Sind Unternehmen moralisch entwicklungsfähig?

Diskussion einer Erweiterung der Theorie Kohlbergs auf organisationale Umgebungen


Hausarbeit, 2010

28 Seiten, Note: 1,3

Anonym


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die Theorie der kognitiven Moralentwicklung nach Kohlberg
2.1. Stufen der Moralentwicklung
2.2. Entwicklungsfaktoren der moralischen Urteilsfähigkeit
2.3. Zusammenhang zwischen moralischem Urteil und Handeln
2.4. Moralische Motivation

3. Moralentwicklung in organisationalen Umgebungen
3.1 Moralisches Urteilen im Unternehmen
3.1.1. Urteilsfähigkeit von Wirtschaftsstudenten und Managern
3.1.2. Das Konzept des ethischen Klimas
3.1.3. Diskussion
3.2. Moralisches Verhalten im Unternehmen
3.2.1. Das interaktionistische Modell von Trevino
3.2.2. Moralische Billigung
3.2.3. Diskussion
3.3. Moralische Entwicklungsfähigkeit von Unternehmen
3.3.1. Ethik-Trainings
3.3.2. Modell der organisationale Entwicklungsfähigkeit
3.3.3. Diskussion

4. Schluss

5. Anhang

6. Literaturverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Sechs Stufen der Moralentwicklung

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Modell des Zusammenhangs von moralischem Urteilen und Handeln

Abbildung 2: 3x3 Matrix ethischer Klimas

Abbildung 3: Interaktionistisches Modell moralischer Entscheidungsfindung

1. Einleitung

In Zeiten, in denen sich Wirtschaftsskandale häufen - Korruptionsaffären, Mitarbeiterbespitzelungen und Steuerhinterziehungen zunehmen - ist des Öfteren zu beobachten, wie in Medien und Tageszeitungen ein höheres Maß an Moral von Unternehmen eingefordert wird. Oftmals wird hierbei auch an strukturelle Maßnahmen im Unternehmen appelliert; Ethikschulungen werden sowohl für die Manager von morgen, in den Curricula der Business Schools, als auch für die Manager von heute, in unternehmensinternen Fortbildungen, gefordert. Es stellt sich hierbei jedoch zwangsläufig die in der Philosophie viel diskutierte Frage, ob Moral überhaupt erlernt und damit auch gelehrt werden kann. So glaubte Aristoteles die Tugend sei eine Fähigkeit, die trainiert werden könne, wohingegen Gegner dieser Auffassung, wie bspw. Schopenhauer davon ausgingen, dass der moralische Charakter angeboren sei und unveränderlich das Handeln determiniere.[1] Die Entwicklungspsychologie des 20. Jahrhunderts brachte mit den Arbeiten von Kohlberg erstmalig empirisch fundierte Aussagen zur Moralentwicklung des Menschen hervor – und gab Aristoteles recht: das Individuum ist im Laufe seines Lebens moralisch entwicklungsfähig. Ranglisten, wie beispielsweise das Good Company Ranking der Kirchhoff AG, suggerieren es gebe Unternehmen auf unterschiedlichen moralischen Niveaus, die man ordnen könne. Dies lässt die Frage aufkommen, ob sich die stufenförmige moralische Entwicklungssequenz, welche die kognitive Entwicklungstheorie Kohlbergs postuliert, auch auf Organisationen übertragen lässt. Oder einfacher formuliert, ob Unternehmen moralisch entwicklungsfähig sind. Bevor diese zentrale Frage beantwortet werden kann, müssen jedoch zunächst zwei definitorische Fragen geklärt werden: (1.) Was umfasst die Moralstufe eines Unternehmens? Und (2.) in welchem Sinne können sich Unternehmen moralisch entwickeln? Um dies beantworten zu können werden im Folgenden zunächst zentrale Aspekte der Theorie Kohlbergs dargelegt, anschließend werden, ausgehend von der Theorie Kohlbergs, Prozesse moralischer Entscheidungsfindung und moralischen Verhaltens in organisationalen Kontexten diskutiert. Zur Klärung von (1.) werden mögliche Bestandteile eines Modells der organisationalen Moralentwicklung und mögliche Beziehungen zwischen diesen zentralen Komponenten herausgestellt. Zur Klärung von (2.) werden Faktoren, die die organisationale Moralentwicklung fördern könnten identifiziert und darauf aufbauend wird ein normatives Kriterium für den Entwicklungsbegriff herausgearbeitet. Abschließend werden die erarbeiteten Erkenntnisse in kritischem Bezug zu Reidenbach und Robins Modell der organisationalen Moralentwicklung gebracht und es wird ein Fazit in Bezug auf die Entwicklungsfähigkeit von Unternehmen gezogen.

