnung finden. Diese seien bei der Festlegung von Höchstzahlen und Kontingenten miteinzubeziehen. HETTICH wirft dazu die Frage auf, ob diese überhaupt unter das Steuerungsobjekt von Art. 121a Abs. 1 BV fallen, d.h. ob es sich um «Zuwan- derer» im eigentlichen Sinne handelt,64 was wiederum Ausdruck des offenen Wortlauts der Bestimmung ist.
36 Unabhängig davon, ob nun eine restriktive oder extensive Auslegung vorgenommen wird, bleibt ein möglicher Widerspruch zum FZA, da dort die Gleichbehandlung von In- und Ausländern statuiert ist und nicht auf dem Wege der Auslegung «wegharmonisiert» werden kann, wie HETTICH feststellt.65

3.4 Widersprechende völkerrechtliche Verträge (Abs. 4)

37 Gemäss Art. 121a Abs. 4 BV dürfen keine völkerrechtlichen Verträge66 abgeschlossen67 werden, die dem Art. 121a BV widersprechen. Damit bezieht sich Abs. 4 nur auf neue völkerrechtliche Verträge, nicht jedoch auf bestehende Verträge. Letztere werden von Art. 197 Ziff. 11 Abs. 1 BV erfasst und sind innert drei Jahren neu zu verhandeln und anzupassen.68 UEBERSAX spricht von einer flankierenden verfassungsrechtlichen An- weisung zum Verhältnis der Bestimmung zum Völkerrecht.69 Neue Verträge über den freien Personenverkehr sind mit der eigenständigen Steuerung, wie sie in Art. 121a Abs. 1 BV verlangt wird, unvereinbar.70 Das BJ nennt jedoch folgende Möglichkeiten71, die sich immer noch im Spielraum des Art. 121a BV befinden:

- Völkerrechtliche Verträge, die nicht in Konflikt mit den Vorgaben von Art. 121a Abs. 2 und 3 BV geraten.
- Ausländerinnen und Ausländern kann ein Aufenthalts- oder Niederlassungsan- spruch eingeräumt werden, jedoch nur soweit, als dass dieses den von der Schweiz einseitig festgelegten Höchstzahlen und Kontingenten entspricht.
- Die Privilegierung der Zuwanderung aus bestimmten Staaten, die innerhalb der vorgegebenen Höchstzahlen und Kontingenten gesetzlich oder völkerrechtlich geregelt wird.

3.5 Einzelheiten zur Ausführung (Abs. 5)

38 Beim Art. 121a Abs. 5 BV handelt es sich um eine in der BV verbreitete Terminologie, wonach das «Gesetz die Einzelheiten regelt», die sich an die Bundesversammlung als Gesetzgeber richtet.72 Entgegen dem Wortlaut handelt es sich jedoch nicht nur um «Einzelheiten», die festzulegen sind, wie EHRENZELLER festhält,73 sondern der Gesetz- geber wird aufgefordert wichtige rechtsetzende Bestimmungen zu erlassen.74