2. Die Theorie der kognitiven Moralentwicklung nach Kohlberg

Sein Forschungsprogramm startete Lawrence Kohlberg im Jahre 1958 mit der Dissertation „The Development of Modes of Moral Thinking and Choice in the Years 10 to 16“, die ursprünglich nur als Ausweitung der Studie Piagets „Über das moralische Urteil beim Kinde“ auf die Adoleszenz gedacht war. Fünf Jahre später fixierte er dann die Isolierung moralischer Stufen im Sinne einer Entwicklungslogik als primäres Forschungsziel.[2] Um die einzelnen Stufen der Moralentwicklung zu erforschen führte Kohlberg eine, beinahe 30 Jahre andauernde, Längsschnittstudie an 72 Chicagoer Jungen mit Hilfe von Interviews zu 10 hypothetischen Moraldilemmata durch. Trotz einer Vielzahl an methodischer und inhaltlicher Kritik, die der Kohlbergschen Theorie widerfahren ist, spricht ein Großteil der nachfolgenden Forschungsarbeiten im Kern für eine Existenz der von Kohlberg postulierten kulturunabhängigen Entwicklungssequenz des moralischen Urteils.[3]

2.1. Stufen der Moralentwicklung

Kohlberg betrachtet Moralentwicklung als „[…] eine fortschreitende Bewegung hin zu einer Verankerung des moralischen Urteils in Gerechtigkeitsbegriffen.“[4] Damit einhergehend versteht er Moral als Gerechtigkeitsdenken und sieht sich diesbezüglich in einer langen philosophischen Tradition mit u. a. Sokrates, Aristoteles, Platon, Kant und vor allem Rawls, für den Gerechtigkeit die wichtigste Tugend einer Gesellschaft ist.[5] Die Entwicklung des moralischen Urteils bestehe darin, dass ein höheres Stadium, eine, gemäß moralphilosophischen Kriterien, adäquatere Art der Lösung moralischer Probleme darstelle. Berücksichtigend, dass seiner Theorie somit kein wertneutraler Charakter zugeschrieben werden kann, stellt Kohlberg jedoch ausdrücklich heraus, dass die in den Stufendefinitionen eingehenden Ideen nicht von ihm und seinen Mitarbeitern, sondern von den Probanden selbst stammen.[6]

Wichtige theoretische und empirische Implikationen besitzen desweiteren, die vier allgemeinen Merkmale, die Kohlberg kognitiv strukturellen Stufen unterstellt. Demnach implizieren Stufen: (1.) qualitative Unterschiede in den Denkweisen; (2.) eine i nvariante Abfolge in der Entwicklung, d.h., dass alle Stufen in Reihenfolge durchlaufen werden müssen – Individuen können allerdings auf Stufen stehen bleiben oder sie unterschiedlich schnell absolvieren; (3.) eine strukturierte Ganzheit einer jeden Stufe, d.h., dass eine bestimmte Stufenreaktion auf eine Aufgabe, keine ‚antrainierte‘ Reaktion in Folge einer Vertrautheit mit dem Aufgabentyp, sondern eine grundlegende Denk-Organisation die als konsistentes Antwortmuster auftritt, repräsentiert; (4.) hierarchische Integrationen, was bedeutet, dass höhere Stufen die auf niedrigeren Stufen bestehenden Strukturen reintegrieren, Individuen jedoch die Lösung eines Problems auf dem höchsten erreichbaren Niveau zu bevorzugen.[7]

Vor dem Hintergrund der soeben dargestellten Annahmen ermittelte Kohlberg mittels strukturaler Interviews, in denen die Probanden der erwähnten Längsschnittstudie eine Handlungsempfehlung zu hypothetischen Moraldilemmata abgeben sollten, drei Hauptniveaus der moralischen Entwicklung: (1.) das präkonventionelle Niveau, bei dem die moralische Wertung auf materiellen und hedonistischen Folgen von Handlungen (Strafe, Belohnung, Austausch von Gefälligkeiten) beruht; (2.) das konventionelle Niveau, bei dem die moralische Wertung auf einer Konformität mit den Erwartungen ‚der anderen‘ (Familie, Gruppe, Nation) und der Erhaltung der sozialen Ordnung beruht und (3.) das postkonventionelle Niveau, bei dem die moralische Wertung auf dem Bemühen moralische Prinzipien und Normen zu bestimmen, die unabhängig von bestehenden Autoritäten und deren Prinzipien Gültigkeit besitzen, beruht.[8] Jedes der drei Hauptniveaus lässt sich in jeweils zwei Stufen aufteilen, „[…] wobei die zweite Stufe jeweils eine fortgeschrittenere und besser organisierte Variante der allgemeinen Perspektive des jeweiligen Hauptniveaus darstellt.“[9] Für eine umfassende Beschreibung der sechs Stufen siehe Tabelle 1 im Anhang.

In der frühen Phase seiner Forschung hielt Kohlberg die Stufe 6 der universellen ethischen Prinzipien noch für eine empirische Entität. Nach der Entwicklung eines präziseren Auswertungsverfahren und einer damit einhergehenden Reanalyse der Längsschnittdaten konnte allerdings keiner der Probanden mehr der Stufe 6 zugeordnet werden und sie verliert ihren Status als allgemein vorzufindende Form des moralischen Urteilens. Kohlberg behandelt die sechste Stufe nun als eine, an Rawls angelehnte, normative Endstufe auf der alle Personen, wenn sie über alle relevanten Tatsachen in einem moralischen Konflikt informiert sind, dieselbe Entscheidungsrichtung wählen.[10] Auch in jüngeren Untersuchungen konnte Stufe-6-Denken empirisch nicht nachgewiesen werden; Urteile auf postkonventionellem Niveau wurden hingegen frühestens mit 20 Jahren gefunden.[11]

Für ein umfassendes Verständnis der Moralentwicklung betrachtet Kohlberg es als notwendig selbige in eine Abfolge von vorhergehenden kognitiven Entwicklungen einzuordnen. Die logische Entwicklung nach Piaget[12] erscheint ihm diesbezüglich grundlegend, so dass er eine Parallelität zwischen der logischen Stufe und der Moralstufe eines Individuums annimmt. So können bspw. Personen, die nicht zu abstraktem Denken fähig sind, nicht über prä-konventionelle Stufen hinaus gelangen. Die logische Entwicklung ist daher eine notwendige, aber keine hinreichende Voraussetzung für moralische Entwicklung – viele Individuen erreichen eine höhere logische als die parallele moralische Stufe. Eine weitere einflussreiche Determinante der Gesamtpersönlichkeit sind für Kohlberg die Stufen der sozialen Rollen- bzw. Perspektivenübernahme nach Selman[13]. Kohlberg weist darauf hin, dass in den Stufendefinitionen teilweise Stufen der Rollenübernahme enthalten seien, die bestimmen würden, wie Individuen andere Menschen und ihre Gedanken, Gefühle usw. wahrnehmen und interpretieren.[14] Da es allerdings schwieriger sei ein bestimmtes Gerechtigkeitsurteil zu fällen, als die Welt nur auf dem jeweiligem sozialem Niveau wahrzunehmen nimmt Kohlberg, analog zur logischen Entwicklung, an, dass die soziale Kognition eines bestimmten Stadiums der Entwicklung der parallelen Stufe moralischen Urteilens voran gehe. In Anbetracht dieser Überlegungen postuliert Kohlberg eine „[…]horizontale Abfolge von Schritten in Form einer Bewegung von der Logik zur sozialen Wahrnehmung und dann zum moralischen Urteil.“[15]