3.6 Kritische Würdigung

39 Die vorherige Analyse der Verfassungsauslegung hat gezeigt, dass es sich bei Art. 121a BV um einen insgesamt offenen Verfassungstext mit einigen unbestimmten Rechtsbegriffen handelt, der dem Gesetzgeber viele Auslegungsspielräume ermöglicht und bei der praktischen Umsetzung auch einen entsprechend grossen Gestaltungs- spielraum bietet. Die grundsätzliche Stossrichtung von Art. 121a BV ist jedoch klar; so verlangt der Artikel unmissverständlich eine Limitierung der Zuwanderung durch jährli- che Höchstzahlen. Umstritten ist jedenfalls, inwieweit diese Stossrichtung mit dem FZA vereinbar ist.75
40 Im zweiten Kapitel wurde als Quintessenz festgehalten, dass anhand der erwähnten Auslegungsmethoden ein nachvollziehbares Ergebnis erzielt werden soll, dass unter dem Gesichtspunkt der Verwirklichung des wahren Sinnes der Norm, der Lieferung ei- ner durchführbaren Lösung und der Vereinbarkeit mit der Rechtsordnung, standhält.76 Die heute geltende Lösung hinsichtlich einer FZA-konformen Auslegung ist aus juristi- scher Perspektive und in Anbetracht von drohenden völkerrechtlichen Konflikten dem- nach als vertretbar zu bezeichnen, da letztlich vor allem die Durchführbarkeit und die Vereinbarkeit mit der Rechtsordnung im Vordergrund standen. Dennoch ist der Vorwurf des «wegharmonisierens» durch eine entsprechende Auslegung nicht unberechtigt.77
41 Aus direktdemokratischer Sicht ist die getroffene Umsetzung als nicht befriedigend zu bewerten. Der ursprünglich geforderte Systemwechsel in der Zuwanderungssteuerung kann im Vergleich zur Einführung der Stellenmeldepflicht,78 wie dies der Bundesrat am 08. Dezember 2017 entschied, als missachteter Wille der Initianten bezeichnet werden. Wie bereits erwähnt, stellt jedoch der Wille der Initianten als solcher kein Element der Auslegung dar,79 ist nur schwer zu ermitteln und einer sachlichen Debatte betreffend die praktische Umsetzung wenig zuträglich. Ob die getroffene Auslegung nun «richtig» ist, bleibt letztendlich auch eine politische und nicht nur eine juristische Frage, zumal auf- grund der fehlenden Verfassungsgerichtsbarkeit auf Bundesebene80 nur das Referen- dum gegen das Gesetz ergriffen werden kann, welches wiederum Ausdruck der politi- schen Willensbildung in der Schweiz ist.

[...]


1 Bei der Volksabstimmung trug die Übergangsbestimmung die Ziff. 9 des Art. 197 BV.

2 RHINOW et al., Schweizerisches Verfassungsrecht, Rz. 480; TSCHANNEN, § 4 Rz. 1.

3 RHINOW et al., Schweizerisches Verfassungsrecht, Rz. 480.

4 HALLER et al., S. 116.

5 Vgl. zum Ganzen HAEFELIN et al., Rz. 77.

6 TSCHANNEN, § 4 Rz. 40.

7 BELSER et al., Rz. 30; BGE 131 I 74 E. 4.1; BGE 131 III 314 E. 2.2.

8 BELSER et al., Rz. 31.

9 TSCHANNEN, § 4 Rz. 5.

10 Urteil vom 9. August 2018, A-6131/2017, E 6.4.

11 KRAMER, S. 61.

12 TSCHANNEN, § 4 Rz. 2.

13 HAEFELIN et al., Rz. 91.

14 BGE 131 V 242, 246; 124 III 266; HAEFELIN et al., Rz. 92.; RHINOW et al., Schweizerisches Verfassungsrecht, Rz. 504.

15 KRAMER, S. 97.

16 HAEFELIN et al., Rz. 99.

17 HAEFELIN et al., Rz. 101.

18 BELSER et al., § 3 Rz. 34.; KRAMER, S. 153.

19 BELSER et al., § 3 Rz. 34.

20 KRAMER, S. 129.

21 HAEFELIN et al., Rz. 120; BELSER et al., § 3 Rz. 35.

22 HAEFELIN et al., Rz. 121.

23 BELSER et al., § 3 Rz. 31.

24 TSCHANNEN, § 4 Rz. 5.

25 TSCHANNEN, § 4 Rz. 5. BGE 112 Ia 208 E.2a. S. 212 f.

26 BELSER et al., § 3 Rz. 35.

27 HAEFELIN et al., Rz. 135.

28 EBNÖTHER, S. 117: In den letzten Jahren wurden vermehrt Initiativen eingereicht, die im Rahmen des in- ternationalen Rechts umstritten waren, wie beispielsweise die Minarettinitiative und die Ausschaffungs- initiative.