2.2. Entwicklungsfaktoren der moralischen Urteilsfähigkeit

Kohlberg betrachtet die Moralentwicklung nicht als unmittelbare Entfaltung biologischer oder neurologischer Strukturen, sondern in erster Linie als Resultat einer Interaktion von Individuumund Umwelt, so dass neben den bis hierhin dargestellten subjektiv-psychologischen Faktoren auch der Einfluss des moralischen Niveaus des Umfeldes beachtet werden muss.[16] Diesbezüglich folgert Kohlberg auf Basis eigener Untersuchungen, dass Gruppen oder Institutionen von ihren Mitgliedern tendenziell als Verkörperung bestimmter Moralstufen gesehen werden, die sich durchaus von der individuellen Stufe des Mitglieds unterscheiden. So führten Kohlberg, Scharf und Hickey in einer Besserungsanstalt Gruppendiskussionen durch, die neben den hypothetischen Standarddilemmata auch reale Dilemmata im Kontext der Besserungsanstalt umfassten. Hierbei lagen die Urteile der Insassen in den hypothetischen Dilemmata auf höherem Niveau, als in den realen Dilemmata; die Beziehung zu den Mitgefangenen und das moralische Niveau der Besserungsanstalt wurden tendenziell auf Stufe 2 klassifiziert.[17] In einer späteren Studie sah Kohlberg die Hypothese bestätigt, dass höher stufige institutionelle Atmosphären moralische Entwicklung fördere, da die Einrichtung einer ‚gerechten Gemeinschaft‘, mit gemeinschaftlichen Entscheidungen und Kleingruppendiskussionen über moralische Fragen, in einem Frauengefängnis zu Verbesserungen der moralischen Urteilsfähigkeit geführt hatte.[18] Da moralische Urteile nach Ansicht Kohlbergs Rollenübernahme erfordern (s.o.), werde die moralische Entwicklung außerdem durch Umgebungen stimuliert, die Gelegenheiten zur Rollenübernahme böten, d.h. in denen man sich in die Lage der verschiedenen am moralischen Konflikt beteiligten Personen hineinversetzen muss.[19] Ein weiterer Faktor bestehe in der Erfahrung kognitiver Konflikte, die aus der Begegnung mit bedeutsamen Bezugspersonen, deren Denken dem eigenen moralischen Urteil widerspricht, resultieren würden. Im Zusammenhang mit Rollenübernahmegelegenheiten und der Erfahrung kognitiver Konflikte kommt der Dilemma-Diskussion als pädagogisches Instrument eine große Bedeutung zu. So kam Lind in einer Meta-Analyse von 141 Studien mit Bezug auf Kohlberg zu dem Schluss, dass moralische Urteilsfähigkeit, durch die Diskussion moralischer Dilemmata, „[…] - unabhängig vom Alter der Teilnehmer – sehr effektiv lehrbar ist.“[20]

2.3. Zusammenhang zwischen moralischem Urteil und Handeln

Bei der Definition moralischen Handelns folgt Kohlberg einem Konzept der universellen Moral, welchem die moralphilosophische Auffassung zugrunde liegt, dass Handlungen objektiv als richtig oder falsch beurteilt werden können. Für Kohlberg ist dieser Ansatz sowohl philosophisch, als auch empirisch begründet. Philosophisch orientiert er sich an ethischen Formalisten (u.a. Kant, Hare und Rawls), die postulieren, dass es eine ‚moralische Methode‘ der Urteilsfindung gebe, die zu moralischen Übereinstimmungen führe und mit der „[…] das Moralische an moralischen Urteilen formal ohne Rückgriff auf normative Überzeugungen[…]“[21] definiert werden könne. Begründete empirische Hinweise für den Ansatz einer universellen Moral sieht Kohlberg darin, dass 90% der Befragten auf Stufe 5 in einem Standard-Dilemma die selbe Entscheidung trafen, unabhängig davon, ob beispielsweise Kants kategorischer Imperativ oder Mills utilitaristisches Prinzip als Argumentationsmuster verwendet wurde.

Um den Zusammenhang zwischen moralischem Urteil und Handeln zu erklären, orientiert sich Kohlberg stark an Rests Komponentenmodell[22]. Kohlberg unterscheidet ebenso vier psychologische Funktionen, die im Zusammenspiel das Zustandekommen einer moralischen Handlung determinieren. Darüber hinaus erweitert er Rests Modell, in dem er jeder Funktion eine oder mehrere parallele Kognitionen zuordnet.[23]

Der ersten Funktion (Interpretation einer moralischen Situation) liegen Selmans Stufen der sozialen Perspektivenübernahme (siehe 2.1.) zugrunde mit denen der Akteur für relevante Ansprüche und Gefühle der Beteiligten sensibilisiert wird. Anschließend bestimmen die Moralstufen sowohl die deontischen Urteile, als auch die Verantwortlichkeitsurteile. Unter ersteren versteht Kohlberg ein Urteil über eine deontische Wahl, d.h. eine Entscheidung darüber, welche Handlung moralisch geboten ist; auf sie referiert die zweite Funktion (Entscheidung). Die Verantwortlichkeitsurteile beinhalten nach Kohlberg die Antwort auf die Frage, warum der Akteur die gebotene Handlung ausführen sollte; sie dienen der dritten Funktion (Handlungsausführung). Die vierte Funktion betrifft ebenfalls die Handlungsausführung, jedoch bezieht sie sich auf die außermoralischen Fähigkeiten, die für eine Handlungsausführung nötig sind. Kohlberg nennt diese Fähigkeiten Ich-Kontrollen; sie umfassen „[…] kognitive Fähigkeiten wie Intelligenz (um einen Plan zu entwerfen, mit dem das moralische Ergebnis erreicht werden kann), Aufmerksamkeit (d.h. Vermeidung von Ablenkungen) und Belohnungsaufschub (d.h. beharrliches Festhalten am gewählten Plan).“[24]

Abschließend wird nun auf allgemeine Schlussfolgerungen zum Zusammenhang von moralischem Urteilen und Handeln verwiesen, die Kohlberg auf Basis der Studien von Blasi, Candee und Helkama getroffen hat. Demnach gebe es in hypothetischen Dilemmata stufenweise eine monotone Zunahme der Verantwortlichkeit, welche sich nicht unmittelbar aus den deontischen Urteilen ablesen lasse. Dies repräsentiere, dass Menschen im Verlauf ihrer moralischen Entwicklung zunehmend von der Notwendigkeit überzeugt seien im Handeln für ihre moralischen Überzeugungen einzustehen.[25]

2.4. Moralische Motivation

Eine umfassende inhaltliche oder methodische Kritik an Kohlbergs Theorie kann in dieser Arbeit nicht diskutiert werden, zu diesem Zweck verweise ich auf die Arbeit von Peltzer.[26] Stattdessen soll in diesem Abschnitt der von Kohlberg vernachlässigte Aspekt der moralischen Motivation anhand der Ausführungen von Nunner-Winkler näher analysiert werden.

Nunner-Winkler definiert moralische Motivation als „[…]die Bereitschaft des Handelnden, das was er als richtig erkannt hat, auch unter persönlichen Kosten zu tun[…]“[27] und geht demzufolge von einem intrinsisch an moralischer Verpflichtung orientiertem Motivationsbegriff aus. Sie kritisiert, dass Kohlberg das moralische Urteil und die moralische Motivation[28] nicht als analytisch unabhängig, sondern strukturgleich betrachte. In diesem Zusammenhang verweist sie darauf, dass der von Kohlberg unterstellte doppelte Instrumentalismus in Normverständnis und Motivation auf präkonventionellem Niveau durch eine Reihe von Studien in Frage gestellt werden könne, die nahe legen würden, dass Kinder durchaus „[…] früh ein angemessenes Verständnis der intrinsischen Gültigkeit moralischer Normen besitzen“ [29] die moralische Motivation aber „[…] erst in einem zweiten, differentiellem Lernprozess aufgebaut[…]“ [30] werde. Daraus folgert sie, dass sich Individuen bei gleichem Urteil in der Intensität ihrer moralischen Motivation unterscheiden. Einen zentralen Stellenwert schreibt Nunner-Winkler der moralischen Motivation zudem als Brückenfunktion zwischen moralischem Urteil und Handeln zu: je stärker die moralische Motivation, um so eher erfolge eine Handlung gemäß dem moralischem Urteil und nur im Falle hoher Motivation komme es zu einer Übereinstimmung von Urteil und Handeln. Nunner-Winkler stellt somit, die für Kohlberg zentrale Vorstellung in Frage, dass es mit zunehmender Moralentwicklung zu einer steigenden Übereinstimmung von Urteil, Motivation und Handeln kommt und hebt die Bedeutung der Motivation, als einen, von der Urteilsstufe unabhängigen, aber entscheidenden Faktor für moralisches Handeln hervor.