29 BELSER et al., § 3 Rz. 36; vgl. zum Ganzen TSCHANNEN, § 4 Rz. 39.

30 BGE 139 II 243, E. 8; HAEFELIN et al., Rz. 77.

31 HAEFELIN et al., Rz. 1759 sowie Rz. 135.

32 BGE 111 Ia 303, E. 4; BGE 129 I 392, E. 2.2; BGE 139 II 243, E.8.

33 BGE 141 II 262 E. 4.2

34 WALDMANN, S. 521.

35 BGE 111 Ia 303. E. 4; BGE 105 Ia 154, E. 3a; BGE 105 Ia 366, E. 4.

36 EICHENBERGER, S. 46: Die Einheit und Kohärenz der Verfassung ergeben sich aus der Gleichrangigkeit der Verfassungsbestimmungen; HETTICH/KOLMAR, S. 274: Das Konzept der Verfassungseinheit ist gemäss HETTICH/KOLMAR zu relativieren, denn das Streben nach Einheit und die Überdehnung der praktischen Konkordanz könne die Gefahr mit sich bringen, dass eigene Wertvorstellungen in die Verfassung Eingang finden.

37 BELSER et al., Rz. 37.

38 Urteil vom 9. August 2018, A-6131/2017, E 6.4.

39 HAEFELIN et al., Rz. 77.

40 HAEFELIN et al., Rz. 78.

41 Bzgl. Systematik: Der Art. 121a BV ist im neunten Abschnitt des Kapitels über das Verhältnis von Bund und Kantonen zu finden. Der Abschnitt mit dem Titel «Aufenthalt und Niederlassung von Aus- länderinnen und Ausländern» hat mit dem Art. 121a BV nun einen zweiten Artikel in diesem Sachbe- reich. Aufgrund seiner systematischen Verortung handelt es sich beim Adressaten um den Bund (vgl. Art. 121 Abs. 1 BV).

42 Vgl. Rz. 11 und 21.

43 Diese Eigenschaft als Zielnorm und ihrer Anwendbarkeit wirft auch Fragen bzgl. der direkten Anwendbar- keit des gesamten Art. 121a BV auf; vgl. dazu UEBERSAX, in: BSK-BV, Art. 121a, Rz. 10, der zumindest den Abs. 4 und 5 eine unmittelbare Wirksamkeit nicht abspricht; so auch EHRENZELLER, in: SGK-BV, Art. 121a, Rz. 54, der Abs. 4 für direkt anwendbar halt; a.M. EPINEY, Tragweite, Rz. 32 ff., die Abs. 4 für zu unbestimmt hält.

44 SCHWEIZER, in: SGK-BV, Art. 121a, Rz. 23.

45 BJ, Auslegung, S. 6; vgl. Rz. 16.

46 Botschaft MEI, S. 313.

47 UEBERSAX, in: BSK-BV, Art. 121a, Rz. 17.

48 Vgl. SCHWEIZER, SGK BV zu Art. 121a, Rz. 25; vgl. Botschaft MEI, S. 313; ebenso UEBERSAX, in: BSK-BV, Art. 121a, Rz. 17; nicht darunter fallen unbestrittenermassen etwa Touristen oder Kurzaufenthalter.

49 SCHWEIZER, in: SGK-BV, Art. 121a, Rz. 24.

50 Botschaft MEI, S. 311.

51 Art. 121a Abs. 4 BV verstärkt diese Forderung, siehe dazu Abschnitt 3.4.

52 UEBERSAX, in: BSK-BV, Art. 121a, Rz. 15.

53 SCHWEIZER, in: SGK-BV, Art. 121a, Rz. 26.

54 Art. 121a Abs. 1 BV e contrario; für weitere Ausnahmen siehe UEBERSAX, in: BSK-BV, Art. 121a, Rz. 16.

55 Zur Definition von Höchstzahlen und Kontingenten siehe BJ, Auslegung, S. 14 f.: «Ausgehend vom Wort- laut in den Absätzen 2 und 3 [...] können pro Jahr mehrere Höchstzahlen und Kontingente festgelegt werden. Weiter legen die grammatikalische und die systematische Auslegung nahe, dass die Kontin- gente als Unterkategorie der Höchstzahlen funktionieren. Mit anderen Worten kann die für eine be- stimmte Gruppe ausländischer Personen festgelegte Höchstzahl in mehrere Kontingente unterteilt wer- den. Verfassungsrechtlich nicht ausgeschlossen ist ferner die Festlegung nur einer Höchstzahl, welche sämtliche Ausländerinnen und Ausländer betrifft, die vom Geltungsbereich des Art. 121a BV erfasst sind.».