3. Moralentwicklung in organisationalen Umgebungen

Um klären zu können, ob sich Unternehmen moralisch entwickeln können, werden nachfolgend, ausgehend von der Theorie Kohlbergs, Prozesse moralischer Entscheidungsfindung und moralischen Verhaltens in organisationalen Kontexten diskutiert. Allerdings muss vorab darauf hingewiesen werden, dass sich die Darstellung der behandelten Modelle auf die, für die Fragestellung interessanten Aspekte (siehe 1.), hin verkürzt. Dies bedeutet, dass konkrete Stufenbeschreibungen oder spezifische Variablen einzelner Modelle nicht näher erläutert werden können; hierfür wird ggf. auf den Anhang verwiesen.

3.1 Moralisches Urteilen im Unternehmen

Es wird zunächst angenommen, dass die individuelle Moralentwicklung eine mögliche Komponente innerhalb eines Modells der organisationalen Moralentwicklung darstellt. Als Ausgangspunkt unserer Fragestellung ist es daher sinnvoll, sich zuerst damit zu beschäftigen, wie Entscheidungsträger innerhalb eines Unternehmens moralisch urteilen und, ob die Unternehmensumgebung diesen Prozess evtl. beeinflusst.

[...]


[1] Vgl. Birnbacher 1996: S.61.

[2] Vgl. Garz 2008: S.101.

[3] Vgl. ebd.: S.106.

[4] Kohlberg 1996: S.30.

[5] Vgl. Rawls 1971: S.19.

[6] Vgl. Kohlberg 1996: S.159f.

[7] Vgl. ebd.: S.85f.

[8] Vgl. ebd.: S.51f.

[9] Ebd.: S. 127.

[10] Vgl. ebd.: S.306.

[11] Vgl. Garz 2008: S.106.

[12] Piaget 1971.

[13] Selman 1984.

[14] Vgl. Tabelle 1 im Anhang.

[15] Kohlberg 1996: S.125.

[16] Vgl. ebd.: S.31.

[17] Vgl. ebd.: S.293ff.

[18] Vgl. ebd.: S.170.

[19] Vgl. ebd.: S.165f.

[20] Lind 2003: S.67.

[21] Kohlberg 1996: S.412.

[22] Vgl. Rest 1999: S.89f.

[23] Vgl. Abbildung 1 im Anhang.

[24] Kohlberg 1996: S.429ff.

[25] Vgl. ebd.: S.425.

[26] Vgl. Peltzer 1986.

[27] Nunner-Winkler 2008: S.103.

[28] Vgl. Tabelle 1: „Was rechtens ist“ und „Gründe, das Rechte zu tun“.

[29] Nunner-Winkler 1999: S.319.

[30] Nunner-Winkler 2008: S.120.

Ende der Leseprobe aus 28 Seiten

Details

Titel
Sind Unternehmen moralisch entwicklungsfähig?
Untertitel
Diskussion einer Erweiterung der Theorie Kohlbergs auf organisationale Umgebungen
Hochschule
Universität Bayreuth
Note
1,3
Jahr
2010
Seiten
28
Katalognummer
V452717
ISBN (eBook)
9783668862319
ISBN (Buch)
9783668862326
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Unternehmensethik, Kohlberg, Moralentwicklung
Arbeit zitieren
Anonym, 2010, Sind Unternehmen moralisch entwicklungsfähig?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/452717

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