56 SCHWEIZER, in: SGK-BV, Art. 121a, Rz. 35.

57 SCHWEIZER, in: SGK-BV, Art. 121a, Rz. 38 mit Verweisung auf EJPD, Umsetzungskonzept, Ziif. 7, 21 ff.

58 Vgl. Art. 100 BV.

59 SCHWEIZER, in: SGK-BV, Art. 121a, Rz. 29; ebenfalls interessant ist der Terminus «Gesamtbilanz der Zu- wanderung», siehe dazu SCHWEIZER, in: SGK-BV, Art. 121a, Rz. 37.

60 Die Höchstzahlen und Kontingente können demnach auch so angesetzt werden, dass nicht gegen das Non-Refoulement-Prinzip des zwingenden Völkerrechts verstossen wird (Botschaft MEI, S. 299 f.).

61 HETTICH, in: SGK-BV, Art. 121a, Rz. 42.

62 So z.B. der Tessiner Inländervorrang «prima i nostri», der im Kanton Tessin im September 2016 ange- nommen wurde. So wurde in die Kantonsverfassung eingeführt, dass die Einwohner des Kantons Tes- sin, die über eine gleichwertige Qualifikationen wie die in Konkurrenz stehenden Ausländerinnen und Ausländer verfügen, privilegiert werden und nicht durch billigere im Ausland wohnhafte Arbeitnehmende ersetzt werden dürfen. (EPINEY/NÜESCH, Inländervorrang und Freizügigkeitsabkommen, S. 6). Die Kan- tonsverfassungsänderungen sind als Zielnormen zu qualifizieren, die die Vorgaben des Bundesrechts beachten müssen und konsequenterweise Bundesrechtskonform verwirklicht werden müssen (BIAGGINI, prima i nostri, S. 10 f; EPINEY/NÜESCH, Inländervorrang und Freizügigkeitsabkommen, S. 6).

63 UEBERSAX, RZ. 60.

64 HETTICH, in: SGK-BV, Art. 121a, Rz. 45.

65 HETTICH, in: SGK-BV, Art. 121a, Rz. 43 m.w.H.

66 Vgl. zum Ausdruck «völkerrechtliche Verträge» BJ, Auslegung, S. 19.

67 Vgl. zum Begriff des «Abschlusses» BJ, Auslegung, S. 19-21.

68 EHRENZELLER, in: SGK-BV, Art. 121a, Rz. 51.

69 UEBERSAX, in: BSK-BV, Art. 121a, Rz. 4.

70 BJ, Auslegung, S. 8.

71 BJ, Auslegung, S. 8.

72 BJ, Auslegung, S. 8.

73 EHRENZELLER, in: SGK-BV, Art. 121a, Rz. 56.

74 Vgl. Art. 163 ff. BV.

75 Nach BIAGGINI, (Umsetzung, S. 587) ist der Verfassungswortlaut in dieser Hinsicht unmissverständlich und auch durch eine systematische, historische oder teleologische Auslegung ändere sich daran nichts; vgl. ebenfalls Rz. 59.

76 Vgl. Rz. 22.

77 Vgl. Rz. 36.

78 Die Stellenmeldepflicht gilt seit 01. Juli 2018 für Berufsarten, in denen die Arbeitslosenquote einen be- stimmten Schwellenwert erreicht oder überschreitet (SECO, Medienmitteilung).

79 Vgl. Rz. 20.

80 Vgl. Abschnitt 5.3.

Ende der Leseprobe aus 46 Seiten

Details

Titel
Auslegung von Art. 121a BV
Hochschule
Fachhochschule St. Gallen
Note
5.0 Schweiz
Jahr
2018
Seiten
46
Katalognummer
V452751
ISBN (eBook)
9783668873957
ISBN (Buch)
9783668873964
Sprache
Deutsch
Schlagworte
auslegung
Arbeit zitieren
Anonym, 2018, Auslegung von Art. 121a BV, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/452751

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